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Ein Bündnis zwischen Erzfeinden. Eine Waffe mit unermesslicher Macht. Und eine Liebe, die das Schicksal verändern könnte. Ivy Pomeroy verfügt als Phantom über die Gabe der Illusion und hat zahlreiche weitere Tricks in der Hinterhand, aber nichts davon ist dem verfluchten Halsring gewachsen, der sie an den skrupellosen König Baylor fesselt. Sie muss die Rolle des gehorsamen Schoßtiers und seiner braven Auftrags-Assassinin spielen, bis sie ihre Freiheit erlangen kann. Als der mysteriöse Seelenfänger Thorne in der Stadt auftaucht und es auf genau die mächtige Waffe abgesehen hat, die Ivy für ihren Plan benötigt, lässt sie sich auf ein brüchiges Bündnis mit ihm ein. Doch hinter Thornes Fassade steckt mehr, als Ivy zunächst vermutet hätte. Ihre Neugierde ist geweckt – ebenso wie ein für beide nicht zu leugnendes gefährliches Verlangen. Aber wird ihre neu entdeckte Verbundenheit ihnen zum Erfolg verhelfen oder werden ihre Geheimnisse sie gegenseitig zerstören? Zwischen immer undurchdringlicheren Intrigen und verschwimmenden Loyalitäten darf Ivy nicht vergessen, dass sie nicht das Schoßtier ist, das man gezähmt hat. Sie ist das Monster, das man hereingelassen hat. Und sie wird keine Gnade zeigen. Von den Leserinnen zur Romantasy-Sensation gekrönt – der internationale Riesenerfolg! - Temporeiche Fantasy trifft knisternde Romance in einer Welt voll magischer Fae und mysteriöser Götter, Intrigen und Verrat - Fesselnde Story mit zahlreichen beliebten Tropes: Touch Her and Die, Rivals to Lovers, Morally Grey, Forced Proximity, Hurt/Comfort, Who Did This To You
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Seitenzahl: 733
Veröffentlichungsjahr: 2025
Ein Bündnis zwischen Erzfeinden. Eine Waffe mit unermesslicher Macht. Eine Liebe, die das Schicksal verändern könnte.
Willkommen im Reich der Illusionen, das nur Intrigen, Verrat und keine Gnade kennt.
Ivy Pomeroy verfügt als Phantom über die Gabe der Illusion und zahlreiche weitere Tricks, aber nichts davon ist dem verfluchten Halsring gewachsen, der sie an den skrupellosen König Baylor fesselt. Sie muss die Rolle des gehorsamen Schoßtiers und der Assassine spielen, bis sie ihre Freiheit erlangen kann.
Als der mysteriöse Seelenfänger Thorne es auf genau die mächtige Waffe abgesehen hat, die Ivy für ihren Plan benötigt, lässt sie sich auf ein Bündnis mit ihm ein. Doch hinter Thornes Fassade steckt mehr, als Ivy zunächst vermutet hätte. Ihre Neugierde ist geweckt – ebenso wie ein für beide nicht zu leugnendes gefährliches Verlangen.
Zwischen immer undurchdringlicheren Intrigen und verschwimmenden Loyalitäten muss Ivy sich erinnern, dass sie nicht das Haustier ist, das man gezähmt hat.
Sie ist das gnadenlose Monster, das man hereingelassen hat.
Ein hochgradig süchtig machender und rasant erzählter Romantic-Fantasy-Reihenauftakt
Madeline Taylor
Band 1
Roman
Aus dem amerikanischen Englischen von Julia Schwenk
Für Carolyn, ich glaube, du hättest das hier geliebt.
Heir of Illusion, Teil 1 der Verran Isles Reihe, ist ein spannendes Fantasyabenteuer, das in einer Welt voll magischer Fae, mysteriöser Götter, Intrigen und Verrat spielt. Es zeigt dabei Elemente von Gewalt, derber Sprache, sexuellen Handlungen, posttraumatischer Belastungsstörung, Erwähnungen von selbstverletzendem Verhalten, Erwähnungen von Grooming, Suizidgedanken, Ersticken, Ertrinken, emotionalem und physischem Missbrauch, Mord, versuchter sexueller Gewalt, Machtmissbrauch, Verlust und Trauer. Leserinnen und Leser, die solchen Inhalten gegenüber empfindlich sind, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen.
Ich halte den Kopf meines Geliebten in den Händen und sehne mich danach, ihn auf den Holzfußboden zu schmettern.
Meine Finger streichen über die kalte, unnachgiebige Oberfläche der glatten Marmorbüste. Ein perfektes Abbild. Ich halte ihn auf Höhe meines Gesichts und suche in seinen leeren Augen nach irgendeiner Erklärung oder Entschuldigung. Aber die einzige Botschaft, die ich von ihm bekomme, ist die Gravur am unteren Rand.
Lang lebe der König.
Ich stelle die Büste zurück auf ihren Sockel und lächle, als ich die dunkelrote Spur bemerke, die ich auf seiner Wange hinterlassen habe. Dass mir heute Abend Blut an den Händen klebt, ist Baylors Schuld – da ist es doch nur passend, dass es auch ihn befleckt.
Ein Blick auf meine Umgebung zeigt mir, dass sich Darrows Apotheke seit meinem letzten Besuch kaum verändert hat. Er hat den Kronleuchter durch eine Monstrosität aus Obsidian ersetzt, deren Behänge das Mondlicht in alle Richtungen reflektieren. Außerdem gibt es ein paar neue Spiegel an den Wänden des Verkaufsraums, was ihre Gesamtzahl auf zwölf erhöht, und ich entdecke eine Auswahl seiner sogenannten Heilkristalle, die er seiner Kundschaft andreht.
Man weiß gar nicht, wo man bei dem Meer aus glänzendem Schnickschnack als Erstes hinschauen soll.
Aber genau das ist Darrows geniales Konzept: Er tritt vor seinem Publikum als offensichtlicher Trottel auf, lenkt es mit Übertreibung und Eitelkeit ab. Seine scharfen Zähne und den listigen Blick lässt er sie erst sehen, wenn es zu spät ist.
Die Decke knarzt in regelmäßigen Abständen und ich lausche seinem rastlosen Auf-und-ab-Gehen im Stockwerk über mir. Darrow besitzt zwar ein hübsches Landgut, doch er übernachtet weitaus öfter hier. Vermutlich hat das mit der Tatsache zu tun, dass sein Anwesen – im Gegensatz zu denen seiner dortigen Nachbarn – gekauft und nicht hinterlassen und sein Geld verdient und nicht geerbt wurde.
Es könnte allerdings auch an der Nähe zu den Bordellen der Stadt liegen, die ihn hier in Solmare halten. Soweit ich weiß, ist er da häufig zu Gast.
Ich überlege, ob ich die Glocke läuten soll, um ihn auf meine Anwesenheit aufmerksam zu machen, oder ob ich einfach die teure Büste mit dem Gesicht des Königs runterschmeiße. Baylors Kopf in winzige Stücke zerspringen zu sehen, würde meine Laune zweifellos verbessern.
Ich zügle meine leicht zerstörerischen Impulse und greife nach der Glocke. Die meisten Leute freuen sich nicht, wenn ich spätnachts bei ihnen auftauche. Diese Besuche enden häufig in Blutvergießen, wie mein Termin vorhin. Aber wenn Della wüsste, dass ich hier bin, würde sie sich wünschen, dass ich mich zumindest um Höflichkeit bemühe – ein riskantes Kunststück für jemanden mit meinem Beruf.
Als das Klingeln der Glocke durch den dunklen Raum hallt, verstummen die Geräusche von oben abrupt. Einige Sekunden vergehen, bevor er auf leisen Sohlen in Richtung Treppe schleicht. Wahrscheinlich hält er seine Schritte für lautlos, aber ich höre um einiges besser als er.
Darrow kommt die Treppe mit einem sorgsam aufgesetzten Lächeln runter. Trotz der späten Stunde ist er noch in einen schicken Anzug aus Samt mit filigraner Goldstickerei gekleidet. Keine einzige seiner schulterlangen honigblonden Locken, die seine kantigen Gesichtszüge perfekt einrahmen, sitzt nicht an ihrem Platz.
Seine makellose Fassade nötigt mir Respekt ab.
Doch dann kann ich ein Lachen nicht unterdrücken, als ich den juwelenbesetzten Dolch entdecke, der in seinem Hosenbund steckt. Als würde dieses Ding mehr als eine kleine Unannehmlichkeit für mich darstellen. Darrow kneift die braunen Augen ein wenig zusammen, als er nach der Quelle des Lauts sucht. Sein Blick wandert zwar über die Stelle, an der ich stehe – aber er kann mich nicht sehen.
Als Phantom kann ich verschwinden, wann immer ich will.
Es ist eine extrem seltene Variante der Illusionsmagie, die mich zu einem wertvollen Werkzeug macht. Oder einer furchterregenden Feindin. Schon vor dem Krieg, der Baylor auf den Thron gebracht hat, und bevor die Göttin der Illusion verschwand, war meine Magieform ungewöhnlich.
»Zeig dich«, fordert Darrow mich auf und nur ein Hauch von Angst schleicht sich in seinen harten Ton.
Ich verdrehe die Augen und hebe die Illusion auf. Falls ihn meine Anwesenheit in seinem Laden erschreckt, überspielt er es rasch mit einem charmanten Lächeln. Ich tue so, als würde ich nicht mitbekommen, wie er seine lächerliche Waffe zieht.
»Lady Iverson«, säuselt er und tritt mit einem beschwingten Schritt von der untersten Stufe. »Was verschafft mir die Ehre eines unerwarteten Besuchs meines liebsten Häschens?«
Häschen – oder eher Hase –, der Kosename des Königs für mich. Zu Beginn meines Lebens bei König Baylor hat er irgendwann angefangen, mich seinen kleinen Hasen zu nennen. Damals fand ich das süß, aber nur so lange, bis mir klar wurde, dass er darauf anspielt, mir einen Halsring verpasst und mich domestiziert zu haben.
Wie sich herausstellte, war ich die Letzte, die die Pointe dieses Witzes begriff.
Ich erwidere Darrows Blick ausdruckslos und liefere ihm nicht die Reaktion, auf die er hofft. Die Untertanen des Königs bespucken mich hinter seinem Rücken oft mit diesem Wort. Ähnlich wie bei Darrow setzen sie es als Gemeinheit, als Beschimpfung ein.
»Benötigst du meine Hilfe in einer schwierigen Angelegenheit?«, fragt er und ein verführerisches Grinsen umspielt seine vollen Lippen. »Ich versichere dir, Mylady, dass du dich bei mir in überaus fähige Hände begeben würdest.«
Ich schenke ihm ein honigsüßes Lächeln, das normalerweise meinem Herrn und Meister vorbehalten ist, bevor ich beiläufig den Arm ausstrecke und die Büste des Königs zu Boden schubse. Das Krachen ist tatsächlich so befriedigend, wie ich mir erhofft hatte.
»Ups.« Ich zucke die Schultern und mein Lächeln wird boshaft. »Das tut mir aber leid, Darrow.«
Er seufzt und betrachtet gleichgültig die Marmorscherben, die sich auf dem Holzfußboden verteilt haben. »Ein Jammer. Man sollte meinen, der König hätte inzwischen dafür gesorgt, dass du stubenrein bist.«
Im nächsten Moment liegt meine Klinge an seiner Kehle. Instinktiv will er die Hand heben, mit der er immer noch seinen eigenen Dolch festhält, doch ich packe ihn blitzschnell am Handgelenk und drücke es gegen die Thekenvitrine. Sein Körper ist angespannt, seine Miene hingegen drückt pure Langeweile aus, als wäre ihm seine missliche Lage vollkommen egal.
Ich schnalze mit der Zunge und schüttle gespielt enttäuscht den Kopf. »Na, spricht man so mit dem Phantom Seiner Majestät?«
Die Leute nennen mich so oft Häschen, dass sie vergessen, wofür mein Besitzer mich ausgebildet hat.
Er schafft es, seinen gelassenen Ausdruck beizubehalten, wird jedoch etwas blass um die Nase, als er mich mustert. Bei Hofe bin ich stets in Seide und Satin gehüllt und trage freizügige Kleider, die auf Verführung abzielen. Doch die Hose und das langärmlige Hemd, das ich heute Nacht anhabe, sind aus strapazierfähigem Leder gefertigt und meine langen roten Haare habe ich zu einem schlichten Zopf geflochten, der mir über den Rücken hängt. Außerdem fallen Darrow sicher die glänzenden Waffen unter meinem dunklen Umhang auf, die in ihren Scheiden an meinem Bauch und den Oberschenkeln stecken. Und das Blut unter meinen Fingernägeln gibt dem Ganzen noch das gewisse Extra.
Er schluckt hart, als sein Blick auf dem rubinbesetzten Halsring um meine Kehle hängen bleibt.
»Hat er dich auf mich angesetzt?«, will Darrow leise wissen.
Das ist eine berechtigte Frage. Der König entsendet mich häufig, um seine Feinde zu töten. Genau das habe ich vor meinem Besuch hier getan. Ich schüttle den Kopf, um das verzweifelte Flehen des Manns, den ich heute Nacht ermordet habe, aus meinen Gedanken zu vertreiben. Rasch schiebe ich meinen Emotionen einen Riegel vor und zwinge meine Aufmerksamkeit zurück in die Gegenwart.
»Sollte er das denn?«, frage ich. »Du tust hier doch nichts Illegales, nicht wahr, Darrow?«
»Ich bitte dich, Lady Iverson.« Sein verspieltes Grinsen ist zurück, wenn auch etwas weniger überzeugend. »Ich würde mich Seiner Majestät gegenüber niemals derart respektlos verhalten.«
Ich ziehe die Augenbrauen nach oben. »Ach nein? Du hattest keine Hemmungen, mich respektlos zu behandeln. Hast du vergessen, dass ich für den König spreche?«
Ihm entkommt ein Zischen, als ich die Haut seiner Kehle sacht mit der Klinge anritze. Ein Blutstropfen quillt hervor und sucht sich einen Weg seinen Hals hinab. Ein reizvoller Hauch seines metallischen Aromas hängt in der Luft und lockt mich, den Schnitt auszuweiten, den Laden mit seinem Blut zu fluten und seine Seele durch den Schleier des Todes zu schicken.
Darrow ist Halb-Fae, was ihn zäher als einen Sterblichen macht, aber es ist unwahrscheinlich, dass er eine tiefe Verletzung seiner Halsschlagader überleben würde. Seine gelassene Fassade bekommt Risse und er schielt zu dem Dolch in seiner fixierten Hand. Ich verdrehe entnervt die Augen, gebe seinen Arm frei und senke die Klinge.
»Komm schon, Darrow. Glaubst du wirklich, dass ich dich umbringen würde?« Lachend mache ich einen Schritt nach hinten, doch wir wissen beide, dass ich keine andere Wahl hätte, wenn der König es mir befehlen würde.
Er stößt sich von der Vitrine ab und massiert sich mit der freien Hand vorsichtig den Hals, wodurch er ein paar Tropfen Blut auf seiner Haut verschmiert.
»Natürlich nicht.« Er verzieht die Lippen zu der Andeutung eines Lächelns und streicht sich schwungvoll eine verirrte Locke nach hinten. »Ich bin zu schön, um ermordet zu werden.«
Ich deute mit dem Kopf auf seinen kleinen, juwelenbesetzten Dolch. »Hast du tatsächlich gedacht, dass der auch nur ansatzweise genügt, um mich aufzuhalten?«
»Könnte man damit nicht die meisten aufhalten?« Er lacht leise, doch es klingt angestrengt.
Darrow war schon immer viel zu fasziniert von den Gerüchten, die sich um mich ranken. Er macht subtile Bemerkungen in der Hoffnung, dass ich mich verplappere oder er mich austricksen und dazu bringen kann, Informationen preiszugeben, über die nur wenige verfügen. Es gibt natürlich Geflüster, das die Runde macht und irgendwann als Verschwörungsmythen abgetan wird. Doch Männer wie Darrow, die ein Geschäft aus dem Handel mit Geheimnissen machen, jagen Gerüchten gern nach.
Meine Geschichte interessiert ihn zweifellos mehr, als gut für ihn ist.
Ich zwinge mich dazu, mich zu entspannen, stecke meine Klinge weg und begebe mich auf die andere Seite von Darrows Thekenvitrine, um ihm etwas mehr Luft zum Atmen zu lassen. Als mein Fuß auf etwas Hartem landet, schaue ich nach unten und entdecke die verteilten Überreste der Königsbüste. Eine Seite seines Gesichts ist komplett zertrümmert, aber die andere hat den Sturz abgesehen von ein paar Rissen recht unbeschadet überlebt. Ich zertrete sie und genieße das Gefühl, wie sie unter meinem Stiefel nachgibt.
»Seine Majestät benötigt Informationen«, verkünde ich.
Er verschränkt die Hände hinterm Rücken. »Worum geht es?«
»Dein Spezialgebiet«, antworte ich und kann dabei den bitteren Unterton nicht verbergen, der sich ungefragt in meine Stimme schleicht. »Zauber.«
Die meisten Fae sind nicht fähig, komplexe Magie zu wirken, sondern wurden üblicherweise lediglich mit einem langen Leben und schneller Heilung gesegnet. Aber einigen von uns wird viel mehr geschenkt, das sich in seiner Ausprägung danach richtet, von welcher der Verran Isles wir stammen. Während jemand von der Achten Insel vielleicht in die Zukunft blicken kann, ist eine Person von der Ersten in der Lage, mit sämtlichen Lebewesen zu kommunizieren. Doch bei uns von der Siebten wird die Sache etwas verzwickter.
Unser Talent ist die Illusionsmagie. Ich bin unter der Bezeichnung Phantom bekannt, während Darrow das ist, was wir einen Zauberweber nennen. Diese gehören zu den gefürchtetsten Magiebegabten, da sie die Fähigkeit besitzen, mächtige Artefakte und Sprüche zu fertigen. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum seine Feinde alle unter mysteriösen Umständen den Weg aller Dinge gegangen sind und nichts davon je zu Darrow zurückverfolgt werden kann.
»Der König fragt sich, ob du vertraut mit Zaubern bist, die eine Person an eine andere binden«, fahre ich gelangweilt fort und tue so, als hätten seine vermeintlichen Heilkristalle mein Interesse geweckt.
»Um das zu beantworten, bräuchte ich mehr als das. Es gibt viele Wege, zwei Personen aneinander zu binden. Einige sind vorübergehend, andere von längerer Dauer.« Er klingt angespannt. Gefällt es ihm womöglich nicht, dass ich in seinen Sachen stöbere?
Tja, Pech.
Ich nehme mir ein Pärchen Smaragdohrringe aus der Auslage und halte sie mir an die Ohren. »Würden die mir nicht wunderbar stehen?«, frage ich mit einem verspielten Augenaufschlag.
Darrow atmet langsam aus und massiert sich die Nasenwurzel. »Auf ihrem Ständer sahen sie besser aus. Sei ein braves Häschen und leg sie wieder an ihren Platz zurück.«
Ich verdrehe die Augen, komme seiner Aufforderung aber nach. Dass ich keinen von Darrow gefertigten Schmuck tragen sollte, musste ich auf die harte Tour lernen. »Der König ist auf der Suche nach einer langfristigen Möglichkeit.«
Er verengt neugierig die Augen und etwas von der Gesichtsfarbe, die er vorhin verloren hat, kehrt zusammen mit seinem Selbstbewusstsein zurück.
»Langfristig ist komplizierter«, sagt er, lehnt sich lässig gegen die Wand und verschränkt die Arme vor der Brust. »Es gibt Wege, einen Bindungstrank herzustellen, doch um seine dauerhafte Wirksamkeit zu gewährleisten, müsste er regelmäßig eingenommen werden. Und möglicherweise entwickelt der Empfänger mit der Zeit eine Toleranz, was bedeutet, dass die Dosis stetig erhöht werden muss. Für ein paar Wochen oder sogar Monate funktioniert das gut, aber ich würde davon abraten, das über eine längere Dauer einzusetzen.«
Seine Körperhaltung bleibt entspannt und alles an ihm strahlt berufliches Interesse aus. Doch mir fällt auf, dass er mich ein bisschen zu aufmerksam beobachtet und nach Hinweisen auf Enttäuschung sucht. Er scheint nur darauf zu warten, dass ich mich verrate.
Das tue ich nicht.
»Sollte er jedoch nach etwas suchen, das Jahre anhält«, fährt er fort und ein gefährliches Funkeln tritt in seine Augen, »würde ich empfehlen, ein Artefakt zu nutzen.«
»Welche Art Artefakt?«, erkundige ich mich und stütze mich mit den Ellbogen auf der Thekenvitrine zwischen uns ab.
»Ach, das kann alles Mögliche sein, solange es sich um etwas handelt, das die Person stets am Körper tragen kann.« Er zuckt die Schultern und macht eine Handbewegung in Richtung der Edelsteine vor mir. »Schmuck erfüllt diesen Zweck am besten. Ein Ring oder Armband.« Ein boshaftes Lächeln erscheint auf seinen Lippen. »Vielleicht auch eine Halskette.«
Mich davon abzuhalten, nach meinem Halsring zu greifen, verursacht mir körperliche Schmerzen, doch die Fates sind mir gnädig, denn ich schaffe es, mich nicht zu rühren.
»Bist du dir sicher, dass der König derjenige ist, der nach diesen Informationen verlangt?« Darrow stößt sich von der Wand ab und schlendert zu mir rüber. »Oder wird dir der Halsring allmählich ein wenig zu eng?«
Ich beiße die Zähne zusammen und zwinge mich zu einem tiefen Atemzug, der ungehindert durch meine Luftröhre streicht. Im Moment gibt es keinen Auslöser für den Halsring.
Mein Unwohlsein entlockt Darrow ein Schmunzeln. »Und ich habe dich doch tatsächlich für ein zahmes, kleines Häschen gehalten.«
Ich fletsche die Zähne und es juckt mir in den Fingern, sie in den Halsring zu krallen, ihn mir abzureißen und sein erdrückendes Gewicht loszuwerden. Wie die meisten tödlichen Dinge ist er wunderschön. Dutzende täuschend verlockender Rubine, eingebettet in eine kunstvolle Silberfassung. Der größte von ihnen hat eine ovale Form und sitzt in der Mitte, direkt über meiner Kehle, ein etwas kleinerer ruht darunter zwischen meinen Schlüsselbeinen.
Das Schmuckstück ist atemberaubend, liegt aber trotzdem wie eine Schlinge um meinen Hals.
Ich lasse die Arme hängen und ermahne mich, dass es nichts nützt, daran zu ziehen. Der Zauber, der in den Halsring gewoben wurde, verleiht allein dem König die Macht, ihn zu öffnen. Als er ihn mir angelegt hat, war ich erst zehn Jahre alt. Er sagte, er würde mich schützen und dafür sorgen, dass mich niemand von ihm fortbringen kann. Er versprach, dass er mich immer finden würde, solange ich ihn trage. Damals kam mir das in keiner Weise falsch vor. Tatsächlich fand ich die Vorstellung sogar beruhigend. Aber jetzt, fünfzehn Jahre später, spendet es mir keinen Trost mehr, an einen Herrn gebunden zu sein, dem ich längst entwachsen bin.
Als der König mir die Eigenschaften des Halsrings erklärte, vergaß er dabei einige Dinge. Darunter auch die Tatsache, dass er immer enger und enger wird, wenn ich ihn verärgere, bis ich nicht mehr atmen kann.
Bis ich ersticke.
Ich balle die Hände zu Fäusten und klammere mich verzweifelt an meine Beherrschung. »Mir ist bewusst, dass der König meinen Halsring von dir erhalten hat.«
»Das liegt im Bereich des Möglichen.« Er zuckt die Schultern und verschränkt erneut die Arme. »Seine Majestät hat im Lauf der Jahre vieles bei mir geordert. Du kannst nicht erwarten, dass ich mich an jedes gute Stück erinnere.«
Ich bedenke ihn mit einem ausdruckslosen Blick. »Wir wissen doch beide, dass du dich an das hier sehr gut erinnerst«, erwidere ich. »Vor fünfzehn Jahren hast du deine kleine Apotheke in Highgrove eröffnet. Ein merkwürdiger Ort für ein Ladengeschäft, bedenkt man die Umstände deiner Geburt.«
Highgrove unterscheidet sich von Solmares anderen Stadtvierteln. Hier erlangt man nicht durch Geld Zutritt, sondern durch Abstammung. Alles wird vom Rat bestimmt, einer Gruppe aus Mitgliedern der Herrscherfamilien. Nur wer von edler Geburt ist, darf hier Grundbesitz sein Eigen nennen, und wenn ein Haus veräußert wird, muss der Käufer zuvor einstimmig vom Rat akzeptiert werden.
Es ist allseits bekannt, dass Darrow Halb-Fae ist, ganz egal, wie hart er daran gearbeitet hat, seine sterbliche Hälfte auszulöschen. Deswegen haben die High Fae der herrschenden Schicht ihn auch nie ganz in ihre Mitte aufgenommen. Oh, sie nehmen seine Dienste bei Bedarf gern in Anspruch, aber er kann sich noch so tadellos kleiden und noch so viele Geheimnisse aufdecken, richtig zu ihnen gehören wird er trotzdem nie. Und sie hätten nie freiwillig zugelassen, dass er sich in Highgrove niederlässt.
Er wirft mir ein durchtriebenes Grinsen zu und bleibt in seiner Rolle des unbekümmerten Trottels. »Was soll ich sagen? Ich habe den Ratsmitgliedern ein überzeugendes Angebot gemacht und sie haben meinen Wert erkannt.«
Meine steigende Frustration lässt mich die Augen verengen. »Willst du mir allen Ernstes weismachen, dass die High Fae des Rats Hunderte Jahre Tradition und Vorurteile aus dem Fenster geworfen und einem Halb-Fae-Bastard Highgroves Tore geöffnet haben, einfach nur, weil ihnen deine Geschäftsidee gefallen hat?«
Er zuckt die Schultern. »Es geschehen jeden Tag seltsame Dinge.«
»Nicht ohne Hilfe.« So schnell gebe ich nicht auf. »Das hätte mehr gekostet als deine Geheimnisse und Hinterzimmerabsprachen. Dafür war eine königliche Hand im Spiel.«
Er sagt nichts darauf, doch wir wissen beide, dass ich recht habe. Die einzige Person, die Macht über die Ratsmitglieder ausüben kann, ist der König.
Ich lehne mich über den Verkaufstresen und senke die Stimme ein wenig. »Ich weiß, wie großzügig unser König diejenigen entlohnt, die ihm zu Gefallen sind.«
Ein verletzlicher Ausdruck blitzt in seinen Augen auf, wird jedoch schnell durch Verachtung ersetzt. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
Ich knirsche mit den Zähnen. »Er hat dir die Besitzurkunde im Austausch für meinen Halsring überlassen.«
»Und wenn dem so wäre?« Er streicht sich seufzend eine Locke aus dem Gesicht. »Was soll ich jetzt für dich tun?«
Ich schiebe das Kinn nach vorn und sehe ihm fest in die Augen. »Ich will, dass du ihn mir abnimmst.«
Darrow lacht kurz auf, doch mein harter Blick zeigt ihm wohl, dass ich nicht zu Scherzen aufgelegt bin. »Das ist unmöglich«, erwidert er vorsichtig.
Meine Hand kehrt zu meiner Klinge zurück und Darrow zieht die Augenbrauen mit einem Ruck nach oben, als ich die Waffe erneut zücke. Ein fürchterlich schrilles Kreischen erfüllt den Raum, als ich mit der Dolchspitze über die Glasvitrine zwischen uns fahre.
»Ach, das glaube ich irgendwie nicht.« Ich gehe auf die andere Seite, um mich vor ihm aufzubauen. »Du bist paranoid und immer sorgfältig darauf bedacht, ein Gegenmittel für jedes Gift in der Hinterhand zu haben.« Sein Kehlkopf hüpft auf und ab, während er mit den Augen verfolgt, wie ich den Dolch zwischen meinen Fingern herumwirbeln lasse. »Du würdest nie eine Vereinbarung abschließen, die dir selbst irgendwann schaden könnte. Und du hättest dem König nichts überlassen, das man gegen dich einsetzen könnte, ohne dich dagegen abzusichern.«
Aller Spott verschwindet von seiner Miene, als er sich von der Waffe losreißt und meinen Blick erwidert.
»Manchmal ist die Belohnung das Risiko wert«, sagt er leise. Ein Hauch von Scham zeigt sich in seinen Augen und er seufzt tief. »Iverson …« Das Mitleid in seiner Stimme lässt mich zusammenzucken, doch er geht nicht darauf ein. »Es gibt nur einen Weg, den Halsring loszuwerden: Der König muss ihn selbst öffnen.«
Nein.
Ein bleiernes Gewicht nistet sich in meinem Magen ein und meine Glieder versteifen sich. Das hier muss funktionieren. Mir steht keine andere Möglichkeit zur Verfügung, ich kann niemanden sonst um Hilfe bitten. Und ich kann so nicht mehr weiterleben. Nicht nachdem … Rasch verbiete ich mir den Gedanken, weil jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt ist, mich in meinen Schuldgefühlen zu verlieren.
»Du lügst«, presse ich mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich muss mich bewegen, also gehe ich ziellos durch den Laden und untersuche alles, was ich sehe. Glas zerschellt, als ich ein paar Kristallflaschen zu Boden fege, weil ich etwas – irgendetwas – finden muss, das mich weiterbringt.
»Was machst du denn da?«, fragt Darrow, als ich nach einer Phiole greife, in der sich eine violette Flüssigkeit befindet. Er nimmt sie mir aus der Hand und stellt sie vorsichtig ins Regal zurück.
»Du musst hier irgendetwas haben, das ich mir zunutze machen kann«, murmle ich und marschiere in Richtung Hinterzimmer, wo er die besonderen Dinge versteckt. »Du gaukelst der Welt den Dummen vor, aber ich kenne dich. Du bist zu vorsichtig, um so ein Risiko einzugehen.«
Er stellt sich mir in den Weg und hält mich auf, indem er mich an den Schultern packt.
»Iverson, hier gibt es nichts, das dir helfen kann«, sagt er sanft und seine braunen Augen flehen mich an, Vernunft anzunehmen.
Doch das kann ich nicht.
Auf einmal habe ich einen Kloß im Hals und das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, als hätte sich der Halsring genau diesen Moment ausgesucht, um zuzuschlagen. Ich schubse Darrow von mir weg und weiche ein paar Schritte zurück. Er nickt und in seinen Augen schimmert so viel Verständnis, das ich nicht haben will.
Schon immer habe ich mich ihm merkwürdig verbunden gefühlt. Ja, er hat dem König geholfen, mich in die Knie zu zwingen, aber wir sind zwei Seiten einer Medaille. Zwei Bastarde, die sich den Weg ganz nach oben ergaunert haben und nun Plätze einnehmen, die uns nicht zustehen.
Und dafür werden wir beide gehasst.
Ich zwinge Luft in meine Lunge und lasse mir seine Worte durch den Kopf gehen auf der Suche nach den Lügen, die er so meisterhaft zu verstecken vermag.
»Du hast gesagt, dass es hier nichts gibt, was mir helfen kann«, sage ich bedächtig und beobachte sein Gesicht so aufmerksam, dass mir der angespannte Zug nicht entgeht, der sich um seine Augen legt. »Aber irgendwo anders schon?«
Urplötzlich schlägt sein Mitgefühl in Verärgerung um und seine Miene verfinstert sich. »Iverson, ich denke, es ist Zeit, dass du …«
Er verstummt mitten im Satz, als ich den Kopf mit einem Ruck zur Tür drehe. Ein beklemmendes Gefühl überkommt mich und die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf. Eisige Kälte drängt sich gegen meinen Nacken, rinnt mir über den Rücken und schickt ein Frösteln durch meinen Körper.
Jemand nähert sich dem Laden.
Die Aura der Person ist gewaltig. Dominant. Erdrückend auf eine Art, die sogar dem König Konkurrenz macht. Als ich mir über die Lippen lecke, kann ich sie beinahe in der Luft schmecken. Wie ein Déjà-vu kommt sie mir irgendwie bekannt vor, ohne dass ich sie richtig zuordnen kann, doch etwas in meinem Hinterkopf erkennt das Gefühl wieder.
Angespannt schaut Darrow sich nach dem Ursprung der abrupten Veränderung meines Verhaltens um. »Was ist los?«
Ich runzle verblüfft die Stirn und wende mich ihm wieder zu. »Spürst du das nicht?«
Er schüttelt den Kopf, was eine Menge Fragen in mir aufsteigen lässt, doch die verschwinden, als mein Blick zurück zur Tür gezogen wird. Die Aura wird mit jeder verstreichenden Sekunde stärker.
Die Person kommt näher.
»Erwartest du jemanden?«, will ich wissen.
»Nein«, versichert er mir, doch dass ihm das Blut aus dem Gesicht weicht, spricht Bände.
Ich erinnere mich daran, dass er oben auf und ab gegangen ist und wie unruhig er dabei geklungen hat. Und als er nach unten kam, war er vollständig bekleidet. Merkwürdig angesichts der schon nächtlichen Stunde …
Verdammt.
Ich werfe ihm einen bitterbösen Blick zu, der ihm Gewalt in naher Zukunft verheißt, und hülle mich in eine Illusion. Das Gefühl von tausend winzigen Nadeln auf meiner Haut überkommt mich, als ich verschwinde. Neid flammt in Darrows Augen auf, während er auf die Stelle starrt, an der ich gerade noch gestanden habe, doch mir bleibt keine Zeit, um das zu genießen. Ich eile hinter die Thekenvitrinen, ziehe mich in die hinterste Ecke des Ladens zurück und schicke ein stilles Gebet an die Fates. Niemand darf wissen, dass ich heute Nacht hier war. Ich bin schon ein Risiko eingegangen, indem ich Darrow meine Absichten offenbare. Falls Baylor Wind von unserem Gespräch bekommt …
Den Blick fest auf die Tür gerichtet, warte ich darauf, dass die Quelle der seltsamen Aura auftaucht. Unwohlsein schlägt seine Klauen in meinen Magen, als es immer finsterer im Raum wird. Ich rede mir ein, dass es nur eine Wolke ist, die sich vor den Mond schiebt, doch die Dunkelheit fängt an, die Wände hinaufzukriechen. Sie überzieht die Fenster, bis nur noch ein schmaler Streifen Licht durch das Glas hereinlinst.
Tintenhafte Schatten schlüpfen durch den Spalt unter der Tür und breiten sich als schwarze Rauchfäden im Laden aus. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als sie an Substanz gewinnen und die Form von Schlangen annehmen. Ihre Köpfe pendeln von einer Seite zur anderen, als wären sie auf der Suche nach etwas, und ihre blutroten Augen scheinen zu glühen.
Bei den Fates …
Ich kauere mich eng zusammen und mache mich so klein wie möglich. Dadurch ist mir die Sicht auf die Eingangstür nun versperrt, aber ich höre, wie sie sich quietschend öffnet. Einen Moment später ertönt das Geräusch langsamer, gleichmäßiger Schritte schwerer Stiefel auf den Dielen. Wer da reingekommen ist, erkenne ich nicht, aber ich spüre, wie viel Macht die Person besitzt. Nun, da sie sich hier im Raum aufhält, fühlt sie sich noch greifbarer an – ein zermalmendes Gewicht, bereit, sämtliche Feinde niederzustrecken. Ich habe keine Ahnung, was für ein Wesen das ist, und auch kein Interesse daran, es herauszufinden.
»Mir gefällt, was du aus dem Laden gemacht hast.«
Der volle, tiefe Klang der männlichen Stimme jagt mir einen Schauder über den Rücken.
»Bitte verzeiht das Durcheinander, Mylord.« Darrow, den ich von meiner Position aus immer noch sehe, wirft einen entschuldigenden Blick auf die Überbleibsel meines Ausbruchs. »Das wollte ich eigentlich vor Eurer Ankunft beseitigen. Ich hatte Euch erst in einer Stunde erwartet.«
Er klingt ruhig, doch der Mangel an Herablassung in seinem Tonfall sagt mir, dass Darrow nervös ist. So höflich habe ich ihn bisher nur dem König gegenüber erlebt.
»Spielt keine Rolle«, erwidert der Fremde. »Ich werde nicht lange bleiben.«
Marmorsplitter knirschen unter seinen Stiefeln, als er in mein Sichtfeld tritt. Trotz der schummrigen Lichtverhältnisse kann ich seine Gestalt ausmachen. Er ist groß, überragt Darrow um ein gutes Stück. Sein schwerer schwarzer Umhang ist mit Pelz verbrämt und verbirgt den Großteil seines Körpers, doch man kann dennoch erahnen, wie muskulös er ist. Die dunklen Haare trägt er nach hinten gekämmt, von seinem Gesicht erkenne ich in der Dunkelheit jedoch nicht genug.
»Natürlich.« Darrow nickt steif. »Ich bin der Sache auf den Grund gegangen, die Ihr angefragt habt. Ich hole nur eben meine Notizen.«
Damit will er ins Hinterzimmer schlüpfen, doch eine der Schlangen wickelt sich wie ein Seil um seinen Hals. Darrow reißt den Mund auf und greift in dem hektischen Versuch, ihn von seiner Kehle wegzuziehen, nach dem Schatten.
Entsetzen macht sich beim Anblick der hässlichen Szene in mir breit und lässt Erinnerungen an die ungezählten Male in mir aufsteigen, bei denen mein Halsring sich zugezogen hat. Ich zähle stumm meine Atemzüge mit und konzentriere mich immer auf den nächsten, um meine Panik unter Kontrolle zu halten. Ich ersticke nicht, ermahne ich mich. Trotzdem tun es meine Finger Darrows gleich – und unser beider Bemühungen sind vergeblich.
»Das ist nicht nötig«, sagt der Fremde. »Du kannst mir sicher eine Zusammenfassung geben.«
Darrow antwortet mit einem unverständlichen Laut.
»Ah, ich bitte um Entschuldigung.« Ich höre das Lächeln in seiner Stimme. »Ich lasse das wohl besser ein wenig lockerer.«
Die Schatten verschwinden nicht von Darrows Hals, üben jedoch offenbar etwas weniger Druck aus. Er hustet ein paarmal, bevor er wieder sprechen kann.
»J-ja, natürlich«, stammelt der Zauberweber. »D-das kann ich.«
Ein kurzer, irrational neidischer Stich durchfährt mich. Ich muss jedes Mal eine halbe Ewigkeit verbale Kämpfe mit Darrow austragen, bevor er sich in irgendeiner Form in Bewegung setzt, doch vor diesem Mann kuscht er unterwürfig. Dann schiebe ich diese abwegigen Gedanken jedoch rasch beiseite, als mir eine der Schattenschlangen auffällt, die sich an der Tür entlangwindet. Wenn ich es unbemerkt bis dorthin schaffe, komme ich unbeschadet an der seltsamen Kreatur vorbei? Allein die Vorstellung, das zu versuchen, lässt mir ein eisiges Frösteln über den Rücken rinnen.
»Ich habe gerade mit einem meiner Informanten gesprochen«, bringt Darrow krächzend hervor. »Er wurde kürzlich abberufen von einem rangniedrigen Posten auf der Mauer …«
»Der Mauer?«, unterbricht ihn die tiefe Stimme.
»Die den Palastbereich umgibt«, erklärt Darrow schnell. »Er war einer der Wächter, die dort patrouillieren.«
»Ah. Weiter.«
Darrow schluckt und sein Blick huscht zu der Schattenschlange, die noch immer bedrohlich um seinen Hals liegt. »Er arbeitet jetzt in den Tunneln unterm Palast. Ich glaube, was Ihr sucht, könnte sich dort befinden.«
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Dass Darrow Hochverrat begeht und den König betrügt, schockiert mich nicht im Geringsten, dieses Eingeständnis vermerke ich allerdings, um es irgendwann gegen ihn zu verwenden. Was mich dagegen verwundert, sind diese angeblichen Tunnel. Ich habe mein Zuhause im Lauf der Jahre ausgiebig erforscht und bin nie auf etwas gestoßen, das dieser Bezeichnung auch nur nahekommt.
Der Fremde zuckt die Schultern. »Möglich. Bewacht er dort unten etwas Spezielles?«
Darrow nickt. »Eine Waffe, die er den Wisperer nennt.«
Eine der Schattenschlangen gibt ein Zischen von sich, was eine neue Welle der Angst durch meinen Körper branden lässt.
»Interessant.« Sein Tonfall wird nachdenklich. »Und hat er sonst noch etwas über diesen Wisperer gesagt?«
»Nein. Nichts, Mylor…« Darrow ringt erneut nach Luft und krallt die Finger in die Schatten, um sie irgendwie zu lockern. Einige Sekunden vergehen, bevor ich höre, wie er einen tiefen Atemzug schöpft.
»Was wolltest du gerade sagen?«, fragt der Fremde.
»Nur den Preis!«, ruft Darrow.
»Welchen Preis?«
»Mein Informant hat berichtet, dass man die Wachen gewarnt hat, die Waffe nie zu berühren. Wer sie führt, muss einen hohen Preis bezahlen, aber was das ist, weiß ich nicht. Das ist alles! Ich schwöre es!«
Der Mann tritt dicht an Darrow heran und beugt sich über ihn.
»Ich glaube dir.« Seine Stimme ist jetzt leiser, er klingt beinahe gelangweilt. Einen Augenblick lang glaube ich, dass die Fates uns wohlgesonnen sind und er den Laden einfach verlassen wird, doch seine nächsten Worte erinnern mich daran, warum derartiges Wunschdenken so gefährlich ist. »Eine Sache noch: Hast du sonst jemandem davon erzählt?«
Mein Herz hämmert wie wild in meiner Brust. Trotz der Dunkelheit erkenne ich die Panik auf Darrows attraktivem Gesicht. Seine Kiefermuskeln sind angespannt, seine Lippen fest zusammengepresst und er hält den Blick fest auf seinen Feind gerichtet. Lautlos greife ich nach meinen Klingen und ziehe zwei von ihnen. Gleich wird Darrow mich verraten und meine Anwesenheit offenbaren.
»Nein, Mylord.« Er schüttelt den Kopf. »Nur Euch.«
Schock rast durch meinen Körper, doch mir bleibt keine Zeit, das zu verarbeiten, denn der Fremde schnalzt mit der Zunge.
»Jammerschade«, sagt er und macht ein paar Schritte zurück. »Ich hatte gehofft, auch zukünftig Nutzen an dir zu finden, aber ich beschäftige keine Lügner in meinen Diensten.«
Ich muss ihn nicht sehen, um zu wissen, was als Nächstes folgt.
Die Schatten ziehen sich erneut enger zusammen und Darrow verzerrt das Gesicht zu einer entsetzlichen Fratze. Kein Laut ist zu hören, als er mit weit geöffnetem Mund nach Luft schnappt. Seine braunen Augen sind riesengroß und blutunterlaufen, sein Blick huscht verzweifelt durch den Raum auf der Suche nach Hilfe. Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn er über mich hinweggeht, obwohl er kein einziges Mal an mir hängen bleibt. Er kann mich weiterhin nicht sehen.
Denkt er, dass ich verschwunden bin, oder merkt er irgendwie, dass ich in einer Ecke kauere, während er direkt vor meiner Nase stirbt?
Ich versuche, das Ganze auszublenden, atme tief durch und beruhige mich, dass ich nicht diejenige bin, die gerade erwürgt wird. Imaginärer Druck packt mich an der Kehle, doch ich zwinge mich, in der Gegenwart zu bleiben.
Denk nicht daran. Erinner dich nicht daran, wie es sich angefühlt hat, keine Luft mehr zu bekommen.
Darrow ist zwar nicht mein Freund, aber auch nicht unbedingt mein Feind. Solche Folter wünsche ich ihm wirklich nicht. Und ich hätte ihn nicht auf diese Weise getötet; bei mir wäre es schnell gegangen, ein sauberer Schnitt durch die Kehle. Das hier ist grausam. Nur einer verdient so einen Tod und der befindet sich gerade meilenweit entfernt und schläft friedlich in seinem Palast.
Mir war immer bewusst, dass es da eine Leere in mir gibt – dass mir etwas fehlt. Etwas, das mich anständig und gut und vollständig machen würde. Jetzt zupft eine Empfindung an dieser Leere, der Hauch eines Instinkts, der sich nie entwickeln konnte.
Lasse ich deswegen andere Leute immer dann im Stich, wenn sie mich am meisten brauchen?
Gesichter tauchen in schneller Folge vor meinem inneren Auge auf: einige habe ich getötet, manche habe ich geliebt, einem habe ich ein Versprechen gegeben. Ein Schwur am Grab einer Freundin, die ich fälschlicherweise für eine Feindin gehalten habe.
Ich zwinge langsam Luft in meine Lunge und ermahne mich, dass niemand über mich bestimmen kann. Ich werde weder kontrolliert noch eingesperrt.
Ich bin nicht das von ihnen gezähmte Haustier, das Häschen.
Ich bin das Monster, das sie hereingelassen haben.
Und ich halte meine Versprechen.
Ich hole aus und schicke eine Klinge in Richtung des Fremden, doch kurz bevor sie ihr Ziel findet, zuckt ein Schatten nach vorn und schnappt sie sich aus der Luft. Ich reiße die Augen erschrocken auf, als der Mann sich meiner Ecke zuwendet. Die Schlinge um Darrows Hals lockert sich offenbar, denn auf einmal erfüllt das Geräusch seines keuchenden Atems den Raum. Trotzdem kann ich den Blick nicht von dem Fremden losreißen, als dieser auf mich zukommt. Ein winziges Lächeln umspielt seine Mundwinkel.
»Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du dich noch verstecken willst.«
Der Fremde tritt aus den Schatten, die sein Gesicht verborgen haben. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft kann ich es klar genug erkennen.
Er ist wunderschön.
So schmerzhaft schön, dass mich einen Moment lang das Bedürfnis überkommt, die Augen zu schließen, wegzusehen, bevor sich der Anblick in mein Gedächtnis einbrennt. Alle Fae sind attraktiv, aber ich habe noch nie jemanden gesehen, dessen Züge so sorgsam modelliert sind, so stimmig. Jeder einzelne Aspekt passt perfekt ins Gesamtbild, als wäre er von Künstlerhand und nicht von der Natur erschaffen worden.
Seine Haut hat einen leicht goldenen Ton, was darauf schließen lässt, dass er Zeit im Freien verbringt. Die wilden schwarzen Haare sind nach hinten gestrichen, doch einige widerspenstige Strähnen fallen ihm in die Stirn. Seine spitz zulaufenden Ohren sagen mir, dass er definitiv ein High Fae ist, aber ich bezweifle, dass er von der Siebten Insel stammt. Fast alle Mitglieder der herrschenden Schicht sind hier glatt rasiert, doch der Bartschatten auf seinem kantigen Kinn ist mindestens eine Woche alt und verleiht seiner Ausstrahlung eine gefährliche Note.
Alles an seinem Erscheinungsbild wirkt enorm anziehend auf mich.
Seine hellblauen Augen sind unverwandt auf meine Ecke gerichtet und durchbohren sie förmlich mit ihrem Blick. Mein eigener bleibt an seinen vollen Lippen hängen, auf denen sich nun ein Grinsen abzeichnet. Kurz habe ich die Befürchtung, dass ich unabsichtlich die Illusion fallen gelassen habe, hinter der ich mich vor ihm verstecke, aber das schwache Flüstern der Magie, das meine Haut kitzelt, beweist mir das Gegenteil.
»Komm schon«, lockt er mich. »Du warst doch gerade noch so mutig. Deine Treffsicherheit ist wirklich beeindruckend.«
Er wendet den Blick keine Sekunde von meiner Ecke ab. Obwohl ich unsichtbar bin, scheint er genau zu wissen, wo ich mich aufhalte. Ich erinnere mich an das seltsame Gefühl, das mich kurz vor seinem Eintreten überkommen hat. Dass ich mir seiner Aura sofort bewusst war, die eisige Kälte auf meinem Nacken. Nimmt er mich ebenso wahr wie ich ihn? Und wenn er mein Versteck kennt, warum sind seine Schattenschlangen dann bisher nicht zu mir gekrochen und haben mich gezwungen, mich zu zeigen?
Er lenkt meine Aufmerksamkeit auf seine Finger, die in schwarzen Lederhandschuhen stecken, indem er Darrow grob an den langen Haaren packt. »Wenn du nicht zu uns stoßen willst, kann mich ja dein Freund hier noch ein wenig unterhalten.«
Während der letzten Minuten hat der Zauberweber keinen Ton von sich gegeben. Er kniet auf dem Boden, der Schatten liegt noch um seinen Hals und wahrscheinlich hat er gehofft, dass der Fremde ihn vergisst, sodass er sich wegschleichen kann.
Ich komme zu dem Schluss, dass Schweigen mich nicht weiterbringt, und nehme all meinen Mut zusammen.
»Wenn du spielen willst«, rufe ich und meine Stimme hallt klar und deutlich durch den ansonsten stillen Raum, »wüsste ich da etwas deutlich Amüsanteres.«
Ein selbstzufriedenes Funkeln tritt in seine Augen. »Endlich meldet Mylady sich zu Wort. Was für eine Art Spiel schlägst du vor?«
Statt einer Antwort werfe ich eine weitere Klinge und ziele dabei auf seine Kehle. Genau wie zuvor erwischt ein Schatten sie, bevor sie den Mann treffen kann.
»Wir könnten herausfinden, wie viele Klingen du gleichzeitig abwehren kannst«, erwidere ich und schiebe mich langsam in Richtung Tür, behalte dabei jedoch immer die Wand im Rücken.
Sein Grinsen nimmt einen raubtierhaften Zug an und er folgt meinem unsichtbaren Rückzug mit den Augen. »Normalerweise habe ich ja nichts für Spielchen übrig.«
»Weil du ein schlechter Verlierer bist?«, frage ich und schicke eine weitere Klinge los.
Dieses Mal ist es kein Schatten, der sie vom Kurs abbringt. Ohne hinzusehen, fängt er die Waffe nur wenige Zentimeter von seiner Brust entfernt mit der Hand ab. Die Bewegung ist so schnell, dass ich perplex die Augen aufreiße. Das wird ein Problem.
»Weil ich noch nie einen würdigen Gegner hatte«, korrigiert er mich und schleudert den Dolch mit unnötig viel Schwung beiseite. Er landet in einer der Vitrinen und ich verziehe das Gesicht, als das Glas zerspringt. Wir verwüsten den Laden des armen Darrow heute Nacht ganz schön.
Ich entdecke mehrere rote Flecke auf den Glasscherben, also muss er sich an meiner Klinge verletzt haben, als er sie abgefangen hat. Ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus, als Bewegung in die uns umgebende Dunkelheit kommt. Überall im Raum schlängeln sich Schatten aggressiv zischend über den Boden. Als würden sie das Blut riechen, stürzen sie sich auf die Tröpfchen und lecken sie auf.
Könnte man mein Gesicht sehen, wäre es mit Sicherheit weiß wie die Wand. Galle steigt in meiner Kehle auf, doch ich dränge sie zurück. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie verkommen Sterbliche und Fae sein können, doch das hier ist anders. Jedes einzelne Haar auf meinem Körper stellt sich bei dem Anblick dieses wandelnden Albtraums auf, der sich so gravierend von den vertrauten Schrecken unterscheidet, gegen die ich mein ganzes Leben lang anzukämpfen gelernt habe. Ein überdrehtes Lachen droht mir zu entkommen, als meine Gedanken morbide Pfade einschlagen. Wie wehrt man sich gegen Rauchschwaden? Wie soll ich gegen einen Schatten ankommen, der gierig Blut verschlingt?
In Solmare fürchtet man das unsichtbare Phantom – wie ironisch, dass das Phantom nun einen Schatten fürchtet.
Mein Blick huscht zwischen Darrow und der Tür hin und her. Möglicherweise schaffe ich es, mich rauszustehlen, bevor die Schatten mich erwischen, aber das würde bedeuten, den Zauberweber zurückzulassen. Ich atme tief durch und versuche, mein rasendes Herz zu beruhigen, während ich meine Optionen abwäge. Meine Finger streichen über die vier Dolchscheiden und es gefällt mir gar nicht, dass drei nun leer sind. Mein einziger Trost ist das Wissen, dass zumindest eine meiner Klingen ihn Blut gekostet hat.
»Ist schon niedlich, dass du deine Schatten fütterst«, meine ich und täusche Unbeschwertheit vor, die ich nicht empfinde. Dabei umrunde ich eine Auslage, die mir den Weg versperrt. »Wie eine Katzenmama, die ihre Jungen säugt. Wirklich herzallerliebst.«
Ihm entkommt ein Auflachen, das ziemlich eingerostet klingt, als hätte er diesen Laut eine ganze Weile nicht mehr von sich gegeben. »Ja, es wird auch ganz herzallerliebst, wenn sie deinem Freund das Fleisch von den Knochen fetzen.«
Ich rümpfe die Nase. »Wer sagt, dass ich mit ihm befreundet bin?«
Der Mann neigt den Kopf zur Seite. »Die Tatsache, dass du ihn nicht zurückgelassen hast, lässt darauf schließen, dass er dir vielleicht nicht komplett egal ist.«
»Womöglich brauche ich ja noch Informationen von ihm und erspare mir so unnötige Mühe«, halte ich dagegen.
»Na, ich will dir ja keine zusätzliche Arbeit machen.« Sein Blick fixiert mich und mir gefriert das Blut in den Adern. »Gib mir dein Wort, dass du dich mir zeigst, wenn ich ihn gehen lasse.«
»Ich schwöre es«, erwidere ich und das ist nur halb gelogen.
Sobald der Fremde ihn freigibt, springt Darrow auf und rennt zur Hintertür. Nicht einmal einen Blick in meine Richtung hat er für mich übrig, auch wenn er mich noch immer nicht sehen kann. Trotzdem verdrehe ich die Augen über seinen Mangel an Solidarität.
»Toller Freund.« Der Schattenbeschwörer schnaubt spöttisch und beobachtet mit schmalen Augen Darrows Abgang.
»Ja, tja.« Ich zucke die Schultern. »Wir stehen uns nicht sonderlich nahe.«
Ich bemerke einen Anflug von Belustigung in seinen Augen, die jedoch sofort wieder verschwindet. All seine vorherigen Versuche, charmant zu wirken, verpuffen.
»Du bist dran«, verkündet er und dreht sich wieder zu mir um.
Ich schlucke hart. Illusionisten unterscheiden sich alle voneinander, jeder von uns hat seine eigenen speziellen Fähigkeiten. Einige können ihre Gestalt verändern, während andere die Wahrnehmung der Leute manipulieren. Doch es gibt einen Grund, warum man uns so oft als Schwindler bezeichnet. Unsere Talente sind dazu geschaffen, in die Irre zu führen und zu täuschen.
Es gibt eine wenig bekannte Form der Illusion namens Eidolon: ein lebendiges Duplikat, das manchmal auch Schatten-Ich genannt wird. Es ist eine Art Erscheinung, die üblicherweise ein Abbild des Illusionisten darstellt, der sie kreiert. Soweit ich weiß, bin ich aktuell die einzige Person mit dieser Fähigkeit.
Im Prinzip kann ich eine komplett stoffliche Doppelgängerin von mir erschaffen. Sie bewegt sich und spricht genau wie ich, basierend auf einer Mischung aus Befehlen und Instinkten. Das Ganze ist sowohl körperlich als auch mental sehr anstrengend, hat jedoch Bestand, solange ich es mit Energie versorge.
Anspannung pulsiert durch meine Adern bei der Vorstellung, wie schmal der Grat sein wird, auf dem ich balancieren muss. Ich habe noch nie versucht, eine Eidolon zu erschaffen, während ich meine Unsichtbarkeit aufrechterhalte, aber gerade fällt mir kein anderer Ausweg aus dieser Situation ein. Ich muss den Mann nur lange genug ablenken, um seinen Schatten zu entwischen … Also beiße ich die Zähne zusammen und zwinge mich, keinen Ton von mir zu geben, als der vertraute Schmerz mich durchfährt.
Mein Körper brennt, die Muskeln zucken und dehnen sich, als würde ich mich selbst in der Mitte zerteilen. Als würde meine Seele auseinandergerissen werden. Warmes Blut rinnt mir über die Oberlippe und ich wische es hastig weg, wobei ich sorgfältig darauf achte, dass kein Tropfen zu Boden fällt, wo vielleicht hungrige Schatten darauf lauern. Unglücklicherweise wird dieser Vorgang immer von Nasenbluten begleitet.
Der Druck in meinem Kopf erreicht seinen Höhepunkt, als die Eidolon Form annimmt und direkt vor mir erscheint, sodass ich ihr auf den Hinterkopf schaue. Damit verblasst endlich auch langsam der Schmerz. Meine Kiefermuskeln entspannen sich, als ich das schmerzende Gelenk vorsichtig massiere. Verdammt, das war brutal. Aber ich habe es geschafft, ohne sichtbar zu werden, was ich eindeutig als Sieg verbuche.
Ich spähe durch die Augen meiner Eidolon, als sie ein paar Schritte auf den Fremden zugeht, wodurch ich ein genaueres Bild von ihm bekomme. Bei ihrem Anblick zieht er kurz die Augenbrauen nach oben und sein Mund öffnet sich leicht, doch dann kehrt die Maske kalter Gleichgültigkeit zurück.
»Komm näher«, befiehlt er.
Sie gehorcht. Ich weiß, dass ich die Ablenkung nutzen und meine Flucht fortsetzen sollte, aber aus irgendeinem Grund bin ich wie erstarrt. Meine Finger zucken, weil sie unbedingt die Spur aus Sommersprossen nachzeichnen wollen, die sich über seine gerade Nase und die scharfen Wangenknochen zieht. Und diese Augen … Sie sind hypnotisierend. Seine Iris hat einen so blassen Blauton, dass sie beinahe durchscheinend wirkt. Doch bei eingehenderer Betrachtung fallen mir die silbernen Sprenkel in ihr auf. Als er meine Erscheinung mustert, fühlt es sich fast an, als würde er durch sie hindurchsehen.
»Ich muss gestehen, ich bin enttäuscht«, reißt er mich aus meinen Gedanken.
Ich blinzle. Und als seine Worte zu mir durchdringen, bin ich seltsam empört darüber.
»Deinen Freund habe ich im Vertrauen auf dein Versprechen gehen lassen, dass du dich mir zeigst«, fährt er fort und streckt einen Arm aus, um der Erscheinung mit einem behandschuhten Finger über die Wange zu streichen. »Aber du hast mich übers Ohr gehauen. So läuft dieses Spiel nicht, Mylady.«
Etwas in seinem Tonfall lässt Alarmglocken in meinem Kopf schrillen und holt mich aus meiner Starre. Ich weiche erneut zurück und taste dabei blind nach den Vitrinen, weil ich den Blick einfach nicht abwenden kann. Die Eidolon schaut mit verwirrter Miene zu ihm auf.
»So zauberhaft du auch bist …«, flüstert er und lehnt sich dichter zu ihr. »Du bist nicht real.«
Bevor ich begreife, was er gesagt hat, materialisiert sich eine Sense in seiner freien Hand und er versenkt das Blatt im Bauch meiner Eidolon. Ein Echo ihres Schmerzes schießt durch meinen Körper. Ich öffne den Mund, schaffe es jedoch, mein Keuchen zu unterdrücken und keinen Laut von mir zu geben. Ich streiche über meinen Bauch und versuche meinen Verstand davon zu überzeugen, dass es dort keine Verletzung gibt. Die meisten Empfindungen meiner Eidolon sind gedämpft, ein Flüstern, das sich nie voll in mir ausprägt. Doch solche Pein lässt sich durch nichts aufhalten. Es brennt, als hätte die Sense meinen eigenen Bauch aufgeschlitzt.
Bei allen Göttern … Nur eine Art von Wesen kann eine Sense beschwören, doch sie sind angeblich ausgestorben.
»Seelenfänger«, flüstere ich und in diesem Moment erfasse ich das volle Ausmaß des Schlamassels, in dem ich mich befinde.
Mir wird eiskalt, als er seine Waffe mit teilnahmsloser Miene aus meiner Eidolon zieht. Er schaut nicht mal hin, wie sie zusammenbricht. Stattdessen dreht er den Kopf in meine Richtung.
Ich renne los.
Die Illusion von Kontrolle über die Situation ist dahin. Ich bin stark, aber selbst ich komme nicht gegen einen wie ihn an. Ein verdammter Seelensammler von der Insel des Todes. Die sollte es gar nicht mehr geben.
Etwas Kühles wickelt sich um meinen Knöchel, als ich nur noch ein paar Schritte von der Tür entfernt bin, was mich prompt stolpern und zu Boden gehen lässt – und zwar hart. Zum Glück versagt meine Ausbildung nicht. Ich schaffe es, auf der Seite zu landen.
Als ich nachschaue, was mich angegriffen hat, entdecke ich eine der Schattenschlangen, die sich um mein Bein geschlungen hat. Ich spare mir den Versuch, den Aufschrei zu unterdrücken, der in meiner Kehle aufsteigt, und wehre mich heftig. Das bringt jedoch nichts, weil der Seelenfänger ohnehin schon seit dem Moment seiner Ankunft ganz genau weiß, wo ich bin.
Ich trete mit dem freien Bein nach der Schlange, doch die verstärkt ihren schmerzhaft festen Griff nur noch. Also kralle ich die Fingernägel in die Holzdielen und will in Richtung Tür robben. Weiter als ein paar Zentimeter komme ich jedoch nicht, bevor die Schlange mich wieder zurückzieht und meinen Fluchtversuch mit einem Zischen quittiert.
Eis rinnt mir über den Nacken, als sich mir schwere Schritte nähern. Ich halte an meiner nutzlosen Illusion fest, dem einzigen Schutz, den ich noch habe.
»Zeig dich«, fordert er mich auf und verharrt hinter mir.
»Leck mich«, fauche ich zurück und versuche noch immer, mit meinen bereits abgebrochenen Fingernägeln Halt in den Furchen der Bodendielen zu finden.
»Die Zeit für Spielchen ist um.«
Die Schlange verdreht mir das Bein, bis der Schmerz mich zwingt, mich auf den Rücken zu werfen. Der Seelenfänger steht über mir und reckt die Sense in Richtung meiner unsichtbaren Gestalt. Die Spitze der Klinge ist nur noch Zentimeter von meiner Nase entfernt. Ich schaue ihm ins Gesicht, doch auf seiner Miene spiegelt sich nur kalte Entschlossenheit wider.
»Und meine Geduld neigt sich dem Ende zu«, warnt er mich.
Ich beobachte ungläubig, wie sich etwas unter seinem schweren Umhang bewegt. Mit einem Schulterkreisen streift er das Kleidungsstück ab und gibt damit den Blick auf schwarz befiederte Flügel frei, die sich hinter ihm aufspannen. Sie sind riesig, messen sicher zwei Meter auf beiden Seiten.
Ohne den Umhang sehe ich jetzt auch zum ersten Mal den beeindruckenden Mann darunter. Er mag ein Dämon sein, aber seine Schönheit könnte es mit jedem beliebigen Engel aufnehmen. Sein muskulöser Körper steckt in ähnlicher Kleidung wie mein eigener. Abgesehen von Gesicht und Hals wird alles von dunklen, widerstandsfähigen Materialien geschützt, die sich wie eine zweite Haut an seine kräftige Gestalt schmiegen. Sein Körperbau erinnert mich an einen Panther, stark und schlank, aber unbestreitbar geschmeidig.
Für einen kurzen Augenblick überkommt mich der alberne Impuls, seine Federn zu berühren, um herauszufinden, ob sie so weich sind, wie sie aussehen. Ich balle die Hände zu Fäusten und verdränge diesen verrückten Gedanken rasch.
»Zeig. Dich.« Er fletscht die Zähne und beide Worte klingen wie ein Fluch.
Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass ich keine andere Wahl habe, als ihm zu gehorchen. Und da es mir nur Energie raubt, meine Illusion aufrechtzuerhalten, hebe ich sie auf. Das Flüstern der Magie verschwindet von meiner Haut, als mein Körper sichtbar wird.
Sein Mund öffnet sich in einem lautlosen Keuchen, als er mich mustert und mein Gesicht mit großen Augen eingehend betrachtet. Ich weiß nicht, ob der Seelenfänger erstaunt oder entsetzt über das ist, was er da sieht. Er scheint nicht einmal zu merken, dass er die Sense senkt.
Sein durchdringender Blick treibt mir Hitze in die Wangen und in meiner Vorstellung sehe ich rote Rosenblütenblätter von meinem Gesicht fallen, eins nach dem anderen. Jedes steht für einen weiteren Moment der Stille.
Seine Flügel krümmen sich kurz nach vorn, bevor er sie wieder strafft und anschließend eng auf dem Rücken anlegt. Das reicht, um mich aus meiner Trance zu reißen. Ich nutze seine Unachtsamkeit, um meine letzte Klinge aus ihrer Scheide an meinem Oberschenkel zu ziehen, und will damit seinen Schatten von mir losschneiden. Dem Seelenfänger entkommt ein überraschter Ruf und er will nach meiner Hand greifen, doch dieses Mal bin ich schneller.
Mein Dolch gleitet durch den Schatten, als wäre da rein gar nichts, bevor er in meine Wade eindringt.
Durch das Adrenalin in meinem Körper spüre ich keinen Schmerz, nur den kalten Biss des Stahls und den Kontrast zu dem heißen, dickflüssigen Blut, das mir übers Bein läuft. Ich starre die Verletzung an und ein Gefühl von Distanz zu mir selbst überflutet mich. Das ist nicht meine erste Stichwunde. Leider ist es nicht einmal die erste, die ich mir selbst zugefügt habe.
Einen Moment lang scheint die Zeit stillzustehen, bevor erneut Bewegung in die Dunkelheit kommt. Schatten drängen sich dichter um mich, Raubtiere, die Beute wittern. Gedämpftes Zischen und Knurren erfüllt den Raum und erinnert mich an den Dschungel, über den mein Bruder und ich als Kinder Geschichten gelesen haben.
Die Schlange, die noch immer mein Bein unnachgiebig umklammert hält, erstarrt.
Ich schaue dem Seelenfänger mit einem Ruck in die winterkalten Augen und entdecke einen Hauch Furcht in ihnen. Seine Kiefermuskeln spannen sich an und ihm weicht das Blut aus dem Gesicht. Er verharrt vollkommen reglos.
»Lass es«, sagt er knapp, als meine Hand in Richtung der Klinge zuckt.
Mir ist klar, dass mir die Waffe nichts nützt, aber sie festzuhalten würde dafür sorgen, dass ich mich weniger hilflos fühle. Dennoch höre ich auf ihn. Seine Miene vermittelt mir den Eindruck, dass selbst er keine vollständige Kontrolle über diese Schatten ausübt.
Die Schlange wickelt sich langsam von meinem Bein ab, bis ihr dunkler Kopf direkt auf meine Verletzung gerichtet ist. Die übrigen winden sich auf dem Boden, als wollten sie unbedingt mein Blut kosten. Inzwischen dringt nur noch ein schmaler Streifen Mondlicht durch die Fenster, der mich anstrahlt wie eine unheilige Opfergabe. Der Seelenfänger steht in einer schützenden Haltung über mir und versucht wohl, die Schlangen zurückzuhalten. Er fixiert die Schatten, als würde er sie mit seinem Willen bändigen, doch selbst sein Befehl hat der Verlockung von Blut nichts entgegenzusetzen.
Mir entkommt ein Wimmern, als die Schlange sich immer dichter an die Wunde vorwagt. Ich erwarte den scharfen Biss ihrer Zähne, beobachte dann jedoch entsetzt, wie ihre schmale Zunge über meine Haut geistert.
Ein überdrehtes Lachen drängt aus meiner Kehle, weil sich das so komisch anfühlt, doch der Seelenfänger bringt mich mit einem finsteren Blick zum Schweigen.
»Das kitzelt«, erkläre ich.
Der Schatten zieht sich zurück und starrt mich ein paar Sekunden lang aus seinen roten Augen an, bevor er sich wieder der Wunde zuwendet. Ich kneife die Augen zu, halte den Atem an und stähle mich innerlich gegen den Schmerz, der ganz sicher gleich folgen wird. Ich habe dem Tod schon zuvor ins Auge gesehen, aber diese Version ist besonders grauenvoll. Meine Freude darüber, in einem Anfall von Fresslust in Stücke gerissen zu werden, hält sich in Grenzen.
Ich warte auf schreckliche Qualen, doch die bleiben aus.
Als ich die Augen wieder öffne, umschlingt der Schatten gerade die Klinge und drückt gegen die Verletzung. Das ist so unangenehm, dass ich geräuschvoll Luft hole. Der Schatten frisst nicht, sondern es sieht so aus, als … würde er versuchen, Druck auf die Wunde auszuüben?
Die Schlange bettet den Kopf auf mein Bein und schmiegt ihn an meinen Oberschenkel.
Versucht sie, mich zu trösten?
Ich schaue zu dem Seelenfänger auf der Suche nach Antworten, doch der wirkt genauso perplex wie ich. Seine Augen sind so groß, dass es schon nahezu lustig wirkt, und ihm steht der Mund vor Verwirrung offen. Als ich mich umsehe, stelle ich fest, dass die anderen Schatten sich ebenfalls langsam beruhigen, als wäre ihr Blutdurst gestillt worden.
»Was bist du?«, flüstert der Fänger und in seiner Stimme schwingt eine Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen mit.
Die Frage weckt ein hässliches Gefühl tief in mir. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mich gegen den brennenden Schmerz zu wappnen, und ziehe mir die Klinge aus der Wade, um sie anschließend in seine Richtung zu werfen. Die Schlange hebt den Kopf und zischt verärgert über die Störung, bevor sie sich wieder ihrer Aufgabe widmet. Der Seelenfänger zuckt nicht mal mit der Wimper, als die Waffe nur ein winziges Stück neben seinem Kopf an ihm vorbeifliegt.
»Daneben.«
Die Klinge landet klappernd irgendwo hinter ihm auf dem Boden und die Enttäuschung in seiner Stimme hätte mir beinahe ein Lachen entlockt. Ich schließe die Augen und mobilisiere den letzten Rest meiner Kraft, während ich mir die Schläfen massiere. Blut tropft aus meiner Nase und meinen Ohren. Die Nutzung von so viel Energie hat mich geschwächt, aber ich zwinge mich, Schmerz und Schwindelgefühl zu verdrängen. Einen Moment später schaue ich hoch und dem Seelenfänger in die Augen.
Ich richte meine Aufmerksamkeit auf etwas hinter ihm und mein Grinsen gleicht wohl eher einer Grimasse. »Stimmt nicht.«
Er dreht sich um und sieht sich meiner Eidolon gegenüber, die sprungbereit auf dem Boden kauert und die Zähne bleckt. In den blutverkrusteten Fingern hält sie meinen Lieblingsdolch, mit dem sie nun einen Satz nach vorn macht. Der Seelenfänger weicht ihr aus, während seine Schatten ihm zu Hilfe eilen und versuchen, sie festzuhalten. Diese Ablenkung verschafft mir die Gelegenheit, mit Schwung auf die Füße zu kommen und zur Tür zu rennen.
Jedes Mal, wenn ich mein rechtes Bein belaste, schießt sengender Schmerz meine Wade hinauf. Trotz meiner Erschöpfung gelingt es mir, eine Illusion heraufzubeschwören und mich unsichtbar zu machen. Ich gerate ins Straucheln und mir dreht sich der Magen um, als sich das vertraute Gefühl auf meiner Haut ausbreitet. All das schiebe ich von mir und rede mir ein, dass der Schmerz nicht echt ist. Er ist nur eine weitere Illusion und ich bin seine Gebieterin.
So verborgen sprinte ich in die kühle Nachtluft hinaus und bringe, so schnell ich kann, Abstand zwischen mich und Darrows Laden. Um diese Uhrzeit sind die Straßen von Highgrove wie leer gefegt, aber ich entscheide mich trotzdem für den Weg durch die kleinen Seitengassen, um dem Schein der Straßenlaternen weiträumig zu entgehen.
Mehrfach schaue ich über die Schulter, weil mich die Blutspur, die ich hinterlasse, paranoid macht. Jeder Schatten, der durch die Nacht tanzt, lässt mich beinahe vor Panik das Gleichgewicht verlieren. Meine schmerzende Wade will den Dienst quittieren, doch ich treibe mich weiter voran. Zum Glück ist Highgrove das Viertel, das dem Palast am nächsten liegt.
Schließlich kommen die Steintore in Sicht und wie immer sind zwei Wachen am Seiteneingang postiert. Ihre vertrauten Gesichter kommen mir nach allem, was heute Nacht passiert ist, merkwürdig fremd vor. Als ich an ihnen vorbeischlüpfe, schnappe ich noch die Pointe eines dreckigen Witzes auf, gefolgt von ihrem gedämpften Lachen.
Anspannung prickelt über meine Haut, als ich durch den Außenbereich des Palasts hinke. Mein Blick wandert über die üppigen Gärten und sucht nach dem Seelenfänger. Ich rede mir ein, dass ich mir das nur einbilde, dass das nur die Nachwirkungen des Adrenalins nach einem Kampf sind. Doch das kribbelnde Gefühl auf meinem Nacken weckt in mir den Wunsch nach einer meiner Klingen.
Eine Bewegung erregt meine Aufmerksamkeit und lenkt sie auf die steilen Palastdächer.
Gargoyles säumen den Giebel, Wächter, die mit stiller Verachtung auf uns herabblicken. Als ich ihre starren Gesichter näher betrachte, fällt mir etwas auf, das mir zum zweiten Mal in dieser Nacht das Blut in den Adern gefrieren lässt: Die geflügelten Statuen stehen in Reih und Glied, doch eine von ihnen unterscheidet sich von den anderen.
Ihre riesigen Flügel bestehen nicht aus Stein, sondern aus Federn.
Eine Reihe dumpfer Schläge lässt mich aus meinem Sessel aufspringen. Ich lande mit gezückter Klinge in geduckter Haltung auf dem Boden und stöhne auf, als mir prompt heißer Schmerz durch die Wade schießt und mich an meine selbst zugefügte Stichwunde erinnert. Langsam richte ich mich wieder auf und dehne den Unterschenkel, um die Steifheit aus meinen Beinmuskeln zu vertreiben. Vorsichtig ziehe ich abwechselnd die Zehen an und strecke sie, was mich das Gesicht verziehen lässt.
