Happy Meat – Der Geschmack der Liebe - Marie Graßhoff - E-Book

Happy Meat – Der Geschmack der Liebe E-Book

Marie Graßhoff

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Beschreibung

Cava, die Nachfahrin der Liebesgöttin Aphrodite, wurde schon als Mädchen darauf vorbereitet, für Very Happy Meat zu arbeiten, den Lieferservice ihrer Familie. Denn der bringt seinen Kunden nicht einfach Pizza nach Hause: Die Familie macht Jagd auf korrupte Politiker, Serienmörder und andere Schwerverbrecher, um ihre Organe gewinnbringend im Untergrund zu verkaufen. Doch sie findet heraus, dass einer ihrer Brüder dem FBI Informationen hat zukommen lassen - und plötzlich steht die Sicherheit ihrer Familie auf dem Spiel. Kurzum entschließt sich Cava, den unschuldigen Studenten Colt als Sündenbock zu benutzen, um die Verschwörung aufzudecken, die sie dahinter vermutet. Dabei stößt sie auf ein Geheimnis, das weiter reicht, als sie jemals dachte.

»Happy Meat - Fleisch war noch nie so sexy! Eine fesselnde Story im Stil von The Boys mit Dark-Romance-Elementen, die mich bis zum Ende begeistert hat.« Ava Reed

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungINHALTSWARNUNGCAVAS PLAYLISTCAVA & IHRE BRÜDERCAVAS FAMILIEKAPITEL 1KAPITEL 2KAPITEL 3KAPITEL 4KAPITEL 5KAPITEL 6KAPITEL 7KAPITEL 8KAPITEL 9KAPITEL 10KAPITEL 11KAPITEL 12KAPITEL 13KAPITEL 14KAPITEL 15KAPITEL 16KAPITEL 17KAPITEL 18KAPITEL 19KAPITEL 20KAPITEL 21KAPITEL 22KAPITEL 23KAPITEL 24KAPITEL 25KAPITEL 26KAPITEL 27KAPITEL 28KAPITEL 29KAPITEL 30KAPITEL 31KAPITEL 32KAPITEL 33KAPITEL 34KAPITEL 35KAPITEL 36KAPITEL 37KAPITEL 38KAPITEL 39KAPITEL 40KAPITEL 41KAPITEL 42KAPITEL 43KAPITEL 44KAPITEL 45KAPITEL 46KAPITEL 47KAPITEL 48KAPITEL 49KAPITEL 50KAPITEL 51KAPITEL 52KAPITEL 53KAPITEL 54KAPITEL 55KAPITEL 56KAPITEL 57KAPITEL 58KAPITEL 59KAPITEL 60KAPITEL 61KAPITEL 62KAPITEL 63KAPITEL 64KAPITEL 65KAPITEL 66KAPITEL 67KAPITEL 68KAPITEL 69KAPITEL 70KAPITEL 71KAPITEL 72KAPITEL 73KAPITEL 74KAPITEL 75KAPITEL 76KAPITEL 77KAPITEL 78KAPITEL 79KAPITEL 80KAPITEL 81KAPITEL 82ENDEDANKSAGUNG

Über dieses Buch

»Happy Meat – Fleisch war noch nie so sexy! Eine fesselnde Story im Stil von The Boys mit Dark-Romance-Elementen, die mich bis zum Ende begeistert hat.« AVA REED

Cava, die Nachfahrin der Liebesgöttin Aphrodite, wurde schon als Mädchen darauf vorbereitet, für Very Happy Meat zu arbeiten, den Lieferservice ihrer Familie. Denn der bringt seinen Kunden nicht einfach Pizza nach Hause: Die Familie macht Jagd auf korrupte Politiker, Serienmörder und andere Schwerverbrecher, um ihre Organe gewinnbringend im Untergrund zu verkaufen. Doch sie findet heraus, dass einer ihrer Brüder dem FBI Informationen hat zukommen lassen – und plötzlich steht die Sicherheit ihrer Familie auf dem Spiel. Kurzum entschließt sich Cava, den unschuldigen Studenten Colt als Sündenbock zu benutzen, um die Verschwörung aufzudecken, die sie dahinter vermutet. Dabei stößt sie auf ein Geheimnis, das weiter reicht, als sie jemals dachte.

Über die Autorin

Marie Graßhoff, geboren 1990 in Halberstadt/Harz, studierte in Mainz Buchwissenschaft und Linguistik. Anschließend arbeitete sie einige Jahre als Social-Media-Managerin bei einer großen Agentur, mittlerweile ist sie als freiberufliche Autorin und Grafikdesignerin tätig und lebt in Leipzig. Mit ihrem Fantasy-Epos Kernstaub stand sie auf der Shortlist des SERAPH Literaturpreises 2016 in der Kategorie »Bester Independent-Autor«.

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Buch wurde vermittelt von derLiteraturagentur erzähl:perspektive, München

(www.erzaehlperspektive.de)

Copyright © 2023 by Marie Graßhoff

Diese Ausgabe 2023 by Bastei Lübbe AG,

Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Textredaktion: Klaudia Szabo, Leipzig

Innenillustrationen: Marie Graßhoff

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski unter der Verwendung vonMotiven von © shutterstock: YARUNIV Studio | Umberto Shtanzman | Jag_cz | myupoo | Nimaxs | Arc-tic ice | Aperture75

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-4221-4

luebbe.de

lesejury.de

Für Harry, Tiberius und Paul

Dieses Buch enthält explizite Darstellungen von exzessiver physischer und psychischer Gewalt, häuslicher Gewalt, Gewalt gegen Kinder, emotionaler Vernachlässigung von Kindern und dem Mord an einem Kind.

Ihr entscheidet selbst, wie ihr damit umgeht. Sind diese Themen für euch besonders emotional aufgeladen, passt auf euch auf.

Electrify – Magic Bronson

MONKS – KUNZITE

Make Way For The King – Ohana Bam

Put Me to Work – Big Data

Two Weeks – FKA twigs

Nervous – Magic Bronson

Witch – Apashe, Alina Pash

Love is a Miracle – Junco, SVNAH

Finisher – Vo Williams

UGH! – BTS

The Devil – BANKS

LOSTINPARADISE – ALI, AKLO

Dominate – Kairo, Vo Williams

Unglued – Big Data

VAPORS – KUNZITE

Feel Real Petty – Paper Idol

Paralysed – High Choir, Skelter

HALOHEAD – KUNZITE, Ratatat

Not Human – elegant slims

FLUX – KUNZITE

Scene of a Crime – Von Sell

Honeydust – Of the Trees, Kala

WAS ICH IN DER NACHT SEHE

Rache sorgt für Frieden. Der Moment, in dem ich dem Mörder meines Bruders einen Bolzen zwischen die Augen schoss, war ekstatisch. Apokalyptisch. Wie ein Orgasmus der Seele. Als sei mein ganzes beschissenes Leben auf diese eine Sekunde hinausgelaufen.

Aber dieses Gefühl hielt nicht lange an.

Der Kerl, der mir mit gezogener Waffe gegenübersteht, ist groß, blond und so muskulös, wie man sich einen griechischen Gott vorstellt. Das Mondlicht spiegelt sich auf dem Lauf der Pistole. Schweißperlen rinnen an seiner weißen Haut hinab. Ich kenne ihn. Ich glaube, sein Name ist Tate.

Er steht vor der Fensterfront, die von der Veranda in die Eingangshalle unseres Anwesens führt. Warmes Licht dringt durch die zerbrochenen Scheiben in die Nacht hinaus. Die Luft um uns herum ist heiß und schwer. Mein Atem ist noch kühl von der Klimaanlage im Haus.

»Du verstehst das nicht«, grollt er, die Augenbrauen zu einem Ausdruck der Wut zusammengezogen. »Ich bin hier, weil ich mit dir über deinen Bruder Jacob reden will. Nicht, um eure verdammte Villa zu plündern.«

Warum fuchtelt er nur mit seiner kleinen Pistole herum? Der Kerl ist einer der gefürchtetsten D.I.E.T.-Agents Amerikas. Einer der God Slayer, die sie auf die richtig harten Fälle ansetzen. Wo ist seine Spezialausrüstung? Seine Verstärkung? Dachte er, dass er ohne all das auf eins unserer Anwesen eindringen kann? Hat er keine Angst vor mir?

Beides wären fatale Fehleinschätzungen. Dafür sind diese Leute eigentlich zu professionell.

»Du hast echt Nerven, hier aufzutauchen und mir ’ne Pistole an den Kopf zu halten«, übergehe ich seine Aussage, um mir ein wenig mehr Zeit zu verschaffen. Ich glaube zu erkennen, dass er unter seinem Anzug eine Schutzweste trägt. »Hast du die Regeln vergessen? Ihr lasst uns in Ruhe, dafür töten wir euch nicht.«

Wie weit wird er gehen? Würde er tatsächlich auf mich schießen, oder ist es nur ein Bluff? Falls er doch Verstärkung mitgebracht hat, wäre es leichtsinnig, ihn anzugreifen. Vor allem, weil ich nichts als einen Taser bei mir habe. Aber wenn wir weiter warten, eskaliert die Sache hier vielleicht.

»Ich will nur über Jacob reden.« Tate verzieht den Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Und dass du nicht abhaust.«

Das kann nicht die Wahrheit sein. Und allein, dass er es wagt, Jacobs Namen in den Mund zu nehmen, macht mich wütend.

Ich trete einen Schritt auf ihn zu, und sofort reißt er die Waffe hoch. Bevor ich herausfinde, ob er wirklich auf mich schießen würde, mache ich einen Ausfallschritt zur Seite und schlage gegen seine Arme, um den Lauf seiner Pistole von meiner Körpermitte wegzulenken. Die Wucht, mit der meine aufgeplatzten Fingerknöchel gegen seine Muskeln prallen, sendet einen scharfen Schmerz meine Arme hinauf. Ich verlagere das Gewicht und ziehe mit der freien Hand den Taser von meiner Hose. Noch bevor Tate ausholen kann, ramme ich ihm das kleine Gerät in die Achsel.

Sofort lässt er die Waffe sinken und stolpert zurück. Ich packe seinen Oberarm, damit er den Taser nicht von sich schieben kann. Der Kerl ist riesig, es wird ein paar Sekunden dauern, bis er ohnmächtig wird.

»Du verstehst das falsch«, keucht er zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Das glaube ich nicht.«

Als er endlich zusammenbricht, warte ich noch einige Sekunden, um sicherzugehen. Dann lasse ich ihn los, bevor sein Gewicht mich mit runterzieht. Meine dunklen Haare fallen mir über die Schulter, als ich den Kopf schief lege und zusehe, wie er an der Wand hinter ihm absackt.

Bewusstlos. Ich bücke mich und winde ihm vorsichtig die Pistole aus der schlaffen Hand. Nachdem ich sie an meinem Hosenbund verstaut habe, greife ich ihn an seinem Stiefel und zerre seinen massigen Körper in die Mitte der Veranda.

Der steinerne Boden ist von Glasscherben übersät. Der Mondschein und das warme Licht der Lampen aus dem Innenraum spiegeln sich darin. Blut tropft von meinen Fingern zwischen sie, als ich den Agent auf den Bauch drehe, um mich auf seinen Rücken zu setzen.

Die beleuchtete Auffahrt vor mir ist leer. Irgendwo im Haus höre ich Onkel James sprechen. Er hat die Verstärkung sicherlich schon angefordert.

Diese Arschlöcher von der Behörde. Glauben sie wirklich, dass sie über Jacob an mich herankommen? Ist das der Schwachpunkt, den sie bei mir identifiziert zu haben glauben?

Fuck. Jacob …

Der Moment, in dem ich seinem Mörder einen Bolzen zwischen die Augen schoss, war ekstatisch. Aber dieses Gefühl hielt nur für ein paar Minuten an.

Ich habe bis auf Karasu, den beschissenen Krähen-Typen, jeden Einzelnen, der für seinen Tod verantwortlich war, exekutiert. Ich habe die Leichen dieser Arschlöcher abtransportiert. Habe zugesehen, wie meine Cousine ihre Körper auf dem Operationstisch auseinandergenommen hat. Ich persönlich habe jedes ihrer Einzelteile an den Meistbietenden verkauft. Ich bin mit Kühlboxen durch das Land gefahren, um sie zu verteilen. Ihre Augen, ihre Lebern, die Nieren, die Herzen, einfach alles.

Und mit jedem Stück habe ich darauf gewartet, dass sich dieses Gefühl wieder einstellen würde. Dass es bleiben würde. Das euphorische Gefühl von ausgleichender Gerechtigkeit.

Doch als ich fertig war und die Tür unseres Hauses wieder hinter mir schloss, hatte sich nichts verändert.

Die Leere war nicht verschwunden.

Sie ist immer noch da.

Der Kerl unter mir regt sich, aber ich halte den Taser nach wie vor in meiner Hand.

»Cava«, stöhnt er. Ich verdrehe genervt die Augen. Dass er hier aufgetaucht ist, passt mir gar nicht. Jetzt werde ich Mom und Dad erzählen müssen, warum ich das Familiengrab besucht habe.

»Was?« Ich nehme eine gemütlichere Sitzposition auf ihm ein.

»Dein Bruder war auf unserer Seite. Du musst nach seinem Handy suchen. Dort siehst du die …«

»Klappe!« Ich verpasse ihm einen heftigen Schlag gegen den Kopf und warte kurz darauf, ob er noch etwas zu sagen hat. Aber er ist wohl wieder weg.

So unauffällig wie möglich drehe ich mich um und schaue ins Haus, um zu sehen, ob Onkel James in der Nähe ist. Aber er ist noch immer am Telefonieren, mindestens zehn Meter entfernt. Er kann das nicht gehört haben.

Jacob soll mit der Behörde zusammengearbeitet haben? Will der Kerl mich irritieren, oder war das ernst gemeint? Was soll Jacob mit unseren Todfeinden zu tun gehabt haben?

Unmöglich. Wenn da etwas lief, hätte ich es bemerkt.

Oder? Fuck. Ich beiße mir auf die Innenseiten der Wangen, um meine Gedanken zu beruhigen.

Wann ist dieses beschissene Thema endlich durch?

Der Kies der beleuchteten Einfahrt knirscht unter den Reifen eines Wagens. Der Rolls-Royce von Onkel Kit nähert sich zwischen den Bäumen dem Anwesen.

Meine letzte Hoffnung darauf, dass Mom und Dad nicht von meinem Besuch hier erfahren, verpufft damit. Onkel James, der das Familiengrab betreut, hätte seine Klappe vielleicht gehalten, aber Onkel Kit sagt es ihnen innerhalb von Sekunden. Und wenn sie herausfinden, dass ich Jacobs Urne noch nach über einem Jahr besuche, reißen sie mir den Kopf ab.

Ich richte mich auf, als Kit und zwei seiner Söhne aus dem Wagen steigen. Cousin George zieht selbst auf den wenigen Metern vom Wagen bis zur Veranda mehrere Male an seiner E-Zigarette. Ich schiebe die Hände in die Taschen meiner ärmellosen Sommerjacke, damit sie die Kratzer und Schrammen nicht sehen. Ich muss mich nicht mehr blamieren als sowieso schon.

»Gut gemacht, Cava.« Kit richtet sein schwarzes Jackett und tritt neben mich. In der schnittigen Kleidung sieht er wie immer so charismatisch aus. »James!«, brüllt er dann ins Haus. »Wie siehts aus?«

Dieser schiebt sein Handy eilig weg und joggt durch die Eingangshalle auf uns zu. Er hat eine genauso bärenhafte Statur wie Dad. »Das Gebäude ist gesichert«, stellt er klar. »Niemand mehr hier.« Er wendet sich mir zu. »Cava, ich sagte doch, dass du warten sollst, bis die Verstärkung da ist!«

»Brauchte keine Verstärkung«, grummle ich. Was denkt er, wer er ist, mich herumzukommandieren?

»Eine Ahnung, wie er reingekommen ist?«, will Kit wissen. Dieser Ort ist eine Festung, genau wie unsere anderen Immobilien.

»Noch nicht. Wir prüfen es gerade.«

»Die Agents von D.I.E.T. haben definitiv Wege, um Sicherheitssysteme zu umgehen«, überlege ich laut. »Ich hätte nur nicht gedacht, dass sie sich das trauen würden.«

»Hm.« Jedes Mal, wenn ich Kit sehe, hat sein dunkles Haar ein paar graue Strähnen mehr, dabei ist er gerade mal vierzig. Aber mit Mom als älterer Schwester aufzuwachsen fordert wohl seinen Preis. Sie sieht mindestens zehn Jahre jünger aus als er.

»Geht’s dir gut, Cava?«, wendet sich George überraschend an mich. Der Dampf aus seiner E-Zigarette riecht nach Pfirsich.

Ich verenge die Augen ein wenig. »Bestens, danke.«

»Hey, es passiert nicht jeden Tag, dass einer von uns ’nen God Slayer bekämpft.« Er stupst den Bewusstlosen vorsichtig mit dem Schuh an. »Ich dachte, die wären voll krass.«

»Ja.« Er hat sich auch nicht sonderlich angestrengt, glaube ich. Aber das sage ich lieber nicht. Mir schwirren seine Worte noch durch den Kopf.

Unmöglich, dass Jacob mit D.I.E.T. zusammengearbeitet hat. Der verdammte Arsch ist gestorben, um jemanden zu retten, den er nicht mal kannte. Aber er war loyal. Er hätte unsere Familie niemals hintergangen.

»Packen wir es an, Jungs«, sagt Kit, und sofort bücken seine Söhne sich, um den Agent unter den Armen und an den Beinen zu greifen und ihn zum Auto zu hieven.

»Alter«, keucht George und stöhnt. »Besteht der nur aus Muskeln?«

»Ich hab versucht, ihn heil zu lassen.«

»Zum Glück warst du hier«, ächzt er unter Anstrengung. »Wie hast du den kleinbekommen?«

»Überraschungsmoment«, lüge ich. Eigentlich hat er kaum Anstalten gemacht, sich zu wehren.

»Hat er gesagt, was er wollte?«

»Nein.«

Onkel James wirft mir einen Blick zu, den ich nicht ganz einordnen kann, aber Kit fragt bereits: »Kommst du mit? Ich bringe ihn zum Hauptanwesen.«

In die Höhle des Löwen also. Für ihn und für mich. Aber ich werde mich so oder so nicht lange vor Ärger drücken können. »Ja.« Als ich ihm langsam folge, fühlen meine Finger sich taub an.

WORÜBER ICH LÜGEN MUSS

Die Flure, die von der Tiefgarage direkt ins Haupthaus führen, sind angenehm klimatisiert und werden nur durch indirekte Beleuchtung erhellt. Ich halte Kit und seinen Söhnen die Tür auf und warte auf sie.

Mit jeder verdammten Sekunde steigert sich das unangenehme Kribbeln in meinem Bauch. Sobald Mom und Dad hier auftauchen, werde ich ihnen gestehen müssen, was ich bei den Urnen getrieben habe. Dabei ist es lächerlich, dass ich mich darüber sorge. Ich kannte das Risiko doch.

Während Kits Söhne noch damit beschäftigt sind, den massiven Kerl aus dem Kofferraum zu hieven, erklingen die ersten Schritte vom Flur aus. Schnelle, leichte Schritte. Evan und Jesse, die beiden Unruhestifter. Die Kleinen tragen zusammenpassende Schlafanzüge und kichern, als sie um die Ecke kommen und sich ungebremst an meine Beine werfen. Haben sie Kits Wagen durch die Fenster gesehen?

»Wo warst du?«, fragt Jesse und zerrt am Saum meines Shirts. »Hast du was mitgebracht?«

Sofort setze ich ein Lächeln auf und streiche den beiden durch ihre wuschigen Haare. Jesse ist ein Ebenbild von Mom mit dunkelbrauner Haut, dunkelbraunem Haar und weichen, runden Gesichtszügen. Und Evan eine kleine Version von Dad: blondes Haar, blaue Augen, weiße Haut.

Alle meine Brüder sehen entweder aus wie das eine oder das andere unserer Elternteile. Jacob und ich waren die Einzigen, die eine Mischung aus beiden waren.

»Passt keiner auf euch auf?« Evans Augen funkeln frech, aber er antwortet nicht. Wie immer will er Jesse das Sprechen überlassen. »Warum seid ihr noch wach, hm?«, wende ich mich also an seinen Bruder.

Dieser weicht meinem Blick aus, bemüht sich aber, nicht schuldbewusst auszusehen. »Wir dürfen heute länger wach bleiben.« Wenn man nicht viel Zeit mit ihm verbringt, muss man sich noch ziemlich auf seine Worte konzentrieren, um zu verstehen, was er sagt. Ich kenne ihn allerdings gut genug.

Ich verenge die Augen und stupse ihm auf die Nase. »Pass auf, junger Mann. Ich weiß genau, wann du lügst.« Die beiden sind erst drei Jahre alt. Als ich noch so jung war, habe ich mich auch oft mit Aiden aus unserem Zimmer geschlichen, um mit ihm das Anwesen zu erkunden. Aber wir waren deutlich vorsichtiger, nicht erwischt zu werden.

Evan späht an mir vorbei in die Garage, ohne dabei mein Bein loszulassen.

Ich trete einen Schritt zur Seite, als Kit und die beiden anderen mit Tate auf uns zusteuern. Meine kleinen Brüder tun es mir gleich, ohne dass ich sie dazu auffordern muss. Ihre Augen weiten sich, während sie den bewusstlosen Agent genau inspizieren.

»Habt ihr trainiert?«, will Jesse nuschelnd wissen.

Ich setze zu einer Antwort an, doch meine Aufmerksamkeit wird vom Geräusch weiterer Schritte abgelenkt, die aus dem Flur hinter uns kommen. Eine Gänsehaut überfährt mich vom Scheitel bis zur Sohle. Allein durch die Forschheit des Auftretens weiß ich, dass sie es sind.

Im kühlen Licht der Sockelleiste wende ich mich um und blicke meinen Eltern entgegen. Die Dringlichkeit ihrer Bewegungen macht mich nervös, also nehme ich automatisch eine aufrechtere Haltung ein und schaue ihnen offen entgegen. Selbst den Drang, mir mit der Zunge über die Lippen zu fahren, unterdrücke ich, um ihnen keinen Hinweis darauf zu geben, dass ich etwas zu verbergen habe.

»Wer ist der Kerl?« Moms harsche Stimme hallt von den Wänden wider. Sie trägt ihr langes schwarzes Haar in einem strengen Zopf. Die Sommersprossen auf ihrer dunklen Haut sieht man sogar bei diesem Licht.

»Ein D.I.E.T.-Agent«, erwidere ich tonlos.

Mom und Dad beziehen vor uns Stellung, und sie verschränkt die Arme vor der Brust. Ihre schwarze Anzugjacke ist aufgeknöpft, und einige Strähnen fallen ihr aus dem Zopf ins Gesicht. Also haben wir sie zumindest nicht bei einem Meeting gestört. Sie schaut von Tate zu mir.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, er ist einer der God Slayer«, ergänze ich, als sie nichts sagt.

Jesse zieht mit seinen kleinen Händen an meinem Shirt, also bücke ich mich, um ihn auf den Arm zu nehmen. Evan hat zu viel Stolz, um getragen zu werden, also versteckt er sich hinter mir. Mom und Dad beachten ihn gar nicht.

»Ich lasse das von Lucas überprüfen.« Dad verzieht ungehalten den Mund. Ich hasse diesen Ausdruck auf seinem Gesicht. Selbst wenn er lächelt, sieht er mit seiner großen Statur und seinem muskulösen Körperbau bedrohlich aus. Wenn er es nicht tut, beginnen alle Alarmglocken in meinem Kopf zu schrillen. Er fährt sich mit den Fingern durch den blonden Vollbart. »Wie um alles in der Welt ist der Kerl aufs Anwesen gekommen?« Er hat sein blondes Haar zu einem kurzen, lockeren Zopf gebunden. Mit den ausrasierten Seiten wirkt er trotz seines beigefarbenen Anzugs und der blauen Krawatte, als sei er jederzeit für einen Kampf bereit. Er ist es auch. Ich weiß es.

»Das versuchen wir gerade herauszufinden.« Onkel Kit tritt hinter seinen beiden Söhnen ein, die Tate auf dem Boden ablegen, während sie auf eine Entscheidung warten. Dad gegenüber sieht Kit so klein und zerbrechlich aus.

»Cava hat ihn zum Glück ausgeschaltet, bevor er eindringen konnte«, ergänzt George euphorisch.

Und da wären wir auch schon.

Dad wirft mir einen kalten Blick aus seinen eisblauen Augen zu. Ich erwidere ihn so emotionslos wie möglich.

Anstatt etwas zu fragen, mustert er allerdings den Agent noch einmal genauer und schiebt seine Hände in die Anzughose.

»Ich glaube, sein Name ist Tate«, sage ich, froh, das Thema sofort wieder umlenken zu können. »Ich habe ihn ein paarmal im Spicy Noodles gesehen.«

»Was will er?«

Soll ich ihnen sagen, dass er behauptete, Jacob sei ein Spion für die Behörde gewesen? Dass er etwas von einem geheimen Handy faselte?

Irgendwie kann ich nicht. Jacob war mir direkt unterstellt. Wenn er die Familie wirklich hintergangen hat, ist es meine Schuld. Abgesehen davon, dass ich diese Behauptungen nach wie vor weder glauben noch bestätigen kann. Ich beschließe also, den Mund zu halten, obwohl ich es besser wissen sollte. »Keine Ahnung. Hab nichts aus ihm rausbekommen.«

»Was machen wir mit ihm?«, will Dad wissen.

»Exekutieren und verarbeiten«, grummelt Mom. »Das sollte ein eindeutiges Zeichen an die Behörde senden.«

»Wir können nicht einfach einen D.I.E.T.-Agent umbringen«, wirft mein Onkel ein, erntet aber böse Blicke von meinen Eltern. »Das verstößt ganz klar gegen den Deal«, fügt er kleinlaut an, zieht den Kopf aber ein Stück ein, um zu symbolisieren, dass er nur helfen und nicht provozieren möchte.

Ich kenne diese Haltung mehr als gut.

Mom schnaubt. »Und ob wir das können. Meine Mutter hätte das auch getan. Und der Behörde als Zeichen noch seinen abgetrennten Kopf per Post geschickt.«

»Ich sehe das wie Kit«, wende ich allerdings ein. Ich sollte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber das Gleichgewicht mit der Behörde ist fragil genug. »Wenn wir einen von ihnen umbringen, könnte das einen Racheakt nach sich ziehen. Oder sie fordern weitere Zugeständnisse von uns.«

Missmutig verzieht Mom den Mund. »Er hat uns aber angegriffen. Wenn wir ihn laufen lassen und das rauskommt, unterstellt man uns Schwäche.«

»Wenn wir ihn umbringen, sind wir quitt mit der Behörde«, schließt sich Dad ihr an. »Immerhin haben sie ihn geschickt. Es ist unser gutes Recht, uns zu verteidigen.«

»Wenn wir ihnen allerdings entgegenkommen …«

Ich blende das Gespräch aus, weil ich schon weiß, dass es keinen Sinn hat, zu diskutieren. Gegen Mom kommt niemand an. Und ich spüre, dass einige Schnitte in meinen Händen noch immer bluten, also sollte ich sie lieber verarzten, als hier weiter meine Zeit zu verschwenden. Und je früher ich mich aus dem Staub mache, umso geringer ist die Chance, dass sie mich fragen, warum ich mich überhaupt am Familiengrab herumgetrieben habe. Vor einem Jahr haben sie mich zwar dazu angehalten, nicht mehr dorthin zu gehen, aber bisher bin ich drum herumgekommen, mich erwischen zu lassen.

Noch während sie in ihrer feurigen Debatte verfangen sind, positioniere ich Jesse auf meiner Hüfte etwas um, setze mich in Bewegung und verabschiede mich mit einem leisen »Ich gehe ins Bett«. Evan packt meine Hand und folgt mir eilig.

»Warte mal.«

Fuck. Das wäre auch zu leicht gewesen.

Mom wendet Kit den Rücken zu und mustert mich intensiv von oben bis unten. »Warum warst du überhaupt dort?«

»Ich hatte meine Arbeit für den Tag erledigt«, erwidere ich mit so fester Stimme wie möglich. »Ich wollte neue Blumen zu Jacobs Urne bringen.« Es hat keinen Sinn, sie anzulügen, obwohl mir klar ist, dass sie diese Antwort nicht hören will.

»Sein Tod ist jetzt über ein Jahr her.« Dad wendet sich ebenfalls zu mir um und unterbricht seine Diskussion mit Kit mitten im Satz. Er und Mom sind wie eine untrennbare Einheit. Jede Entscheidung, jedes Urteil fällen sie gemeinsam. Meistens müssen sie sich nicht mal absprechen. »Bist du immer noch traurig?«

»Natürlich nicht.« Ich entgegne seinem Blick emotionslos. Jede Regung von Angst oder Trotz würden die beiden sofort gegen mich verwenden. »Aber Grabpflege gehört zum guten Ton, finde ich.«

Sie glauben mir nicht. Ich sehe es in ihren Augen. Ich sehe, dass sie jedes Zeichen der Schwäche hinter meiner Fassade erkennen. Und sie haben ja recht. Ich bin schwach, ich weiß nur nicht, wie ich es ändern soll. »Wenn euch das nicht gefällt, werde ich in Zukunft nicht mehr hingehen. Das ist kein Problem.«

»Sehr gut.« Dad nimmt sofort eine versöhnlichere Haltung ein. »Wenn du diesbezüglich über etwas sprechen möchtest, dann lass es uns wissen.«

»Natürlich.« Soll ich doch noch etwas sagen? Wenn ich die Sache mit Jacob jetzt anspreche, gäbe es zumindest weniger Ärger, als wenn sie es nachträglich herausfinden. Sie würden mich nicht töten, weil ich die Erbin bin. Aber sie haben mir bereits bewiesen, dass sie wissen, wie sie mich sehr nah an den Tod heranbringen können.

Trotzdem lasse ich den Moment verstreichen.

Höchstwahrscheinlich hat der Kerl nur irgendeinen Zugang zu mir gesucht. Und wenn Jacob uns tatsächlich verraten hat, will ich mich zuerst selbst davon überzeugen.

Mom tritt einen Schritt auf mich zu, nimmt eine Strähne meines welligen, dunklen Haars zwischen ihre Finger und mustert mich genau. »Bist du verletzt, Schatz?« Auf einen Schlag ist ihre Stimme ganz weich.

Ich entspanne mich sofort und setze ein Lächeln auf. »Nur ein paar Kratzer.«

»Gut.«

»Darf ich gehen?«

»Natürlich.«

WER MIR ZUHÖREN MÖCHTE

Nachts kommt mir unser Anwesen an der Fifth Avenue oft geisterhaft still vor. Nachdem ich Evan und Jesse ins Bett gebracht habe, schiebe ich meine Hände wieder in die Jackentaschen und schlage den Weg zur Küche durch das gedimmt beleuchtete Haus ein. Die fast fünf Meter hohen Wände, deren Fensterfronten den Blick auf den Central Park freigeben, sind nur für einige der Nachtstunden von Ruhe durchdrungen.

Selbst im warmen Licht der Designerlampen kann ich die dunklen Gedanken nicht abschütteln. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Vorstellung, dass Mom und Dad herausfinden könnten, dass ich ihnen nicht die ganze Wahrheit über meine Begegnung mit Tate gesagt habe, oder die Sorge, dass Jacob uns tatsächlich verraten haben könnte. Dieser verdammte Bruder, um den ich, schwach wie ich bin, ein Jahr lang getrauert habe …

Wie soll ich jetzt weitermachen?

Ich trete am offenen Wohnzimmer und an den französischen Türen vorbei, die einen Blick auf die Lichter des Central Parks zulassen. Angrenzend befindet sich das Esszimmer, an dessen langem Ahorntisch meistens Familienversammlungen abgehalten werden. Sonst nutzen ihn meine Brüder für ihre Hausaufgaben und Einsatzberichte.

Die breite Tür zur Küche wird nur bei formellen Versammlungen geschlossen. Heute steht sie offen – und es brennt sogar noch Licht.

Aiden sitzt über ein Buch gebeugt an der beleuchteten Rauchquarz-Kücheninsel, streicht sein blondes Haar zurück und schaut verwundert zu mir auf. »Guten Abend«, murmelt er.

Ein wenig Anspannung fällt von mir ab, als unsere Blicke aufeinandertreffen. Es gelingt mir sogar, ein Lächeln aufzusetzen. »So spät noch wach?«

Bevor Aiden antworten kann, fällt sein Blick auf meine Hände, und er springt auf und eilt an einen der dunklen Schränke. »Geht’s dir gut? Was ist passiert?« Seine Reaktion ist süß, aber für diese Kratzer vielleicht ein wenig übertrieben.

»Ach, nichts weiter.« Das Licht des filigranen Kronleuchters beruhigt meine Nerven ein wenig, während ich zum Waschbecken hinübergehe und meine Hände unter fließendes Wasser halte. Das getrocknete Blut löst sich nach und nach und rinnt durch das helle Marmorbecken in den Abfluss.

»Lucas sagt, es gab einen Zwischenfall.«

Das hat sich sehr schnell herumgesprochen. »Dann weißt du es ja schon.«

Aiden zieht einen metallenen Medizinkoffer aus einem der unteren Schränke und funkelt mich vorwurfsvoll an. Derweil nehme ich mir ein sauberes Handtuch von der Ablage und drücke es vorsichtig auf die Wunden. Sie haben inzwischen zu bluten aufgehört. »War nichts Schlimmes«, stelle ich weicher klar und halte ihm meine Hände hin.

»Die Wunden sind ziemlich tief.«

»Die hab ich mir eher selbst zugefügt.« Dieser Tate hat sich vorrangig verteidigt, was mir noch immer eigenartig vorkommt. Er wird das Risiko sicherlich nicht eingegangen sein, nur um mir eine Geschichte von einem geheimen Handy aufzutischen. Da steckt irgendetwas anderes dahinter.

Ich sollte trotzdem nachsehen, oder?

»Ich meine, ob du die nicht lieber vom Doc versorgen lassen willst.« Aiden schiebt den Kasten über die Kücheninsel und schwingt sich auf einen der hohen Stühle.

»Geht schon.«

Unzufrieden schürzt er die Lippen. »Na gut. Setz dich.«

Ich könnte mich so oder so nicht dagegen wehren, dass er sich um mich kümmert, also nehme ich ihm gegenüber Platz.

Obwohl Aiden mit zwanzig ein Jahr jünger als ich ist, verhält er sich manchmal, als wäre er der Ältere von uns beiden. Während er eine Pinzette desinfiziert und einige kleine Glassplitter aus den Schnitten holt, schaue ich ihn nachdenklich an.

Mit seiner scharfen Kieferlinie und den hohen Wangenknochen sieht er von allen am meisten aus wie Dad. Offenbar war er heute beim Friseur. Seine hellblonden Haare, die an den Seiten kurz und oben länger sind, sehen ordentlicher aus. Wenn ihm die leicht nach oben gestylten Strähnen nicht ins Gesicht fallen, erkennt man die kleine Narbe in einer seiner dunklen Augenbrauen. Das sieht immer ganz cool aus.

Mit bedachten Bewegungen legt Aiden die Pinzette weg und holt die Wundsalbe heraus, die er vorsichtig auf den Schnitten verteilt. Ich bemühe mich, mir das Stechen und Brennen, das seine Berührungen auslösen, nicht anmerken zu lassen.

Wie soll ich weitermachen? Mindestens ein Ort fiele mir ein, an dem Jacob etwas vor uns hätte verstecken können. Vielleicht komme ich dran, wenn das Haus etwas leerer ist. Solange Mom und Dad hier sind, geht es eh nicht.

Ich hoffe so sehr, dass dieser Kerl nur Unsinn geredet hat. Wenn Jacob tatsächlich mit D.I.E.T. zusammengearbeitet hat, könnte die Behörde interne Informationen über die Familie kennen. Das würde uns angreifbar machen.

»Alles in Ordnung?« Aiden greift nach den Wundverschlussstreifen und bringt sie sacht an.

Er weiß, dass etwas nicht stimmt. Selbst wenn ich mir mehr Mühe geben würde, meine Gefühle zu verbergen, wüsste er es. Obwohl ich ein Jahr älter bin, könnten wir Zwillinge sein.

Ich weiß nicht, ob das gut ist. Dad hat mich mein Leben lang darauf trainiert, meine Emotionen zu unterdrücken, um keinem unserer Feinde eine Angriffsfläche zu bieten. Auch Aiden gegenüber darf ich keine Schwäche zeigen. Aber in solchen Situationen fällt es mir etwas schwerer als normalerweise. »Ja, alles gut«, lüge ich.

»Hat es etwas mit Jacob zu tun?« Zum ersten Mal sieht er mich offen aus seinen blauen Augen an.

Ich erwidere seinen Blick, ohne zu antworten. Er weiß, dass ich nicht darüber reden werde, also warum fragt er?

»Du warst wieder beim Familiengrab, oder?«

Wieder? »Hat sich das rumgesprochen?«

»Nein. Ich weiß nur, dass du da oft bist.« Natürlich weiß er es. »Ich gehe auch ab und an hin.«

»Wenn Mom und Dad das rauskriegen, gibt es Ärger.« Ich sage das nur, weil ich weiß, dass sie gerade anderweitig beschäftigt sind und mich nicht hören können.

»Ich weiß.« Aiden grinst meine Hände an. »Manchmal bin ich genauso rebellisch wie du.«

»Als wäre ich rebellisch.« Das Familiengrab gegen den Willen unserer Eltern zu besuchen war der einzige Ausreißer, den ich jemals hatte.

»Du weißt genau, was ich meine.«

Klar. Er meint, dass ich es hin und wieder wage, vorsichtige Widerworte zu haben. Und dass ich mich manchmal mit anderen Göttererben treffe, um ein wenig Frieden zu stiften. Abgesehen davon bin ich so loyal und konform, wie man nur sein kann.

Aber der Gedanke, auf den er mich damit gebracht hat, ist sogar ganz gut. Vielleicht hat ein anderer Erbe etwas von der Sache mit Jacob und D.I.E.T. mitbekommen. Wenn da überhaupt etwas war. Toma steht enger mit der Behörde in Kontakt. Eventuell kann er seine Fühler ausstrecken.

Aiden holt ein paar kleinere Pflaster für die oberflächlichen Wunden heraus und bringt sie sacht an. Irgendwie sehen meine Hände so viel schlimmer aus als vorher.

»Du kannst immer mit mir reden, weißt du?« Ich blinzle ihn verwundert an. »Ich meine … zu mir und den anderen sind Mom und Dad nicht so hart. Aber dir haben sie von Anfang an gesagt, dass du dir keine Gedanken mehr um Jacob machen sollst. Ist ja kein Wunder, dass du nicht loslassen kannst.«

Loslassen. Darin war ich nie sonderlich gut.

»Du machst dir zu viele Gedanken um mich.« Ich lächle ihn verschmitzt an, auch wenn es gerade mehr Energie kostet als sonst. »Mir geht’s gut. Alles wie immer.«

Er erwidert mein Lächeln und schüttelt den Kopf.

Alles wie immer. Wahrscheinlich ist das der Schlüssel. Ich sollte diese Sache genauso strategisch und simpel angehen wie alles andere in meinem Leben. Genauso, wie Mom und Dad es mir beigebracht haben. Sonst werde ich nie loslassen können.

Aiden schließt seine Verarztung ab und streicht sich die Haare zurück. »Du sprichst heute nicht mehr mit mir, oder?«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und lächle zumindest ein wenig versöhnlicher. Die milde Enttäuschung auf seinem Gesicht zu sehen schmerzt ein wenig. »Gibt einfach nicht viel zu sagen.« Er weiß hoffentlich, dass schon seine Anwesenheit beruhigend auf mich wirkt. Dass es mir geholfen hat, ihn zu sehen, selbst wenn ich nicht darüber reden kann, was mich beschäftigt.

Die Lippen schürzend nickt er, packt den kleinen Notfallkoffer zusammen und erhebt sich. »Na gut. Dann gehe ich erst mal schlafen.«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Schon elf. Wird heute wohl nichts mit acht Stunden Schlaf, weder für ihn noch für mich.

»Wenn du doch noch reden willst …« Er zuckt mit den Schultern, als er die Küche verlässt. »Du weißt ja, wo ich bin.«

WOFÜR ICH GEBRAUCHT WERDE

Warme Morgenstimmung liegt über dem Central Park vor den Fenstern. Der Himmel ist in alle Töne von Rosa bis Orange getaucht. Trotzdem ist die Brise, die durch die offenen Fenster weht und sich in den leichten Vorhängen fängt, schon warm.

Wenn ich es schaffe, mir ein paar Minuten freizuschaufeln, kann ich mein Frühstück eventuell auf der Dachterrasse genießen. Der Ausblick über den Central Park, die Skyline der West Side und die Glastürme von Midtown Manhattan ist morgens am schönsten. Vor allem, wenn die Temperaturen noch erträglich sind.

»Aber erst mal muss ich jemanden finden, der sich heute um dich kümmert, ja?« Oliver auf meinem Arm ist unbeeindruckt von meinem Kommunikationsversuch. Er ist wohl zu beschäftigt damit, meine dünne Sommerjacke vollzusabbern. Wir wissen nicht, ob er noch nicht reden kann oder nicht reden will, aber der mysteriöse kleine Mann hüllt sich auch jetzt in Schweigen.

»Vielleicht finden wir Onkel Kit.« Ich streiche ihm durch das wellige braune Haar. Mit Moms Sommersprossen, die sich von Tag zu Tag mehr auf seiner dunklen Haut abzeichnen, sieht er besonders süß aus.

Während ich mit ihm über die breite Galerie in den hinteren Teil des Hauses schlendere, ziehe ich mein Handy heraus und checke einige der Nachrichten in unserer Liefer-App. Die ganzen Pflaster und Wundverschlussstreifen erschweren die Bewegungen, aber der Schmerz ist zum Glück kaum merklich.

Das violette Logo mit dem gelben Zwinker-Smiley leuchtet auf meinem Bildschirm auf, bevor mir eine Flut von Supportanfragen entgegenblinkt. Seitdem das Festival angekündigt wurde und in den Nachrichten darüber geredet wird, bekommen wir deutlich mehr Aufmerksamkeit. Dabei war vorher schon viel los.

Ich sollte Tante Emily sagen, dass sie mehr Leute darauf ansetzen sollten, die Anfragen zu bearbeiten, sonst fällt das negativ auf uns zurück.

Ich wippe Oliver ein wenig auf und ab, was ihm ein kleines Lachen entlockt. Es lenkt mich davon ab, dass wir an Jacobs Zimmer vorbeigehen, an dem noch immer sein selbst geschriebenes Namensschild hängt. Die ganze Nacht habe ich von ihm und Tate geträumt. Sobald Mom und Dad ausgehen, werde ich nach diesem angeblichen Handy suchen. Und ich werde heute mit Toma sprechen. Wenn jemand mehr über irgendwelche Pläne von D.I.E.T. weiß, dann er.

Seufzend schiebe ich mein Handy wieder fort und trete auf die Treppe zu. Mom und Dad sind sicher unten. Sie sollten lieber nicht sehen, dass ich grüble. »Du musst dich zum Glück mit dem ganzen Kram noch nicht herumschlagen«, flüstere ich Oliver zu. Er schaut mich aufmerksam an.

Ich bin so mit ihm beschäftigt, dass ich den Schritten, die sich uns rasch von hinten nähern, gar keine Beachtung schenke. Ich wirble erst herum, als Brody uns fast umrempelt und erschrocken von seinem Handy aufsieht.

»Oh, tut mir leid, ihr beiden«, sagt er außer Atem, streicht Oliver über den Rücken und will bereits weitereilen. Er trägt Einsatzkleidung, also spare ich mir eine Zurechtweisung und gehe ihm aus dem Weg.

Er ist schon an uns vorbei, als er doch noch mal auf dem Absatz kehrtmacht, seine Augen sich weiten und er wieder einen Schritt auf uns zutritt.

»Cava! Gut, dass du hier bist.« Er legt seine Hände an meine Schultern und schiebt mich geheimnistuerisch in einen dunkleren Flur. »Ich brauche deine Hilfe.«

Ich verkneife mir das ›Nicht schon wieder‹ und schaue ihn aufmerksam an. Seinem ernsten Blick nach zu urteilen muss es etwas Wichtiges sein.

Brody ist mit achtzehn Jahren nach Aiden und Lucas der älteste meiner zehn Brüder. Und er reitet sich mit Abstand am häufigsten in die Scheiße. »Was gibts?«

Obwohl er drei Jahre jünger ist als ich, überragt er mich um einen halben Kopf. Er hat die gleiche mittelbraune Haut, überzogen von Sommersprossen, wie ich. Sonst ist er Mom wie aus dem Gesicht geschnitten. Als er die Hälfte seiner wuscheligen braunen Haare das erste Mal blondiert hat, gab es Ärger von unseren Eltern, aber inzwischen ist der Style zu seinem Markenzeichen geworden.

Brody fährt sich über den Nasenrücken, schaut sich unsicher um und senkt die Stimme noch ein wenig. »Ich hab Tante Fiona gestern Abend versprochen, mich um eine superwichtige Sache zu kümmern. Aber ich hab vergessen, dass ich jetzt zu ’nem Job muss.« Er verzieht das Gesicht, offenbar bemüht, so mitleiderregend wie möglich dreinzuschauen.

Ich atme tief durch. »Was für ein Job?«

»Korrupter Politiker. Bin schon zu spät dran.«

»Und was ist das für eine superwichtige Sache, die du eigentlich erledigen sollst?«

»Irgendwelche Verbrecher erledigen.« Er gestikuliert unbestimmt. »Sie haben etwas gestohlen oder … sich mit der Familie angelegt oder so was. Sie sollen heute Vormittag ausgeschaltet werden. Sind zwei Männer.«

Oliver beginnt, irgendetwas Unverständliches zu brabbeln, und ich wippe ihn wieder ein bisschen auf und ab.

»Lucas hat wohl schon ihren Aufenthaltsort ausfindig gemacht und auch sonst alle wichtigen Informationen. Sie müssen wirklich nur noch eliminiert werden.« Er tritt von einem Fuß auf den anderen. Wenn er nicht dringend losmüsste, würde ich ihn wohl weiter auf die Folter spannen, aber ich will auch nicht, dass er Ärger bekommt.

Also seufze ich. »Okay, ich übernehme das.«

Seine bernsteinfarbenen Augen leuchten auf. »Ja?«

»Ja. Ich wollte heute beim Ausliefern helfen, aber die kommen auch ohne mich klar.«

»Du rettest mein Leben!« Sofort bändigt er seinen Gefühlsausbruch wieder und senkt die Stimme. »Aber versprich, dass du Mom und Dad nichts davon sagst, ja?«

Noch etwas, das ich vor ihnen geheim halten soll? Das nimmt langsam überhand. Aber dafür kann er nichts. »Klar.«

»Danke, danke, danke!« Eilig beugt er sich nach vorn und drückt mir einen Kuss auf die Wange, dann Oliver einen auf die Stirn. »Muss weg!« Damit wirbelt er auf dem Absatz herum und stürmt auf die Treppe zu.

»Hey!«, rufe ich ihm hinterher. Abrupt bleibt er stehen, wendet sich noch einmal um, und wir tauschen einen langen Blick aus. »Dad ist unten«, sage ich ruhig. Ich habe seine Stimme vorhin gehört, bestimmt macht er Frühstück. »Haltung bewahren, ja?«

Sofort streckt er den Rücken durch und nickt dankbar, bevor er seinen Weg geordneter, aber immer noch eilig fortsetzt.

Ich seufze noch einmal, als er verschwunden ist, dann trete ich ebenfalls wieder auf die Galerie und schlendere auf die Treppe zu. »Immer diese Brüder«, murmele ich Oliver zu, der inzwischen die Kordel meiner violetten Happy-Meat-Jacke im Mund hat und darauf kaut, als sei sie das Köstlichste der Welt. »Ich hoffe, dich muss ich später nicht so oft aus der Scheiße ziehen.«

»Hey, keine Schimpfworte vor dem Baby!« Ich hebe die Augenbrauen und wende mich zu Dean um, der seinen Kopf aus der Bibliothek steckt. Er hat wieder gelauscht. Hat er gehört, was ich mit Brody besprochen habe?

»Stimmt, tut mir leid«, säusele ich lächelnd. »Das nächste Mal achte ich mehr auf meine Wortwahl, wenn du in der Nähe bist.«

Deans Zwillingsbruder Asher schaut ebenfalls verschmitzt um die Ecke. In ihren lockeren Anzügen sehen die beiden Fünfjährigen viel zu süß aus. Genau wie Mom, als sie jung war.

»Müsst ihr nicht zum Training mit Dad?«, will ich mit weicherer Stimme wissen. Mir wird ein bisschen übel, wenn ich daran denke, wie schlimm es war, als meins anfing, kaum dass ich in ihrem Alter war. Und wenn ich mir vorstelle, dass sie auch da durchmüssen.

»Der will noch was mit dir besprechen«, sagt Asher schüchtern. »Du sollst in die Küche kommen.«

Ob er über gestern Abend sprechen will? »Na, hoffentlich hat er Frühstück vorbereitet.«

WEN ICH HINTER MIR LASSEN MUSS

Sobald ich im unteren Stockwerk ankomme, empfängt mich Onkel Kit mit einem Morgengruß und nimmt mir Oliver aus den Armen. »Zeit zum Spielen«, säuselt er sanft. Oliver sieht nicht aus, als wäre er schon bereit, mich zu verlassen, also drücke ich ihm rasch einen Kuss auf die Wange, bevor er noch in Tränen ausbricht. Dann steuere ich auf die Küche zu.

Dean und Asher denken, sie seien unsichtbar, so wie sie mir auf leisen Sohlen folgen. Zu spionieren ist ihr liebstes Hobby, dabei haben sie nicht einmal was davon. Manchmal ist es wirklich unheimlich, wenn sie einem abends in dunklen Ecken auflauern. Aber Mom bemerkt, dass sie hinter mir herumschleichen, also schiebt sie rasch die französische Tür zu, sobald ich in die Küche getreten bin. Verdutzt bleiben die Kleinen vor den gekachelten Fenstern stehen.

»Guten Morgen.« Forschend mustere ich meine Eltern. Mom trägt schon ihr Business-Kostüm und sieht für diese Tageszeit viel zu frisch aus. Ihre Gene sind tatsächlich so überlegen, wie Grandma immer behauptet. Sie hat elf Kinder zur Welt gebracht und wird manchmal trotzdem für meine Schwester gehalten.

Dad hingegen lehnt noch in lockerer Hose, schwarzem Achselshirt und mit offenen Haaren an einer der Arbeitsplatten. Wenn seine hellblonden Haare bis auf seine Schultern fallen und seine muskulösen Oberarme freiliegen, sieht er aus wie eine ältere Version von Thor. »Guten Morgen, Schatz.«

Die beiden inspizieren mich so intensiv, dass ich noch nicht wage, auf den Kühlschrank zuzugehen, um mein Frühstück zuzubereiten. »Und? Habt ihr den Kerl von D.I.E.T. hingerichtet?«

»Der ist noch in seiner Zelle.« Dad nimmt einen Schluck aus seiner riesigen violetten Kaffeetasse, auf der ›Best Dad ever‹ in neongelben Buchstaben steht. Aiden und ich haben sie ihm gebastelt, als wir klein waren. Das Licht des Sonnenaufgangs, das durch die Fenster hereinbricht, schimmert rot in den verglasten Hängeschränken und spiegelt sich in den Kristallen des Kronleuchters. »Darüber wollen wir auch noch mal mit dir reden.«

Ich mache keine Regung, die darauf hindeuten würde, dass mir das Unbehagen bereitet. Was können sie denn wollen? Geht es meinen Besuch an Jacobs Urne? Oder haben sie doch herausbekommen, was der Kerl eigentlich wollte?

»Dein Onkel James sagte, du hättest über irgendetwas mit dem Agenten gesprochen«, setzt Mom fort. Sie tritt entspannt durch den Raum. Ich sehe genau, dass sie mich aus dem Augenwinkel im Blick behält.

Zum Glück haben mir die beiden höchstpersönlich beigebracht, wie man ein guter Lügner ist. »Das war nichts von Bedeutung«, sage ich und gehe zur Kücheninsel, um mir ein Glas von dem frisch gepressten Orangensaft einzugießen, der in einer Karaffe bereitsteht. »Ich wollte aus ihm rausbekommen, wie er aufs Anwesen gekommen ist und was sein Ziel war.« Nicht zu viel Augenkontakt und nicht zu wenig. Beides würde verraten, dass ich lüge. »Aber er hat nichts gesagt.«

Als ich einen Schluck aus meinem Glas nehme, sehe ich, wie die beiden einander einen Blick zuwerfen. Zumindest das scheinen sie mir abzunehmen. »Was macht ihr mit ihm? Seid ihr zu einer Entscheidung gekommen?«

»Wir beraten uns noch«, murmelt Dad in seine Kaffeetasse.

»Vielleicht ziehen wir deine Grandma zurate«, ergänzt Mom, stößt dann aber einen Seufzer aus. »Obwohl ich das eigentlich vermeiden will.«

»Das kommt den Festivalvorbereitungen aber nicht in die Quere, oder?« Das Gespräch ist jetzt entspannt genug, dass ich es doch wage, mein Glas abzustellen und zum Kühlschrank zu gehen, um frisches Gemüse zu sammeln. Sellerie, Grünkohl, Apfel, Birne, Zitrone, Ingwer, Gurke. Alles schon gewaschen.

»Wir überlegen, ob der Einbruch vielleicht sogar etwas mit dem Festival zu tun hatte«, grummelt Dad. »Damit ziehen wir ja einiges an Aufmerksamkeit auf uns.«

Ich lege mir ein Schneidebrett auf die marmorne Arbeitsfläche und beginne, gedankenverloren das Gemüse zu schneiden. »Stimmt.« Es kommt mir gelegen, wenn sie diesen Vorfall darauf schieben. Ich achte darauf, beim Zerteilen der Zutaten auch einige Male zu den beiden aufzuschauen, damit es nicht so wirkt, als würde ich ihren Blicken ausweichen. »Ich kann gern die Ohren offen halten. Vielleicht hat einer meiner Kontakte ja etwas mitbekommen.«

Die beiden nicken versonnen. Dad rollt mit seinen Schultern und nimmt einen weiteren Schluck Kaffee. Ich hab nie welchen getrunken, aber ich verbinde den bitteren Geruch trotzdem mit den ruhigen Morgenstunden hier.

»Wie sieht dein Plan für heute aus, Liebling? Hilfst du im Laden?«

Erst mal übernehme ich Brodys Auftrag, aber wie versprochen sage ich ihnen das nicht. »Ich denke, ich werde dem Spicy Noodles einen Besuch abstatten, um mich da mal umzuhören. Zum Laden gehe ich aber auch und übernehme ein paar Auslieferungen, ja.«

»Spicy Noodles«, spuckt Dad aus. Nicht ganz abfällig, aber doch so intensiv, dass ich beim Schneiden innehalte und zu ihm aufschaue. »Dort treibst du dich in letzter Zeit ziemlich oft herum, oder?«

»Und mit anderen Erben auch«, schließt Mom sich an und legt den Kopf forschend zur Seite. Irgendwie sind die beiden heute angespannt. Merken sie doch, dass ich etwas zu verbergen habe? Aber warum sollten sie mich verdächtigen?

Ich lege das Messer zur Seite und wende mich ihnen ganz zu. »Ja, aber das wisst ihr doch.« Warum fangen sie jetzt damit an? »Ich erfülle ein paar Mini-Aufträge für sie, dafür habe ich bei ihnen was gut.« Ich mustere sie abwechselnd, als sie dazu nichts sagen. »Gibts damit ein Problem? Immerhin soll ich Happy Meat mal übernehmen, und ich habe keine Lust auf Stress mit den anderen Erben.«

»Nein, das ist schon in Ordnung. Wir hatten nur gedacht, dass du damit aufhören würdest, nachdem dein Bruder bei einem dieser Mini-Aufträge ums Leben gekommen ist.« Dads Blick ist kühl und forschend.

Seine Worte treffen mich härter als erwartet, aber ich weiß natürlich, dass es so ist. Und dass er so denkt. »Er hat geholfen, eine der größten Göttererben-Organisationen zu zerschlagen. Die wären früher oder später sowieso ein Problem für uns geworden.« Das habe ich ihnen vor einem Jahr schon gesagt, und eigentlich wissen sie das auch. Er will mich provozieren.

»Wir hoffen nur«, mischt Mom sich ein, bevor Dad die Diskussion mit mir weiterführen kann, »dass du deine Fähigkeit nach wie vor für dich behältst.«

Meine Fähigkeit? Darum geht es? Perplex schüttle ich den Kopf. Meine Überraschung über diese Wendung kann ich wohl nicht vor ihnen verbergen. »Natürlich.« Ich verenge die Augen. »Die ist so peinlich. Warum sollte ich davon jemandem erzählen?« Als wäre es nicht schon unangenehm genug, dass einige Menschen da draußen wissen, dass ich die Nachfahrin von Aphrodite bin. Wenn jemand herausfände, über welche Fähigkeit ich verfüge, wäre ich der Witz des Jahrhunderts aller Göttererben.

Meine abweisende Reaktion scheint Mom ein wenig zufriedenzustellen. Obwohl sie ihren Blick immer noch nicht abwendet, ist er weicher geworden. »Ich frage mich einfach … Du verbringst so viel Zeit allein auf deinen Streifzügen. Du hast nicht zufälligerweise jemanden gefunden?«

Skeptisch ziehe ich die Brauen zusammen. Fragt sie das, weil sie es befürchtet? Oder weil sie darauf hofft? »Keine Ahnung, was du meinst.« Ich weiß es, aber ich will, dass sie diesen bescheuerten Gedanken ausspricht.

»Du weißt, dass du es uns sagen musst, wenn du dich in jemanden verliebst, nicht wahr?« Mom verschränkt die Arme. »Das ist Teil unserer Abmachung.«

Ich musste es mir selten so sehr verkneifen, die Augen zu verdrehen, aber ich wende mich trotzdem stöhnend ab. »Ich bin so was von gar nicht verliebt.« Ich würde es ihnen sagen, wenn es so wäre. Oder wenn ich jemand anderen gefunden hätte, mit dem ich mich arrangieren kann.

»Stöhne nicht«, grollt Dad. »Du weißt, dass das wichtig ist.«

»Ja, ich weiß. Aber ich verheimliche euch nichts.« Obwohl Mom und Dad immer wieder betonen, dass ich mir selbst jemanden aussuchen kann, behalten sie sich ein gewisses Mitspracherecht bei meiner Partnerwahl vor. Immerhin werde ich ihren Betrieb früher oder später erben.

Aber das alles kommt mir noch sehr weit weg vor.

»Und was ist mit diesem Toma aus dem Spicy Noodles?«, bohrt Mom weiter. »Du besuchst ihn ziemlich oft.«

»Ja«, presse ich hervor. »Aber nur, weil ich wegen eines Gefallens kostenlos bei ihm essen kann.« Ich beginne wieder, zu schneiden. Vielleicht ein wenig aufgeregter als vorher. »Vertraut ihr mir nicht mehr?«

»Wir machen uns nur Sorgen. Seitdem Jacob gestorben ist, hast du dich … verändert. Du bist weicher geworden.«

»Schwächer«, korrigiert Dad.

Und wieder halte ich inne. Ich starre den Grünkohl an, als sie weitersprechen.

»Wir befürchten, dass du noch zu viel über Jacob nachdenkst«, sagt Mom mit sanfterer Stimme.

»Du solltest ihn wirklich hinter dir lassen, sonst fressen dich diese Gefühle irgendwann auf.«

Schluckend nicke ich. Ist es wirklich unnormal, dass ich noch so oft an ihn denke? Dass ich ihn vermisse? Sie sind seine Eltern. Sollten sie nicht noch viel mehr als ich um ihn trauern? Oder bin ich wirklich so schwach, wie sie sagen? »Ich fühle mich nicht verändert.« Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber selbst wenn es eine Veränderung gibt, wirkt sie sich nicht negativ auf mich oder das Business aus. »Was denkt ihr, sollte ich tun?«

»Einfach den Anweisungen folgen«, murmelt Dad. »Und Vertrauen in uns haben.«

Toll. Also genau das Gegenteil von einigen Dingen, die ich gerade tue. Ich verstehe nicht, inwiefern das helfen soll. Aber soll ich es ihnen sagen? Jetzt ist die letzte Chance. Wenn ich es jetzt nicht sage, ist es zu spät. Fuck. »Ist in Ordnung«, ringe ich mir ab.

Ich kannte Jacob so gut. Ich kannte ihn besser als die beiden. Und wenn die winzige Chance besteht, dass da etwas lief, von dem wir alle nichts wussten, will ich es als Erste erfahren. Ohne den Filter meiner Eltern.

»Danke«, füge ich an.

Mom kommt langsam zu mir herüber und nimmt das Messer aus meiner Hand. Erst denke ich, sie will mich vielleicht angreifen – doch stattdessen breitet sie ihre Arme aus und umarmt mich sacht. Sie riecht nach teurem Parfüm. »Du kannst immer mit uns reden, ja, Schatz?«

»Klar«, murmele ich und lege meine Arme zögerlich um sie. Das hat sie lang nicht mehr getan. Es ist nicht so, als würde ich es nicht genießen. Es kommt nur unerwartet.

Mein Herz pocht viel zu schnell.

Hoffentlich bemerkt sie es nicht.

WER MIR BEGEGNET

Mit einer violetten Kühlkiste in den Händen stehe ich vor der morschen Wohnungstür eines heruntergekommenen Gebäudes. In diesem muffigen Treppenhaus müssen es mindestens fünfzig Grad sein. Vermutlich kühlt es hier drin nicht mal mehr nachts ab.

In meiner Einsatzkleidung ist mir jetzt schon zu warm. Das schwarze Top mit der kurzärmeligen Jacke darüber ist zwar sehr luftig, aber die Hose mit den vielen Taschen macht die Temperaturen kaum erträglich.

Ich fahre mir über die Stirn und verschaffe mir rasch einen Überblick. Das durch die schmutzigen Fenster einfallende Morgenlicht lässt den Staub glitzern, der in der Luft wirbelt. Es gibt keine Türspione. Vermutlich ein altes Hotel. Wahrscheinlich hat die morsche Tür vor mir nicht einmal ein richtiges Schloss, sondern nur eine von diesen kleinen Ketten. Sollten die Kerle nicht öffnen, komme ich auch so in die Wohnung.

Ich checke auf meinem Handy ein letztes Mal die Fotos und Namen der beiden Männer, die mir Lucas geschickt hat. Alexei und Waylen. Wie es aussieht, sind die beiden keines unserer klassischen Ziele. Keine korrupten Politiker, Serienmörder, Drogenbarone oder dergleichen.

Aber es gehört eben dazu, hin und wieder auch die Leute auszuschalten, die sich uns in den Weg stellen. Das ist nicht so befriedigend wie der Rest, aber jemand muss ja die Drecksarbeit machen.

Ich schiebe das Handy in die Tasche meiner Einsatzhose und klopfe dreimal laut an die Tür.

Hiernach ist mir Brody etwas schuldig. Und irgendwann muss ich auch mal einen der hundert Gefallen, die ich inzwischen bei ihm guthabe, einlösen.

Von innen nähern sich Schritte, gedämpft durch einen Teppich. Klingt, als würde die Person Schuhe tragen.

Ich löse meinen Taser von dem Clipper an meinem Hosenbund.

Aber als die Person offenbar direkt vor der Tür stehen bleibt, tut sich nichts. Ob sie wissen, was ihnen blüht? Rüsten sie sich für den Kampf?

»Wer ist da?« Eine männliche Stimme. Klingt etwas jünger, vermutlich ist das Alexei.

Ich setze ein Grinsen auf. »Eine Lieferung von Very Happy Meat, Ihrer Lieferkette für das beste amerikanische Fleisch.«

Wieder Stille. Es gibt keinen Weg, dass sie nicht wissen, wer wir sind. Wird er öffnen? Oder steht er schon mit gezogener Waffe da?

Ich trete einen Schritt zur Seite, falls er auf die bescheuerte Idee kommt, durch die Tür auf mich zu schießen.

»Wer von denen bist du?«, will er wissen. Seine Stimme klingt ernst.

»Mein Name ist Cava Hayes.« Eigentlich egal, ob er meinen Namen kennt, er lebt eh nicht mehr länger als ein paar Minuten.

»Okay.« Seine Stimme ist etwas höher als zuvor. »Ich mache jetzt auf, Cava. Aber ich bitte dich, dass wir erst einmal reden.«

Ich verkneife mir ein Lachen. Wie niedlich. »Klar, keine Sorge«, antworte ich mit süßer Stimme.

Ich höre ein Rascheln, als er die Kette löst, und spanne mich an. Sobald die Tür einen Spalt breit offen ist, hole ich aus und trete mit aller Wucht dagegen. Noch während der Kerl erschrocken zurücktaumelt, werfe ich ihm die leere Box entgegen, um ihn zu desorientieren. Er reißt die Hände hoch, um sie abzuwehren, und ich setze bereits nach und erwische ihn mit dem Taser am Hals. Er taumelt schneller als erwartet zurück und fällt mit dem Kopf gegen einen kleinen Tisch.

Scheiße. Ich sehe Blut, kann mich aber nicht um ihn kümmern, weil der zweite Kerl bereits bei mir ist.

Ich weiche seiner Faust in letzter Sekunde aus. Er stößt einen wütenden Schrei aus. Die Wucht, mit der er ins Leere schlägt, lässt ihn nach vorn wanken. Ich versetze ihm von oben einen Stoß mit meinem Ellenbogen in den Rücken, um ihn ein Stück weiter nach unten zu bekommen, dann springe ich auf seinen Rücken und lege meinen rechten Arm um seine Kehle.

Wie erwartet reißt er seine Arme hoch, um seinen Hals zu schützen. Das gibt mir die Möglichkeit, meine linke Hand hinter seinen Kopf zu legen, während er mit aller Macht meinen Arm zu lösen versucht. Für einige Sekunden ist der Raum nur von seinem unterdrückten Stöhnen erfüllt, während er um sein Leben kämpft. Ich drücke fester zu und kralle meine Finger in seine Schulter. Die Wunden an meinen Händen flammen schmerzend auf, aber ich beiße die Zähne zusammen.

Ein paar Sekunden noch. Ich atme so gleichmäßig es geht, um mich von seinem Überlebenskampf nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Doch ein weiteres Keuchen ausstoßend lässt der Fremde sich nach hinten fallen. Shit. Ich beiße die Zähne zusammen, um mich auf den Aufprall vorzubereiten. Als wir beide aufkommen, presst die Wucht seines Gewichts auf mir die Luft gewaltvoll aus meiner Lunge. Das werde ich morgen noch an meinen Rippen merken. Aber trotz des stechenden Schmerzes lasse ich nicht los. So etwas auszuhalten war schon Teil meiner Grundausbildung.

Als dem Kerl vermutlich langsam schwarz vor Augen wird, werden seine Bewegungen kraftloser – bis er sich endlich gar nicht mehr regt. Ich warte noch einige Momente, um sicherzugehen, dass er mindestens bewusstlos ist.

Sobald sein ganzer Körper erschlafft, lockere ich meinen Griff, schiebe ihn mit Händen und Füßen von mir und richte mich stöhnend auf. Das tat weh. Einige der Wunden an meinen Händen sind vermutlich wieder aufgegangen. Es rinnt ein wenig Blut unter den Pflastern hervor. Aber wenigstens ging es schnell, und ich kann auch schon wieder atmen.

Sobald ich stehe, mustere ich die beiden genauer. Der Erste ist weiß, hat langes braunes Haar und sieht irgendwie schelmisch aus. Der zweite hat dunklere Haut und sieht so gut aus, dass mit seinem Tod der Welt sicher ein Charmeur verloren geht.

Das sind definitiv die beiden Männer von den Fotos.

Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche und wähle Lucas’ Nummer über die Favoriten aus. Das Freizeichen ertönt nur einmal, bis er abnimmt.

»Ja?«

»Erledigt.«

»Das ging schnell. Leben sie noch?«

»Der eine ist bewusstlos. Und der andere …« Ich hocke mich neben ihn und halte meine Hand unter seine Nase. »Ja, er atmet noch. Hat sich aber ziemlich den Kopf gestoßen.«

»Nur sauber machen? Oder mitnehmen?«

»Was ist denn die Anweisung?«

»Gibt keine.«

Ich schaue mich im Raum um und überlege kurz. Die Wohnung ist dreckig und heruntergekommen. Zwischen Bandpostern sind die Überreste abgeblätterter Tapete auszumachen. Die Möbel wirken wie aus einem anderen Jahrtausend. Lavalampen, Plattenspieler, volle Aschenbecher auf schmutzigen Tischen. Umzugskartons und herumliegende Kleidung bedecken den Boden. Der durchgetretene Teppich von unbestimmter Farbe ist voll von Zigarettenstummeln und Brandlöchern.

Das sieht nicht wie die Unterkunft von üblichen Feinden der Familie aus. Um Junkies zu sein, wirken die Klamotten und Gesichter der Kerle wiederum zu ordentlich. Ist das hier eine Art Unterschlupf? »Mitnehmen«, entscheide ich schließlich.

»Gut.«

Ich lege auf und schließe die Tür zum Flur. Das hier wirkt zwar nicht wie die Gegend, in der sich die Nachbarn umeinander scheren, aber man weiß nie. Dann greife ich dem weißen Kerl in die langen Haare und ziehe ihn vom Tisch weg, um ihn in eine stabile Seitenlage zu bringen. Wäre schade, wenn er wegstirbt, bevor das Team ankommt.

Ich taste erst ihn, dann seinen Freund nach Waffen ab und finde eine Pistole, die ich an mich nehme. Vermutlich Leute ohne Kampfausbildung, sonst hätten sie sie gezogen, bevor sie die Tür geöffnet haben. Wenn ich …

Schritte dringen aus einem der Nebenräume. Sofort stehe ich auf und richte die Pistole in meiner Hand auf die Tür des Nebenzimmers, die geöffnet wird. Heraus tritt ein junger Mann, der mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Sein verständnisloser Blick wandert zu den beiden Typen hinter mir – und bleibt an der Blutlache hängen, die sich unter dem Kopf des einen sammelt.

Noch bevor er etwas sagt, hebt er langsam die Hände.

WIE ICH MICH VERÄNDERT HABE

Der junge Mann vor mir hat strahlend blaue Augen, weiße Haut, schwarzes Haar und ein weiches Gesicht. Er trägt ein goldenes Augenpiercing und einen Ohrstecker, aber beide sind klein, als wolle er rebellisch rüberkommen – aber nicht zu sehr.

Er sieht sportlich und ganz süß aus. Vermutlich ist er in meinem Alter. Deutlich jünger als die anderen beiden auf jeden Fall.

Ich lasse die Waffe nicht sinken, als ich frage: »Wer bist du?«

Als hätte meine Stimme ihn geweckt, regt er sich endlich aus seiner Starre. »N-nicht schießen, bitte.« Er ist einen ganzen Kopf größer als ich, hat aber offenbar ein angemessenes Maß an Respekt. Er wirkt allerdings nicht so panisch wie Leute in seiner Situation für gewöhnlich.

»Wer bist du?«, wiederhole ich lauter.

Seine Finger zittern ein wenig. »Du bist von Very Happy Meat, oder? Ich … ich weiß, wer ihr seid. Ich würde mich nie mit euch anlegen.«

Ich rucke die Waffe ein Stück weiter hoch, damit der Lauf genau auf seine Stirn zielt. »Fuck, sag mir verdammt noch mal, wer du bist!«

»Okay, okay!« Seine Stimme bebt. »M-mein Name ist Colt Summers.«

Der Nachname sagt mir irgendwas. In welchem Zusammenhang habe ich ihn schon mal gehört?

»Ich studiere Sportwissenschaften an der Columbia und habe ein Stipendium in Leichtathletik. Ich bin einundzwanzig Jahre alt, bin in New York geboren und aufgewachsen, liebe PlayStation und esse am liebsten italienische Pasta.«

Ich kneife die Augen ein wenig zusammen, weil ich nicht mit so vielen Informationen gerechnet habe. »Was?«

»In der NYC Fresh Morningshow haben sie mal gesagt, dass m-man sich seinem Angreifer oder Entführer gegenüber vermenschlichen soll.« Er fährt sich angespannt mit der Zunge über die vollen Lippen. »Ich liebe The Witcher, bin eher Hunde- als Katzenmensch, und … ich schätze, ich habe eine große Zukunft vor mir, zumindest sagen das immer alle.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Die Morningshow höre ich auch, wenn ich morgens meine Auslieferungen mache. Die Strategie funktioniert sogar. »Ich hab schon Leute getötet, die ich deutlich besser kannte als das«, erwidere ich trotzdem. »Woher weißt du von Happy Meat?«

Natürlich sieht er das violette Logo auf meiner Brust, aber die Art, wie er den Namen unserer Metzgerei ausgesprochen hat, deutet darauf hin, dass er mehr weiß als das.

»Meine Eltern haben mir von euch erzählt.« Seine Stimme wird etwas dunkler und ruhiger. Hat er den ersten Schock schon überwunden?

»Wer sind deine Eltern?« Es macht keinen Spaß, ihm jede Information aus der Nase zu ziehen. Vielleicht erschieße ich ihn doch einfach.

»Die … Summers-Familie.« Er wagt es tatsächlich, seine Arme herunterzunehmen. »Sie wurden letztes Jahr von Overkill umgebracht. Meine Großeltern, Eltern und mein Bruder.«

Die Summers-Familie. Von denen habe ich gehört. Sie standen mit dem Kult Universal Heritage in Kontakt, wenn ich mich richtig erinnere. Aber das ist nicht das, worum meine Gedanken kreisen, als er mich bittend ansieht.

Sie wurden von Overkill getötet. Genau wie Jacob.