Heimatkinder 19 – Heimatroman - Verena Kersten - E-Book

Heimatkinder 19 – Heimatroman E-Book

Verena Kersten

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Die kleine Kathrin schmiegte sich an ihre Mutter. "Wie heißt das, wohin wir fahren, Mutti?" "Das ist das Kleine Walsertal, mein Schatz. Dort liegt hoch oben in den Bergen der Ort Steinried. Dort war ich mit Vati schon, als du noch nicht geboren warst. Uns hat es immer sehr gut gefallen. Wir werden in der Pension Nebelhorn wohnen. Weißt du, das Nebelhorn ist ein großer Berg in der Nähe." "Aber wird es dort auch Kinder geben, mit denen ich spielen kann, Mutti?" Die knapp sechsjährige Kathrin zwirbelte an einer Strähne ihres hellbraunen Haares, ihre dunklen Augen sahen sehnsüchtig aus.

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Heimatkinder –19–

Es wird alles gut, kleine Maxi

Ein kleines Mädchen wird wieder glücklich

Roman von Verena Kersten

Die kleine Kathrin schmiegte sich an ihre Mutter. »Wie heißt das, wohin wir fahren, Mutti?«

»Das ist das Kleine Walsertal, mein Schatz. Dort liegt hoch oben in den Bergen der Ort Steinried. Dort war ich mit Vati schon, als du noch nicht geboren warst. Uns hat es immer sehr gut gefallen. Wir werden in der Pension Nebelhorn wohnen. Weißt du, das Nebelhorn ist ein großer Berg in der Nähe.«

»Aber wird es dort auch Kinder geben, mit denen ich spielen kann, Mutti?« Die knapp sechsjährige Kathrin zwirbelte an einer Strähne ihres hellbraunen Haares, ihre dunklen Augen sahen sehnsüchtig aus.

Jutta Gerlach verstand ihr Kind. Es musste leider hier auf dem Obstgut Bodenwerder viel allein sein. Der Besitz lag zwar wunderschön am Ufer des Bodensees, aber bis zum nächsten größeren Ort war es ein weiter Weg. So fehlte es Kathrin meistens an Spielgefährten. Sie freute sich schon jeden Tag mehr auf die Zeit, wenn sie in die Schule gehen konnte.

Jutta Gerlach seufzte verstohlen. Wieder einmal bedrückte es sie, dass sie nach Kathrins Geburt nicht mehr hatte Mutter werden können. Trotz ihrer erst vierunddreißig Jahre hatte sie dieses Urteil von den Ärzten annehmen müssen. Auch sehr zum Leidwesen ihres Mannes Martin.

»Warum sagst du nichts, Mutti?«, drängte Kathrin. »Wird es in Steinried Kinder geben, mit denen ich spielen kann?«

»Ich glaube schon, Kathrin. In der Pension werden mehrere Urlauber sein. Sicher auch mit Kindern. Aber jetzt lass uns weiterpacken, damit wir fertig sind, wenn Vati von draußen zurückkommt.«

Kathrin packte eifrig mit zu. Es war ihr sehr wichtig, dass ihr Teddy Florian und ihre Lieblingspuppe Susi mitkamen. Dabei träumte sie in einem fort von Kindern, die sie in Steinried treffen würde. Durch die große Liebe ihrer Eltern war sie zwar kein vereinsamtes Kind, aber sie hätte so gern Geschwister oder Freunde gehabt.

*

In den ersten Tagen in der Pension »Nebelhorn« ging Kathrins großer Wunsch nicht in Erfüllung, aber in der zweiten Woche reiste das Ehepaar Nielsen mit der fünfjährigen Steffi an. Auch sie war ein Einzelkind und verstand sich gleich mit Kathrin sehr gut. Wenn die Eltern größere Wanderungen unternahmen, spielten die beiden Mädchen in der Pension oder auf dem großen Vorplatz. Die Wirtin beaufsichtigte sie gern. Aber das wäre gar nicht nötig gewesen, die beiden Mädchen stellten nichts an, sie tummelten sich fröhlich und fanden immer wieder ein neues Spiel. Hier oben konnte ihnen nichts passieren, auch wenn sie sich ein Stück von der Pension entfernten.

Schon öfter hatten sie zu einem kleinen Haus am Waldrand gesehen, weil sie dort ein kleines Mädchen entdeckt hatten. Es konnte noch nicht so alt sein wie sie, war aber immer allein.

Eines Morgens, als die Eltern in der Pension blieben, fragte Kathrin: »Mutti, darf ich mit Steffi einmal zu dem kleinen Haus gehen? Du weißt doch, wo das Mädchen immer so allein spielt. Vielleicht würde es sich freuen, wenn wir es besuchen.«

Jutta Gerlach sah ihren Mann an. »Meinst du, dass wir das erlauben können? Es ist wirklich nicht weit.«

»Also, dann marschiert los«, entschied Martin Gerlach. »Vielleicht kommt Mutti dann nach. Ich habe nämlich einige wichtige Telefonate zu führen.«

Kathrin lief schon zu Steffi, und bald darauf waren sie miteinander unterwegs.

Als sie sich dem kleinen Haus näherten, entdeckten sie das Mädchen schon, zu dem sie wollten. Es sah ganz allerliebst aus mit dem blonden Lockenkopf. Im Augenblick war es damit beschäftigt, aus kleinen Holzscheiten einen Turm zu bauen. Als es Kathrin und Steffi bemerkte, sah es mit großen blauen Augen etwas erschrocken drein.

»Vor uns brauchst du nicht zu erschrecken. Wir wollten gern mit dir spielen, weil du immer so allein bist.« Kathrin tippte sich auf die Brust. »Ich bin die Kathrin, und das da ist meine Freundin Steffi. Wir wohnen in der Pension Nebelhorn. Wie heißt du?«

Das kleine Mädchen schluckte erst, bis es antwortete: »Maxi Berauer.«

»Maxi!«, rief Steffi. »Das ist aber ein schöner Name. Wohnst du in dem kleinen Haus hier?«

Maxi nickte. »Ja, bei Großmutter, aber Mutti und Vati sind in München. Dort war ich auch, aber ich glaube, jetzt wollen sie mich nicht mehr haben.« Das klang sehr traurig.

Kathrins weiches Herz schmolz schon. »So ist es bestimmt nicht. Sicher redest du dir das nur ein. Alle Eltern wollen ihre Kinder.«

Maxis rundes Gesichtchen hellte sich nicht auf. »Aber Mutti holt mich doch nicht mehr. Sie hat immer so viel zu tun, und Vati …, ja, er muss immer machen, was sie will.«

»Mein Gott, Maxi, was redest du denn wieder für dummes Zeug?«, erklang da eine Frauenstimme.

Hinter den Kindern stand eine ältere Frau. Sie stützte sich schwer auf einen Stock.

»Ist das deine Großmutter?«, fragte Steffi.

»Ja, meine liebe Großmutter.« Jetzt leuchteten Maxis Augen auf einmal.

»Wer seid ihr denn?«, fragte die Frau. Sie war Maria Berauer.

Kathrin plapperte schon drauflos. Wenn es galt, mit jemandem Freundschaft zu schließen, war sie immer schnell dazu bereit. Sie erzählte, woher sie stammte, so sie jetzt wohnte und dass Steffi ihre neue Freundin war. Etwas scheuer als zuvor fragte sie: »Dürfen wir manchmal mit Maxi spielen? Wir würden das so gern tun.«

»Warum nicht? Sie wird sich freuen, einmal etwas Gesellschaft zu haben. Unser Haus steht zu abseits vom Ort, als dass oft Kinder hier herauskämen. Dadurch ist Maxi meistens auf mich angewiesen.« Maria Berauer hatte sich auf einen Holzklotz gesetzt. Es war ihr anzumerken, dass sie sich nur sehr schlecht auf den Beinen halten konnte. Ihr Gesicht sah abgespannt und müde aus.

»Wie alt ist denn Maxi?«, fragte Steffi.

»Vier Jahre«, antwortete die Großmutter.

Maxi nickte dazu und bestätigte: »Ja, vier Jahre. Das weiß ich schon. Auch, dass meine Mutti Nina heißt und mein Vati Daniel.«

»Ja, du bist schon gescheit.« Kathrin hockte sich neben sie. »Komm, wir bauen ein ganz großes Haus. Steffi und ich können dir dabei helfen.«

»Nachher könnt ihr zu mir ins Haus kommen«, sagte Maria Berauer. »Ich mache euch Kakao, und Kuchen habe ich auch noch.« Sie ging ins Haus zurück.

Inzwischen kam Jutta Gerlach. Auch ihr gefiel das kleine blonde Mädchen sehr. Es ging immer mehr aus sich heraus, sprang eifrig herum und ließ erkennen, wie glücklich es über diese Gesellschaft war. Als die Großmutter wieder aus dem Haus kam, sah sie etwas erschrocken auf Jutta Gerlach. Nun musste sie Kathrins Mutter wohl auch einladen, aber in ihrer Wohnstube war wenig Platz.

Jutta Gerlach nahm ihr diese Bedenken. »Es ist sehr lieb von Ihnen, dass Sie Kathrin und Steffi einladen wollten, aber ich glaube, wir müssen in die Pension zurückgehen. Dort erwarten uns mein Mann und Steffis Eltern. Aber wenn es Maxi Spaß macht, können Steffi und Kathrin morgen wiederkommen.«

»Darüber würden Maxi und ich uns sehr freuen«, sagte Maria Berauer. »Ich bin leider durch ein schweres Beinleiden behindert und kann mich nicht so um meine Enkelin kümmern, wie es nötig wäre. Ich lebe immer in der Angst, dass sie ein vereinsamtes Kind wird. Es wäre an der Zeit, dass sie wieder für längere Zeit nach München zu ihren Eltern gehen könnte, aber …« Sie sprach nicht weiter.

Jutta Gerlach spürte, dass sie über das Aber nicht reden wollte.

*

Am nächsten Tag kam sie mit Maria Berauer in ein längeres Gespräch, während die Kinder spielten. Nun ging die ältere Frau auch aus sich heraus.

»Es ist ein Elend«, klagte sie, »dass Maxi so aufwachsen muss. Von ihrer Mutter bekommt sie kaum Liebe. Sie führt ein aufwendiges Leben, Vergnügungen sind ihr wichtiger als das Kind. Meine Schwiegertochter stammt aus sehr wohlhabenden Verhältnissen. Ihr Vater ist ein reicher Unternehmer in München. Da ihm seine Frau früh gestorben ist, hat er Nina zu seinem Abgott gemacht. Leider hat sich mein Sohn in dieses turbulente Leben hineinreißen lassen, das man in der Villa Uhlen führt. Dabei stammt mein Sohn doch von hier.

Wir haben immer in bescheidenen Verhältnissen gelebt. Sein Vater war Waldarbeiter, und Daniel ist Bergführer. Seine Heimat und sein Beruf gingen ihm über alles, bis er Nina kennen lernte. Seitdem lebt er wie der verlorene Sohn in München.

Ich weiß, dass er sich dort nicht wohlfühlt, aber er liebt seine Frau sehr und könnte wohl nicht mehr ohne sie sein. Er liebt auch Maxi und leidet darunter, so wenig mit ihr beisammen sein zu können, aber seine Frau bringt sie immer wieder hierher. Wer dem Vergnügen nachjagt, hat für ein Kind keine Zeit.«

Jutta Gerlach wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie spürte nur, dass es für Maria Berauer Erleichterung bedeutete, einmal über ihren Kummer sprechen zu können.

Nun sagte sie noch: »Ihr Töchterchen kommt mir fröhlicher vor als Maxi, dabei ist es doch auch ein Einzelkind.«

»Hängt denn Maxi sehr an ihrer Mutter?«, fragte Jutta Gerlach.

»Eigentlich nicht. Sie sehnt sich nach Mutterliebe. Ich bekomme das jeden Tag zu spüren. Aber jetzt will ich Sie mit meinen Sorgen nicht mehr behelligen, Frau Gerlach, sondern mich nur darüber freuen, dass meine Enkelin so liebe Gesellschaft hat. Leider wird das bald wieder vorbei sein.«

Der Abschied nahte schneller, als es alle wahrhaben wollten. Kathrin musste sich von Steffi trennen, aber von Maxi tat sie es besonders schweren Herzens. Sie wollte nicht begreifen, dass sie dieses liebe Mädchen nicht mehr wiedersehen sollte.

Während der ganzen Rückfahrt war Kathrin traurig.

*

Zu dieser Zeit gab es in der komfortablen Villa des Unternehmers Gustav Uhlen in München wieder einmal Streit. Der sechsunddreißigjährige Daniel Berauer und seine zehn Jahre jüngere Frau Nina gerieten sich oft in die Haare. Meistens kam es dadurch, dass Nina ihren Mann kritisierte. Was er auch tat, es war ihr nicht recht.

Ein Außenstehender hätte den Grund dazu erkannt. Die verwöhnte Nina hatte sich den Mann aus den Bergen erobert, wie sie alles an sich riss, was ihr gerade gefiel. Ihr Umgang waren bis vor fünf Jahren ganz andere Männer gewesen. Solche aus der besten und auch versnobten Gesellschaft. Die Tochter des reichen Vaters hätte jeder Mann gern geheiratet. Zudem war Nina mit ihrem roten Haar und den blitzenden grünen Augen ein rassiges Geschöpf, das die Männer anzog wie das Licht die Motten.

Keiner von ihren Bekannten hatte bei Nina das Rennen gemacht. Bei einer Bergtour hatte sie sich in Daniel Berauer verliebt. Dieser Naturbursche war einmal etwas ganz Neues für sie gewesen. Sehr deutlich hatte sie ihm Avancen gemacht und bald von der großen Liebe geredet.

Die Heirat mit dem Bergführer hatte in Ninas Kreisen großes Aufsehen erregt, aber auch zu Prophezeiungen geführt, dass diese Ehe nicht lange halten werde.

Schon nach Maxis Geburt hatte es zu kriseln begonnen. Auf einmal war sich Nina wieder bewusst geworden, dass dieser schlichte Mann gar nicht zu ihr passte. Ihre Laune, ihn ganz an sich gefesselt zu haben, war befriedigt worden, nun hatte sie nur in einem fort an ihm etwas auszusetzen. Oft ging das so weit, dass sie sich seiner schämte. Er war nun einmal kein Mensch, der die gesellschaftlichen Floskeln beherrschen lernte, der die Heuchelei der anderen mitmachen konnte. Immer wieder distanzierte er sich von den Leuten, die seine Frau umgaben. Es kam ihm auch nicht darauf an, jemanden vor den Kopf zu stoßen.

Das aber machte Nina immer wütender. Sie bereute diese Heirat und sehnte sich längst nach einer anderen Verbindung. Noch aber sah es nicht so aus, als werde sich Daniel abschieben lassen. Er gab seiner Frau immer wieder zu verstehen, wie sehr er sie liebte. Dass sie inzwischen darüber lachte, verstand er nicht.

Ihr großzügiger Haushalt wurde von ihrem Vater finanziert. Das hielt sie Daniel immer wieder vor, obwohl er kaum Zeit gefunden hätte, seinem Beruf nachzugehen. Jede Stunde musste er gewärtig sein, dass ihn Nina mit Beschlag belegte.

Der Müßiggang aber war für ihn kaum zu ertragen. Nie hatte er sich vorstellen können, nur der Mann seiner Frau zu sein. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, schrieb er schon seit längerer Zeit an einem Buch. Es behandelte eine seiner Expeditionen in den Himalaya. Dort war er schon mehrere Male mit Bergkameraden gewesen. Er hatte einen guten Ruf in seinen Kreisen. Die Fachwelt wartete auf sein Buch.

Nina aber machte sich darüber lustig. »Schreibst du wieder?«, fragte sie oft spöttisch. »Ja, du kannst dir solch ein Hobby leisten. Mein Vater kommt ja für alles auf, was wir brauchen.«

Daniel litt immer mehr. Am meisten darunter, dass er mit seinem Kind nicht zusammen sein konnte. Sooft er auch Maxi nach München holen wollte, Nina wehrte stets entsetzt ab.

»Soll ich mich mit dem Kind auch noch belasten?«, fragte sie. »Ich bin ohnedies nervös und abgespannt. Du stehst mir kaum bei, dieses große Haus zu führen, die Gesellschaften vorzubereiten und dem Namen meines Vaters jenen Glanz zu geben, der ihm gebührt.«

Meistens schwieg Daniel zu solchen Reden, aber allmählich hielt er dieses schale Leben nicht mehr aus. Er nahm noch einmal einen Anlauf, seine Ehe zu retten.

Tagelang hatte er darauf warten müssen, in Ruhe mit seiner Frau sprechen zu können. Als es ihm endlich gelang, war sie wieder in hektischer Verfassung.

»Warum nimmst du dir nicht etwas mehr Zeit für uns?«, fragte Daniel. »Wie soll unsere Ehe besser werden, wenn du mich immer links liegen lässt?«

»Ich habe eben so wenig Zeit, aber das verstehst du alles nicht. Du kommst aus einer anderen Welt und gibst dir nicht die geringste Mühe, dich in der für dich neuen zurechtzufinden. Ich hatte mir das Leben mit dir anders vorgestellt. Kannst du deine Herkunft wirklich nicht vergessen?«

»Ich will sie gar nicht vergessen, Nina, denn ich brauche mich ihrer nicht zu schämen. Du hast die Verhältnisse kennen gelernt, in denen ich großgeworden bin. Wenn sie dich störten, hättest du nicht meine Frau werden dürfen. Das aber wolltest du. Ich hatte Hemmungen, aber du hast sie mir ausgeredet.«

Nina zuckte die Schultern. »Da war ich verliebt, aber das ist lange her.«

Daniel erschrak. Er legte die Arme um die Schultern seiner Frau. »Du liebst mich nicht mehr?«, fragte er erregt. Er war groß und kräftig, aber jetzt wirkte er fast hilflos.

Nina lächelte spöttisch. »Ich bitte dich, verschon mich mit gewaltigen Worten von der sogenannten großen Liebe. An die mag so ein Mann aus deiner Welt noch glauben, in meiner haben sie keinen Platz. Wir hier sind etwas beschwingter als ihr da oben in den Bergen. Bei uns sind andere Dinge wichtig. Zum Beispiel, dass ein Mann eine gute Figur macht. Das aber scheinst du nicht zu können.«

»Ich komme mir doch schon wie ein Hampelmann vor«, sagte Daniel entrüstet. Er strich sich über das dunkle Haar. »Bin ich überhaupt noch ich selbst? Ständig muss ich daran denken, ob ich dir gefalle, ob deine vielen Bekannten nichts an mir auszusetzen haben. Ich kann meinem Beruf nicht mehr nachgehen und …«

Nina unterbrach ihren Mann. »Das hast du gewusst, als wir heirateten. Oder soll ich dir hier in München Berge aufbauen lassen, auf die du steigen kannst? Das ist doch ein lächerlicher Beruf, den du da hattest. Das Schreiben finde ich genauso überflüssig. Du wirst nie ein berühmter Literat werden.«

»Das ist auch nicht mein Ziel. Aber mit meinen Fachbüchern würde ich anerkannt und würde mir mein Geld verdienen können.« Daniel zog seine Frau an sich. Seine Stimme nahm einen bittenden Klang an. »Geh in dich, Nina. Wir haben ein Kind, das Vater und Mutter braucht. Meine Mutter ist behindert, sie wird sich nicht immer um Maxi kümmern können. Wenn du mich nicht von einer Party zur anderen treiben würdest, könnte ich so viel verdienen, dass es für uns drei reicht. Wir brauchten nicht so aufwendig zu leben wie jetzt.«

Nina befreite sich aus seinen Armen, sie sah ihn entsetzt an. »Sprichst du im Ernst? Du willst von mir verlangen, dass ich vielleicht irgendwo in einem kleinen Haus mit dir lebe, alle Arbeit selbst tue und mir das sparsame Wirtschaftsgeld einteile? Dazu bin ich nicht geboren. Du verlangst Unmögliches von mir.«

»Es wäre nicht unmöglich, wenn du mich liebtest und dir das Leben mit mir und Maxi etwas bedeuten würde.«

»Wir kommen immer wieder auf dasselbe zurück. Das bin ich leid. Zudem habe ich gar keine Zeit für solch unnütze Gespräche. Ich bin beim Packen. Du weißt, dass wir übermorgen nach Hamburg fahren wollen. Mein Vater legt Wert darauf, dass wir wieder einmal für einige Zeit in unserem dortigen Haus leben, damit wir den Kontakt zu der Hamburger Gesellschaft nicht verlieren. Ich hoffe, du hast inzwischen etwas dazugelernt, dass du nicht wieder stumm herumstehen musst. Das war mir bei unseren letzten Aufenthalten in Hamburg peinlich.«

»Ich soll also mitkommen«, sagte Daniel, als habe er damit nicht gerechnet.

»Das überlasse ich dir. Bis übermorgen hast du Zeit zu deiner Entscheidung.«

»Ich treffe sie schon jetzt.« Daniels Stimme nahm einen trotzigen Klang an. Nein, er wollte es noch nicht aufgeben, um seine Ehe zu kämpfen. Es war nie seine Art gewesen, sich zu schnell geschlagen zu geben.

»Ich komme mit, aber lass mich Maxi holen. Sie soll uns begleiten«, verlangte er.

»Das kommt überhaupt nicht infrage. Gerade in Hamburg werde ich keine Zeit für das Kind haben. Zudem ist es mir bei deiner Mutter schon viel zu bäuerlich geworden. Ich kann Maxi so nicht vorzeigen.« Nina ging zur Tür. »Also, lass dir nicht einfallen, Maxi zu holen. Ich würde dann auch auf deine Begleitung verzichten.« Sie verließ das Zimmer.

Daniel sah ihr verzweifelt nach. Er wusste, dass sie wieder Siegerin bleiben würde. Auch wenn er aufbegehrte, am Ende fügte er sich ihren Wünschen immer wieder.

Aber eines würde er wenigstens tun, noch zu Maxi fahren. Er hatte sie vor drei Wochen zum letzten Mal gesehen.

Als er Nina Bescheid sagen wollte, war sie nicht mehr im Haus. Sie ließ ihn nie wissen, was sie vorhatte. So sagte er jetzt einem Mädchen, dass er ins Kleine Walsertal fahren wollte und morgen Abend zurück sein würde.

*

Während der ganzen Fahrt war Daniel in zerrissener Stimmung. Immer wieder suchte er nach einem Ausweg, wie er sich bei seiner Frau besser durchsetzen könnte, aber es fiel ihm keiner ein. Es kam ihm leichter vor, einen Achttausender im Himalaja zu besteigen, als Nina etwas aufzuzwingen, gegen das sie sich wehrte.

Knapp vor Steinried wurde ihm etwas leichter zumute. Seine Freude stieg, gleich sein Kind auf die Arme nehmen und an sich drücken zu können.