Heimatkinder 27 – Heimatroman - Anja Baum - E-Book

Heimatkinder 27 – Heimatroman E-Book

Anja Baum

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Beschreibung

Die Heimatkinder verkörpern einen neuen Romantypus, der seinesgleichen sucht. Zugleich Liebesroman, Heimatroman, Familienroman – geschildert auf eine bezaubernde, herzerfrischende Weise, wie wir alle sie schon immer ersehnt haben. Unruhig ging Gustav Breithuber im Wartezimmer des großen Krankenhauses der Kreisstadt auf und ab. Immer wieder presste er die Hände gegeneinander, ballte sie zu Fäusten bis sie ihm schmerzten. Er hätte sich am liebsten eine Zigarette angezündet, doch das rote Schild an der Wand mahnte ihn, es nicht zu tun. Er wollte eben das Fenster öffnen, um frische Luft hereinzulassen, da kam die Krankenschwester. Gustav hörte die Schritte hinter sich. Er drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an. "Herr Breithuber, Sie haben einen kleinen Sohn", sagte sie und reichte ihm die Hand. "Meinen Glückwunsch."

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Heimatkinder –27–

Ich hab den Papa heimgeholt

Die kleine Maria wünscht sich eine richtige Familie

Roman von Anja Baum

Unruhig ging Gustav Breithuber im Wartezimmer des großen Krankenhauses der Kreisstadt auf und ab. Immer wieder presste er die Hände gegeneinander, ballte sie zu Fäusten bis sie ihm schmerzten. Er hätte sich am liebsten eine Zigarette angezündet, doch das rote Schild an der Wand mahnte ihn, es nicht zu tun.

Er wollte eben das Fenster öffnen, um frische Luft hereinzulassen, da kam die Krankenschwester. Gustav hörte die Schritte hinter sich. Er drehte sich zu ihr um und sah sie fragend an.

»Herr Breithuber, Sie haben einen kleinen Sohn«, sagte sie und reichte ihm die Hand. »Meinen Glückwunsch.«

»Wie geht’s meiner Frau?«, fragte er, und seine Stimme zitterte.

»Chefarzt Dr. Kröger bemüht sich noch um sie. Er wird anschließend selbst zu Ihnen kommen. Es wird schon werden«, versuchte sie ihn aufzumuntern, als sie sein sorgenvolles Gesicht sah.

Dann verließ sie das Wartezimmer.

Gustav Breithuber wusste, dass er sich keine unberechtigte Sorge machte. Linas Schwangerschaft war schon sehr bedenklich verlaufen, und trotzdem hatte der Arzt behauptet, heute sterbe keine Frau mehr an einer Geburt. Doch Gustav war skeptisch geblieben. Lina hatte seit ihrer Kindheit ein schwaches Herz, und wer konnte da schon vorhersagen, ob es gut ausgehen würde.

Sein Hemd klebte ihm am Rücken fest, als er sich wieder erhob und seine Wanderung erneut aufnahm. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Er strich sich mit der Hand über die müden Augen. Warum blieb der Arzt nur so lange? Gustav heftete seinen Blick auf die Tür. Elastische Schritte näherten sich. Die Tür wurde aufgezogen und der Arzt stand vor ihm.

Noch ehe er etwas sagen konnte, erkannte Gustav Breithuber in dem Gesicht des anderen die Wahrheit.

»Herr Breithuber, es tut mir leid«, murmelte der Arzt. »Wir konnten Ihrer Frau nicht mehr helfen. Das Herz war zu schwach.«

Gustav Breithuber nickte stumm. Tränen füllten langsam seine Augen, doch unterdrückte er sie.

»Sie haben aber einen gesunden Sohn. Wollen Sie ihn noch sehen?«, fragte der Arzt.

Gustav Breithuber nickte wieder. Zögernd folgte er dem Arzt. Mit gemischten Gefühlen betrachtete er das kleine Etwas, das ihm hinter einer Scheibe gezeigt wurde. Der Säugling lächelte zufrieden im Schlaf.

*

Wenig später fuhr Gustav mit seinem Auto ziellos durch die kleine Kreisstadt. Niemand erwartete ihn. Nach Hause wollte er nicht. Er fürchtete sich vor der Kälte, die ihn dort empfangen würde.

Er parkte den Wagen am Straßenrand, ohne zu wissen wo er war. Er zog sich eine Zigarette aus seinem Etui und zündete sie sich an.

Die Straßenlaternen sprangen an und Gustav stieg aus dem Auto. Er wollte sich die Beine vertreten.

Teilnahmslos blickte er an der grauen Fassade eines zweistöckigen Wohnhauses empor. Im obersten Stock brannte noch Licht. Als er sich abwenden wollte, fiel sein Blick auf das Straßenschild. Mehrmals murmelte er den Namen vor sich hin, ehe ihm bewusst wurde, warum er ihm so bekannt vorkam.

Hier wohnte doch die Edith vom Nachbargut, Linas beste Freundin. Gustav Breithuber ging auf die Haustür zu und drückte ohne lange zu überlegen auf den Klingelknopf.

Schon ertönte der Türsummer. Gustav trat ein. Er nahm gleich zwei Stufen auf einmal.

Edith beugte sich übers Treppengeländer, als sie die eiligen Schritte hörte.

»Gustav, wo kommst du denn her?«, begrüßte sie ihn erstaunt.

»Aus dem Krankenhaus.« Gustav reichte Edith die Hand. In diesem Moment bereute er hierhergekommen zu sein, denn er verstand sich plötzlich selbst nicht mehr. Warum ging er zu Edith?

»Hat Lina das Baby?«, fragte Edith leise.

Dabei versuchte sie in Gustavs Gesicht zu lesen, denn er war wortlos in den Flur getreten und stand ihr unruhig von einem Bein auf das andere tretend gegenüber.

»Leg doch bitte ab, und komm ins Wohnzimmer«, bat sie.

»Ich weiß net. Ich störe dich bestimmt«, murmelte er verlegen.

»Aber nein, ich bin alleine. Komm nur herein. Du siehst erschöpft aus. Ruh dich halt ein bisserl aus«, lud Edith ihn ein.

Sie öffnete die Wohnzimmertür. Gustav folgte ihr langsam, immer noch unsicher, was ihn hergetrieben haben mochte.

»Lina geht es nicht gut, nicht wahr?«, begann Edith vorsichtig, während Gustav sich aufs Sofa setzte. Sie hatte an seinem Gesicht erkannt, dass mit Lina etwas nicht stimmen musste. Überdies wusste sie von Lina welch große Angst die Freundin vor der Geburt des Kindes hatte.

»Nein, sie ist …, sie hat …, der Arzt wollte alles tun, aber …« Gustav vergrub sein Gesicht in beiden Händen. Er wollte Edith nicht zeigen wie er gegen die Tränen ankämpfen musste.

Edith trat neben ihn und legte ihm sanft ihre Hand auf die Schulter. »Ist denn das Kind gesund?«, fragte sie leise. Dabei beherrschte sie nur mühsam ihre Stimme und unterdrückte tapfer ihre Tränen. Gustav brauchte Trost. Wenn sie jetzt in Tränen ausbrach, so hätte ihn das nur noch mehr aus der Fassung gebracht. Für einen kurzen Moment lehnte Gustav sich an Ediths Schulter an. Diese leichte Berührung empfand er als sehr wohltuend. »Jetzt steh ich alleine da mit dem Kindl. Ich weiß nicht wie …« Gustav brach ab. Er löste sich von ihr und richtete sich auf. Seine Hilflosigkeit wollte er vor Edith verbergen. Deshalb fragte er rasch: »Hast du was zu trinken?«

Edith ging wortlos zum Wohnzimmerschrank hinüber und schenkte ihm einen Schnaps ein.

Gustav leerte das Glas in einem Zug. Hart setzte er es auf den braunen Glastisch zurück.

Edith sah ihn abwartend an. Sie hielt ihre Hände verkrampft im Schoß. Gern hätte sie ihm tröstend einen Arm um die Schulter gelegt, doch er war nicht ansprechbar in seinem Schmerz.

»Gib mir bitte noch einen«, bat Gustav unvermittelt.

Edith schenkte ihm immer wieder ein. Sie saßen den ganzen Abend schweigend beisammen. Edith sah ihn fortwährend an, doch das schien Gustav nicht zu merken. Er trank einen Pflaumenschnaps nach dem anderen. Als die Flasche leer war, sagte er mit schwerer Zunge zu Edith:

»Danke, das hat geholfen, ich bring dir morgen ein neues Flascherl vorbei.« Dann erhob er sich, kam aber nur bis zur Tür. Er musste sich am Türrahmen festhalten.

Edith sprang entsetzt auf. »Wo willst du denn jetzt noch hin?«

»Nach Hause. Mein Wagen steht unten.«

»Das lasse ich nicht zu! Du darfst nicht mehr mit dem Auto fahren. Bleib hier! Kannst auf der Couch schlafen«, bot Edith ihm an.

»Danke, aber ich möcht lieber …«

»Nein. Du hast einen kleinen Sohn. Willst ihn zum Vollwaisen machen?«, fragte Edith schärfer als sie wollte.

Gustav starrte sie an. Er musterte sie erstaunt. »Ich …, du hast recht«, murmelte er verlegen. Er kam sich schlecht vor. Keine Minute hatte er mehr an das Kindl gedacht, nur an sich, obwohl er spürte, dass er nicht mehr gerade stehen konnte, hatte er sich noch in sein Auto setzen wollen. Es war besser, Ediths Angebot anzunehmen. Gustav drehte sich um und wankte auf den nächsten Stuhl zu.

Edith schob den kleinen Tisch beiseite und machte ihm die Couch zurecht. Sie half ihm beim Ausziehen. Gustav drückte ihr die Hand, als er schließlich im Bett lag.

»Danke. Was hätte ich nur ohne dich gemacht?«

»Aber, Gustav, das war doch selbstverständlich«, wehrte Edith ab.

»Nein, sag das nicht. Am liebsten möchte ich dich heiraten. Deine Wärme heilt meine Wunden schneller, und mein Junge wächst dann nicht in einem Heim auf. Willst du?«, lallte er mit schwerer Zunge.

»Darüber sprechen wir lieber morgen«, erwiderte Edith vorsichtig.

Sie glaubte Gustav habe ihr das Angebot nur gemacht, weil er sich in seinem Schmerz verstanden fühlte. Doch schon morgen, wenn er wieder nüchtern war, konnte er das anders sehen.

Er sah sie verwundert an, war jedoch zu müde, um weiter darüber zu sprechen, deshalb nickte er nur noch und rollte sich auf die Seite. Er murmelte noch etwas Unverständliches und schlief augenblicklich ein.

Edith beugte sich über ihn und betrachtete ihn eine Weile. Sie konnte Gustav gut leiden, hatte ihn ebenso gern wie ihre Freundin. Aber liebte er sie auch?

Edith war auf dem Wartbergerhof, dem Nachbarhof der Breithubers aufgewachsen. Sie kannte Gustav seit ihrer Kindheit. Als Kinder hatten sie viel miteinander gespielt, waren später zu dritt tanzen gegangen und dann hatte Gustav sich eines Tages für Lina entschieden. Edith erinnerte sich genau an den Tag, als Lina zu ihr gekommen war und ihr stolz erzählt hatte, dass Gustav sie heiraten wolle.

Mit einem dicken Kloß im Hals, hatte sie der Freundin alles Gute gewünscht. Und jetzt kam er zu ihr in die Stadt, wo sie seither als Schreibkraft in einer kleineren Firma arbeitete.

Ihr älterer Bruder bewirtschaftete den Hof der Eltern. Zwar hätte sie bleiben können, aber sie konnte damals nicht mehr ertragen, Gustav und der Freundin Arm in Arm zu begegnen. Hier hatte sie das alles vergessen.

Und nun kam Gustav zu ihr und wollte sie zurückholen. Es war ein verlockendes Angebot, zumal sie sich nach der Heimat sehnte. Aber nicht nur deshalb, sondern auch weil sie bemerkt hatte, dass sie Gustav trotz allem immer noch liebte wie damals. Nur eine Frage quälte sie an diesem Abend, als sie im Bett lag und noch über Gustavs Worte grübelte: Liebte er sie auch? Kaum, dachte sie immer wieder, er suchte wohl nur eine Mutter für sein Kind. Schließlich schlief sie über ihrem Grübeln ein.

*

Am anderen Morgen wachte Edith ziemlich spät auf. Die Sonne lugte bereits zwischen den Blendläden ins Zimmer. Verschlafen setzte sie sich auf und sah nach der Uhr. Es war fast halb zehn. Warum war es gestern Abend nur so spät geworden? Sie rieb sich die Augen. Langsam erinnerte sie sich an das, was geschehen war. Die vielen Träume der Nacht hatten sie verwirrt.

Edith stand auf. Sie wollte Frühstück bereiten und dann Gustav wecken. Mit einem Mal war sie hellwach und wusste wieder, dass Gustav ihr ein Heiratsangebot gemacht hatte. Sie nahm sich aber vor, so zu tun, als sei nichts dergleichen zwischen ihnen gesprochen worden. Es konnte sein, dass Gustav sich an nichts erinnerte. Dann wollte sie es auch so schnell wie möglich vergessen, auch wenn es ihr schwerfiel.

Nur nicht daran denken, mahnte sie sich und bürstete energisch ihr langes, seidenweiches Haar. Geschickt flocht sie es zu einem breiten Kranz um den Kopf. Zwar war diese Frisur in der Kreisstadt als altmodisch verschrien, doch Edith hatte bis jetzt keine gefunden, die ihr besser gefiel. Dabei ging sie oft an den Friseurläden vorbei und blieb lange vor den verlockenden Bildern stehen.

Endlich war sie fertig. Rasch bereitete sie in der Küche das Frühstück. Heute war ihr freier Tag. Sie konnte sich also Zeit lassen. Dann deckte sie den Tisch für zwei Personen und überlegte, ob sie Gustav wecken oder ausschlafen lassen sollte. Nach kurzem Zögern entschied sie sich, ihn zu wecken. Auf dem Hof wartete sicher das Gesinde auf ihn.

Mehrmals klopfte sie an die Wohnzimmertür, erhielt aber keine Antwort.

»Gustav, Frühstück ist fertig«, rief sie deshalb ganz laut.

Ein Knurren war die einzige Antwort, die aus dem Zimmer kam.

»Gustav, es ist schon halb elf.« Vielleicht half ihm die Uhrzeit.

»Was? Ich komme!« Gustav schien mit einem Mal hellwach zu sein.

Edith ging zurück in die Küche. Sie setzte sich an den Tisch und faltete ungeduldig die Hände.

»Oh«, staunte Gustav, als er die Küche betrat. »Du hast ja für mich gedeckt.« Gustav schaute ihr in die Augen, doch sie wich seinem Blick aus.

Er nahm Platz und bediente sich. Natürlich wusste er noch ganz genau, was er Edith am Abend vorher gesagt hatte. Er hatte es aus einer tiefen, inneren Überzeugung getan. Obwohl jetzt am Morgen alles anders aussah und er sich wieder nüchtern fühlte, spürte er noch immer den Drang, Edith vom Fleck weg zu heiraten. Das winzige Bündel Mensch hatte ihn die ganze Nacht verfolgt. Er konnte den Kleinen unmöglich allein großziehen. Die Arbeit auf dem Hof nahm ihn den ganzen Tag in Anspruch. Seit der Heirat mit Lina beschäftigte er nur noch eine alte Magd und zwei Knechte. Wie gut wäre es da, wieder eine Frau im Haus zu wissen, dachte er. Und Edith war nicht nur die beste Freundin Linas, nein, es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er sich nicht entscheiden können, wen er von den beiden heiraten sollte. Schließlich hatte ihn Linas stilles Wesen mehr angezogen.

Gustav sah auf das Brötchen, das er sich eben mit der selbstgemachten Leberwurst der Wartbergers bestrich. Er überlegte dabei angestrengt, wie er es anfangen sollte, Edith seine Gedanken klarzumachen. Wusste er doch nicht, was sie noch für ihn empfand.

Gustav blickte flüchtig hoch, dann richtete er seinen Blick voll auf Edith. Sie sah sehr lieb aus an diesem Morgen.

»Edith«, begann er und sagte verlegen. »Es war nett von dir, mir so zu helfen. Willst nicht halt doch meine Frau werden? Ich hab’s dir gestern schon gesagt, deine Wärme heilt meine Wunde am besten. Und eine Frau im Haus brauche ich doch, weißt wie’s auf dem Hof sonst zugeht, hm?« Erwartungsvoll griff er nach Ediths Hand. Edith spürte wie sie am ganzen Körper vor Erregung zitterte. Eigentlich war jetzt nicht der richtige Augenblick dafür. Lina war noch nicht begraben und da sprach Gustav schon von Heirat.

»Gustav, wie kannst so fragen, wo doch deine Lina noch nicht …« Edith vermochte nicht weiterzusprechen.

»Sie hätte es bestimmt so gewollt. Sie dachte stets an andere, besonders an die, die in Not waren. Und findest du net, dass ich in Not bin, mit so einem kleinen Burschen?«

»Das ist aber kein Grund sofort zu heiraten!« Edith erhob sich abrupt. »Für mich gibt es nur einen Grund zu heiraten und das wäre Liebe! Ich muss den Mann lieben, den ich heiraten will.« Edith stand mit hochroten Wangen vor ihm. Sie atmete hastig und musste an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen.

Dass Gustav so um sie warb, war ein sicheres Zeichen, dass er sie nicht liebte, sondern nur an sich dachte. »Dann will ich lieber als Magd bei dir angestellt sein, als deine Frau werden«, warf sie ihm böse vor.

Gustav streckte beruhigend seine Hand aus.

»Du hast mich falsch verstanden. Ich will dich nicht heiraten, weil ich eine Erzieherin für mein Kind brauche, sondern, weil mir deine Wärme guttut. Deine Fürsorge gestern Abend hat mir gezeigt, wie sehr du mich magst. Und du erinnerst dich bestimmt noch daran, dass wir früher zu dritt ausgingen, weil ich euch beide lieb hatte, dich und die Lina. Aber schließlich musste ich mich für eine entscheiden. Bitte, sag nicht nein. Überleg es dir.« Gustav sah Edith flehend an. Edith glaubte einen kurzen Augenblick, wirklich Liebe in seinen Augen zu erkennen. Aber das war doch unmöglich! Gestern erst war Lina gestorben. Gustav hatte Lina mehr geliebt als sie, sonst hätte er nicht Lina genommen.

»Du musst mir aber Zeit lassen, viel Zeit«, meinte sie ein wenig versöhnt. »Ich kann mich nicht so schnell entscheiden.«

»Ist da vielleicht ein anderer Mann, den du liebst?« In Gustavs Stimme schwang Besorgnis. Was dann, dachte er verzweifelt.

Edith schüttelte energisch ihren Kopf.

»Ganz bestimmt nicht? Du kannst es ruhig offen sagen«, bat Gustav. »Besser jetzt als später!«

Edith spürte seine Verzweiflung. Es bewegte sie stark. Das Mitleid von gestern mischte sich immer stärker mit der Liebe, die sie für ihn empfand und sie war nah daran, ihm um den Hals zu fallen und ja zu sagen, doch hielt sie sich mit eiserner Beherrschung zurück. Nur nichts überstürzen, dachte sie. Wenn er mich heiraten will, weil er mich aufrichtig und ehrlich liebt, dann kommt er wieder, dann wartet er auf meine Antwort.

»Lass mir Zeit«, bat Edith nochmals. »Komm mich besuchen oder lad mich ein, aber lass mir ein wenig Zeit.«

»Wie du willst, Madl«, antwortete er ruhig. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch sie wich ein wenig zurück. Gustav erhob sich. Er erkannte, dass es besser war, jetzt zu gehen. Edith liebte ihn immer noch, das hatte er in ihren Augen gelesen, aber er musste um sie werben. Sie wollte auch geliebt werden. Gustav fühlte sich so ausgebrannt, innerlich so leer, dass er sich für unfähig hielt, um Edith zu werben. Aber es musste sein. Bestimmt konnte er sie in ein paar Wochen besser überzeugen als jetzt, auch wenn seine Gefühle für sie nie so sein würden wie für Lina.

»Bis übermorgen«, verabschiedete er sich von Edith, nachdem er seinen Mantel übergeworfen hatte.

»Bist mir nicht bös, gell?«, fragte Edith ein wenig enttäuscht über seine plötzliche Wortkargheit.

»Aber geh, nein, du hast halt recht. Wir werden uns öfter sehen und dann?« Er zuckte mit den Schultern. »Werden wir schon sehen, ja?« Er versuchte zu lächeln, aber es war nur eine Maske, die Edith anlächelte, es war nicht Gustav selbst. Der Schmerz um Lina hatte ihn sehr verändert. Er würde wiederkommen und darauf wollte sie sich freuen, entschied Edith. Sie wartete an der Wohnungstür bis er im Treppenhaus verschwunden war, dann ging sie zurück in ihre Wohnung und ließ sich in einen Sessel sinken. Sie betete leise vor sich hin, denn nur einer konnte ihr jetzt helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.

*

Gustav war nicht wie versprochen am übernächsten Tag gekommen. Vor Enttäuschung weinte Edith sich abends in den Schlaf. Morgens erschien sie in der Firma mit stark geröteten Augen. Dem Chef entging nicht, dass sie Kummer hatte. Doch als er sie ansprach, lehnte sie es entschieden ab, darüber zu sprechen.

Es waren etwa zwei Wochen vergangen seit jenem Samstagmorgen, als das Telefon dann bei ihr klingelte. Wer mochte das sein? Hoffnungsvoll griff Edith nach dem Hörer, hob ihn ab und presste ihn ans Ohr.