Hart am Rande (Heimatroman) - Levin Schücking - E-Book

Hart am Rande (Heimatroman) E-Book

Levin Schücking

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Beschreibung

Dieses eBook: "Hart am Rande (Heimatroman)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Levin Schücking (1814-1883) war ein deutscher Schriftsteller und Journalist. Die Bedeutung seiner Romane und Novellen beruht auf der Schilderung der heimatlichen Besonderheiten, der westfälischen Natur und Menschen. Aus dem Buch: "Ein grauer Himmel lag über einer eintönigen Landschaft, die sich flach und eben ausdehnte, menschenleer, ohne Leben. Die Menschen schienen die wenig fruchtbaren Äcker ringsum der Obsorge der Sonne überlassen zu haben, daß sie etwas auf ihnen gedeihen lasse, und die Sonne ihrerseits schien abzuwarten, daß die Wolken, die sich immer mehr herabsenkten, sich der Sache annähmen. Rege war nur ein lauer Wind, der auf der langen, unbelebten Chaussee von Zeit zu Zeit eine starke Staubwolke aufjagte, eine Strecke weit vor sich hin trieb und dann fallen ließ, als ob er sich plötzlich besinne, daß es ein kindisches Treiben sei, hinter Dust und Staub dreinzujagen, und daß er solche Jagd füglich den glückshungerigen Menschenkindern überlassen könne."

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Levin Schücking

Hart am Rande (Heimatroman)

e-artnow, 2015 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-4974-2

Inhaltsverzeichnis

I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX

I.

Inhaltsverzeichnis

Das ist der Fluch der Liebe,Daß unauflösbar sie die Herzen kettet.Und stürzt das eine, reißt's das andre mit.

Ein grauer Himmel lag über einer eintönigen Landschaft, die sich flach und eben ausdehnte, menschenleer, ohne Leben. Die Menschen schienen die wenig fruchtbaren Äcker ringsum der Obsorge der Sonne überlassen zu haben, daß sie etwas auf ihnen gedeihen lasse, und die Sonne ihrerseits schien abzuwarten, daß die Wolken, die sich immer mehr herabsenkten, sich der Sache annähmen. Rege war nur ein lauer Wind, der auf der langen, unbelebten Chaussee von Zeit zu Zeit eine starke Staubwolke aufjagte, eine Strecke weit vor sich hin trieb und dann fallen ließ, als ob er sich plötzlich besinne, daß es ein kindisches Treiben sei, hinter Dust und Staub dreinzujagen, und daß er solche Jagd füglich den glückshungerigen Menschenkindern überlassen könne.

Zuweilen trieb dieser laue, aus Westen einer einsamen Wanderin entgegenkommende Wind jedoch ein heiteres Spiel. Er warf die dunkelblonden, üppig-reichen Locken zurück, welche unter dem schmalrandigen, kleinen Rubenshut dieser Wanderin auf Nacken und Schultern niederquollen, und blähte den blauen Schleier auf, den sie mit der Linken zusammenhielt. Sie war jung, und die ziemlich große, auffallend edle Gestalt, so einfach sie in einen hellgrauen Wollstoff gekleidet war, bildete doch eine Erscheinung, daß man sich überrascht fragen mußte, woher diese vornehme junge Dame gekommen und so völlig allein zu Fuß auf die Chaussee geraten sein könne.

In der Tat wurde sie auch, ehe viel Zeit vergangen, von einem Begegnenden danach gefragt und um Auskunft darüber angehalten.

Es war ein wohlgenährter und jovial aus den kleinen, blinzelnden Augen im geröteten, gutmütigen Gesicht blickender Herr, der es tat. Er saß zurückgelehnt, aus einer Meerschaumpfeife rauchend, in einem leichten Gefährt, dessen Verdeck zurückgeschlagen war, und das zwei Litauerpferdchen eben aus einem sandigen Nebenwege heraus auf die Chaussee gezogen hatten.

Als er zur Seite der rasch schreitenden Dame angekommen war, ließ er die lustig trabenden Pferdchen anhalten.

»Guten Morgen, mein gnädiges Fräulein,« rief er, »Sie hier? Und allein? Zu Fuß? Und so ganz allein?«

»Was wollen Sie, Doktor,« versetzte die junge Dame mit einem vollen, wohllautenden Organ, das Wind und Staub vielleicht um etwas von seinem Metallklang gebracht, »weshalb soll ich nicht allein gehen? Mir tut niemand etwas zuleide. Soll ich die gute Brigitte zwingen, mit mir gleichen Schritt zu halten? Wozu? Ich habe ihr eingeredet, daß sie heute morgen an ihrem alten Kopfweh leide, und daraufhin hat sie eingewilligt, mich allein gehen zu lassen. Wollen Sie, wenn Sie am Hause vorüberkommen, einmal nach ihr sehen?«

»Um eines eingebildeten Kopfwehs willen? Nein, meine Gnädige; viel lieber böt' ich Ihnen für Ihren Weg meinen Wagen an, wenn ich nicht Kranke zu besuchen hätte, bei denen es sich leider nicht um Einbildungen handelt. Aber was verlockt Sie denn so eiligen Schrittes nach unserm guten, langweiligen Urbach?«

»Fragen Sie lieber, was mich dahin treibt! Leider die Notwendigkeit! Ich habe mit dem Justizrat zu reden, und kann ihm nicht zumuten, mit Akten und Büchern beladen zu mir herauszukommen. So muß ich denn selbst gehen. Und nun wissen Sie's. Guten Morgen, Doktor, auf Wiedersehen! Ihre kleinen Braunen sind Philanthropen; sie stampfen und drängen vorwärts zu Ihren Kranken!«

Sie schritt mit einem freundlichen und doch herablassenden Kopfnicken weiter, und der Doktor ließ sein Wägelchen in entgegengesetzter Richtung dahinrollen; dabei zog er aus der während des Gesprächs halb erloschenen Pfeife starke Rauchwolken, die er mit besonderem Nachdruck von sich blies, um dann vor sich hin zu sagen:

»Die arme Person! Sie wird verrückt darüber! Läuft deswegen bereits allein über Land, und belagert den unglücklichen Justizrat, der ihr nicht helfen kann! Ganz sicherlich verrückt! Die fixe Idee hätten wir ja schon, dies starrsinnige Widerstreben! Und das Verrücktwerden – du lieber Gott, es ist einmal die Zeitkrankheit; es wird noch dahin kommen, daß jeder Mensch, wie er in seinem Leben einmal die Masern oder den Scharlach oder ein Fieber gehabt hat, so auch einmal seinen Anfall von einem kleinen Wahnsinn überstanden haben wird. Es ist nicht anders! Wär' ich jünger, würde ich Spezialist – wählte Psychiatrie. Gäb' eine reiche Praxis das! Armes Fräulein Ludgarde! Das fühlt sich unglücklicher als Lucie, die weinende Braut von Lammermoor, oder was man denn jetzt von bedrängten Frauenzimmern auf der Bühne in Mode haben mag. Tut mir leid, die arme Person!«

Die »arme Person« schritt unterdes ihres Weges weiter und warf, da der Wind aufhörte, ihr entgegenzuwehen und ihr Staub ins Antlitz zu werfen, ihren blauen Schleier zurück, wie um freier zu atmen. Ihre schönen Züge, welche dadurch um so auffallender hervortraten, gaben der bösen Voraussagung des Landarztes sehr wenig recht. Ihre ziemlich hohe und vorgewölbte Stirn schien immer nur der Sitz klarer und stiller Gedanken sein zu können; die sanften, großen, graublauen Augen blickten fest und mit ruhiger Stetigkeit die Gegenstände an. Wenn dies Gesicht etwas Besonderes ausdrückte, so war es mutiges und gefaßtes Selbstbewußtsein, war es der Ausdruck einer aristokratischen Natur, die doch immer mit ruhiger Selbstbeherrschung verbunden ist.

Als sie in der kleinen Stadt – Urbach hatte der Doktor sie genannt – angekommen war, schritt sie über den Marktplatz einem mit der Giebelseite dem Platz zugekehrten und eigentümlich unangenehm aussehenden Hause zu. Der rohe Kalkverputz desselben war nämlich beworfen mit einer Unzahl kleiner Glasscherben, welche sinnreiche Verzierung bei hellem Sonnenschein mit ihrem Blinken und Blitzen unbarmherzig die Augen zerstach, und an Tagen ohne Sonnenschein nur häßlich war. Hinter diesen menschenfeindlichen Wänden lag, mit einem blankgewaschenen Fenster auf den Markt hinausgehend, das Arbeitszimmer des Justizrats. Durch die hellen Scheiben des Fensters war im Innern die Gestalt eines großgewachsenen Mannes wahrzunehmen, der sich mit dem Rücken an dasselbe lehnte und mit dem Bewohner zu sprechen schien. Fräulein Ludgarde stutzte und hielt einen Augenblick ihren Schritt an; sie wünschte durchaus nicht mit einem Fremden zusammenzutreffen. Gleich darauf aber öffnete sich die Haustür; der pockennarbige alte Herr, der etwas von einer Fuchsphysiognomie hatte, dessen Malepartus jedoch in der ganzen Gegend die »Herberge der Gerechtigkeit« für alle war, die recht zu haben glaubten – ob sie es wirklich hatten, darauf kam es ja dem Justizrat Greving weniger an – der Hausherr trat auf die Schwelle, zupfte sich mit einem freundlichen Lächeln den Hemdkragen in die Höhe und verbeugte sich dann mehrmals außerordentlich tief und untertänig. Fräulein Ludgarde hätte dadurch an das spanische Sprichwort erinnert werden können:

Wer sich tiefer als nötig bückt, Spottet deiner oder berückt.

»Ihr Diener, mein gnädiges Fräulein,« sagte der Justizrat dabei, »sehe Sie eben daherkommen, bitte, bitte, treten Sie näher, Sie kommen zur guten Stunde, gerade zur guten Stunde, wie gerufen!«

»Das scheint mir nicht, Justizrat,« versetzte Fräulein Ludgarde, einen Blick auf das Fenster werfend, hinter dem der Fremde sich eben gewendet hatte und nun mit offenbarer Neugier das junge Mädchen betrachtete. »Sie sind nicht allein, Sie haben einen andern Klienten bei sich, sehe ich, und Sie wissen ...«

»Keinen Klienten, durchaus keinen Klienten; im Gegenteil,« fiel der Justizrat ein, indem er das Fräulein über die Schwelle komplimentierte, »einen Juristen, einen jungen Juristen, den unsere Gegend und unser Provinzialrecht interessiert, und der mir zur Einführung eine Karte von einem berühmten Kollegen in der Hauptstadt gebracht hat. Er kann uns, hab' ich schon ermittelt, von unschätzbarem Werte sein; diese jungen Herren sind meistens von einer rührenden Hilflosigkeit, wenn es darauf ankommt, ein Ding praktisch anzugreifen, aber sie haben vom eben bestandenen Examen her allerlei theoretische Dinge im Kopf, aus denen sich vortreffliche Haken krümmen lassen, Ankerhaken, die das Schifflein eines Prozesses nicht weiter kommen und in Ewigkeit nicht flott werden lassen. Und das ist für uns ja die Aufgabe! So recht die Aufgabe! Bitte, treten Sie ein.«

Der Justizrat, der diese Worte auf dem Flur seines Hauses gesprochen hatte, wollte eben die Tür seines Arbeitszimmers vor Ludgarde aufwerfen, aber sie legte die Hand auf seinen Arm.

»Warten Sie noch, sagen Sie mir den Namen des Mannes. Ist er wirklich Jurist, und glauben Sie, daß, wenn wir ihm vertrauen, er imstande ist, uns mit gutem Rate zu dienen und beizustehen?«

»Vertraut habe ich ihm bereits den Stand Ihrer Sache,« fiel der Justizrat ein, »gerade weil ich überzeugt bin, welch guter Konsulent er sein wird in einer Materie wie die, um welche es sich handelt. Seinen Namen wollen Sie wissen? Referendar Wendt hat sich besonders mit Deutschem Recht und Lehnrecht beschäftigt, sagt er, ist daher bereits bewandert in Rechtsfragen von einer feudalen Natur, mit denen ja unsereins sich so selten zu befassen hat ...«

Damit hatte er die Tür zu seinem Allerheiligsten aufgeworfen und Ludgarde genötigt, einzutreten.

Trotz des hellgewaschenen Fensters war der Raum nichts weniger als lichtvoll; er war sehr tief, und dunkelrote Wände schluckten an Licht ein, was die gebräunten Schränke und Aktenrepositorien nicht einsaugten. So kam es, daß Ludgarde von dem Aussehen des jungen Mannes, der sich bei ihrem Eintreten leicht verbeugt hatte, wenig wahrnahm, da er sich mit dem Rücken dem Fenster zugewendet hielt; das junge Mädchen, das in dem alten Roßhaarsofa des Anwalts Platz nahm, vermied auch ihn anzusehen, weil sie seinen Blick auf sich gerichtet fühlte.

»Herr Referendar Max Wendt und: Fräulein von Dalhausen auf Nyvenheim,« stellte der Justizrat vor; Fräulein Ludgarde ließ sich zu einer kurzen Verneigung des Kopfes herab und sagte:

»Sie wissen, weshalb ich komme, Justizrat; Sie haben mir geschrieben, daß das Urteil also gegen mich ausgefallen ist, ist es das wirklich, wirklich ganz und völlig gegen mich?«

»Leider, leider, leider,« versetzte mit einer Miene, in welche er so viel Seelenschmerz, als in seine Fuchsmiene hineinging, zu legen suchte, der Justizrat und schlug ein auf dem Tisch vor dem Fräulein liegendes dickes Aktenheft auf; »da lesen Sie selber die ganze Kantilene ...«

»So daß ich,« fuhr das Fräulein, ohne das schreckliche Aktenstück anzusehen, fort, »nun in wenig Tagen von Nyvenheim exmittiert, durch den Gerichtsdiener hinausgeworfen werden kann?«

»Nach dem Inhalt dieses Urteils hatte Ihr Gegner das Recht, es zu beantragen,« entgegnete der alte Jurist.

»Und mein Gegner ist sicherlich der Mann, von einem solchen Recht Gebrauch zu brauchen!« fiel sie mit unsäglicher Bitterkeit ein, »Mein Gegner! Bei dem ist kein Erbarmen!«

»Freilich,« sagte der Justizrat, »und am Ende ist das doch auch zu erklären, Herr von Hasberg braucht eben Nyvenheim, – er will, sagt man, seinen Sohn verheiraten, das junge Paar soll Nyvenheim bewohnen – er hat kein anderes Nest für die beiden Menschen, die sich lieben und mit Sehnsucht darauf warten ...«

»Mögen sie sich lieben,« fiel beinahe zornig Ludgarde ein, »lieben so zärtlich wie sie wollen, was bedürfen sie Nyvenheim dazu? O, es ist abscheulich, unsäglich rücksichtslos von Hasberg, der noch obendrein mein Verwandter ist und soviel meinem Vater verdankt, mich, die Tochter seines Wohltäters, aus ihrer Heimstätte, ihrem ererbten Eigen, dem Hause ihrer Väter werfen zu wollen! Abscheulich! Aber ergehen wir uns nicht in müßigen Klagen, die Menschen sind einmal so! Handeln wir! Denn verteidigen – das wissen Sie, Justizrat, werde ich mich bis aufs Äußerste – bis zur letzten Stunde. Also reden Sie! Was ist zu tun?«

»Zu appellieren, natürlich,« versetzte der Justizrat, indem er mit einem gewissen Wohlbehagen Ludgardens Züge unter dem Einfluß ihrer steigenden Erregung sich röten und eigentümlich verschönern sah.

Auch des jungen Mannes Blicke lagen mit Bewunderung auf diesen feinen und wie von edlem Zorn belebten Zügen. Mit einer gewissen Befangenheit sagte er: