Hein Knutzen - Hein Ennak - E-Book

Hein Knutzen E-Book

Hein Ennak

4,9

Beschreibung

Hein Knutzen und das Hexenhaus in Niendorf. Mein Name ist Hein Knutzen, ich bin ein Druide, wahrscheinlich der Letzte. Mein Geld verdiene ich als Schriftsteller und als Chef einer Detektei. Nebenbei arbeite ich als Berater bei einem Sonderkommissariat der Hamburger Polizei. Diese befassen sich mit Kriminalfällen, deren Tatbestände sich mit dem bloßen reinen Menschenverstand nicht erklären lassen. In meiner ersten Geschichte berichte ich von einem Hexenhaus, das ich in Hamburg Niendorf kaufte. Nebenbei löste die Detektei einen kniffligen Diebstahl, um eine unschuldige Frau aus dem Gefängnis zu holen. Ein Glamour musste unschädlich gemacht werden und eine cholerische und rachsüchtige Hexe, die in Hamburg und Umgebung ihr Unwesen trieb, wurde außer Gefecht gesetzt und eingefangen. Damit noch nicht genug, denn ich verliebte mich auch noch. Also eine Geschichte aus dem ganz normalen Leben eines Druiden. Nur gut, dass ich die eine und andere Fähigkeit besitze, die ich dabei nutzen konnte!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 462

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
17
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Konzeption/Koordination: Hein Ennak, Hamburg

Layout und Cover: Hein Ennak, Hamburg

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

1

DIENSTAG 05.04.2016 10:00 UHR, LANGENHORN, MEINE WOHNUNG:

Das Telefon klingelte zum achten Mal, bevor ich ranging. »Hein Knutzen«, sagte ich, nachdem ich den Hörer aufgenommen hatte. »Kommen sie sofort in die Bahrenfelder Straße! Stürmer hier!«, schrie jemand ins Gerät, gab noch die Adresse an und legte auf.

Kriminalhauptkommissarin Sabine Stürmer, Leiterin des BAO 82 im Landeskriminalamt Hamburg, welches für außergewöhnliche Tatbestände und Kriminalfälle geschaffen wurde, ist vor einem Jahr in dieses Team versetzt worden. Ihr unterstehen drei Kriminalkollegen.

BAO heißt ›Besondere Aufbau Organisation‹. In den Medien tauchen sie immer als SoKo auf. Das BAO 82 beschäftigt sich mit Kriminalfällen, deren Tatbestände sich mit dem reinen Menschenverstand nicht erklären lassen.

Drei Minuten später saß ich im Auto, gab die Adresse in das Navigationssystem ein und steuerte in Richtung Altona.

Mein Tagesplan sah eigentlich etwas anders aus. Ich wollte mir ein Haus in Niendorf anschauen: Lage, Größe und Umfeld. Schon seit zwei Monaten suchte ich ein Anwesen mit Garten in ruhiger Lage innerhalb Hamburgs. In einem lokalen Wochenblatt hatte ich am Vorabend eine Anzeige gelesen, die durchaus interessant klang. Meine kleine Eigentumswohnung am Langenhorner Markt würde ich dann vermieten. Das musste aber jetzt warten.

Dem Polizeipräsidenten hatte ich sechs Jahre zuvor versprochen, sein damals neues BAO 82 mit Rat und Tat zu unterstützen, wenn Sachverhalte in Fällen auftauchten, die sich nicht logisch erklären ließen. So hatte ich neben meiner Arbeit als Schriftsteller immer wieder Gelegenheit Polizeiarbeit hautnah mitzuerleben und zu unterstützen. Allerdings war meine Hilfe, seit Frau Stürmer die Abteilung übernommen hatte, nicht mehr in Anspruch genommen worden: »Zivilisten gehören nicht in eine polizeiliche Sonderabteilung«, war ihre Meinung.

DIENSTAG 05.04.2016 10:20 UHR, BAHRENFELDER STRAßE:

Natürlich fand ich keinen Parkplatz vor dem Gebäude in der Bahrenfelder Straße. Drei Polizeiwagen und der weiße Scirocco der Hauptkommissarin standen bereits vor dem Haus. Ich fuhr rechts in die nächste Seitenstraße und bekam dort gleich eine Parkmöglichkeit.

›Pension Schneider im zweiten Stock‹, las ich auf einem Schild im Eingangsbereich, als ich das Haus betrat. Ein Streifenbeamter versperrte mir den Zutritt: »Hier können sie jetzt nicht weiter, hier wird polizeilich ermittelt! Oder wohnen sie hier?«

»Nein – bitte sagen sie der Kriminalhauptkommissarin Stürmer, dass Hein Knutzen da ist! Wir sind hier verabredet«, erwiderte ich. Lange warten musste ich nicht.

Da kam sie auf mich zu, eins fünfundsechzig groß, kräftig und stabil gebaut. Ich wusste, dass sie im Polizeisportverein aktiv Sport betrieb. Kugelstoßen, Speerwurf und Diskus werfen, hatte ich in der Zeitung gelesen.

»Da sind sie ja endlich. Wir sind hier schon fast fertig. Die Spurensicherung packt schon ein. Kommen sie herein und schauen sie sich den Tatort an«, drängelte Frau Stürmer.

›Eine etwas abgefahrene Begrüßung‹, dachte ich mir.

»Die Pension gehört einer Frau Schneider. Sie hat hier drei Pensionszimmer mit Frühstück und Familienanschluss. Kommissar Oliver Meier, mein Mitarbeiter, spricht gerade mit ihr. Jetzt kommen sie weiter, hier ist der Tatort. – Das Opfer ist Doktor Gerhard Schwärtzer, zweiundfünfzig Jahre, Jurist und zurzeit Leiter eines CDU-Untersuchungsausschusses. – Er ist laut dem Doktor gestern zwischen achtzehn und zweiundzwanzig Uhr erwürgt worden. Der Täter muss stark sein. Es hat keinen Kampf gegeben, denn eine Gegenwehr von Herrn Schwärtzer kann ausgeschlossen werden«, führte sie aus.

»Jo!«, erwiderte ich und schaute mir den Toten genauer an.

Bereits als ich den Raum betrat, nahm ich magischen Staub wahr.

Magischen Staub kann man nicht sehen, aber man kann ihn fühlen, wenn man weiß, wonach man suchen muss. Er entsteht immer dann, wenn magische Energie oder Kräfte gebraucht wurden, und hier war reichlich Staub vorhanden.

Im Raum befanden sich fünf Beamte von der Spurensicherung, die in weiße Overalls gekleidet waren, der Rechtsmediziner, zwei Polizisten aus dem »Polizei Kommissariat« PK 21 und KHK Stürmer. Ich beobachtete, dass die Zimmertür zu diesem Appartement von außen aufgebrochen war, der Zimmerschlüssel steckte noch von innen und alle Fenster waren geschlossen. Auf dem Fußboden, um den Toten herum, standen sechs Nummernschilder, die Spuren markierten.

Der Mediziner packte seinen Koffer. Ein Kommissar von der Spurensicherung machte noch Aufnahmen vom Zimmer und vom Toten. Zwei Personen betraten den Raum und warteten im Hintergrund, dass der Doktor die Leiche zum Abtransport freigab. Frau Stürmer sprach mit dem Einsatzleiter und einem Kommissar von der Spurensicherung.

Ich machte mit meinem Smartphone ein paar Fotos vom Toten und dem Würgemal am Hals, bevor die Leiche dann zur Obduktion in einen schwarzen Leichensack eingepackt und abtransportiert wurde. Nachdem die Spurensicherung noch ein paar Fotos gemacht hatte, packten sie ihre Utensilien ein und verließen das Pensionszimmer. Anschließend war ich mit Frau Stürmer allein im Raum.

»Die Leiche geht in die Rechtsmedizin. – Das Problem hier ist: Wir können nicht feststellen, wie der Täter herein- und wieder hinausgekommen ist. Das Zimmer hat Herr Schwärtzer gestern um sechzehn Uhr dreißig gemietet. Er hatte eine Aktentasche und eine kleine Umhängetasche dabei. Die Aktentasche ist bis auf ein Notizbuch mit Adressen und Schreibutensilien leer. In der Umhängetasche sind Klamotten für eine Übernachtung. Frau Schneider ging mit Herrn Schwärtzer hier rauf und zeigte ihm die Räumlichkeiten. Sie ist sich sicher, dass sich keine weitere Person im Zimmer aufhielt. Herr Schwärtzer kam alleine und schloss gleich das Zimmer ab, nachdem Frau Schneider den Raum verlassen hatte. Er wollte heute früh um sieben Uhr geweckt werden. Besuch hat er nicht mehr bekommen. Herr Schwärtzer war der einzige Gast in der Pension. Ein Zugang zu seinem Zimmer ist nur über die Rezeption möglich, die Pensionseingangstür ist immer verschlossen. Damit können wir einen Besucher von außen als Täter ausschließen. Frau Schneider scheidet als Mörder aus, da sie zu klein und auch nicht kräftig genug ist, wie der Doktor erwähnte. Weitere Personen sind und waren nicht hier«, berichtete Frau Stürmer.

Kommissar Oliver Meier betrat den Raum: »Frau Schneider versuchte um sieben, sieben Uhr fünfzehn, sieben Uhr dreißig und um acht Uhr Herrn Schwärtzer zu wecken. Um acht Uhr dreißig rief sie die Polizei. Die Feuerwehr verschaffte sich dann um neun Uhr fünfzehn gewaltsam den Zugang zum Zimmer und fand den Toten«, vervollständigte er den Bericht der Ermittlungsergebnisse.

»Wie ist der Täter hier hereingekommen, und vor allen Dingen, wie kam er nach der Tat wieder raus, wenn die Tür von innen verschlossen war, und die Fenster nicht als Fluchtweg genutzt wurden? Fingerabdrücke gibt es auch nur von Herrn Schwärtzer und von Frau Schneider. Jetzt sind sie dran!«, forderte die Hauptkommissarin mich auf.

»Jo, – das ist nicht gerade trivial!«, erwiderte ich und ging zum Fenster: »Das muss ich mir noch genauer anschauen. Ich habe zwar eine Idee, was passiert sein könnte, gebrauche allerdings noch zwei bis drei Stunden, um eine Lösung aufzuzeigen und zu beweisen«, sagte ich und fotografierte aus dem Fenster die Straße und das gegenüberliegende Haus.

»Okay! Okay – wir sehen uns dann um sechzehn Uhr dreißig in meinem Büro. Bis dahin habe ich auch noch einige Details zum Toten«, bestimmte sie.

Sie ging Richtung Tür und sprach weiter: »Nur, weil wir sie hier einbeziehen, ändert das nichts an meiner Meinung, dass Zivilisten keine Polizeiarbeit machen sollten! – Dies ist hier der dritte Mordfall in Hamburg innerhalb von einigen Monaten, den wir nicht aufklären können, weil wir nicht verstehen, wie der Täter die Morde bewerkstelligt hat. Dem Polizeipräsidenten habe ich versprechen müssen, sie jetzt mit einzubeziehen.« Sie drehte sich ohne einen Gruß um und ging. Kommissar Oliver Meier folgte ihr.

›Ein bisschen stressig ist die Dame schon‹, dachte ich und setzte mich in einen Sessel. Alle Personen waren aus dem Zimmer. Ich war allein. Ich konzentrierte mich auf diesen Raum, auf den magischen Staub und die Atmosphäre.

»Einen Täter muss es geben. Keiner kann sich selbst erwürgen. Der magische Staub zeigt, dass hier übernatürliche Kräfte genutzt wurden. Aber wie?«

Ich schaute mir das Foto von dem Würgemal am Hals auf meinem Smartphone an und vergrößerte die Würgeabdrücke. Fingerspuren waren nicht erkennbar. Bei einem normalen Erwürgen hat man mehrere Fingerwürgemale. Das war hier nicht so. Auch keine Schnur und kein Seil kamen in Frage, da diese andere Abdrücke hinterlassen. Es sah fast so aus, als wenn ein Ring oder ein Kranz, der immer enger wurde, den Tod verursacht hatte. Bei einem einzelnen großen Würgemal müsste der Druck auf den Hals gleichzeitig an allen Stellen gleich stark sein. ›Das mit Magie zu bewerkstelligen ist schon eine Aufgabe, die eine gewisse magische Stärke und Erfahrung voraussetzt. Das sollte ich überprüfen, testen und ausprobieren, ob das überhaupt funktioniert‹, dachte ich.

›Dabei muss der Täter mindestens Sichtkontakt zum Opfer haben, sonst lässt sich die Kraft nicht positionieren‹, bedachte ich.

Ich stand auf und ging zum Fenster. ›Sichtkontakt ist nur von dem links gegenüberliegenden Gebäude möglich, zweite oder dritte Etage rechts‹, überlegte ich weiter.

Ich sah mich noch einmal um und verließ das Haus, nachdem ich mich von Frau Schneider verabschiedet hatte. Auf dem Bürgersteig angekommen schoss ich noch mit dem Smartphone einige Aufnahmen, auch von der gegenüberliegenden Seite.

Ich überquerte die Straße, und in diesem Augenblick verließ ein Junge das besagte Gebäude durch die Eingangstür. Ich griff nach der Tür, bevor sie zuschlug, und betrat das Haus. Mein Ziel war die zweite oder dritte Etage jeweils die rechte Wohnung. An der Klingel in der dritten Etage stand: ›S. Maschmann, K. Queller, O. Sauer‹. Eine Wohngemeinschaft? In der zweiten Etage war an der rechten Wohnung das Schild am Klingelknopf entfernt worden. Diese Wohneinheit war unbewohnt.

»Möchten sie sich die Wohnstätte anschauen? Haben sie sich zur Wohnungsbesichtigung angemeldet? Ich bin der Hausmeister hier!«, sprach mich ein übergewichtiger Fünfzigjähriger in einem grauen Kittel, mit Elbsegler auf dem Kopf und Hauslatschen an den Füßen an.

»Nein, aber einen Blick würde ich schon gerne dort hineinwerfen. Und eine Flasche Bier ist mir das auch wert«, entgegnete ich. Das war das Schlüsselwort. Er schloss die Wohnungstür auf und ich bemerkte sofort den magischen Staub in dieser Wohnung.

»Haben sie gestern Nachmittag oder Abend noch jemandem diese Räumlichkeiten gezeigt, oder war sonst jemand hier drin?«, fragte ich.

»Nein, gestern war ich den ganzen Nachmittag im Krankenhaus und habe meine Schwester besucht. – Lungenentzündung«, antwortete der Hausmeister: »Erst zur Tagesschau war ich wieder zurück.« »Jo, danke. Ich vermute, die Polizei, oder Frau Stürmer, wird sie heute noch kontaktieren. Bitte lassen sie keine weiteren Personen in die Wohnung! Frau Stürmer ist bei der Kripo und sie ermittelt in einem Mordfall«, erwähnte ich, während wir aufbrachen.

»Schiet …! Ich will nirgends hineingezogen werden. Hier im Erdgeschoss wohne ich. Fiete Kranz, Friedrich Kranz ist mein Name«, stotterte er.

Ich verließ das Haus, nachdem ich Herrn Kranz fünf Euro für ein großes Bier in die Hand gedrückt hatte.

Den Namen ›Friedrich Kranz‹ notierte ich mir auf dem Weg zum Gemüsehändler, der ein Stückchen die Straße weiter seinen Laden hatte. Ich kaufte drei große Zucchini, bevor ich nach Hause fuhr. Unterwegs rief ich noch Frau Stürmer an, gab den Namen und die Adresse des Hausmeisters durch, dass die leere Wohnung, zweite Etage rechts, durch die Spurensicherung untersucht werden sollte und so weiter.

2

DIENSTAG 05.04.2016 16:25 UHR, POLIZEISTERN, POLIZEIPRÄSIDIUM:

Sechzehn Uhr dreißig, ich war einmal pünktlich. Die Fahrt zur City Nord zum Hamburger Polizeistern, dem Polizeipräsidium am Bruno-Georges-Platz 1, verlief ausnahmsweise mal ohne Stau. Ich ging die Treppe hinauf zum Eingangsbereich und durch die Besucher-Eingangsschleuse. Dort meldete mich eine Polizistin bei Frau Stürmer an. Ich wurde von einem Polizisten dann in den fünften Stock zum Büro von Frau Stürmer begleitet. Auf dem Türschild stand nur ›Stürmer BAO 82‹. Ohne zu klopfen, ging der Beamte in den Raum. Frau Stürmer saß an einem großen, altmodischen Schreibtisch. Der Polizeibeamter flüsterte ihr etwas ins Ohr und ging aus dem Raum, ohne die Tür zu schließen. »Was ist mit der Wohnung? Hat das mit unserem Fall zu tun, oder was sollte die Aktion?«, knurrte sie mich an.

›Ihre Laune ist immer noch nicht besser!‹, dachte ich und legte die Zucchini auf den Besuchertisch. »Was wollen sie denn jetzt mit der Gurke? Soll ich für sie einen Salat schnitzen?«, grummelte sie.

»Die Gurke ist eine Zucchini und damit ein Kürbis. Ich gebrauche ihn, um Ihnen den Tatvorgang zu erläutern und zu demonstrieren. Die Zucchini ist das Opfer«, entgegnete ich und nahm einen leeren Kaffeebecher von ihrem Schreibtisch, stellte den Becher in die Mitte des Besuchertisches und steckte die Zucchini aufrecht dort herein.

»Das ist das Opfer. Ich werde jetzt den Herrn Zucchini erwürgen.« Dazu ging ich so weit rückwärts durch die noch offene Tür aus dem Raum, bis Frau Stürmer mich nicht mehr sehen konnte. Ich konzentrierte mich auf die Zucchini und würgte sie magisch. Mit einem Knall platzte der Kürbis in der Mitte auf, die Tasse fiel um und Zucchiniteile flogen im Raum herum.

Frau Stürmer sprang auf, der Schreibtischstuhl krachte an die Wand und knallte hin. Sie schrie: »Was war das?«

»So ist Gerhard Schwärtzer gestorben, genauso wie diese Zucchini hier! Das ist mit starker Zauberei gezielt gemacht worden«, entgegnete ich, während ich den Raum wieder betrat, und erklärte: »Der Täter war in der gegenüberliegenden Wohnung und hat von dort aus die Magie heraufbeschworen.«

»Das kann ich kaum glauben. Wie soll ich so was in meinem Untersuchungsbericht oder in eine Anklageschrift schreiben. – Der Täter, ein Zauberer, schwingt den Zauberstab – Hokuspokus – und das Opfer stirbt daran. Das ist wie in einem schlechten Fantasyfilm. Sind wir bei Harry Potter hier?«, schrie sie mich an.

»Jo; das sind und waren immer schon die Probleme in diesem Sonderkommissariat. Das war in der Vergangenheit so und wird sich auch in der Zukunft nicht ändern. Man muss viel Fantasie aufwenden, um Tatbestände oder Vorfälle zu beschreiben beziehungsweise zu umschreiben. Schauen sie sich die alten Akten und Vorgänge, die in diesem BAO bearbeitet wurden, einmal an. Wenn sie Erläuterungen gebrauchen, stehe ich gerne zur Verfügung«, versuchte ich sie zu beruhigen.

»Was ist eigentlich mit dem alten BAO-Team vor einem Jahr passiert?«, wollte sie von mir wissen. »Das darf ich Ihnen nicht erzählen. Nur so viel: Sie wurden befördert und dann in eine Bundesbehörde versetzt. Von dort aus arbeiten sie in zentralen europäischen Projekten«, antwortete ich. »Also keine Strafversetzung?«, fragte sie und schaute mich überrascht an.

»Nein, ganz im Gegenteil. Das ganze Team ist die Treppe hinaufgefallen«, erläuterte ich.

»Okay, machen wir im Fall weiter!«, wechselte sie das Thema: »Herr Schwärtzer war kein beliebter Mensch. Er hatte mehr als nur einen Widersacher. Wir werden in seinem Umfeld weitersuchen, um ein Tatmotiv zu finden. Was ist ihre Meinung, war der Straftäter ein Auftragskiller?«

»Jo, kann sein. Das würde ich jetzt nicht ausschließen. Dazu müsste man die Täterspur weiterverfolgen und den Zusammenhang – Täter und Opfer – beleuchten«, antwortete ich.

»Wissen Sie, wer das Pensionszimmer gemietet hatte, oder die Reservierung gemacht hatte? War es Herr Schwärtzer selber, seine Sekretärin, oder eine dritte Person? Gibt es Parallelen zu ihren anderen Fällen?«, fragte ich.

»Und was ist aus der Spurenuntersuchung der rechten Wohnung, zweiter Stock, im gegenüberliegenden Haus geworden?«, wollte ich von ihr wissen.

»Die Spurensicherung hat viele Fingerabdrücke gefunden. Gestern war der Hausmakler mit einer zierlichen Frau, um die fünfundvierzig Jahre alt, zu einer Wohnungsbesichtigung in den Räumlichkeiten. Laut Aussage vom Makler war das allerdings schon um sechzehn Uhr dreißig. Die Besichtigung hat etwa zwanzig Minuten gedauert. Den Namen und die Anschrift der Person wird er uns noch zufaxen. Wir werden die Frau befragen, sobald wir Name und Adresse haben. Ansonsten war in den letzten drei Tagen keiner in der leeren Wohnung«, beantwortete sie meine Frage.

»Was ist mit den anderen beiden Mordfällen, von denen sie heute Nachmittag sprachen?«, bohrte ich noch einmal nach.

Ihre Miene verfinsterte sich: »Ich glaube nicht, dass diese Tatbestände sie was angehen!«, erwiderte sie mit lauter Stimme. Nach einer zweiminütigen Pause sprach sie viel ruhiger weiter: »Ein Mord an einem Taxifahrer, schwere Quetschungen im Bauch- und Brustbereich, Tod durch Herzstillstand, und zweitens ein Todesfall durch Stoßen vor den einfahrenden Zug. Die Überwachungskamera zeigte eindeutig, dass die Person, ein zweiundfünfzigjähriger Politiker, vor den Zug geschubst wurde, einen Täter allerdings kann man auf dem Video, der Überwachungskamera, nicht erkennen«, führte die Hauptkommissarin aus, holte aus der Schreibtischschublade eine Papierserviette, ging zum Besuchertisch, sammelte und wischte die Zucchini-Bruchstücke zusammen und brachte das alles in die Teeküche.

In dem Moment, als sie zurückkam, wurde mein Amulett, das ich immer um den Hals trage, warm.

So ein Amulett ist wie ein Frühwarnsystem eines Druiden. Es hat die Eigenart, warm oder kalt zu werden. Wenn unmittelbar Gefahr droht, wird der Anhänger warm. Die Energie, die durch diese Wärme abgegeben wird, kann zum Beispiel genutzt werden, um einen Schutzschild aufzubauen. Wird das Amulett kalt, ist eine übernatürliche oder magische Energiequelle in der Nähe.

Kurz darauf kam Kommissar Oliver Meier in den Raum: »Was machen sie denn hier? Sie haben hier nichts zu suchen. Wir wollen ihren Hokuspokus nicht! Bei uns zählen nur Fakten!«, schrie er mich an, stellte sich vor mir auf und griff in meinen Pullover.

»Lassen sie mich und meine Chefin in Ruhe, oder ich verpasse Ihnen gleich eine Extradröhnung!«, bedrohte er mich.

Ich war über diese plötzliche Attacke zuerst verwundert und dann verärgert. Mein Blutdruck stieg, und ich überlegte mir Gegenmaßnahmen.

Es war bestimmt nicht vorteilhaft, in einem Polizeigebäude einen Polizisten zu verhauen. Also versuchte ich mich wieder zu beruhigen. – Das gelang.

Ich konzentrierte mich auf die Wespe, die im Zimmer am Fenster herumschwirrte. In dem Moment, in dem die Wespe dem Meier in den Hintern stach, verließ ich den Raum und das Gebäude.

DIENSTAG 05.04.2016 17:15 UHR, AUF DEN WEG NACH LANGENHORN:

Auf dem Weg nach Hause beglückwünschte ich mich, dass ich die Ruhe bewahrt hatte. Es gab Zeiten, da hätte ich anders reagiert.

›Ich glaube nicht, dass ich zukünftig mit so einem Team zusammenarbeiten möchte‹, überlegte ich und steuerte mein Auto Richtung Langenhorn.

DIENSTAG 05.04.2016 20:00 UHR, AM HAMBURGER MICHEL:

Am Abend war ich noch mit meinem Freund Thomas, Doktor Thomas Dresden, am Hamburger Michel verabredet.

Ich lernte Thomas kennen, als ich im Frühling 2006 spät abends auf der A7 Richtung Flensburg unterwegs war. Kurz hinter der Auffahrt Bahrenfeld kam ich an einen Unfallort. Ein Dreißigtonner schob seinen Mercedes auf einen Kranwagen und verkürzte das Auto um fast zwei Meter. Er hatte Glück, denn ich hatte den gleichen Weg wie er. Nachdem ich ihn mit magischer Kraft aus dem Schrottauto befreit und ihn wiederbelebt hatte und mit Magie die Reparatur der vielen Brüche und inneren Quetschungen eingeleitet hatte, kam der Rettungsdienst der Feuerwehr und brachte ihn ins Krankenhaus.

Vier Wochen später tauchte er bei mir zu Hause auf und bedankte sich bei mir für den lebensrettenden Einsatz. Er fand mich oder besser mein Konterfei, in einem Buch von mir. Seit damals feiern wir an jedem 5. April seinen zweiten Geburtstag. Nun muss ich an dieser Stelle aber einräumen, dass er mich 2010, nachdem ich unfreiwillig an einem Banküberfall teilgenommen hatte und dabei etliche Schusswunden einstecken musste, wieder zusammenflickte. In den Folgejahren entwickelte sich eine Freundschaft. Er erfuhr von meiner Druidenkunst und ich lernte viel über die moderne Medizin von ihm.

Thomas hatte wie jedes Mal einen Tisch im Old Commercial Room reserviert. Wir aßen wie immer eine Hamburger Aalsuppe und Labskaus.

Ich erzählte von dem magisch erwürgten Juristen, und er schwärmte von seiner Freundin Yvonne. Nach dem Essen berichtete er von einer entstellten jungen Frau, die er bei einem Besuch in einer Münchner Klinik gesehen hatte. Thomas beschrieb, dass dieses Mädchen eine Odyssee durch etliche Transplantations- und Plastische Chirurgien hinter sich hatte und dass dabei viel Pfusch passiert war, dass die Ärzte sie von einer Stelle zur anderen schickten und dass sie keine Klinik mehr stationär aufnehmen und behandeln wollte.

»Ich konnte nicht anders. Und so habe ich mich bereit erklärt, die Frau in Hamburg zu behandeln. Sie wird in den nächsten Tagen nach Hamburg überführt werden! Hein, ich habe eine ganz große Bitte an dich. Bitte hilf mir, dieses Mädchen wieder so herzustellen, dass sie am Leben teilnehmen kann!«, bat Thomas. Ich konnte deutlich sehen, dass das Schicksal dieser Frau ihm naheging.

Natürlich versprach ich ihm zu helfen. Gegen dreiundzwanzig Uhr und nach etlichen Bieren ließen wir uns von einem Taxi heimbringen.

3

MITTWOCH 06.04.2016 9:00 UHR, KLEINES HAUS IN NIENDORF:

Meine Wohnung in Langenhorn war mir zu klein geworden. Allein die Bibliothek war inzwischen so groß, dass ich die Bücher auf dem Flur lagern musste. Außerdem wünschte ich mir ein eigenes, kleines Haus mit einer großen Terrasse und mit Blick in den Garten. Schon seit Monaten studierte ich die Zeitungsanzeigen.

Die Anzeige in der lokalen Werbezeitung klang interessant: kleines Haus mit Garten, direkt an einem Park- und Waldgebiet gelegen; 230.000 €.

Bevor ich das Anwesen besichtigte, wollte ich mir die Umgebung etwas genauer anschauen. Also fuhr ich nach Niendorf. Die achteckige und barocke Kirche mit dem schönen Friedhof, der Niendorfer Tibarg mit dem Einkaufscenter und das für Hamburger Verhältnisse große Waldgebiet, das Niendorfer Gehege, beeindruckten mich. Eine schöne Wohngegend hier: ruhig, sauber und viel Grün. Perfekt, für meine Ideen, meine Wünsche und meine Ansprüche. Ich war positiv überrascht und konnte mir durchaus vorstellen, dass man hier sein Lebenszentrum aufbauen könnte.

Ich fuhr mit dem Auto am Gebäude vorbei und parkte etwa dreihundert Meter weiter auf der dem Haus gegenüberliegenden Straßenseite. Das Grundstück lag günstig, direkt am Niendorfer Gehege. Der Garten sah ein wenig verwildert aus, hatte aber die richtige Größe und einen alten Baumbestand von Buchen, Eichen und in der Mitte ein paar alte Obstbäume. »Der Vorgarten könnte ein wenig Pflege gebrauchen. Die achtzig Zentimeter hohe Buchsbaumhecke hinter dem Gartenzaun müsste dringend geschnitten werden«, registrierte ich.

Ich stieg aus, um mir das Haus aus der Nähe anzuschauen. Eine Gruppe von fünf jungen Leuten ging vor mir auf dem Bürgersteig. Einer von ihnen sagte: »Das ist ja ein schnuckeliges Hexenhaus da!«

»Ja«, sprach ein anderer: »Und die passende Hexe kommt gerade aus dem Haus.«

Automatisch schaute ich auch in Richtung Gebäude. Eine hübsche Frau, vielleicht dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt, ging durch den Vorgarten auf das Gartentor zu. In diesem Moment passierten zwei Dinge: Mein Amulett wurde plötzlich eiskalt und ich bekam einen großen Schwall Hexenaura oder magische Hexenenergie ins Gesicht.

Ich kann nicht verstehen, warum manche Hexen eine solche Aura aus reiner magischer Kraft ausströmen. Es gibt sogar normale Menschen, die diese Kraft empfinden oder wahrnehmen können. Allerdings wissen sie nicht, was sie auslöst und woher sie stammt. Dabei sind Hexen durchaus in der Lage, die magische Aura so zu verbergen, dass sie sich nicht preisgeben.

Sie trug ein enges, kniefreies, weißes Kleid, was ihre gute Figur betonte. Ein dünnes buntes Seidentuch hing ihr wie eine Stola über den Schultern und war vorne zusammengelegt. Sie ging vom Haus den Gartenweg hinunter bis zum Gartentor, machte es auf und hinter sich wieder zu. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig kam sie mir entgegen.

Dann nahm sie den Schal vorne in die Hände und zog ihn sich über ihren Kopf. Sie zog ihn weiter herunter, bis in Brusthöhe. – Sie wurde unsichtbar. Sie löste sich ganz einfach auf.

›Wow‹ – in diesem Moment beschloss ich, über diesen Wahnsinnseffekt noch einmal nachzudenken.

›War das jetzt Magie aus dem Schal, oder war das die magische Kunst der Hexe?‹, überlegte ich.

Ich vermutete, nach der Kälte des Amuletts, das sie eine Hexe war, konnte aber nicht verstehen, dass sie es so öffentlich und offensichtlich zeigte.

Das hatte ich bisher noch nicht erlebt.

›Irgendwann werde ich das noch auflösen müssen! Oder kann nur ich das sehen?‹, spielte ich mit meinen Gedanken.

Die kleine Personengruppe vor mir hatte das gar nicht wahrgenommen. Sie gingen weiter und diskutierten über Hexenhäuser, und dass es so etwas in einer großen Stadt wie Hamburg nicht geben könnte.

Ich wechselte die Straßenseite und betrat das Grundstück durch die Gartenpforte. Hier hatte es einmal sehr schön ausgesehen. Die Blumenbeete rechts und links vom Weg waren schon ein Jahr nicht mehr gepflegt worden. Ich ging auf die grüne, hölzerne Eingangstür zu und klingelte. Das Haus strahlte eine ruhige, sympathische und einladende Stimmung aus.

»Die Tür ist offen. Hast du was vergessen?«, hörte ich nach einer Weile eine weibliche Stimme von innen.

»Hallo! – Ich würde mir gerne das Anwesen anschauen«, rief ich, als ich die Haustür öffnete.

»Ach du Schreck. Ich bin noch gar nicht so weit. Ich habe gar nicht aufgeräumt für eine Hausbesichtigung. Eben dachte ich, meine Tochter hätte was vergessen«, sagte eine etwa sechzigjährige Dame, die mir im Hausflur entgegenkam. Die grauhaarige Person sah schlank, drahtig und charmant aus. Wenn das gerade die Tochter gewesen war, die Mutter war jedenfalls keine Hexe. Ich verspürte keine magischen Kräfte an ihr.

Man sah der Frau deutlich an, dass sie vorher geweint hatte.

»Ist ja auch egal – entschuldigen Sie. Kommen sie herein! Trinken sie eine Tasse Tee mit mir?«, schluchzte sie.

»Jo, gerne. Aber nur dann, wenn es keine Umstände macht«, antwortete ich.

»Ich habe im Wochenblatt die Anzeige zum Hausverkauf gelesen und würde mir das Haus und das Grundstück gerne einmal anschauen«, erklärte ich.

»Natürlich. Mein Name ist übrigens Hannelore Steinbutt. Das Anwesen gehört meiner Tochter und mir. Ich wollte vorher noch etwas aufräumen, die Kleidung ausräumen und wegbringen, die alten Bücher einpacken und verschenken, den Boden entrümpeln, Staub wischen und den Garten auf Vordermann bringen«, erklärte sie und führte mich in die Küche.

»Den Tee habe ich gerade gekocht. Es ist genug da. Da können sie gerne eine Tasse mittrinken«, ergänzte sie.

Die Küche war ein quadratischer Raum von etwa fünf mal fünf Metern mit einer Tür in den Garten. Wir setzten uns an den Küchentisch und konnten durch die Gartentür auf die alten Obstbäume schauen.

»Das Grundstück mit diesem kleinen Hexenhaus kauften mein Mann und ich 1985. Vor sechs Jahren haben wir uns getrennt, freundschaftlich. Ich wohne gleich hier um die Ecke zur Miete in einem dieser Wohnblocks. Mein Mann ist vor zwei Jahren in Spanien ums Leben gekommen«, sprach sie und stellte die beiden Tassen mit Tee und Zucker auf den Tisch.

»Möchten sie Milch in den Tee?«, wollte sie von mir wissen.

»Nein, danke. – Warum wollen sie dieses schöne Anwesen abgeben?«, fragte ich, während ich einen Löffel Zucker in den Tee gab.

»Wir müssen verkaufen. Die Bank droht mit einer Zwangsversteigerung. Das Haus ist mit 180.000 Euro verschuldet oder belastet, wie die Bänker wohl sagen, und meine Tochter hat auch noch 50.000 Euro Schulden. So kommt der Betrag von 230.000 Euro zustande. Was das Grundstück und das Haus für einen eigentlichen Wert haben, kann ich nicht sagen. Die Bank ist der Meinung, dass der Wert geringer ist«, erläuterte sie.

»Kommen Sie, ich führe sie rum!«, forderte sie mich auf, nachdem wir den Tee ausgetrunken hatten.

Im oberen Dachgeschoss war ein geräumiges Schlafzimmer mit einem Einbauschrank, der die Dachschräge verdeckte, ein großes Bad mit Toilette, Badewanne und Dusche, ein Kinderzimmer, das als Gästezimmer genutzt wurde, und eine vollgestellte Rumpelkammer – Dachboden eben.

Im Erdgeschoss zeigte sie mir eine überschaubare Vorratskammer, gleich neben der Eingangstür, ein kleineres Badezimmer mit Toilette, Dusche und einem Waschbecken, und dann die Küche, die ich schon kannte.

Von dort gingen wir durch eine Tür in ein großes Wohnzimmer. Dieser Raum zeigte eine große Fensterfront zum Garten mit einer Tür, die zu einer großen Terrasse führte.

Im hinteren Bereich der guten Stube war noch eine Tür, die zu einem Büro führte.

Sowohl im Arbeitszimmer als auch im Wohnzimmer waren Bücherregale mit alten, in Leder eingebundenen Büchern.

»Wow …!«, sagte ich: »Wo haben sie die vielen alten Bücher her?«

»Die gehörten meinem Mann«, antwortete sie. »Er hat sie über Jahre gesammelt und sehr viel darin gelesen und studiert. Die meisten sind in griechischer, lateinischer oder altdeutscher Sprache geschrieben. Ich verstehe nicht viel davon. Markus, mein Gatte, sagte immer, dass die Bücher eigentlich gar keinen Wert hätten. Nur für ihn seien sie wichtig und sehr nützlich«, erklärte sie mir.

Ich ging auf das Regal zu, um mir die alten Bücher genauer anzuschauen. Vor mir stand eine Abschrift der ›Papyri Graecae magicae‹ in griechischer Sprache und einige weitere Bücher mit Zaubersprüchen, Formeln und Flüchen, wie die Merseburger Zaubersprüche, der Codex Tro-Cortesianus, das Schwurbuch des Honorius (Liber Juratus) und noch viele mehr.

»Ihr Mann muss mit magischen Kräften vertraut gewesen sein«, sagte ich. ›Denn dann stimmt auch ihre Aussage, die Bücher haben nur für den einen Wert, mal abgesehen vom materiellen Wert, der Magie bewirken kann. Hier stehen viele, sehr viele magische Bücher im Regal‹, überlegte ich weiter.

»War ihr Mann ein Magier oder ein Hexer?«, fragte ich.

»Ja, das war er. Er war ein Hexer und beschäftigte sich ausgiebig mit Magie. Aber er war schon immer ein schwieriger und komplizierter Mensch, es wurde ständig schlimmer und schwieriger mit ihm. Früher hatte er viele Aufträge und bekam dafür gutes Geld von der Regierung. In den letzten zehn Jahren wurden die Aufträge dann immer weniger, und wir mussten uns finanzielle Mittel leihen. Mein Mann war oft wochenlang von zu Hause weg, und er berichtete nie, wohin er unterwegs war. Vor sechs Jahren zogen wir, unsere Tochter und ich aus, weil es einfach nicht mehr ging«, antwortete sie.

»Vor zwei Jahren bekamen wir dann die Nachricht, dass er in Spanien mit einem Schwert ermordet wurde. Nach Deutschland überführte man lediglich die Urne. Die liegt jetzt auf dem Ohlsdorfer Friedhof«, sprach sie weiter, und die Tränen schossen ihr wieder in die Augen.

»Es tut mir leid!«, flüsterte ich, während sie auf mich zukam und ich sie in den Arm nahm.

»Entschuldigen sie bitte! Ich habe das immer noch nicht verarbeitet«, schluchzte sie.

Der Keller, den wir anschließend besichtigten, kam mir kleiner vor als die Hausgrundfläche. Der fantastische Garten hinter dem Haus war mit einer zwei Meter hohen Steinmauer umgeben. Rechts hinten im Garten stand eine intakte Holzhütte, in der sich die Gartengeräte befanden.

Frau Steinbutt erwähnte nebenbei einen Hausgeist, der allerdings in einem Weckglas, welches irgendwo im Keller oder auf dem Boden stand, eingesperrt und gefangen war.

Meine mündliche Zusage zum Grundstücks- und Hauserwerb, mit allem, was drum und drin war, war für Frau Steinbutt wie eine Erlösung. Sie hatte nicht damitgerechnet, den gewünschten Geldbetrag zu bekommen.

Das Haus und das Grundstück entsprachen voll und ganz meinen Wünschen. Obendrein war für mich die Büchersammlung von Markus Steinbutt genauso viel wert, wie sie es für ihn gewesen war.

MITTWOCH 06.04.2016 12:00 UHR, AUF DEN WEG NACH LANGENHORN:

Auf dem Weg zurück nach Langenhorn rief ich, wie ich mit Frau Steinbutt vereinbart hatte, meinen Notar an, damit er den Kaufvertrag für das Grundstück mit dem Haus aufsetzen und alle übrigen notwendigen Dokumente beschaffen und bereitstellen konnte.

›In vierzehn Tagen habe ich ein eigenes schönes Hexenhaus mit Garten‹, überlegte ich und war total zufrieden mit meiner Entscheidung. ›Ich könnte mir ja schon mal Gedanken machen, ob und wie ich was verändern möchte‹, erwog ich auf der Heimfahrt.

MITTWOCH 06.04.2016 12:30 UHR, ALBERTINEN-KRANKENHAUS:

Doktor Thomas Dresden vom Albertinen-Krankenhaus rief mich unterwegs an und erzählte, dass die junge Patientin eingetroffen war, die unbedingt meine Hilfe brauchte. Ich versprach ihm, gleich noch vorbeizukommen. Dafür musste ich umdrehen und war dreißig Minuten später bei meinem Freund Thomas. ›Doktor Thomas Dresden‹ stand an der Tür im Krankenhaus, an der ich klopfte.

»Moin, Hein. Ich hoffe, ich habe dich nicht von einer wichtigen Angelegenheit abgehalten. Aber hier im Krankenhaus haben wir jetzt die Patientin, von der wir gestern Abend sprachen. Sie kam heute Morgen um acht Uhr mit einem Krankentransport aus München. Ich habe sie bereits ausgiebig untersucht, und es ist schlimmer, als ich vermutet habe. Die Frau ist vom Pech gezeichnet. Vor zwei Jahren schüttete ihr jemand Salzsäure ins Gesicht und auf den Oberkörper. Die Augen konnten gerettet werden. Aber alles andere sieht fürchterlich aus. Hier, schau dir die Bilder an, aber bekomme keinen Schreck«, erläuterte der Doktor und reichte mir Fotos herüber. Schlimm! Ganz schlimm!

»Die Ärzte in Frankfurt haben schon drei Hauttransplantationen vorgenommen. Hier das Ergebnis. Schau dir die Bilder an«, setzte er seine Beschreibung fort und reichte die entsprechenden Fotos herüber.

»Das ist noch nicht alles. Vor einem Dreivierteljahr wurde meine Patientin, sie heißt übrigens Sophie Tutour, in München von Kollegen aus der plastischen Chirurgie behandelt. Schau dir die Bilder an. Das ist das Ergebnis von fünf Operationen«, ergänzte er. Auf den Fotos, die er mir zeigte, war eine total entstellte Frau.

»Wie alt ist die junge Dame?«, wollte ich wissen.

»Sie ist jetzt achtzehn Jahre alt und kann nur mit einer Maske unter Menschen. Brust und Bauch wurden mit Hauttransplantationen behandelt, aber schlecht gemacht. Das Mädchen ist auch psychisch auf einem Tiefpunkt. Ich habe Yvonne gebeten, sich Sophie einmal anzuschauen und ein psychologisches Behandlungskonzept zu erstellen«, setzte er seinen Bericht fort. Als er merkte, dass ich ihn fragend anschaute, erklärte er mir, dass Yvonne eine der besten Psychologinnen war, die er kannte.

»Sie ist nicht nur eine gute Polizeipsychologin, sondern auch eine exzellente Opferpsychologin. Yvonne war heute Nachmittag hier und hat Sophie untersucht. Das Ergebnis, mal auf den Punkt gebracht, heißt: Wir brauchen jetzt, und zwar relativ schnell, sichtbare Erfolge, um die junge Frau überhaupt psychologisch ansprechen zu können«, berichtete er.

»Jo, – du kannst natürlich auf meine Hilfe zählen. Gibt es irgendwelche inneren Verletzungen? Oder gibt es Besonderheiten, auf die ich achten muss? Wie sieht es mit ihrer körperlichen Kraft aus?«, fragte ich.

»Sie hat keine weiteren inneren Verletzungen, der untere Kieferknochen ist etwas angegriffen, der Knochenaufbau und das Implantat sind, warum auch immer, schlecht gemacht worden. Das wirst du gleich sehen. Sophie hat in München zweimal die Woche an einem therapeutischen Krafttraining teilgenommen. Sie ist recht fit«, antwortete er.

»Jo, – zuerst möchte ich deine Einschätzung und deinen Vorschlag zur Vorgehensweise hören. Dann möchte ich mir die Patientin anschauen. Behandeln würde ich wie in der Vergangenheit nachts, wenn das Wetter es zulässt«, schlug ich vor.

»Ja und nein, Hein, ich habe da mal was vorbereitet:

Wir sollten ruhig zügig vorgehen, eine plötzliche Heilung würde zwar Aufmerksamkeit erregen, aber noch kennt sie kaum jemand hier in Hamburg. Außerdem habe ich sie hier auf meiner Station untergebracht, die von außen abgeschirmt ist. Du weißt schon: keine Besucher, nur wenige Schwestern haben einen Zugang und so weiter.

Mein Vorschlag: Das Aufwendigste und auch das Wichtigste ist die Knochenstruktur am Unterkiefer. Wie schnell du das aufbauen kannst, kann ich nicht beurteilen. Das Gesicht und den Hals könntest du zweimal die Wochen mit kleinen Dosierungen behandeln, dann sind wir in drei oder vier Wochen fertig. Den Bauch, die Brust und die Schulter könntest du sofort in einer Sitzung kurieren. Das würde unserer Patientin helfen, denn Kleidung auf der entzündeten und empfindlichen Haut ist extrem unangenehm beziehungsweise schmerzhaft. Eine Narbenbehandlung im Anschluss noch, ich sage mal, mit einer Sitzung, würde wir alles perfektionieren. Entscheiden wirst du; was, wann und wie passieren soll. Ich richte mich ganz nach deinen Wünschen und Vorstellungen«, entgegnete er und sah mich fragend an.

»Jo, Thomas. Ich glaube, ich schau mir die junge Patientin einmal näher an und werde mit euch dann die Behandlung besprechen«, grinste ich ihn an.

»Hein! Ich habe noch eine Überraschung für dich. Ich habe hier im Haus eine druidenkonforme Behandlungsräumlichkeit geschaffen. Komm mal mit, ich bin ganz stolz darauf«, erklärte Thomas und ging mit mir von seinem Büro ins Erdgeschoss, durch ein paar Flure, und blieb vor einer Stahltür stehen.

»Hier ist es. Ich habe einen großen Wintergarten anbauen lassen. Der Boden hat direkten Zugang zum Erdreich, und Bäume und Sträucher sind einfach umbaut worden. Die dicke schöne Eiche und die starke Buche sind im Wintergartenbau miteinbezogen worden. Damit sind deine Energiequellen unter Dach und Fach. Der Wintergarten ist von außen nicht einsehbar. Während der Behandlungszeiten lassen sich die Zugänge absperren«, beschrieb er den Wintergarten, bevor er die Stahltür öffnete. Er hatte nicht zu viel versprochen. Der Raum war perfekt für einen Druiden, der Patienten behandeln will, oder auch wenn er selber behandelt werden muss.

»Schau dich hier nur um, ich hole inzwischen unsere Patientin. Dann kannst du sie untersuchen«, sagte er und ging.

Ich hatte gerade mit den Bäumen Kontakt aufgenommen, mich vorgestellt und um ihre Hilfe gebeten, als der Doktor mit einer weiteren Person kam.

Die mittelblonde Frau war einen Meter und siebzig groß, schlank, trug eine Jogginghose, ein krankenhaustypisches Flügelhemd und eine weiße Maske vor ihrem Gesicht. Ich ging auf die Frau zu.

»Moin, Frau Tutour. Ich bin Hein Knutzen und ich bin ein Druide, der Ihnen helfen wird, wieder hübsch zu werden. Es wird Ihnen nicht wehtun. Sie werden lediglich ein Kribbeln spüren«, erklärte ich und gab eine größere Portion magische Beruhigung dazu, als ich merkte, dass sie total aufgeregt und unruhig war.

»Bitte nennen sie mich Sophie!«, sprach Frau Tutour sehr undeutlich, da die fehlenden Lippen eine deutliche Aussprache unmöglich machten.

»Jo, das ist in Ordnung. Ich bin Hein«, entgegnete ich.

Thomas verschloss alle Türen und teilte uns mit, dass wir jetzt ungestört, also auch von außen abgeschirmt, wären. Er setzte sich ein Stück abseits in einen Korbsessel.

Auch eine Mimik konnte Sophie aufgrund ihrer Verletzungen nicht zeigen.

»Zuerst möchte ich eine emotionale Verbindung zu dir aufbauen. Schau bitte einen Moment direkt in meine Augen«, forderte ich sie auf.

Das klappte überraschend gut. So las ich magisch ihre Gefühle aus. Ich erkannte, dass sie mitmachen wollte und neugierig war.

Danach führte ich sie zu einem Sessel und forderte sie auf, sich zu setzen. Meine Schuhe und Strümpfe zog ich aus. So hatte ich mit dem Erdboden direkten Kontakt und konnte Energie umgehend aufnehmen. Danach legte ich meine Hände auf ihr Gesicht und ließ heilende Energie über meine Hände auf ihr Gesicht und ihren Hals wirken. Die Heilung setzte sofort ein. Der Kieferknochen reparierte sich, die verstümmelte Nase bildete sich neu und die Lippen entwickelten sich ansatzweise.

Nach einer halben Stunde musste ich eine Zwischenpause einlegen. Ich empfing aus Sophies Gefühlen, dass sie überrascht war.

»Das ist am Kopf genug für heute. In den kommenden Wochen werden wir eine hübsche Frau aus dir machen. Darf ich deinen Bauch, deine Brust und deine Schultern berühren?«, fragte ich nach der Pause.

Sie nickte nur. Ich reichte ihr meine Hand, die sie gleich nahm und sich von mir aus dem Sessel ziehen ließ. Wir gingen zusammen zur Buche. Sie ließ meine Hand nicht los, als ich ihr von der natürlichen Kraft, die vom Boden und von den Bäumen ausgeht, erzählte. Ich forderte sie auf den Baum zu umarmen und öffnete ihr Flügelhemd. Sie drehte sich wieder um, damit ich sie von vorne betrachten konnte. Die Narben auf dem Bauch und auf den Schultern waren nicht das Problem. Ihre Brüste dagegen waren von den Ärzten total verkorkst worden.

»Gut, fangen wir an. Bitte postiere dich vor den Baum und berühre die Buche mit deinen Händen. Ich werde mich jetzt hinter dich stellen und dich anfassen. Da wo ich dich berühre, wird es kribbeln, und deine Verbindung zum Baum wird sich anfühlen, als wenn deine Arme und Hände eingeschlafen sind. Bitte nehme eine bequeme Position ein, denn wir werden zirka eine halbe Stunde gebrauchen«, beschrieb ich meine Druiden-Behandlung.

Und tatsächlich, eine halbe Stunde später war die Behandlung abgeschlossen. Wir gingen zur Sitzgruppe zurück und setzten uns. Thomas lief aus dem Wintergarten und kam mit einem großen Spiegel zurück, den er vor Sophie aufstellte. Sie stand auf und betrachtete ihren Körper.

Da ich noch magisch mit ihren Gefühlen verbunden war, merkte ich deutlich, wie sie erst erschrak und dann überrascht war.

»Na – damit kannst du dich schon sehen lassen. Den Rest schaffen wir auch noch. Noch was, wundere dich nicht, wenn du in der kommenden Zeit großen Hunger hast und doppelt so viel isst wie sonst. Das ist nach so einer Behandlung normal!«, erwähnte ich.

»Wenn es nicht zu unverschämt ist, hätte ich eine Bitte: Kannst du mir beim nächsten Mal die Lippen reparieren? Dann kann ich wieder so sprechen, dass man mich gut verstehen kann, und ich kann dir einen Kuss geben!«, bat Sophie mich.

Nach einer längeren Pause mit Pizza und Getränken erfüllte ich ihren Wunsch schon an jenem Tag.

Thomas grinste mich danach an und erwähnte: »Dann kann ich Yvonne ja eine positive Rückmeldung geben.«

Ich musste wohl sehr skeptisch geschaut haben, denn er fügte gleich die Bemerkung hinzu, dass ich unbesorgt sein könne und dass mein Geheimnis bewahrt bleiben würde. Worauf Sophie das auch versprach.

Der Doktor bestellte bei der Gelegenheit einige Druiden-Elixiere und -Salben bei mir.

Nachdem ich mich von Sophie und von Thomas verabschiedet hatte, fuhr ich zurück nach Langenhorn. Ich war geschafft und müde.

4

DIENSTAG 07.06.2016 7:30 UHR, LANGENHORN, DETEKTEI:

Als ich vor fünfzehn Jahren nach Hamburg kam, gründete ich die Detektei Knutzen. Vom Bücherschreiben konnte ich noch nicht leben. Ich startete damals mit einem bescheidenen Büro in Langenhorn. Heute ist die Detektei ein kleines und erfolgreiches Unternehmen.

Detektei Knutzen

Die Detektei Knutzen in Langenhorn ist Ihr fachkompetenter Ansprechpartner bei allen Privatermittlungen und besonders für paranormale Ermittlungen. Wir haben uns spezialisiert auf die Suche nach verlorenen Gegenständen oder vermissten Personen.

Wir stehen Ihnen mit unserer qualifizierten Detektivleistung professionell zur Seite. Das Büro unserer Detektei ist in Hamburg, am Langenhorner Markt und mit dem Bus oder mit der U-Bahn gut zu erreichen.

Vereinbaren Sie unverbindlich Ihren Beratungstermin.

Das steht auf unserer Internetseite und beschreibt recht gut den Leistungsumfang der Detektei Knutzen.

Der Kopf des Unternehmens ist seit fünf Jahren Marion Krausmacher. Sie kam vor etwa zehn Jahren in mein Büro und behauptete, sie wäre jetzt meine Assistentin, Sekretärin und Bürokraft. Und Kaffee kochen könnte sie auch.

»Ich bin querschnittsgelähmt und an diesen Rollstuhl gefesselt. Ich will wieder arbeiten, und Detektei hört sich spannend an«, sprach sie: »Außerdem wohne ich mit meiner Mutter hier im vierten Stock, habe es also nicht sehr weit bis zur Arbeit! Passt perfekt.«

Seitdem ist sie die Geschäftsführerin und kümmert sich um Auftragsannahme, Beratung, Vorermittlung, Disposition und Steuerung der Ermittler und, besonders wichtig, um die Abrechnung. Vertreten wird sie durch unsere Nummer zwei, Claudia Glas. Auch sie sitzt im Rollstuhl und hat sich auf Internet-Ermittlung spezialisiert. Vierzig Prozent aller Fälle lösen die beiden vom Schreibtisch aus. Zumindest behaupten sie das. Falls Detektivleistung vor Ort gebraucht wird, greifen wir auf unsere freiberuflichen Ermittler zurück. Wir haben zehn Spezialisten, darunter sind auch drei pensionierte Kriminalpolizeibeamte, die für die Detektei auf Anfrage im Außendienst arbeiten.

Im Büro pflegen wir das sogenannte ›Hamburger Sie‹, eine Form der Anrede, bei der man die Person beim Vornamen nennt und dazu siezt. Das entwickelte sich so, als Claudia Glas zu uns kam.

Die Detektei hat eine hohe Erfolgsquote und steht wirtschaftlich gut da. Ich bin dort seit drei Jahren hauptsächlich nur noch beratend tätig. Von Zeit zu Zeit arbeite ich an kniffligen Aufträgen mit. Nur selten und nur bei besonderen Aufträgen löse ich einen eigenen Fall. Ich biete dann allerdings meine Hilfe nur auf Tauschbasis für eine Gegenleistung des Kunden an. Eine Bezahlung lehne ich strikt ab. Als Gegendienst verlange ich das Versprechen, dass der oder die Betroffene mir irgendwann ebenfalls einen Gefallen erweist – was immer es auch sei.

Inzwischen waren etwas mehr als zwei Monate seit dem Vorfall im Polizeipräsidium verstrichen. Ich war mit meiner Agentin von einer achttägigen Lesungsrunde meines neuesten Krimis, in den Städten Münster, Osnabrück, Gelsenkirchen, Essen, Dortmund, Düsseldorf, Bonn und Köln, zurück.

Sophie behandelte ich jeden Dienstag und Donnerstag ab einundzwanzig Uhr jeweils für zwei Stunden. Lediglich in der vergangenen Woche war die Behandlung ausgefallen.

Mein Haus im Niendorfer Gehege hatte inzwischen neue Fenster bekommen. Das Dach war isoliert und aufs Neue gedeckt worden. Die Außenwände bekamen eine Wärmedämmung und wurden geklinkert. Innen mussten sämtliche Wasserleitungen erneuert werden. Die die Stromversorgung bedurfte einer Grundsanierung und Erweiterung. Dabei wurden gleich zusätzliche moderne Kommunikationsleitungen installiert. Einen Teil der im Haus vorhandenen Möbel übernahm ich. Zwei hübsche Schränke, die Gästebetten, einen Tisch mit Stühlen, der Schreibtisch von Markus Steinbutt sowie ein Sideboard wurden auf dem Boden eingelagert. Die restlichen Möbel, sowie die gesamte Küche, wurden abgeholt und zu Stilbruch, einem Sozialkaufhaus, gebracht.

Geplant war noch, die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer einzureißen, eventuell die Erneuerung des Fußbodens im neuen Küchen- und Wohnbereich und die Modernisierung der Badezimmer. Die Handwerker würden alle Termine einhalten, sodass dem Umzugstermin in vierzehn Tagen nichts im Wege stand.

Wenn möglich, bin ich an Dienstagen und Donnerstagen, jeweils vormittags, im Büro. Dort spreche ich mit Marion und Claudia die aktuellen Fälle durch. So auch an diesem Tag.

Ich war bereits um halb acht Uhr im Büro, hatte meine Post durchgesehen und bearbeitet, als wir um neun Uhr die Besprechung starteten.

»Ich bekam gestern einen merkwürdigen Fall herein«, begann Claudia die Dienstagsrunde: »Ein Herr Günther Hellbach kam hierher und berichtete, dass seine Gattin wegen Diebstahls im Gefängnis sitzt. Seine Frau behauptet allerdings nach wie vor, die Tat nicht begangen zu haben. Aber alle Indizien sprechen gegen sie. Sie ist vor zwei Wochen zu drei Jahren Haft verurteilt worden, die sie bereits antreten musste. Herr Hellbach musste ihr versprechen, eine Detektei einzuschalten, um den Fall noch einmal zu untersuchen. Ich hatte den Eindruck, dass Herr Hellbach nicht an die Unschuld der Gattin glaubt und nur hier war, weil das der Wunsch seiner Frau war. Ich erklärte ihm, dass wir uns die Sache anschauen und im Team entscheiden würden, ob wir den Auftrag annehmen.

Gestern Nachmittag telefonierte ich mit Frau Hellbachs früherem Arbeitgeber, bei dem sie 150.000 Euro gestohlen haben soll. Die konnten sich damals nicht vorstellen, dass sie zu so einer Tat fähig wäre. Auch mit ihrem Rechtsanwalt, Herrn Doktor Rechtler, telefonierte ich. Es war ein reiner Indizienprozess, wie er berichtete. Wenn wir den Fall noch einmal aufrollen wollen, würde er uns unterstützen und eine Kopie aller Unterlagen zur Verfügung stellen«, beendete Claudia ihren Bericht.

»Ich möchte mit Frau Hellbach selber sprechen, um mir einen Eindruck von ihr zu machen«, sagte ich. »Organisiere mir bitte einen Besuchstermin im Frauengefängnis. Danach entscheiden wir, ob und wie wir weiter vorgehen.«

Mit den weiterern Fällen der Detektei, die wir noch besprachen, waren wir gegen elf fertig. Inzwischen hatte ich einen Termin in der Justizvollzugsanstalt Billwerder mit Frau Hellbach für fünfzehn Uhr.

5

DIENSTAG 07.06.2016 15:00 UHR, JUSTIZVOLLZUGSANSTALT BILLWERDER:

Das Gespräch mit Frau Hellbach verlief auf einer sachlichen Ebene. Es waren 150.000 Euro aus dem Tresor ihres Arbeitgebers verschwunden.

»Um acht war ich an jenem Freitag in der Firma. Die Arbeit, wie immer, alles ganz normale Buchhaltung: Ein- und Ausgabebelege buchen. Gegen zwölf Uhr dreißig bin ich raus zum Mittagessen gegangen. Gleich um die Ecke traf ich Stephan Knaller, der mich zum Kaffee bei Tchibo einlud. Um dreizehn Uhr zehn war ich wieder im Geschäft. An jenem Freitagnachmittag verschloss ich um halb fünf den Tresor. Das Geld war dann noch da. Den Tresorschlüssel gab ich meinen Chef, bevor ich um fünf Uhr das Büro verließ. Das Wochenende war ich alleine zu Hause, da mein Mann zum Angeln an die Schlei gefahren war«, berichtete sie.

»Am Sonnabend fuhr ich mit meiner Freundin ins Alstertal-Einkaufszentrum zum Shopping. Am Sonntagmorgen kam die Polizei und durchsuchte die Wohnung. Sie fanden im Wohnzimmerregal hinter meinen Büchern 20.000 Euro und unten in der Hausmülltonne alle Geldbanderolen, auf denen nur meine Fingerabdrücke waren. Damit war es für die Polizei klar, dass ich der Täter war. Ich wurde gleich festgenommen und kam ins Untersuchungsgefängnis. Mittwoch hatte ich die Kündigung von meiner Firma und jetzt bin ich hier.«

»Hat ihre Firma immer so viel Geld im Tresor, oder war das eine Ausnahme? Wie gut ging es ihrer Ex-Firma, wirtschaftlich?«, wollte ich wissen.

»Nicht so gut wie vor drei Jahren. Das Geschäft ist schwieriger geworden. Die Firma hält sich gerade so über Wasser. Im Tresor ist nicht immer so viel Bargeld, aber fünfzig- bis achtzigtausend Euro sind normal. An manchen Tagen sind allerdings auch dreihunderttausend Euro im Tresor: Das ist die Versicherungsgrenze. Das Unternehmen handelt mit Kunstgegenständen. Die müssen bei Ersteigerungen oder bei Privatkäufen bar bezahlt werden. Deshalb ist entsprechend viel Bargeld im Tresorschrank.

Ich arbeitete in der Buchhaltung und verwaltete alle Einnahmen und Ausgaben, war also auch für das Geld verantwortlich«, erzählte sie.

»Wie ist das Verhältnis zu ihrem Ehemann?«, wollte ich weiter wissen.

»In den letzten Monaten nicht gut. Wir stritten uns oft. Ich fahre manchmal schnell aus der Haut. Mein Mann besorgte mir einen Termin bei einem Psychologen. Da ging ich zweimal die Woche hin, um mehr Gelassenheit zu erlangen«, erläuterte sie.

»Wie heißt der Psychologe?«

»Stephan, Diplompsychologe Stephan Knaller. Die Praxis ist in Altona.«

»Stephan Knaller, ist das die Person, die sie in der Mittagspause am besagten Tag trafen?«, wollte ich gleich wissen.

»Ja, das ist sie. Aber warum er gerade dort war, kann ich nicht sagen. Ich mag ihn nicht, ging aber in seine Praxis, um meine Ehe zu retten«, erläuterte sie mir.

Die ganze Zeit hatte ich Frau Hellbach direkt angeschaut. Ihre Augen waren klar und rein, keine übermäßige Nervosität oder Anzeichen einer Verhaltensstörung. Ich fragte sie, ob ich ihr einmal tief in die Augen schauen dürfte, was sie bejahte und fast schon amüsierte. Ich baute magisch eine emotionelle Verbindung zu ihr auf und konnte erkennen, dass sie die Wahrheit sprach.

»Danke«, sagte ich, »das war es schon.«

Nach einer kurzen Pause erzählte ich weiter: »Ich bin mir sicher, sie sprechen die Wahrheit. Den Fall werden wir übernehmen. Sobald wir neue Erkenntnisse haben, melden wir uns bei Ihnen. Ihren Anwalt würden wir gerne bei unseren Untersuchungen miteinbeziehen, wenn sie einverstanden sind.« Sie willig ein, und wir verabschiedeten uns.

Schon auf der Rückfahrt rief ich in der Detektei an: »Marion, den Fall Hellbach übernehmen wir. Frau Hellbach lügt nicht. Würden sie bitte den Anwalt darüber verständigen. Ich möchte möglichst schnell die Polizeiberichte und die Untersuchungsergebnisse, Zeugenaussagen und so weiter lesen. Auch die Urteilsbegründung interessiert mich. Machen sie bitte einen Termin mit dem Diplompsychologen Stephan Knaller. Dem will ich einmal auf den Zahn fühlen. Ich möchte wissen, was hinter diesen angeblichen cholerischen Anfällen von Frau Hellbach steckt«, fiel mir noch ein.

»Und bitte durchleuchten sie mir auch ihren Ehemann. Warum steht er nicht hinter seiner Frau? Wen könnten wir auf ihn ansetzen, um ihn eine Weile zu beobachten?«, wollte ich von Marion wissen.

»Einiges bekommen wir von hier aus raus. Claudia und ich haben da ein paar Tricks auf Lager. Für den Außendienst würde ich Kurt vorschlagen. Der riecht aus zwanzig Meter Entfernung, wenn etwas faul ist. Ich rufe ihn gleich mal an und frage ihn, ob er für uns einen oder zwei Tage Zeit hat«, kam die Antwort.

Aus dem Hintergrund rief Claudia ins Telefon: »Doktor Rechtler, den Anwalt von Frau Hellbach, habe ich erreicht. Er wird uns die Dokumente noch heute Nachmittag vorbeibringen lassen.«

»Super, danke, Claudia. Ihr beide seid einfach klasse! Ich komme auf jeden Fall noch vorbei, um mir die Unterlagen anzuschauen oder mitzunehmen«, ging ich auf ihren Zwischenruf ein.

Ich hatte gerade aufgelegt, als mein Klempner und Installateur anrief: »Moin, Herr Knutzen. Ihre beiden Badezimmer und das Gästeklo sind jetzt fertig. Ich habe eben die Arbeiten der Gesellen kontrolliert. Aus meiner Sicht ist alles in Ordnung. Die Wand- und Bodenfliesen konnten wir alle erhalten. Damit liegen ihre Reservefliesen noch auf dem Boden unterm Dach. Wir haben keine zusätzlichen Fliesen gebraucht. Ab morgen können sie alle drei Räume voll nutzen. Heute bitte nur das Gästeklo, weil es gestern schon fertig war«, informierte er mich. »Wenn Ihnen was auffällt, rufen sie mich bitte an«, ergänzte er noch. Ich bedankte mich ausführlich bei ihm, zumal mir bewusst war, dass er einen Tag schneller war als verabredet.

DIENSTAG 07.06.2016 17:00 UHR, LANGENHORN, DETEKTEI:

Gegen siebzehn Uhr erreichte ich das Büro. Eine halbe Stunde zuvor war ich auf meiner Baustelle in Niendorf gewesen. Die Wand zwischen Küche und Wohnzimmer war gefallen. Der Dreck hielt sich in Grenzen. Ich würde noch heute Abend zurückfahren, aufräumen und sauber machen. Die beiden Badezimmer wie auch das Gästeklo hatte ich mir angeschaute. Ich war überrascht, wie sauber und sorgfältig die Klempner und Fliesenleger gearbeitet hatten.

Die Unterlagen von Doktor Rechtler lagen auf meinem Schreibtisch, auch ein Zettel mit einem Termin beim Psychologen und eine Notiz, dass Kurt morgen früh um neun Uhr zur Besprechung da sein würde.

Claudia kam in mein Büro. Sie brachte mir eine Mappe mit ihren ersten Untersuchungen zum Hellbach-Fall.

»Auf der vorderen Seite ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten. Die können wir gut gebrauchen, wenn morgen Kurt kommt. Dann erhält er ein paar Hintergrundinformationen«, sagte sie und übergab mir die Mappe: »Auch Doktor Rechtler rief noch einmal an. Er möchte mit uns über den Fall Hellbach sprechen. Wenn das für sie in Ordnung ist, lade ich ihn gleich zu unserer Neun-Uhr-Besprechung morgen ein. Ich kann ihn bis achtzehn Uhr erreichen. Alles sieht sehr oberflächlich untersucht aus. Ich traue dieser Kunsthandelsfirma nicht. Schauen sie sich unsere Ermittlungen dazu an«, berichtete sie.

»Danke, Claudia, ich nehme mir die Unterlagen mit nach Hause und werde sie heute Abend durchsehen«, erwiderte ich, während ich die Unterlagen in meiner Aktentasche verstaute.

»Wie machen sie das nur, dass sie so viele Hefte und Mappen in ihre kleine Tasche bekommen? Das sind bestimmt fünfzehn Zentimeter!«, fragte sie und schüttelte nur den Kopf.

»Das ist Magie, Claudia, ganz einfache Druidenmagie«, antwortete ich und freute mich über meinen kleinen ›Mach-Mich-Klein-Zauber‹, mit dem ich die Aktentasche versehen hatte.

»Darum wird sie jede Frau beneiden. Ich zum Beispiel habe den halben Hausstand in meiner Handtasche hier am Rollstuhl. Zum Glück muss ich sie nicht tragen!«, lachte sie mich an. »Dann noch einen schönen Abend mit den Dokumenten, Hein!«

DIENSTAG 07.06.2016 20:00 UHR, ALBERTINEN-KRANKENHAUS:

Um zwanzig Uhr war ich endlich im Albertinen-Krankenhaus. Es hatte länger auf meiner Baustelle gedauert, als ich vorgehabt hatte. Mit ein wenig Hausmagie ist es relativ einfach, Ordnung und Sauberkeit herzustellen, braucht aber doch seine Zeit.

Sophie und Thomas warteten auf mich am Krankenhauseingang. Die Begrüßung war mehr als herzlich. Am Nachmittag war eine Fotografin im Krankenhaus gewesen und hatte von Sophie professionell Aufnahmen gemacht. Sophie war stolz auf ihre Figur und ihr neues Aussehen und hatte vor Freude Tränen in den Augen, als sie mir die Bilder zeigte.

Mit sieben Sitzungen und innerhalb von fünf Wochen hatten wir aus einer von Säure zerfressenen Sophie wieder eine wunderschöne, attraktive Frau gemacht.

Thomas hatte alle Stufen der Behandlung fotografisch festgehalten.

»So, ich habe jetzt noch zwei Punkte auf meinem Zettel. Erstens möchte ich dir Yvonne vorstellen, und dann bin ich der Meinung, dass wir Sophies Heilung feiern sollten. Yvonne und ich haben da mal was vorbereitet«, erklärte Thomas und schob Sophie und mich Richtung Wintergarten.

Als er die Stahltür öffnete, gab er uns einen Blick auf einen gedeckten Tisch frei und eine gut aussehende Frau, die uns entgegenkam.

»Das ist Hein, und das ist meine liebe Yvonne«, stellte er uns vor.