Happy Ending - Anne-Marie Varga - E-Book

Happy Ending E-Book

Anne-Marie Varga

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Beschreibung

Emily Henry meets EMILY IN PARIS

Nach einer schmerzhaften Trennung lässt die 26-jährige Bestsellerautorin Rosie Watkins ihr Leben in New York hinter sich und flüchtet nach London. Dort findet sie schnell Anschluss: Tara, Saoirse und Deepti nehmen Rosie mit offenen Armen in ihren Kreis auf. Nur Taras Zwillingsbruder Gamble - groß, tätowiert, superheiß und definitiv tabu - hält Rosie für eine »eingebildete und überdrehte Amerikanerin«. Trotzdem fühlt sich Rosie mit jedem Tag mehr in London zu Hause. Doch auch hier kann sie ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Was genau ist in New York passiert? Und kann ausgerechnet der verschlossene Gamble derjenige sein, der ihr hilft, zurück ins Leben zu finden?

Eine warmherzige Liebesgeschichte, die Ihnen garantiert ein Lächeln auf die Lippen zaubert

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Seitenzahl: 528

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumKAPITEL 1KAPITEL 2KAPITEL 3KAPITEL 4KAPITEL 5KAPITEL 6KAPITEL 7KAPITEL 8KAPITEL 9KAPITEL 10KAPITEL 11KAPITEL 12KAPITEL 13KAPITEL 14KAPITEL 15KAPITEL 16KAPITEL 17KAPITEL 18KAPITEL 19KAPITEL 20KAPITEL 21KAPITEL 22KAPITEL 23KAPITEL 24KAPITEL 25KAPITEL 26KAPITEL 27KAPITEL 28KAPITEL 29KAPITEL 30KAPITEL 31KAPITEL 32KAPITEL 33KAPITEL 34EPILOG

Über dieses Buch

Emily Henry meets EMILY IN PARIS

Nach einer schmerzhaften Trennung lässt die 26-jährige Bestsellerautorin Rosie Watkins ihr Leben in New York hinter sich und flüchtet nach London. Dort findet sie schnell Anschluss: Tara, Saoirse und Deepti nehmen Rosie mit offenen Armen in ihren Kreis auf. Nur Taras Zwillingsbruder Gamble - groß, tätowiert, superheiß und definitiv tabu - hält Rosie für eine »eingebildete und überdrehte Amerikanerin«. Trotzdem fühlt sich Rosie mit jedem Tag mehr in London zu Hause. Doch auch hier kann sie ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Was genau ist in New York passiert? Und kann ausgerechnet der verschlossene Gamble derjenige sein, der ihr hilft, zurück ins Leben zu finden?

Eine warmherzige Liebesgeschichte, die Ihnen garantiert ein Lächeln auf die Lippen zaubert.

Über die Autorin

Anne-Marie Varga studierte englische Literatur und Französisch und arbeitete anschließend mehrere Jahre im Verlagswesen. Heute ist sie freiberufliche Texterin und Autorin. Wenn sie nicht schreibt, macht sie gerne Sport, schaut THE GREAT BRITISH BAKEOFF oder hört Taylor Swift. Anne-Marie Varga lebt in New York und London. HAPPY ENDING ist ihr erster Roman.

ANNE-MARIE VARGA

HAPPY ENDING

Roman

Übersetzung aus dem Englischen vonAntonia Zauner

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der englischen Originalausgabe:

»Happy Ending«

Für die Originalausgabe:Copyright © 2025 by Anne-Marie Varga

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln, Deutschland

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.

Textredaktion: Daniela Jarzynka, Mechernich

Umschlaggestaltung: © SO YEAH DESIGN, Gabi Braun

Einband-/Umschlagmotiv: © Lilanakani/shutterstock.com; Anton Yulikov/shutterstock.com | © Sybille Sterk/Arcangel Images

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-8401-6

luebbe.de

lesejury.de

KAPITEL 1

Damit eines mal klar ist: Ich laufe nicht weg.

Habe ich mir ein One-Way-Ticket nach London gebucht?

Ja.

Habe ich vor, die nächsten drei Monate in irgendeinem Apartment in Shoreditch zu wohnen, und zwar mit Leuten, denen ich nie zuvor begegnet bin, die mir aber während eines Zwanzig-Minuten-Gesprächs über Facetime einigermaßen normal vorkamen?

Ja.

Habe ich meine Social-Media-Accounts gelöscht, um meine Seele für die nächste Zeit davon zu befreien, und damit niemand außer meinen Eltern, meiner großen Schwester und ihrem Freund wissen, wo ich bin, was ich treibe, wie ich aussehe oder mit wem ich Zeit verbringe?

Auch ja.

Aber das bedeutet nicht, ich wiederhole, NICHT, dass ich weglaufe.

So etwas nennt man eine Auszeit.

Ich brauche eine Auszeit. Und das ist normal! Das ist total normal für ein sechsundzwanzigjähriges literarisches One-Hit-Wonder aus New York City. Manchmal braucht so jemand eben einen Tapetenwechsel. Manchmal braucht so jemand frische Inspiration und den nötigen Tritt in den Hintern, um das Manuskript fertig zu schreiben (*hust* anzufangen), auf das der Verlag bereits wartet. Manchmal langweilen so jemanden die ewig gleichen Bahnen, Cafés und Routinen. Und manchmal braucht so jemand einfach etwas Neues.

Das wird großartig. Da bin ich mir vollkommen sicher. Ich meine, London ist super. Ich liebe es. Ich liebe meine doppelte Staatsbürgerschaft (großen Dank an meinen britischen Vater), und ich liebe die putzigen Akzente und die putzigen Doppeldecker und die putzigen roten Telefonzellen. Okay, London ist praktisch New York, nur eleganter, sauberer und cooler. Es ist eine unglaublich inspirierende Stadt, und das bedeutet, dass sie mir SO viele Ideen für mein neues Buch liefern wird. Ich meine, allein die Geschichte. Die Teetassen. Die Tarts. Big Ben. God Save the Bloody Queen, nicht wahr? Oder King. RIP, Elizabeth. Und, ja, ich schätze, Tee ist auch okay. Auch wenn ich jeden Morgen drei Tassen Kaffee trinke. Und natürlich Fish and Chips, das Zeug ist ziemlich gut dort drüben. Ich lebe zwar seit meinem elften Lebensjahr vegetarisch, aber das ist ja egal.

Ein Ortswechsel ist sicher perfekt. Eine Pause ist genau das, was ich brauche. Das ist die beste Idee, die ich je hatte.

»Das ist die schlechteste Idee, die du je hattest«, sagt meine große Schwester Kennedy und setzt sich auf mein Bett.

Ich werfe ein paar zusammengefaltete Socken in den offenen Koffer, und sie sieht ihnen beim Aufprall zu. Mein Flug geht in etwa drei Stunden. Vermutlich sollte ich in diesem Moment schon am Flughafen sein. Aber es ist nun mal, wie es ist.

»Sei nicht so ’ne Bitch!« Ich starre sie finster an und werfe ihr ein Paar Socken gegen den Kopf.

Kennedy duckt sich, und es landet hinter ihr. Sie greift danach und befördert es sachte in den Koffer.

»Ich bin keine B-Wort«, erwidert sie und mäßigt ihre Stimme ein wenig, ehe sie sich aufrichtet und ihren High-Waist-Rock im Stil der Fifties zurechtrückt. »Sag so etwas nicht, du weißt, wie ich darüber denke«, tadelt sie mich und schüttelt den Kopf.

»Ich reclaime das Wort«, sage ich.

»Du trägst zu einem anhaltenden Problem bei«, widerspricht sie und sieht mich mit großen Augen an.

Ich verdrehe meine.

»Ist ja auch egal«, murmle ich.

Sie blickt nach unten, um sich zu versichern, dass die Schnalle des breiten Gürtels über ihrem Rock mittig sitzt, bevor sie nach einem Shirt greift, bei dem ich den (jämmerlichen) Versuch unternommen habe, es zu falten.

»Ich verstehe nur einfach nicht, warum du das machst …«

Sie rückt den Pyjama und ein paar Jeans, die ich einfach in den Koffer geworfen habe, zur Seite, um Platz für das säuberlich gefaltete Shirt zu schaffen.

»Was? Packen?«

Gut, da hat sie nicht unrecht. Ich hätte das wirklich schon früher diese Woche tun sollen. Idealerweise, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte …

»Nein, umziehen«, sagt sie und schnalzt dabei missbilligend mit der Zunge.

Oh, ja. Das.

Ich zucke mit den Schultern. »Ich brauche eine Pause.« Auf unbestimmte Zeit. »Bitte find dich endlich damit ab!«

»Warum buchst du dir nicht einfach ein Spa?«, fragt sie.

Ich verziehe mein Gesicht. Ich bin wirklich nicht so der Spa-Typ. Ich finde Sachen werfen deutlich entspannender, als stumm dazusitzen.

»Was?«, fragt Kennedy, als sie meine Miene sieht. »Spas sind toll!«, verteidigt sie sich, ehe sie sich wieder auf mein Bett setzt und die Arme vor der Brust verschränkt. »Das sind sie wirklich. Und es wäre so viel einfacher gewesen. Und praktisch. Das eine in Williamsburg, das wir an deinem Geburtstag vor ein paar Jahren besucht haben, war wirklich nett …«

Ich sehe sie aus schmalen Augen an. »Du meinst das, in dem ein Kind in den Whirlpool gekackt hat, während ich drinsaß?« Es war ekelhaft, und jetzt bin ich fürs Leben traumatisiert, wie man in meinem Yelp-Review nachlesen kann.

»Okay, ja, das war nicht ganz optimal.« Ihre Mundwinkel krümmen sich nach unten. »Aber das war ja nicht die Schuld des Spas«, fügt sie sachlich hinzu und macht große Augen.

»Doch, das war es«, schnaube ich. »Sie haben das Kind reingelassen. Das war der erste Fehler.« Ich schüttle den Kopf. Blöder Fehler. Blöd. Idiotisch. »Und ihre Handtücher rochen komisch«, setze ich mit einer wegwerfenden Handbewegung noch einen drauf.

»Das war Eukalyptus!«

»Das war widerlich!«

Kennedy seufzt laut und schwingt die baumelnden Beine über mein Bett. Ihr Rock wirbelt bei der Bewegung, und obwohl sie neunundzwanzig ist, wirkt sie mit einem Mal nicht mehr wie eine große Schwester. Mit ihrer geringen Körpergröße und der zierlichen Statur sieht es aus, als wäre sie im Bruchteil einer Sekunde zwanzig Jahre jünger geworden.

»Ich denke nur, dass du auch hier in den USA eine ›Pause‹ einlegen könntest.« Wieder reißt sie die Augen auf. »Und nicht aus dem Land fliehen …«

»Ich fliehe nicht, okay?!«, antworte ich. Obwohl ich genau das irgendwie tue. »Ich suche nach Inspiration fürs Schreiben«, argumentiere ich lahm. Und das stimmt. Immerhin mache ich mich auf den Weg nach London, damit ich mein Buch fertig schreiben (anfangen) kann. Und aus anderen Gründen, die besser unerwähnt bleiben.

Sie sieht sich skeptisch in meiner Einzimmerwohnung in Bushwick um. Von meinen Besitztümern ist fast nichts mehr übrig, weil sie sich mittlerweile alle in einem überteuerten Lagercontainer befinden. Zurück bleiben nur mein Bett (das vollkommener Schrott ist), ein Nachtschränkchen mit Lampe (auch Schrott) und ein leeres Bücherregal (von Amazon uuund Schrott), an denen sich bald mein Untermieter Pablo, ein dreiundzwanzigjähriger Student am Brooklyn College, erfreuen kann. Ich habe vor ein paar Wochen gute zehn Minuten mit ihm über FaceTime geredet. Er wirkte cool! Sammelt kleine Holzfigürchen und bemalt sie, was so ziemlich der niedlichste Scheiß ist, von dem ich je gehört habe.

»Das ist nicht mehr mein Problem«, sage ich. »Mein Mietvertrag läuft aus, während er hier ist.«

Sie seufzt. »Und die Kaution?«

Ich richte mich ein wenig auf und verziehe den Mund, denn uuups: »Daran habe ich gar nicht gedacht«, murmle ich, ehe ich abwinke. »Nun, er wird den Laden schon nicht auseinandernehmen.« Hoffentlich. Sonst können du und deine Figürchen mich mal, Pablo!

Sie sieht mich missbilligend an und richtet den Blick demonstrativ auf den noch immer ungesaugten Boden. Uuups Nummer zwei. Ganz vergessen, das zu machen, bevor ich das Gerät mit meinem anderen Zeug in den Lagercontainer gebracht habe. Sorry, Pabs, kommt nie wieder vor.

»Rosie, das ist ziemlich riskant. Ich meine, komm schon …«

»Kennedy«, widerspreche ich, »Pablo ist okay. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er hier wilde Partys schmeißt. Er bemalt Holzfigürchen, verdammt noch mal.«

»Lass die sarkastischen Antworten!«, sagt sie und hebt dabei eine Hand. Sie mochte meine Schlagfertigkeit nie.

»Das sind keine sarkastischen Antworten, das ist Menschenkenntnis.« Und ich habe noch nie gern Anweisungen von ihr entgegengenommen.

Sie seufzt dramatisch und bückt sich nach ihrer Tasche. »Ich kann auch gehen.«

»Oh, bitte!« Ich durschaue ihren Bluff. »Du liebst diesen Scheiß hier!«

Ich werfe ihr ein weiteres Shirt zu. Es segelt zu Boden, und sie bückt sich, um es aufzuheben und zu falten, wobei sie geflissentlich darauf achtet, dass auch alle Seiten gleich auf gleich liegen. Kennedy ist die Ordnung zu meinem Chaos.

Sie atmet tief durch. »Und das hasse ich auch.«

Sie lässt sich wieder auf mein Bett fallen, legt das Shirt behutsam auf den Rest der Kleidung und richtet alles parallel zu den Rändern des Koffers aus. Ehrlich gesagt ist das irgendwie beeindruckend. Ihr räumliches Sehen ist geradezu richtig praktisch.

»Glaubst du, ich brauche meine sexy Unterwäsche?«, denke ich laut nach. Es ist eine Weile her, seit ich ein wenig Action hatte … beinahe elf Monate. Da unten ist es wie in der Sahara. Death Valley, sozusagen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Lippen gänzlich verkümmert sind. Ich weiß nicht mal, ob überhaupt noch irgendwas in meine Va-

»Hast du vor, dich da drüben auszutoben?«, fragt sie und hebt die Augenbrauen.

Unverschämtheit. Kein Grund, so skeptisch dreinzublicken. Ich bin der heiße Scheiß, wenn ich das mal so sagen darf. Die britischen Jungs werden auf meinen amerikanischen Flair gar nicht klarkommen. Obwohl ich seit zwei Tagen nicht mehr geduscht habe und immer noch meine Kleidung von gestern trage. Und mich nicht erinnern kann, ob irgendwann Deo im Spiel war.

»Immer doch«, sage ich und mache eine Fingerpistole, obwohl das zum Teil gelogen ist. Die Medikamente haben meinem Sextrieb ziemlich zugesetzt. Oder anders gesagt: Ich habe keinen mehr. Aber hey! Man weiß nie, wann einen die Lust packt. »Was?!«, frage ich empört und werfe die sexy Spitzenhöschen auf den Rest meiner Habseligkeiten.

Kennedy seufzt laut, schüttelt den Kopf und hebt die Hände, ehe sie sie zurück in ihren Schoß sinken lässt.

»Es ist nur vorübergehend«, sage ich zu ihr. »Alles wird gut.« Ich senke den Kopf und hebe den Blick. »Du hast Jonah!«, rufe ich. Das ist ihr Freund.

Obwohl sie ihn sehr liebt, streckt sie mir die Zunge raus. Kennedy bemuttert gerne. Sie mag es, sich zu kümmern. Um Dinge. Oder Menschen. Also mich. Jonah ist ein wenig zu unabhängig dafür, daher bin es in der Regel ich, die umsorgt wird. Die beiden sind schon zusammen, seit sie ein unsicherer Erstsemester an der NYU war, der sich erst in der Stadt einfinden musste.

»OOOH«, rufe ich und schürze die Lippen. »Du solltest dir einen Hund zulegen!« Ich hebe aufgeregt die Brauen.

Sie verdreht die Augen. »Nein«, sagt sie leichthin, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden.

»Hmmm.« Ich schüttle den Kopf.

Wenn ich so viel verdienen würde wie Kennedy (schicker Anwaltsjob), dann hätte ich mittlerweile DREI Hunde. Was für eine Verschwendung.

»Ich mache mir nur Sorgen um dich.« Sie sucht meinen Blick, der Hund scheint bereits vergessen. »Es ist nur … Nach allem, was passiert ist …«

NEIN! Nein, nein, nein. Darüber reden wir jetzt ganz bestimmt nicht. Ich muss dieses Thema fürs Erste abwürgen. Und bestenfalls für den Rest meines Lebens.

»Stopp!«, sage ich und strecke die Hand aus. In meinem Tonfall ist nichts mehr von der vorherigen Lockerheit übrig.

Augenblicklich klappt Kennedy den Mund zu.

»Ist schon okay.« Ich schnaube kurz, bevor ich die Unterhaltung auf ein anderes Thema lenke. »Die nächsten Monate werden wie im Flug vergehen«, sage ich schnell, und ich sehe, wie ihre Miene wieder weicher wird. Ablenkungsmanöver erfolgreich. »Ich bin im Nullkommanichts wieder da und gehe dir auf die Nerven«, ende ich, und sie lächelt sanft. Mission erfüllt.

Ich höre sie erneut seufzen, und mir fällt auf, dass sie mit dem Fuß wippt. »Ruf Mom und Dad an, bevor du in den Flieger steigst«, antwortet sie lediglich.

Mom macht sich etwas Sorgen wegen der Reise. Dad auch. Aber sie sollen sich mal entspannen, es ist schließlich London. Dads alte Heimat. Okay, er ist in die Staaten gezogen, als er etwa acht war. Aber trotzdem. Das macht mich zu einer halben Engländerin. Es ist ja nicht so, als wäre ich unterwegs ins Nirgendwo. Ich spreche die Sprache. Ich kenne die Stadt. Ich habe einen britischen Pass. Die sollen mal nicht so ein Drama machen.

Ich runzle die Stirn, stemme die Hände in die Hüfte und sehe mich mit geschürzten Lippen in meinem kahlen Schlafzimmer um. Es ist irgendwie traurig, es so zu sehen, ohne die alten Vinylplatten an den Wänden oder die leeren Weinflaschen mit getrockneten Blumen. Die Bücherstapel sind weg. Das meiste davon habe ich an kleine Bibliotheken in Brooklyn gespendet, der Rest befindet sich in Kennedys Wohnung in Park Slope, die sie sich mit ihrem Komponisten-Freund teilt. Sie schwört, dass sie die Bücher dieses Mal definitiv lesen wird. Ich gebe ihr fünfzig Seiten irgendeines Sachbuchs, ehe sie alle an ihre zahllosen Freunde verschenkt oder in das Bücherregal unseres Elternhauses verbannt.

»Ich glaube, ich habe alles«, sage ich, falte die Hände und dehne dann die Arme – mein Trizeps schmerzt immer noch von einem Oberkörper-Workout am vergangenen Abend –, ehe ich meine Knöchel knacken lasse.

»Handy?«, fragt sie, und ich nicke, ziehe es aus meinem Hosenbund und wedle damit herum.

»Geld?«

Ich nicke.

»Pass?«

Wieder ein Nicken.

»Medikamente?«

Ich werfe ihr einen entsetzen Blick zu.

»Rosie!«, ruft sie und kriegt sich schier nicht mehr ein. »Siehst du! Du bist noch nicht bereit dafür, du bist nicht …«

Es ist viel zu einfach. Ich verdrehe die Augen. »Ja. Kennedy, entspann dich! Ich habe meine kleinen Glücklichmacher eingepackt.«

Sie funkelt mich böse an. »Lass solchen Unsinn!«, beschwert sie sich und fällt wieder ein wenig in sich zusammen. »Und hast du auch genug –«

»Ja«, unterbreche ich sie. »Ich habe genug für die nächsten drei Monate.«

Ich weiche ihrem Blick aus und setze mich auf den Koffer, damit ich den Reißverschluss richtig zumachen kann. Gott, ich hoffe, das sind weniger als fünfundzwanzig Kilo. Ich verteile mein ganzes Gewicht darauf und zerre energisch am Zipper, tue mein Bestes, um das verdammte Ding zuzukriegen, ohne dass es aus allen Nähten -

»Okay … Und du hast Eileens Nummer in deinem Geldbeutel, in deinem Handy, irgendwo aufgeschrieben und in deinem Gepäck?«, fragt sie, weil sie mit dem Bemuttern noch nicht fertig ist.

Eileen ist meine Therapeutin, mein Ein und Alles. Ich bin bereits seit fast zehn Jahren bei ihr. Während meines Aufenthalts in London werde ich meine Sitzungen mit ihr allerdings nicht fortsetzen können, weil sie »keine Lizenz für Sitzungen außerhalb des Bundesstaats New York« hat, was unsere Termine »illegal« machen würde. Meiner Meinung nach ist das nicht sehr nett. Ich habe Eileen vorgeschlagen, dass sie einfach mit mir umziehen kann. Sie sagte Nein. Auch ganz und gar nicht nett.

Also mache ich jetzt eine kleine Therapiepause. Sollte kein Problem sein. Glaube ich. Hoffe ich. Es ist seltsam. Ein wenig so, als würde ich das Gehen lernen – was sich ein wenig lächerlich anhört, wenn man bedenkt, dass ich eine sechsundzwanzigjährige Frau bin, die seit vier Jahren allein in New York City lebt …

Während unserer letzten Sitzung haben Eileen und ich darüber gesprochen, dass ich lernen muss, ohne sie zu leben, und dass die Zeit in London gut für mich sein wird. Dort kann ich anfangen, mich auf meine eigenen Einschätzungen zu verlassen und nicht nur auf ihren wöchentlichen Rat.

Danach fühlte ich mich nur circa 0,475938 Prozent besser, aber das ist okay, es ist okay, alles ist okay.

»Ja, ich habe sie mir auch aufs Handgelenk tätowieren lassen, nur für den Fall.« Ich stehe auf – der Koffer ist mittlerweile zu – und wedle mit der Hand vor ihr herum, obwohl meine einzige Tätowierung sich auf meinem Unterarm befindet. Die Umrisse einer Birke, die ich mir eines Abends spontan stechen gelassen habe, als ich mit meinen besten Freundinnen vom College, Heather und Lola, im Urlaub in Portland, Oregon war.

»Und zögere nicht, Eileen um Hilfe zu bitten«, fährt Kennedy fort. »Nach dem, was letzten Herbst passiert ist, musst du wirklich darauf achten, dass du -«

»Stopp!«, sage ich und strecke die Hand aus. Wir müssen nicht darüber reden, was passiert ist. Nie wieder.

Ich bücke mich und stelle meinen Koffer auf den Boden.

Weder Kennedy noch meine Eltern wissen, dass ich eine Therapiepause einlege. Das hätten sie gar nicht gut aufgenommen. Sie glauben alle, dass ich meine wöchentlichen Sitzungen via Zoom fortsetzen werde. Und ja, das ist eine Lüge. Aber es ist eine Lüge, um sie zu schützen. Ich will einfach nicht, dass sie sich Sorgen machen. Das müssen sie nicht. Ich werde zurechtkommen. Ich komme zurecht.

Wie man sieht.

Kennedy schnalzt mit der Zunge und scheint die Diskussion ruhen zu lassen. »Laptop?« Sie verlegt sich auf eine neue Kampfstrategie. Ich zeige auf meinen Rucksack, der in der Tür steht. »Während eines so langen Flugs könntest du vielleicht an …« Ihre sanfte Stimme wird immer leiser, als wappnete sie sich für meine Reaktion. Und sie hat allen Grund, denn Schreiben ist ein wunder Punkt für mich.

Was ihr hier vor euch seht, ist die Debüt-Indie-Autorin eines New-York-Times-Bestsellers!

Eine Debüt-Bestsellerautorin, der man einen Film-Deal angeboten hat!

Und Tantiemen!

Und eine hoch angesehene Lektorin!

Und einen Zwei-Buch-Vertrag!

Und die jetzt mit einer lähmenden Schreibblockade geschlagen ist.

Man könnte sagen, meine Karriere befindet sich ein wenig … in der Sackgasse. (Man könnte auch sagen: Sie ist in Flammen aufgegangen.) Ich meine, ich arbeite (mehr oder weniger) an meinem zweiten Buch. Es ist in drei Monaten fällig, und ich habe so circa null Wörter geschrieben. Aber ich beschäftige mich gedanklich damit! Manchmal. Meine Agentin Natasha versucht, »den Erfolg von Buch eins wieder aufleben zu lassen«, und das klingt in der Theorie ganz nett, aber es weckt auch alle möglichen Selbstzweifel in mir.

Mein Debüt Die Männer der Königin – eine mittelalterliche Dystopie – erschien vor vier Jahren, kurz vor meinem College-Abschluss. Damals war ich eine optimistische junge Autorin mit Unmengen von Ideen und Antidepressiva, die tatsächlich wirkten. Jetzt scheint man mich weitgehend vergessen zu haben. Die Männer der Königin steht nicht mehr auf der Bestsellerliste. Ich werde nicht mehr zu Events oder Podiumsdiskussionen eingeladen, und Buchhandlungen haben meinen Roman nur noch selten im Laden liegen. Die Hardcover-Ausgabe ist vergriffen. Und in Sachen Film tut sich seit gut drei Jahren nichts mehr.

Es ist nicht so, als würde ich mir keine Mühe geben. Ich versuche wirklich, mir eine Geschichte einfallen zu lassen, die unterhaltsam und sexy ist und das Zeug zum nächsten großen Hit hat. Ich habe einen weiteren Roman in der Welt von Die Männer der Königin vorgeschlagen, aber meine Lektorin Melanie meinte, es gäbe »keinen Markt« dafür. Was in Verlagssprache »diese Idee ist Mist und wird sich nicht verkaufen« bedeutet. Aber ich bin vertraglich verpflichtet, ein zweites Buch abzuliefern. Und dieses Buch, dessen Abgabetermin eigentlich bereits vor einem Jahr gewesen wäre, ist in drei Monaten fällig. Melanie wird stocksauer sein, wenn ich nichts vorzuweisen habe. Sie hat mir bereits eine Menge Aufschub gewährt, und in letzter Zeit klingen ihre E-Mails zunehmend passiv-aggressiv. Sie benutzt kaum mehr Ausrufezeichen.

Also bin ich jetzt ein sechsundzwanzigjähriges One-Hit-Wonder, das den Zenit seines Erfolgs mit zweiundzwanzig erreicht hatte, gerade den Job als Barista gekündigt hat, keinen Funken Selbstvertrauen besitzt und von einem sich rasant leerenden Bankkonto und den (schrumpfenden) Tantiemen lebt.

Und deshalb brauche ich die Auszeit.

Deshalb London.

Ich starre Kennedy wütend an, die abwehrend die Hände hebt, und schnappe mir den Griff meines Koffers, an dem ich einen kleinen Knopf betätige, um ihn zu verlängern.

»Hast du dir ein Uber gerufen?«, fragt sie mich und steht ebenfalls auf. Sie verzieht das Gesicht und legt eine Hand an ihren Bauch.

»Oh, stimmt ja«, murmle ich, ziehe das Handy aus dem Hosenbund und fordere einen Fahrer an. »Maximus ist in acht Minuten da«, sage ich knapp, greife nach meiner Yankees-Kappe und ziehe sie über meinen dunklen, unordentlich geflochtenen Zopf.

Ich sehe sie an. »Alles okay?« Sie steht leicht gebeugt, ihr Gesicht wirkt seltsam schmerzverzerrt. »Krämpfe?«

Sie schüttelt den Kopf, als könnte sie damit gleichzeitig den Schmerz aus ihrem Körper vertreiben. Dann richtet sie sich ein wenig mehr auf. Ich habe sie in den letzten Monaten oft genug so gesehen, um zu wissen, dass sie immer noch Probleme hat. Aber natürlich wird sie alles leugnen und mit zusammengebissenen Zähnen behaupten: »Alles okay.« Sie versucht, sich ganz aufzurichten, kehrt aber schließlich doch zum Bett zurück und setzt sich. Kennedy meint, dass ihr Uterus einfach nur die ganze Welt hasst und sie als seinen Punching-Bag benutzt, bis man Frauen umfassende reproduktive Rechte zusichert. Ich meine, dass sie sich wegen buchstäblich allem einen Kopf macht und sich das mittlerweile auf ihren Körper auswirkt.

»Wann gehst du endlich zum Frauenarzt?« Ich recke das Kinn in ihre Richtung.

In typischer Ältere-Schwester-Manier lenkt sie ab. Kennedy liebt es, andere zu umsorgen. Aber nicht, selbst umsorgt zu werden. »Wann geht dein Flug noch mal?«, fragt sie.

Ich verdrehe die Augen, respektiere die unsichtbare Grenze, die sie gerade gezogen hat, und schaue auf die Uhr, deren Zifferblatt sich auf der Innenseite meines Handgelenks befindet. »In … äh … zweieinhalb Stunden.«

Meine Mundwinkel sacken nach unten, als mir klar wird, was das bedeutet. Hmmm. Mist. Bis zum JFK Airport sind es mindestens dreißig Minuten. Wenn der Verkehr flüssig läuft. Hmmm … Okay, ja. Hm. Vielleicht habe ich die Sache nicht ganz so gut durchgeplant …

»Wie kannst du nur so leben?«, fragt Kennedy kopfschüttelnd, und ihre Schmerzen scheinen für den Moment verflogen zu sein.

»Ich bin eben ein Adrenalinjunkie«, erwidere ich mit einem Seufzen, schnalle mir den Rucksack auf den Rücken und greife nach meinem Koffer.

KAPITEL 2

Okay, okay, oooookay. Rosie Watkins ist im UK angekommen! Hallo, London! Hallo, British Boys! Hallo, putzige Akzente!

Die Reise war … okay, schätze ich. Also, wenn man es als »okay« bezeichnen will, dass ich beim Einchecken herausfand, dass ich tatsächlich Übergepäck hatte, und dann mitten im Flughafen alles umpacken musste. Es war »okay« in dem Sinne, dass ich Vollidiotin meinen Vibrator vergessen hatte, der sich in ein Sweatshirt eingewickelt ganz oben im Koffer befand. Selbstverständlich musste er dann bei der ganzen Packaktion auf den widerlichen Flughafenboden fallen. Vor Hunderten von Leuten. Und natürlich war es auch »okay«, dass ich von meinem Uber-Fahrer via Textnachricht angebrüllt wurde, weil ich den »Car Park 3« am Heathrow Airport nicht finden konnte. Und es war total »okay«, dass einer meiner AirPods in einen Gully gefallen ist.

Aber abgesehen davon ist alles supi!

Nach ein paar Problemen mit dem Uber (ich sagte dem Fahrer beim Einsteigen, dass er sich wieder einkriegen solle, und er murmelte etwas von wegen »arrogante Amerikanerinnen«) und leichten Kopfschmerzen (ich mache den miesen Kaffee im Flugzeug dafür verantwortlich) habe ich es endlich bis vor das Apartment in Shoreditch geschafft, wo ich die nächsten drei Monate verbringen werde.

Ich ziehe mein Handy raus und suche nach den Screenshots mit den Anweisungen, wie ich reinkomme, die mir von einer Frau namens Amanda geschickt wurden. Sie vermietet das Zimmer unter, während sie ein Auslandssemester in Deutschland verbringt. Wir haben uns auf irgendeiner Room-Share-App gefunden, die eigentlich Airbnb für arme Leute ist. Sie schrieb, dass ihre Mitbewohner – Kelsey, Maura und Scott – zu Hause seien und mich reinlassen würden und dass ich »einfach nur klopfen« müsse.

Nicht direkt der zuverlässigste Plan, aber ich habe ihn nicht hinterfragt. Weil ich eine Idiotin bin.

Ich klopfe und sehe mir das Haus an. Es erinnert mich ein wenig an die Brownstones in Brooklyn, nur ein bisschen dreckiger. Weiße abgeblätterte Farbe an der Tür. Leere Becher, die am Boden liegen, und eine überquellende Mülltonne vor dem Haus. Das riecht förmlich nach Studenten. Oder irgendwelchen verwahrlosten Zwanzigjährigen.

Ich klopfe noch einmal, dieses Mal lauter. Keine Reaktion.

Ich schürze die Lippen und ziehe unschlüssig an meinem Gepäck, stelle es ein wenig dichter an mich ran. Ich räuspere mich und klopfe noch einmal, diesmal deutlich lauter. Wenn Amanda mich angelogen hat und diese Leute nicht zu Hause sind, weiß ich nicht, was zum Teu-

»Jesses, was -« Eine junge Frau öffnet die Tür und sieht mich verschlafen an.

»Hey! Tut mir leid«, sage ich und lächle sie an. »Ich bin Rosie.«

Sie starrt mich aus müden Augen an. Für einige Momente herrscht Stille.

»Ich habe Amandas Zimmer gemietet?«, fahre ich fort. Ich hasse, dass es klingt wie eine Frage.

Die Frau kneift die Augen zusammen, als versuchte sie, sich einen Reim darauf zu machen, was ich gerade gesagt habe. »Was?«

»Amanda?«, sage ich und trete einen Schritt zurück, um die Adresse zu prüfen. »Sie hat euch gesagt, dass ich komme, oder?«

»Kann sein«, murmelt sie und öffnet die Tür ein wenig weiter. »Ich bin Kelsey«, sagt sie und ist schon wieder auf dem Weg die Treppe hoch.

»Oh«, sage ich und ziehe am Griff meines Koffers. Ich schätze, das bedeutet, dass ich keine Wohnungstour kriege. »Wo ist mein Zimmer?«, rufe ich ihr hinterher.

Sie verharrt auf der Treppe und dreht sich um. »Zweite Tür rechts«, sagt sie. »Direkt neben meinem. Sorry, ich hab einen krassen Kater.« Sie schüttelt den Kopf und presst eine Hand an die Stirn. Ich hebe die Augenbrauen als Zeichen, dass ich verstanden habe. »Können wir den ganzen Kennenlern-Kram auf später verschieben?« Sie legt den Kopf schief, wartet jedoch gar nicht erst auf eine Antwort, sondern setzt ihren Weg nach oben fort.

Cool, cool, cool. Ich bin sicher, wir werden beste Freundinnen.

Ich trete ein und sehe mich im Wohnzimmer um. Eine halb volle Schüssel mit Tortilla-Chips steht auf dem Boden, und leere Bierflaschen sind über Tische und Möbel verteilt. Ich hoffe, die Party hat wenigstens Spaß gemacht. Sieht aus, als wüssten diese Leute, wie man … Ach du Scheiße! Liegt da auf dem Sofa etwa ein nackter Mann? Wer zur Hölle ist das?

Ich schnaufe. Okay, Rosie. Vielleicht, nur vielleicht teilst du dir jetzt eine Wohnung mit einer Gruppe zweiundzwanzigjähriger Wilder.

Leise trete ich den Rückzug an, um den Nackten nicht aufzuwecken. Mit meinem Rucksack mache ich mich auf den Weg zur Treppe und lasse den Koffer zurück, um ihn später zu holen. Oben suche ich die zweite Tür rechts und öffne sie. Und runzle sofort die Stirn. Das Zimmer ist klein. Also wirklich winzig. Und da steht ein schmales Einzelbett. In so einem habe ich seit dem College nicht mehr geschlafen. Das Bett ist nicht bezogen, Laken und eine Decke sind obendrauf gestapelt. Neben dem Bett befindet sich ein Nachtschränkchen mit einer handschriftlichen Nachricht, auf der steht: Viel Spaß xx Amanda. Daneben zwei Hausschlüssel an einem Mickey-Maus-Schlüsselanhänger.

Ich gehe nach unten, um den Koffer zu holen, und begegne dem Blick des Nackten auf dem Sofa. Ich hebe eine Hand zum Gruß, aber er dreht sich einfach nur um. Entweder ist er zu betrunken oder zu müde, um unseren Austausch richtig zu verarbeiten. Vermutlich beides.

Als ich wieder oben bin, manövriere ich mich und mein Gepäck durch die Tür. Als alles drin ist, überkommt mich Platzangst.

Okay. Amanda hat definitiv geschickt mit Perspektiven gearbeitet, als sie die Fotos für die App geschossen hat. Auf dem Display sah das Zimmer deutlich größer aus.

Ich pruste, seufze und kehre in den Flur zurück, an dessen Ende ich das Bad entdecke. »Oh Gott«, sage ich zu mir selbst, als ich eintrete. Das Waschbecken ist dunkel von irgendwelchen Ablagerungen und Staub. Auf dem Boden liegen benutzte Handtücher. Die eigentlich salbeigrüne Badematte ist besorgniserregend grau. Haben diese Leute überhaupt Putzzeug? Vermutlich fange ich mir hier was ein.

Ich atme tief durch. Okay, ich muss mich entspannen. Und ein wenig in mich gehen. Ich bin in London. Das hier ist kein großes Ding. Alles wird gut. Es ist okay. Ich muss mich nicht mit diesen verwahrlosten Studenten, die nackt auf der Couch schlafen, anfreunden. Ich muss mich nicht stundenlang in diesem Schlafzimmer in der Größe eines Schuhkartons aufhalten. Ich muss nicht einmal dieses Bad benutzen, wenn es nicht dringend nötig ist. Ich schließe die Augen und atmete tief durch, wie Eileen es mir immer vorschlägt. Wut überwältigt mich oft. Sie wäre so stolz, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Mit geschlossenen Augen atme ich ein weiteres Mal tief ein, ziehe die Lippen nach innen und lasse dann wieder locker.

Und plötzlich wird mir bewusst, dass die kommende Woche die erste sein wird, in der ich Eileen nicht sehe. Ich werde sie Gott weiß wie lange nicht mehr sehen. Abgesehen von den paar Malen im Jahr, wenn sie Urlaub macht, sehe ich Eileen immer. Bei wem soll ich mich denn jetzt über die schmutzige Wohnung und das winzige Bett beklagen?

Ich schleiche in mein Zimmer zurück und setze mich auf die nackte Matratze. Mein Stolz ist ein wenig geknickt. Jetzt, da ich hier bin, sollte ich wohl … ihr wisst schon … meinen Scheiß geregelt kriegen. Scheint wichtig zu sein. Ich hole mein Handy raus – in dem eine britische SIM-Karte steckt, die ich mir am Flughafen besorgt habe – und erkunde auf Google Maps meine Umgebung. Schätze, ich sollte damit anfangen, dass ich mir einen Job suche und dafür sorge, dass ich irgendeine Art von Einkommen habe.

Ich wühle in meinem Koffer, suche nach einem netten Top und schlüpfe aus meinem müffeligen T-Shirt und der Leggings. Ich schnüffle. Uff, ich sollte besser duschen … aber, igitt, dieses Bad! Dafür fühle ich mich noch nicht bereit. Ich rümpfe die Nase, denke kurz nach und ziehe einfach die saubere Kleidung an. Dann schnappe ich mir meine Kosmetiktasche, frische kurz meine Mascara auf und pudere mir das Gesicht. Anschließend flechte ich meinen Zopf neu.

Annehmbar.

Okay, London, jetzt bin ich bereit für dich.

KAPITEL 3

Wie es aussieht, ist Shoreditch ein Hipster-Viertel. Ich dachte eigentlich, ich hätte die künstlerischen, Beanie tragenden hippen Leute in Brooklyn hinter mir gelassen. Da habe mich wohl geirrt. Graffiti-Murals zieren die Gebäude. An praktisch jeder Ecke gibt es ein Pub. Junge Leute tummeln sich auf den Straßen.

Es ist heiß, obwohl wir bereits September haben. Ich atme tief durch und bleibe auf dem Bürgersteig stehen, wobei ich etwas zur Seite rücke, damit andere Fußgänger sich nicht über mich ärgern müssen. Ein riesiger Doppeldecker rast vorbei und fährt mich beinahe über den Haufen. Ich mache einen Satz nach hinten und stoße mit einem älteren Mann zusammen, der leise vor sich hin schimpft.

»Tut mir leid«, rufe ich, aber er ist schon weg und hört es nicht.

Hmmm. Acht Jahre in New York City, und plötzlich taumle ich durch London wie ein Tourist vom Arsch der Welt.

Ich trete unter die Beton-Überdachung einer Bank und atme noch einmal durch, ehe ich einen Blick auf mein Handgelenk werfe. Es ist ein Uhr nachmittags.

Okay, Rosie. Geh und such dir einen Job! Mach etwas aus deinen Barista-Skills. Oder reanimiere die Barkeeperin in dir, die dich durchs College gebracht hat. Vielleicht könntest du ja auch einen Buchladen suchen und die Inhaber mit deiner Kundenfreundlichkeit und deinem Branchenwissen beeindrucken.

Auf der anderen Seite der Straße entdecke ich ein Pub. The Treasure Ship. Es sieht enorm britisch aus, klein und gemütlich. Sicher brauchen sie eine niedliche Amerikanerin als Barkeeperin.

Ich überquere die Straße, stoße die schwere Tür auf, und dann müssen meine Augen sich erst einmal an das Dämmerlicht gewöhnen. Das Pub wirkt dunkel und irgendwie auch ein wenig traurig. Aber gleichzeitig fühlt es sich heimelig an. Niemand grüßt mich, obwohl ich einen hochgewachsenen Mann hinter der Theke entdecke. Zwei Gäste sitzen ebenfalls dort, während der Rest des Raums – Tische und Sitznischen – leer ist.

Der Barkeeper ist groß. Also wirklich groß. Quasi zu groß. Gute zwei Meter. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, und ein Arm ist über und über tätowiert. Dafür, dass er so groß ist, ist er nicht sehr schlaksig. Er sieht stabil aus, aber doch irgendwie weich. Sein dunkles Haar lockt sich – dicht und üppig –, und sein Kinn ist stoppelig. Hätte ich so etwas wie eine Libido, würde ich ihn besteigen wollen wie einen Baum.

Er blickt auf und stockt kurz, als ich mich auf einem gepolsterten Hocker am Ende der Theke niederlasse. Es dauert ein wenig, bis er sich auf den Weg zu mir macht, vor mir stehen bleibt und die Arme ausstreckt, um den Rand des Tresens zu umfassen.

Ich lächle höflich – ich bin ein Engel –, und er erwidert es nicht – ganz schön unhöflich –, hebt jedoch die Augenbrauen.

»Hi«, sage ich munter. »Eigentlich gehört es zum guten Ton, seine Gäste zu begrüßen.« Ich lache ihn an.

Sein Blick wandert über mein Gesicht, ehe er den Kopf schief legt. »Amerikanerin?«

Ich hebe bestätigend eine Schulter.

»Na toll«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen, und ich runzle die Stirn.

»Ähm … okay.« Sanft schüttle ich den Kopf, als versuchte ich, die peinliche Situation abzuschütteln. Irre ich mich, oder ist er echt unfreundlich? »Wie dem auch sei … Hiiii!«, sage ich noch einmal und ziehe die Begrüßung in die Länge.

»Hi«, sagt er. Seine Stimme klingt schroff. Okay, ja, er ist unfreundlich. Vielleicht hat man es in Shoreditch nicht so mit der Höflichkeit.

»Ich habe mich gefragt, ob ihr vielleicht eine offene Stelle habt«, sage ich und breite die Arme auf dem Tresen aus, während ich beginne, mich anzupreisen. »Ich bin gut, wenn es um Kundenservice geht, und habe am College jahrelang als Barkeeperin gearbeitet. Und als Bedienung …« Ich schaue ihn kurz an, und mein Lächeln erstarrt. Gehe ich ihm auf die Nerven?

Ich richte mich ein wenig auf und erwidere seinen Gesichtsausdruck mit einem verwirrten Blick. Er hebt eine Augenbraue und sieht mich an, wie ich die Leute ansehe, die bei der Landung eines Flugzeugs applaudieren.

»Also … ähm … habt ihr was frei?«, füge ich mit einem Lächeln hinzu. Das wird ihn für mich einnehmen. Ganz bestimmt.

Er schnaubt, und seine Augen weiten sich für einen Moment. Dabei nehmen sie diesen sarkastischen Ausdruck an, den die Leute haben, wenn man ihnen definitiv auf die Nerven geht und sie gleichzeitig auch das Gefühl haben, etwas Besseres zu sein. Ich glaube nicht, dass er mich mag. Und, um ehrlich zu sein, dieses Gefühl beruht zunehmend auf Gegenseitigkeit.

»Darfst du hier überhaupt arbeiten?«, fragt er in einem Tonfall, der in mir den Eindruck erweckt, dass er mich für den dümmsten Menschen auf Erden hält. Und das ist nicht okay. Nur Kennedy darf so mit mir reden.

Ich kneife die Augen zusammen. »Ja. Ich würde mir keinen Job suchen, wenn ich keine Arbeitserlaubnis hätte …« Ich sage es langsam – und ein wenig sarkastisch –, weil es mich kränkt, dass er mich für dumm hält.

»Ach ja?« Er senkt den Kopf.

»Mein Dad ist Brite«, teile ich ihm mit. Nicht, dass meine Familie diesen Mistkerl etwas angeht.

»Ach ja?«, wiederholt er und poliert ein Glas. Es scheint, als wäre er mit den Gedanken ganz woanders.

»Ja«, antworte ich spitz und hebe verärgert die Augenbrauen. »Und das bedeutet, dass ich die doppelte Staatsbürgerschaft habe – und arbeiten darf …«, sage ich, rede dann jedoch nicht weiter. Er hört mir eh nicht zu.

»Wir haben gerade nichts frei«, sagt er schließlich, und sein Mund bildet eine gerade Linie.

Ich verdrehe die Augen.

»Das hättest du auch früher sagen können.« Ich rümpfe die Nase.

Er schnaubt. Mache ich mir gerade einen Feind? Am ersten Tag? Das ist beeindruckend – selbst für mich.

Er zuckt gleichgültig mit den Schultern.

»Oooh.« Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und schürze die Lippen. »Du hältst dich wohl für sehr witzig«, sage ich, weil jetzt meine Ehrlichkeit durchkommt. Ein Teil von mir ist fast schon beeindruckt von seiner Dreistigkeit. Ein anderer Teil ist ziemlich sauer.

Er schnaubt erneut. »Ich halte mich nicht für sehr witzig«, imitiert er mich mit einem fürchterlichen amerikanischen Akzent.

»Dein amerikanischer Akzent ist unterirdisch«, teile ich ihm kopfschüttelnd mit.

Er seufzt und sieht mich finster an.

Als er sich aufrichtet, wird mir erst bewusst, wie groß er ist. Meine Güte, er ist riesig. Er ist gigantisch. Sicher hat er mal Basketball gespielt. Moment mal … Diskriminiere ich gerade große Menschen? Spielen die Leute hier überhaupt Basketball? Ich glaube nicht einmal, dass ich -

»Ich gebe nicht viel auf die Meinung irgendwelcher Touristen …«

Unfassbar.

»Moment mal!«, erwidere ich empört und hebe die Hand. »Ich bin keine Touristin«, sage ich, obwohl das nicht ganz stimmt. »Ich bleibe ein paar Monate hier.«

Er hebt eine Augenbraue. »Wo?«

»In London«, gebe ich leichthin zurück.

Ich erwarte, dass er noch etwas fragt, die Unterhaltung am Laufen hält, aber er schweigt. Ich weiß nicht, warum, aber ich will nicht, dass er aufhört zu reden. Ich will eine zwischenmenschliche Verbindung. Zu irgendjemandem. Irgendwie.

»Ich schreibe ein Buch«, beantworte ich munter die Frage, die er nicht gestellt hat.

Er blickt zu mir herüber, eindeutig genervt. Was eine ziemliche Unverschämtheit ist, schließlich bin ich ein verdammter Sonnenschein.

»Wo kommst du her?«, fragt er in einem Tonfall, als wäre es ihm egal, ob ich überhaupt antworte.

»New York«, sage ich. »Einfach die beste Stadt -«

»Warum bist du dann nicht mehr dort?«, hakt er umgehend nach.

Ich klappe den Mund zu, und meine Schultern sacken nach unten.

»Mir war nicht klar, dass ich hier Rede und Antwort stehen muss«, sage ich, und mein Ton ist ein wenig scharf. Ich glaube, der Schlafmangel macht sich langsam bemerkbar. »Vor allem, da ihr nicht mal eine Stelle frei habt.«

Er schnaubt erneut. Himmel, wie kann man so viel schnauben?! Dann schüttelt er den Kopf.

»Willst du jetzt was trinken, oder nicht?« Seine Stimme ist neutral, obwohl er so direkt ist.

Ich schließe den Mund und atme durch. Ich bin ein wenig angespannt und habe das Gefühl, dass er mich verurteilt, einfach nur, weil ich existiere. Und nach allem, was letzten Herbst passiert ist … bin ich fest entschlossen, nie wieder zuzulassen, dass irgendwer mir dieses Gefühl vermittelt.

Verdammt noch mal! Jetzt denke ich an DIETRENNUNG. Und ich bin MÜDE. Und HUNGRIG. Und verwandle mich langsam, aber sicher in ein Monster. Das ist nicht gut. Für niemanden hier. Das Risiko ist groß, dass ich gleich zum Hulk werde. Ich zähle bis fünf, ehe ich einen Blick auf die Auswahl werfe. »Cider«, zische ich förmlich und krame nach meinem Geldbeutel.

Er geht, um mir mein Getränk zu holen, und richtet seine Aufmerksamkeit auf das andere Ende der Theke, wo gerade ein älteres Paar Platz genommen hat. Er schenkt einer der Frauen ein Lächeln. Was zum Teufel?!? Warum kriege ich nur ein finsteres Starren? Und einen dreisten Spruch? Und Schnauben und humorlose Reaktionen?!

Kurz darauf stellt er meinen Drink vor mir ab, greift nach einem mobilen Kreditkartenleser, gibt etwas ein und dreht ihn in meine Richtung. Er sieht mich nicht an, als ich meine Karte auslesen lasse. Seine Aufmerksamkeit gilt dem anderen Ende der Bar. Ich danke ihm nicht. Er beachtet mich nicht.

Ich könnte genauso gut unsichtbar sein. Ich könnte vollkommen bedeutungslos sein. Mein Magen zieht sich zusammen, als mir klar wird, dass er nicht nur meine Knöpfchen drückt, sondern den Finger drauf hat und nicht lockerlässt. Ich atme tief durch und denke an Eileen. Sie würde mir sagen, dass ich das Gefühl loslassen soll. Erst anerkennen und dann loslassen.

Ich richte mich auf und nehme einen Schluck von meinem Cider.

Verdammt. Der ist gut.

Um mich von den Emotionen abzulenken, die der Barkeeper unbewusst in mir ausgelöst hat, sehe ich mich um. Das Pub ist spärlich eingerichtet, in einem beruhigenden Salbeigrün gestrichen, mit hölzernen Geländern überall. An den Wänden hängen Poster von diversen Biersorten. Sogar Guinness ist dabei. Es gibt einen relativ großen Fernseher an der Wand, auf dem ein Soccer-Match läuft. Moment mal, nein, ein Football-Match.

Wow, ich bin praktisch eine Einheimische.

Ich seufze und muss ein wenig über mich selbst lachen, ehe ich einen weiteren Schluck von meinem ärgerlich guten Cider nehme. Meine Frustration lässt langsam nach.

Ich sehe, wie die Tür aufgeht und eine kleine Frau hereinkommt, deren Arme voller Tattoos sind. Sie trägt das Haar in einem glatten Bob und hat ein Septumpiercing. Sie wirkt edgy und cool. Als könnte sie mich jederzeit verprügeln.

Sie geht an mir vorbei, umrundet die Theke und ruft: »Alles klar?«, ehe sie sich mühelos dahinterschiebt.

Staatsfeind Nr. 1 antwortet ihr mit einem subtilen Nicken.

Ich starre ihn finster an, obwohl er es nicht sehen kann, weil er gerade ein Glas poliert.

»Viel los?«, fragt die Frau, während sie ihr Zeug unter die Theke stopft. Sie stützt einen Arm auf die Fläche mit den Spirituosen, die sich auf halber Strecke zwischen mir und dem Sackgesicht befindet.

Der dämliche Barkeeper zuckt mit den Schultern und zieht die Mundwinkel nach unten. »Passt schon«, sagt er. »Nicht zu wild«, höre ich ihn murmeln.

Aus irgendeinem Grund macht mir ihre Unterhaltung bewusst, dass ich allein bin. Ich sitze um ein Uhr nachmittags in einem Pub. Und trinke. Allein.

Ich springe auf, und beide – Sir Vollpfosten und Lady Barkeeper – sehen mich an. »Toilette?«, frage ich. »Oder Klo, Klosett, wie immer ihr es hier nennt …« Ich muss hier raus und meine Fassung zurückgewinnen. Und pinkeln. Ich muss wirklich pinkeln.

Der ungehobelte Barkeeper schaut mich an, als hätte ich vier Köpfe und würde auf jedem davon eine Kappe mit der Aufschrift Make America Great Again tragen.

Lady Barkeeper lächelt und antwortet freundlich: »Um die Ecke.«

Ich lasse meinen Cider stehen und greife nach meinem Rucksack, um mich auf den Weg zur Toilette zu machen. Klo. Klosett. Wie auch immer.

Mich trennen nur noch wenige Schritte von der Tür, als ich höre, wie Lady Barkeeper den Rüpel etwas fragt. Ich verstehe nicht alles – sie hat einen starken Akzent, ist sie vielleicht Schottin? –, aber es geht darum, was die Gäste trinken. Und ich erstarre, als ich seine Antwort (teilweise) höre.

»… nervige kleine Amerikanerin?«, fragt er sie, und sie schnaubt. Er murmelt etwas, dann höre ich: »… ganz schön eingebildet, zu überdreht …«

Mir klappt die Kinnlade runter.

Lady Barkeeper lacht. Sie lacht. »Verdammt, wer hat dir denn ans Bein gepisst …«, beginnt sie ihre Antwort.

Meine Blase ist vergessen.

Was zur Hölle?! Ich habe doch nichts getan. Ich war durchgehend höflich. Ich wollte einfach nur einen Job. Ich habe lediglich nach einer freien Stelle gefragt. Soweit ich informiert bin, ist das EINEVÖLLIGNORMALEFRAGE. Er ist derjenige, der mir das Gefühl gegeben hat, dass ich nerve und albern und unsichtbar und unwichtig bin.

Ich gehe zurück, setze mich wieder hin und starre den Hinterkopf des Sackgesichts an. Die Frau steht am anderen Ende des Tresens und begrüßt weitere Gäste. Ich nehme noch einen Schluck von meinem Cider – weiterhin starrend –, setze das Glas anschließend lautstark ab. Etwas von der Flüssigkeit schwappt heraus, ein paar Tropfen davon landen auf meiner Hand.

Er regt sich nicht. Unverschämtheit. Er soll doch zusammenzucken, in meine Richtung blicken und sehen, dass ich da bin und gehört habe, wie er mich beleidigt hat. Und dann würde ich einen coolen Abgang hinlegen wie Lizzie Bennet nach dem Tanz auf dem Ball in der Stolz-und-Vorurteil-Verfilmung von 2005.

Ich schnaube.

Er richtet sich auf, greift nach einem Stapel Papiere und steckt sie hinter die Kasse, bevor er sich umdreht. Ich werfe ihm immer noch finstere Blicke zu, aber seine Aufmerksamkeit gilt den Gläsern vor ihm. Er rückt sie zurecht, bis sie in einer exakten Reihe stehen.

»Ich bin nicht eingebildet«, sage ich plötzlich laut.

Jetzt sieht er mich an, zieht die Augenbrauen ein wenig zusammen.

»Und normalerweise mögen nette Leute überdrehte Menschen.« Mit erhobenem Zeigefinger rede ich weiter. Dann schiebe ich mir den Riemen meines Rucksacks über die Schulter und stehe auf. »Es ist vollkommen unnötig, sich seinen Gästen gegenüber wie ein Arschloch zu verhalten.«

»Ich wollte nicht -«, beginnt er, und dann sehe ich, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schleicht.

»Du kannst mich mal!«, schnauze ich ihn an. Das Lächeln ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. »Und scheiß auf diesen Laden, vergiss das mit dem Job!«

»Wir haben keine freie Stelle«, sagt er mit großen Augen und gesenktem Kopf. Als würde er mit einem kleinen Kind sprechen.

Vielleicht liegt es an den fünfundvierzig Minuten Schlaf, die ich in den letzten zwei Tagen bekommen habe.

Vielleicht am kleinen Bett in meinem Zimmer.

Oder vielleicht daran, dass ich ein verdammter Hitzkopf bin, der anscheinend nie etwas einfach nur ziehen lassen kann.

Jedenfalls greife ich nach meinem Glas und schleudere ihm den Rest des Inhalts entgegen. Dann stelle ich es energisch ab, zeige ihm den Mittelfinger und marschiere zum Ausgang.

Ich schaue nicht zurück, daher kann ich nicht sagen, wie er reagiert hat. Aber ich spüre die Blicke von den anderen Gästen und Lady Barkeeper im Rücken. Ich ziehe energisch die Tür auf und trete hinaus. Kurz bleibe ich auf dem Bürgersteig stehen. Argh. Ich bin so müde. Und so sauer. Und Gott verdammt noch mal, ICHMUSSAUFTOILETTE.

Nun. Tag eins in London, und ich würde sagen, die Dinge entwickeln sich fürchterlich!

London war eine großartige Idee.

KAPITEL 4

Okay, das Ding ist: Ich kann es schlicht nicht ertragen, von Kennedy zu hören, sie habe es mir ja gleich gesagt. Ich kann es nicht, ich werde es nicht, ich weigere mich schlicht und ergreifend.

Ich bin fest entschlossen, London für mich zu gewinnen.

Ich werde es schaffen. Ich suche mir einen Job. Ich schreibe mein Buch. Ich lerne neue Leute kennen, habe eine gute Zeit und mache großartige Lebenserfahrungen, die mir helfen werden, all den Kummer und Herzschmerz zu vergessen, wieder zu mir selbst zu finden und den ganzen Mist, der in New York passiert ist, hinter mir zu lassen.

Ich bin aus dem Pub rausmarschiert. Ein Teil von mir will sofort wieder reingehen und sich entschuldigen. Ich meine, jemandem einfach so einen Drink überzukippen, das ist ziemlich … cool. Aber auch … äh … irgendwie unangebracht. Verdammt noch mal, Rosie! Warum bist du so? Warum hast du dein Temperament nicht unter Kontrolle?

Ich diskutiere noch ein wenig mit mir selbst, ehe ich laut aufstöhne. Ich bin zu stolz, um zurückzugehen.

Stattdessen laufe ich durch die belebten Straßen von Shoreditch, versuche, die Umgebung zu erkunden und mein schlechtes Gewissen zur Seite zu schieben.

Ein riesiger Doppeldecker biegt in die Straße ein, an der ich gerade stehe, und bringt mich fast um. Schon wieder. Ich trete einen Schritt zurück und atme tief aus.

Okay, London. Das ist einfach nur fies.

Ich sehe mich um, für den Fall, dass jemand meine Nahtoderfahrung beobachtet hat, aber niemanden scheint es zu kümmern. Auch das: fies.

Als ich weitergehe, einen Hügel hinauf, entdecke ich ein kleines Café an einer Straßenecke. Es ist ziemlich leer, bis auf einen Mann, der mit einer aufgeschlagenen Zeitung an einem Tisch in einer Ecke ganz hinten sitzt. Ich bestelle einen Americano, ehe ich mich in einem blauen Stuhl nahe dem Fenster niederlasse. Ich lehne mich zurück, pruste leise und trete mit den Füßen leicht gegen meinen Rucksack, damit er direkt vor mir stehen bleibt.

Okay, Rosie. Nur keine Panik. Alles ist gut. Es ist wirklich keine große Sache. Die Dinge laufen also nicht sotoll. Du lebst in einem Schweinestall. Du hast dir sehr wahrscheinlich einen Feind in der Bar um die Ecke gemacht. Das ist kein großes Ding. Es ist immer noch Tag eins. Dir bleibt noch genug Zeit, das Ruder herumzureißen.

Ich blicke hinunter auf meinen Rucksack. Darin steckt mein Laptop und macht sich praktisch über mich lustig. Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht und klopfe nachdenklich mit dem Fuß auf den Boden, während ich weiterhin den Rucksack anstarre.

Der Mann, bei dem ich eben bestellt habe, kommt rüber und stellt den Americano auf dem kleinen Tisch vor mir ab. Er schenkt mir ein schiefes Lächeln, und seine unverkennbare Wärme zaubert auch ein Lächeln auf mein Gesicht.

Er geht wieder, und ich beuge mich hinunter, ziehe den Reißverschluss meines Rucksacks auf und hole das Laptop raus.

Okay, Rosie. Du befindest dich in London. Im Moment sieht es in deinem Kopf ziemlich scheiße aus. Und das darfst du nicht zulassen. Nicht nach allem, was zu Hause passiert ist. Vielleicht ist es also Zeit, um … ich weiß auch nicht … zu versuchen, die Liebe zum Schreiben wiederzufinden, oder so???

Drei Monate. Du hast drei Monate in London. Drei Monate für ein gottverdammtes Manuskript. Drei Monate, um etwas für Melanie zu schreiben, das sie ausreichend begeistert, um es veröffentlichen zu wollen. Drei Monate, um sicherzustellen, dass du nicht als totale Versagerin – als Mensch und als Autorin – endest. Drei Monate, drei Monate, drei Monate …

Meine Finger verkrampfen sich über der Tastatur, und meine Lippen ziehen sich nach innen. Ich presse die Augen fest zu. Dann öffne ich sie wieder und lehne mich in dem gepolsterten Stuhl zurück.

Ich sitze direkt vor einem Fenster, kann all die Menschen draußen auf der Straße sehen. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und ich bin eine beschissene Touristin, die seit Stunden nicht geschlafen hat, Leuten ihre Drinks überkippt und offenbar nicht in der Lage ist, auch nur eine verdammte Zeile zu schreiben.

Ich sitze da und starre aus dem Fenster. Ich nehme einen Schluck und seufze. Gott, ist das gut. Das ist Ambrosia, das ist Medizin. Ich fühle mich wie neugeboren.

Ich sitze. Ich starre. Ich trinke.

Ich klopfe mit dem Fuß.

Ich sitze. Ich starre. Ich trinke.

Ich schaue auf mein Handy.

Ich sitze. Ich starre. Ich trinke.

»Alles klar?« Der ältere Mann ist wieder da.

Ich blicke auf und stelle fest, dass meine Tasse leer ist. Oh, toll. Ich bin seit etwa einer Stunde hier und habe absolut nichts geschrieben. Wie inspirierend.

Ich seufze. »Wissen Sie«, ich sehe ihn an, weil ich das Bedürfnis habe, meine Gedanken in Worte zu fassen, und weil ich mich nach irgendeiner zwischenmenschlichen Verbindung sehne, »ich schätze, ich bin okay …«, sage ich und kneife ein wenig die Augen zusammen. »Ich bin gerade erst hier angekommen, und ich bin erschöpft, und ich … ich … ich kann einfach nicht mehr schreiben. Es ist, als hätte ich die Kontrolle über die eine Sache in meinem Leben verloren, in der ich mal gut war und die mir Ruhe und Frieden verschafft hat, aber …« Ich schnaube. »Ja, tut mir leid, sorry, mir geht es gut.« Ich schließe die Augen und schüttle den Kopf. Wo ist Eileen, wenn man sie braucht?!

Der Mann sieht mich an. »Mehr Kaffee?«, fragt er, weil er anscheinend nicht weiß, wie er sonst auf meinen kleinen Vortrag reagieren soll. Und das ist nachvollziehbar. Das war wirklich eine Menge.

»Ja.« Ich überlege kurz. »Noch einen Americano, bitte«, sage ich.

Er nickt eifrig und entfernt sich dann eilig von mir und meinem Gefühlsausbruch.

Ich sehe mein Laptop an. Rosie, du kannst das! Du hast es schon einmal getan! Schreib einfach etwas. Egal was. Buchstäblich irgendwas.

Ich wackle mit den Fingern über der Tastatur.

Wie habe ich für das erste Buch meine Kreativität aktiviert? Wie konnte ich überhaupt ein Buch schreiben? Ich war zwanzig, als ich mit dem ersten Entwurf begann. Und ich beendete ihn innerhalb von sechs Monaten. Nach weiteren drei hatte ich eine Agentin. Die Männer der Königin war mein Baby, ich war besessen davon. Ich habe an nichts anderes gedacht, wollte über nichts anderes sprechen. Sobald ich aufwachte, begann ich zu tippen, und vor dem Schlafengehen überarbeitete ich meinen Text noch mal. Ich habe Menschen und ihre Probleme und eine ganze apokalyptische Welt geschaffen, die nicht nur zu meiner Zuflucht wurde, sondern offenbar auch zu der einer ganzen Menge Lesenden. Wie habe ich das gemacht? Wie zur Hölle habe ich das gemacht?

Okay, es hilft nichts, an der Vergangenheit zu hängen. Wer gibt schon einen Fliegenschiss dar- Oooh, Moment mal … Ja genau, fang einfach mit einer Fliege an oder einer Maus oder so was. Einer Maus namens Earl. Schreib eine Geschichte über Earl. Eine Schreibübung zum Aufwärmen. Vielleicht komme ich darüber ja auf eine Idee, wer weiß?

Und so schreibe ich eine Kurzgeschichte: Earl, die Maus, wacht auf. Earl, die Maus, verlässt das Mauseloch und findet ein Stückchen Käse in einer Mausefalle. Earl, die Maus, stirbt. Ich sacke zusammen. Diese Geschichte ist nicht nur abgrundtief deprimierend, sie hat mich auch zu rein gar nichts inspiriert.

»Bitte schön«, sagt der ältere Mann und stellt meinen Kaffee ab.

»Danke«, sage ich, seufze und blicke auf.

»Sie sind also Schriftstellerin?«, fragt er. Sein Englisch ist klar, aber ich kann seinen Akzent nicht ganz einordnen.

Ich zucke mit den Schultern und lächle ihn an. »Ja.« Ich greife nach der Tasse und nehme einen Schluck. »Der ist gut«, sage ich, bevor ich sie wieder auf dem Tischchen abstelle. »Ich weiß nur nicht wirklich, worüber ich schreiben soll.« Ich runzle die Stirn. »Was für eine tolle Autorin ich doch bin«, murmle ich, mehr an mich selbst gewandt.

»Hmmm«, antwortet er. »Ich helfe Ihnen.« Er legt die Hand auf den Stuhl des Nachbartischs.

Ich lächle, gerührt von seinem Mitgefühl.

»Wie fangen Sie an?«, fragt er mit leicht zusammengekniffenen Augen.

»Wenn ich das nur wüsste«, murmle ich in mich hinein und schnaube. Ich lehne mich zurück und verlagere mein Gewicht, damit ich ihn besser ansehen kann. »Ich schätze, mit einem Namen für eine Figur.«

Fange ich so wirklich ein Buch an? Habe ich das bei Die Männer der Königin getan? Wie war mein Schaffensprozess damals? Dieses Buch – und die Person, die es geschrieben hat – fühlt sich an, als läge es eine Ewigkeit zurück.

»Sedona«, sagt er.

Ich blinzle. »Sedona?«, wiederhole ich. »Wie Arizona?«

»Sedona«, wiederholt er knapp und unbekümmert. »Da würde ich gerne mal hinreisen.«

»Okay«, sage ich und lache leicht, »dann also Sedona.«

Ich tippe es in das Dokument und lösche dabei den dreihundert Wörter langen Tag (und Tod) von Earl, der Maus. Ruhe in Frieden.

»Und sie ist Amerikanerin«, fährt der Cafébesitzer fort, »wie Sie.« Er zeigt auf mich.

»Okay«, antworte ich und tippe Sedona, die Amerikanerin in mein Dokument.

»Und sie besucht einen neuen Ort, erkundet eine Stadt.« Er nickt, offenbar begeistert von seinen eigenen Ideen.

Ich kann nicht anders, ich muss lächeln.

»Wissen Sie was?«, frage ich und tippe charaktergetriebene Story in mein Dokument, während ich ihn nicht aus den Augen lasse. »Das gefällt mir!«, sage ich erleichtert.

Es klingt unterhaltsam. Es klingt therapeutisch. Eine Frau, die sich in einer neuen Stadt ihren Problemen stellt. Und das hat natürlich alles ganz und gar nichts mit meinem eigenen Leben zu tun.

Es eignet sich nicht für das Buch. Melanie würde es nicht wollen. Sie erwartet eine Dystopie, vielleicht etwas Fantasy, keinen zeitgenössischen Roman. Aber es ist ein Anfang. Es ist etwas, an dem ich schreiben kann. Und vielleicht inspiriert Sedona mich ja zu etwas, setzt etwas in Bewegung, wer weiß das schon?

Er nickt, ehe er sich wieder entfernt. »Das freut mich für Sie«, sagt er.

Seine Worte fühlen sich an wie eine Umarmung. Dieser Fremde, dieser liebenswerte (griechische? italienische?) Mann freut sich für mich.

Drei Monate. Drei Monate, um die Trümmer meines Lebens wieder zusammenzusetzen.

KAPITEL 5

Sich als Erwachsene Freunde suchen zu müssen ist das Letzte.

Warum hat mich niemand gewarnt, dass es so hart werden würde? Warum ist das so schwierig? Ernsthaft: Es ist schlimmer als Dating. Wie genau soll man einfach so neue Freunde finden, ohne wie ein totaler Creep zu erscheinen? Was soll ich tun? In eine Bar gehen, irgendwelche Leute anquatschen und sie bitten, dass sie etwas mit mir trinken??? Da kann ich mir ja gleich Stalker auf die Stirn tätowieren.

Ich bin beinahe eine Woche hier, und ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, dass meine Mitbewohner und ich … nun, ich glaube nicht, dass wir Freunde werden. Der Nackte war, wie sich herausstellte, irgendein Typ namens Spencer. Mir fehlen die Details, aber ich glaube, er hat was mit Maura. Oder sind sie zusammen? Ich bin mir nicht sicher, es ist unklar. Maura ist ziemlich nett, aber sie war high, wann immer ich mit ihr geredet habe. Ihr Zimmer stinkt – genau wie das Wohnzimmer – nach Gras. Kelsey – die, die mich reingelassen hat – ist nicht gerade freundlich. Die meiste Zeit ignoriert sie mich, wenn wir uns über den Weg laufen, womit ich kein Problem habe, weil ich nicht wirklich auf ihre Art klarkomme. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Scott nicht existiert, denn bislang habe ich ihn nicht zu Gesicht bekommen.

Vor einigen Abenden habe ich mir eine Dating-App für Freunde heruntergeladen, während ich wie so ein Loser allein in meinem winzigen Zimmer saß und mit einer Tiefkühlpizza und einer Flasche Wein Paddington 2 geschaut habe. Meine Mitbewohner haben unten laut Musik gehört, und dem Geruch nach hatten sie Spaß. Und es ist ja nicht so, dass ich keinen Spaß hatte. Ich liebe Tiefkühlpizza. Ich liebe Wein. Und ich liebe Paddington 2 mit seiner Kritik der Gefängnisreform. Aber es war Freitagabend. In London. Und ich war allein.

Eigentlich wollte ich mich während meiner Zeit hier … ich weiß auch nicht … neu erfinden oder so. Und ich kann mich nicht allein neu erfinden.

Apps für Freunde sind seltsam. Ich beurteile diese völlig Fremden gewissermaßen nach ihrem Aussehen und wische entsprechend. Und ja, ich weiß, modernes Dating sieht nicht anders aus. Ich habe meinen Ex auf Hinge kennengelernt. Aber wenn es um Freunde geht … Leute wegzuwischen, weil sie nicht attraktiv genug sind, um meine Freunde zu sein, fühlt sich ein wenig nach Mean Girls an.

Aber genau so bin ich bei diesem »Freunde-Date« gelandet. Und ich will ja keine Miesmacherin sein, aber ich glaube nicht, dass es passt.

Carmen hat über rein gar nichts von dem gelacht, was ich gesagt habe (was eine ganz schöne Frechheit ist, immerhin bin ich zum Totlachen). Sie hat mir mitgeteilt, mein Büchergeschmack sei prätentiös (na und, ich mag eben Sachbücher, VORLIEBENSINDNICHTPRÄTENTIÖS) und mein Wunsch, nach Devon zu fahren, »Zeitverschwendung«, weil zu weit weg (klar, rede mal eben Rosies Träume schlecht, total normales Verhalten!). Und sie hat lediglich die Augenbrauen hochgezogen, als ich ihr ein Bild von Balto, dem Hund meines Vaters, zeigte (was für ein Monster macht so was?!?!?!?!????).

»Okay«, sage ich, lehne mich zurück und seufze.

Sie sitzt vor mir, die Beine überschlagen, die Hände um ihre Kaffeetasse gelegt. Wir sind seit zwanzig Minuten in diesem niedlichen kleinen Café in der Gegend: The Alchemist. Achtzehn von diesen zwanzig Minuten wirkte sie gelangweilt, und ich habe fest vor, in den nächsten fünf das Weite zu suchen. Vielleicht kann ich mir ja einen Film ansehen oder in einem Buchladen stöbern oder … ich weiß nicht … meine Zähne mit Zahnseide reinigen. Ehrlich gesagt würde ich es sogar bevorzugen, Ideen für mein neues Buch zu brainstormen – und das will was heißen!