Hein Tosca - Bernd Neitzel - E-Book

Hein Tosca E-Book

Bernd Neitzel

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Beschreibung

Bernd Neitzel – Reedereiinspektor und Schiffbauer – nimmt uns mit auf eine faszinierende Reise um den ganzen Globus. Er bereist unzählige Länder und lässt den Leser ins Innerste der fremden Kulturen eintauchen. Sibirien, Ägypten und China sind nur einige davon. Dabei taucht immer wieder ein Freund aus Jugendzeiten auf: Hein Tosca. Egal auf welchem Kontinent sich Neitzel gerade befindet, der Leser kann sich sicher sein, dass auch Hein da sein wird, denn die beiden »sind ja nur auf einem Globus unterwegs«. Humorvoll, spannend und vielleicht auch mit etwas Seemannsgarn unterlegt, beschreibt Bernd Neitzel in seinem Debütroman »Hein Tosca« die allzu menschlichen Seiten der Seefahrt in deren vielfältigen Facetten und zeigt dabei, wie schnell man in der Fremde heimisch werden kann.

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Bernd Neitzel, geboren in Stettin, Jahrgang 1940, fuhr elf Jahre im Maschinendienst zur See und bereiste später als Reedereiinspektor und Schiffbauer (Dipl.-Ing.) 117 Länder dieser Erde.

Nachdem bereits in der Vergangenheit Fachbereichsartikel und humoristische Kurzgeschichten veröffentlicht wurden, wagte er sich nun an seinen Debütantenroman, »HEIN TOSCA«, um die allzu menschlichen Seiten der Seefahrt in deren vielfältigen Facetten zu beleuchten.

Inhalt

Vorwort

Hamburger Fischmarkt

Reise nach Island und Grönland

Heins Flucht per Rad aus der DDR

Erntedank und Rückkehr nach Hamburg-Altona

»Lucy« – von Hamstern und Schweinen

Das Wirtschaftswunder

Onega im Weißen Meer mit »Tanzewatzia«

Archangelsk und sibirische Sitten

Palermo, Wiedersehen mit Hein und Untergang der »Alexander«

Mit Hannes im Bett und Wetter vom Donnerbalken

Englisch mit »Krefeld«

Singapur und Feng-Shui, Geister und Gesetze

Wie Hein Reeder wurde und es nicht blieb

Schlangenbeschwörung in Litauen

Ägypten wird als Schiffbauland entdeckt

Nilkreuzfahrt mit unkonventioneller Auslegung der Hieroglyphen

Testlauf in Alexandria

El Alamein sechzig Jahre nach Rommel

Probefahrt mit Hindernissen in Alexandria

Die Schiffsablieferung

Schiffbau in China 1981

New York, New York

Reise ins Land der Mitte

Zwischenintermezzo in Ägypten

Schiffbau in China 2013

Vorwort

Die hier angesprochenen Storys sind teils mit ein klein wenig Seemannsgarn unterlegt und weisen teilweise autobiografische Züge auf.

In den letzten 50 Jahren haben sich die Bedingungen in der Seefahrt wesentlich verändert, aber es ist immer noch ein hartes Gewerbe, das die Persönlichkeit der wenigen prägt, die dauerhaft dabeibleiben. Diese weltreisenden Persönlichkeiten lernen im Laufe der Zeit fast alle Völker und Stämme der Erde kennen und gehen locker und tolerant mit deren Eigenarten um.

Es soll hier nicht tiefsinnig philosophiert werden, sondern es soll ein mehr heiterer Part der sogenannten »christlichen Seefahrt« angesprochen und dabei aber auch die harten Einsatzbedingungen der Seeleute gewürdigt werden.

Die Mentalität der Seeleute wurde von Richard Wossidlo mal folgendermaßen beschrieben: Ein Pastor hatte einmal auf dringenden Wunsch einer besorgten Mutter einem Jungen eindringlich die Gefahren der Seefahrt vor Augen geführt und ihn unter Hinweis, dass der Vater und der Großvater auf See geblieben seien, von seinem Entschluss abzubringen versucht. Darauf erwiderte der Junge: »Seggen Se mol, Herr Paster, wo is denn Ehr Vadder starben?« »Im Bett, mein Junge.« »Und Ehr Großvadder?« »Auch im Bett.« »Jo, Herr Paster, denn würd ik in Se Ehr Stell gor nich mehr to Bed gohn, wenn Se so dull ant Läben hangen dohn.«

Ein bisschen von dieser Einstellung kann man auch heute noch bei den lange fahrenden Leuten finden.

Hier wären zu nennen: soziale Isolierung infolge von Trennung von Familien und Freunden, soziale Isolierung an Bord durch Wachdienst und total ausgedünnte Anzahl der Besatzungsmitglieder aus einer Vielzahl von Nationen auf engstem Raum zusammengestellt; tropische Hitze, nordische Kälte – dieses eventuell in einer Einsatzzeit; Phasen von Langeweile, dann Stress infolge großen Arbeitsanfalls in den kurzen Hafenliegezeiten; unregelmäßige Urlaubszeiten.

1.Hamburger Fischmarkt

Nach der ersten Begegnung mit Hein Tosca Ende der Fünfzigerjahre in Hamburg hatte ich mir nie zu träumen gewagt, dass Hein Tosca mir sporadisch und in nicht festgelegten Zeiträumen immer mal wieder auf dem ganzen Globus begegnen würde.

Die erste Begegnung trug sich auf dem Hamburger Fischmarkt zu, als es noch eine große deutsche Fischereiflotte gab nebst einem Hafenbecken voll mit Schiffen.

Hamburger Fischdampfer im Altonaer Fischereihafen um 1962

Um ein Schiffsingenieur-Patent zu erwerben, verlangte die Behörde den Nachweis von mindestens sechsmonatiger Fahrzeit auf einem Dampfschiff im Maschinendienst.

Dank der Genialität unseres »GRÖFAZ« (Größter Führer Aller Zeiten) lag Deutschland am Boden und durfte in den ersten Nachkriegsjahren nur Dampfschiffe nach den Alliierten Bedingungen des Potsdamer Abkommens bauen. Das hieß Kolbendampfmaschine, oftmals mit kohlegefeuertem Kessel.

Ich kam von der HAPAG und wechselte zur Cranzer Fischdampfer AG, um schneller die Dampferzeit ableisten zu können. Ein Absturz um Welten hinsichtlich Bordunterkunft, Kammergröße, Geruch, Essen, Arbeitsbedingungen, Sicherheitsvorschriften, hygienischen Bedingungen.

Die Ladung des Fangschiffes »Heinrich C« war gelöscht, die Fische waren versteigert und ich musterte frühmorgens an, denn da war der Heuerbaas noch anwesend. Dieser gute Mann zahlte auch die Heuer aus und reichte das Bargeld durch eine kleine Klappe auf den Flur hinaus. Da die Fischerleute als wenig zimperlich bekannt waren, wurde die Luke so klein gehalten, dass er da von den Seeleuten nicht durchgezogen werden konnte, denn es gab immer wieder Differenzen zwischen dem gefühlten Verdienst und der ausgezahlten Heuer. Oft war auch das Erinnerungsvermögen von Jan Maat – infolge des soeben beendeten St. Pauli-Besuches – getrübt.

Wie eben erwähnt, ich musterte zu früh an.

Das christliche Seemannsheim war nicht weit und der Seemannspastor kam an Bord und versuchte, auf jeden verfügbaren Mann segensreich einzuwirken und vor den Gefahren und den Sünden des Landganges zu warnen. Er hatte nur wenig Erfolg und alles verschwand an Land.

Der Weg vom Fischereihafen zum »Silbersack« oder zu »Tante Alma« wurde stets zu Fuß zurückgelegt, auch um die Landgang-Kasse zu schonen. Die Kneipe »Tante Alma« war besonders beliebt, denn hier war das Bier extrem billig und man traf an und ab eine Hausfrau, die sich ein paar Mark mit Nebentätigkeiten verdienen wollte. Die Kneipe war in einem einstmals stolzen fünfstöckigen Gebäude untergebracht, aber auch hier waren die Tätigkeiten des »GRÖFAZ« zu spüren, eine Luftmine hatte vier Stockwerke eingeebnet. Glücklicherweise war das Vorkriegsmobiliar und der Tresen erhalten geblieben. Leider hatten die sanitären Anlagen im Keller auch etwas gelitten und man konnte den Bierkonsum-Pegel von 1945 bis 1955 locker abchecken. Man stellte sich auf die letzte trockene Treppenstufe und konnte anschließend – nach Beendigung seiner Tätigkeit – feststellen, wie weit sich der Pegel gehoben hatte. Wie zu erwarten war, wurde der Sündenfall Landgang unter diesen Bedingungen zu einem triumphalen Erfolg, trotz der Warnungen des armen Seemannspastors.

Hein Seemann konnte auch auf weitere Art seinen Liebeshunger stillen und ging hier mit dem chronischen Geldhunger der weiblichen Schönheiten eine erfolgreiche Symbiose ein.

Hier traf ich Hein Tosca zum ersten Mal. Hein hatte seinen Spitznamen weg, weil er die Damenwelt betörte, indem er Tosca-Parfüm verteilte, welches er zollfrei aus Kapitän Jonny’s Slapskiste erstand. Denn er wusste: »Mit Tosca kommt die Zärtlichkeit.«

Fischdampfer »Heinrich Colsman«, angetrieben durch eine Dreifach-Expansionsmaschine mit Kohlefeuerung. Leistung 850 PSi, 3 Zylinder mit einem Durchmesser von 400 mm, 650 mm, 1.050 mm

Hein hatte seine Spendierhosen an und rief zum Wirt: »Walter, einen Klaren für die Balletttänzerin am Ende der Bar.« Die Dame wedelte mit beiden nackten Armen, um auf sich aufmerksam zu machen. In ihrer Armbeuge wuchs richtig dicke Wolle. Ich fragte Hein: »Kennst Du die vom Ballett?« Antwort: »Nee, aber wer das Bein so hoch kriegt, muss vom Ballett sein.« Über einige Umwege landete ich spät abends an der Fischereihafen-Kai und sah vor mir eine taumelnde Gestalt, die den bei Niedrigwasser tief unten liegenden Fischdampfer suchte. Die Gestalt verlor die Mütze und kletterte auf der Eisenleiter von der Kai an Deck hinab. Ich kletterte ebenfalls die Eisenleiter hinab und trat an Deck, unter mir Geplätscher und Geschnaufe. Die Gestalt war zwischen Schiffsbordwand und Kai gelandet. Mit Hilfe eines Matrosen hievten wir den nassen Kerl an Deck. Hein Tosca hatte die Nacht zweifach feucht beendet und verabschiedete sich sehr ernsthaft mit dem unvergessenen Satz: »Lass mal, Assi, ich bin trotz allem sehr, sehr gut an Bord gekommen.«

2.Reise nach Island und Grönland

Das Auslaufen der »Heinrich C« war für die 7-Uhr-Schicht vorgesehen. Der Inspektor persönlich weckte die paar an Bord gebliebenen Seeleute. Nachdem er im vorderen Logis die Matrosen aufgescheucht hatte, kam er nach achtern, um a) einen Heizer, b) den Koch, und c) mich selbst zu wecken. Das war ein strategischer Fehler, denn die Seeleute aus dem vorderen Logis machten sich pflichtbewusst sofort auf, um in den umliegenden Kneipen nach ihren vermissten Kumpels zu suchen. Fast alle Kneipen hatten sehr früh auf, denn die Fischhändler hielten die Versteigerung in aller Frühe ab. Der Koch machte sich auch davon, denn er musste beim Schiffshandler seine Bestellungen überprüfen. Dann erschien Jonny, »der glückliche Fischer«, der Kapitän, per Taxi und blaffte mich an, wo die Leute seien. Ich bot mich an, sie zu suchen, was mir barsch verweigert wurde. Dafür wurde ich mit dem einzigen verbliebenen Crewmitglied, Heizer Martin, in den Heizraum verwiesen, um Dampf vorzubereiten.

Martin zeigte mir, wie man die aufgebänkten Feuer durchstößt, ausgesuchte Kohlen aufwirft, Luftklappen und Windhutze richtig stellt und langsam den Dampfdruck hochfährt.

Zwischenzeitlich traf ein: »Karl Nase«, seines Zeichens Zweiter Maschinist. Wie Karls Familienname lautete, hab ich nie erfahren. Karls Nase war sehr rot, sehr lang und als bemerkenswertes Zeichen besser zu merken als jeder Nachname. Spitznamen waren unter den Fischerleuten sehr verbreitet und als charakterliches Merkmal besser zu merken wie der Familienname. Meyers gab es viele, aber Karl Nase war einzigartig, sozusagen ein Unikat.

Jetzt wurde der Dampfgenerator angefahren und vorsichtig die Hauptmaschine angewärmt. Das war eine hochmoderne Dreifach-Expansionsdampfmaschine, 1950 bei der Stülcken-Werft gebaut, mit einer angehängten Ölpumpe und einem Öldruck-Alarm bestückt, dem einzigen im gesamten Schiffsbetrieb.

Nach und nach tauchten immer mehr verantwortungsbewusste Besatzungsmitglieder auf: Walter, der Erste Maschinist, der Zweite Steuermann, der Funker, Cognac-Willy und der zweite Heizer. Ziemlich spät traf der Erste Steuermann ein, der vom Kapitän und dem Inspektor abgefangen wurde und zur ersten Amtshandlung »Crew einsammeln« abkommandiert worden war. Dieses Unternehmen konnte nahezu erfolgreich abgeschlossen werden. Die zwei fehlenden Leute brachte die Wasserschutzpolizei beim Ausklarieren mit. Jetzt fehlte nur noch Trimmer Fiete. Das war der Mann, der den Heizern zur Hand ging und die Kohlen vor die Kessel schleppte.

Das Problem löste sich automatisch, denn nachdem der Erste Steuermann endlich seine Kammer aufsuchen konnte, fand er Fiete sanft und entspannt in den Armen einer Dockschwalbe in seiner, des Steuermannes, Koje ruhen.

Jetzt musste alles sehr schnell gehen. Die Dame wurde unter Zurücklassen von Hose und Petticoat die Eisenleiter hochgehievt und die Deckscrew konnte in Erinnerungen schwelgen. Fiete suchte gut ausgeruht den Kesselraum auf und platzierte zunächst den Petticoat unter der Windhutze, wo er im Luftstrom nett aufgebläht die 26-Tage-Reise beendete.

Die halbe Tide war verpasst, aber das Schiff bewegte sich mit schnellen Trippelschritten Richtung Nordsee.

So gegen 13 Uhr hatte der Koch einen Eimer Wasser zum Kochen gebracht (Kohleherd, selbstredend) und darin Bockwurst warm gemacht. Dann muss er ob dieser Anstrengung zusammengebrochen sein, denn um 20 Uhr gab’s sehr verspätet Abendbrot, worauf er wiederum vor Schwäche zusammenklappte, voll des 3 Promille Restalkohols.

Leider hatte er den Großteil unseres Frischproviants, der noch auf dem Bootsdeck lagerte, vergessen und leider war ein Großteil dieses Großteils hinter Cuxhaven – Helgoland über Bord verschwunden. Der Kapitän haute ihm was an die Backen, woraufhin die Maaten sich veranlasst fühlten, den Koch pünktlich jeden Freitag zu verprügeln. Nur am letzten Freitag vor Beendigung der Reise verbarrikadierte er sich in seiner Kammer, woraufhin diese dann auch noch zu Bruch ging.

Auf dem Weg nach Island und Grönland entschloss sich der glückliche Jonny, auf der Doggerbank ein paar Fische zu fangen, um die Bedingungen der Speiserolle zu erfüllen. Es gab dann morgens Fischfrikadellen, mittags Kochfisch, abends Bratfisch. In täglichem Wechsel: morgens Bratfisch, mittags Frikadellen, abends Kochfisch. Das hielt an, bis wir vor Island etwas Frischproviant und vor allem Brot von einem vom Markt zurückkehrenden Companyschiff schnorren konnten.

Verpflegt wurde streng nach Speiserolle (siehe Seemanns-Gesetz, G.v. 26.07.1957, BGBl. II S).

Speiserolle für die deutsche See-Schifffahrt und Seefischerei – gültig ab 1. August 1951 –

Zu früheren Zeiten wurde nicht so üppig verpflegt, aber es wurde vertraglich bereits sehr früh festgehalten, was der Seemann beanspruchen konnte:

Eine Speiseordnung der »Johanna Louisa« vom 27. Februar 1835 las sich so:

Sonntags

Frühstück

Graupen oder Grütze

Mittags

Erbsen

Abends

Erbsen

Montags

Frühstück

Erbsen

Mittags

Grütze oder Graupen

Abends

Graupen oder Grütze

Dienstags

Frühstück

Grütze / Graupen

Mittags

Erbsen

Abends

Erbsen

Mittwochs

Frühstück

Erbsen

Mittags

Grütze

Abends

Graupen

Donnerstags

Frühstück

Grütze

Mittags

Erbsen

Abends

Erbsen

Freitags

Frühstück

Erbsen

Mittags

Graupen

Abends

Grütze

Sonnabends

Frühstück

Graupen

Mittags

Graupen

Abends

Graupen

Zur Feier des Sonntags, Dienstags und Donnerstags konnte gereicht werden:

1 Pfund Rindfleisch

oder

¾ Pfund Schweinefleisch

oder

½ Pfund Speck.

Dem Schiffer steht übrigens frei, drei Tage in der Woche statt Fleisch ½ Pfund Stockfisch bei der Grütze zu geben.

Außerdem erhält jeder Schiffmann wöchentlich ½ Pfund Butter, wenn Stockfisch gegeben wird, aber 1 Pfund Butter und 7 Pfund hartes Brot sowie täglich im Sommer 1 ½ Quart, im Winter aber 1 Quart Bier, solange solches vorrätig ist. An jedem Lande- oder Löschplatz oder wo sonst der Schiffer sich längere Zeit aufhalten muss, ist er verbunden, der Schiffsmannschaft wöchentlich ein- oder zweimal statt des gesalzenen Fleisches und der Erbsen frisches Fleisch mit Gemüsen oder Kartoffeln, wenn solches zu haben ist, und zwar das Fleisch in gleicher Quantität zu geben.

In Ermangelung des Biers soll an Orten, wo Wein das gewöhnliche Getränke ist, jedem Manne am Sonntag, Dienstag und Donnerstag ¼ Preuß. Quart Wein, und an Orten, wo keine Butter zu haben ist, für 1 Pfund Butter ¼ Quart Baumöl mit ⅛ Preuß. Quart Essig gereicht werden. Branntwein erhalten die Schiffsleute nur dann, wenn der Schiffer bei schwerem oder kaltem Wetter oder bei schwerer Arbeit eine Austeilung davon für nötig hält.

Da jedoch diese Portionen nur zur Sättigung bestimmt sind, können die Schiffsleute dasjenige, was einer oder der andere von den ihm zugeteilten Speisen nicht verzehren sollte, keineswegs als ihr Eigentum betrachten, noch weniger etwas davon von Bord nehmen oder verkaufen, sondern das nicht Verzehrte fällt dem allgemeinen Proviant des Schiffes zurück.

Auf der »Minerva« sah die Speisrolle am 19. Juni 1871 folgendermaßen aus: An Beköstigung erhält der Mann täglich:

1 Pfd. Rindfleisch oder

¾

Pfd. Schweinefleisch oder ½ Pfd. Speck.

7 Pfd. hartes Brot pro Mann und Woche.

1 Pfd. Butter pro Mann und Woche oder, wenn Butter nicht zu beschaffen ist, in Stelle derselben ¼ Pfd. Provenceöl und 1/8 Quart Essig, event. aber 1 ¼ Pfd. Rohen Zucker.

7 Loth Kaffee und ebenso viel Cichorien pro Mann und Woche.

1 Loth Thee pro Mann und Woche.

½ Quart Erbsen oder ¼ Quart Graupe oder die dem entsprechenden Quantitäten Sauerkohl, Mehlspeisen oder Kartoffeln pro Mann und Tag an Zugemüse.

An Anlege-, Lade- oder Löschplätzen frisches Fleisch wenigstens wöchentlich 1 mal nach den sub a) genannten Sätzen, nebst frischem Gemüse, wenn es zu haben ist.

Ausnahmsweise Branntwein nach dem Ermessen des Schiffers, besonders bei schwerer Arbeit.

Auf der »Heinrich C« war die Auslegung der Speiserolle variabler, z. B.:

Bienenhonig konnte durch Kunsthonig ersetzt werden, Butter durch Margarine.

Kaffee durch Gerstenkorn-Trank »Katreiner«. Nichts ist gemeiner wie reiner Katreiner, wurde festgestellt.

Der Zweite Steuermann war der Speckschneider und teilte gewissenhaft den Proviant aus, den jedes Crewmitglied in einem kleinen Schapp in der Messe einschloss.

Auf der »Heinrich C« wurde im Zwei-Wachen-Rhythmus gearbeitet, das heißt, sechs Stunden Wache – sechs Stunden Ruhe. Das traf praktisch aber nur für die Maschinenbesatzung zu, denn alle anderen Leute mit Ausnahme des Funkers mussten ja auch Fische fangen.

Wenn das Schiff sich irgendeinem Fanggrund näherte, wurde das Schleppnetz ausgebracht. Da es noch keine Fischlupe gab, geschah das Ausbringen nach den Erfahrungen des Kapitäns, der mit 5 % am Fangergebnis beteiligt war.

Der Kapitän hatte Erfahrungen, Aufzeichnungen, Angaben vom Hörensagen der Kollegen oder verspürte es im Urin: »Hier steit de Fisch.«

Dann wurde die lustige Schlummerzeit von ganzen sechs Stunden unterbrochen durch Netzaussetzen, Netzeinholen, Netzwechseln, wenn es kaputt ging, Wegschaffen des Fangs von Deck in die Hocken der Fischräume: eine Lage Eis – eine Lage Fisch. Das Ganze geschah bei Schiffsbewegungen von 25 bis 30 Grad nach Backbord und Steuerbord und an Deck in eiskaltem Wasser.

Da der Kapitän Wache ging und jedes dieser Manöver selbst durchführte und überwachte, schlief er maximal zwei bis drei Stunden als längsten Turn.

Wenn er oder die Steuerleute mal zum Essen in der Messe auftauchten, geschah das meistens in Schlafkleidung, die aus einem wollenen Overall bestand und wie ein Ganzkörperkondom aussah.

Auf den Schiffen der HAPAG war der Kapitän ein uniformierter Halbgott und selbst in den Tropen (ohne Klimaanlage im Schiff) herrschte Uniformzwang. Auch der Umgangston bei der HAPAG war sehr gepflegt.

Unser glücklicher Jonny war da wesentlich lockerer. Anlässlich einer der seltenen Teilnahmen am Mittagessen fragte ich höflich: »Herr Kapitän, darf ich Ihnen die Erbsen rüberreichen?« Er sah hoch und entgegnete: »Assi, ’ne Sie hätt keene Klöten«, damit war zum Ausdruck gebracht, dass auf die Anreden »Herr« und »Sie« auf See kein Wert gelegt wurde, ein schlichtes »Du« genügt.

Wir fischten zu Anfang auf Rotbarsch und später auf Dorsch, weil der gerade da war und zu viel Rotbarsch angelandet wurde und die Preise nachgaben.

Der Dorsch wurde nicht einfach von Deck geräumt, sondern geschlachtet und die Leber wurde in Fischkiepen gesammelt und ich als Assi hatte die stinkige Aufgabe, Lebertran zu kochen. Die Trankocherei war auf dem Hauptdeck unter dem Ruderhaus über dem Dampfkessel untergebracht. Davor stand an Deck die große mit Dampf angetriebene Netzwinde. Hier lernte ich Hein Tosca näher kennen, sodass wir später gute Freunde wurden.

Wenn das Netz geschleppt wurde, hatte Hein täglich Windenwache, und ich musste Tran kochen oder, wenn kein Tran gekocht wurde, musste ich Kokosfasern zupfen.

Damit hatte es folgende Bewandtnis: Die drei Kolben unserer Dampfmaschine wurden mit Zylinderöl geschmiert. Dieses Zylinderöl durfte auf keinen Fall mit dem kondensierenden Dampf in die Kessel kommen und wurde hinter dem Kondensator im Kaskadentank abgefiltert. Als Filter dienten die Fasern der Kokosnuss. Nüsse scheinen seit Jahrtausenden eine besonders wichtige Aufgabe in der Seefahrt zu erfüllen. Zunächst drifteten sie seit Jahrtausenden in den tropischen Meeren umher, ließen sich auf den Inseln und Atollen nieder, wo sich eine gewaltige Vegetation entwickelte. Diese Vegetation mit nahrhaften Früchten lockte die polynesischen Seefahrer auf die weiten Meere und alle Landstriche wurden besiedelt. Hiervon hörten die portugiesischen Seeleute und schleppten die Kokosnuss ins Mittelmeer und auf die atlantischen Inseln. Dann wurden ganze Dampfer, mit Kopra, Kokosnüssen und Süßöl beladen, aus dem Pazifik nach Europa gebracht.

Wie wir alle wissen: Hieraus entstand die gute Rama-Margarine.

Auf diese Weise waren auch meine Kokosfasern an Bord der »Heinrich C« gekommen und wurden vor der isländischen Küste von mir zärtlich zerrupft, um als Filtermaterial zu enden.

Selbst heute benötigen die 18.000 TEU, 120.000 PS starken Containerschiffe Kokosnussschalen, um die Turbolader dieser Musterschiffe zu spülen (zu säubern).

Für die Leser, die glauben, dies Ganze sei nur Seemannsgarn, verweise ich auf die Bedienungsanweisungen der Motorenhersteller MAN B&W oder Wärtsilä.

3.Heins Flucht per Rad aus der DDR

So konnte man auf der Windenwache trefflich philosophieren und die Zeit verging wie im Fluge. Wir breiteten auch unsere Lebensgeschichte aus.

Hein und seine Familie kamen aus Pillau. Sie waren über die Kurische Nehrung vor den Russen abgehauen und, genau wie wir aus Pommern, in der Nähe von Rostock gelandet. Nur Hein, seine Mutter, seine Oma und Tante Elsbeth ließen sich dort nieder bzw. waren gezwungen, sich dort niederzulassen. Sie wohnten alle in einem Raum beim Müller des Dorfes. Männer waren noch nicht dabei. Als Heimkehrer traf im Sommer 1945 aber Heins Großvater unversehrt dort ein. Er kam aus Dänemark. Alle waren sehr froh. Hein war begeistert, denn Opa kannte er besser als Papa, der ja entsprechend der verbiesterten Auffassung der damaligen Entscheidungsträger und Amtsinhaber Raum für das Volk im Osten schaffen musste. Opa war auch begeistert, dass die braune Flut weg war und dass er als alter Sozi nun mithelfen konnte, ein neues, besseres, soziales Deutschland aufzubauen. Opa war Buchdrucker, trat der neuen SPD bei und wurde von der nahezu verwaisten Bürgermeisterei als Schreiber und Standesbeamter vereinnahmt. Es gab dann sogar so etwas wie freie Wahlen; muss 1952 gewesen sein, erinnert sich Hein.

Die Ereignisse waren den neuen Amtsinhabern nicht genehm und man beschloss, aus der SPD und der KPD die SED zu formen. Nun hatte man satte Mehrheiten. Opa wurde zwangsweise SED-Parteigenosse und Bürgermeister, womit sich der alte Sponti-Spruch von Emma Goldmann wieder bewahrheitet: »Wenn Wahlen etwas änderten, so wären sie verboten.«

Die Mecklenburger Großgrundbesitzer hatten sich 1945 ausnahmslos vor den nachrückenden Russen nach Westen oder in weiter südwestliche Gefilde abgesetzt. In die verlassenen Schlösser wurden die zuletzt gekommenen Flüchtlinge eingewiesen. Wir waren die ungeliebten Migranten, Penner und Schnorrer, die nur die Klamotten hatten, die wir am Leibe trugen.

Das Dorf hatte 250 Einwohner und nun kamen mit einem Schlag 500 Flüchtlinge hinzu, die Wasser, Essen, Wohnraum, Kleidung etc. benötigten.

»Du kannst Dir vorstellen, Assi, dass Opa und seine Truppe das Beste taten, um die Verhältnisse erträglich zu gestalten. Aber das ging nicht immer ohne Reibereien ab. Die Großagrarier waren ja weg und man teilte das Land auf an Kleinbauern und Flüchtlinge, die Bauern werden wollten. Die Zeiten wurden langsam besser und wir brauchten nur noch zeitweise Kinderarbeit verrichten. In der Freizeit, die neben der Schule und dem Ernteeinsatz verblieb, musste die Familie unterstützt werden in Form von Enteneierklauen, Kornähren auf den abgeernteten Feldern nachsuchen, Kartoffeln nachstoppeln, speziell wenn es geregnet hatte, dann leuchteten die Knollen aus dem Dreck, täglich Futter für die Karnickel ranschaffen, für Tee im Winter sorgen, Lindenblüten, Waldmeister, Taubnesseln und aus welchen Blüten immer Tee gekocht wurde, sammeln, für Marmelade Nachschub ranschaffen: Waldhimbeeren, Blaubeeren, Brombeeren, Schlehen, Erdbeeren, also alles, was frei irgendwo wuchs. Das wurde alles für den Winter von Oma und Mama eingekocht. Das meiste wuchs in Pastors Garten (ein Flüchtlingshasser mit acht Kindern), aber der gab nichts ab und hatte sein Domizil stark gesichert. Es ist uns dann doch gelungen, ein kleines Loch, versteckt in der Dornenhecke, zu schaffen. Das muss er beobachtet haben. Als wir uns mit zwei Freunden zum Erdbeerfassen durch das Loch im Zaun zwängten, hing ich als Erster mit den Vorderarmen bis zum Kinn in des Pastors Scheiße. Dieser Menschenfreund hatte ein Loch gegraben, mit seinen und den Fäkalien der Familie den Goldeimer aufgefüllt und mit Blättern getarnt. Es stank erbärmlich. Wir marschierten dann zum nächsten Teich, wo Zeugwäsche gemacht wurde. Beim Auswringen der Ärmel rissen beide ab. Eine mittlere Katastrophe für ein Flüchtlingskind. Meine Frau Mama hat mich nie gehauen, aber es gab eine große Standpauke und ich musste mich ein Jahr lang schämen, denn an meine Jacke wurden zwei Schafwollärmel angestrickt und ich wurde laufend gehänselt.«

Nachdem Hein mit seiner Story bis hier gekommen war, gab es einen Ruck im Schiff und das Schleppnetz hing fest. Hein musste hektisch die Winde fieren, die Maschine ging voll zurück und ich verkrümelte mich schnellstens nach unten in den Maschinenraum.

Zwei Tage später ergab sich auf der Wache 18 bis 24 Uhr wieder eine Gelegenheit, dass Hein mit seinem Bericht fortfahren konnte.

»Opa war nun Parteimitglied und Bürgermeister und durfte die von der SED und dem Machtapparat diktierten Ablieferungszahlen für landwirtschaftliche Produkte entgegennehmen und den Neu- und Altbauern kundtun. Freude kam damit auf keiner Seite auf nicht bei dem Verkünder der Neuigkeiten und auch nicht bei den Betroffenen. An der Frontwand der Bürgermeisterei gab es ein riesiges Schwarzes Brett, wo verkündet wurde, wie es mit den Zwangsablieferungen der namentlich aufgeführten Bauern stand. Das brachte ziemlich viel böses Blut unter der Bauernschaft, zumal das Soll immer höher geschraubt wurde und speziell die sogenannten ›freien Bauern‹ immer mehr belastet wurden. Das ganze Prozedere wurde so weit getrieben, dass mit Enteignung und Einverleibung in die LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) gedroht wurde, wie es dann ja auch geschah. Diese ›frohe‹ Kunde durfte Opa dann verkünden – oder er warnte die Bauern vorher, so genau konnte ich das nicht auseinanderhalten.