Harte Schale, sinnlicher Kern - Raue Highlander und irische Krieger (2 Miniserien) - Margaret Moore - E-Book

Harte Schale, sinnlicher Kern - Raue Highlander und irische Krieger (2 Miniserien) E-Book

MARGARET MOORE

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Beschreibung

Margaret Moore - LIEBESERWACHEN IN SCHOTTLAND
Klopfenden Herzens sitzt Esme in der Kutsche, neben ihr Quintus MacLachlann - arrogant und ohne jeden Respekt vor Frauen. Doch wenn sie ihrem Bruder helfen will, muss sie die liebende Gattin des attraktiven Schotten spielen. Plötzlich merkt Esme, dass ihr das immer leichter fällt - hat sie sich etwa in den Lebemann verliebt?

Margaret Moore - DIE WILDE SCHÖNE AUS DEN HIGHLANDS
"Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Mr. McHeath." Bevor Gordon weiß, wie ihm geschieht, verschließt die sinnliche Lady Moira McMurdaugh seine Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er verfällt der wilden Schönen mit Haut und Haar - ohne zu ahnen, dass sie sich schon bald als erbitterte Feinde gegenübertreten werden …

MICHELLE WILLINGHAM - DIE PRINZESSIN UND DER BASTARDKRIEGER
Irland, 1172. Lady Taryn of Ossoria muss ihren Vater retten: Wegen angeblichen Hochverrats droht ihm der Tod! Verzweifelt bittet sie den mächtigen Krieger Killian MacDubh um Hilfe. Es heißt, der rechtlose Bastardsohn soll ein Herz aus Eis haben. Doch auf der gefahrvollen Reise zum Königshof entdeckt Taryn an dem irischen Krieger eine warme, sinnliche Seite voller Küsse und zärtlicher Leidenschaft. Bis die junge Lady entsetzt erfährt, was er von ihr für die Rettung ihres Vaters verlangt: die Ehe, damit er endlich in den Besitz von eigenem Land kommt! Hat der Bastard wirklich ein Herz aus Eis?

MICHELLE WILLINGHAM - EISKALT VERFÜHRT VOM VERRÄTER
Niemals wird sie sich dem Wunsch ihres Vaters unterwerfen und den König von Irland ehelichen! Bei Nacht und Nebel flieht Lady Carice Faoilin vor ihrer Familie und der Vermählung mit einem groben Gatten. Nach diesem Skandal wird kein Mann sie mehr begehren, davon ist Carice überzeugt. Bis sie in einer einsamen Abtei Raine de Garenne trifft! Das Lächeln des Soldaten schenkt ihr den Glauben an die Liebe wieder - so sehr, dass sie sogar daran denkt, sich ihm in einer Nacht der Leidenschaft hinzugeben. Doch dann muss sich Lady Carice der schlimmsten Erkenntnis stellen: Raine spielt nur mit ihrem Begehren - er will sie eiskalt an den König ausliefern …

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Seitenzahl: 1335

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Margaret Moore, Michelle Willingham

Harte Schale, sinnlicher Kern - Raue Highlander und irische Krieger (2 Miniserien)

IMPRESSUM

Liebeserwachen in Schottland erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2010 by Margaret Wilkins Originaltitel: „Highland Rogue, London Miss“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISONBand 9 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Eleni Nikolina

Umschlagsmotive: Swen_Stroop/GettyImages, kostins/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 04/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733746223

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

London, März1817

Esme McCallan ging ungeduldig im Anwaltsbüro in Staple Inn auf und ab. Hinter der geschlossenen Tür hörte sie die gedämpften Stimmen und Schritte der Klienten anderer Anwälte. Einige dieser Schritte klangen genauso schnell wie ihre eigenen, andere langsam und schlurfend und mutlos.

Ihr Bruder war nicht gekommen.

Esme hasste es, zu warten, was Jamie sehr wohl wusste. Und doch war es jetzt bereits fast halb vier an einem nassen, kühlen Nachmittag, und Jamie war nicht zu ihrem Treffen erschienen, obwohl er selbst diese Zeit festgelegt hatte. Es gab nur eins, was sie noch mehr aufbringen konnte, und …

Ausgerechnet das geschah jetzt auch.

Quintus MacLachlann kam in das Büro geschlendert, ohne auch nur höflichkeitshalber an die Tür zu klopfen. Natürlich hatte Esme ihn nicht gehört. Der Mann bewegte sich so lautlos wie eine Raubkatze.

Mit einer braunen Wolljacke, indigoblauer Weste, einem weißen Hemd, das er am Hals offen trug, und weiter heller Hose angetan, konnte man leicht denken, er sei ein Bauernsohn und verdiene sich seinen Lebensunterhalt mit dem Faustkampf. Nur seine Stimme und feudalherrschaftliche Selbstgefälligkeit ließen darauf schließen, er sei etwas anderes. In Wahrheit war er der in Ungnade gefallene, lasterhafte Sohn eines schottischen Edelmannes, der jedes Privileg vertan hatte, das ihm das Vermögen und die Stellung seiner Familie verschafften.

„Wo ist Jamie?“, fragte er mit jener Mischung aus Arroganz und Vertrautheit, die sie besonders ärgerlich fand.

„Ich weiß es nicht.“ Sie setzte sich auf den Rand des kleinen Stuhls mit der ovalen Rückenlehne, den ihr Bruder seinen Klienten zur Verfügung stellte. Esme glättete eine Falte ihrer dunkelbraunen Pelisse und schob ihren schlichten Hut um einen Hauch zur Seite, damit er genau in der Mitte ihres glatt gescheitelten braunen Haars lag.

„Das sieht ihm nicht ähnlich“, bemerkte MacLachlann unnötigerweise, während er sich an die Regale lehnte, die Jamies Gesetzbücher enthielten. „Hatte er einen Termin mit jemandem?“

„Ich weiß es nicht“, wiederholte sie und schalt sich insgeheim für ihre Unwissenheit. „Ich bin nicht über jeden Termin meines Bruders informiert.“

MacLachlanns sinnliche Lippen verzogen sich zu einem vermessenen Grinsen. Seine blauen Augen funkelten spöttisch. „Was denn, die Mutterhenne weiß nicht über jede einzelne Bewegung ihres Kükens Bescheid?“

„Ich bin nicht Jamies Mutter, und da Jamie ein erwachsener Mann ist und über einen klugen Verstand und Bildung verfügt, die er nicht verschwendet hat, führe ich nicht über jede seiner Bewegungen Buch.“

Ihre Worte hatten offensichtlich nicht die geringste Wirkung auf ihn, da er weiterhin lächelte. „Nein? Nun, jedenfalls ist er bei keiner Frau, es sei denn, sie wäre seine Klientin. Tagsüber gibt er sich niemals derlei Dingen hin.“

Esme presste die Lippen zusammen.

„Noch etwas also, das die Mutterhenne nicht weiß, was?“, zog er sie auf.

„Das Privatleben meines Bruders geht mich nichts an.“ Sie straffte die Schultern und bedachte MacLachlann mit einem verächtlichen Blick. „Wenn ich mich in all seine Angelegenheiten einmischen wollte, würde ich auch wissen, warum er es sich je hat einfallen lassen, einen Galgenstrick wie Sie einzustellen.“

In MacLachlanns blauen Augen erschien ein Leuchten ganz anderer Art. „Soll mich das verletzen, mein kleiner Honigkuchen?“ Er verstärkte seinen schottischen Akzent ein wenig und benutzte einen Kosenamen, den Esme von ganzem Herzen verabscheute. „Wenn ja, dann haben Sie Ihr Ziel völlig verfehlt. Ich bin schon auf eine Weise beleidigt worden, bei der Ihnen die Haare zu Berge stehen würden.“

Unbewusst ihr Haar berührend, wandte Esme sich von ihm ab und sah angestrengt aus dem Fenster, das auf den matschigen Hausgarten blickte, in dem noch wenig auf den Frühling hindeutete, ließ sich aber nicht dazu herab, MacLachlann zu antworten.

Sie musste unbedingt mit Jamie über MacLachlanns Unverschämtheit reden. Sollte er nicht bereit sein, sie mit dem gebührenden Respekt zu behandeln, so gab es gewiss noch andere Männer in London, die ebenso in der Lage waren, an Informationen zu kommen. Ihr Bruder brauchte nicht MacLachlann damit zu beauftragen, selbst wenn er auf dieselbe Schule gegangen war wie er.

Selbstzufrieden grinsend ging MacLachlann gelassenen Schrittes zum Schreibtisch und tippte mit dem Finger auf die Dokumente, die Esme dort hingelegt hatte. „Ich frage mich, was die Klienten Ihres Bruders sagen würden, wenn sie wüssten, dass seine Schwester im Grunde auch seine Partnerin in der Kanzlei ist? Dass es eine Frau ist, die die Verträge, Testamente und Überschreibungen aufsetzt und den größten Teil der Recherche für ihn erledigt?“

Esme sprang empört auf. „Ich helfe ihm lediglich dabei, den ersten Entwurf der Dokumente abzufassen und rechtliche Präzedenzfälle zu suchen. Jamie verfasst immer selbst die endgültigen Dokumente und überprüft alles, was ich tue. Wenn Sie es wagen sollten, etwas anderes zu sagen oder auch nur anzudeuten, werden wir Sie wegen übler Nachrede anzeigen. Nicht, dass Sie in der Lage sein würden, Schadensersatz zu zahlen.“

„Beruhigen Sie sich, Miss McCallan. Sie brauchen Ihr Gesetzbuch nicht zu bemühen“, erwiderte MacLachlann auf seine höchst herablassende Weise. „Ich werde niemandem von der Arbeit erzählen, die Sie für Ihren Bruder tun.“ Sein gewohnt spöttisches Lächeln verschwand für einen Moment. „Dafür schulde ich ihm zu viel.“

Aber was?, hätte sie ihn am liebsten gefragt. Jamie hatte ihr nie genau erklärt, wo er MacLachlann in London begegnet war. Er hatte damals einfach nur den offensichtlich betrunkenen Mann nach Hause gebracht, ihn im Gästezimmer untergebracht und ihm Arbeit als eine Art ermittelnden Partner gegeben. Selbstverständlich hatte Esme Fragen an ihn gehabt, von denen Jamie die meisten nicht hatte beantworten wollen. Er hatte nur zugegeben, dass MacLachlann schwere Zeiten durchgemacht und sich von seiner Familie entfremdet hatte. Erst später erfuhr sie aus zufällig belauschten Gesprächsfetzen zwischen den beiden Männern, dass MacLachlann seiner Familie durch seine nichtsnutzige Lebensweise Schande gemacht hatte.

Ebenso hatte sie herausgefunden, dieses Mal durch eigene Beobachtung, wie charmant er sein konnte, wenn er wollte, besonders zu Frauen, die sich daraufhin benahmen, als hätte er ihnen auf irgendeine Art den Verstand benebelt.

Auf sie selbst traf das natürlich nicht zu. Sie war viel zu wachsam und skeptisch, um sich von seinem seichten Charme einlullen zu lassen – wenn er je versucht hätte, das zu tun.

Sie blickte auf die vergoldete Uhr auf dem Kaminsims und sah, dass es nun bereits fast vier Uhr war.

„Wir sind recht ungeduldig, was?“, erkundigte er sich.

„Sie mögen ja nichts Besseres zu tun haben, als hier Ihre Zeit zu vertrödeln“, erwiderte sie und machte sich auf den Weg zur Tür, „ich hingegen sehr wohl. Guten Tag.“

„Was, Sie wollen mich hier ganz allein zurücklassen?“, fragte MacLachlann in gespielter Betroffenheit.

„Ja, und zwar mit Vergnügen“, fuhr sie ihn an, öffnete die Tür und stieß fast mit Jamie zusammen.

„Ah, hier seid ihr beide ja. Und noch nicht einander an die Kehle gegangen“, sagte ihr unpünktlicher Bruder lächelnd. Sein schottischer Akzent war heute etwas deutlicher, was Esme verriet, dass er trotz seiner offensichtlich guten Laune wegen etwas aufgebracht sein musste.

„Ich habe die Dokumente gebracht, die du wolltest“, sagte sie neugierig, aber nicht bereit, mit ihrem Bruder darüber zu sprechen, solange MacLachlann mit ihnen in einem Raum war. „Ich habe einen interessanten Präzedenzfall aus dem Jahr 1602 gefunden, in dem es um ein Schaf ging, dessen Besitzer …“

Jamie hängte seinen Hut an einen Haken neben der Tür. „Um Mrs Allens Klage kümmere ich mich morgen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das kurze braune Haar, während er um den zerkratzten uralten Schreibtisch herumging, den sie gebraucht gekauft hatten. „Ich danke dir natürlich, dass du mir die Papiere gebracht hast, aber es gibt da eine andere Angelegenheit, bei der ich sehr hoffe, dass ihr beide mir helfen werdet.“

Ein hastiger Blick in MacLachlanns Richtung zeigte ihr, dass er ebenso wenig darauf erpicht war, etwas mit ihr zu tun zu haben wie sie mit ihm.

„Setz dich, Esme, und lass mich erklären. Du auch, Quinn, wenn du so freundlich wärst.“

Hin und her gerissen zwischen Neugier und Furcht, tat Esme ihm den Gefallen. Wieder saß sie nur auf dem äußersten Rand des Stuhls, während MacLachlann auf einem nicht weniger kleinen ihr gegenüber Platz nahm und sich nach hinten lehnte, sodass das ganze Gewicht auf den beiden Hinterbeinen lag.

„Sie werden den Stuhl noch zerbrechen, wenn Sie sich weiter auf diese Weise nach hinten lehnen“, warf Esme ihm vor.

„Wollen wir wetten?“ Wieder dieses spöttische Lächeln, das sie so hasste.

Esme antwortete nicht.

„Ich habe euch hergebeten“, begann Jamie, als hätte keiner von beiden etwas gesagt, „weil ich eure Hilfe brauche in einer Sache, die juristischen Sachverstand und Diskretion verlangt … sowie die Notwendigkeit zur Täuschung.“

„Täuschung?“, wiederholte Esme beunruhigt.

„Sie werden doch wohl nicht so naiv sein und glauben, das Gesetz nähme nicht gelegentlich Zuflucht zu dem einen oder anderen Winkelzug“, warf MacLachlann ein. „Zumindest wenn es darum geht, Tatsachen herauszufinden, die einige Leute vorziehen würden, für sich zu behalten.“

„Ich verstehe sehr wohl, dass es Dinge geben kann, die aufgespürt werden müssen, aber Täuschung klingt illegal“, protestierte sie.

MacLachlann verdrehte die Augen und sah aus, als wollte er etwas hinzufügen, doch Jamie kam ihm zuvor. „Es ist nicht die Methode, die ich bevorzugen würde, Esme. Leider fürchte ich, dass in diesem Fall Täuschung der einzige Weg ist, das herauszufinden, was ich wissen muss. Gewiss ist es die schnellste Methode, und je schneller die Sache zu Ende gebracht ist, desto besser.“

Esme zwang sich, ihre Bedenken und ihre Abneigung gegen MacLachlann zu verdrängen und ihrem Bruder zuzuhören.

„Ich bekam heute Morgen einen Brief aus Edinburgh. Catriona McNare braucht meine Hilfe.“

Esme war fassungslos. „Lady Catriona McNare bittet dich um deine Hilfe? Nach allem, was sie dir angetan hat?“

Kaum merklich zuckte Jamie zusammen. Obwohl Esme ihre Entrüstung für mehr als gerechtfertigt hielt, tat es ihr doch leid, dass sie nicht behutsamer gewesen war.

„Sie braucht die Hilfe von jemandem, dem sie vertrauen kann, und das Urteil eines Anwalts“, erklärte er. „An wen hätte sie sich sonst wenden sollen?“

An jeden außer dich, dachte Esme trotzig und dachte an den Abend, als Catriona McNare ihre Verlobung mit Jamie gelöst hatte.

Der arme Jamie war leichenblass gewesen, am Boden zerstört. Esme hatte die ganze Nacht vor seiner Schlafzimmertür verbracht, aus Angst, er könnte sich etwas antun.

„Es gibt genügend Anwälte in Edinburgh“, sagte sie.

Die sonst so mild blickenden braunen Augen ihres Bruders nahmen einen ungewohnt entschlossenen Ausdruck an. „Catriona hat um meine Hilfe gebeten, und sie wird sie bekommen.“

„Hilfe wobei?“ MacLachlanns Frage erinnerte Esme wieder an seine Anwesenheit.

Ein nachdenklicher Ausdruck hatte sein spöttisches Lächeln ersetzt, und die Veränderung war bemerkenswert. Sie bedeutete nicht direkt eine Verbesserung, denn MacLachlann war in jedem Fall – ob nun spöttisch grinsend oder nicht – ein gut aussehender Mann. Allerdings wies sie darauf hin, dass doch ein gewisses Maß an Aufrichtigkeit in ihm steckte.

Wahrscheinlich etwa ein Teelöffel voll.

„Wie es aussieht, hat ihr Vater finanzielle Verluste erlitten“, erklärte Jamie. „Leider weigert sich der Earl, sich ihr anzuvertrauen oder zu enthüllen, was er mit seinem Geld getan hat oder was für Dokumente er unterschrieben hat. Sie fürchtet, die Situation könnte sich verschlimmern, wenn nicht etwas unternommen wird. Ich würde selbst nach Edinburgh reisen. Aber wenn ich dort erscheine und Nachforschungen betreibe, wird man sich fragen, warum ich es tue. Dich allerdings kennt niemand, Esme. Bisher war nie die Gelegenheit, dich jemandem vorzustellen, bevor …“ Er hielt kaum merklich inne. „Bevor wir nach London abreisten.“

Um ein neues Leben zu beginnen, dachte Esme bedrückt, weit entfernt von Lady Catriona McNare.

„Ich traue niemandem mehr zu, juristische Dokumente richtig einzuschätzen, als dir, Esme“, fuhr er fort. „Du wirst in der Lage sein zu erkennen, ob irgendetwas nicht stimmt mit den Papieren, die der Earl unterschrieben hat.“

„Und wie ich annehme, willst du, dass ich die Papiere an mich nehme?“, fragte MacLachlann.

„Ich will nicht, dass du sie stiehlst“, machte Jamie klar – sehr zu Esmes Erleichterung. „Du sollst nur Esme in das Haus des Earls einschleusen, damit sie sich die Papiere ansehen kann.“

Ihre Erleichterung war leider sehr kurzlebig gewesen.

„Was genau meinst du damit, ‚in das Haus des Earls einschleusen‘?“, verlangte sie zu wissen. „Einbruch ist gegen das Gesetz und wird bestraft mit …“

„Ich sagte nichts von Einbruch“, unterbrach Jamie sie. „Ich möchte lediglich, dass Quinn dir hilft, an die Dokumente zu kommen, sodass du sie lesen kannst.“

„Deswegen auch der Ausdruck Täuschung“, warf MacLachlann ein.

„Aber was für eine Art von Täuschung?“, beharrte Esme.

„Wir brauchen einen Vorwand, um dich in das Haus des Earls zu bekommen, ohne dass du Verdacht erweckst. Wenn ich dort nicht gern gesehen bin – und das bin ich gewiss nicht –, ist es meine Schwester auch nicht“, sagte Jamie. „Quinn, du hast mal erwähnt, dass dein älterer Bruder seit zehn Jahren auf den Westindischen Inseln lebt. Aber er besitzt noch ein Stadthaus in Edinburgh. Mir kam der Gedanke, wenn er jemals nach Edinburgh zurückkehren würde, würde er doch bestimmt als Earl of Dubhagen zu allen Festen und Abendveranstaltungen und so weiter eingeladen werden, die Catriona und ihr Vater geben. Wie ich hörte, sehen sich alle Söhne des Earl of Dubhagen ausnehmend ähnlich, also dachte ich …“

MacLachlann zuckte zusammen, als hätte Jamie ihn geschlagen. „Du willst, dass ich mich für Augustus ausgebe?“

„Kurz gesagt, ja. Und da dein Bruder verheiratet ist, brauchst du eine Frau.“

Was das bedeutete, entsetzte Esme zutiefst.

„Nein!“, rief sie und sprang auf die Füße. Die Vorstellung, sich als MacLachlanns Frau ausgeben zu müssen, war aberwitzig. „Das ist lächerlich! Und ungesetzlich! Es muss doch einen anderen Weg geben. Irgendeinen legalen Weg, um …“

„Vielleicht. Wenn wir wüssten, was genau sich abspielt, wer dahintersteckt und ob es überhaupt ungesetzlich ist“, erwiderte Jamie mit bemerkenswerter Gelassenheit. „Es könnte sein, dass Catriona sich irrt und die Verluste ihres Vaters einfach auf falsche Geschäftsentscheidungen zurückzuführen sind. Wenn er gesetzlich dazu berechtigt ist, diese Entscheidungen zu treffen, kann sie nichts dagegen unternehmen. Aber sie muss es wissen, so oder so. Und diese Hilfe gedenke ich ihr zu geben – oder vielmehr hoffe ich, sie von euch zu bekommen.“

„Aber warum müssen wir uns als jemand anders ausgeben?“, protestierte Esme. „MacLachlann gehört doch noch immer zum Adel, oder etwa nicht? Würden sie ihn denn nicht einladen? Können wir nicht sagen, ich sei eine Freundin der Familie auf Besuch? Warum müssen wir lügen?“

„Ich bin ein in Ungnade gefallener, von seiner Familie verstoßener Adliger“, sagte MacLachlann ohne einen Hauch von Scham oder Reue. „Ich kann mich nicht mehr in denselben gesellschaftlichen Kreisen bewegen wie früher. Augustus und seine Frau allerdings schon.“

Zu ihrem Entsetzen schien diese unglaubliche Intrige ihn nicht besonders zu verärgern.

„Und wenn wir erwischt werden?“, wandte sie ein. „Ich gehe nicht für Catriona McNare ins Gefängnis!“

„Die Absicht habe ich auch nicht“, stimmte MacLachlann ihr mit gewohnter Ruhe bei. „Da ich mich allerdings nur für meinen Bruder ausgeben werde, gibt es nichts zu befürchten. Jamie wird bedacht haben, als er sich diesen Plan einfallen ließ, wie sehr mein Bruder Skandale verabscheut. Er würde nie seinen eigenen Bruder anzeigen und viel eher behaupten, dass ich mir bei dieser Sache einen meiner geschmacklosen Scherze erlaubt habe.“

Esme war nicht zufrieden. „Ihr Bruder mag Sie ja nicht ins Gefängnis werfen wollen, aber in meinem Fall hat er vielleicht keine solchen Skrupel.“

„Keine Sorge, mein kleiner Honigkuchen“, sagte MacLachlann. „Ich weiß einige Dinge aus der Vergangenheit meines lieben Bruders, die er gewiss nicht veröffentlicht sehen möchte. Das wird auch Sie vor jeder Strafverfolgung schützen.“

„Die Leute werden aber doch gewiss sehen, dass ich nicht die Frau des Earls bin.“

„Keiner in Edinburgh hat sie je zu Gesicht bekommen. Sie begegneten sich und heirateten auf den Westindischen Inseln.“

MacLachlann klang, als könnte es keine weiteren Einwände mehr geben. Doch gab es andere Dinge zu bedenken – und zwar sehr wichtige, wenn sie zusammenleben sollten wie Mann und Frau. Sie würden im selben Haus wohnen, dieselben Räume teilen. Die Menschen würden sogar annehmen, dass sie sehr viel mehr als das teilten. Wer konnte denn ahnen, ob ein anziehender Frauenheld wie MacLachlann das nicht ebenfalls annehmen würde? Dass er das Recht hätte … Dass sie womöglich sogar erpicht darauf wäre?

Der Gedanke war erschreckend. Ja, entsetzlich und fürchterlich, abgesehen davon, dass sie sich nie von ihm oder irgendeinem anderen Mann verführen lassen würde, wie attraktiv und charmant er auch sein mochte. „Ich habe nicht den Wunsch, mich als Ihre Frau auszugeben!“, erklärte sie entschieden.

MacLachlann hob kühl eine Augenbraue. „Nicht einmal, da Ihr Bruder Sie bittet?“

Gegen dieses Argument war sie machtlos, und das wusste er.

„Esme“, sagte Jamie leise. „Lass gut sein. Ich sehe, mein Plan würde nicht funktionieren.“

Er kam zu ihr und nahm ihre Hände. Nur ein einziges Mal vorher hatte sie diesen Ausdruck der Niedergeschlagenheit in Jamies Augen gesehen, doch dieses Mal war sie schuld daran. „Ich weiß, ich verlange zu viel, wenn du dich also weigerst, nehme ich es dir nicht übel. Quinn und ich werden uns etwas anderes einfallen lassen, um die Information zu bekommen, die wir suchen.“

Das stimmte vielleicht sogar. Aber es könnte dazu führen, dass Jamie wieder nach Edinburgh zurückkehren musste – und in die Nähe von Lady Catriona, die ihm erneut das Herz brechen oder die alte Wunde aufreißen würde.

Esme machte sich nichts vor: Jamies Plan war riskant, und sie wollte Lady Catriona nicht helfen. Doch wie konnte sie ihrem Bruder eine Bitte abschlagen, wenn er bisher noch nie etwas von ihr verlangt hatte? Er war ihr einziger Verwandter. Ihre Mutter war an einem Fieber nur zwei Tage nach Esmes Geburt gestorben und ihr Vater an einem Herzleiden, als Esme zwölf und Jamie achtzehn Jahre alt gewesen waren. Jamie hatte damals als Gehilfe in einem Anwaltsbüro gearbeitet. Seitdem war er ihr ein liebevoller Bruder gewesen, der ihr Freiheiten erlaubte, die nur wenige Männer gebilligt hätten. Was war dieses Risiko schon im Vergleich zu allem, was er für sie getan hatte, und die Art, wie er sie praktisch als Anwalt praktizieren ließ? „Na schön, Jamie, ich tu’s.“

MacLachlann zupfte einen unsichtbaren Fussel von seinem Ärmel. „Nachdem das geklärt ist, schreibe ich dem Anwalt meines Bruders und lasse ihn wissen, dass der Earl of Dubhagen beschlossen hat, nach Edinburgh zurückzukehren. Ich werde ihn anweisen, Personal einzustellen und das Haus für unsere Ankunft vorbereiten zu lassen.“

Er wandte sich an Jamie, als wäre Esme nicht anwesend: „Deine Schwester wird eine neue Garderobe brauchen. Ihre eigene ist kaum angemessen für die Frau eines Earls.“

So gern Esme ihm widersprochen hätte, sah sie ein, dass ihre bescheidene Kleidung weder modisch noch kostspielig genug war, um die Gesellschaft in Edinburgh zu täuschen.

„Esme wird neu eingekleidet werden“, versicherte Jamie MacLachlann, während er zu seinem Schreibtisch ging. „Du solltest dir ebenfalls eine neue Garderobe zulegen. Ich bezahle die Mietkutsche, die euch nach Edinburgh bringen soll. Und ihr werdet natürlich auch Haushaltsausgaben haben.“

Er schrieb den Scheck auf eine Summe aus, die Esme nach Luft schnappen ließ. Jamie hatte sich bisher allein um ihre Finanzen gekümmert, also wusste sie nur wenig über diesen Teil seiner Arbeit. Sie bekam ein mehr als großzügiges Nadelgeld und hatte immer genug für die Bedürfnisse des Haushalts zur Verfügung gehabt, aber sie versuchte trotz allem, so sparsam wie möglich zu wirtschaften. Und jetzt musste sie mit ansehen, wie er einem Mann wie MacLachlann so viel Geld überreichte!

Noch ärgerlicher fand sie, dass MacLachlann den Scheck an sich nahm, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

„Danke, Sir“, meinte er nur salopp. „Wann sollen wir abreisen?“

„Meinst du, du könntest in einer Woche so weit sein?“

„Ich schon, die Frage ist, ob meine reizende Gattin es kann.“

Esme knirschte insgeheim mit den Zähnen, sagte sich aber, dass sie MacLachlanns Frechheit Jamie zuliebe erdulden musste. „Ich werde bereit sein.“

„Die Kutsche wird in einer Woche vor unserem Haus stehen“, teilte Jamie ihm mit. „Komm so früh wie möglich, damit ihr einen guten Teil des Wegs hinter euch legen könnt.“

„Dein Wunsch sei mir Befehl“, entgegnete MacLachlann, schon auf dem Weg zur Tür. Dort blieb er kurz stehen und verbeugte sich dramatisch vor ihnen. „Und somit, mein kleiner Honigkuchen und liebster Scheinschwager, sage ich bis zu unserer Abreise Adieu. Ich wünschte nur, ich könnte meine liebreizende Braut auf unseren Ahnensitz in den Highlands entführen. Im Frühling ist es dort sehr schön. Doch ich fürchte, die knappe Zeit wird es nicht erlauben.“

Der Schurke genoss das Ganze viel zu sehr!

„Vorsicht, mein Liebes.“ MacLachlann richtete sich wieder auf. „Wir wollen doch nicht, dass dir dieser höchst unschmeichelhafte Ausdruck auf deinem hübschen Gesicht noch zur Gewohnheit wird.“

Und damit verließ er unbekümmert den Raum.

Esme drehte sich sofort zu ihrem Bruder um, doch er kam ihr mit der für ihn so charakteristischen Aufrichtigkeit zuvor. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dieses Risiko für mich eingehst, Esme. Und ich bin dankbarer, als ich es ausdrücken kann.“

Ihr Ärger ließ nach, aber sie musste ihre Befürchtungen aussprechen. „Das war eine große Summe, die du diesem Mann einfach so übergeben hast, Jamie.“

„Sie wird sorgsam ausgegeben werden. Und was übrig bleibt, wird er mir ordnungsgemäß zurückerstatten“, entgegnete ihr Bruder.

Er trat an seinen Schreibtisch, öffnete die oberste Schublade und holte einen Ordner heraus, den Esme noch nie gesehen hatte. „Quinn führt sorgfältig Buch über alle seine Ausgaben, wenn er einen Auftrag für mich ausführt. Ich weiß immer, wo jeder Penny geblieben ist. Hier, sieh selbst.“

Er öffnete das in Leder gebundene Buch und drehte es zu ihr herum. Auf den mit Lineal gezogenen Linien waren in einer sogar noch saubereren Handschrift als ihrer die Ausgaben aufgeführt.

Oberflächlich betrachtet sah die Liste ausgesprochen umfassend aus. Selbst ein Laib Brot und ein Glas Bier zum Abendessen waren aufgeschrieben worden. Und dennoch … „Wie kannst du sicher sein, dass er das Geld wirklich auf diese Weise verwendet hat?“, fragte Esme.

„Belege. Er gibt mir für alles Belege. Ich habe sie hier.“ Jamie öffnete eine weitere Schublade und wies auf einen noch größeren Ordner.

„Nun gut, er mag ja verantwortungsbewusst sein, was seine Ausgaben angeht“, räumte sie ein, „aber andere Elemente seines Charakters, seiner Vergangenheit sind bei Weitem nicht so mustergültig.“

„Ich kann nicht leugnen, dass er Fehler begangen hat. Auch er gibt es offen zu. Aber er hat kein Verbrechen begangen, und der einzige Mensch, dem er mit seinem Tun geschadet hat, ist er selbst.“

„Und doch hat seine eigene Familie ihn verstoßen, oder?“

„Für die es ein größerer Verlust ist als für ihn. Er hatte eine sehr unglückliche Kindheit, Esme.“

„Seine Familie ist reich und vornehm. Viele Menschen wachsen unter sehr viel schlimmeren Umständen auf, entscheiden sich aber nicht dafür, ihr Geld zu verspielen oder ihre Tage beim Nichtstun und Trinken zu vergeuden.“

„Ein Junge, der in Reichtum aufwächst, kann dennoch einsam und unglücklich sein“, wandte ihr Bruder ein. „Er benutzt seine Kindheit auch nie als Entschuldigung. Tatsächlich spricht er nur sehr selten davon. Ich habe darüber eher von Freunden in der Schule erfahren als von ihm.“

Jamie legte den Ordner zurück und heftete den Blick ernst auf Esme. „Er mag viel getrunken und gespielt haben, aber das war in der Vergangenheit. Jetzt halte ich ihn für absolut vertrauenswürdig. Was immer ich ihm aufgetragen habe, hat er zu meiner größten Zufriedenheit erledigt.“ Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtischs. „Er empfindet sogar Reue, selbst wenn er es nur selten zeigt. Weißt du, wo ich ihn fand in jener Nacht, als ich ihn nach Hause brachte?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Auf der Tower Bridge. Er hat mir nie erzählt, was er da tat, aber die Art, wie er dort stand und auf das Wasser hinabblickte …“ Jamie wandte den Kopf und sah nachdenklich aus dem Fenster. „Wenn ich nicht nach ihm gesucht und ihn gefunden hätte …“

Quintus MacLachlann war im Begriff gewesen, sich das Leben zu nehmen? Dass ein Mann von solcher Lebendigkeit dazu in der Lage sein könnte, konnte Esme sich nur schwer vorstellen.

„Dem Himmel sei Dank, dass ich ihn fand. Es vergeht kein Tag, da ich nicht unglaublich froh darüber wäre.“ Jamie erhob sich, den Blick wieder forschend auf Esme gerichtet. „Ist das aber alles, was dir Sorge macht? Oder glaubst du, er könnte sich Freiheiten bei dir herausnehmen? Wenn ja, dann kannst du dich beruhigen. Es hat viele Frauen in seinem Leben gegeben, ich weiß. Aber bei keiner hat er sich grausam oder rücksichtslos verhalten. Wäre das auch nur im Entferntesten möglich, würde ich dich nie mit ihm gehen lassen, ganz besonders in der Rolle seiner Gattin. Außerdem, sollte es eine Frau auf dieser Welt geben, die gegen jede Verführung immun sein dürfte, dann doch du.“

Ja, sie würde immun gegen jede versuchte Verführung sein, besonders von einem Mann, der sie ständig ärgerte und verspottete.

Jamie legte ihr die Hände auf die Schultern. „Du kannst ihm vertrauen, Esme. Bitte glaube mir, wenn ich sage, dass hinter Quinns nachlässiger Fassade ein guter, ehrlicher Mann steckt. Sonst würde ich dich nie mit ihm nach Edinburgh reisen lassen.“

Esme nickte. Sie wollte Jamie ja glauben. Sie wollte glauben, dass sie mit einem vertrauenswürdigen Mann und für einen guten Zweck nach Edinburgh gehen würde.

Aber insgeheim wünschte sie, Catriona McNare und Quintus MacLachlann wären niemals geboren worden.

2. KAPITEL

Eine Woche später ging Quinn, ehemals als der Honourable Quintus Aloysius Hamish MacLachlann bekannt, auf dem Weg zu Jamie McCallans Stadthaus lässig die Straße entlang. In seiner neuen Kleidung – Pantalons, einem strahlend weißen Leinenhemd, schwarzer Seidenkrawatte, einer schwarzgrau gestreiften Satinweste und schwarzem Gehrock – wirkte er wie der modische Gentleman par excellence. In der Hand trug er eine Reisetasche, die beim Gehen gegen seinen Oberschenkel stieß.

Jamies gepflegtes Zuhause befand sich am Rand von Mayfair, nicht zu weit entfernt, um beim ton als unmodisch zu gelten, und weit genug, dass ein Mann von Jamies offensichtlich guten Einkünften es sich leisten konnte.

Als Quinn die Stufen zur Haustür hinaufstieg und den glänzend polierten Klopfer anhob, bewegte sich der Vorhang im vorderen Erkerfenster – völlig unauffällig, doch Quinn bemerkte es. Offenbar hielt jemand Ausschau.

Esme, zweifellos. Die Frau war wie ein Gefängniswärter. Ganz abgesehen davon, dass sie voller Vorurteile steckte und immer bereit war, das Schlimmste von ihm zu denken, trotz all seiner Bemühungen und trotz der wichtigen Aufträge, die er für ihren geliebten Bruder erledigte.

Da sie ihn also so gering einschätzte, wen wunderte es, dass er versucht war, sie mit den ungeheuerlichsten Bemerkungen zu reizen?

Jamies Butler, ein hochgewachsener, schlanker Mann unbestimmten Alters, öffnete die Tür und nahm ihm Hut und Koffer ab. „Man erwartet Sie im Salon, Sir.“

„Danke.“ Flüchtig warf Quinn einen Blick in den Spiegel, an dem er auf dem Weg zum Salon vorbeikam. In diesem Aufzug sah er tatsächlich aus wie sein Bruder, zumindest war er ihm ähnlich genug, um die List gelingen zu lassen.

Der Salon war genauso sauber und ordentlich wie die Vorhalle und schlicht, aber geschmackvoll eingerichtet, kaum ein Porzellanfigürchen oder sonstiger Schnickschnack nahm hier Platz fort. Quinn fiel auf, dass er noch nie Staub oder gar Schmutz in Jamies Haus oder Büro bemerkt hatte. Wahrscheinlich waren sogar Staub und Schmutz zu eingeschüchtert von Jamies Schwester, um länger zu verweilen. Bücher gab es allerdings in Hülle und Fülle, und die wenigen Möbel waren von guter Qualität. Das Sofa und die Sessel wirkten bequem, und der Kaminsims …

Esme stand am Kamin, aber eine Esme, wie er sie noch nie gesehen oder sich auch nur vorgestellt hatte. Sie hatte den Blick gesenkt, sodass die langen Wimpern ihre rosigen Wangen berührten. Gekleidet war sie in ein eng anliegendes Reisekostüm aus weicher blassblauer Wolle, das ihre schlanke, wohlgeformte Figur besonders zur Geltung brachte. Das Mieder, eingefasst mit einem scharlachroten Band, betonte vollkommene Brüste. Unter einem reizenden, mit kleinen Rosen geschmückten Hütchen schauten schimmernde kastanienbraune Locken hervor, von denen einige ihre Wangen und ihren Nacken berührten.

Esme sah jung, hübsch, frisch und bescheiden aus – ein wahres Bild jugendlicher Weiblichkeit –, bis sie den Blick hob und ihn aus braunen Augen wütend betrachtete.

„Wenigstens haben Sie daran gedacht, sich zu rasieren, wie ich sehe, aber Sie kommen sehr spät“, fuhr sie ihn an.

Lässig kam er herein, entschlossen, sie nicht merken zu lassen, dass ihre Missbilligung ihn störte. „Ich war bei einem Barbier. Meine Wangen sind so weich wie Seide. Möchten Sie mal fühlen?“

„Gewiss nicht!“, rief Esme und wandte sich abrupt ab.

Aber sie errötete, und sie senkte wieder den Blick, als wäre sie versucht gewesen, ihn zu berühren und wagte es nur nicht.

Lieber Himmel, konnte es sein, dass Esme McCallan sich heimlich wünschte, ihn zu berühren? Eine sehr interessante Entwicklung. Er nahm sich vor, sie recht bald näher zu untersuchen. „Sie sehen bezaubernd aus, Esme.“

„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre unerwünschten Bemerkungen für sich behalten könnten!“

„Dann wären Sie die erste Frau, die mir je begegnet ist, die sich nicht über ein Kompliment freut.“

„Wenn ich glaubte, Ihre Bemerkung wäre ehrlich gemeint, könnte ich mich vielleicht geschmeichelt fühlen.“

Trotz ihres verachtungsvollen Tons versuchte er es erneut. „Ich meine es ehrlich. Sie sehen wirklich sehr hübsch aus. Mir war nie bewusst, wie sehr eine neue Kleidung den Menschen verändern kann.“

Sie drehte sich wieder zu ihm um.

Und dann geschah ein Wunder. Sie lächelte. Und es war ein warmes, echtes Lächeln. Sein Herz machte einen Sprung vor Freude, wie er annahm, allerdings war es lange her, seit er so etwas wie Glück empfunden hatte, also konnte er sich auch irren.

„Jamie“, sagte sie und ging an Quinn vorbei. Sie hatte ihrem Bruder zugelächelt, der soeben eingetreten war.

Natürlich. Er musste einen Moment den Verstand verloren haben, sich vorzustellen, Esme könnte ihn auf diese Weise anlächeln. Und er durfte nicht enttäuscht sein. Schließlich gab es viele Frauen, die nach seiner Aufmerksamkeit verlangten.

„Tut mir leid, dass ich spät komme, Jamie“, sagte er, bevor Esme ihn verdammen konnte. „Der Schneider hat mich aufgehalten.“

„Das macht nichts. Es ist noch genügend Zeit für euch, London hinter euch zu lassen, bevor es dunkel wird“, erwiderte Jamie. „Die Ausgabe hat sich gelohnt, wie ich sehe.“

„Deine Ausgaben auch. Ich gebe zu, ich hatte so meine Zweifel, dass wir deine Schwester als eine vornehme junge Dame ausgeben könnten, aber in dieser Kleidung wird es uns gelingen.“

Esme achtete nicht auf ihn. „Dürfte ich jetzt vorschlagen, dass wir uns auf den Weg machen? Je eher wir Edinburgh erreichen, desto schneller können wir unseren Auftrag hinter uns bringen und zurückkehren.“

Da war Quinn ganz ihrer Meinung.

Während die Mietkutsche die Straße in Richtung Norden entlangratterte, machte Quinn sich nicht die Mühe, seine finstere Miene zu verbergen oder ein Gespräch in Gang zu bringen. Warum sollte er sich für eine Frau anstrengen, die so offensichtlich entschlossen war, ihn zu verabscheuen?

Aus den vom gestrigen heftigen Regen entstandenen Pfützen spritzte das Wasser bis fast zu den Fenstern der Kutsche, und der Himmel war düster und wolkenverhangen. Die frische Brise trug nicht besonders zur Gemütlichkeit in der Chaise bei. Nicht unbedingt das Wetter, das man im Frühling erwartete, aber auch nicht ungewöhnlich für die Jahreszeit.

„Wenn Sie noch einmal auf den Saum Ihres Mantels treten, werden Sie das gute Stück noch verderben“, bemerkte Esme missmutig. „Er muss meinen Bruder eine schöne Summe gekostet haben.“

„Ich bezweifle sehr, dass er mehr gekostet hat als Ihre Pelisse“, erwiderte er und stellte den Stiefel erneut auf den Saum, um sie zu ärgern. „Ich wette, meine ganze Garderobe kostete weniger als eins Ihrer Kleider. Und ich habe die Belege, um es zu beweisen.“

Sie hob hochmütig die Brauen. „Ich weiß, wie man einen guten Preis erzielt.“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie eine arme Schneiderin bei Ihrem eisigen Blick so bis ins Mark erschrecken könnte, dass sie sogar bereit wäre, ein Verlustgeschäft mit Ihnen zu machen. Aber ich denke, gute Arbeit sollte anständig bezahlt werden.“

„Ich verlange nur, den Gegenwert für mein Geld zu bekommen.“

„Das Geld Ihres Bruders“, verbesserte er.

Esme errötete heftig. „Wenn Frauen einen Beruf ausüben dürften, wäre ich auch Anwalt und nur zu gern bereit, mein eigenes Einkommen zu verdienen.“

Sie würde wahrscheinlich wirklich einen guten Anwalt abgeben, musste Quinn insgeheim zugeben. Zwar mochte sie eine der unangenehmsten Frauen auf dieser Erde sein, aber juristischen Sachverstand konnte man ihr nicht absprechen.

„Ich glaube, Sie würden als Verteidiger vor Gericht sogar noch besser sein“, sagte er aufrichtig. „Ich kann mir leicht vorstellen, wie Sie einen Zeugen ins Kreuzverhör nehmen.“

Sie rümpfte die Nase, eindeutig nicht erfreut über seine Bemerkung. „Anwälte wie mein Bruder erledigen aber die wichtige Vorarbeit, die Vorbereitung und Recherche, während die Verteidiger vor Gericht ganz unfairerweise den ganzen Ruhm dafür einheimsen. In etwa so, wie adlige Grundbesitzer den Ertrag aus der Arbeit ihrer Pächter einstecken, selbst wenn besagte Grundbesitzer verschwenderische, trunksüchtige Spieler sind.“

Der Himmel schenke ihm Geduld! „Wenn Sie die Dienerschaft nicht Verdacht schöpfen lassen wollen, was unsere angebliche Ehe angeht, müssen Sie wenigstens so tun, als würden Sie mich mögen.“

„Ich sehe nicht ein, wieso. Es gibt unzählige unglückliche Ehen in unserem Land. Unsere wäre ganz einfach eine weitere.“

„Nicht, wenn wir zu Bällen und Tanzabenden eingeladen werden wollen.“

Esme schüttelte trotzig den Kopf. „Ganz im Gegenteil. Ein sich streitendes Paar erregt Neugier, und sollten die Leute glauben, wir könnten ihnen Stoff für ihren Klatsch liefern, werden wir gewiss eingeladen werden.“

„Wenn dem so sein sollte, ist es in der Tat günstig, dass Sie so großen Hass für mich empfinden. Wir werden das beliebteste Paar in ganz Edinburgh sein.“

„Ich hasse Sie nicht, MacLachlann“, widersprach sie ihm kühl. „Dazu müsste ich etwas für Sie empfinden.“

Es war wie ein Schlag ins Gesicht für ihn, aber er würde lieber sterben, bevor er sich anmerken ließ, dass sie oder irgendjemand sonst ihn verletzen konnte.

„Was Sie auch von mir halten mögen, Miss McCallan“, sagte er mit ebenso eisiger Stimme, „Ihr Bruder hat um meine Hilfe gebeten, und er wird sie bekommen. Es würde uns beiden lediglich die Aufgabe erleichtern, wenn Sie aufhören wollten mich anzugreifen, jedes Mal, sobald Sie den Mund aufmachen. Ich rechne zwar nicht damit, dass Sie mich respektieren, aber könnten Sie nicht wenigstens kooperieren? Denn wenn nicht, kehren wir besser sofort nach London zurück.“

„Ich kooperiere mit Ihnen, MacLachlann. Sonst wäre ich nicht hier.“ Sie atmete tief ein und strich ihren Rock glatt. „Allerdings stimme ich zu, dass ständige Feindseligkeit nur schaden könnte. Also lassen Sie uns von vorn beginnen.“

Er verbarg seine Erleichterung, fragte sich aber, was sie damit wohl meinte.

„Wenn ich Ihre Frau sein soll, muss ich mehr über Ihre Familie erfahren. Bisher weiß ich nur, dass Ihr Vater ein Earl und Ihr älterer Bruder der Erbe war. Haben Sie andere Geschwister?“

Von allen möglichen Themen war seine Familie das Letzte, was er diskutieren wollte. Leider hatte Esme recht. Sie musste mehr über seine Familiengeschichte erfahren. „Ich hatte drei Brüder. Marcus war der Zweitälteste, dann kamen Claudius und Julius. Marcus starb im Krieg mit Frankreich, Claudius starb an einem Fieber, während er in Kanada war, und Julius fiel als Junge vom Pferd und brach sich das Genick. Ich hatte auch eine Schwester, aber sie starb als kleines Kind, noch bevor ich geboren wurde.“

Wenn es nicht Esme wäre, die ihm gegenübersaß, hätte er fast annehmen können, dass ihre Miene Mitleid ausdrückte. Da es aber Esme war, bedeutete ihr ernster Blick wohl nur, dass sie versuchte, sich alle Einzelheiten einzuprägen.

„Und Ihr ältester Bruder heißt Augustus?“

„Mein Vater besaß eine bedauerliche Vorliebe für die lateinische Sprache und römische Geschichte.“

„Also nannte er seinen fünften Sohn Quintus.“

„Ja.“

„Ein Name, den Sie von ganzem Herzen verabscheuen.“

„Nicht nur den Namen. Auch für meinen Vater hatte ich nicht viel übrig – ebenso wenig wie er für mich.“

„Das tut mir leid.“

Sie klang tatsächlich aufrichtig.

„Das braucht es nicht“, sagte er abrupt. Wenn es etwas gab, das er nicht ertragen konnte, dann Mitleid – am wenigsten von Esme McCallan. Seine Familie fehlte ihm nicht. Er war immer ganz anders gewesen – zu temperamentvoll, zu lebendig, um in ihrer bedächtigen Welt, in der sie sich die Zeit mit Geschichten vom größten Fisch, dem fettesten Fasan und dem edelsten Hirsch vertrieben, wohlzufühlen. Ihn hatte es nach etwas anderem verlangt – nach dem Leben in der Stadt, nach einem lebendigen, bunten, aufregenden Leben. Teuer. Sinnlich. Verführerisch. „Ich fand reichliche Entschädigung, als ich älter wurde.“

„Bei Frauen, vermute ich.“

Er bezweifelte, dass Esme jemals verstehen würde, warum ein Mann in den Armen einer Frau Trost suchte, selbst wenn es nur einen flüchtigen Moment des Vergnügens und Vergessens bot.

Er konnte sich Esme nicht einmal nackt in den Armen eines Mannes vorstellen, wie sie ihn küsste, ihn streichelte und ihn liebte – seufzend und Koseworte flüsternd, sich unter ihm vor Lust windend, bis sie im Augenblick der Ekstase seinen Namen rief.

Aber das stimmte nicht. Er konnte es sich leider sehr lebhaft vorstellen. Eine bestürzende Entdeckung.

„Wie alt ist Augustus?“, fragte sie und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

„Vierzig.“

„Sie sind also …“

„Dreißig.“

Sie nickte nachdenklich, und er stellte fest, dass sie es nicht für unmöglich zu halten schien, wenn er versuchte, sich für einen zehn Jahre älteren Mann auszugeben.

„Seine Frau ist siebenundzwanzig. Zum Glück könnte man Sie leicht für so alt halten.“

Sie schien sich nicht über seine Worte zu ärgern. Allerdings sollte ihn das wohl auch nicht überraschen. Noch nie war ihm eine Frau begegnet, die weniger eitel war als Esme. „Sie war siebzehn, als sie heirateten“, fügte er hinzu. „Augustus hatten schon immer besonders junge Frauen gefallen.“

Auch das erstaunte Esme offenbar nicht. „Sie haben keine Kinder?“

„Noch nicht, aber wie ich Augustus kenne, nicht, weil er sich keine Mühe gegeben hätte.“

Sie ging nicht weiter auf seine herausfordernde Bemerkung ein. „Was stand im Ehevertrag?“, fragte sie eifrig. „Es gab doch einen, oder?“

Wie nicht anders zu erwarten, interessierte sie eher die rechtliche Seite der Beziehung als die intime. Trotzdem faszinierte es ihn zu sehen, wie ihre intelligenten braunen Augen zu leuchten begannen, wenn sie über das Gesetz sprach.

Doch was den Ehevertrag anging … „Ich weiß es nicht. Es kümmert mich auch nicht.“

Sie runzelte die Stirn. „Das sollte es aber. Wenn er vor Ihnen stirbt und es keine Kinder gibt, geht das Erbe …“

„Ich bekomme keinen Penny, und der Titel geht wahrscheinlich an meinen Cousin Freddy. Ich wurde enterbt, wie Sie sich vielleicht erinnern.“ Und als drängte ihn etwas, sie zu reizen, fuhr er fort: „Ich sollte vielleicht erwähnen, dass mein Bruder es vorzieht, wenn eine Frau anschmiegsam und unwissend ist. Also ist seine Frau sehr wahrscheinlich so dumm und ungebildet, wie man es sich nur vorstellen kann.“

„Ach?“ Esme war sofort wieder interessiert. „Sind alle Männer in Ihrer Familie so gewesen?“

MacLachlann beugte sich vor, sodass ihre Knie sich fast berührten. „Ich ziehe kluge Frauen vor, die wissen, was sie wollen, und keine Angst haben, darum zu bitten. Tatsächlich finde ich Frauen, die sich für das Gesetz interessieren, faszinierend.“

Besonders dann, wenn sie schöne braune Augen, ein herzförmiges Gesicht, sinnliche Lippen und zart gerötete Wangen hatten – und zu allem Überfluss noch einen schlanken, sehr femininen Körper, dessen Nähe sich als größere Versuchung erwies, als Quinn sich je hätte träumen lassen.

„Das glaube ich Ihnen nicht.“

Er setzte sich zurück und lachte, als hätte sie ihn durchschaut.

Woraufhin sie einen langmütigen Seufzer ausstieß. „Wenn wir zusammenarbeiten wollen, müssen Sie mit diesem sinnlosen, koketten Wortgeplänkel und dem Versuch, mich aus der Reserve zu locken, aufhören. Geben Sie mir einfach die Information, die ich brauche, wenn wir die Leute glauben machen wollen, dass Sie Augustus sind und ich Ihre Frau.“

Trotz seiner Entschlossenheit, genauso wenig auf sie zu achten wie sie auf ihn, konnte er die in ihm aufsteigende Erregung nicht verhindern.

„Zum Beispiel“, fuhr sie schnell fort, ohne sich zu seiner Erleichterung offenbar bewusst zu sein, in welchen Zustand sie ihn versetzt hatte, „wie nannte Ihre Familie Sie? Quinn? Quintus?“

„Mehrere Namen, an die ich mich nur sehr ungern erinnere. Da wir also Mann und Frau sein werden, fangen Sie am besten damit an, mich zu duzen und mit irgendeiner Form von Dubhagen anzusprechen.“

„Vorgeben werden, Mann und Frau zu sein“, verbesserte sie ihn sofort.

Wie typisch für sie, so penibel zu sein.

Ein ganz anderer Ausdruck zeigte sich plötzlich auf ihrem Gesicht – fast schelmisch.

„Ducky wäre doch ganz nett“, sagte sie genüsslich.

„Sie können mich mit Dubhagen ansprechen. Wenn Sie mich irgendetwas anderes nennen, ignoriere ich Sie einfach – oder nenne Sie meine kleine Hexe.“

Wie erwartet, gefiel ihr das nicht. „Na schön, Dubhagen“, gab sie widerwillig nach. „Wie ist der Vorname Ihrer Schwägerin?“

Das würde sich noch als interessant herausstellen. „Hortense.“

Esme wich fast erschrocken zurück, dann kniff sie misstrauisch die Augen zusammen. „Stimmt das, oder wollen Sie mich nur damit ärgern?“

„Es stimmt. Trotzdem denke ich, es wäre besser, wir gewöhnen uns gar nicht erst an, uns mit Vornamen anzusprechen, auch nicht, wenn wir allein sind. Auf diese Weise sollte unsere List doch vorzeitig entdeckt werden, kann uns niemand nachsagen, wir hätten ihre Namen missbraucht.“ Dann schlug er vor, als würde er es ernstlich in Betracht ziehen: „Ich könnte Sie Hornisse nennen. Oder meinen kleinen Honigkuchen.“

So hatte er sie am vergangenen Weihnachtsfest genannt, um sie zu ärgern, aber so reizend, wie sie ihm heute vorkam – dass einem direkt das Wasser im Mund zusammenlief –, fand er den Kosenamen eigentlich recht passend.

Gütiger Himmel, hatte er gerade ausgerechnet Esme McCallan – wenn auch nur in Gedanken – reizend genannt?

Sie bedachte ihn mit einem Blick, als könnte sie ihn auf der Stelle umbringen. „Sollten Sie das wagen, werde ich Sie doch ‚mein liebster Ducky‘ nennen.“

Das tat er mit einem Achselzucken ab. „Dann nenne ich Sie meine süße Last.“

„Mein geliebter Kerker.“

Er runzelte die Stirn und setzte sich gerader auf. „Meine hübsche Fessel.“

„Mein schöner Mühlstein.“ Sie rutschte weiter nach vorn, als könnte sie so ihre Vorstellungskraft steigern.

Quinn ermahnte sich, nicht darauf zu achten, wie hübsch sie aussah, nicht auf ihre Lippen zu schauen oder daran zu denken, wie es sein würde, wenn sie ihn einmal voller Bewunderung statt Verdruss ansähe.

Vor allem musste er ignorieren, wie erregt er auf ihre Schönheit und Nähe reagierte. „Meine bezaubernde Strafe.“

„Meine wundervolle Pestilenz.“

„Mein liebstes …“

„Das habe ich schon benutzt!“, rief sie triumphierend.

Es schien nur einen Weg zu geben, um doch noch den Sieg davonzutragen – und dieser Weg war einfach zu verführerisch, als dass Quinn hätte widerstehen können.

Entschlossen nahm er ihr Gesicht zwischen beide Hände und küsste sie mitten auf den Mund.

Nie war Quintus MacLachlann von einer so plötzlichen und heftigen Leidenschaft gepackt worden wie in diesem Moment, da seine Lippen Esmes berührten. Es schien ihm, als hätte ihn eine Welle mitgerissen, die heiß und überwältigend war und ihm die Luft zum Atmen nahm.

Wie hätte er ahnen sollen, dass Esme McCallans Mund so süß, so aufregend sein würde? Er hatte nicht gewusst, wie sehr er sich wünschen würde, den Kuss einfach nicht enden zu lassen – oder dass er der einzige Mann wäre, der sie jemals küssen durfte.

3. KAPITEL

Esme war in ihrem ganzen Leben noch nicht so verwirrt und bestürzt gewesen.

Quintus MacLachlann küsste sie, und es war ganz und gar nicht unangenehm. Sein Mund lag auf ihrem, seine Lippen spielten sanft mit ihren, und sie fand das Gefühl überhaupt nicht abstoßend. Sie fand es vielmehr völlig berauschend, als hätte sie den gesamten Inhalt von Jamies Cognacflasche mit einem Schluck geleert.

Sie war noch nie geküsst worden, kein einziges Mal. Kein Mann hatte es jemals gewollt oder gewagt. Nur MacLachlann, der Schurke, der wahrscheinlich schon Tausende von Frauen geküsst hatte, und das wohl mit weniger aufrichtiger Zuneigung, als er einem nützlichen Pferd oder Hund entgegenbringen würde.

Scham und Abscheu vor ihrer eigenen Schwäche ließen Esme abrupt zurückweichen.

„Wie können Sie es wagen!“, fuhr sie MacLachlann an, während sie sich in die entfernteste Ecke der Kutsche zurückzog. „Sie … Sie gemeiner Kerl! Tun Sie das nie wieder! Sonst schreibe ich meinem Bruder, und Sie werden nie wieder für ihn arbeiten dürfen!“

Statt erschrocken zu sein, verschränkte Quinn nur die Arme vor der Brust und betrachtete Esme mit leicht belustigter Miene. „Wie kann ein harmloser Kuss Sie nur so in Aufruhr versetzen?“

Seine reuelose, ungenierte Haltung traf sie zutiefst. Aber natürlich war auch das nur wieder ein Beweis für seinen abscheulichen Charakter. „Es war ein Kuss, den ich nicht wünschte, nicht herausgefordert und nicht genossen habe. Es war außerdem ein Affront gegen meine Würde und ein Zeichen von unglaublicher Respektlosigkeit.“

Der Mann grinste nur!

„Du meine Güte, all das? War es auch Landesverrat?“

„Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn ich mich plötzlich auf Sie stürzen würde und anfinge, Sie zu begrapschen?“

„Warum probieren Sie es nicht aus? Dann werden wir ja sehen, was ich tue.“

Esme war entsetzt, erschüttert, empört – und versucht, seiner Herausforderung zu folgen, was gewiss falsch und sündhaft wäre.

„Oder fürchten Sie um Ihre Tugend? Wenn ja, seien Sie versichert, dass Sie die letzte Frau in ganz England wären, die ich je zu verführen wünschte.“

„Als ob Sie auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg hätten!“

„Vorsicht, Miss McCallan“, erwiderte er mit einem Lächeln, das sie ihm am liebsten mit einer Ohrfeige aus dem Gesicht gewischt hätte. „Ich liebe Herausforderungen.“

„Sie abscheulicher, eitler Fatzke! Schon der Gedanke, Sie könnten mich berühren, lässt mich schaudern! Sie sind unmöglich! Eigentlich sollte ich befehlen, dass die Kutsche sofort umkehrt.“

MacLachlann wurde ernst. „Jamie zählt auf uns. Haben Sie das vergessen? Wollen Sie ihm so vergelten, was er alles für Sie getan hat? Ich kann mir keinen anderen Mann in ganz England vorstellen, der seiner Schwester erlauben würde, eine so wichtige Rolle in seinem Leben zu spielen, geschweige denn in seiner Kanzlei.“

Er hatte recht, aber sie nicht weniger. „Dann muss ich darauf bestehen, dass Sie mich in Zukunft mit Respekt behandeln und nicht wie eine Ihrer Kokotten.“

„Ich gebe zwar zu, dass es ein Fehler war, so ohne Vorwarnung zu handeln, aber ich pflege keinen Umgang mit Prostituierten“, sagte er ohne einen Hauch von Reue. „Und wenn wir als Augustus und seine Frau durchgehen wollen, gewöhnen Sie sich besser an den gelegentlichen spontanen Kuss. Die Männer in meiner Familie sind für ihre Leidenschaft und öffentliche Zurschaustellung ihrer Gefühle bekannt. Wenn ich Sie niemals liebkose, wird man anfangen, sich deswegen Gedanken zu machen.“

Für wie naiv hielt er sie eigentlich? Er suchte gewiss nur nach einem Vorwand für jeden nur möglichen lüsternen Impuls, der ihn packen mochte. „Ich glaube kein Wort.“

„Warum sollte ich Sie denn sonst küssen wollen?“, konterte er.

Da es sich um Quintus MacLachlann handelte, dem es ausgesprochene Freude zu machen schien, sie zu ärgern und zu quälen, konnte es nicht sein, weil er sie anziehend fand. Es musste also einen anderen Grund geben – und schon hatte Esme ihn gefunden. „Um mich auf die einzige Weise zum Schweigen zu bringen, die einem Mann Ihres Schlages einfällt. Weil Sie nicht in einem Streitgespräch von mir übertroffen werden wollten.“

Seine Miene verriet ihr, dass sie richtig geraten hatte, was sie ausgesprochen enttäuschend fand. Aber das durfte sie nicht zulassen. Nichts daran war enttäuschend, wenn der Mann, der sie geküsst hatte, Quintus MacLachlann war.

Ein zögerndes Lächeln erschien um seine Mundwinkel. „Das beweist ja nur, wie recht ich hatte. Mein Bruder ist ein Mann meines Schlages, Miss McCallan, also würde er die gleiche Methode benutzen, um seine Frau in einer ähnlichen Situation zum Schweigen zu bringen.“

„Wenn es wahr ist“, warf sie skeptisch ein, „sollten wir eine Art Signal vereinbaren, damit ich mich gegen Ihre Übergriffe stählen kann. Sonst wäre es sehr wahrscheinlich, dass ich erschrocken vor Ihnen zurückweiche.“

Er runzelte die Stirn. „Der Kuss hat Ihnen gefallen, sonst hätten Sie mich zurückgestoßen, kaum dass ich Sie berührt hätte. Versuchen Sie nicht, es zu leugnen. Wir wissen es beide.“

Esme gab ihm insgeheim recht, aber es ihm gegenüber offen zuzugeben, hieße, ihn die Oberhand gewinnen lassen, und das würde sie nie tun. Er war immerhin ein Mann, und Männer waren der Überzeugung, dass sie jedes Recht hatten, über eine Frau zu herrschen. Außerdem war er ein sehr maskuliner, kräftiger, selbstsicherer Mann, der sie mit seinem Kuss vollkommen überwältigt hatte. Sie musste unbedingt achtgeben, dass so etwas nicht wieder geschah, sonst würde MacLachlann versuchen, die Kontrolle über ihr geheimes Vorhaben an sich zu reißen. Und über sie selbst. „Ich kann wirklich nicht leugnen, dass Sie ein gewisses Geschick in dieser Hinsicht besitzen, MacLachlann. Einen Moment lang fand ich es ganz interessant. Aber ich bin nicht wie die Frauen, mit denen Sie sich gewöhnlich abgeben. Am besten denken Sie daran und warnen mich, bevor Sie wieder etwas Ähnliches versuchen – natürlich im Namen der Glaubwürdigkeit.“

MacLachlann verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie wäre es mit einem Augenzwinkern?“

„Überhaupt nicht auffällig“, meinte sie spöttisch, „dabei scheint mein Bruder Sie für einen Meister der Diskretion zu halten.“

„Das bin ich ja auch. Sonst wüssten Sie doch alles über mein Privatleben, und Sie wissen nichts.“

„Ich habe auch nicht den Wunsch, etwas über Ihr Privatleben zu erfahren.“

Trotzdem musste sie zugeben, dass sie sich manchmal Gedanken darüber machte, wo er lebte und mit wem er seine freie Zeit verbrachte. Ganz besonders, nachdem er einen Abend mit Jamie zusammen gewesen war und beide in der Bibliothek gelacht hatten. MacLachlann hatte ein attraktives Lachen, wohlklingend, tief und fröhlich.

„Dann sehe ich Sie so an“, sagte er leise.

Konnte ein einziger Blick eine solche Hitze in einem Menschen erwecken? Wie ließ sich sonst die seltsame Erregung erklären, die Esme überkam, als er sie mit diesem leidenschaftlichen Ausdruck ansah?

So etwas durfte sie auf keinen Fall ermutigen! „Wenn das alles ist, was Ihnen einfällt, schlage ich etwas anderes vor.“

„Wie soll ich also Ihrer Meinung nach meine Leidenschaft für meine Frau ausdrücken?“, fragte er herablassend.

„Indem Sie sie mit Höflichkeit und Respekt behandeln. So zeigt ein Gentleman seine Zuneigung zu seiner Frau.“

„Oder zu seiner Mutter und seinem König“, entgegnete er. „Seiner Frau gegenüber sollte er doch wohl ein wenig leidenschaftlicher sein, meinen Sie nicht? Aber vielleicht tun Sie es ja nicht, und in dem Fall muss ich Ihren Gatten bemitleiden, sollten Sie je einen bekommen.“

Seine Worte trafen sie wie eine Ohrfeige, denn insgeheim wünschte Esme sich schon, einmal zu heiraten und Kinder zu bekommen. „Wenn Sie unbedingt Ihre Gattenliebe öffentlich demonstrieren müssen, reicht auch ein schlichter Kuss auf die Wange.“

„Nun gut“, gab er zu ihrer Erleichterung nach. „Ein kleines Küsschen auf die Wange also.“

Damit wandte er den Kopf ab, um aus dem Fenster zu blicken, und sagte kein Wort mehr.

Quinn war froh, dass Esme bis zu ihrem ersten Reiseziel stumm blieb. Er wollte nicht wieder mit ihr streiten und sich mit spöttischen Bemerkungen bombardieren lassen. Es reichte ihm schon, wie ungestüm sie ihm klargemacht hatte, dass es ihr sehr unangenehm war, seine Frau darstellen zu müssen. Was den Kuss betraf … Obwohl sie sich angestellt hatte, als hätte er ihr hier in der Kutsche Gewalt antun wollen, hatte sie seinen Kuss mit überraschender Leidenschaft erwidert. Zumindest am Anfang.

Jedenfalls durfte er sich nicht vorstellen, wie er Esme McCallan hier und jetzt in Besitz nahm, ihren verführerischen Leib an sich drückte und sich in ihr verlor, bis sie beide den Gipfel aller Wonnen erreichten.

Liebe Güte, was war nur los mit ihm? War es die Müdigkeit? War er krank, dass er sich in solchen Fantasien erging?

Oder war er tatsächlich einsam?

Zum Glück blieben nur noch wenige Meilen bis zu ihrem Ziel, und bald schon erreichten sie den Gasthof in Stamford. Es war ein Ort voller Menschen – Gäste, Diener, Lakaien, Stallknechte und Stubenmädchen –, die geschäftig hin und her liefen. Weinreben rankten sich an der Mauer hoch, die den Gasthof umgab. Große Steintröge standen mit Wasser gefüllt bereit für die durstigen Pferde, Rauch drang aus den Schornsteinen der Gaststube und Küche. Obwohl es noch nicht ganz Abend war, verhieß das Schimmern in den Fenstern Licht und Wärme für die Gäste.

Zufrieden stellte Quinn fest, dass es nicht mehr regnete, und half Esme pflichtbewusst und wie es ihre Rollen verlangten, aus der Kutsche heraus. In der Zwischenzeit lief der Gastwirt, ein dünner, blasser Mann in einfacher Jacke, weißem Hemd und dunkler Hose, eilig auf sie zu. Ein kräftigerer Diener kam aus dem Stall heraus und begann, ihr Gepäck herunterzuhieven.

„Guten Tag!“, rief der Gastwirt, wobei er den Blick prüfend über ihre Kleidung und die Kutsche gleiten ließ. Quinn war sicher, dass der Mann ihren Wert bis auf den Penny genau abschätzen konnte. „Bleiben Sie über Nacht, Sir?“

„Ja.“ Quinn und schenkte ihm sein liebenswürdigstes Lächeln. „Meine Gattin und ich benötigen zwei Räume.“

Der Gastwirt runzelte leicht die Stirn und rieb sich den fast kahlen Kopf. „Zwei, was? Es tut mir nur leid, sagen zu müssen, Sir, dass wir fast ganz ausgebucht sind. Ich habe nur ein Zimmer übrig, das für Sie und Ihre Gemahlin gut genug wäre.“

Das war ein Problem.

„Ich bin sicher, eins wird reichen“, warf Esme mit süßer Stimme ein und hakte sich bei Quinn ein.

Es kostete ihn enorme Anstrengung, sie nicht anzustarren. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass Esme McCallan so fügsam und gutmütig klingen könnte. Was das Gefühl ihres Arms an seinem anging und die Aussicht darauf, ein Schlafzimmer mit ihr zu teilen …

Himmel noch mal, wie lange war es eigentlich her, dass er eine Frau gehabt hatte? Offensichtlich zu lange. Was sonst könnte die heiße Erregung erklären, die ihn sofort packte, kaum dass diese höhnische, prüde Frau, die ihn sonst kaum eines Blickes würdigte, außer um ihm ihre Missbilligung zu zeigen, ganz harmlos berührte? Sie konnte ihn kaum ertragen, und er hatte sich von einem einzigen Kuss und jetzt dieser Berührung mehr hinreißen lassen als von den verführerischsten Bemühungen der geschicktesten Kurtisane.

Entschlossen, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen, tätschelte er ihr die behandschuhte Hand. „Ja, eins wird völlig genügen. Bitte zeigen Sie uns das Zimmer und lassen Sie das Gepäck hinaufbringen. Und wir möchten natürlich zu Abend essen. Auf unserem Zimmer.“

Esme drückte leicht seine Hand, aber er achtete nicht darauf, sondern folgte dem Gastwirt über den Hof und in den überfüllten Schankraum. Wie nicht anders zu erwarten, sahen sich mehrere von den Gästen nach den Neuankömmlingen um und nicht wenige Männer betrachteten Esme mit unverhohlener Bewunderung.

Quinn konnte sich denken, was ihnen durch den Kopf ging. Sie fanden Esme schön und begehrenswert. Und sie würden sie liebend gern in ihr Bett locken, wenn ihnen sich die Gelegenheit bieten würde.

Plötzlich wurde er von Eifersucht gepackt, heftig und ungewohnt, und er funkelte die Männer finster an, als wären sie Diebe, die ihm seinen kostbarsten Besitz stehlen wollten.

Nicht, dass Esme seiner Hilfe bedurfte. Sie konnte einen Mann mit einem Blick und einigen gewählten scharfen Worten in seine Schranken weisen, wenn sie das Gefühl hatte, man wollte sie beleidigen.

„Hier entlang, Madam, Sir“, sagte der Gastwirt, nachdem sie den ersten Stock erreicht hatten. Er öffnete die Tür zu einem kleinen, aber gemütlich ausgestatteten Zimmer. Zwar gab es eine Kommode und einen Waschtisch, doch den meisten Raum nahm ein großes, mit Vorhängen versehenes Himmelbett ein, das aussah, als wäre es mindestens zweihundert Jahre alt. „Wann möchten Sie zu Abend essen?“

„Um acht Uhr“, erwiderte Quinn, während Esme zum kleinen Fenster hinüberging und auf den Hof hinuntersah. „Frühstücken werden wir um sechs.“

„Wie Sie wünschen, Mylord. Die Stiefel stellen Sie bitte vor die Tür zum Putzen, wenn Sie so freundlich sein möchten.“

„Danke.“

Mit einem Nicken verließ der Gastwirt das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Quintus MacLachlann befand sich in einem Raum mit einem großen, wahrscheinlich sehr gemütlichen Bett.

Und einer schönen Frau, die ihn verabscheute.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Esme, wie MacLachlann auf das Himmelbett zuging und die Hand auf die braune Wolltagesdecke legte, als wolle er prüfen, ob es weich war oder stabil genug.

Lieber Himmel, er dachte doch wohl nicht … „Sie werden selbstverständlich auf dem Boden schlafen heute Nacht“, sagte sie, während sie sich zu ihm umwandte.

MacLachlann ließ sich ungerührt auf die Matratze fallen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, die Beine an den Knöcheln gekreuzt. Dabei hatte er noch immer seine Stiefel an.

„Haben Sie vergessen, dass wir angeblich miteinander verheiratet sind?“, fragte er, als hielte er sie für schwer von Begriff.

Erbost blickte sie wieder aus dem Fenster. „Angeblich“, betonte sie. „Sie sind der letzte Mann auf Erden, den ich je …“

Ein Bild erschien ungebeten vor ihrem inneren Auge: Quintus MacLachlann in derselben Haltung auf dem Bett, nur nackt und lächelnd mit einem einladenden Blick …

„Den Sie je was?“, ermutigte er sie. Seine Stimme klang tief und ein wenig heiser, und seltsamerweise sehr dicht hinter ihr.

Esme fuhr zusammen. War er aufgestanden?

Wo er auch sein mochte, er sollte nicht wissen, dass sie sich dafür interessierte, wo er gerade war. Also wandte sie nicht einmal den Kopf, um in den kleinen Spiegel über dem Waschtisch zu schauen.

„Den ich je heiraten würde“, fuhr sie fort. „Wenn Sie das Beste sind, was ich mir erhoffen könnte, bleibe ich liebend gern unverheiratet. Sie sind mir zu anmaßend, unhöflich, grob und ungesittet. Wie ja auch Ihr Benehmen in der Kutsche bewiesen hat.“

„Ich nehme an, Sie beziehen sich auf den Kuss.“

Natürlich bezog sie sich darauf. Wie konnte er nur denken, sie hätte eine so freche Vertraulichkeit genossen?

Nur, dass sie genau das getan hatte, und zwar viel zu sehr. Selbst jetzt musste sie ständig daran denken und fragte sich, ob sie dasselbe Verlangen, dieselbe Erregung empfinden würde, wenn er sie wieder küsste. „Ich beziehe mich auch auf Ihre unverschämte Art, mich anzureden. Und auf Ihre respektlos lässige Haltung.“

„Du meine Güte!“, rief er spöttisch wie immer. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass sogar meine Körperhaltung mich in Ihren kritischen Augen zum Unhold verdammt.“

Entschlossen, sich nicht von ihm einschüchtern zu lassen, drehte Esme sich um und stellte leicht erschrocken fest, dass er nicht weit von ihr entfernt stand und aussah wie der Inbegriff des attraktiven Gentleman. Aber natürlich war er kein Gentleman.

Und sie war kein lockeres Mädchen, sondern Jamie McCallans Schwester und eine tugendhafte Frau, die erwartete, dass man sie mit Respekt behandelte. „Ihre Redeweise ist äußerst unpassend, genau wie jener Kuss.“

„Unpassend, aber angenehm.“

„Für Sie vielleicht, nicht für mich.“

Sein Lächeln vertiefte sich. „Lügnerin.“

„Sie sind unerträglich!“ Wieder wandte sie sich von ihm ab und schlang die Arme um sich.

„Es hat Ihnen gefallen.“

„Lassen Sie mich zufrieden.“

„Mir hat es auch gefallen.“

Sie durfte ihm nicht zuhören. Den Worten eines Mannes wie MacLachlann konnte man keinen Glauben schenken. Trotz seiner neuen, respektablen Erscheinung, war er nichts weiter als eine Schande für seine Familie und ein Wüstling, der wahrscheinlich unzählige Frauen verführt hatte. Daran musste sie sich immer erinnern, wenn sie wieder das Verlangen spürte, von ihm geküsst zu werden. „Gehen Sie!“

Es klopfte an der Tür.

Zutiefst dankbar für die Unterbrechung, eilte Esme an ihm vorbei und öffnete. Der kräftige Diener stand da, ihren Koffer mit der neuen Garderobe auf der Schulter.

„Bitte stellen Sie das ans Ende des Bettes“, wie sie ihn an.