Hatschepsut. Der goldene Falke - Birgit Fiolka - E-Book

Hatschepsut. Der goldene Falke E-Book

Birgit Fiolka

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Beschreibung

Überarbeitete Fassung mit neuem Cover, verbessertem Textsatz und Illustrationen Hatschepsut verhilft dem Land zu neuem Wohlstand. Sie schickt ihre Schiffe auf eine Expedition ins sagenumwobene Punt; und die Götter scheinen weiterhin auf ihrer Seite zu stehen. Ihre Vertrauten stärken ihre Machtposition. Doch nach seinem Feldzug gegen den mitannischen König gelingt es ihrem Neffen Thutmosis, das ägyptische Heer auf seine Seite zu ziehen. Und als ein Feind der Vergangenheit zurückkehrt, muss Hatschepsut einmal mehr um ihr Leben und ihren Thron fürchten … 10 Jahre nach ihrem ersten Ägyptenroman und Bestseller "Bint-Anat. Tochter des Nils" kehrt Birgit Fiolka mit der faszinierenden Lebensgeschichte der Pharaonin Hatschepsut zu ihren schriftstellerischen Wurzeln zurück. Dabei lässt sie die Leser tiefer als je zuvor in die Welt und Mythologie des Alten Ägypten eintauchen und eröffnet einen Blick auf das Leben und den Charakter Hatschepsuts, der weit unter die Oberfläche ihrer Herrschaft reicht.

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Seitenzahl: 437

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Birgit Fiolka

Hatschepsut. Der goldene Falke

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Personenregister

Der Tagfahrt erste Stunde ist jene, welche Re erscheinen lässt

Der Tagfahrt zweite Stunde ist jene, welche die Finsternis vertreibt

Der Tagfahrt dritte Stunde ist jene, welche die Bas der Götter lobt und Millionen erblickt

Die vierte Stunde der Tagfahrt ist jene, die das Licht des Aufgangs schaut

Der Tagfahrt fünfte Stunde ist jene der Göttin

Der Tagfahrt sechste Stunde ist jene, die aufsteigt im Ergreifen des Seth

Der Tagfahrt siebte Stunde ist jene, die das Herz weit macht

Der Tagfahrt achte Stunde ist jene von Werden und Entstehen

Der Tagfahrt neunte Stunde ist jene vom herrlichen Geheimnis

Der Tagfahrt zehnte Stunde ist jene des Hinabsteigens zur Seket-Barke

Der Tagfahrt elfte Stunde ist jene, welche schön zu schauen ist

Der Tagfahrt zwölfte Stunde ist jene, welche Schutz gibt in der Dämmerung

Epilog

Nachwort

Glossar

Impressum neobooks

Personenregister

Thutmosis I. (Aakheperkare)

Hatschepsuts Vater

Ahmose

Große Königliche Gemahlin Thutmosis I.

Mutter der Hatschepsut, der Neferubity,

des Amunmose und Wadjmose

Mutnofret

Zweite Gemahlin Thutmosis I., Mutter Thutmosis II.

Thutmosis II. (Aakheperenre)

Halbbruder Hatschepsuts, ihr Gemahl und Pharao

Hatschepsut (Maatkare)

Erbprinzessin, Große Königliche Gemahlin von

Thutmosis II., Gottesgemahlin des Amun, Pharao

Isis

Zweite Gemahlin Thutmosis II., Mutter Thutmosis III.

Thutmosis III. (Menkheperre)

Sohn Thutmosis II. und seiner zweiten Gemahlin Isis,

Erbprinz, Pharao

Nofrure

Tochter Hatschepsuts und Thutmosis II.,

Erbprinzessin

Ipu

Gemahlin des Ahmose-Pennechbet, Mutter der Satjah

Ahmose-Pennechbet

Erzieher der Erbprinzessin Nofrure, Gemahl der Ipu,

Vater der Satjah

Hui

Hofdame Hatschepsuts, erste Dienerin,

Mutter der Meritre-(Hatschepsut)

Hapuseneb

Oberster Prophet des Amun in Karnak

Sary

Kommandant der Leibwache Hatschepsuts,

Bruder des Ameni

Senenmut

Vorsteher der Kornspeicher des Amun, Nofrures Erzieher,

Haushofmeister Hatschepsuts und Nofrures,

Vermögensverwalter des Amun in Karnak

Ameni

Ehemaliger Geliebter Hatschepsuts, Bruder des Sary

Nehesi

Schatzmeister, Anführer der Punt-Expedition

Iti

Hohepriester des Ptah in Memphis

„... Diejenigen, die kommen werden und diese Monumente sehen, sollen nicht sagen, dass es nicht geschehen ist, noch dass es Prahlerei war.

Sie sollen sagen – wie ihrer würdig ist dies – wie würdig ihres Vaters!“

Inschrift auf dem Obelisken Pharao Hatschepsut Maatkares

Gewidmet meiner Senet im Geiste

Daniela

Weil du immer wieder gesagt hast

„... schreib ihre Geschichte ...“

und sie ohne dich vielleicht in meinem Kopf, aber nicht niedergeschrieben wäre.

Vielen Dank, dass du nicht aufgegeben hast, es mir abzuverlangen!

Der Tagfahrt erste Stunde ist jene, welche Re erscheinen lässt

Die westliche Wüste, Jahr 8 der Herrschaft Hatschepsut Maatkares

Wie Isis die Herrin der fruchtbaren Nilflut war, so war der rote Seth der Herr der Wüste und der salzigen Tränen, die alles veröden ließen ... den Ka eines Menschen ... und sein Herz. Wer, wenn nicht Sary, der Einäugige, hätte das besser gewusst. In seinem verbliebenen Auge loderte das Feuer des Hasses, während er auf die flimmernde Luft starrte, die sich über dem heißen Sand des Westufers erhob. Der Name des Festes, das in diesen Tagen gefeiert wurde – das Schöne Fest vom Wüstental – war Hohn im Angesicht der brütenden Schemu-Hitze, die sich über der Wüste staute.

Von Weitem vernahm Sary die Flöten, Sistren und Gesänge der Priester, die Amun in seinem Schrein zum Djeser Djeseru trugen, dem fast vollendeten Millionenjahrtempel Pharao Hatschepsut Maatkares. Wie ein Lied aus Trauer und nie endender Schuld schienen die Festgesänge Sary bis ins unwirkliche Land des roten Seth zu verfolgen.

Sein verkrustetes Herz begann sich in seinem Brustkorb zu regen. Sie ... die goldene Hure, hatte das Djeser Djeseru von ihrem Günstling Senenmut erbauen lassen ... einen Ort, an dem man ihrer gedenken sollte ... der von ihren großen Taten erzählte – jenen Taten, die sie noch zu vollbringen gedachte. Die elende Hure säugt sich am goldenen Euter der Hathor fett und rund, enthält jedoch die Milch der Himmelskuh dem wahren Herrscher Ägyptens vor. So dachte Mutnofret, die Witwe des zu Osiris gegangenen Pharao ... und so dachten Viele im Geheimen. Sary kannte nur Wenige von ihnen ... Ipu, die Witwe des zu Osiris gegangenen Ahmose-Pennechbet, die einst Hatschepsuts Dienerin und Vertraute gewesen war. Doch leider gab es auch jene, die Hatschepsut umschwärmten wie die Fliegen einen Haufen Rinderscheiße und von ihr mit Gold, Ämtern und bösen Zaubern blind gegen die Maat gemacht wurden.

Sary hatte es geahnt, als er Senenmut damals in der Tempelanlage von Karnak in die Augen gesehen ... und jenen verlorenen Ausdruck dort entdeckt hatte, den auch Amenis Augen gehabt hatten. Er hatte den Vorsteher der Kornspeicher vor ihr gewarnt ... vor ihren Lügen, ihrem Gift – jenem Gift, das auch Ameni zum Verhängnis geworden war. Doch Senenmut war längst dem Zauber der Gottestochter verfallen gewesen, ebenso wie die anderen Speichellecker, die Hatschepsut letztendlich auf den Thron der beiden Länder gehoben und ihren Verrat mit Gold und Lügen versüßt hatten.

Doch Hatschepsut Maatkare war in den folgenden Nilschwemmen noch weiter gegangen – sie zählte die Zeit der Herrschaft ihres Neffen Thutmosis zu ihren eigenen Regierungsjahren ... tatsächlich waren erst fünf Nilschwemmen vergangen, seit sie nach den beiden Kronen gegriffen hatte, doch gezählt wurde bereits das achte Jahr ihrer Herrschaft.

Sary spie in den heißen Sand und stieß einen Fluch aus. Sie würde stürzen, wie sie emporgestiegen war ... dieses verdorrte Herz in seinem Brustkorb würde nicht aufhören zu schlagen, bevor die Goldene Hure vor seinen Füßen im Dreck lag!

Re war im Begriff, von Nut verschlungen zu werden. Bald würden die vielen Menschen, welche der Festprozession zum Djeser Djeseru gefolgt waren, Fackeln entzünden und wie Fliegen in die westliche Wüste ausschwärmen, um die Gräber ihrer Familien und Freunde zu besuchen, Opfer darzubringen und mit den Toten zu speisen. Sary scheute die Menschen seit Unesch, der Sohn eines Schweines, ihm den Schädel geöffnet hatte. Und wie er die Menschen mied, so mieden sie ihn. Sie starrten ihn an, sobald er vorüberging – sie starrten auf das blank polierte Stück seines Schädels, das er an einer Kette um seinen Hals trug ... und sie starrten auf die haarlose Stelle auf seinem Kopf und in sein verbliebenes Auge. Einige von ihnen machten das Zeichen gegen den bösen Blick, wenn sie ihm begegneten. Sary wusste, die Menschen sahen den Hass in seinem brennenden Blick, und sie fürchteten ihn wie den glutäugigen Seth. Sollten sie es – sie hatten Grund dazu!

Nut spannte bereits ihren Sternenkörper über der Wüste aus, als Sary die kleine Kapelle erreichte, welche über dem Grab seines Bruders errichtet worden war. Wie in jeder Nilschwemme um diese Zeit wollte er allein mit Ameni sein, seinem zornigen Ach Speise und Trankopfer darbringen und den Schwur erneuern ... seinen Schwur auf Rache und Vergeltung.

Sary betrat die Kapelle, in der es so heiß und stickig war, dass er kaum atmen konnte. Staub und Sand wirbelten auf, da niemand außer ihm diesen Ort besuchte ... auch Amenis Geliebte nicht, die längst in den Armen eines anderen lag. Der zerschundene Leib Amenis ruhte tief unter dem Boden der Kapelle in seiner kühlen Grabkammer mit Leinenbinden umwickelt in einem Sarkophag aus Zedernholz – Hatschepsut hatte keine Kosten für die Grablegung ihres Geliebten gescheut ... und ihn dann für immer vergessen.

Mit vor Zorn zitternden Händen entzündete Sary eine Wandfackel und betrachtete eine Weile die Licht-und Schattenspiele auf den Lehmziegelwänden. Dann öffnete er das Wachssiegel des mitgebrachten Weinkruges und wickelte das Brot aus dem Leinentuch.

Was nutzte seinem Bruder die beste Grablegung, wenn er ohne Augen, Zunge, Lippen und Nase durch die jenseitige Welt irren musste? Sary ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf dem gestampften Boden nieder und betrachtete die gegenüberliegende Wand ... jene Wand, vor der Amenis Ach stand und ihn stumm aus leeren Augenhöhlen anstarrte.

„Ich habe mein Versprechen nicht vergessen, Bruder“, flüstere Sary, während er die Hälfte des Weines auf dem Boden vergoss und dann den Krug an seinen Mund setzte, um selbst einen großen Schluck zu nehmen. „Wir müssen warten, bis der Knabe alt genug ist ... das goldene Schweinchen mag ein ebenso schwacher Herrscher werden, wie sein Vater es war, doch er ist der Falke, und es ist Maat, dass er die Kronen trägt.“

Amenis Ach regte sich nicht, er stand nur da und starrte ihn an ... das tat er, seit er ihm das erste Mal erschienen war. Sary wusste, es würde nicht verschwinden, bevor er seine Schuld nicht gesühnt hatte. Anfangs hatte er sich vor dem Ach seines Bruders gefürchtet, doch längst war der Anblick ihm vertraut geworden. Ameni war bei ihm ... immer ... an jedem einzelnen Tag seines verfluchten irdischen Lebens.

Von draußen drangen Stimmen in die Kapelle ... die Festprozession hatte sich aufgelöst, und die Menschen liefen singend durch die westliche Wüste, die in den Tagen des Schönen Fests vom Wüstental fast so belebt wie Theben selbst war. In den Tagen des Talfestes kam man nicht hierher, um die Toten zu betrauern, sondern um ihrer zu gedenken und im Kreise der Familie mit ihnen zu speisen.

Sary trank den letzten Rest Wein und spürte, wie sein Kopf unter der goldenen Schädelplatte, die Unesch ihm anstelle des ausgemeißelten Knochens eingesetzt hatte, zu hämmern begann. Bohrende Schmerzen waren das zweifelhafte Geschenk, welches Unesch ihm mit der Öffnung seines Schädels bereitet hatte. Hatschepsut hatte den ehemaligen Leibarzt des verstorbenen Falken bestrafen lassen – mit Stockhieben und dem Verbot, weiter als Sunu und Wab-Sachmet tätig zu sein. Es war eine lächerliche Strafe für die Qualen und Entstellungen, mit denen Sary leben musste.

Er schloss sein Auge und versuchte ruhig zu atmen. Sary konnte ihn nicht ertragen ... den Gedanken an Sie, die in diesem Augenblick über die Terrassen ihres Djeser Djeseru schritt, den Zeremonienbart an ihrem Kinn, Krummstab und Geißel in den Händen haltend, die Doppelkrone auf ihrem Kopf ... Ihr Götter, das könnt ihr nicht gewollt haben! Gepresst flüsterte Sary dem wartenden Ach seines toten Bruders zu: „Wo ist sie an diesem Tag, deine goldene Geliebte, mein Bruder? Keinen Gedanken verschwendet sie an dich, keinen Tropfen Wein. Stattdessen liegt sie in den Armen des Erziehers ihrer Tochter. Das Weib war dein Leben nicht wert. Doch beim zornigen Seth und der großen Neunheit von Theben, ich werde dich rächen, Ameni!“

Hatschepsut trat mit ausgestreckten Armen, vom Standbild Amuns zurück, ohne ihm dabei den Rücken zuzukehren. Das Antlitz des Gottes leuchtete im Schein der Feuerbecken, als lächele es ihr zu – zufrieden über die Ausrichtung des Festes. Sie hatte sich bemüht, ihren Vater Amun zu erfreuen. Dieses Talfest war das Schönste gewesen, das jemals gefeiert worden war, seit Hatschepsut denken konnte. Das war mitunter dem fast vollendeten Millionenjahr-Tempel zu verdanken, dem erstaunlichsten Bauwerk, das je für einen Pharao erbaut worden war. Es war vor allem Senenmuts und Hapusenebs Einfallsreichtum, dem das Djeser Djeseru seinen Glanz und seine unvergleichliche Erhabenheit zu verdanken hatte.

Der Oberste Prophet des Amun reichte Hatschepsut die Fackel, und sie tauchte diese in das bereitstehende Becken mit frischer Milch, wo sie mit einem letzten Aufflackern verlosch. Hatschepsut schloss die Augen und lächelte in sich hinein. Eine Welle aus Erleichterung floss durch ihre Adern und wärmte ihr Herz. Das Schöne Fest vom Wüstental war vorüber und ihr Vater Amun zufrieden.

Während Hatschepsut an der Seite Hapusenebs das Sanktuar verließ, berührte der Oberste Prophet ihren Arm. Hatschepsut blieb stehen, da Hapuseneb sich diese persönliche Geste nur erlaubte, wenn ihm etwas Wichtiges auf dem Herzen lag. „Dein Vater Amun ist zufrieden mit dir ... Kemet erblüht unter deinen goldenen Händen. Doch seit du die Kronen trägst, gibt es keine Gottesgemahlin des Amun mehr. Es ist an der Zeit, dass Nofrure in das Amt berufen wird.“

Hatschepsut blieb stehen und sah ihren ältesten Vertrauten nachdenklich an. Waren die Nilschwemmen so schnell vergangen? War es nicht erst vor wenigen Tagen gewesen, dass Hapuseneb ihr die Doppelkrone auf das Haupt gesetzt und ihr Heka Krummstab und Nechecha Geißel gereicht hatte? In Hapusenebs Gesicht konnte Hatschepsut jedoch sehen, dass es nicht erst vor wenigen Tagen gewesen war. Ein paar mehr Falten im nussbraunen Gesicht hatte der Oberste Prophet Amuns in den letzten fünf Nilschwemmen trotz seiner Beleibtheit bekommen, und Nofrure lief mit ihren acht Sommern längst auf ihren eigenen Beinen, anstatt auf Senenmuts Schoß zu sitzen.

„Amun soll wieder eine Gottesgemahlin an seiner Seite haben, Hapuseneb“, stimmte Hatschepsut zu. „Ich werde Nofrure im nächsten Mondumlauf nach Karnak bringen, damit sie die Weihen erhält.“

Hapuseneb deutete eine Verbeugung an. „Du bist weise, Horus, und mächtig an Ka-Kräften“, verfiel er in einen förmlichen Tonfall, denn sie hatten den Ausgang der Kapelle erreicht.

Hatschepsut übergab zwei wartenden Priestern die verloschene Fackel und trat, gefolgt von Hapuseneb, an den Rand der obersten Terrasse, wo ganz Theben sich versammelt zu haben schien, um seinen Pharao zu ehren. Amun, mein Vater ... betete Hatschepsut stumm in Gedanken, während sie die Arme hob, um ihre Mutter Nut, den Nachthimmel zu grüßen. Bist du zufrieden mit deiner Tochter, die du über die beiden Länder herrschen lässt nach deinem Willen?

Obwohl Hapuseneb ihr davon abgeraten hatte, dem Volk die mächtigste Form der göttlichen Erscheinung ihres Pharao zu offenbaren, trug sie den Pschent – die weiße und rote Doppelkrone Ober- und Unterägyptens und das Leopardenfell des Obersten Priesters über der Schulter sowie den Zeremonienbart. Nach ihrem Willen brannten unzählige Feuerbecken auf der obersten Terrasse des Tempels, die sie in goldenes Licht tauchten.

Während Hatschepsut die Macht der Kronen durch ihren Körper fließen ließ, warfen die Priester metallhaltige Pulver in die Feuerbecken, sodass alle Flammen gleichzeitig emporschnellten und die Osirisstatuen an den Säulenkapiteln in blendendes Licht tauchten, als sende Amun selbst dem Pharao seinen Gruß.

Tausend Stimmen erhoben sich aus dem Tal und stiegen zu ihr hinauf, um sie zu preisen ... „Der Falke ist erschienen ... Herr allen Lebens ... möge sie ewig leben!“

Ergriffen von der Gewaltigkeit des Augenblicks und der Liebe ihres Volkes, schloss Hatschepsut die Augen. An diesem Morgen, an dem die Götter sich im Djeser Djeseru versammelt hatten, sollte auch ihr Volk endlich das Wunder aller Wunder sehen: die göttliche Verwandlung, die ihr Vater Amun an ihr vollzogen hatte, als er ihr Heka Krummstab und Nechecha Geißel übergeben und sie mit den zauberreichen Kronen der beiden Länder gekrönt hatte.

In der Geste des lebensspendenden Ka hob Hatschepsut beide Arme, während der Jubel von Tausenden, die gekommen waren, ihren König zu ehren, ohrenbetäubend wurde. Wie eine einzige Stimme trugen sich die Lobpreisungen zwischen den Felsen im Tal hinauf zur obersten Terrasse des Heiligtums, auf dem Hatschepsut stand.

Amun, mein Vater ... was willst du, das ich tue? So wahr ich deine Tochter und dein Sohn bin ... ich werde es geschehen lassen!

Als sie die Augen öffnete und ihre Arme sinken ließ, herrschte plötzlich Stille. Der Wind hatte aufgehört zu wehen ... als hielte die Natur den Atem an, um das Erscheinen von Amuns Tochter zu preisen. Hatschepsut sah hinunter auf die vielen gebeugten Rücken im Vorhof ihres Heiligtums. Weißes Leinen und bunte Tücher, allerlei Kupferschmuck und Blumengebinde leuchteten im Schein der Fackeln ... ihr Volk hatte sich geschmückt, um sie und ihren Vater Amun angemessen zu ehren.

Könnte ich euch doch die Wunder zeigen, die sich hinter den Mauern des Heiligtums verbergen und teilhaben lassen an Amuns Schönheit und Größe. In diesem Augenblick meinte Hatschepsut, in ihrem Herzen die Stimme ihres Vaters Amun zu vernehmen, der ihr seine Wünsche kundtat. Sie würde einen Ort erschaffen, an dem das Volk von Kemet Amuns Liebe und Kraft spüren konnte. Einen Ort, an dem die Menschen nicht ausgeschlossen, sondern eingeladen wurden, in Amuns göttlicher Nähe zu verweilen.

Sie spürte, wie Hapuseneb neben ihr hüstelte und erwachte wie aus einem Traum.

„Horus ...“

Hatschepsut trat vom Rand der Terrasse zurück und folgte Hapuseneb zurück in den inneren Hof der obersten Terrasse. Ihr Zeremonienmeister sowie der Bewahrer der Kronen erwarteten sie bereits, um die mächtige Doppelkrone in Empfang zu nehmen. Hatschepsut seufzte. Wie immer, wenn die Kronen von ihrem Kopf genommen wurden, fühlte sie sich leicht und frei. Es war der Augenblick, in dem der Gott einen Schritt zurücktrat und die Frau mit dem dreieckigen Katzengesicht zum Vorschein kam ... die Mutter ... die Geliebte.

Nun hatte auch der Herr allen Lebens endlich Zeit für ein wenig Familienleben.

Hui, ihre engste Vertraute und erste Dienerin, konnte ihr zufriedenes Lächeln nicht verbergen, als Hatschepsut, das erste Mal seit zwölf Tagen ohne den ernsten Gesichtsausdruck des Königs, zu ihr trat.

Nofrure und Huis eigene Tochter Meritre, die etwa gleichaltrig waren, saßen auf einer Treppe des inneren Hofes, welche in die Opferkapelle führte, und malten mit ihren Fingern Bilder in den Sand, den die Wüste auf die Terrassen des Djeser Djeseru wehte. Als die Mädchen Hatschepsut sahen, standen sie auf, klopften den Sand aus ihren Leinenkleidern und schlenderten Hand in Hand auf Hatschepsut und Hui zu.

Ipu, Hatschepsuts ehemalige Dienerin und Amme des neunjährigen Thutmosis, stand mit ihrer eigenen Tochter Satjah und dem Knaben etwas abseits. Dies, so überlegte Hatschepsut, schien Ipus Schicksal zu sein, seit sie die Gemahlin und bereits zwei Nilschwemmen später Witwe des Ahmose-Pennechbet geworden war – abseits zu stehen.

Ihr Neffe und Mitregent starrte Hatschepsut düster aus seinem pausbackigen Gesicht entgegen. Seine Abneigung gegen sie hatte der Knabe nie ablegen können, und Hatschepsut musste sich eingestehen, dass Thutmosis ihrem Herzen in den letzten Nilschwemmen ebenfalls nicht näher gekommen war. Trotzdem bemühte sie sich um Freundlichkeit und Nachsicht, was ihn anging.

„Ich will zurück in den Palast“, maulte der Neunjährige deutlich hörbar und Ipus Tochter Satjah, seine Milchschwester, konnte nicht schnell genug zustimmend nicken.

Hatschepsut erinnerte sich an die Nacht, in der ihr Brudergemahl zu Osiris gegangen war und Sary den verängstigten Knaben zu ihr gebracht hatte. Er hat es schwer ... sein Vater ist tot, und seine Mutter habe ich auf ein Landgut im Delta verbannt. Mutnofret hat sein Herz vergiftet ... ich muss nachsichtig ihm gegenüber sein. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Zuerst musst du Amun in seinem Schrein ein Opfer bringen, Thutmosis. Du bist Horus, der lebende Gott auf Erden ... ebenso wie ich.“

„Nein, ich habe keine Lust“, begehrte Thutmosis auf und reckte trotzig das Kinn. „Überhaupt kann es nicht zwei Falken auf dem Thron geben ... wenn ich Horus bin, so kannst du es nicht sein!“

Hatschepsut zog die Brauen hoch, während Ipu den Knaben streng zurechtwies. „Mein König, so darfst du nicht reden ... du ziehst den Zorn der Götter auf dich.“ Ipu, einst ein hochnäsiges jedoch hübsches Ding, mittlerweile aber schwammig und aufgedunsen von den Süßspeisen und dem Wein, mit denen sie ihr Selbstmitleid bekämpfte, machte das Zeichen gegen den bösen Blick. Ihre Furchtsamkeit und ihren tief verwurzelten Aberglauben hatte sie nie verloren.

„Und warum?“, schrie Thutmosis ungehalten und riss sich von ihrer Hand los. „Wenn ich der Herr allen Lebens bin, kann ich tun und lassen, was ich will.“

Ipu hob beschwichtigend die Hände und wusste nicht, wie sie den jähzornigen Knaben zügeln sollte. Sie warf Hatschepsut einen flehenden Blick zu. An manchen Tagen tat ihre ehemalige Dienerin Hatschepsut leid. Ein einfaches Amt hatte sie ihr versprochen, aber es hatte sich herausgestellt, dass es alles andere als einfach war, mit dem jungen Thutmosis umzugehen. Zu allem Überfluss tat Ipus eigene Tochter Satjah alles, was Thutmosis ihr befahl; und wenn er ihr befahl, nicht mit ihrer Mutter zu sprechen, weil er selbst einen Groll gegen Ipu hegte, so gehorchte Satjah und sprach kein Wort mehr mit ihrer Mutter.

„Wer hat dir gesagt, dass es nicht zwei Falken geben darf, Thutmosis?“, mischte sich Hui, die einen weitaus schärferen Verstand besaß als Ipu, ein.

Thutmosis bedachte Hui mit einem erschrockenen Blick und schwieg verbissen. Hatschepsut schüttelte den Kopf. Sowohl sie als auch Hui wussten, dass es die Worte Mutnofrets waren, die aus Thutmosis Mund herausschossen wie Giftpfeile. Sie verdarb den Knaben und brachte ihn gegen Hatschepsut auf. Doch Hatschepsut glaubte nicht, dass es Maat war, Thutmosis auch von seiner Großmutter zu trennen – der einzigen Person, der er überhaupt zu vertrauen schien.

Nofrure und Meritre beachteten Thutmosis und Satjah nicht weiter. So wie Satjah und Thutmosis ihre Geheimnisse teilten, so taten das auch Nofrure und Meritre. Zwischen den Kinderpaaren gab es jedoch keine Freundschaft, und das machte Hatschepsut Sorgen.

Nofrure und Meritre trugen Lotosblüten in ihren Kinderlocken, welche die Priesterinnen der Hathor ihnen eingeflochten hatten. Sie waren verwelkt nach der Hitze des Schemutages, doch die Augen der Mädchen leuchteten noch immer im Nachklang des ausgelassenen Festes. Nofrure ist so anders als dieser missmutige Knabe, der ihr Gemahl werden soll. Kann ich denn zulassen, dass es meiner Tochter ergeht, wie einst mir? Hatschepsut vertrieb die sorgenvollen Gedanken und nickte stattdessen Hapuseneb zu, der neben sie getreten war.

„Möchtest du mich im nächsten Mondumlauf in Karnak besuchen, Prinzessin Nofrure?“, fragte er möglichst geheimnisvoll, um das Interesse ihrer Tochter zu wecken.

Nofrure strahlte den Obersten Propheten Amuns an, als hätte er ihr ein neues Spielzeug geschenkt. Sie liebte Hapuseneb ebenso wie ihren Erzieher Senenmut. „Darf ich dann mit den Tempelkatzen spielen und sie füttern?“ Ihre Augen leuchteten in Vorfreude auf das Vergnügen.

Hapuseneb lächelte. „Die heiligen Miut werden sich über deine Besuche freuen, Prinzessin. Aber es gibt etwas weitaus Wichtigeres, das dich in Karnak erwartet. Es ist an der Zeit, dass du das Amt der Gottesgemahlin übernimmst ... so wie einst deine Mutter“, erklärte Hapuseneb feierlich. „Amun will es so.“

Sofort bekam Nofrures Blick einen ehrfurchtsvollen Ausdruck.

„Darf ich Nofrure nach Karnak begleiten?“, mischte sich überschwänglich Meritre ein, die ganz nach ihrer Mutter Hui kam und sich nicht darum scherte, ob es angebracht war zu schweigen oder zu reden.

Hatschepsut fiel auf, dass Satjah die Stirn runzelte und Thutmosis fragend ansah. Obwohl Thutmosis nur ein Jahr älter als Nofrure war, wirkte sie zart im Vergleich zu dem kräftigen Knaben. „Ich will nun doch meinem Vater Amun ein Opfer darbringen“, rief Thutmosis mitten in das Gespräch hinein. Es bestand kein Zweifel daran, dass er es hasste, wenn Nofrure im Mittelpunkt stand und nicht er.

Hatschepsut verbarg ihren Unwillen gegenüber dem Knaben und nickte Hapuseneb zu, der sich vor Thutmosis verbeugte und ihn ins Sanktuar führte.

Hatschepsut und Hui seufzten erleichtert, als der Knabe mit dem Obersten Propheten im Heiligtum verschwunden war – sogar Ipu, die Hatschepsuts Herzen längst nicht mehr so nah stand, wie in ihrer Jugendzeit, gestattete sich ein leidvolles Gesicht.

Hatschepsut beruhigte ihr Gewissen, indem sie sich sagte, dass Thutmosis bald keiner Amme mehr bedurfte. In einer oder zwei Nilschwemmen würden seine Lehrer, die Priester und der Kommandeur der Truppen die Ausbildung und Erziehung des störrischen Knaben übernehmen und dabei hoffentlich erfolgreicher sein als Ipu.

„Wo ist Senenmut?“, wandte Hatschepsut sich an Hui. Sie hatte ihren schweigsamen Gefährten die gesamten zwölf Tage des Festes kaum zu Gesicht bekommen. Senenmut verabscheute den Trubel der Festtage ebenso, wie er die Stunden, welche sie allein verbrachten, genoss.

Hui lächelte verschwörerisch. „Du weißt, Horus, der Vorsteher der Kornspeicher und Erzieher der Prinzessin ist kein Mann der Feste.“ Sie deutete eine leichte Kopfbewegung in Richtung der Rampe an, die hinunter zur zweiten Terrasse des Felsentempels führte. Hatschepsut verstand und lächelte. Ipu versuchte wie so oft, die Vertrautheit zwischen Hatschepsut und Hui zu ignorieren. Einst hatte sie die Stelle Huis innegehabt, doch nun war es, als läge eine Wand aus Granit zwischen ihnen. Hatschepsut bedauerte dies einerseits, andererseits war Hui vielmehr ihr Ka und ein Teil von ihr, als Ipu es jemals hätte sein können.

„Ich muss mit ihm sprechen wegen der Vorbereitungen für Nofrures Zeit in Karnak“, wandte Hatschepsut ein, während Hui und Ipu sich verbeugten. Hatschepsut war sich sicher, dass Ipu ahnte, dass der schweigsame Senenmut ihr längst viel mehrwar als ein treuer Freund; der ganze Palast wusste es. Am Tag nannte Hatschepsut Senenmut bei seinen Titeln ... doch in der Nacht nannte sie ihn Bruder ihres Herzens.

Senenmut betrachtete die verblassenden Sterne in Nuts Leib, während er Schritte vernahm. Leise wie eine Katze suchten sie sich ihren Weg zwischen den Säulenkaskaden. Ein kurzes Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht. Unvermittelt musste er an Hatschepsuts Begegnung mit dem schwarzen Leoparden im Goldland denken. Sie war gekommen. Für ein paar Stunden, in denen sie nicht Hatschepsut Maatkare, der Falke, Einzig Einer, Herr allen Lebens, sein würde, sondern nur die Frau mit dem Katzengesicht und den klug funkelnden Augen ... seine Geliebte.

Ihre Hände legten sich um seinen Leib, ihr Kopf mit dem kinnlangen Haar schmiegte sich an seine nackte Schulter. Senenmut schloss die Augen und spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann. Sie duftete nach Weihrauch und Salbe. Deine Haut ist aus Gold, deine Knochen aus Silber ... dein Haar aus Lapislazuli. Wie verzweifelt hatte er sich nach ihrer Liebe gesehnt, als sie ihm so unerreichbar erschienen war. Und selbst jetzt fiel es ihm schwer, ihr nur in den Nachtstunden nah sein zu können.Seine Geliebte war eine Göttin, die Tochter Amuns, und doch liebte sie ihn ... einen Sterblichen.

Ohne, dass er es verhindern konnte, drängten sich andere Bilder in Senenmuts Herz – düstere, verstörende Erinnerungen an seinen Besuch in den Balsamierungsstätten, als er seinen alten Diener Anen zu den Unberührbaren gebracht hatte. Er sah wieder die toten Augen der Königswitwe Ahmose vor sich und vernahm die verächtlichen Worte des Vorstehers der Balsamierungshäuser. Hast du je gesehen, dass einer von ihnen Knochen aus Silber gehabt hätte? Senenmut hatte Hatschepsut nie von seinem Besuch im Schönen Haus erzählt – dies war ein Geheimnis, das er nicht mit ihr teilen konnte. Angespannt ballte er die Fäuste und verkrampfte die Schultern.

Hatschepsut schien es zu bemerken, denn sie sah ihn fragend an. „Bedrückt dich etwas, Bruder meines Herzens?“

Senenmut schüttelte schnell den Kopf. „Es ist diese Nacht ... die Nacht der Toten. Ich muss an sie denken.“

„An die Toten?“ Ihre Stimme klang leise, so als würde auch sie an diejenigen denken, die bereits zu Osiris gegangen waren.

„An jene, die uns verlassen haben ... und an jene, die noch unter uns weilen“, antwortete Senenmut ernst. Er hielt diesen für einen guten Augenblick, über seine Sorgen zu sprechen. „Ich habe den Ausbilder deiner Leibwache in diesen Tagen selten gesehen. Man redet über ihn. Es heißt, er sei unnötig grausam zu den ihm unterstehenden Männern.“

Sie schmiegte sich wieder an ihn und seufzte. „Sary hat selbst viel Grausamkeit und Ungerechtigkeit erfahren ... er ist manchmal roh, aber mir treu ergeben.“

In seiner Erinnerung sah Senenmut das brennende Bernsteinauge jenes Mannes vor sich, voller Hass und Verbitterung. Er hatte nie jenes Vertrauen in den Goldlöwen legen können, das Hatschepsut hegte. „Du solltest ihn fortschicken.“

Wieder löste sie sich von ihm, dieses Mal trat sie einen Schritt zurück. Senenmut konnte den Unwillen in ihrem Herzen fast körperlich spüren. „Du redest wie Hui. Ich kann ihn nicht fortschicken.“

„Warum nicht? Es hat etwas mit jenem Mann zu tun, der vor vielen Nilschwemmen in der Festung Buhen gestorben ist, nicht wahr?“ Senenmut richtete seinen Blick wieder hinauf zum Himmel, durch den sich Fäden von Purpur und Orange zogen.

„Dies alles gehört zu einer Vergangenheit, deren Teil du nicht Teil bist.“ Hatschepsut nahm seine Hand und verschränkte ihre Finger mit den seinen. „Lass uns die Vergangenheit vergessen und in die Zukunft schauen“.

Er gab nach. Re würde bald geboren werden, und Senenmut wollte die wenige Zeit, die sie miteinander verbrachten, nicht verderben. „Wie du es wünschst.“

Sie trat an ihm vorbei und sah hinunter auf den Vorhof des Tempels. Obwohl sie noch immer den Männerschurz und ein kurzes Hemd trug, war sie in diesem Augenblick nur Hatschepsut – nicht das glänzende Abbild Amuns.

„Ich habe einen Entschluss gefasst. Ich werde das Djeser Djeseru zu einem Ort machen, den Kemet noch nicht gesehen hat ... und ich werde neue Handelswege erschließen, um die leere Staatsschatulle wieder zu füllen.“

Senenmut wusste, dass sie ihre Entscheidungen lange vor diesem Tag getroffen hatte. In der letzten Zeit hatte sie sich oft mit den Priestern und Schreibern in Karnak beraten. Nun wandte sie sich ihm zu, und ihre Augen leuchteten. „Ich werde Schiffe nach Punt entsenden, damit sie dort Handel treiben und die Gaben dieses wundervollen Landes nach Kemet bringen ... so, wie es vor vielen Nilschwemmen geschehen ist ... Weihrauch ... den Schweiß der Götter, Elfenbein, edle Hölzer.“ Sie machte eine ausladende Geste in Richtung des Tempelvorhofes. „Ich will auch in Kemet Weihrauchbäume anpflanzen ... nicht dort, wo das Volk sie nicht sehen kann, weil es den Tempel nicht betreten darf.“

In diesem Augenblick erschien es Senenmut, als erstrahle sie im ersten goldenen Licht Res – ihre Haut, ihr Haar, ihre Augen. Wie schmerzvoll mein Herz dich liebt, Gottestochter. Er fühlte sich von ihr bezaubert.

„Ich will, dass das Volk einen Ort hat, an dem es sich von den Mühen und Sorgen des Tages erholen kann. Ich weiß, dass meinem Vater Amun dies gefallen würde.“ Sie kam zu ihm, und er schloss seine Arme um sie, als müsse er fürchten, dass die Götter sie ihm wieder fortnehmen würden. „Und wie willst du das sagenhafte Punt finden, Gottestochter? Der Weg in dieses Land ist seit Hunderten von Nilschwemmen vergessen.“

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen und flüsterte: „Ich bin Amuns Tochter. Ich werde den Weg nach Punt finden und das Wunder wahr machen.“

Als ihre Lippen seinen Mund berührten, war es Senenmut, als weiche alle Kraft aus seinen Gliedern. So oft er auch zweifelte ... an allem Göttlichen, an der Prophezeiung, die sie letztendlich zu dem gemacht hatte, was sie war – Pharao in weiblicher Gestalt - ... allein ihre Lippen vermochten ihn immer wieder alle Zweifel vergessen zu lassen.

Der Tagfahrt zweite Stunde ist jene, welche die Finsternis vertreibt

Die königliche Barke, Jahr 9 der Herrschaft Hatschepsut Maatkares

Hatschepsut warf Hui, die einen Schritt hinter ihr stand, einen prüfenden Blick zu. Sie trugen das gleiche Kleid, den gleichen Schmuck und das gleiche Kinn lang gestutzte Haar unter dem Nemes-Tuch. Hui war ihr sichtbar gewordener Ka, der Ka eines Königs, der ihn begleitete. Hatschepsut legte Wert darauf, dass das Volk dies sah, wann immer sie den Palast verließ. Sie hatte sich an diesem Tag für ein eng anliegendes Trägerkleid und das männliche Nemes-Tuch des Pharao mit der Uräusschlange am Stirnreif entschieden. War es Hatschepsut nach ihrer Krönung noch schwergefallen, sich für die verschiedenen Anlässe zwischen weiblichen und männlichen Attributen ihres Königtums zu entscheiden, verschmolz sie mittlerweile wie selbstverständlich beides miteinander.

Noch immer musste sie insgeheim über ihre und Huis Ähnlichkeit staunen. Sie hätten Schwestern der Geburtsstunde sein können, doch das waren sie nicht. Und dies – so wusste Hatschepsut – war der deutlichste Beweis für die Wahrhaftigkeit der Prophezeiung, welche ihr zu Osiris gegangener Vater von Amun erhalten hatte.

Um ihre Gedanken wieder auf den Grund ihrer Ausfahrt auf der königlichen Barke zu lenken, gab sie Hui ein Zeichen. „Was denkst du über Nehesi? Ist er der Richtige für die Reise nach Punt?“

Hui trat aus dem Schatten Hatschepsuts an die Reling. Ihre Brauen hoben sich in dem ihr eigenen Stolz, den Hatschepsut an ihr schätzte. Hui verbot sich niemals den Mund, weil sie Bestrafung oder Gunstentzug fürchtete. Wie hätte sie Solches fürchten sollen, wo wie doch ein Teil des Pharao war. „Ich halte ihn für geeignet, Horus ... der Schatzmeister ist verlässlich und dir ergeben.“ Etwas leiser fügte Hui hinzu: „Ein Makel dürfte jedoch seine fehlende Erfahrung mit den Gepflogenheiten der südlichen Länder sein.“

Hatschepsut erwiderte nichts. Hui sprach aus, was sie selbst lange beschäftigt hatte; doch sie hatte ihre Entscheidung getroffen ... sie würde Nehesi einen Mann an die Seite geben, der das Goldland kannte wie kein anderer.

Sie schritt zum Bug der königlichen Barke, während das Volk von den Ufern her dem Pharao und seinem fleischgewordenen Ka zujubelte. Die Barke fuhr gerade ein scharfes Manöver nach rechts in den Kanal, der zu den Trockendocks führte, in denen die Schiffe für die Reise nach Punt darauf warteten, endlich auf ihre Reise zu gehen. Nur noch einen Mondumlauf, dann würde die prächtige Flotte über Land zum Roten Meer aufbrechen, um von dort aus ihren Weg nach Punt zu suchen. Hatschepsut spürte, wie ihr Herz vor Aufregung gegen ihre Rippen schlug – dies hatte sie vollbracht. Es würde das erste große Ereignis ihrer Regierungszeit sein.

Der Kapitän rief den Ruderern Befehle zu, als die Anlegestelle mit den blauweißen Wimpeln in Sicht kam. Von Weitem konnte Hatschepsut das Holz riechen, welches die Arbeiter zum Bau der Schiffe verwendeten ...

Hui verzog unwillig die Brauen, als sie zwischen den Wartenden einen Mann am Ufer entdeckte, der sich abseits derjenigen hielt, die das Eintreffen der königlichen Barke erwarteten. „Was tut er hier, Horus?“

Die Ruderer warfen Taue ans Ufer, die von sonnengebräunten Arbeitern um die hölzernen Poller gezogen wurden. Kurz darauf schritt Hatschepsut gefolgt von Hui auf breiten Planken ans Ufer. „Sary kennt das Goldland und die südlichen Länder. Ich wünsche, dass er Nehesi auf der Reise begleitet ... als Berater.“

Fast meinte Hatschepsut, Hui in ihrem Rücken lächeln zu sehen. „Eine gute Gelegenheit, den Goldlöwen aus deinem Umfeld zu entfernen. Ich gratuliere dir zu dieser weisen Entscheidung, Horus.“

Hatschepsut wandte sich zu Hui um, sobald sie festen Boden unter den Sandalen hatte. Obwohl die unverfrorenen Worte ihrer ersten Dienerin sie ärgerten, da sie wie so oft eine Spur Wahrheit enthielten, ließ sie es sich nicht anmerken. „Für eine Weile ... ich weiß, dass Senenmut und auch du ihn gerne auf einen Außenposten in Nub versetzt sehen würdet. Aber das wird nicht geschehen.“

Ihre Dienerin seufzte. „Was für eine Schuld kann den Pharao Ägyptens an einen gemeinen und grausamen Menschen wie ihn fesseln?“

Hatschepsut verschloss ihre Gedanken vor Hui. Ebenso wie Senenmut würde sie diese Schuld nicht verstehen. Obwohl er sie hasste, hatte Sary einst im Goldland ihr Leben gerettet, und als ihr Brudergemahl seine Barke bestiegen hatte, war es mitunter ihm zu verdanken gewesen, dass Isis mit dem kleinen Thutmosis nicht nach Memphis geflohen war. Dies war die Schuld, die Pharao Maatkare an dem Einäugigen trug, die andere Schuld, jene, die sie in den Nächten heimsuchte, in welchen sie nicht in Senenmuts Armen lag, war jene der Frau Hatschepsut ... der Gottestochter. Warum konntest du dir nicht einen Stärkeren nehmen, als Ameni? ... hatte Sary sie damals gefragt. Während die schwarze Löwin zum Falken geworden war, lag Ameni in seinem Grab auf der Westseite des Nils, und Sary war kaum noch das, was man einen Menschen nennen konnte. Nein, weder Hui noch Senenmut verstanden die Schuld, welche sie an den Einäugigen fesselte.

Nehesi, ein drahtiger Mann mittleren Alters, begrüßte Hatschepsut unter tiefen Verbeugungen, während er sie zu einem Baldachin führte, unter dem ein Tisch und ein Stuhl für sie bereitstanden. Hatschepsut verbot sich das Schmunzeln, welches sich auf ihre Lippen legen wollte, während sie sich setzte und Hui hinter sie trat. Nehesi war ihr Schatzmeister, und aus diesem Grunde hatte sie ihn zum Leiter der Expedition ernannt. Er war zuverlässig und würde die Schätze des Landes Punt sicher in die beiden Länder bringen.

Eine Schar von Dienern trug Wein und Früchte auf, von denen Hatschepsut keine Einzige nahm. Ihre Angewohnheit, nichts zu essen, was nicht durch ihre Vorkoster probiert wurde, hatte sie sich seit den gefahrvollen Tagen ihrer Jugend erhalten.

„Horus, mächtig an Ka-Kräften, ich danke dir für das Vertrauen, das du in mich setzt“, hob Nehesi zu einer Rede an. „Deine Schiffe sind beinahe vollendet. Es sind gute Schiffe, robust und seetüchtig. Wir haben sie in Einzelteile zerlegt, damit sie besser über Land zu transportieren sind ... aber da du uns die überaus große Ehre deines Besuches erweist, Horus, haben wir eines der Schiffe zusammengebaut, damit du es mit deinen eigenen Augen betrachten kannst.“ Unter weiteren beflissenen Verbeugungen bat er Hatschepsut, ihm zu folgen. Sie erhob sich von ihrem gerade erst eingenommenen Platz und folgte Nehesi zu einem Segler, der viel zu groß für den kleinen Seitenarm des Hapi zu sein schien, in dem die Trockendocks lagen.

Beeindruckt legte Hatschepsut den Kopf in den Nacken und folgte mit den Augen dem Mast bis hinauf zur obersten Spitze. Nehesi hatte nicht übertrieben. Die königliche Barke war groß, doch diese Schiffe waren für weitere Reisen als jene auf dem Hapi geschaffen worden. Hatschepsut konnte den Stolz in Nehesis Stimme mitschwingen hören, während er ihr die Vorzüge der Schiffe pries. „Der Rumpf geht tiefer als bei einer Flussbarke, und durch Querbalkenverstärkungen besitzt es auch bei starkem Seegang eine gute Stabilität. Anstatt des Baumes verwenden wir Geitaue, um die Trimmung zu verbessern und das Rah-Segel aufzuziehen.“ Sogar Hui betrachtete den großen Segler ehrfürchtig, während Hatschepsut die Länge des Schiffes abschritt. Ihre Hand fuhr über die Außenplanken. „Welches Holz wurde verwendet?“

Nehesi, beflissen, ihr zu gefallen, huschte an ihre Seite. „Es ist Akazien- und Sykomorenholz, Horus, nach alter Tradition mit Zapfen verbunden. Es sind gute Schiffe, Majestät ... ich stehe dafür mit meinem Namen und meiner Ehre ein.“

„Die halbe Staatsschatulle habe ich für den Bau dieser Schiffe geleert“, wandte Hatschepsut ein und sah Nehesi dann eindringlich an. Leise, damit nur er ihre Worte vernahm, flüsterte sie ihm zu: „Ich habe kaum genug Gold, die Truppen zu entlohnen noch die Bauvorhaben, wie die Restauration des Satet-Heiligtumes auf Elephantine zu bezahlen. Die Kosten für das Schöne Fest vom Wüstental haben mehr verschlungen, als ich zugeben mag ... diese Reise muss erfolgreich sein, Nehesi ... unter allen Umständen brauche ich den Handel mit Punt.“

Nehesi schlug die Augen nieder und raunte: „Ich werde dir die Schätze Punts zu Füßen legen, Horus.“

Während Hatschepsut sich wieder dem Schiff zuwandte, winkte Nehesi seinen Gehilfen heran, der ihm eine Papyrusrolle überreichte und sich dann wieder zurückzog. Der Schatzmeister überreichte Hatschepsut die Rolle respektvoll mit beiden Händen. „Dies, Horus, ist der Reiseweg, den die Schiffe nehmen werden.“

Hatschepsut nahm den Papyrus und entrollte ihn. Hui warf einen neugierigen Blick über ihre Schulter, während Nehesi zu erklären begann. „Wir werden die Schiffe in Einzelteilen nach Koptos transportieren und von dort aus etwa sieben Tage lang durch das Tal von Bechnu am Grauwackenberg zum Großen Grünen, wo die Segler zusammengebaut werden. Von dort aus werden wir das Große Grün bis zu den Horizonten der Sonne hinauffahren und unseren Weg nach Punt suchen.“

„Ich bin zufrieden mit deiner Arbeit, Nehesi“, gab Hatschepsut ihm zu verstehen, während sie die Rolle an Hui weiterreichte, die sie wiederum einem Diener übergab. Dann entsann sie sich des Goldlöwen. Der Blick seines verbliebenen Auges brannte in ihrem Rücken – Hatschepsut konnte es spüren, obwohl er außer Hörweite noch immer abseits des Geschehens stand.

Ohne Hast wandte sie sich Sary zu und konnte den Hass in seinem Blick lodern sehen.

Hatschepsut ging auf den Ausbilder ihrer Leibwache zu. ... Angst ist der Weg zur Niederlage ... erinnere dich ... es waren deine eigenen Worte in der Zeit, in der du allen Grund hattest, dich zu fürchten. Du darfst ihn nicht fürchten!

Die Verbeugung des Goldlöwen fiel knapp aus – Hatschepsut tadelte ihn nicht dafür. Sie wusste, dass Sary ein Tier war, das sie mit ihren eigenen Händen in einen Käfig gesperrt hatte – ein Tier, das seinen Kerkermeister mehr hasste als der rote Seth seinen Bruder Osiris.

„Gesundheit, Leben und Wohlergehen, Ausbilder der Leibwache.“

Hatschepsut spürte die lauernde Anspannung im entstellten Gesicht ihres Gegenübers und roch scharfen Schweiß ... den Schweiß eines Raubtiers, das mich töten will! Seit Unesch ihm den Schädel geöffnet hatte, war Sary noch unzugänglicher, noch seltsamer geworden. Die wahnhaften Vorstellungen, er sei noch immer im Goldland, hatte Unesch zwar vertreiben können, doch nicht seine Wut und seinen Hass. Einst hatte der Hass des Goldlöwen allein ihr als Frau gegolten, doch nun war er anders ... gefährlicher!

Hatschepsut ahnte, dass Sary ihre Krönung zum Pharao als endgültigen Verstoß gegen die Maat sah. Trotz ihrer Erfolge und besonnenen Entscheidungen gab es noch immer jene, die einzig und allein den Knaben Thutmosis als Sohn Amuns auf dem Thron sehen wollten; allen voran die memphitische Priesterschaft des Ptah und ihr Hohepriester Iti. Doch Thutmosis war nur ein Knabe und der Wunsch Amuns zu offensichtlich, als dass die Priester gewagt hätten, laut aufzubegehren – nun, wo sie die Doppelkrone trug. Statt dessen trafen sie sich in dunklen Ecken des Palastes, nachts, wenn Nut sie in einen Mantel aus Dunkelheit hüllte, sie konspirierten in den Tempeln und schmiedeten Ränke. Hatschepsut wusste es ... erst vor wenigen Tagen war sie nachts erwacht, und die Luft in ihren Räumen hatte nach fauligem Atem gerochen. Es war ein Zeichen Amuns gewesen und eine Warnung! Öffne die Augen, meine Tochter und schlafe nicht in dieser Zeit der Gefahr! Seitdem trug Hatschepsut ein Udjat-Amulett um den Hals, das ihre Augen und ihre Sinne schärfen sollte.

Hui räusperte sich, ein Zeichen, dass sie sich unwohl fühlte. Niemand fühlte sich in der Gegenwart des Goldlöwen wohl. Hatschepsut erinnerte sich ihres Anliegens. „Sary, ich will, dass du Nehesi als Berater nach Punt begleitest. Du kennst das Goldland besser als jeder andere ...“, sie machte eine kurze Pause, „... auch wenn es für dich keine guten Erinnerungen birgt. Doch ich brauche jemanden, der Nehesi beraten kann ... jemanden, dem ich vertraue.“

Bei ihren letzten Worten funkelte das verbliebene Auge, und die Mundwinkel des Ausbilders ihrer Leibwache zuckten. Er glaubte ihr kein Wort. Sein Auge sah in ihr Herz! Es gab kein Vertrauen zwischen ihnen. Amun, lass ihn schweigen und gehorchen ... flehte Hatschepsut stumm. Denn obwohl sie ihm nicht vertraute, so missfiel ihr der Gedanke, Sary durch die Macht ihrer Insignien auf die Reise nach Punt zu zwingen. Vielleicht ... so betete ihr Herz ... wird es uns beiden gut tun, den anderen eine Weile nicht in seiner Nähe zu wissen. Vielleicht wird dies unsere Herzen heilen!

Nach einer ihr endlos erscheinenden Weile deutete Sary mit einer knappen Verbeugung seine Ergebenheit an. „Mögest du ewig leben, Horus.“

Die Schwärze der Nacht hüllte Sary in einen Umhang aus Dunkelheit, während er den Wachhabenden am Eingang des Hofes, auf dem sich die Unterkünfte der königlichen Leibwache befanden, grüßte. Die Nachtstunden, in welchen die zu Osiris Gegangenen ihre Reise durch die Unterwelt antraten, waren Sary die liebsten. Er fürchtete die Gefahren der Nacht nicht – nicht die irdischen und nicht die jenseitigen. Das, was Sary fürchtete, war das Licht des Sonnengottes, das ihn verfolgte und zu verhöhnen schien! Re strahlte für die Goldene Hure, die auf Ägyptens Thron saß. Die Nacht jedoch – sie war der Trost der Verlorenen und Verratenen ... der Trost Amenis ... und auch der Seine. Und die Nacht würde verbergen, weshalb er gekommen war ... die Nacht würde schweigen ...

Der müde Wachhabende nickte ihm nur kurz zu und ließ ihn ohne zu fragen passieren. Als Ausbilder der Leibwache brauchte Sary niemandem Rechenschaft darüber ablegen, weshalb er hier war.

In Sarys Herzen schwelte Wut. Sie wollte ihn aus dem Weg schaffen und fortschicken aus Theben! Er hatte geahnt, dass es so kommen würde, und eigentlich hätte es eine Erlösung für ihn sein sollen. Doch das war es nicht! Sein Blick wanderte vorbei an den Dumpalmen, deren Wedel sich im lauen Wind wiegten. Früher hätte ihm dieses Bild Frieden gegeben, doch dies war in einer anderen Zeit gewesen, die lange vergangen war. Seine Vergangenheit lag in einem Grab am Westufer des Hapi.

Sary spürte wie so oft den hämmernden Schmerz unter seiner goldenen Schädelplatte anschwellen. Er konnte sich nicht weigern, Hatschepsut zu gehorchen, das hatte ihm die Königswitwe Mutnofret unmissverständlich gesagt. „Mein Einfluss im Palast ist weniger als gering, Ausbilder der Leibwache. Alles, was wir tun können, ist warten ... warten, dass Thutmosis alt genug ist, sich den Thron zurückzuerobern, den Sie ihm gestohlen hat.“ Ihr schlaffes Gesicht hatte verbittert gewirkt – ganz anders als das Gesicht jener Frau, die damals zu ihm gekommen war, nachdem Unesch seinen Schädel geöffnet hatte. Doch dann hatte sie ihn aus harten und entschlossenen Augen angesehen. „Wenn sie sagt, dass du gehen musst, dann wirst du das tun. Meine Aufgabe ist es, in der Nähe meines Enkels zu bleiben und darüber zu wachen, dass er alt genug wird, um Krummstab und Geißel aus ihren Händen zu reißen.“

Sary spie auf den Boden und verfluchte die Königswitwe. Möge das Gift von tausend Skorpionen dein elendes Herz stillstehen lassen! Sie wollte auf etwas warten, das niemals geschehen würde! Es würde nie dazu kommen, dass der verweichlichte Knabe allein regierte ... nicht, wenn er auf ein Wunder der Götter wartete, wie Mutnofret. Deshalb war er in dieser Nacht gekommen, denn es gab noch etwas zu tun, bevor er Theben den Rücken kehrte.

Sary achtete darauf, niemandem zu begegnen, als er den Weg zu den Unterkünften der Truppenführer einschlug. Er wusste, dass der junge Thutmosis hier war. Hatschepsut hatte den Knaben vor zwei Mondumläufen in die Obhut des Kommandierenden gegeben, damit er eine militärische Erziehung erhielt. „Es wird Amun gefallen, und es ist Zeit, dassderjunge HorusseineSchwingenausbreitet. Thutmosis soll seine Pflichten erfüllen, wie es meine Tochter Nofrure als Gottesgemahlin des Amun längst tut“, hatte sie im Audienzsaal, sehr zum Schrecken des dicklichen Knaben und des dürren Mädchens, das seine Milchschwester war, verkündet. Das Mädchen hatte geflennt wie eine dumme Fellachentochter, als sie Thutmosis fortgebracht hatten und die Unterlippe des Knaben hatte gezittert. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre in das weibische Gejammere seiner Milchschwester eingefallen.

Mit zusammengepressten Lippen dachte Sary an den Vater des Jungen ... den umnachteten Schwächling, der sich kaum vier Nilschwemmen auf dem Thron hatte halten können. Sie waren sich so ähnlich – der Vater und der Sohn! Auch er hatte eine militärische Ausbildung erhalten ... doch was hatte es genutzt?

Sary ballte die Hände zu Fäusten. Noch bevor Mutnofret ihn fortgeschickt hatte, war seine Entscheidung gefallen. Wenn es niemand tat, würde er vorsorgen, dass es dieses Mal anders käme. Wer, wenn nicht er wusste besser, dass Angst den Charakter eines Jungen formen konnte!

Sary presste sein verbliebenes Auge zu und atmete tief durch. Der Schmerz in seinem Kopf war mittlerweile unerträglich. Dann ging er langsam auf das letzte Haus zu, vor dem zwei müde Wachen saßen und darauf warteten, dass die Nacht vorüberging. Als sie ihn entdeckten, sprangen sie auf und verbeugten sich. „Ausbilder Sary! Gesundheit, Leben und Wohlergehen.“

Sary achtete kaum auf ihre Worte und schob sich stattdessen an den beiden vorbei ins Haus. „Ich muss zum jungen Thutmosis.“

Die beiden Männer versuchten halbherzig, ihn aufzuhalten, da sie nicht wagten, sich ihm in den Weg zu stellen. „Es ist spät, Herr. Die achte Stunde der Nachtfahrt. Der Einzig Eine schläft bereits.“

Sary stieß den Ersten grob zur Seite und zog sein Schwert aus der Scheide. Der Schmerz in seinem Kopf machte ihn rasend vor Wut ... er hatte das Gefühl, den Dorn einer Streitkeule im Schädel stecken zu haben. Einen kurzen Augenblick meinte er, wieder im Goldland zu sein und in das schwarze Gesicht eines Kermasohnes zu starren. Sary fuhr herum und drängte den zweiten Mann an die Wand. Mit einer einzigen Bewegung zog er sein Kurzschwert aus der Scheide und richtete die Schwertspitze auf die Kehle des elenden Kermasohnes. Er war bereit, ihn aufzuschlitzen ... Ihr elenden Söhne von Schweinen habt meinen Bruder in eine ewige Verdammnis geschickt ...

„Herr, beim großen Month! Bitte töte mich nicht!“, rief ihm der Mann in ordentlicher thebaner Mundart zu, und Sary kniff sein Auge zusammen. Als er es öffnete, waren die Kermasöhne verschwunden. Stattdessen blickte er in die entsetzten Gesichter der beiden ägyptischen Wachsoldaten.

Sary nahm sein Schwert von der Kehle des einen und schob es zurück in die Scheide. Er wusste, dass die Männer ihn fürchteten, seit sie ihn damals vom Truppenübungsplatz geschleift und Unesch seinen Schädel geöffnet hatte. Nicht wenige der Soldaten glaubten, dass in seinem Herzen noch immer Dämonen wohnten, und dass der Ach seines toten Bruders Sary folgte. „Er hat sie aus dem Goldland mitgebracht ... die Dämonen und den wütenden Ach Amenis!“, erzählten sie sich hinter seinem Rücken. Wie Recht sie hatten!

„Bei den Pforten der Unterwelt! Ich werde jetzt zum jungen Thutmosis gehen. Und ihr werdet darüber schweigen ... ebenso, wie der Knabe es tun wird!“

Die Männer nickten fast gleichzeitig und starrten in sein Auge. Fast meinte Sary, ihren Schweiß riechen zu können. Sie fürchteten ihn tatsächlich mehr als den roten Seth. Sary ließ die beiden stehen und setzte seinen Weg fort.

Er betrat den Raum, in dem der junge Thutmosis schlief, und starrte eine Weile auf den schlafenden Knaben. Selbst hier brauchte er nicht auf seine königlichen Vergünstigungen zu verzichten. Neben dem Bett stand ein Sklavenjunge und wedelte dem schlafenden Horus unermüdlich mit einem Straußenwedelfächer Luft zu. Der Raum war mit Tischen, Stühlen, Truhen und allerlei Dingen eingerichtet, die dem jungen Falken Vergnügen bereiteten. Sary entdeckte einen Senet-Spieltisch, auf dem die Figuren einer unvollendeten Partie standen. Mit einer unwirschen Handbewegung gab er dem unermüdlich fächelnden Sklaven ein Zeichen, dass er verschwinden sollte. Der Junge ließ sich nicht zweimal bitten und rannte mitsamt dem Wedelfächer aus dem Raum.

In seiner Erinnerung vernahm Sary die Stimme der Königswitwe Mutnofret. Es ist Maat, dass er Horus ist! Sary trat an das Bett heran, dessen Fußbrett in Form von Isis Schwingen den Schlaf des Knaben bewachen sollte. Die Wangen des Jungen wirkten im Schlaf prall und seine Lippen hatte er zu einem Schmollmund verzogen. Ein goldenes Schweinchen ... Thutmosis zählte elf Nilschwemmen und wurde bereits seit zwei Mondumläufen zum Soldaten erzogen, doch er war immer noch feist und rundlich.

Als er und Ameni seinerzeit in den Dienst des Heeres getreten waren, hatten sie innerhalb von nur einem Mondumlauf alles Fett an ihrem Körper verloren und dafür Muskeln wie Granitstein bekommen. Der Drill war hart und manchmal grausam gewesen. Doch er hatte sie zu Männern gemacht! Sary ahnte, dass der Kommandierende der Leibwachen es nicht wagte, den Knaben gegen seinen Willen einem harten Drill auszusetzen.

Er beugte sich über den Schlafenden – dann packte er unvermittelt den Hals des Jungen. Thutmosis erwachte und begann mit Armen und Beinen zu strampeln. Sary drückte fester zu, gerade so fest, wie es ging, ohne den Kehlkopf des Jungen zu zerquetschen. Thutmosis Augen traten aus den Höhlen, seine Zunge schnellte hervor, aus seinem Mund kamen erstickte Laute. Ein lustvoller Schauer lief beim Anblick des zappelnden Jungen durch Sarys Körper. Er erinnerte sich an jene Nacht in Memphis, als er einer Hure das Leben aus dem elenden Leib gepresst hatte ... ein gutes Gefühl!

Ruckartig ließ Sary die Kehle des Jungen los. Er durfte nicht töten ... nicht heute Nacht ... nicht ihn! „Hör mir zu ...“, flüsterte er stattdessen und hielt seinen glühenden Blick auf Thutmosis gerichtet, der zitternd und stumm vor Entsetzen in seinem Bett lag und ihn aus aufgerissenen Augen anstarrte. „Du bist ein Schwächling, wie es dein Vater war! Ihr bist du lästig, denn längst trägt sie die Kronen Kemets und hat nicht vor, sie wieder abzulegen. Kemet braucht keinen zweiten Horus, schon gar keinen fetten nutzlosen Knaben.“ Er machte eine lange Pause ... der Junge begann leise zu wimmern. Sary schlug ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. „Hör auf zu jammern, Sohn eines Schwächlings!“, zischte er und kümmerte sich nicht darum, dass Speicheltropfen auf das Gesicht des Knaben fielen. „Wenn ich aus Punt zurückkehre und noch immer einen Schwächling vorfinde – sei gewiss! Ich werde dich schlachten, wie ich einst deine Amme und die beiden Zwerge geschlachtet habe ... in jener Nacht, in der ich auch dich hätte töten sollen!“

Noch immer starrte der Junge mit zitternden Lippen in sein Gesicht. Sary wusste nicht, ob er sich an jene Nacht erinnerte, als seine kuhäugige Mutter mit ihm nach Memphis hatte fliehen wollen. Er war sehr jung gewesen. Doch tief im Herzen des Jungen musste eine Erinnerung vergraben sein, denn wann immer er Sary erblickte, begann er am ganzen Leib zu zittern. Sary beeindruckte die Furcht des Jungen nicht, noch regte sich Mitleid in ihm. „Niemand wird dich beschützen, junger Horus! Hatschepsut duldet dich, solange du noch ein Kind bist. Deine einfältige Mutter lebt fern von Theben auf einem Landgut, und deine Großmutter ist eine alte Frau, deren Macht versiegt ist.“ Sary stand auf und legte die Hand auf sein Schwert. „Du bist ganz allein ... doch wenn du stark genug wärest, dann könntest du dir vielleicht zurückholen, was dir gehört ... was Sie dir fortgenommen hat.“ Er wusste, dass der Knabe ihm trotz seiner Angst zuhörte. „Entweder das ... oder du wirst das Mannesalter nicht erreichen.“

Mit diesen Worten wandte Sary sich um und verließ die Räume des Jungen. Er ging ohne ein weiteres Wort oder einen Gruß an den beiden Wachhabenden vorbei, die ihm in einer Mischung aus Angst und Misstrauen hinterher sahen. In seinem Auge flackerte ein loderndes Feuer aus Hass, während er an die goldene Hure dachte. Er wusste, dass der junge Thutmosis ihn nicht verraten würde. Ihr, der er misstraute, würde er sich niemals anvertrauen, und außer Hatschepsut gab es niemanden, der ihn hätte schützen können. Nicht einmal die Götter, junger Thutmosis, hören dich ... denn sie hören nur noch auf Sie!

Der Königspalast, Jahr 9 der Herrschaft Hatschepsut Maatkares