Heimatkinder 17 – Heimatroman - Kathrin Singer - E-Book

Heimatkinder 17 – Heimatroman E-Book

Kathrin Singer

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. "Opa, wann kommt der Zug denn endlich?" Benedikt hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere. "Er müßte schon längst da sein", murmelte der Großvater vor sich hin. Die gedrehten Spitzen seines mächtigen Schnauzbartes zitterten leicht. Jeder, der Simon Schubert kannte, wußte, daß das bei ihm ein Zeichen höchster Erregung war. Seit einer halben Stunde stand der alte Schwalbenhof-Bauer bereits auf dem Bahnsteig. An der einen Hand hielt er seine Enkelin Annerl und an der anderen ihren Bruder Benedikt.

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Heimatkinder –17–

Heiraten, wie geht denn das?

Zwei kleine Liebesboten erleben ein Abenteuer

Roman von Kathrin Singer

»Opa, wann kommt der Zug denn endlich?« Benedikt hüpfte aufgeregt von einem Bein auf das andere.

»Er müßte schon längst da sein«, murmelte der Großvater vor sich hin.

Die gedrehten Spitzen seines mächtigen Schnauzbartes zitterten leicht.

Jeder, der Simon Schubert kannte, wußte, daß das bei ihm ein Zeichen höchster Erregung war.

Seit einer halben Stunde stand der alte Schwalbenhof-Bauer bereits auf dem Bahnsteig. An der einen Hand hielt er seine Enkelin Annerl und an der anderen ihren Bruder Benedikt.

Annerl sprach kein Wort. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und die sonst roten Wangen zeigten eine ungewöhnliche Blässe.

Endlich war in der Ferne der Triebwagen zu erkennen, und kurze Zeit später fuhr der Zug in den Bahnhof ein.

Benedikt hatte keinen Blick für die Lokomotive, obwohl er sich sonst alles, was mit der Eisenbahn zusammenhing, sehr genau ansah.

Heute war ein besonderer Tag für die Kinder: Der Vater sollte nach längerer Abwesenheit wieder einmal nach Hause kommen.

Mit weitausgreifenden Schritten ging Simon Schubert über den Bahnsteig. Er und die Kinder musterten jeden Aussteigenden.

Plötzlich stieß Benedikt einen Schrei aus. »Papa!«

Er riß sich von der Hand des Großvaters los und lief auf einen hochgewachsenen, braungebrannten Mann mit dunklem Haar zu.

»Beni, Bub! Wie schön, daß ich dich endlich wiederseh’.« Martin Schubert hatte Tränen in den Augen, als er seinen Sohn in die Arme schloß. Dann wandte er sich seiner Tochter zu.

»Mei, Annerl, bist du aber groß geworden.«

Das Madl errötete vor Stolz. Die Blässe war jetzt gänzlich verschwunden, und das niedliche Gesichterl glühte vor Aufregung und Freude.

Der Vater nahm Annerl in die Arme und drückte sie fest gegen seinen breiten Brustkorb.

Die Kinder klammerten sich an ihn. Erst nach Minuten fand Martin Schubert die Zeit, seinen Vater zu begrüßen.

Die beiden Männer tauschten einen festen Händedruck.

Die Augen des alten Schwalbenhof-Bauern waren feucht. Verstohlen wischte er sich mit dem Handrücken über die Lider.

»Bub! Wie schön, daß du endlich wieder einmal heimkommst. Deine Mutter ist vor Freude fast außer sich.«

Simon Schubert verschwieg, daß es ihm ähnlich ging wie seiner Frau, denn er war noch in dem Geist erzogen, daß es unschicklich war, wenn Männer ihre Gefühle offen zeigten.

Die vier strebten dem Ausgang zu. Simon Schubert ging mit seinem Sohn voran, die Kinder folgten.

»Bub, wie lange bleibst denn diesmal?« fragte der Alte, und seine Stimme schwankte leicht bei diesen Worten.

Benedikt hatte seiner Schwester leise eine Frage gestellt, doch Annerl winkte hastig ab. Sie wollte die Antwort des Vaters hören.

»…mehrere Monate«, hörte sie ihn gerade noch sagen und atmete erleichtert auf. Doch dann verdunkelte sich ihre Miene wieder. Wenn der Vater auch mehrere Monate daheim blieb, so bedeutete das doch, daß er irgendwann wieder fortging.

»Warum sagt der Opa zu unserem Papa allweil noch Bub?« wiederholte Benedikt nun seine Frage. »Der Papa ist doch ein erwachsener Mann und kein Bub mehr.«

Annerl schaute ihn ärgerlich an.

Darauf wußte sie keine Antwort, aber das wollte sie nicht zugeben, deshalb erklärte sie von oben herab: »Du stellst immer so dumme Fragen.«

»Meine Fragen sind net dumm«, protestierte Benedikt. Er überlegte einen Moment lang angestrengt, und dann leuchteten seine Augen auf. »Meinst, der Opa sagt Bub zu unserem Papa, weil er ihn net richtig sehen kann? Du weißt doch, wie ungern er seine Brille trägt, und die Oma sagt immer, er wird noch einmal über seine eigenen Füß’ stolpern.«

Annerl schüttelte entschieden den Kopf. »Gewiß kann er ihn auch ohne Brille sehen. Er sagt halt Bub zu ihm, weil es ja sein Sohn ist. Das ist doch ganz einfach.« Sie war zutiefst erleichtert, daß ihr diese Antwort eingefallen war.

Benedikt wirkte zwar noch nicht ganz überzeugt, aber er stellte keine Fragen mehr zu diesem Thema, denn es gab soviel anderes, was ihm durch den Kopf ging.

Er lief etwas rascher und griff nach der Hand des Vaters. Die Erwachsenen unterbrachen ihr Gespräch, und Martin Schubert beugte sich zu seinem Sohn hinunter. Stolz schaute er ihn an. »Ich freu’ mich ja so sehr, dich wiederzusehen, Beni. Was hast denn in der letzten Zeit gemacht, als ich fort war?«

»Net viel«, antwortete der Kleine treuherzig.

Der Vater lachte laut auf. Jetzt legte er den Arm um Annerl, die sich zwischen ihn und den Großvater drängte.

»So, nun erzählt mir erst einmal, was ihr euch wünscht.«

Annerl schluckte. Sie hatte einen ganz bestimmten Wunsch, aber sie ahnte, daß er nicht in Erfüllung gehen würde.

»Ich wünsch’ mir eine elektrische Eisenbahn«, erklärte Benedikt sofort.

»Und was möchtest du haben, Schatzerl?« Liebevoll strich Martin Schubert seiner Tochter über das blonde, lockige Haar.

»Ich... ich wünsch’ mir so sehr, daß du für immer daheim bleibst, Papa.«

Ein Schatten fiel über das Gesicht des jungen Schwalbenhof-Bauern. Er bemerkte nicht, daß auch sein Vater ihn gespannt von der Seite anschaute und auf seine Antwort wartete.

»Du weißt doch, daß ich einen Vertrag unterschrieben hab’, Annerl«, meinte er schließlich. »Ich hab’ jetzt mehrere Monate Urlaub, aber dann muß ich wieder zurück. Sie brauchen mich dort, verstehst du?« fügte er eindringlich hinzu.

Das Madl schüttelte den Kopf.

Wußte der Vater denn nicht, daß sie ihn auf dem Schwalbenhof genauso brauchten wie dort irgendwo in einem fremden Land?

Vor drei Jahren war Annerls und Benedikts Mutter gestorben, und Martin Schubert hatte den Verlust seiner Frau noch immer nicht überwinden können. Sie waren so glücklich miteinander gewesen auf dem Schwalbenhof und in dem kleinen Ort Talbrunn, in dem er geboren worden war und zeit seines Lebens gelebt hatte. Dort erinnerte ihn nun alles an Susanne.

Oft hatte er das Gefühl, der Schmerz zerreiße ihn. Selbst das Zusammensein mit seinen Kindern machte ihn traurig. Sie fragten oft nach der Mutter, und er war immer um eine Antwort verlegen.

Warum hatte der Herrgott Susanne auch so früh zu sich gerufen? Sie war so lebensfroh und liebenswert gewesen.

Martin Schubert wußte selbstverständlich, daß es zu einfach war, die Verantwortung für alles, was auf dieser Welt geschah, dem lieben Gott zuzuschieben. Doch so sehr er auch grübelte und nach dem Sinn des Lebens forschte, er fand keine Antwort.

Der junge Schwalbenhof-Bauer hatte es daheim nicht mehr ausgehalten. Er hatte nur noch einen Wunsch gehabt: Fortzugehen und vergessen, daß auf dem kleinen Kirchhof in Talbrunn seine geliebte Susanne begraben lag. Niemals wieder würde er ihr Lachen hören, niemals mit ihr die langen, vertrauten Gespräche führen, die sie einander so nahe gebracht hatten. Und niemals mehr würde sie in seinen Armen liegen!

Martin hatte schließlich einen Entschluß gefaßt und so fiel es ihm nicht schwer, einen Posten als landwirtschaftlicher Berater in einem Entwicklungsland zu finden.

Dort – fern von der Heimat, unter fremden Menschen, inmitten einer anderen Kultur – fiel es ihm nicht mehr ganz so schwer, all das zu verdrängen, was ihn bedrückte.

Regelmäßig kam der junge Schwalbenhof-Bauer heim. Er wußte, daß seine Eltern und seine Kinder sehnsüchtig auf ihn warteten.

Und manchmal fühlte er sich schuldig. Machte er es sich nicht zu einfach, indem er einfach fortlief?

Annerl und Beni sind bei ihren Großeltern sehr gut aufgehoben. Sie vermissen mich net, sagte er sich immer wieder.

Mit diesen Gedanken versuchte er das nagende, schlechte Gewissen zu betäuben und wußte doch, daß er sich selber belog.

*

»Bub, mei wie schön, daß du endlich einmal wieder daheim bist.«

Maria Schubert umarmte ihren Sohn. Sie reichte ihm gerade bis zum Kinn. Er drückte sie fest an sich.

»Hörst, die Oma hat auch Bub zum Papa gesagt«, tuschelte Annerl ihrem Bruder zu. »Und sie kann noch sehr gut sehen, auch ohne eine Brille. Erkennst jetzt endlich, wie dumm du bist.«

»Ich bin net dumm«, protestierte der Bub halblaut. Aber sein Protest klang recht schwach, weil ihm so viel anderes durch den Kopf ging. Er hätte den Papa am liebsten mit Fragen überschüttet, doch Beni kannte die Erwachsenen gut genug, um zu wissen, daß sie sich erst einmal sehr viel zu erzählen hatten.

Und so war es auch. Die Familie setzte sich in die Stube. Nachdem Martin Schubert das Gesinde begrüßt hatte, servierte eine der Mägde ein reichhaltiges Abendessen.

»Nun erzähl erst einmal, was du in den letzten Monaten erlebt hast«, bat die Großmutter.

Die Kinder warteten gespannt auf das, was der Vater berichten würde.

Doch der junge Schwalbenhof-Bauer winkte ab. »Da gibt’s net viel zu erzählen, Mutter. Bei mir läuft alles immer im gleichen Trott. Die Arbeit ist net leicht.« Seine Miene verdüsterte sich »Und ich wünscht’, wir bekämen mehr Unterstützung und mehr Gelder von unserem Staat.«

Er schaute zum Fenster hinaus. »Man kann die Landwirtschaft in einem Entwicklungsland net mit der unsrigen vergleichen. Wir arbeiten hier viel rationeller, und unsere Ernten fallen auch entsprechend aus.«

»Hast denn net oft Heimweh, Martin?« fragte der alte Schwalbenhof- Bauer.

»Ja, das hab’ ich«, gab der Sohn zu und lächelte seine Kinder und seine Eltern an. »Ihr glaubt gar net, wie sehr ich mich freu’, endlich wieder daheim zu sein.«

»Aber warum bleibst du denn net allweil bei uns?« wandte die Mutter ein.

»Dein Vater wird alt, und eigentlich solltest du den Hof übernehmen.«

»Dann braucht der Papa aber eine Frau!« rief Benedikt. »Das hat die Frau vom Krämer gesagt«, fügte er ein wenig verlegen hinzu, als er die Betretenheit der Erwachsenen sah.

Martin Schubert lachte kurz auf.

»Die Frau vom Krämer soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«

Unbehagliches Schweigen trat ein, bis Simon Schubert sich schließlich räusperte. »Komm, Bub«, meinte er und stand auf. »Wir zwei gehen jetzt ins Wirtshaus. Du willst doch gewiß die anderen Leute aus dem Dorf wiedersehen!«

»Das ist eine gute Idee«, stimmte sein Sohn zu. »Ich hätt’ schon Lust auf eine schöne, frische Maß Bier mit einer gehörigen weißen Schaumkrone drauf.«

»Opa, dann singst heut nacht wieder, gell?« fragte Annerl.

»Und morgen früh verlangst von der Oma einen sauren Hering zum Frühstück und stöhnst, daß dein Kopf dir weh tut«, fügte Beni unschuldig hinzu.

»Geh, Kinder redet net so einen Schmarrn«, erwiderte der Großvater unwirsch.

»Wenn’s doch aber stimmt«, murmelte Benedikt vor sich hin.

Die Großmutter warf ihm einen strengen Blick zu, doch um ihren Mund spielte ein Lächeln.

»Für euch wird es Zeit, ins Bett zu gehen«, sagte sie resolut. »Sagt eurem Vater gute Nacht, und dann marsch ab ins Bad. In einer halben Stunde komm’ ich und sprech’ mit euch das Nachtgebet.«

»Ooooh... och...«, kam es einstimmig zurück. »Wir haben geglaubt, wenn der Vater da ist, dann könnten wir länger aufbleiben.«

»Es ist schon später als gewöhnlich«, gab die Großmutter zu bedenken. »Aber weil heut ein besonderer Tag ist, bekommt ihr auch noch ein leckeres Guterl.«

Das versöhnte Annerl und Benedikt ein wenig mit dem frühen Zubettgehen, gegen das sie jeden Abend heftigst protestierten. Allerdings immer ohne Erfolg.

Der Vater gab beiden noch ein liebes Busserl, und Annerl legte für einen Moment die Arme um seinen Nacken und preßte ihr Gesichterl gegen seine rauhe Wange.

»Spielst morgen früh mit uns, Papa?«

»Ja, das mach’ ich«, versprach er.

Eine halbe Stunde später gingen er und sein Vater aus dem Haus. Am Hoftor drehte Martin sich noch einmal um und schaute zurück.

Mit einem langen Blick betrachtete er alles. Das behäbige alte Bauernhaus, die sorgfältig instandgehaltenen Ställe und die große Scheune, in der das Heu und Stroh für den Winter lagerte.

Schweigend stand der Vater neben ihm und schaute ihn still von der Seite an. Simon Schubert wünschte sich so sehr, daß sein Sohn wieder daheimbleiben würde. Doch er kannte Martin gut genug, um zu wissen, daß jedes Drängen ihn eher dazu bringen würde, länger fortzubleiben.

Doch irgendwann mußte die Wunde, die Susannes Tod hinterlassen hatte, ja einmal verheilen. Auf diesen Tag wartete der alte Schwalbenhof-Bauer. Dann würde sein Sohn daheimbleiben, den Hof übernehmen, und er konnte sich in Ruhe aufs Altenteil zurückziehen.

Nebeneinander schritten sie die stille Dorfstraße entlang. Einige der Bauern kamen gerade von ihren Feldern zurück und begrüßten die Männer vom Schwalbenhof freundlich.

In Talbrunn kannte jeder jeden, und man wußte über die Verhältnisse der Nachbarn oft besser Bescheid als über die der eigenen Familie.

Simon Schubert erzählte auf dem Weg seinem Sohn den neuesten Dorfklatsch. »Der Bärenwirt hat eine neue Kellnerin, ein blitzsauberes Madl, das will ich dir sagen, Bub. Vielleicht könnt’ sie dir ja gefallen.«

Leise Hoffnung sprach aus seiner Stimme. Er dachte an die Worte, die sein Enkel beim Abendbrot geäußert hatte. So dumm war es ja gar nicht, was der Beni gesagt hatte. Wenn Martin eine passende Frau fand, die er gern hatte, dann würde er gewiß bleiben und die traurige Vergangenheit vergessen.

Doch sein Sohn brummte nur etwas Unverständliches vor sich hin.

Bald hatten sie ihr Ziel erreicht und stiegen die Stufen, die zur Eingangstür des Wirtshauses führten, hinauf. Martin öffnete die schwere Tür und ließ seinem Vater den Vortritt.