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Kommissarin Sibylle Raumann lässt sich in den hohen Norden versetzen, um endlich ihre Fernbeziehung mit einem Erotik-Spielzeug-Vertreter in etwas Festes zu verwandeln. Den hinreißenden Kollegen, dem sie zugeteilt wird, hatte sie allerdings nicht einkalkuliert. Auch der 250 Jahre alte Geist, der sich recht hemmungslos in ihr Leben drängt und ihr den ganzen Kaffee wegtrinkt, macht die Sache nicht unbedingt einfacher. Am Ende steht die Polizistin nicht nur vor einem ungelösten Mordfall, sondern hat auch noch jede Menge Verehrer - lebende und tote - die ihr Leben ins Chaos stürzen. Da macht der rachsüchtige Gangsterboss, der ihr Auftragskiller auf den Hals hetzt, den Kohl auch nicht mehr fett ...
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Seitenzahl: 263
Veröffentlichungsjahr: 2015
Ernst Friedrichsen
Das Haus im Grünen
Copyright: © 2015 Ernst Friedrichsen
Lektorat: Erik Kinting – www.buchlektorat.net
Umschlaggestaltung & Satz: Erik Kinting
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
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Kapitel 1
Ein Tag eigentlich wie jeder andere auch, nur heute änderte sich das Leben von Sibylle Raumann, denn sie hatte ihren Arbeitsbereich bei der Kripo in Duisburg aufgegeben. Hatte sich nach Norddeutschland an die dänische Grenze versetzen lassen. Sie hatte alle Überstunden zusammengekratzt, um ihren Umzug zu organisieren. Ihr Vater war mit Hausrat und Hilfskräften schon auf dem Weg ins neue Heim. Ein paar Minuten waren es noch, dann würde sie ihren Schreibtisch ihrem Nachfolger übergeben.
Von ihrem Bürofenster aus hatte man einen freien Blick auf die Einkaufsmeile, die von der Sonne in ein grelles Licht getaucht wurde. Hastige Schatten eilten hin und her, taten, als wäre die Zeit knapp geworden, dabei hatten sie alle Zeit der Welt.
Drei Jahre war sie hier gewesen und hatte die Kollegen ins Herz geschlossen. Der Abschied fiel ihr schwer.
Sie war jung, hatte sich der Liebe wegen versetzen lassen: an die Küste, aufs Land – raus aus dem Gewusel, dem Puls der Stadt, auf das durchatmend dahindümpelnde flache Land.
Sie stand am Fenster und betrachtete das Treiben aus dem vierten Stock. Wie kann ein solches Getümmel ein Gefühl von Zuhause erzeugen?, dachte sie verwundert. Jahre sah ich es und nun will ich es missen? Nein!
Die Abschiedsrede vom Chef stand an.
»Sibylle Raumann, sind sie da?«, rief einer in die Runde.
»Klar.«
»Aaah.« Künstliches Erstaunen.
Allen war etwas beklommen zumute; die Hoffnung, sie sagte »Ich bleibe« stand jedem auf die Stirn geschrieben.
»Liebe Sibylle, Sie gehen heute in einen neuen Abschnitt Ihres Lebens, Sie gehen wegen der Liebe. Ich weiß – und das beruhigt mich – dass es nicht an uns gelegen hat«, versuchte der Chef, etwas Humor in seine Rede zu bringen. »Ich möchte Ihnen danken dass Sie es vollbracht haben, den schlimmsten unserer Feinde zur Strecke zu bringen. Ihrem Vorgänger ist es nicht gelungen, den Mafiosi Weißner zu fassen. Sie haben es vollbracht, dass der auf ewig hinter Gittern sitzt. Alleine dafür schulden wir Ihnen Dank. Ihre offene Art und Ihr Licht werden uns fehlen. Ich kann gar nicht so viele Worte finden, wie Sie verdient haben.« Es schwang väterliche Fürsorge in seiner Rede mit, die nicht zu überhören war. »Sie zu bitten, es sich noch einmal zu überlegen, wäre wohl nicht von Erfolg gekrönt. Aber versucht möchte ich es dennoch haben.«
Eine halbe Stunde Lobhudelei ging so herum. Es war zu spüren, dass da auch eine innige Zuneigung vom Chef selbst bestand. Er überreichte im Namen aller Kollegen einen Blumenstrauß und drückte Sibylle die Hand. Auch einen Wangenkuss hatte sie noch hinnehmen.
Nun musste sie selbst einige Worte an ihre Kollegen richten: »Danke«, lächelte sie. »Ich weiß eure Geste zu würdigen. Ich möchte nicht in Pathos und Wehmut scheiden, aber ihr wart eine Wucht als Kollegen; immer da, wenn man euch brauchte, als Freunde immer erreichbar. Euch kann niemand ersetzen. Ich gehe der Liebe wegen, das ist richtig. Nur … aus Liebe zu euch müsste ich bleiben. Aber die Weichen sind gestellt. Ich werde euch immer im Herzen behalten.« Die Wehmut trieb ihr die Tränen in die Augen – sie war nicht die Einzige. »Ihr wisst, ich liebe euch, darum mache ich es kurz: Ich weiß, wir werden uns irgendwann wiedersehen.«
»Wenn dir das Gehen schwerfällt, dann bleib doch!«, rief einer der Kollegen und ein Lachen klang durch den Raum.
Sie wandte sich ab und ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und winkte allen zu. Sie schloss nicht nur eine Tür hinter sich.
Ein Kollege begleitete sie aus dem Gebäude. Im Eingangsbereich übergab sie ihm die Schlüssel. Er gab ihr einen Kuss auf den Mund.
Sie schaute ihn verwundert an.
»Das ist von allen Kollegen und Kolleginnen«, grinste er.
Sie gab ihm einen Kuss mit Zungenschlag zurück. »Verteil den im Büro«, lachte sie, gab ihm die Hand und ging.
Auf dem Parkplatz an ihrem Auto stand Sibylle nun da und schaute noch einmal auf das Gebäude, in dem sie Jahre verbracht hatte. Ist es richtig zu gehen? Eine Fernbeziehung ist kein Leben. Sich nur ein paar Mal im Jahr zu sehen, sonst nur zu telefonieren … Warum musste ich mich auch in jemanden verlieben, der so weit weg wohnt?, schalt sie sich selbst, musste aber im selben Moment laut lachen. Man sollte an etwas Gutem nicht zweifeln, pflegte ihre Oma immer zu sagen.
Sie mochte auch ihren bisherigen Chef, obwohl er fordernd war. Aber er war auf die Leistung bedacht, nicht überfordernd. Er achtete auf die menschlichen Bedürfnisse und hatte auch keine Lieblinge. Den einen mochte er, den anderen nicht – aber einen Unterschied in der Behandlung der Personen gab es bei ihm nicht. Er fordert von jedem die gleiche Leistung, und zwar immer die bestmögliche.
Sie selbst war aus mehreren Gründen sein Liebling gewesen, doch geschont wurde sie deswegen nicht. Das war mit ein Grund, warum es auf der Dienststelle immer absolut kollegial zugegangen war.
Sibylle hatte sich über einen Makler ein kleines Häuschen mit Garten in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein gekauft; mit Garten, da legte sie Wert drauf, obwohl sie keine Lust zum Gärtnern hatte. Aber davon, auf dem Rasen zu liegen und sich den Pelz bräunen zu lassen, träumte sie schon lange. Es lag eher am Rande der Siedlung, in der Nähe zu einem kleinen Wäldchen mit einem kleinen See – recht einsam für jemanden, der aus der großen Stadt kam. Das Haus kannte sie bisher nur von Fotos und doch war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Von dort war es nicht weit zur Arbeit – und kein Getrampel im Treppenhaus, keine Nachbarn, die ihren privaten Zank vor ihrer Tür austrugen, würde sie stören. Ruhe würde in ihr Leben treten, auf die sie lange gewartet hatte – so erhoffte sie es sich. Und wenn sie eintreffen würde, wäre die Wohnung von ihrem Vater schon so weit eingerichtet worden, dass sie nur noch auspacken musste.
Für die erste Nacht hatte sie sich ein Zimmer im örtlichen Gasthaus genommen, damit sie am nächsten Tag ausgeruht ans Einräumen gehen konnte. Sie hatte auch noch das Wochenende vor sich, also genug Zeit, um sich einzurichten und ein Gefühl für ihr neues Zuhause zu entwickeln. Für den Sonntagnachmittag hatte sie ihren Freund zum Kaffee eingeladen. Seine Nähe vermisste sie am meisten. Pläne sind gut, wenn sie funktionieren, wusste Opa immer zu sagen.
Sibylle mochte geregelte Abläufe. Störungen waren ihr zuwider. Der Motor muss brummen, tanken ist eine unliebsame Störung.
Da saß sie nun in ihrem Auto, den bunten, duftenden Blumenstrauß in der Hand. Schon jetzt wollte sich eine Art Heimweh einstellen. Sie legte den Strauß auf den Beifahrersitz, startete den Motor, und fuhr langsam vom Parkplatz – noch die letzten Sekunden nutzend um ein bisschen länger bleiben zu können.
An der Schranke angekommen, steckte sie ihre Parkmarke in den vorgesehenen Schlitz und wartete wie immer, dass die Marke ausgegeben würde. Die Schranke öffnete sich, doch eine Stimme sagte: »Die Marke wurde eingezogen.« Da war der Moment der Trennung vollzogen.
Sibylle bog nach rechts auf die Straße der Zukunft, dem neuen Ziel entgegen. Dem Abschiedsschmerz folgte unmittelbar die Freude auf die neue Aufgabe, auf das beschauliche Leben auf dem Land und natürlich die Nähe zum Liebsten, dessentwegen sie schließlich gen Norden zog.
Die Räder tilgten die Kilometer, der Zeiger der Uhr fraß die Stunden, die Landschaft flog am Fenster vorbei. Es würde spät am Abend sein, bis sie im Dorf angekommen wäre. Je weiter sie nach Norden kam, desto freier fühlte sie sich.
Sibylle hatte schon einige Kilometer hinter sich, als ihr Handy klingelte. Sie drückte die Freisprechtaste und ihr Vater erstattete Zwischenbericht: »Wir sind gut angekommen und beginnen mit dem Einräumen. Einen netten Nachbarn hast du übrigens, der hilft uns beim Tragen. Der tauchte wie aus dem nichts auf und packte gleich mit an. Alfons heiß er, ein älterer Mann. Du hast einen guten Griff getan, es ist ein schönes Haus. Großer Garten, schöne ruhige Lage und doch alles in erreichbarer Nähe. Eine romantische Umgebung«, sprudelte er hervor und schob dann noch ein besorgtes »Wie geht es dir?« hinterher..
»Der Abschied war nicht leicht. Aber es geht mir gut. Es ist auch, als würde mir eine Last von den Schultern genommen. Ich fühle mich frei – es ist ein gutes Gefühl«, antwortete sie und bekräftigte: »Ja es geht mir gut. Ich freue mich auf mein neues Zuhause wie auf Weihnachten.«
»Gut, mein Mädchen. Ich melde mich, wenn wir fertig sind und abfahren. Tschau, bis die Tage.«
»Tschau, Paps. Ich danke dir und deinen Freunden für die Hilfe. Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch. Und nur noch nebenbei: Dein Nachbar ist ein wenig schrullig.« Noch bevor Sibylle fragen konnte, inwiefern, machte es Klack und die Leitung war stumm.
Sie lächelte eine Weile vor sich hin und machte sich ein paar Gedanken über ihren hilfsbereiten und schrulligen neuen Nachbarn.
Es war tatsächlich spät am Abend, als sie im Dorf ankam. Die Sonne stand tief. Sie hätte das letzte Ende noch fahren können, doch sie wollte ausgeruht ans Einräumen gehen und bei Tageslicht ihr neues Zuhause zum ersten Mal sehen, nicht im Dunkel der Nacht durch Kisten und Kartons kriechen.
Auf dem Parkplatz des Gasthauses angekommen, parkte sie so nahe an der Eingangstür, dass sie nicht weit zu gehen hatte. Nur noch ins Bett und Ruhe, das war alles, was sie wollte.
Die gesamte Vorderfront von dem Gasthaus war mit wildem Wein bewachsen, der im Halbdunkel einen geheimnisvollen Eindruck machte. Die tief stehende Sonne warf lange Schatten, ihrer war schon vor ihr an der Tür. Schatten, hast es eiliger als ich, wollte sie laut sagen – es waren nur zu viele Leute auf dem Platz, die sie ohnehin schon ansahen, als sei sie von einem fremden Planeten.
Die Tür knarrte ächzend und ging schwer. »Müsste dringend mal geölt werden«, sagte Sibylle laut zu sich selbst.
Die untergehende Sonne schien nun durch die weit offene Tür und warf ihren Schatten bis zum Tresen, hinter dem ein Mann stand, der den Eindruck erweckte, eine Zeitung zu lesen. Sie ging langsam auf ihn zu. Ihr Schatten kroch am Tresen hinauf, als sie nähertrat. Der Mann schien im Stehen zu schlafen. Seltsame Haltung, dachte sie. Ein Tropfen Speichel rollte über seine Unterlippe und tropfte in eine kleine Pfütze, die sich auf der Zeitung gebildet hatte. Sie wollte ihn eigentlich nicht stören, musste jedoch den Gong betätigen, der auf dem Tresen stand. Es gab einen undeutlichen, fast ersterbenden Klang, wie ein Klingeln von weit weg. Das führte nicht dazu, dass der Mann erwachte, nein, die Körperspannung, die ihn gehalten hatte, wurde wie von Zauberhand aufgehoben und der Mann ging hinter dem Tresen zu Boden. Zögerlich tasteten sich dann zwei Hände nacheinander an die Oberseite des Tresens.
Zwei Rot unterlaufene Augen, die es kaum schafften offenzubleiben, blinzelten in den letzten Schein der Sonne, die kaum noch die Kraft hatte, den Raum zu erhellen. Instinktiv suchte der Mann den Schatten, den Sibylle warf. Er sah sie an, sein Mund wollte etwas sagen, doch er starrte sie nur an. In ihrem Haar schimmerte das Sonnenlicht, als würde sie einen Heiligenschein tragen.
»Ich bin im Himmel«, stammelten seine sabbernden Lippen. »Ich bin tot und habe es nicht bemerkt.«
»Hallo!«, rief Sibylle. Sie stupste den Mann leicht an, der schon wieder dabei war die Augen zu schließen und die Pfütze auf der Zeitung neu zu befeuchten. Ein erneutes »Hallo!«, diesmal lauter.
Das Aufschrecken im Gesicht des Mannes war deutlich erkennbar, als würde ein Stück Leben zurückkehren. »Ja, wer ist da?«, kam es von ihm eher undeutlich.
»Ich hatte ein Zimmer bestellt, für eine Nacht. Sibylle Raumann ist mein Name.«
»Ah …« Eine längere Pause folgte. »Einen Engel habe ich gerade gesehen …«, murmelt er und suchte erneut ihren Schatten. »Ach Sie waren das. Und ich dachte, ich sei im Paradies.«
»Geht es Ihnen nicht gut?«, erkundigte sie sich besorgt.
»Alles in Ordnung, nein, mir geht es gut, danke der Nachfrage. Ich hatte nur gerade eine Beerdigung und einen Geburtstag.«
»Oh, tut mir leid. Familie?«
»Nein, meine Rumflasche war alle, aber die neue war gleich zur Stelle.«
Ihr fiel auf, dass er nach Schnaps roch, was sie schon aus beruflichen Gründen unmöglich fand. »Ich hätte gerne meine Schlüssel, wenn es genehm ist?«
»Klar.« Nur bewegen tat der Mann sich nicht.
»Hören Sie, ich bin müde, ich bin zehn Stunden Auto gefahren und möchte zu Bett.«, Sibylle wurde ungeduldig.
Der Mann sah sie nur an und legte seinen Kopf in beide Hände, die mit den Ellenbogen auf dem Tresen ruhten. »Sie sind wunderschön. Echt! Ich scherze nicht. Einem Engel gleich.« Er versuchte ein Schmunzeln, aber seine Augen gingen langsam wieder zu. Er sackte weg und tippte dabei kurz mit dem Kopf auf den Tresen, um dann auf dem Boden zu landen, ohne es zu merken.
Sibylle schaute einfach selbst ins Meldebuch: Zimmer 12. Sie unterschrieb, nahm den Schlüssel vom Hacken, griff sich den Koffer und marschierte ab aufs Zimmer. Bevor sie jedoch die Treppe erklomm, sperrte sie noch die schwere Eingangstür zu. Noch ein kurzer Blick hinter den Tresen und ein »Gute Nacht« mit Kopfschütteln. Wenn das Zimmer so ist, wie das hier begann, dann aber wirklich Gute Nacht.
Das durch ein kleines Fenster einfallende restliche Sonnenlicht erfasste erneut ihr Haar und ließ sie aussehen, als sei sie erleuchtet; der lange Schatten ihres schmalen Körpers ließ dazu die Treppe unendlich erscheinen. Der Mann hinterm Tresen schaffte gerade noch einen Blick um die Ecke und dachte: Ich bin doch im Himmel.
Im Zimmer angekommen, stellte Sibylle erleichtert fest, dass es aufgeräumt und sauber war. Es roch nach Wald und Feld und entfaltete eine geradezu beruhigende Wirkung.
Am nächsten Morgen erwachte sie nach einem erholsamen Schlaf. Eigentlich hatte sie früh aus den Federn sein wollen, weil eine Menge Arbeit anstand. Es war aber doch zehn Uhr geworden. »Oh, schon so spät«, sagte sie halblaut beim Blick auf die Uhr. Sie wollte in Eile geraten, ermahnte sich aber, nur nicht nervös zu werden: Es ist Zeit genug.
Am Empfangstresen wollte sie den Schlüssel abgeben. Ein junges Mädchen war dabei, den Tresen zu reinigen – war wohl feucht geworden.
»Ich trage sie aus«, lächelte sie freundlich.
»Ach, eine Frage hätte ich noch. Kann man auch Frühstück bekommen?«, fiel Sibylle ein.
»Klar, ist im Zimmerpreis enthalten. Gehen Sie in die Gaststube, da ist ein Büfett aufgedeckt.«
»Danke.«
Sibylle setzte sich neben die Tür, wollte ungestört sein. Schaute sich ein wenig in der Gaststube um. Häuslich eingerichtet, so als sei die Zeit in den 30ern stehen geblieben. Das Ganze erinnerte sie an Heinz-Rühmann- und Hans-Albers-Filme.
Am Büfett langte sie ordentlich zu, als hätte sie seit Tagen nicht gegessen.
Am Nachbartisch saß ein älteres Ehepaar, das immer wieder zu ihr hinsah und tuschelte.
Habe ich eine Beule am Kopf? Sie tastete zur Sicherheit mal nach.
Sie wollte schon genervt reagieren, als unvermittelt der Wirt an ihrem Tisch trat. »Entschuldigen Sie die Störung, aber das Ehepaar hätte sie gerne gesprochen. Ob Sie wohl an deren Tisch Platz nehmen möchten?«
»Ist mir ein Vergnügen.« Das war zwar eine Lüge, aber sie wollte auch nicht unhöflich sein – außerdem war sie neugierig, was die Herrschaften wohl von ihr wollten.
»Tut uns leid, wenn wir Sie belästigen«, entschuldigte sich der Mann.
»Nein, schon gut. Was kann ich für Sie tun?«
»Nun, wir wohnen hier im Dorf und gönnen uns jeden Tag unser Frühstück hier im Gasthaus. Das ist unser Luxus auf die alten Tage. Wir möchten Ihnen nicht zu nahe treten, nur gibt es da etwas, das wir Ihnen zeigen müssen. Das wird Sie bestimmt verwundern.«
»So? Da bin ich ja mal gespannt.« Sibylles Gesicht war die Verwunderung in der Tat anzusehen.
»Dazu müssten Sie kurz bei uns vorbeischauen. Geht das?«
»Ja, das geht, gleich nach dem Frühstück.«
»Ja, sicher, entschuldigen Sie.« Sie gaben ihr die Adresse und verabschiedeten sich.
Sibylle frühstückte in aller Ruhe zu Ende, beschäftigt mit dem Gedanken, was die beiden wohl von ihr wollen könnten. Soll ich da wirklich hin? Die kennen mich nicht, ich bin doch neu im Dorf. Sie war noch unentschlossen.
Sie nahm ihren Koffer und wollte zum Auto. Als sie am Tresen vorbeiging, sah sie dort wieder den Mann, der schon in der Nacht zwischen Geburtstag und Beerdigung geschwankt hatte. Ob es ihm heute gelingt, sich zu entscheiden? Es wurde wohl schon wieder ein Geburtstag gefeiert.
Der Mann sah zu ihr auf: »Wen sie Hilfe brauchen, schauen sie jederzeit rein.«
»Ja, danke. Ich werde dran denken. Guten Geburtstag wünsche ich dann noch.« Sie zog die schwere Eichentür, die sich nur knarrend bewegte zu und stieg die drei Granitstufen zum Parkplatz hinunter, die durch einen eisernen Handlauf begrenzt wurden.
Sibylle setzte sich in ihr Auto, sah die Straße hinauf und hinunter und wollte schon zu ihrem Haus fahren, fuhr dann aber doch spontan ins Dorfinnere. »Mal schauen, was die beiden Alten so Wichtiges haben«, murmelte sie. Da war die Polizistin in ihr erwacht. Womöglich würden es neue Freunde werden. Auch nicht verkehrt, in der Fremde Freunde zu haben.
Bei dem Ehepaar angekommen, freuten die beiden sich ehrlich, sie zu sehen: »Ah da sind Sie ja! Schön dass Sie sich die Zeit nehmen.« Sie baten Sibylle ins Haus und führte sie ins Wohnzimmer.
»Sehen Sie!«
Sibylle blieb wie erstarrt in der Tür stehen. Ihr Blick haftete an dem Bildnis einer jungen Frau, irgendwo um die 16 Jahre alt, und es war eindeutig sie selbst – nur hatte sie nie einem Maler Modell gestanden. Es waren ihr Haar und ihr Gesicht, aber nicht ihre Kleidung. Als würde sie in einen Spiegel sehen. In Öl.
Einige Minuten lastete das Schweigen. Sibylle ging zu dem Gemälde, fasste es an, strich mit den Fingerspitzen ganz sachte drüber.
Erstaunt sah sie die Alten an. »Wer ist das?«
»Wir sagten ja, sie werden sich wundern«, antwortete die Frau und stellte eine Schale mit Keksen auf den Tisch. »Setzen Sie sich doch bitte. Das ist eine Urahnin meines Mannes«, erklärte die alte Dame. »Sie wurde vor zweihundertfünfzig Jahren brutal ermordet. Die Eltern gaben danach das Gemälde in Auftrag. Es ist wirklich, als hätten Sie Model gestanden.« Dabei sah die alte Dame Sibylle lächelnd an.
Der Ehemann begann zu berichten: »Sie hatte einen Freund aus dem Nachbardorf. Sie trafen sich heimlich, am See am Ende des Dorfes. Sie war die Tochter des Dorf-Schulzen, er ein Kuhhirte ohne Heimat. Ihre Eltern waren natürlich dagegen. Nach einem ihrer heimlichen Treffen wurde sie auf dem Heimweg das Opfer von zwei Brüdern; es waren die Söhne vom Müller des Nachbarortes. Es fing eigentlich harmlos an und lief dann aus dem Ruder. Was der darf, dürfen wir doch auch, war so deren Auffassung. Am Ende hatten sie dann Angst, das Mädchen würde sie beim Vater anzeigen, da haben sie sie erschlagen. Ihrem Freund sagte keiner was. Der dachte, sie hätte ihn verlassen und ging zum Militär, um seinen Kummer zu vergessen. Jahre später, als gestandener Mann, kehrte er zurück und wollte sie wiedersehen. Bei den Eltern des Mädchens sah er dann das Bild und erfuhr die Wahrheit. Das machte ihn so wütend, dass er die beiden Mörder suchte und auch fand. Der Vater hatte sie zum Militär geschickt, damit sie der Verfolgung entzogen waren, denn die wären wohl gehängt worden. Der junge Mann hat die Brüder dann aus Rache erschlagen. Er kehrte dann zum See zurück, wohl wegen seiner Trauer. Die Häscher waren schon da, einfach erschossen haben sie ihn. Es heißt, dass er seitdem am See ruhelos umhergeistert.« Beim Erzählen deutet der Alte immer wieder auf das Bildnis.
»Nun mach dem Fräulein mal keine Angst«, ermahnte die Frau ihren Mann.
»Eine schöne, wenn auch traurige Geschichte«, sagte Sibylle, trat nah an das Bild und tastete nochmals über die Farbe – in dem Moment war ihr, als würde sie den Schmerz der beiden fühlen. »Ich habe das Haus am Ende des Dorfes gekauft, am See«, erklärte sie. Lachend ergänzte sie: »Ich hoffe nur, der Geist kommt mich nicht in meinem Haus besuchen.«
»Siehst du, was du angerichtet hast mit deinen Geistergeschichten?«, schimpfte die Frau und knuffte ihren Mann in die Seite.
»Täte mir leid, wenn ich ihnen Angst gemacht habe. Ich wusste ja nicht, dass sie da wohnen werden«, entschuldigte sich der Alte.
»Nein, schon gut. Ich scherze nur«, beruhigte Sibylle die beiden. Sie tranken noch Kaffee, wobei die gesamte Dorfgeschichte berichtet wurde.
Endlich saß Sibylle wieder in ihrem Auto. Auf zu meinem neuen Heim! Dann will ich mir mal mein Spukschloss genauer betrachten. Sie lachte in sich hinein.
In ihrem Haus ging sie erst einmal durch alle Räume, um sich ein Bild zu machen. In jedem Raum stand sie still und schloss die Augen, um den Geruch und die Geräusche aufzunehmen. Sie fasste alle Wände an, als wolle sie sagen: Guten Tag, Haus, nun bin ich da. Beim Knarren der Dielenbretter bekam sie dann doch ein wenig Gänsehaut.
In der Küche fuhr sie mit ihrer Hand die Wand entlang bis zu etwas, das in modernen Küchen wohl als Einbauschrank betrachtet werden würde. Das hier waren jedoch Hängeschränke mit verschnörkelten Fenstern und kleinen Vorhängen, so was wie Gardinen. Na gut, ist auch romantischer als dieseEinheitsküchen, sagte sie sich.
Leicht überrascht war sie beim Anblick einer Kaffeemaschine, ihrer Maschine auf der Arbeitsplatte. Kaffee im Filter, durchgelaufen, eine Tasse auf dem Tisch. Mein Vater, war ihr erster Gedanke. Doch die waren zu fünft gewesen, mit dem Nachbarn sechs. Ist das auch meine? Ein Blick in den Karton: Ja. Auch die Tasse war aus ihrem Bestand. Womöglich hatte nur einer einen Kaffee gewollt. Seis drum, beruhigte sie sich, sah in Gedanken den Geist vor sich und lachte sich selber aus.
Wo beginnen, war nun die vordringlichste Frage. Schlafgemach! Da fang ich an. Dann Stube, Küche Flur, Speisekammer. Man muss einen Plan haben, hat Opa immer gesagt.
Als sie bei den letzten Handgriffen in der Küche angekommen war, nahm sie im Augenwinkel einen Schatten war, der am Fenster vorbeihuschte. Erschrocken griff sie automatisch nach ihrer Waffe, die sie ja aber gar nicht umgeschnallt hatte. Gleich dachte sie wieder an die Geistergeschichte und erstarrte ein wenig. Ein ihr unbekanntes Unbehagen überfiel sie. »Keine Angst«, sagte sie laut zu sich. Eine Gänsehaut lief ihr trotzdem wellenartig über den Rücken.
»Moin«, sagte da jemand. »Ich ließ mich selber eintreten, denn die Türklingel ist nicht in Betrieb. Alfons ist mein Name. Und ich wollte der neuen Nachbarin doch meine Aufwartung machen.« Ein Moment des Abwartens entstand. »Sie betrachten mich, als sei ich ein Geist«, kam es von dem fremden Mann.
»Nein, nein.« Sie reichte ihm hastig die Hand. »Moin, sie sind bestimmt der Nachbar, von dem mein Vater berichtet hat. Danke für die Hilfe.«
»Gern geschehen. Ehrlich gesagt, wenn ich Sie mir so ansehe, dann ist das ein guter Tausch im Vergleich zu der alten Dame, die hier zuvor gewohnt hat.«
Sibylle lächelte und fragte sich zugleich, ob sie ihn nett oder aufdringlich fand. Sie verbuchte es als freundlich. »Darf ich ihnen etwas anbieten? Außer Kaffee ist momentan allerdings nichts da.«
»Kaffee nehme ich gerne, danke.«
Mit der Tasse in der Hand ging er zum Fenster, schaute, als würde er den Garten betrachten. »Wenn Sie Hilfe im Garten brauchen, ich bin da. Ich habe alle Zeit der Welt.«
»Nein danke, ich könnte Sie gar nicht bezahlen«, schüttelte sie den Kopf. Sie sah ihn an und suchte nach einem Vorwand, um ihn aus dem Haus zu bekommen.
»Ich komme wohl ungelegen.« Er schien ihre Stimmung zu spüren.
»Nein, nur nicht zur rechten Zeit«, erwiderte sie.
»Ich spüre Anspannung. Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich kenne die Gefühle junger Frauen, die Ängste mit einem fremden Mann in der Küche. Der Kaffee war gut, danke dafür.« Er drehte sich und ging einfach.
»Nein, nein, so habe ich es nicht gemeint«, schwindelte sie ihm hinterher. Ein schlechtes Gewissen schob sich in ihr Gemüt, aber er war schon fort.
Sie setzte sich und ärgerte sich: »Da ist einer hilfsbereit und du dumme Kuh schlägst ihn vor den Kopf.«
Endlich hatte Sibylle ihr Haus eingeräumt. Sie nahm sich ein Buch und ging in den Garten. Da standen noch von der Vorbesitzerin ein paar alte Gartenmöbel. Sie setzte sich in der Hoffnung, dass sie halten würden.
Die Abendsonne verschwand langsam hinter dem kleinen Wäldchen, das ein paar Meter weiter an dem See lag. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass es schon so spät geworden war.
Sie machte Anstalten, ins Haus zu gehen, als jemand sagte: »Geld brauch ich nicht. Eine Tasse Kaffee wäre genug oder zwei. Bei freier Zeiteinteilung, versteht sich.«
Erschrocken blickte sie auf. An der Hausecke stand ein dunkler Schatten. Er wieder.
»Ah, da sind Sie. Ich wollte Sie nicht vergraulen. Tut mir leid« entschuldigte sie sich.
»Schon gut«, beschwichtigte er. »Ich habe auch nicht erwartet, dass man jemanden, den man nicht kennt und der einfach ins Haus kommt, in den Arm nimmt. Wir sind wohl beide etwas übereilt aufeinandergetroffen. Gute Nacht.« Und weg war er wieder.
Sie wollte noch Gute Nacht sagen, aber da war er schon nicht mehr zu sehen.
Komischer Vogel, da hat Vater recht.
Nachdenklich ging sie ins Haus.
Kapitel 2
Die Woche war um, die Tapeten waren erneuert, die Decken gestrichen. Sibylle war zufrieden, auch weil Alfons eine hilfreiche Hand war. Es war eine lustige Zeit, er konnte einem Klecks, der fehl am Platz war, noch einen Sinn geben. Es entstand eine Vertrautheit, die Sibylle gut tat. Es war eine Art von väterlicher Freundschaft. Sie hatte ihm ihr ganzes Leben erzählt, von Schulzeit, erstem Freund, erstem Kuss, dem Gefühl, als seine Hand in ihrem Slip verschwand, der Angst davor und danach. Sie war jung und unerfahren, als da etwas in ihrer Hand wuchs, das zuerst so klein war, dass es ihr Angst machte, erzählte sie Alfons. Sie hatte ein nicht zu erklärendes Vertrauen zu ihm entwickelt. Nicht einmal ihrer Mutter hatte sie davon berichtet. Alfons erwies sich als die Art von seelischer Mülltonne, die Sibylle sich schon immer wünschte. Sie hatte einen Freund gefunden, einen Intimus der verschwiegen und verständnisvoll war.
Der Samstag war gekommen, der Freund sagte ab wegen Geschäften. Sie war schmerzlich enttäuscht. Der Nachmittag war zur Hälfte rum. Sie nahm sich ein Buch und machte es sich im Vorgarten gemütlich, eine Tasse Kaffee durfte nicht fehlen.
»Moin.«
Das Buch senkte sich. »Hallo.« Ihr Blick war wegen der Sonne eingeschränkt. Sie blinzelte suchend in die Umgebung.
»Hier sind wir, am Gartentor.«
»Ach da« Sie erhob sich und begab sich zu dem Ehepaar.
Man reichte sich die Hände.
»Wir hatten schon gehört dass jemand eingezogen ist. Das Dorf hat einen Mund, aber hundert Ohren und Augen. Und viele Zungen.«
»Ja, das kenne ich aus anderen Gegenden, wohl überall das Gleiche.«
»Wir wohnen ein paar Häuser weiter die Straße runter, Nummer sieben auf der rechten Seite. Es ist bedauerlich, dass die gute Frau Hinrichs gestorben ist. Sie war eine gute Freundin, oft bei uns zum Besuch.«
»Gestorben?«, fragte Sibylle etwas überrascht, denn es war noch nicht lange her, dass sie den Kaufvertrag unterschrieben hatten; da schien die Frau noch recht gesund. »Ich wähnte sie im Altersheim.«
»Ja, da war sie auch … nur kurz. Was da nun der genaue Grund war, wissen wir auch nicht, ging wohl von heute auf morgen. Steckt man nicht drin. Es wird viel geredet, der eine weiß dies, der andere das.«
»Ja, das kenne ich auch.«
»Aber gut, dass das Haus wieder bewohnt wird, dann verwildert es wenigsten nicht«, mischte sich der Mann ins Gespräch.
»Ja, der Garten ist eine Herausforderung. Ich wollte immer schon einen Garten haben, aber einen grünen Daumen habe ich leider nicht.«
»Wenn Sie Hilfe brauchen, scheuen Sie nicht zu fragen«, bot sich der Mann an.
»Danke, aber ich habe da schon einen Rentner, der mir zur Hand geht. Ein netter Nachbar.«
»Wer ist es denn? Ich kenne jeden in der Straße, aber es ist sonst keiner in Rente, zumindest nicht in unmittelbarer Nähe.«
Neugier ist eine Tugend, dachte Sibylle. »Alfons heißt er, wohnt da unten am See. Ist wohl ein kleines Haus. Hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser.« Sie zeigte die Straße runter.
»Nein, am See gibt es kein Haus, da mag wohl eine alte Schäferhütte sein, aber die ist verfallen.«
»Sind Sie sich da sicher?«, fragte Sibylle betont nach.
»Ganz früher, das ist hundert Jahre her, war da mal eine kleine Klause für die Kuhhirten, die da übernachten konnten, wenn sie die Kühe auf den Anger trieben. Aber davon ist auch nichts mehr nach. Und einen Alfons, nein, nicht dass ich wüste. Gibt es hier nicht«, sagte der Mann seiner Sache sicher.
»Aber da ist die Geschichte von einem Kuhhirten, der hier in der Gegend umkam. Der hieß Alfons«, warf die Frau ein.
»Der ist vor mehr als zweihundert Jahren erschossen worden.« Der Mann machte eindeutige Handbewegungen vor den Augen.
»Nein, der ist als Geist noch da, das erzählte doch die alte Hinrichs immer.«
»Nun spinnst du aber komplett, Weib. Komm, wir gehen. Sonst kann die junge Dame heute Nacht nicht schlafen. Wenn sie Hilfe benötigen, dann fragen Sie einfach«, setzte der Mann noch nach. Sie zankten sich noch eine Weile die Straße runter, bis sie nicht mehr zu hören waren.
Nun ging Sibylle die Geschichte, die sie schon vor Tagen hörte, erneut durch den Kopf; das Öl-Gemälde … Sie sah sich verunsichert in ihrem Garten um. Die wollten mir wohl Angst machen, dachte sie. Ist ihnen auch gelungen. »Nein, ich habe keine Angst vor Geistern!«, sagte sie recht laut, um auch jedem Gespenst klar zu machen, dass es ihr besser nicht zu nahe kommen sollte.
Unruhig war sie jetzt aber doch, denn sie glaubte Alfons zu kennen. Nun lautete die Frage: War sie einem Scharlatan aufgesessen? Oder will sich nur einer verstecken und führt mich an der Nase herum? Ihre polizeiliche Neugier war geweckt. Das werde ich ergründen.
Sibylle schaute den beiden Nachbarn noch eine Weile nach und schmunzelte ein wenig.
Na warte, du Schurke, dir werde ich dein Geheimnis entreißen. Mich auszuhorchen, mein Geheimstes aus mir rauszukitzeln, mein Intimstes zutage zu bringen … Komm du mir nach Hause …
Sie nahm ihr Buch und machte es sich noch eine Weile gemütlich. Der Kaffee hatte das Dampfen mittlerweile eingestellt.
Das Gartentor knarzte, als würde man einer Katze den Hals umdrehen. »Das Ding muss mal geölt werden. Moin«, sagte Alfons und ging den schmalen Kiesweg entlang zum Garten Haus, um den Rasenmäher aus dem Schuppen zu holen.
Sibylle legte ihr Buch beiseite und betrachtete Alfons intensiv. Sie wollte sehen ob er in der Sonne glimmerte oder durchscheinend war – oder eine Kette am Bein hatte, mit einer Kugel dran, die er durch den Kies zog. Einen Schatten warf er schon mal. Der wird wohl leben. Sie grinste, lehnte sich in ihren Stuhl, nahm das Buch und las weiter.
Alfons ging dann doch erstmal in die Küche und holte sich einen Kaffee.
Er setzte sich schließlich neben Sibylle auf einen der alten Gartenstühle, legte sich lang und schloss die Augen. »Ist es nicht ein schöner Tag? Wenn einem die Sonne den Pelz wärmt?«