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Band 1 von 2 der Romantic Thrill Dilogie Leidenschaftlich. Spannend. Und vor allem: Nichts für schwache Nerven! Genre: Romance Suspense/ Dark Romance/ Romantic Thriller Klappentext: Ein neuer Job bei einer militärischen Spezialeinheit. Ein neuer Mann in ihrem Leben. Als Rufio Liv wiederbegegnet, weiß sie nicht mehr, wer er ist. Und das aus gutem Grund. Es verbindet die beiden ein dunkles Geheimnis, das die junge Psychotherapeutin lieber für immer vergessen hätte. Doch der Vergangenheit kann sie jetzt nicht mehr entkommen. Tropes ( wiederkehrende Themen in der Dilogie): Bad Hero Alpha Hero Psycho Enemies to Lovers Time Gap Military Unit Dark Secret Spice Die Liebesgeschichte von Rufio und Liv hat die Vibes von: Mr. & Mrs. Smith Bonnie & Clyde Joker & Harley Quinn Bist du bereit in die dunklen Abgründe von Rufio und Liv abzutauchen und deine Moral von der Klippe zu stürzen? Dann wag dich in die Schlacht, genieße den Wahnsinn in vollen Zügen. Aber sag nicht, du wurdest nicht gewarnt. Ernsthaft: Bitte beachte die Triggerwarnung in den Büchern! Das Lesen der Dilogie wird erst ab 18 Jahren empfohlen!
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Happy End
for me
Band I
von
Romy Lee Stone
1. Auflage
Copyright © 2023 Romy Lee Stone
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Anastasia Thiel
Herausgegeben von: Sternfeder Verlag
www.sternfeder-annmerow.de
Verlagslabel: Sternfeder Verlag
ISBN: 9783910956018
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin.
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig.
Triggerwarnung
Das folgende Buch enthält potenziell triggernde Inhalte zu den Themen: Gewalt, Essstörung, Tod, Sexismus, Mobbing, explizite Darstellungen und Erwähnungen körperlicher, seelischer und sexualisierter Gewalt gegenüber Menschen und Kindern sowie psychische Erkrankungen.
Playlist
Flight Facilities, Aloe Black – Better Than Ever
The Dead Weather – I Can’t Hear you
The Kills – Future Starts Slow
Klingande – Sinner
BANKS – Before I Ever Met You
Sam Fender – Play God
Alexander Oscar, SVEA – Complicated
SHY Martin – Out of My Hands
MOSES – Cause You Got Me
Grandson – Blood// Water (King Kavalier Remix)
The Heavy – Same Ol‘
The Black Keys – Howlin`for You
Grandson – Blood// Water (King Kavalier Remix)
Florence + The Machine – No Light, No Light
Dermot Kennedy – Power Over Me
(Die Playlist findet ihr auf Spotify.de: „Happy End For Me“ by Romy Lee Stone)
Widmung
Was für’n Ding?! Eine Widmung?! Oh, ne. Ich hoffe eher, dass niemand dieses Buch in die Finger bekommt, der oder die mich kennt. Wenn du mich persönlich kennst, vielleicht sogar magst oder mit mir verwandt bist und bereits auf dieser Seite angekommen bist, befolge meinen Rat:
Leg es bitte wieder weg!
…
Wehe du blätterst um.
…
Pfui.
…
Aus!
…
P.S. Natürlich danke ich dir trotzdem für deine Unterstützung! Geld gibt’s aber nicht zurück. :D
An alle anderen:
Wenn du ein verrücktes Herz mit dem Hang zur Dunkelheit in dir trägst, dann bist du genau richtig.
Jetzt geht’s endlich ab.
Prolog
„Du möchtest ein Buch schreiben als Form der Paartherapie? Ist das dein Ernst?“ Fio sieht mich an, versteht die Welt nicht mehr.
Ich nicke. „Auf einer Schreibmaschine. Einfach tippen. Kein Löschen. Unsere reinsten Gefühle.“
Mein Mann wischt sich über sein Gesicht. „Wieso?“
Seine Augen sehen müde aus. Es ist zu viel. Das alles. „Wir haben Traumatisches erlebt und sollten das aufarbeiten.“
Er starrt vor sich hin, stemmt die Arme in die Hüfte. Bitte, Fio. Sag ja.
„Was meinst du? Unsere Beziehung war perfekt. Das dachte ich jedenfalls ...“
Ich unterbreche ihn sofort. „Perfekt? Ernsthaft? Der Beginn unserer gemeinsamen Geschichte ist so schlimm, dass ich dich vergessen habe!“
Jetzt trifft mich sein Blick. Hart – wie ein Baseballschläger den Ball. Mir bleibt der Sauerstoff aus.
„Das haben wir längst hinter uns gelassen. Liv, ich verstehe gar nichts mehr.“
„Offensichtlich habe ich das nicht“, protestiere ich. Er soll einfach nur zustimmen. Dieses Buch ist alles, was mir bleibt. Was kann ich nur sagen, um ihn zu überzeugen?
„Bitte, Fio“, flehe ich. Nicht nur mit Worten, mit meinen Augen. Niemand kennt mich besser als er. Niemand durchschaut mich so wie er. Jede einzelne Silbe, die aus meinem Mund kommt, ist gelogen. Das weiß er. Er riecht es auf tausend Kilometerentfernung.
„Kann ich dich dann wenigstens sehen?“
Das geht nicht. Auf keinen Fall. „Nein.“
Ein verächtliches Schnaufen. „Keine Ahnung, wie man ein verdammtes Buch schreibt.“
„Darum geht es doch gar nicht. Außerdem hat Medy doch diesen Verlag. Sie könnte das in Form bringen.“
Seinen geschockten Ausdruck ignoriere ich und rede weiter. „Natürlich würde sie es anonymisiert veröffentlichen, keine Sorge. Fio, bitte.“
Seine eisig blauen Augen bohren sich in meine. Du kannst die Antworten nicht finden, Babe. Hör endlich auf es zu versuchen.
„Ist das eine Chance für uns?“
Dieses Mal muss ich nicht lügen. „Vielleicht. Ich hoffe es. Von ganzem Herzen.“
Kapitel 1: Hautfetzen
Da ich hier den Anfang machen soll, stelle ich mich zunächst vor. Ich heiße Rufio Bihari …
Kapitel 2: Nein! Nein! Nein!
STOPP!
So fängt man doch kein Buch an! Es soll in der Geschichte um uns gehen! Nicht um dich. Nochmal von vorne!
Kapitel 3: Ist ja gut!
Okay, okay.Mitten ins Geschehen soll ich euch werfen. Also los …
Das warme Wasser prasselte angenehm auf mich herab. Die Fliesen unter meinen Füßen färbten sich von dem ganzen Blut, das an mir klebte, bräunlich-rot. Heißer Dampf breitete sich in der Luft aus. Meine Muskelfasern lockerten sich. Das Atmen wurde leichter. Eine Dusche hatte selbst in diesem ungemütlichen Gemeinschaftsraum etwas Heilendes und Reinigendes. Nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Die gesamte Spannung fiel von mir ab. Die Sinne, die bisher nur auf Sparflamme liefen, verstärkten sich wieder. In meinem Mund machte sich ein metallischer Geschmack breit und mit der Zunge erfühlte ich einen knorpeligen Fremdkörper zwischen den Zähnen. Das war keine Überraschung, zumal ich vor kaum einer Stunde einem Mann das Ohr abgebissen hatte. Die übrig gebliebenen Hautfetzen spuckte ich angeekelt auf den Boden.
Ihr denkt jetzt sicher: Bitte was?
Keine Sorge, ich mache sowas ständig. Man gewöhnt sich daran.
Eventuell.
Um zu siegen, tat ich, was notwendig war. Ich überlebte alles und jeden. Wie eine Kakerlake den Weltuntergang. Sobald ich mit meiner Ganzkörperreinigung einschließlich Zähneputzen fertig war, schaltete ich mein Handy an. Das Datum auf dem Display jagte einen elektrischen Impuls von meiner Brust in mein Gehirn. Mist. Die Party. Ich hatte sie verpasst, und hörte schon jetzt Xenias Predigt über meine Unzuverlässigkeit in den Ohren schallen. Langsam sollte ich ihr wohl sagen, dass wir keine Zukunft haben würden. Meine Freundin war von einer unabhängigen Frau zu einem kläffenden Schoßhündchen geworden. Einfach unerträglich.
Ein fruchtiger Duft stieg mir in die Nase, nachdem ich in meinem Eigenheim angekommen war. Meine Augenlider flackerten unkontrolliert bei dem Gedanken daran, dass Xenia mit dem Raumspray den Sauerstoff in der Wohnung verpestet hatte. Doch die Müdigkeit lähmte meine Fähigkeit, mich aufzuregen. Hinter mir schloss ich mit einem Fußtritt die Tür und schwenkte den Blick zu dem Elend auf der Couch. Zusammengekauert zu einem Knäuel, schluchzte Xenia hörbar und hielt sich die Hände vor das Gesicht.
„Da bist du ja endlich!“, sagte sie in weinerlichem Ton. Sie streifte sich die Decke von den Schultern und richtete sich auf. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen von ihrer Wange und drehte sich schließlich zu mir.
Keine Standpauke, weil ich gestern nicht aufgetaucht war? Seltsam.
„Rufio, ich muss dir etwas beichten. Setz dich lieber.“ Ihre Atemzüge wurden ruhiger. Mit gefasster Miene schaute sie mich an und zeigte auf den Esstisch. Meine Neugier war geweckt. „Okay.“
Gegenüber voneinander nahmen wir Platz. Interessiert wartete ich darauf, was sie mir zu sagen hatte. Durch das Weiß in ihren Augen schlängelten sich rote Adern und durchsichtige Flüssigkeit bahnte sich erneut den Weg über ihre weichen Gesichtszüge.
„Es tut mir so leid“, flüsterte sie undeutlich. Ein Schnäuzen erklang, während sie ein benutztes Taschentuch an ihre Nase presste.
Ihre rehbraunen Augen starrten versessen auf die Holzplatte, und ihre Lippen bebten, sobald sie mit der Sprache rausrückte: „Ich habe dich mit Samuel betrogen.“
„Perfekt!“, schrie ich in Gedanken. Einen besseren Grund hätte sie mir zum Schluss machen gar nicht liefern können! Nach außen hin gab ich mich allerdings wesentlich verhaltener. Nachdenklich kratzte ich meine Stirn und pustete geräuschvoll die Luft aus der Lunge. Samuel war ein Collegefreund von mir. Sicherheitshalber horchte ich deshalb in mich hinein – für den Fall, es könnten Überbleibsel meiner Gefühlswelt vorhanden sein, die an die Oberfläche kriechen wollten. Fehlalarm. Mein blutpumpendes Organ pochte nur mit größter Anstrengung unter der bröckeligen Gesteinsschicht. Durch die Venen scharwenzelte sich meine Seele wie eine Schlange hervor, bereit sich zu häuten und in schwarzer Pracht zu erblühen. Ich musste mir sogar ein Schmunzeln verkneifen. Den gekränkten Hintergangenen konnte ich aber imitieren.
„Was hast du?“, fragte ich mit vorwurfsvoller Miene und stand stürmisch von dem Stuhl auf. „Ausgerechnet mit meinem besten Freund?!“
Lustig. Heimlich lachte ich in mich hinein. Samuel bedeutete mir ungefähr so viel, wie das Rind, dessen Hüfte ich auf dem Teller serviert bekam. Ich simulierte einen Wutanfall und schlug mit den Handflächen auf den Tisch.
Meine Freundin fuhr durch die Vibration der Platte zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie mich an, stand auf und kam auf mich zu. Ganz langsam und vorsichtig, als wäre sie ein scheues Reh.
„Es tut mir so leid. Bitte, verzeih mir“, bettelte sie. „Du bist scheinbar grundlos nicht auf meine Geburtstagsfeier gekommen. Ich wusste nicht, wo du bist, was du machst, ob es dir gut geht. Aber er war da. Er ist es immer. Du nicht. Es war nur ein alkoholbedingter Ausrutscher. Mehr nicht.“
Ihre Erklärung leuchtete mir ein, stellte aus meiner Sicht jedoch keine Rechtfertigung dar.
„Möchtest du mir etwa die Schuld für deine Untreue geben?!“, hakte ich vorwurfsvoll nach.
„Nein. Nein. Ich, ich …“, stammelte die brünette Schönheit.
Ich schüttelte den Kopf und mein Blick fiel resigniert zu Boden. „Geh. Pack deine Sachen. Das war’s.“
„Gib mir eine Chance, es wiedergutzumachen, Rufio!“, flehte sie. Wie erbärmlich.
Noch eine Weile diskutierte Xenia mit mir, aber irgendwann merkte sie, dass ich nicht zu überzeugen war und ging.
Kapitel 4: Balancé
Einige Wochen und zahlreiche belanglose One-Night-Stands später hatte ich einen Abend für mich allein und nutzte ihn für mein nächstes Ziel. Schon eine Weile besaß ich Karten für eine Ballettaufführung. Vom Tanzen hatte ich zwar keine Ahnung, aber ich war auch nicht wegen der Show gekommen. Sondern wegen ihr.
Das Schauspiel fand in einem kleinen Vorort statt, durch den ich regelmäßig auf dem Heimweg fuhr. Ich hoffte jedes Mal, Liv dort zu entdecken, legte es aber nie darauf an.
Bis jetzt.
Auf dem Parkplatz vor der Oper stellte ich mein Auto ab. Für eine derart kleine Stadt konnte sich das Gebäude mit der hell beleuchteten Fassade sehen lassen. Ich hatte einen Schuppen mit der Aufschrift „Kulturpalast“ erwartet und trug deshalb Jeansjacke, Shirt sowie Sneaker. Dafür kassierte ich prompt böse Blicke am Empfang. Sie ließen mich trotzdem durch, also trottete ich die riesige Treppe hinauf. Direkt in der ersten Reihe befand sich mein Platz, von dem aus ich eine gute Sicht auf mein Objekt der Begierde haben würde.
Da mein Handy ständig aufblinkte, beschäftigte ich mich noch einmal mit lästigen sozialen Pflichten.
„Sehen wir uns heute?“, schrieb meine beste Freundin Sunny.
„Später vielleicht“, antwortete ich.
Um das direkt klarzustellen, Sunny ist wirklich nur meine beste Freundin! Immer wieder hinterfragen Menschen die Freundschaft zwischen Frau und Mann, super nervig! Sicher könnte sie auf einem Playboy-Cover posieren, und wenn mich jemand fragen würde, ob ich schon mal mit ihr geschlafen habe, müsste ich lügen. Aber ich kann euch versichern, es war nur einmal und hat nichts bedeutet! Glaube ich. Es herrschte danach lange Eiszeit zwischen uns.
Jetzt ist bei uns wieder alles Tutti Frutti. Also ich meine, ihre Tutti und meine Frutti. Eher ihre Frutti und mein Tutti – ach, ich tippe nur Irrsinn, weil ich gerade höre, wie Liv das Haus verlässt. Ich würde zu gerne wissen, was sie vorhat. Flüchtig schiele ich zur Tür, um zu sehen, was sie trägt und wie sie aussieht. Wo will sie nur schon wieder hin? Ich haue eine Weile wahllos auf die Tasten, um den Anschein zu erwecken, ich würde weiter schreiben.
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Weiter geht’s:
Sobald Liv auf der Bühne auftauchte, spürte ich mein Herz pulsieren. Nicht stark. Kaum merklich. Ein normales Zeichen bei jedem anderen, doch bei mir etwas ganz Besonderes. Sonst verrichtete es wie jeder Motor lediglich seine mechanische Arbeit, um meinen Tod zu verhindern. Echte Emotionen, gesteuert von der Ausschüttung verschiedenster Hormone, kannte ich eher nicht. Nur wenn ich in Kontakt mit dem Tod kam, registrierte ich einen Hauch von Erregung.
Erregung?! Das klingt irgendwie so richtig falsch. Ich sollte das schnell klarstellen. Damit mein ganzes Gerede für euch halbwegs erträglich bleibt, habe ich nach einem Synonym für Aufregung recherchiert.
Und das war alles, was dabei rauskam:
Aufsehen Dramatik Erregtheit Erregung Hochspannung Spannung Unruhe Wirbel Klimbim Alteration
Ich empfand also einen Hauch von Unruhe.
Klingt irgendwie immer noch falsch. Viel zu negativ formuliert.
Sagen wir, ich fühlte mich wie ein Wirbel, ein wenig klimbim, wenn ich jemanden tötete.
Und nein, ich verherrliche Gewalt nicht! Ich gebe mir Mühe, ehrlich zu sein.
Reden wir weiter über den Abend:
Zwischenmenschliche Interaktionen ließen mich eigentlich kalt. Für manche klang das vielleicht beneidenswert, denn auch Trauer war nur ein dumpfes Ziehen in meiner Bauchgegend. Wie der kleine Stich eines Insekts, aber leicht zu ignorieren. Doch wir alle haben ein ausgeprägtes Bedürfnis danach, uns in Angstsituationen zu versetzen. Auch wenn es nur die Furcht vor dem ersten Date war, jeder suchte nach solchen Erlebnissen. Ein tief verwurzelter Instinkt. So bereiten sich Menschen seit Jahrhunderten auf gefährliche, unerwartete Angriffe oder Erfahrungen vor, die sie durch das Erlernte erfolgreich bewältigen können. Warum sonst sollte man Horrorfilme schauen? Das menschliche Gehirn unterscheidet nicht zwischen fiktionaler und realer Bedrohung. Also lief ich umher, wie einer dieser Adrenalinjunkies auf der Suche nach einem neuen Kick. Und ich hoffte Livs und meine Begegnung könnte ein solcher sein.
Dieses grazile Persönchen hatte eine der Hauptrollen, weshalb ich sie fast die gesamte Zeit über beobachten konnte. Ihre Bewegungen waren gesteuert von einem Verlangen nach Perfektion und Verbissenheit. Ich konnte meine Augen nicht eine Sekunde von ihr lassen.
Als die Aufführung endete und sich der Vorhang schloss, überlegte ich, ob ich Liv irgendwie begegnen könnte. Wie ein Stalker oder Fan vor dem Gebäude zu warten, kam für mich nicht in Frage. Da ich sie sowieso mit Leichtigkeit wieder finden könnte und ich dringend frische Luft benötigte, gab ich mein Bestreben für heute auf. Ich ging zum Fahrstuhl und fuhr in die oberste Etage. Ein paar Treppen musste ich noch hinaufgehen, bis ich endlich auf dem Dach des Gebäudes angelangt war. Hoffnungsvoll kramte ich in der Hose nach einer meiner Notfallzigaretten für besonders stressige Tage. Eigentlich rauchte ich nicht. Viel zu wichtig war es, mein Lungenvolumen auf dem Maximum zu halten. Aber ab und zu eine kleine Sünde konnte nicht schaden.
Über meinen eigenen Gedanken musste ich schmunzeln, denn „ab und zu eine kleine Sünde“ war bei einem Menschen wie mir wohl die falsche Wortwahl.
Ich setzte mich auf die Brüstung und ließ jeweils links und rechts ein Bein bequem zur Seite hängen. In einer solchen Höhe fühlte ich mich sofort befreiter.
Gerade als ich das Feuerzeug zündete, hörte ich, wie neben mir die Tür aufgestoßen wurde. Ich sah herüber und beobachtete, wie diese zierliche Gestalt sehr abrupt und aggressiv herausstürmte. Die Lichter an der Fassade des Gebäudes erhellten das Dach in warmen Tönen und offenbarten ihr Gesicht.
Ich konnte nicht anders und grinste breit los. Hoffnung keimte in mir auf und ließ die felsige Schicht in meiner Brust brüchig werden.
Oh Liv, da warst du. Dein voluminöses Haar fiel wild auf deine Schultern hinab, weil du sie von dem strengen Gummiband befreit hattest. Deine Schminke saß noch perfekt, ebenso wie dein Kostüm. Ich wusste, das hier würde unser Moment werden.
Spoiler: Ich irrte mich gewaltig.
Kurz trafen sich unsere Blicke. Ein Kopfschütteln. Mehr bekam ich nicht als Reaktion. Mit offenen Mund folgte ich ihr mit den Augen. Stürmisch rannte sie zur Brüstung in meiner unmittelbaren Nähe.
Es war nicht eine dieser Begegnungen, die man sich nach all den Jahren wünschen würde. Sie war nicht magisch. Die Sterne leuchteten nicht heller als sonst, die kühle Luft war nicht angenehm, sie war eiskalt. Meine Umgebung duftete nicht nach frischen Blumen, sondern stank nach widerlichem Rauch. Und sie freute sich auch nicht besonders, mich wiederzusehen.
Im Gegenteil.
Liv hat sich über die Mauer gelehnt, nur einen Zentimeter von mir entfernt in die Tiefe übergeben.
Angewidert sah ich ihrem Erbrochenen hinterher und hoffte wirklich, dass die Passanten auf dem Gehweg davon verschont bleiben würden.
Abartig, wunderschöne Liv. Einfach zum Würgen. Und das tat ich. Ich würgte automatisch mit, wodurch ich endlich Aufmerksamkeit von ihr bekam. Allerdings eher die Form, die ich mir so nicht vorgestellt hatte.
Sind schon die einen oder anderen Organe aus dem Körper meiner Opfer gefallen, während ich ihm die untere Bauchdecke mit Tingel aufschlitzte? Ja. Wurde mir dabei schlecht? Nein.
Konnte ich andere Menschen sehen, wenn sie sich übergaben? Nein! Nein! Und nochmal nein, verdammte flüssige Brühe der Säurenhölle!
Mir kam es hoch.
Nur mit größter Anstrengung konnte ich meinen Mageninhalt bei mir behalten.
Da hingen wir beide also mit dem Kopf über der Brüstung eines eigentlich romantischen Daches.
Liv lachte los und schaute mich von der Seite an. „Tut mir leid, Fremder. Habe ich dich bei einem theatralischen Selbstmordmoment gestört?“
Fremder?
Wie bitte?!
Sie erkannte mich nicht.
Ich gab ihr ein wenig Zeit, es war schließlich ewig her.
Angestrengt atmete ich ein und schaute langsam zu ihr rüber. Mein Zwerchfell war noch immer gereizt und brannte.
Ihr Gelächter brachte mich zum Grinsen, mein Magen beruhigte sich, und eine wohlige Wärme breitete sich in mir aus. Da ich – wie bereits erwähnt – der reinste Junkie nach jeglichen Gefühlsregungen war, wusste ich schon jetzt, dass ich künftig alles tun würde, um mir dieses wundervolle Geräusch immer wieder anzuhören. Natürlich meine ich ihr Lachen, nicht das, was sie machte, als sie sich ihres Mageninhalts entledigte!
„Ich und Selbstmord? Eher nicht.“ Ich richtete mich wieder auf. Liv setzte sich neben mich auf die Brüstung.
Erschöpft wischte sie sich die Haare aus dem Gesicht und fragte: „Hast du ein Kaugummi?“
Derart nah vor mir, nahm sie mich wie damals sofort in ihren Bann. Ich hatte fast vergessen, wie sehr mich ihre Schönheit faszinierte. Ihre von Sommersprossen durchzogene braune Haut stellte einen exotischen Kontrast zu ihrer wilden Mähne dar, die von roten Pigmenten hell erleuchtet wurde. Livs Augen verrieten eine Stärke, die einen einschüchtern konnte. Ihre Blicke waren so verwegen und geheimnisvoll, dass ich nicht annähernd erahnte, woran ich bei ihr war.
So geht es mir mit ihr noch heute.
Ich nickte und reichte ihr ein Pfefferminz aus meiner Jackentasche. Mit größter Aufmerksamkeit beobachtete ich jede ihrer Regungen, in der Hoffnung, sie würde mich endlich erkennen.
Als sie mir die Pastille aus der Hand nahm, ergriff ich ihren Arm und tastete ihren Puls am Handgelenk ab. Ich wollte wenigstens erfahren, ob irgendeine Art von Empfindung in ihr stattfand, wenn sie mich ansah.
Kapitel 5: Merkwürdige Typen
Sobald der Unbekannte mein Handgelenk berührte, warf ich ihm einen erschrockenen Blick zu und riss den Arm an mich. „Lass deine dreckigen Finger von mir.“ Hatte er etwa versucht, meinen Puls zu erfühlen? Freak!
Er zog seine Augenbrauen hoch, legte seinen Kopf schief, und inspizierte mich ungewöhnlich aufmerksam. Erst jetzt fiel mir auf, dass es wohl besser wäre, schnell das Weite zu suchen, denn mit einem Mann seiner Statur ganz alleine auf einem Dach zu sein, konnte keine gute Idee sein. Er verschmolz aufgrund seiner dunklen Ausstrahlung förmlich mit der Nacht. Außerdem wusste niemand von meinem Aufenthalt dort oben. Meine Kollegen dachten, ich wäre bereits nach Hause gefahren.
Entschuldigend hob er die Arme, hielt sich aber weiterhin wacker auf der Brüstung.
„Man schüttelt sich doch noch die Hände, oder? Tut mir leid, ich wollte mich dir nur angemessen vorstellen. Immerhin haben wir eben intime Momente geteilt. Und wenn ich dich nicht dauerhaft Choky nennen soll, dann verrate mir am besten deinen Namen.“
O nein, nicht noch ein Typ, den ich abwehren muss. Ich rollte offenkundig mit den Augen.
Weil ich nicht antwortete, stellte er sich vor: „Du bist Liv, oder? Ich bin Rufio.“
Ich schaute ihn genauer an, sein Name kam mir bekannt vor. „Bist du ein Fan? Kennst du all unsere Namen?“
Rufio runzelte die Stirn, fast als wäre er enttäuscht.
„Äh, nein“, stammelte er und stand kopfschüttelnd auf. Er sprang auf den Boden und war nun direkt neben mir. Instinktiv krallte ich mich an der Brüstung fest. Nur für den Fall, er könnte ein eiskalter Killer sein.
Meine Vermutung ist im Nachhinein ziemlich witzig, denn ich hatte vollkommen recht.
Den Blick richtete ich wieder auf sein Gesicht. In seiner Position fiel mehr Licht auf ihn. Es war, als würde ich in die eisblauen Augen eines Wolfes sehen. Hungrig visierte Rufio mich an. Ob er zum Angriff auf seine Beute oder Schmusen mit einem neuem Rudelmitglied aufgelegt war, konnte ich noch nicht einschätzen.
Ich machte mich für alles bereit und hielt selbstbewusst Blickkontakt, um ihm keine Schwäche zu offenbaren. Mein seltsames Bauchgefühl ließ ich mir nicht anmerken, denn seine Gattung konnte Angst und Unsicherheit bereits kilometerweit riechen. Es war nicht zu leugnen, dass der Wolf vor mir der Leader seines Packs war. Man merkte es an jeder seiner ruhigen und durchdachten Bewegungen.
Das machte auf seine Zielobjekte sicherlich Eindruck.
Schade für ihn, dass er auf einen Adler getroffen war, der aus unerwarteten Höhen kam, mit seiner Intelligenz selbst ein starkes Raubtier zu Fall bringen und nebenher entspannt dessen Jungen fressen könnte. Das würde diesem selbstgefälligen Mann bestimmt nicht gefallen, aber ich malte mir bereits jetzt meinen Spaß mit ihm aus. Ohne viel sagen zu müssen, hatte Rufio mein Interesse geweckt. Ich konnte nicht anders, als ihn weiter anzustarren. Dabei verlor ich die Kontrolle über meinen Verstand und verschwand von diesem Dach. Und zwar nicht auf die gute, sondern auf diese abgedrehte Bitte-nicht-Weise. Ich gelangte an Orte meiner Seele, die ich unbewusst verschlossen hielt. Mir wurde eiskalt, und vor meinem inneren Auge blitzten bröckchenweise Erinnerungen auf, die keinen Sinn ergaben. Die mir den Atem raubten.
Da war Blut. An den Händen. An den Sachen. Auf dem Boden.
Vor mir stand Rufio. Die verschwommene Sicht auf ihn wurde klarer und klarer. Unsere Blicke trafen sich. Seine Augen spießten mich auf, stachen bis zur Seele hinein. Luft. Ich war wieder in der Lage Sauerstoff aufzunehmen. Ein- und ausatmen. Alles wird gut.
Blitze. Flackern. Ich war zurück im Hier und Jetzt. Verdammt, was war das?
Eine ganze Weile musste ich in meinen Gedanken versunken sein. Rufio beobachtete mich neugierig. Wenn ich nicht endlich etwas sagte, würde er mich für verrückt erklären. „Jetzt weiß ich, woher mir dein Name bekannt vorkommt.“
Sein Gesicht erheiterte sich.
„So hieß doch der Junge aus Hook, der Film mit dem erwachsenen Peter Pan“, erklärte ich.
Meine Antwort irritierte ihn wohl, denn er ließ den Kopf kraftlos sinken. Er stemmte seine Arme in die Hüfte und schnaufte frustriert, als er erwiderte: „Ja genau, das ist der, der stirbt.“
„Wenn du kein Fan bist, wer bist du dann?“
„Niemand. Nur ein Bewunderer des Balletts, wie du vermutet hast. Ich sollte dich in Ruhe lassen, Liv.“ Mit diesen Worten wandte er sich von mir ab.
Seine Stimme löste Gänsehaut bei mir aus. Sie erinnerte mich an den rasselnden Motor eines einzigartigen Oldtimers und klang ungewöhnlich kratzig. Doch nicht wie bei jemandem, der täglich eine ganze Schachtel Zigaretten rauchte und schleimig husten musste. Eher so, als würde sie Melodien mit Leben füllen können.
„Warte! Ich glaube, ich weiß, wer du bist!“
Rufio hatte die Türklinke bereits heruntergedrückt, überlegte es sich doch anders und drehte sich gelassen zu mir um.
„Kann es sein, dass du der Freund von Cassy aus dem Ensemble bist? Nimm es mir nicht übel, wenn ich es vergessen habe. Sie stellt uns regelmäßig neue Kerle vor.“
Energisch lief er auf mich zu, sprang mit einem Satz auf die Brüstung und ergriff meine Hände, um mich auf die Mauer hinaufzuheben. Mit einer selbstsicheren Haltung näherte er sich mir. Ein gerissenes Blitzen spiegelte sich in seiner Mimik. Ich wich ihm aus, indem ich immer weiter rückwärtsging.
„Falsch. Überleg weiter.“
Nahezu synchron balancierten wir, Schritt für Schritt, zwischen Leben und Tod. Auf der einen Seite der tiefschwarze Abgrund und auf der anderen das warm beleuchtete Dach.
Als Balletttänzerin hatte ich einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, aber er war auch nicht gerade schlecht in Form. Überaus gekonnt hielt er sich auf der schmalen Brüstung.
„Ist das so etwas wie eine Masche? Denn sie funktioniert nicht“, blaffte ich ihn an.
Er lachte, blieb plötzlich stehen und streckte die Arme mit den Handflächen nach oben zur Seite in die Luft. „Du hast dich eben bei meinem Anblick übergeben. Keine Sorge, ich bilde mir nicht ein, eine Chance bei dir zu haben.“ Sein ironischer Unterton war kaum zu überhören.
Doch er lag falsch.
Würde mich seine Art nicht einschüchtern, wäre ich mit ihm schon längst in der nächsten Bar verschwunden.
Ich versank förmlich in dem eindringlichen Blick meines Gegenübers. Seine düstere Aura umhüllte mich und verschmolz mit dem Teil in mir, den ich bisher gekonnt ignorierte. Interessiert scannte ich sein dunkles Haar und seine sommerlich braune Haut ab. Mit meinen Füßen trat ich auf festen Stein. Ein dumpfer Stich durchblitzte meine Brust, als ich mit meinem rechten Bein ins Nichts abrutschte. Ich geriet ins Schwanken und mein Gesicht erstarrte.
Gedanklich machte ich mich bereit für den Fall.
Doch Rufios Hand umfasste meinen unteren Rücken und zog mich in eine intime Umarmung, die mich seinen Atem auf der Haut spüren ließ. Ein unverschämtes, fast erhabenes Grinsen umspielte seine Lippen. Mein Puls beschleunigte sich, mein Herz pochte wie wild. Grund dafür war nicht der Beinahe-Tod, sondern dieser merkwürdige Fremde. Mein Unterbewusstsein stopfte jegliche Vernunft in einen Sack, machte ihn zu und haute nochmal darauf, um sie vollends auszuknocken. Anders konnte ich mir das prickelnde Gefühl im Unterbauch nicht erklären, das sich gerade in mir breitmachte. Immerhin hielt der Typ mit den irren Wolfsaugen wortwörtlich mein Leben in seinen Händen. Die logische Angst davor blieb aus. Statt mich an ihm festzukrallen, ertastete ich die harte Muskulatur in seinen Oberarmen. Noch in gebeugter und gefährlicher Position fasste er in mein Haar und zwirbelte eine Strähne zwischen seinen Fingern. Schwer atmete ich aus und folgte seinem Blick.
„Sie sind naturrot, oder, Liv Brennon?“
Krieg dich wieder in den Griff, Liv. Was ist denn los mit dir?
Gott sei Dank! Meine Denkfähigkeit hatte sich befreit. Die euphorische Trunkenheit verschwand.
Bestimmt stieß ich ihn von mir. Dabei war mir völlig egal, ob er fallen könnte. Diese Form der Nähe durfte sich kein Mann der Welt ungestraft einfordern. Belustigt sprang er zurück, balancierte sich aus und musterte mich weiterhin mit dieser erforschenden Neugier.
„Brennon? Das steht auf keinem der Plakate, woher kennst du meinen Nachnamen?“, erkundigte ich mich mit weit aufgerissenen Augen.
Genervt stöhnte er. „Na gut, ich gebe es zu. Ich bin die Affäre von Cassy und auch nicht sauer auf dich, weil du mich nicht erkennst. Eigentlich bin ich wütend auf sie. Sie hat mich heute Abend ignoriert und vor meinen Augen mit einem anderen Kerl rumgemacht.“
Das klang definitiv nach ihr. Allerdings hatte ich gar keinen anderen Mann wahrgenommen, aber na ja, an Rufio erinnerte ich mich schließlich ebenfalls nicht mehr. Also konnte es durchaus stimmen.
„Und als wäre dein Tag nicht schlimm genug, kommt auch noch eine Primaballerina und bringt dich fast zum Brechen. Obendrein weiß sie nicht mehr, wer du bist.“ Ich bekam Mitleid und grinste meinen Retter breit an, in der Hoffnung ihn aufmuntern zu können.
„Bist du auch Tänzer oder so was?“, fragte ich und betrachtete gierig seinen Körper.
Er setzte sich entspannt auf die Brüstung. „Nein.“ Ich ließ mich neben ihn nieder.
„Wie lange waren du und Cassy ein Paar?“, hakte ich nach.
„Wir waren kein Paar. Eher Leidensgenossen. Ich hatte zu viel Hoffnung.“
Seine Wolfsaugen sahen mich dabei gedankenverloren an, als sei diese Antwort zutiefst aufrichtig. Er wirkte gar nicht wie die Art Mann, die von Frauen benutzt und schlecht behandelt wurde. Aber auch ich konnte mich irren.
Überraschung, ich irrte mich nicht.
„Wieso musstest du dich übergeben? Es war doch eine fantastische Show. Du warst wirklich großartig“, bemerkte Rufio.
„Danke“, flüsterte ich und versank in Melancholie. Ich gab meine große Liebe und einzig wahre Leidenschaft auf.
Das Tanzen.
„Das heute war meine erste richtige und letzte Aufführung“, gestand ich wehmütig.
„Warum?“ Rufio runzelte verwundert die Stirn.
Ich atmete tief ein und stand auf. Bevor ich antwortete, drehte ich einige Pirouetten und machte ein paar pas de bourree: „Weil ich mich für einen anderen Weg entschieden habe.“
Balancé sollte ich auf dieser schmalen Mauer, am Rande eines Abgrundes, wohl wörtlich nehmen.
„Hör nicht auf“, forderte Rufio mit einem begeisterten Funkeln in seinen Augen.
„Okay“, antwortete ich grinsend und führte meinen Tanz mit voller Leidenschaft fort.
Assamblé,
ronde de jambe,
das Gewicht übertragen,
Rückbeuge,
pas de bourrée,
cabriole,
zwei kleine jetes,
balloté,
fließend in eine Pirouette arabesque.
Ich war ganz in meinem Element. Die Höhe machte mir nicht das Geringste aus. Mein rechtes Bein ragte in die nächtliche Luft. Den Arm streckte ich angespannt in Rufios Richtung, als ich nach dem Sprung auf den Zehenspitzen des linken Fußes landete. Mein Blick war entschieden in die Ferne gerichtet. Leicht dramatisch, ich weiß. Doch meine rhythmischen Bewegungen waren, ein Spiegelbild meiner Seele und Ausdruck meines Schmerzes.
Noch heute verarbeite ich auf diese Weise meine Gefühle.
Rufio stützte seinen Kopf auf seinem angewinkelten Bein ab und schaute mich fasziniert an. Als ich mich völlig außer Atem neben ihn setzte, sagte er leise: „Du weißt, das habe ich nicht gemeint, aber ich danke dir trotzdem für diese Vorstellung. Wieso gibst du diese Passion auf?“, fragte er noch einmal nach.
„Weil ich nie bei einem berühmten Ensemble angenommen wurde. Diese Aufführung in der Stadt war bisher mein größter Erfolg. Ich bin schon fünfundzwanzig. Mir bleiben sowieso nur noch wenige Jahre, in denen ich tanzen könnte. Spätestens mit dreißig ist Schluss in dieser Nische. Daher habe ich mir ein felsenfestes Back-Up aufgebaut und etwas Vernünftiges studiert. Meine Ausbildung war meine Priorität, Ballett nur noch ein Hobby. Vor wenigen Monaten habe ich meinen Abschluss gemacht. Und wie es der Zufall wollte, bekam ich nun ein mehr als gut bezahltes Jobangebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Diese Gelegenheit erhalte ich nicht wieder. Ich habe es als Zeichen angesehen, meinen Traum endgültig aufzugeben. Neben meinem Job werde ich keine Zeit mehr für das hier haben.“ Ich zupfte wehmütig an meinem Tutus.
„Wen interessiert schon Sicherheit, wenn man bei dem, was man tut, Leidenschaft empfindet? Ich würde dieses Gefühl gegen nichts in der Welt eintauschen.“
Interessiert drehte ich mein Gesicht in seine Richtung. Deutlich erkannte ich eine kleine, aber sehr tiefe Narbe neben seinem linken Auge.
„Gehst du deiner Leidenschaft nach, Fio?“ Ich verpasste dem Unbekannten ungeniert einen Spitznamen.
Zumindest nahm ich das zu diesem Zeitpunkt an. Denn ich konnte da noch nicht wissen, dass ich ihn schon öfter so genannt hatte.
„Ich würde sie nicht mit deiner vergleichen wollen, aber ja, das mache ich.“ Er schnaufte und schüttelte den Kopf. „Fio? So nennt mich sonst keiner. Wieso du?“
„Einfach so, passt irgendwie zu dir.“ Ich zuckte mit den Schultern.
Ein brummiges „Aha“ entglitt seiner Kehle.
Ich gebe allen vermeintlich respektvollen Männern gern einen lächerlichen und verniedlichenden Spitznamen. Dann wirken sie weniger bedrohlich und einschüchternd.
„Und was ist deine Leidenschaft, für die du nahezu brennst, Fio?“
„Ist nicht so interessant. Als was wirst du jetzt arbeiten?“
„Ist nicht so interessant, Fio.“
Warum ich es nicht erzählte? Weil ich es nicht durfte.
Er lachte unterdrückt auf und blickte in die Tiefe unter uns.
„Was hast du heute Abend vor? Feiert ihr Ballerinas eure Auftritte, oder wie läuft das?“
Misstrauisch musterte ich ihn. „Müsstest du das nicht von Cassy wissen?“
„Offenkundig weiß ich es nicht.“
„Ja, heute gibt es eine kleine Feier. Aber mir war nicht danach, wie du gesehen hast. Allerdings geht es mir langsam wieder besser. Auf die Party mit meinen Kollegen habe ich trotzdem wenig Lust. Meine Beliebtheit hält sich in Grenzen. Möchtest du vielleicht mit mir etwas trinken gehen?“
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blickte er mich an und nickte zögerlich.
Damit er nicht auf falsche Gedanken kam, rechtfertigte ich die Frage. „Du hattest offensichtlich einen schlechten Tag und kannst sicher auch einen Drink gebrauchen ...“
„Ja, gern, Liv“, unterbrach er mich. „Du brauchst mich nicht zu überreden. Eher bin ich davon ausgegangen, dass du mich sofort loswerden willst.“
„Gut, ich gehe duschen und ziehe mich um. Du kannst mir schon mal ein Bier in der Bar um die Ecke bestellen und dort auf mich warten.“
Er lächelte kaum sichtbar und stimmte zu.
Wir verbrachten den Abend gemeinsam und sahen uns in den kommenden Wochen jeden Tag. Rufio beherrschte es förmlich, verschwiegen zu sein und dabei dennoch ein Gespräch am Laufen zu halten. Trotzdem fühlte ich mich ihm auf unerklärliche Weise verbunden.
Kapitel 6: Beginn eines neuen Lebens
Zurück zu meinem Geheimnis, neuen Lebensabschnitt und Job. Ein Job, ausgerechnet bei einem Geheimdienst der USA. Im Zentrum stand eine militärische Spezialeinheit. Und ich mittendrin in diesem Konstrukt. Klingt verrückt? Tja, so fühlte es sich auch an. Doch es war einfach zu erklären: Studienschulden, ein gut bezahltes Angebot und die Zusicherung, dass ich mich nicht in Gefahr begeben müsse, und schon nahm ich an.
„Handtücher, Verpflegung und Kleidung bekommen Sie von uns gestellt. Erscheinen Sie ausgeruht“, sagte mir die neue Chefin am Telefon.
Der Stützpunkt lag weit außerhalb der Stadt. Dort in der Tiefgarage angekommen machten meine Organe Purzelbäume, der Mageninhalt drängte sich in die falsche Richtung. So nervös war ich schon lange nicht mehr. Im Auto checkte ich im Spiegel noch einmal ab, wie ich aussah. Leichenblass – ganz toll. Die Übelkeit schrie in meinem Gesicht förmlich nach Aufmerksamkeit. Mit leicht schlagenden Bewegungen zauberte ich ein bisschen Röte auf die Wangen. Man sollte mir nicht ansehen, wie ich mich fühlte.
Ein Klopfen an die Scheibe neben mir. „Na aufgeregt, Kleines? Heute beginnt schließlich deine Grundausbildung.“ Verdammt, man sah es mir an! Ben, mein bester Freund und die einzige Verbindung zu dieser Einheit. Er gehörte hier genauso wie ich zu dem Psychologenteam. Zuständig für die Opferbetreuung in den Einsätzen, aber auch für die Behandlungen der Soldat:innen. Sie machten Traumatisches durch und sollten mit Hilfe von Therapie handlungsfähig bleiben. Allein Ben hatte ich es zu verdanken, bei einem Geheimdienst untergekommen zu sein – vermutete ich jedenfalls. Wie sie auf mich aufmerksam geworden waren, wurde mir beim Vorstellungsgespräch nicht offenbart.
Eifrig nickte ich und klappte die Autotür zu. „Meinst du Sportklamotten sind okay?“
„Klar, du musst dich sowieso umziehen.“
Wir fuhren mit dem Fahrstuhl ein paar Stockwerke nach oben. Erwartet hatte ich ein hochmodernes Gebäude. Stattdessen ähnelten die Räumlichkeiten eher einer Fabrikhalle. Die Wände waren mit braunen Backsteinen ausgestattet, der Boden mit billigem Laminat belegt. Wir gingen an einigen einsehbaren Räumen vorbei. Kleine und große Büros, Leute die konzentriert auf einen Bildschirm starrten und jede Menge Kaffeemaschinen befanden sich hier. Am Ende des Ganges war ein verglaster Besprechungssaal sowie ein gemütlicher Pausenraum mit Sofas und Sitzsäcken.
„Wie war dein Wochenende?“, fragte Ben. Dieses lockere Gesprächsthema gefiel mir, denn es lenkte mich von dem ab, was mir bevorstand.
„Ziemlich gut, um ehrlich zu sein. Nach der Show habe ich einen scharfen Typen kennengelernt und seitdem verbringen wir jede freie Minute zusammen.“
„Ach, deswegen bist du einfach verschwunden. An dem Abend habe ich mir echt Sorgen gemacht.“
Ich rollte mit den Augen. Das Thema hatten wir bereits mehrmals. Wieso hackte er darauf so lange rum? „Unbegründet. Du hast eine SMS von mir bekommen.“
„Stimmt, es ist nur … Mir ist ein ziemlicher Idiot begegnet und ich hatte Angst, dass du in seinen Fokus geraten könntest. Aber er verschwand alleine, also war es wohl nur Zufall.“
Bevor ich nachfragen konnte, begrüßte mich eine Frau namens Ms. Black. Der Kopf hinter dieser Organisation. „Ms. Brennon, gut, dass Sie so früh da sind! Sie müssen unbedingt den Ausbilder der SWS kennenlernen. Kommen Sie.“
Sie führte mich in Richtung eines Trainingssaals. Suchend sah ich mich nach meinem Freund um. Er blieb winkend hinter uns zurück. Mist, Ben, du hast mir versprochen, am ersten Tag in der Nähe zu bleiben! Was sollte das? Sofort meldete sich mein Magen wieder. Die heftigste Achterbahn der Welt? Fahre ich, sagte mein Organ und schnallte sich den Gurt in der Gondel um. Los geht’s.
„SWS?“, hakte ich nach.
„Die Special Warfare Squad. Wobei das Wort speziell diese Truppe wohl am besten beschreibt.“ In ihrem Ton schwang Verachtung mit.
So ganz hatte ich ihre Funktion noch immer nicht verstanden. „Was macht sie anders als die Truppen der Army?“
„Unsere Soldat:innen werden nach einem bestimmten Schema ausgesucht. Nur die ... ich würde ja gern sagen ... Besten, schaffen es in diese Einheit. Aber das stimmt nicht ganz. Es sind eher die, die durchhalten. Es sind nicht viele Mitglieder, deswegen können wir eine individuelle Ausbildung gewährleisten, passend zu ihren Fähigkeiten. Uns steht eine Menge Geld dafür zur Verfügung, diese Leute abzurichten und sie mit den nötigen Mitteln auszustatten. Das sind nicht einfach nur irgendwelche dämlichen Kämpfer. Das sind hochfunktionale Köpfe, gemeinsam und allein einsatzbereit. Bis sie dann sterben und ersetzt werden.“ Mein Magen fuhr auf der Achterbahnfahrt gerade einen Looping. Wie konnte sie so über echte Menschen reden? Als wären es Maschinen, die kaputt gehen durften. Ms. Black schaute mich kurz an. „Keine Sorge, Ihnen passiert nichts. Sie sind ja nur zur psychischen Unterstützung da.“
Vielleicht brachte ich etwas durcheinander, aber wenn ich bei den Einsätzen mit fuhr und alle Gefahr liefen, zu sterben, standen meine Chancen auch nicht gerade gut. Freier Fall. Definitiv der freie Fall war der nächste Abschnitt auf der Achterbahnfahrt und Magen löste zu allem Überfluss den Sicherheitsgurt. Mistiges Mistorgan! Diese Frau musste aufhören zu reden, sonst würde ich mich mitten auf ihren maßgeschneiderten Hosenanzug übergeben müssen.
„Sergeant O’Brien, das ist unser Neuzugang Liv Brennon.“
Ihm fiel die Kinnlade herunter. Er sah mich an, als hätte er einen Geist gesehen. Kein Wunder, so blass wie ich wirkte.
„Sergeant, gucken Sie nicht so, so begrüßt man doch keine Lady“, ermahnte Ms. Black ihn.
Der riesige Mann schüttelte sich kurz und verdrängte den Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Willkommen. Ziehen Sie sich etwas Angemessenes an. Was soll diese enge Strumpfhose, Ms.?“, tadelte mich mein Gegenüber. Ein richtiger Sonnenschein, dieser Ausbilder.
Es war anscheinend eine rhetorische Frage, denn er führte die Chefin aus dem Raum heraus und ließ mich stehen.
„Wir müssen reden“, brummte er sie an. Mit dem Kopf an der Tür belauschte ich sie.
Das Einzige, das ich hörte, war: „Wieso jetzt? Was wollen Sie damit bezwecken?“
„Gar nichts. Keine Sorge. Es ist nur eine reine Vorsichtsmaßnahme, weil Butcher mir das Leben schwer macht. Sie haben ihn nicht unter Kontrolle. Also werde ich diesen Mann anleinen. Er wird die Ausbildung von ihrem Team übernehmen.“
Butcher? Wer sollte das sein? Und was hatte ich damit zu tun, diesen Metzger unter Kontrolle zu bekommen? Wahrscheinlich hatte ich mich verhört.
Da ich die beiden nicht mehr reden hören konnte, ging ich davon aus, dass sie woanders hingegangen waren.
Die Tür schwang auf und traf mich fast am Kopf.