Heißkalte Glut - Linda Howard - E-Book
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Heißkalte Glut E-Book

Linda Howard

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Beschreibung

Was ist damals wirklich geschehen?

Faith Devlin kehrt in ihre Heimatstadt Prescott zurück. Sie will den Bewohnern beweisen, dass aus ihr etwas geworden ist. Allen voran Gray Rouillard, der damals dafür verantwortlich war, dass sie die Stadt verlassen musste. Denn Faiths Mutter - eine stadtbekannte Hure - war die Geliebte von Grays Vater. Beide verschwanden eines nachts vor zwölf Jahren plötzlich, und der Skandal wurde öffentlich. Bis heute weiß niemand, was damals wirklich geschehen ist. Faith versucht der Sache auf den Grund zu gehen. Aber Gray, der nie wieder etwas mit der Familie Devlin zu tun haben wollte, ist gar nicht begeistert von Faiths Schnüffelei. Er versucht alles, um sie loszuwerden. Doch gleichzeitig fühlt er sich auch unwiderstehlich von ihr angezogen. Eine hochexplosive Mischung ...

Jetzt erstmals als eBook. Weitere Titel von Linda Howard bei beHEARTBEAT u. a. "Mordgeflüster", "Ein tödlicher Verehrer", "Auch Engel mögen’s heiß".

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin:

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

1

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20

Weitere Titel der Autorin:

Die Doppelgängerin

Mordgeflüster

Heiße Spur

Mitternachtsmorde

Ein gefährlicher Liebhaber

Ein tödlicher Verehrer

Auch Engel mögen’s heiß

Mister Perfekt

Über dieses Buch

Faith Devlin kehrt in ihre Heimatstadt Prescott zurück. Sie will den Bewohnern beweisen, dass aus ihr etwas geworden ist. Allen voran Gray Rouillard, der damals dafür verantwortlich war, dass sie die Stadt verlassen musste. Denn Faiths Mutter – eine stadtbekannte Hure – war die Geliebte von Grays Vater. Beide verschwanden eines nachts vor zwölf Jahren plötzlich, und der Skandal wurde öffentlich. Bis heute weiß niemand, was damals wirklich geschehen ist. Faith versucht der Sache auf den Grund zu gehen. Aber Gray, der nie wieder etwas mit der Familie Devlin zu tun haben wollte, ist gar nicht begeistert von Faiths Schnüffelei. Er versucht alles, um sie loszuwerden. Doch gleichzeitig fühlt er sich auch unwiderstehlich von ihr angezogen. Eine hochexplosive Mischung …

Über die Autorin

Linda Howard gehört zu den erfolgreichsten Liebesromanautorinnen weltweit. Sie hat über 25 Romane geschrieben, die sich inzwischen millionenfach verkauft haben. Ihre Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Sie wohnt mit ihrem Mann und fünf Kindern in Alabama.

Linda Howard

Heißkalte Glut

Aus dem Amerikanischen von Inez Meyer

Digitale Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1995 by Linda Howington

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »After the Night«

Originalverlag: Pocket Books, New York

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by

arrangement with the original publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 1998 by Verlagsgruppe Bertelsmann

Verlag: Wilhelm Goldmann Verlag, München

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Guter Punkt, München

unter Verwendung von Motiven © passigatti/gettyimages; Arthur-studio10/shutterstock

e-Book-Produktion: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7325-8342-3

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1

Der Tag war wie zum Träumen geschaffen. Es war bereits später Nachmittag, und die Sonne warf lange Schatten, wo sie durch das dichte Unterholz hindurchscheinen konnte. Hauptsächlich jedoch verfing sich das schimmernde Sonnenlicht in den Baumkronen, wodurch der Wald in geheimnisvolles Dämmerlicht getaucht war. Die heiße, schwüle Sommerluft war von dem süßen Duft wilder Kirschen durchtränkt, dem eine Note des erdigen Geruchs faulender Blätter und der Duft frischen grünen Blattwerks beigemischt war. Seit jeher schon hatten Gerüche für Faith Devlin ihre eigenen Farben gehabt. Bereits als kleines Mädchen hatte sie sich gerne damit beschäftigt, die sie umgebenden Düfte in Gedanken zu kolorieren.

Die meisten Farben hingen dabei vom Aussehen einer Sache ab. Erde roch selbstverständlich braun, und der frische Geruch grünen Blattwerks korrespondierte mit der Farbe Grün. Pampelmusen dagegen dufteten grellgelb. Sie hatte zwar noch nie eine Pampelmuse gegessen, hatte in einem Laden aber einmal eine in der Hand gehalten und vorsichtig an der Schale gerochen. Der zugleich süße wie auch säuerliche Duft hatte ihre Geschmacksnerven überwältigt.

Gegenstände farblich zu bestimmen war einfach. Einen Menschen jedoch einer bestimmten Farbe zuzuordnen war schon viel schwieriger, denn Menschen waren niemals nur von einer Farbe, sondern bestanden aus einer Mischung mehrerer Farbtöne. Farben hatten bei der Geruchsbestimmung von Gegenständen nicht dieselbe Bedeutung, wie dies bei Menschen der Fall war. Ihre Mutter, Renee, entsprach einem dunklen, würzigen Rotton, der mit ein paar schwarzen und gelben Tupfen gesprenkelt war. Das würzige Rot jedoch dominierte alle anderen Farben. Gelb war gut für Gegenstände, hatte jedoch nicht dieselbe positive Besetzung, wenn es auf Menschen zutraf. Mit Grün verhielt es sich genauso, jedenfalls bei den meisten seiner Schattierungen. Ihr Vater, Amos, war eine Übelkeit erregende Mischung aus Grün, Lila, Gelb und Schwarz. Das war einfach zu bestimmen gewesen, denn seit ihrer frühesten Kindheit hatte sie ihn mit Erbrochenem assoziiert. Trinken und sich übergeben, wieder trinken und sich wieder übergeben, das war alles, was Papa machte. Und pinkeln natürlich, und zwar reichlich.

Der schönste Geruch auf Erden, dachte Faith, während sie durch den Wald streifte und zum Sonnenlicht in den Baumwipfeln hinaufschaute, ist der Duft von Gray Rouillard. Faith lebte fast ausschließlich für die wenigen Blicke, die sie in der Stadt von ihm erhaschen konnte. Wenn sie nah genug an ihn herankam, um seine tiefe, dunkle Stimme zu hören, zitterte sie vor Freude. Heute war sie ihm sogar nah genug gekommen, um ihn zu riechen! Und er hatte sie endlich einmal berührt! Ihr war immer noch ganz schwindelig davon.

In Prescott hatte sie mit ihrer älteren Schwester Jodie eine Drogerie betreten, weil Jodie aus Renees Portemonnaie ein paar Dollar geklaut hatte und sich davon Nagellack kaufen wollte. Jodies Geruch war orange und gelb, ein blasser Abklatsch von Renees Duft. Sie waren aus der Drogerie gekommen, und Jodie hatte den kostbaren Nagellack in ihrem Büstenhalter versteckt, damit Renee ihn nicht entdeckte. Jodie trug bereits seit drei Jahren einen Büstenhalter, obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war. Eine Tatsache, die Faith jedes Mal ärgerte, wenn sie daran dachte. Denn Faith war schon elf und hatte immer noch keine Brüste. Vor kurzem hatten ihre kindlich kleinen Knospen zu sprießen begonnen, was ihr jedoch eher peinlich war. Unter ihrem lila LSU-T-Shirt war sie sich ihres entstehenden Busens nur zu bewusst. Als sie jedoch beim Verlassen der Drogerie fast mit Gray zusammengestoßen waren, hatte Faith vollkommen vergessen, wie dünn ihr T-Shirt war.

»Hübsches Hemd«, hatte Gray bemerkt, wobei seine dunklen Augen belustigt funkelten. Dann hatte er ihr auf die Schulter geklopft. Gray verbrachte in diesem Sommer die Collegeferien der Louisiana State University zu Hause. Er spielte in der LSU-Footballmannschaft, war neunzehn Jahre alt, bereits einen Meter neunzig groß und wuchs immer noch weiter. Er wog kompakte achtundachtzig Kilo, wie Faith im Sportteil ihres Lokalblattes gelesen hatte. Dort hatte sie auch erfahren, dass sein Laufstil bemerkenswert sei. Und ihr war bewusst, wie schön er war, nicht im niedlichen Sinn, sondern auf eine wilde, kraftvolle Weise, genau wie das preisgekrönte Rennpferd Maximilian seines Vaters. Seine französisch-kreolische Abstammung zeigte sich in dem dunklen Teint und der klaren, ausgeprägten Knochenstruktur seines Gesichts. Sein dichtes, schwarzes Haar hing ihm wie einem mittelalterlichen Krieger, der sich in die Neuzeit verirrt hatte, bis auf die Schultern herab. Faith las jeden Liebesroman über mittelalterliche Ritter, den sie in die Finger bekam, konnte also einen Ritter auch sofort erkennen, wenn ihr einer begegnete.

Ihre Schulter zitterte, wo Gray sie berührt hatte. Ihre schwellenden Knospen pochten. Sie errötete und senkte den Kopf. Ihr war ganz schwindelig von seinem Duft. Es war ein einerseits ausgeprägter, andererseits aber auch undefinierbarer Geruch, dem sie nichts zuordnen konnte. Er war warm und würzig, von einem noch tieferen Rot als der Renees, und voller verwirrender Farbnuancen.

Jodie streckte ihre runden Brüste hervor, die von einer ärmellosen Bluse in leuchtendem Pink bedeckt waren. Sie hatte die oberen beiden Knöpfe offen gelassen. »Und was ist mit meiner Bluse?«, fragte sie schmollend, wie sie es bei Renee unzählige Male beobachtet hatte.

»Falsche Farbe«, hatte Gray knapp und abfällig geantwortet. Den Grund für Grays Tonfall kannte Faith, denn ihre Mutter Renee schlief mit seinem Vater Guy. Sie kannte den Klatsch und das Gerede über Renee. Und sie wusste, was das Wort ›Hure‹ bedeutete.

Gray war dann an ihnen vorbei in die Drogerie gegangen. Jodie hatte ihm kurz nachgesehen und dann Faith gierig angeblickt und gefordert: »Gib mir dein Hemd.«

»Es ist dir viel zu klein«, hatte Faith geantwortet und war überglücklich gewesen, dass genau das tatsächlich zutraf. Gray hatte ihr Hemd gefallen, er hatte es sogar berührt, und sie würde es niemals hergeben.

Angesichts dieser Wahrheit hatte Jodie ihr einen missmutigen Blick zugeworfen. Faith war klein und dünn, aber selbst ihre schmalen Schultern dehnten die Nähte des bereits zwei Jahre alten T-Shirts.

»Ich werde mir auch eins besorgen«, hatte Jodie angekündigt.

Das würde sie sicher tun, dachte Faith, während sie in die flimmernden Muster aufblickte, die die Sonne in dem Blattwerk hinterließ. Aber Jodie würde keines besitzen, das Gray berührt hatte. Faith hatte es gleich, nachdem sie nach Hause gekommen waren, ausgezogen und unter ihrer Matratze versteckt. Man würde es nur finden können, wenn man die Bettwäsche wechselte. Da dies aber niemand außer Faith tat, würde das T-Shirt sicher sein, und sie würde jede Nacht darauf schlafen können.

Gray. Die Heftigkeit ihrer Gefühle ängstigte sie, aber sie konnte sie nicht zähmen. Sie brauchte ihn nur zu sehen, und ihr Herz fing so wild in ihrem schmalen Brustkorb zu klopfen an, dass ihr gleichzeitig heiß und kalt wurde. In der kleinen Stadt Prescott in Louisiana war Gray eine Art Halbgott. Man klatschte, dass er ungestüm und wild sei, aber das Geld der Rouillards ihm den Rücken decke. Bereits als kleiner Junge hatte er jenen dreisten Charme besessen, der weibliche Herzen höher schlagen lässt. Die Rouillards hatten das ihre zur Versorgung Louisianas mit Herzensbrechern und Lebemännern beigetragen, und Gray hatte bereits früh gezeigt, dass er der wildeste von allen zu werden versprach. Aber er war ein Rouillard. Selbst wenn er vollkommen außer Rand und Band geriet, so tat er auch das noch mit einem gewissen Stil.

Und dennoch war er niemals unfreundlich gegenüber Faith gewesen, so wie andere Bewohner des Städtchens. Seine Schwester Monica hatte einmal vor ihnen ausgespuckt, als Jodie und Faith ihr auf dem Bürgersteig begegneten. Faith war froh, dass Monica mittlerweile auf einem Mädcheninternat in New Orleans war, selbst im Sommer die Zeit oft mit Freunden verbrachte und ihre Heimatstadt nur selten besuchte. Sie hatte monatelang getrauert, als Gray zum LSU-College fortgegangen war. Zwar lag Baton Rouge nicht sonderlich weit entfernt, aber während der Footballsaison hatte er wenig freie Zeit und kam nur über die Feiertage nach Hause. Wenn sie von seinem Besuch erfuhr, trödelte sie in der Stadt herum, um wenigstens einen Blick auf ihn zu erhaschen, wie er mit der aufregend kraftvollen Grazie einer Großkatze spazieren ging.

Jetzt im Sommer verbrachte er viel Zeit am See, einer der Gründe für Faiths nachmittägliche Streifzüge durch die Wälder. Es war ein Privatsee und von über acht Millionen Quadratmetern Rouillard-Land umschlossen. Er hatte eine unregelmäßige, langgestreckte Form mit mehreren Biegungen. An manchen Stellen war er breit und ziemlich flach, aber an anderen schmal und tief. Östlich davon lag das große, weißgetünchte Anwesen der Rouillards, westlich die ärmliche Behausung der Devlins, wobei keines der beiden Häuser direkt an das Ufer des Sees angrenzte. Dort stand einzig das Sommerhaus der Rouillards. Es war ein weißes, einstöckiges Gebäude mit zwei Schlafzimmern, einer Küche, einem Wohnzimmer und einer mit Jalousien verhängten Veranda, die rund um das Haus lief. Etwas weiter entfernt vom Sommerhaus lagen der Bootsschuppen und ein Anlegesteg sowie der aus Klinkern gemauerte Grill. Im Sommer trafen sich dort manchmal Gray und seine Freunde und verbrachten den Nachmittag mit Schwimmen und Rudern. An solchen Tagen hielt sich Faith am Waldrand auf und beobachtete sie alle nach Herzenslust.

Vielleicht ist er heute auch dort, dachte sie. Das süße Verlangen, das sie bei dem Gedanken an ihn immer verspürte, war fast schon schmerzhaft. Es wäre einfach zu schön; wenn sie ihn an ein und demselben Tag gleich zweimal sehen könnte.

Sie war barfuß und trug kurze Shorts, die ihre dünnen Beine den Dornen und den Schlangen ungeschützt preisgaben. Aber Faith kannte die Wälder und die dort lebenden scheuen Tiere. Vor Schlangen hatte sie keine Angst, und die Kratzer beachtete sie nicht. Ihr langes, dunkelrotes Haar fiel ihr oft in die Augen, also band sie es mit einem Gummiband zurück. Wie eine Elfe schwebte sie durch den Wald, ihre großen Augen blickten bei dem Gedanken an Gray vollkommen verträumt. Vielleicht würde er ja da sein. Vielleicht würde er sie eines Tages im Wald oder hinter einem Baum versteckt entdecken. Vielleicht würde er ihr dann zuwinken und rufen: »Komm doch herüber und mach mit.« Sie verlor sich in dem wunderbaren Tagtraum, wie sie Teil dieser lachenden, wilden, sonnengebräunten Teenager sein würde, wie sie eines von jenen kurvenreichen Mädchen im knappen Bikini wäre.

Noch bevor sie den Rand der Lichtung erreicht hatte, auf der das Sommerhaus stand, konnte sie bereits den silbrigen Glanz von Grays davor geparkter Corvette erkennen. Ihr Herz begann in der ihr wohlbekannten Weise wie wild zu schlagen. Er war da! Sie glitt vorsichtig hinter einen dicken Baumstamm. Es waren überhaupt keine Geräusche zu hören. Kein Planschen, kein vergnügtes Schreien oder Gelächter.

Vielleicht angelte er vom Steg aus oder war mit dem Boot hinausgefahren. Faith trat einen Schritt näher, um den Bootssteg ganz überblicken zu können. Es war jedoch niemand zu sehen. Er war nicht da. Enttäuschung stieg in ihr auf. Wenn er mit dem Boot ausgefahren war, dann war seine Rückkehr vollkommen unbestimmt, und sie konnte nicht lange hier auf ihn warten. Sie hatte sich diese Zeit ohnehin abgeknapst, denn sie musste schon bald zurück sein und das Abendessen kochen. Und sie musste sich um Scottie kümmern.

Gerade wollte sie sich zum Gehen umwenden, als sie einen erstickten Laut hörte. Lauschend versuchte sie das Geräusch zu orten. Sie trat aus dem Wald heraus und ging ein paar Schritte auf der Lichtung in Richtung Haus. Jetzt vernahm sie Stimmengemurmel, aber es war zu leise und undeutlich. Sie konnte es nicht verstehen. Ein Glücksgefühl durchströmte sie: Er war doch da. Aber er war im Haus. Es würde schwierig sein, vom Wald aus einen Blick auf ihn zu erhaschen. Wenn sie sich jedoch noch weiter heranwagte, dann würde sie ihn hören können. Das würde ihr reichen.

Faith konnte sehr leise sein. Ihre nackten Füße machten nicht das geringste Geräusch, als sie auf das Haus zu schlich, es aber gleichzeitig vermied, vom Fenster aus gesehen zu werden. Das Gemurmel schien vom hinteren Teil des Hauses zu kommen, wo sich die Schlafzimmer befanden.

Sie hatte die Veranda erreicht und sich auf die unterste Stufe gesetzt. Sie neigte den Kopf zur Seite, um das Gespräch zu verfolgen, aber es blieb undeutlich. Sie erkannte jedoch Grays Stimme, die tiefen Töne waren klar zuzuordnen, jedenfalls für Faith. Dann hörte sie eine Art Keuchen, eine viel höhere Stimme, der ein Stöhnen entfuhr.

Von Neugier und von Grays Bass unwiderstehlich angezogen, stand Faith auf und drehte sehr vorsichtig den Türgriff herum. Die Fliegengittertür war nicht verschlossen. Sie öffnete sie gerade weit genug, dass eine Katze hätte durchschlüpfen können, dann zwängte sie ihren schmalen, federleichten Körper hindurch und schloss sie geräuschlos hinter sich. Auf Händen und Knien kroch sie über die Veranda auf das geöffnete Fenster eines der Schlafzimmer zu, aus dem die Stimmen zu kommen schienen. Wieder ertönte ein Stöhnen. »Gray«, sagte die andere Stimme. Es war eine bebende und halb erstickte Mädchenstimme. »Schhh, schhh«, murmelte Gray so leise, dass Faith es kaum hören konnte. Er sagte noch andere Dinge, die Faith aber nicht verstand. Sie rauschten an ihrem Ohr vorbei, ohne dass sie sich aus ihnen hätte einen Reim machen können. Dann sagte er: »Ma chère«. Jetzt schaltete Faith. Er sprach französisch. Sowie sie das erkannt hatte, wurden ihr auch die Worte verständlich, als ob es zunächst das Verständnis der Töne gebraucht hätte, um den passenden Rhythmus in ihrem Gehirn zu finden. Obwohl die Devlins weder Kreolen noch Cajuns waren, verstand Faith das meiste von dem, was er sagte. Die Mehrzahl der Leute hier sprach oder verstand Französisch, allerdings unterschiedlich gut.

Es hörte sich irgendwie so an, als ob er einen ängstlichen Hund locken wollte, dachte Faith. Seine Stimme wirkte warm und verführerisch, seine Sätze waren voller Beschwichtigungen und Koseworte. Als das Mädchen wieder etwas sagte, klang ihre Stimme zwar immer noch angespannt, aber sie hatte jetzt einen fast berauschten Unterton.

Neugierig und vorsichtig schob Faith sich ein Stück weiter, so dass sie mit einem Auge durch das geöffnete Fenster blicken konnte. Was sie sah, ließ sie auf der Stelle erstarren.

Gray und das Mädchen lagen nackt auf dem Bett, das mit dem Kopfende gegen die gegenüberliegende Wand gestellt war. Glücklicherweise konnte keiner der beiden sie sehen, denn Faith hätte sich keinen Millimeter rühren können, selbst wenn sie ihr direkt in die Augen geschaut hätten.

Gray lag mit dem Rücken ihr zugewandt, während sein linker Arm unter dem zerzausten blonden Haar des Mädchens versteckt war. Er lehnte sich auf eine Art und Weise über sie, die Faith den Atem stocken ließ. Denn in seiner Art lag sowohl etwas Beschützendes als auch etwas Ungestümes. Er küsste sie. Es waren lange Küsse, die das Zimmer bis auf das tiefe Stöhnen in Schweigen tauchten. Sein rechter Arm – es sah so aus, als ob – ja genau! Er veränderte seine Position, und Faith konnte erkennen, dass seine rechte Hand zwischen den nackten Schenkeln des Mädchens lag, genau auf ihrem Geschlecht.

Faith schwindelte. Ihr Brustkorb schmerzte, weil sie so lange die Luft angehalten hatte. Vorsichtig atmete sie aus und lehnte ihre Wange gegen das weiße Holz. Sie wusste, was die beiden machten. Sie war jetzt elf, und sie war kein kleines Mädchen mehr, wenn sie auch noch keinen richtigen Busen hatte. Vor ein paar Jahren hatte sie Renee und ihren Vater im Schlafzimmer gestört. Ihr ältester Bruder Russ hatte ihr lüstern und sehr anschaulich erklärt, was dort vor sich ging. Hunde hatte sie auch schon dabei beobachtet. Katzen ebenfalls, die dabei schrien.

Das Mädchen stöhnte auf. Faith schaute wieder ins Zimmer. Gray lag jetzt auf ihr und murmelte immer noch französische Worte, lockend und tröstend. Er sagte ihr, wie hübsch sie sei, wie sehr es ihn nach ihr verlange, wie aufregend und wunderbar sie sei. Während er auf sie einredete, veränderte er seine Stellung. Auf den linken Arm gestützt, griff er mit der rechten Hand zwischen ihre Körper. Wegen des Blickwinkels konnte Faith nicht sehen, was er machte, aber sie wusste es ohnehin. Plötzlich erkannte sie das Mädchen. Es war Lindsey Partain, deren Vater als Rechtsanwalt in Prescott arbeitete.

»Gray!«, stöhnte Lindsey mit halb erstickter Stimme. »O Gott! Ich kann nicht ...«

Grays muskulöse Hüften spannten sich an. Das Mädchen bäumte sich stöhnend unter ihm auf. Aber sie klammerte sich an ihn, und ihr Schrei war voller Lust. Sie hob ihre langen Beine und legte eines um seine Hüfte, das andere verschränkte sie um sein Bein.

Langsam begann er seinen jungen, kraftvollen Körper zu bewegen. Der Anblick war einerseits aufwühlend und verstörend, aber gleichzeitig von einer verwirrenden Schönheit. Gray war so groß und stark, sein sonnengebräunter Körper elegant und äußerst männlich, während Lindsey, schlank und kurvenreich und sehr weiblich, in seinen Armen lag. Er ging behutsam mit ihr um, und sie schien es sehr zu genießen. Ihre schmalen Hände krallten sich in seinen Rücken, sie hatte den Kopf zurückgeworfen, während sich ihre Hüften in seinem langsamen Rhythmus hoben und senkten.

Faith betrachtete sie mit brennenden Augen. Sie empfand keinerlei Eifersucht. Gray war so viel älter als sie, und sie war noch so jung, dass sie ihn niemals mit besitzergreifenden, romantischen Blicken betrachtet hatte. Gray war der leuchtende Mittelpunkt ihrer Welt, den sie von weitem anhimmelte und dessen gelegentliches Auftauchen sie schwindelig machte. Als er sie heute angesprochen und sogar berührt hatte, war es der Himmel auf Erden für sie gewesen. Sie wäre gar nicht imstande gewesen, sich an Lindseys Stelle zu denken oder sich vorzustellen, wie es sich wohl anfühlen mochte, so nackt in seinen Armen zu liegen.

Grays Bewegungen wurden schneller. Das Mädchen streckte sich ihm stöhnend entgegen. Sie hatte die Zähne aufeinandergebissen, als ob ihr etwas wehtäte. Aber rein gefühlsmäßig wusste Faith, dass das nicht der Fall war. Grays Stöße waren jetzt sehr heftig. Er hatte seinen Kopf in den Nacken geworfen. Sein langes, schwarzes Haar klebte an seinen Schläfen und an seinen schweißgebadeten Schultern. Er bäumte sich auf und erbebte, dann drang ein tiefes Stöhnen aus seiner Kehle.

Faiths Herz schlug wie wild, und ihre grünen Katzenaugen waren weit aufgerissen, als sie sich von dem Fenster wegduckte, durch die Tür hindurchschlüpfte und die Terrasse so leise verließ, wie sie sie betreten hatte. So also war es. Sie hatte tatsächlich Gray dabei beobachtet, wie er es getan hatte. Nackt war er sogar noch attraktiver, als sie es sich ausgemalt hatte. Und er hatte nicht diese widerlichen, schnaubenden Geräusche gemacht, so wie Papa es tat, wenn er nüchtern genug war, um Renee ins Schlafzimmer zu locken. Während der letzten paar Jahre war das nicht gerade häufig vorgekommen.

Wenn Grays Vater Guy genauso schön dabei anzusehen war wie Gray, dann konnte sie es Renee nicht verübeln, dass sie ihn Papa vorgezogen hatte.

Sie erreichte die schützende Waldgrenze und schlüpfte leise durch das Unterholz. Es war schon spät. Vermutlich würde sie zu Hause eine Tracht Prügel von Papa bekommen, weil sie nicht da gewesen, wie üblich das Abendbrot vorbereitet und sich um Scottie gekümmert hatte. Aber das war ihr die Sache wert gewesen. Sie hatte Gray gesehen.

Erschöpft, glücklich und noch immer schwer atmend und bebend von dem ausklingenden Orgasmus hob Gray seinen Kopf von Lindseys Hals. Auch sie atmete mit geschlossenen Augen noch immer schwer. Er hatte den größten Teil des Nachmittags damit zugebracht, sie zu verführen, und es hatte sich gelohnt. Das langsame und ausgedehnte Vorspiel hatte den eigentlichen Sex dann besser als erwartet ausfallen lassen.

Ein kleiner Farbfleck, eine winzige Bewegung am Rand seines Blickfeldes ließ ihn aufmerken. Er wandte den Kopf in Richtung des Fensters, durch das er die Veranda und den Waldrand sehen konnte. Er erspähte lediglich eine kleine, schmale Gestalt mit dunkelrotem Haar. Aber das genügte ihm, um die jüngste der Devlin-Töchter wiederzuerkennen.

Was streifte das Mädchen so weit entfernt von ihrem Zuhause durch die Wälder? Gray ließ sich Lindsey gegenüber nichts anmerken. Der Gedanke, dass sie zusammen beobachtet worden waren, hätte sie sehr beunruhigt, auch wenn es nur eine von den verarmten Devlins war. Lindsey war mit Dewayne Mouton verlobt. Es würde ihr überhaupt nicht in den Kram passen, wenn ihr jemand ihre Hochzeit vermasselte, selbst wenn ihr eigener Seitensprung die Ursache dafür wäre. Die Moutons waren nicht so reich wie die Rouillards – in diesem Teil von Louisiana war das niemand –, aber Lindsey wusste, dass sie Dewayne in einer Weise in Schach halten konnte, wie es ihr mit Gray niemals gelingen würde. Gray wäre zwar der dickere Fisch gewesen, aber zu einem pflegeleichten Ehemann taugte er nicht. Außerdem war Lindsey klarsichtig genug, um zu erkennen, dass sie bei ihm ohnehin keinerlei Chancen hatte.

»Was ist?«, murmelte sie und streichelte seine Schulter.

»Nichts.« Er wandte ihr den Kopf zu und küsste sie. Dann entwand er sich ihrem Körper und setzte sich auf die Bettkante. »Mir ist nur gerade aufgefallen, wie spät es schon ist.«

Lindsey blickte aus dem Fenster auf die länger werdenden Schatten und fuhr mit einem Aufschrei hoch. »Himmel, ich muss heute zum Abendessen zu den Moutons! Nie und nimmer werde ich pünktlich sein!« Sie hastete aus dem Bett und sammelte ihre herumliegenden Kleidungsstücke ein.

Gray zog sich an, dachte derweil aber immer noch an das Devlin-Mädchen. Hatte sie sie gesehen? Wenn ja, würde sie etwas verraten? Sie war ein merkwürdiges Kind, viel schüchterner als ihre ältere Schwester, die jetzt schon alle Anstalten machte, zu einer ebensolchen Schlampe wie ihre Mutter zu werden. Die Jüngere aber hatte weise, wissende Augen in dem zarten Kindergesicht. Ihre Augen erinnerten ihn an Katzenaugen: blaugrün mit goldenen Punkten, so dass sie manchmal grün und manchmal gelblich aussahen. Er hatte den Eindruck, dass ihr nur wenig entging. Sie wusste, dass ihre Mutter die Gespielin seines Vaters war, dass die Devlins mietfrei in dieser Baracke wohnten, so dass Renee immer dann verfügbar war, wenn Guy Rouillard der Sinn nach ihr stand. Das Mädchen würde es nicht riskieren, sich mit den Rouillards anzulegen.

Armes, kleines, dünnes Mädchen mit dem entrückten Blick. Sie war arm geboren und würde niemals die Chance haben, sich davon frei zu machen, selbst wenn sie es wollte. Amos Devlin war ein gemeiner Säufer. Die beiden älteren Jungen, Russ und Nicky, waren diebisch und verlogen, genauso gemein wie ihr Vater. Sie zeigten bereits Anzeichen dafür, dass sie sich zu Trinkern entwickeln würden. Ihre Mutter Renee war dem Alkohol auch nicht abgeneigt, aber sie hatte sich nicht wie Amos der Sucht hingegeben. Obwohl sie fünf Kinder geboren hatte, war sie sinnlich und schön. Lediglich ihre jüngste Tochter hatte ihr dunkelrotes Haar geerbt, ebenso ihre grünen Augen und die milchigweiße, zarte Haut. Renee war zwar nicht gemein wie Amos, aber den Kindern war sie dennoch keine gute Mutter. Was Renee einzig und allein wirklich interessierte, war Sex. Man mokierte sich, dass sie sich jedem Mann hingab, der willens war, sich auf sie zu legen. Der Sex umgab sie wie eine Aura. Trunkener, besessener Sex. Sie zog die Männer an wie eine läufige Hündin die Rüden.

Jodie, die älteste Tochter, war die reinste Kinderhure. Schon jetzt hielt sie Ausschau nach jedem steifen Schwanz, den sie bekommen konnte. Sie war in dieser Hinsicht genauso entschlossen wie Renee. Gray bezweifelte, dass sie noch Jungfrau war, obwohl sie gerade erst die Oberschule besuchte. Sie hatte sich ihm wiederholt angeboten, was ihn aber nicht im Mindesten in Versuchung brachte. Lieber würde er mit einer Schlange schlafen als mit Jodie Devlin.

Der jüngste der Devlin-Brüder war zurückgeblieben. Gray hatte ihn, jedes Mal an den Rockschoß des jüngsten Mädchens geklammert, nur ein- oder zweimal gesehen – wie hieß sie denn noch, verdammt? Irgendein Gedanke, der ihm eben durch den Kopf geschossen war, hatte ihn daran erinnert. War es Fay gewesen? Nein, doch nicht, aber ähnlich – Faith. Genau, das war ihr Name. Glaube, Hoffnung. Ein merkwürdiger Name für eine Devlin, denn weder Amos noch Renee waren auch nur im Geringsten gläubig.

Bei einer solchen Familie konnte man das Mädchen natürlich abschreiben. In ein paar Jahren würde sie in die Fußstapfen ihrer Mutter und ihrer Schwester treten, weil sie sich einer Alternative gar nicht bewusst war. Und selbst wenn sie eine solche erahnte, dann würden doch alle Jungen um sie herumschleichen, weil ihr Name nun mal Devlin war. Lange würde sie dem nicht standhalten können.

Es war stadtbekannt, dass sein Vater bereits seit Jahren mit Renee schlief. So sehr Gray seine Mutter auch liebte, so wenig konnte er es Guy verdenken, dass er sich woanders umgesehen hatte. Der Himmel wusste, dass seine Mutter ihm deshalb jedenfalls keine Vorwürfe machte. Noelle war die am wenigsten sinnliche Frau, der Gray jemals begegnet war. Mit neununddreißig Jahren war sie noch immer so kühl und lieblich wie eine Madonna. Immer wirkte sie beherrscht und hielt Distanz zu ihrer Umwelt. Berührungen mochte sie nicht, noch nicht einmal von den eigenen Kindern. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt Kinder bekommen hatte. Guy war ihr natürlich – zu Noelles großer Erleichterung – niemals treu gewesen. Guy Rouillard war heißblütig und lustbetont. Er hatte sich schon in so manchem Bett herumgetrieben, bis er es bei Renee Devlin, mehr oder weniger jedenfalls, bewenden ließ. Dennoch hatte sich Guy Noelle gegenüber immer zärtlich, zuvorkommend und beschützend verhalten. Gray wusste, dass er sie niemals verlassen würde, schon gar nicht für so eine billige Schlampe, wie Renee es war.

Seine Schwester Monica schien sich als Einzige an dem Verhältnis zu stören. Von ihrer Mutter emotional ausgehungert, vergötterte Monica ihren Vater und war sehr eifersüchtig auf Renee. Auf diese Weise glaubte sie einerseits ihre Mutter zu verteidigen, andererseits war sie auf die viele Zeit eifersüchtig, die Guy mit Renee verbrachte. Seit Monica sich im Internat mit anderen angefreundet hatte, war es im Haus ruhiger geworden.

»Gray, beeil dich«, bettelte Lindsey hektisch.

Er schlüpfte durch die Hemdsärmel, knöpfte das Hemd jedoch nicht zu, sondern ließ es offen herabhängen. »Ich bin so weit.« Er küsste sie und klopfte ihr auf den Hintern. »Mach dir keine Sorgen, Chérie. Du musst dich nur noch umziehen. Alles andere an dir sieht ohnehin schon wunderbar aus.«

Sie freute sich über das Kompliment und beruhigte sich etwas. »Wann machen wir das noch einmal?«, fragte sie, als sie aus dem Haus traten.

Gray lachte laut auf. Er hatte den Großteil des Sommers damit verbracht, sie herumzukriegen, und jetzt war sie es, die keine Zeit mehr verschwenden wollte. Paradoxerweise war ein großer Teil seiner rücksichtslosen Zielstrebigkeit jetzt, wo er sie besessen hatte, von ihm abgefallen. »Ich weiß nicht«, sagte er langsam. »Ich muss mich schon bald wegen der Footballsaison wieder im College melden.«

Zu ihren Gunsten musste man sagen, dass sie nicht die Miene verzog. Stattdessen warf sie den Kopf zurück, so dass der Wind ihr in die Haare fuhr, als die Corvette die Privatstraße hinauf zur Schnellstraße rollte. Sie lächelte ihn an. »Ich bin jederzeit dafür zu haben.« Sie war ein Jahr älter als er und besaß ein unerschütterliches Selbstbewusstsein.

Die Corvette schwenkte in die Schnellstraße ein, die Reifen fassten auf dem festen Teer Fuß. Lindsey bewunderte, wie Gray das schnelle Auto zu führen verstand. »In fünf Minuten bist du zu Hause«, versprach er. Auch er wollte nicht, dass ihrer Verlobung mit Dewayne irgendetwas im Wege stand.

Er dachte an die dünne kleine Faith Devlin und fragte sich, ob sie sicher nach Hause zurückgekehrt war. Sie sollte nicht allein in den Wäldern herumstreunen. Sie könnte sich verletzen oder sich verirren. Schlimmer noch, diese Wälder zogen die Schuljungen magisch an, obwohl sie in Privatbesitz waren. Und Gray machte sich keine Illusionen über das Verhalten von Schuljungen, wenn sie im Rudel auftraten. Wenn sie Faith begegneten, dann würden sie vermutlich gar nicht daran denken, wie jung sie noch war. Sie würden lediglich daran denken, dass es sich um eine Devlin handelte. Und das kleine Rotkäppchen hätte nicht die geringste Chance gegen die Wölfe.

Jemand musste ein wachsames Auge auf dieses Kind haben.

2

Drei Jahre später

»Faith«, sagte Renee angespannt. »Tu was, dass Scottie damit aufhört. Er macht mich noch wahnsinnig.« Faith stellte die Kartoffeln, die sie gerade schälte, beiseite und ging zu der Drahttür, an der Scottie schnaufend kratzte und auf diese Weise kundtat, dass er in den Garten wollte. Ohne Begleitung aber durfte er nicht nach draußen. Die Worte »bleib aber schön im Garten« konnte er nicht begreifen, sondern streifte umher und verirrte sich. Am oberen Ende der Tür befand sich ein für ihn nicht erreichbarer Riegel, der immer verschlossen war, damit er sich nicht hinausstehlen konnte. Faith war gerade mit der Vorbereitung des Abendessens beschäftigt, obwohl vermutlich nur sie und Scottie zu Hause sein würden. Sie konnte jetzt mit ihm nicht raus.

Sie zog seine Hände von der Tür weg und fragte: »Willst du ein bisschen Ball spielen, Scottie? Wo ist er denn, dein Ball?«

Leicht abzulenken, trabte das Kind los, um seinen roten, abgegriffenen Ball zu suchen. Dass ihn das nicht sehr lange beschäftigen würde, war Faith nur zu klar. Seufzend machte sie sich wieder an die Kartoffeln.

Renee trat aus ihrem Schlafzimmer. Faith sah sofort, dass sie sich heute besonders schick gemacht hatte. Sie trug ein kurzes rotes Kleid, das ihre langen, schönen Beine zeigte und sich merkwürdigerweise farblich nicht mit ihren roten Haaren biss. Renee hatte wunderschöne Beine. Eigentlich war alles an ihr schön, und sie war sich dessen auch sehr bewusst. Ihr volles rotes Haar hatte sie aufgebauscht, und das würzige Parfüm haftete an ihr wie ein starker, roter Duft. »Nun, wie sehe ich aus?«, fragte sie, drehte sich einmal um sich selbst und befestigte ihre billigen Bergkristallohrringe an ihren Ohrläppchen.

»Wunderbar«, antwortete Faith, die genau wusste, was Renee hören wollte. Außerdem entsprach es ganz einfach der Wahrheit. Renee war durch und durch unmoralisch, aber sie war auch aufsehenerregend schön mit ihrem perfekt geschnittenen, ein wenig exotischen Gesicht.

»Also dann, ich gehe jetzt.« Sie beugte sich vor und platzierte einen flüchtigen Kuss auf Faiths Kopf.

»Amüsier dich gut, Mama.«

»Darauf kannst du jede Wette eingehen«, erwiderte Renee lachend. »Und ob ich das tun werde.« Sie schob den Riegel zurück und verließ mit schimmernden Beinen die schäbige Baracke.

Faith lehnte sich an die Drahttür und beobachtete, wie Renee in ihr schickes kleines Cabrio stieg und losfuhr. Ihre Mutter liebte dieses Auto. Eines schönen Tages war sie damit angefahren gekommen, ohne dass sie jemandem erklärt hätte, wie sie in seinen Besitz gekommen war. Nicht dass es diesbezüglich große Zweifel gegeben hätte. Guy Rouillard hatte es ihr gekauft.

Scottie bemerkte Faith an der Tür und schnaubte wieder, zum Zeichen, dass er hinauswollte. »Ich kann nicht mit dir rausgehen«, erklärte ihm Faith mit unendlicher Geduld, obwohl der Junge wohl kaum etwas von dem Gesagten verstand. »Ich muss das Abendessen kochen. Möchtest du lieber Bratkartoffeln oder Kartoffelbrei?« Das war natürlich eine rein rhetorische Frage, denn es fiel Scottie wesentlich leichter, Kartoffelbrei zu essen. Sie strich ihm über sein dunkles Haar und wandte sich wieder dem Tisch und der Kartoffelschüssel zu.

In letzter Zeit war Scottie nicht so quirlig wie gewohnt gewesen. Seine Lippen liefen beim Spielen oft bläulich an. Sein Herz wurde schwächer, ganz wie die Ärzte es vorhergesagt hatten. Für Scottie würde es das Wunder der Herztransplantation nicht geben, selbst wenn es sich die Devlins hätten leisten können. Die wenigen verfügbaren Kinderherzen waren zu wertvoll, als dass man eines davon einem kleinen Jungen gegeben hätte, der sich niemals würde allein anziehen können, niemals lesen oder zeit seines Lebens mehr als ein paar unverständliche Worte würde gurgeln können. Er wurde als ›stark zurückgeblieben‹ eingestuft. Obwohl Faith bei dem Gedanken an Scotties Tod einen Kloß in ihrer Kehle spürte, empfand sie keinerlei Bitterkeit über die Tatsache, dass man gegen Scotties Gesundheitsverfall nichts unternehmen konnte. Ein neues Herz würde Scottie nicht helfen können, jedenfalls in keiner sinnvollen Weise. Die Ärzte hatten ohnehin nicht erwartet, dass er so lange am Leben bliebe. Sie jedenfalls würde, welches Alter er auch immer erreichen sollte, auf ihn aufpassen.

Zeitweilig hatte sie geglaubt, dass er Guy Rouillards Sohn sei. Dann wurde sie wütend darüber, dass man ihn nicht in das große weiße Haus brachte, wo er die beste Versorgung genießen würde und seine letzten Jahre glücklich verleben könnte. Sie glaubte, dass es Guy wegen Scotties geistiger Behinderung nur zu recht war, ihn nicht in seiner näheren Umgebung zu wissen.

Die Wahrheit aber war, dass Scottie genauso gut Papas Sohn sein konnte. Scottie sah weder dem einen noch dem anderen Mann ähnlich, er sah eben aus, wie nur Scottie aussah. Er war jetzt sechs Jahre alt und ein friedfertiger kleiner Junge, der sich mit den kleinsten Dingen zufriedengab. Seine Selbstsicherheit aber war ganz und gar abhängig von seiner vierzehnjährigen Schwester. Faith hatte sich seit dem Tag, an dem Renee ihn aus dem Krankenhaus mit nach Hause gebracht hatte, um ihn gekümmert. Sie hatte ihn vor Papas trunkenen Wutanfällen beschützt und Russ und Nicky davon abgehalten, ihn unbarmherzig zu hänseln. Renee und Jodie beachteten ihn gewöhnlich einfach gar nicht, was Scottie seinerseits nichts auszumachen schien.

An diesem Abend hatte Jodie Faith vorgeschlagen, mit ihr zu einer Doppelverabredung zu kommen, und lediglich mit den Schultern gezuckt, als ihre jüngere Schwester mit der Begründung ablehnte, sie müsse Scottie hüten. Faith wäre ohnehin nicht mit Jodie ausgegangen, dazu klafften ihre Vorstellungen von Vergnügen einfach zu weit auseinander. Jodie fand es toll, sich mit ihren sechzehn Jahren illegalerweise Alkohol zu besorgen, sich dann zu betrinken und mit einem oder gleich mit mehreren Jungen in ihrer Begleitung zu schlafen.

Alles in Faith widersetzte sich dieser Vorstellung. Sie hatte erlebt, wie Jodie nach Bier und nach Sex stinkend nach Hause gekommen war, die Kleidung zerrissen und beschmutzt, während sie sich hatte totlachen wollen darüber, wie viel ›Spaß‹ ihr der Abend doch gemacht habe. Es schien ihr überhaupt nichts auszumachen, dass dieselben Jungen in der Öffentlichkeit jeglichen Kontakt mit ihr ausdrücklich mieden.

Faith aber machte es jede Menge aus. Die abschätzigen Blicke der Leute, wenn sie ihr oder einem ihrer Familienmitglieder begegneten, waren ihr irrsinnig peinlich. Die verwahrlosten Devlins, so nannte man sie. Trunkenbolde und Huren, alle miteinander.

Aber ich bin doch gar nicht so! Dieser stumme Schrei wollte sich manchmal einen Weg nach außen bahnen, aber Faith unterdrückte ihn immer. Warum nur konnten die Leute nicht über den Namen hinaussehen? Sie malte sich nicht das Gesicht an noch trug sie zu kurze und zu enge Sachen wie Renee und Jodie. Weder trank sie, noch hielt sie sich in zwielichtigen Lokalen auf, um irgendeinen Kerl aufzureißen. Ihre Kleidung war billig und schlecht gemacht, aber sie hielt sie sauber. Sie verpasste keinen einzigen Schultag, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Außerdem hatte sie gute Zensuren und sehnte sich nach Anerkennung. Sie wollte einen Laden betreten können, in dem das Verkaufspersonal sie nicht mit Argusaugen verfolgte, weil sie eine von diesen verwahrlosten Devlins war, von denen ja jeder wusste, dass sie stahlen wie die Raben. Sie wollte einfach nicht, dass Menschen bei ihrem Anblick hinter ihrem Rücken tuschelten.

Ihre Ähnlichkeit mit Renee, viel betonter als die zwischen Jodie und ihrer Mutter, war dabei wenig hilfreich. Faith hatte das gleiche dichte, dunkelrot lodernde Haar, den gleichen porzellanweißen Teint, die gleichen hohen Wangenknochen und exotischen grünen Augen. Ihr Gesicht hatte nicht dieselbe perfekte Ausgewogenheit wie das von Renee, es war schmaler und ihr Kinn etwas betonter, und ihr Mund war zwar breit, aber nicht so sinnlich. Renee hatte eine weibliche Figur, wogegen Faith sowohl größer als auch schlanker war. Ihr Körperbau war viel zarter. Ihr Busen hatte endlich zu wachsen begonnen, fest und vorwitzig. Jodie aber hatte in ihrem Alter bereits einen Büstenhalter getragen, der zwei Nummern größer war.

Weil sie Renee äußerlich so ähnlich war, schienen die Leute auch das gleiche Benehmen von ihr zu erwarten. Sie machten sich nicht die Mühe, ihre eigenen Vorurteile zu hinterfragen. Faith war eben wie der Rest der Familie: mitgefangen, mitgehangen.

»Aber eines Tages werde ich hier ausbrechen, Scottie«, sagte sie leise. »Da kannst du sicher sein.«

Scottie reagierte nicht, sondern hämmerte weiter gegen die Drahttür.

Wie immer, wenn sie sich selbst aufheitern wollte, dachte sie an Gray. Ihre heftigen Gefühle waren in den drei Jahren, seit sie ihn mit Lindsey Partain hatte schlafen sehen, nicht abgeflaut. Im Gegenteil, sie erschienen ihr jetzt noch intensiver. Die vollkommene Hingabe, mit der sie ihn als Elfjährige beobachtet hatte, hatte sich einerseits gesteigert, andererseits aber auch verändert. Heute mischten sich körperliche Sehnsüchte mit romantischen Vorstellungen, die bei ihrer Erziehung weit ausführlicherer Natur waren, als man es von einem vierzehnjährigen Mädchen erwartet hätte.

Ihre Träume waren aber nicht nur von ihrer eigenen Umgebung beeinflusst. Jener Tag, als sie Gray und Lindsey Partain – mittlerweile Lindsey Mouton – im Sommerhaus beobachtet hatte, hatte ihr viel von Grays Körper gezeigt. Sein Geschlechtsteil war vor ihrem Blick verborgen gewesen, weil er ihr den Rücken zugewandt hatte – was nicht so schlimm war, denn sie wusste, wie so etwas aussah. Nicht nur hatte sie Scottie sein ganzes Leben lang umsorgt, auch Papa und Russ und Nicky zogen das Ding, wenn sie betrunken waren, einfach aus der Hose und pinkelten lieber direkt vor die Tür, als die Toilette aufzusuchen.

Aber Faith kannte Grays Körper gut genug, dass sie davon träumen konnte. Sie wusste, dass er kräftige, schwarzbehaarte Beine hatte, dass sein Hintern klein und rund und fest war und dass direkt darüber zwei bezaubernde Grübchen lagen. Sie wusste, dass er kräftige, breite Schultern und einen langen Rücken besaß und sein Rückgrat tief zwischen den ausgeprägten Muskeln eingegraben lag. Auf seiner breiten Brust hatte sie einen schwarzen Haarflaum bemerkt.

Sie wusste, dass er, wenn er liebte, es auf Französisch und mit tiefer, lockender, zärtlicher Stimme tat.

Seine Fortschritte an der LSU hatte sie mit heimlicher Freude verfolgt. Er hatte in zwei Fächern, nämlich Volks- und Betriebswirtschaft, mit einem Diplom abgeschlossen, weil er sich auf die irgendwann anstehende Übernahme der Rouillard-Geschäfte vorbereitete. So gut er auch als Footballer gewesen war, eine Karriere als Profi hatte er nicht angestrebt. Stattdessen war er zurückgekehrt, um Guy zur Seite zu stehen. Jetzt würde sie das ganze Jahr über Blicke von ihm erhaschen können, nicht nur während der Sommerferien und an Feiertagen.

Leider war auch Monica wieder nach Hause zurückgekehrt. Wie gewohnt, zeigte sie hemmungslos ihre tiefe Abscheu. Andere legten lediglich eine Art von Verachtung an den Tag, aber Monica hasste buchstäblich alle, die auf den Namen Devlin hörten. Das konnte ihr Faith nicht verübeln, manchmal brachte sie ihr sogar Verständnis entgegen. Keiner konnte behaupten, dass Guy Rouillard ein schlechter Vater war. Er liebte seine beiden Kinder, und sie liebten ihn. Was empfand Monica, wenn sie das Gerede der Leute über Guys jahrelanges Verhältnis mit Renee hörte? Und dass ihr Vater ganz offen ihre Mutter betrog?

Als Faith noch jünger gewesen war, hatte sie sich manchmal vorgestellt, dass Guy auch ihr Vater wäre. Amos hatte sie dabei vollkommen verdrängt. Guy war groß und dunkel und aufregend. Sein schmales Gesicht ähnelte dem von Gray so sehr, dass sie ihn unter keinen Umständen würde hassen können. Er hatte sich immer freundlich ihr gegenüber verhalten und hatte dieses Verhalten auch allen anderen Kindern Renees gezeigt. Faith aber schien er besonders in sein Herz geschlossen zu haben und hatte ihr sogar ein- oder zweimal eine Kleinigkeit geschenkt. Faith vermutete, dass das ihrer Ähnlichkeit mit Renee zuzuschreiben gewesen war. Wenn Guy ihr Vater wäre, wäre Gray ihr Bruder. Sie hätte ihn aus nächster Nähe bewundern und in demselben Haus wie er wohnen können. Bei diesen Tagträumereien hatte sie ihrem eigenen Vater gegenüber immer Schuldgefühle empfunden. Danach gab sie sich besonders viel Mühe, nett zu ihm zu sein. In letzter Zeit jedoch freute sie sich darüber, dass Guy nicht ihr Vater war. Sie wollte nicht länger Grays Schwester sein.

Sie wollte ihn heiraten.

Diese allergeheimste Vorstellung war so schockierend, dass sie allein der Mut schon erstaunte, so etwas auch nur zu träumen. Ein Rouillard sollte eine Devlin heiraten? Eine Devlin sollte die hundert Jahre alte Villa betreten? Die alten Rouillards würden aus ihren Gräbern auferstehen, um den Eindringling zu vertreiben. Die ganze Stadt wäre vollkommen entsetzt.

Dennoch träumte sie weiter. Sie träumte von einem weißen Kleid, in dem sie in der Kirche auf den Altar zuging, neben dem Gray mit dunkel verhangenem Blick wartete. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck wilden Begehrens, das ausschließlich auf sie gerichtet war. Sie träumte davon, wie er sie in seine Arme hob und über die Türschwelle trug. Natürlich nicht über die Schwelle der Rouillard-Villa, das lag außerhalb jeder Vorstellung. Aber vielleicht gäbe es einen anderen Ort, der ihnen beiden gehörte. Vielleicht ein Flitterwochenhäuschen, wo er sie zu einem großen Bett hinübertrug. Sie stellte sich vor, wie sie unter ihm lag und ihre Beine um ihn klammerte, wie sie es bei Lindsey gesehen hatte, stellte sich seine Bewegungen vor, hörte seine verführerische Stimme, die ihr französische Liebkosungen ins Ohr flüsterte. Sie wusste, was Männer und Frauen miteinander machten, wusste, wohin er sein Ding dirigieren würde, obschon sie sich das Gefühl dabei nicht vorstellen konnte. Jodie behauptete, dass es ein wunderbares Gefühl sei, das allerbeste überhaupt ...

Scotties unvermittelter Aufschrei schreckte Faith aus ihren Tagträumereien. Sie ließ die Kartoffel aus der Hand fallen und sprang auf. Denn Scottie schrie nur dann, wenn er sich wirklich wehgetan hatte. Er stand noch immer an der Drahttür und umklammerte seinen Finger. Faith hob ihn auf, trug ihn zum Tisch hinüber, setzte ihn auf ihren Schoß und betrachtete seine Hand. An seinem Zeigefinger war ein kleiner Schnitt. Vermutlich hatte er sich an einem Löchlein in dem Gitter verletzt, der lose Draht hatte sich in seine Haut gegraben. Ein Blutstropfen bildete sich auf der kleinen Wunde.

»Schon gut, schon gut«, umarmte sie ihn tröstend und wischte ihm die Tränen ab. »Ich klebe dir ein Pflaster drauf, dann wird es wieder gut. Du magst doch Pflaster.«

Das stimmte. Wann immer er eine kleine Verletzung hatte, beklebte sie ihm Arme und Beine, denn er bettelte so lange, bis alle Pflaster in der Schachtel aufgebraucht waren. Sie hatte deshalb die meisten Pflaster aus der Schachtel genommen und versteckt, so dass er nur zwei oder drei sehen konnte.

Sie wusch sich die Hände und holte die Schachtel aus dem obersten Regal, wo sie sie vor seinen Händen sicher aufbewahrte. Sein kleines rundes Gesicht glühte vor Freude und Erwartung, als er ihr seinen kurzen Finger entgegenstreckte, den Faith bandagierte.

Er beugte sich vor, schaute in die offene Schachtel, grunzte und streckte ihr die andere Hand entgegen.

»Die ist auch verletzt? Die arme Hand!« Sie küsste die kleine dicke Pfote und klebte ihm ein weiteres Pflaster drauf.

Wieder beugte er sich vor, schaute in die Schachtel, hob sie grinsend in die Luft und streckte sein rechtes Bein vor.

»Du meine Güte, du bist ja überall verletzt!«, rief Faith aus und klebte ihm ein Pflaster auf sein Knie.

Ein letztes Mal schaute er in die mittlerweile leere Schachtel. Dann trabte er zufrieden zur Tür zurück, während Faith sich wieder dem Essen zuwandte.

An den langen Sommertagen begann es um halb neun gerade erst zu dämmern, aber bereits um acht wurde Scottie müde und döste vor sich hin. Faith badete ihn und brachte ihn ins Bett. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie ihm übers Haar strich. Er war solch ein süßer kleiner Junge und wusste so gar nichts von seinem gesundheitlichen Zustand, der ihn das Erwachsenenalter nicht würde erleben lassen.

Um halb zehn hörte sie, wie Amos mit seinem alten, ratternden Auto vorfuhr. Sie stand auf, um den Riegel zu öffnen und ihn einzulassen. Er stank nach Whiskey, ein scharfer, grünlichgelber Geruch.

Er stolperte über die Türschwelle und richtete sich auf.

»Wo ist deine Mutter?«, knurrte er mit dem hässlichen Unterton, mit dem er sprach, wenn er betrunken war. Und das war fast immer der Fall.

»Sie ist vor etwa zwei Stunden weggegangen.«

Er torkelte auf den Tisch zu, wobei der unebene Boden jeden seiner Schritte zusätzlich erschwerte. »Verdammte Kuh«, murmelte er. »Nie ist sie hier. Dauernd geht sie aus und wackelt vor ihrem tollen reichen Freund mit dem Arsch. Nie ist sie hier, um mir das Abendessen zu kochen. Wie soll da ein Mann satt werden?«, brüllte er plötzlich und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Das Abendessen ist fertig, Papa«, erwiderte Faith leise und hoffte, dass der Ausbruch nicht Scottie geweckt hatte. »Ich bringe dir einen Teller.«

»Will nichts essen«, erwiderte er, ganz wie sie es erwartet hatte. Wenn er trank, dann hatte er nie Hunger. Dann wollte er nur noch mehr trinken. »Gibt es in diesem verdammten Haus was zu saufen?« Strauchelnd stand er auf und öffnete die Schranktüren. Als er nichts fand, schlug er sie laut wieder zu.

Faith reagierte schnell. »Im Jungenzimmer ist eine Flasche. Ich hol sie dir.« Sie wollte nicht, dass Amos dort herumtorkelte, sich dann womöglich auch noch übergäbe und Scottie weckte. Sie raste in das kleine dunkle Zimmer und tastete unter Nickys Bett herum, bis ihre Hand auf kühles Glas stieß. Sie zerrte die Flasche hervor und eilte in die Küche. Sie war nur noch ein Viertel voll, aber das würde Papa zufriedenstellen. Sie schraubte den Verschluss ab und reichte sie ihm.

»Hier, Papa.«

»Gutes Mädchen«, sagte er erfreut und setzte die Flasche an die Lippen. »Du bist ein gutes Mädchen, Faith. Nicht so eine Hure wie deine Mutter und deine Schwester.«

»Sprich nicht so über sie«, protestierte sie angewidert. Sich dieser Tatsache bewusst zu sein war eine Sache, sie auch auszusprechen eine gänzlich andere. Außerdem sollte derjenige, der im Glashaus saß, nicht unbedingt mit Steinen schmeißen.

»Ich kann hier sagen, was ich gottverdammt noch mal will!«, brauste Amos auf. »Widersprich mir nicht, sonst zieh ich dir einen mit dem Riemen über.«

»Ich habe dir nicht widersprochen, Papa.« Obwohl ihre Stimme ruhig blieb, rückte Faith vorsorglich etwas von ihm ab. Wenn er sie nicht zu fassen bekam, dann konnte er sie auch nicht schlagen. Vielleicht würde er etwas nach ihr werfen. Aber sie war schnell, und seine Geschütze trafen sie nur selten.

»Tolle Kinder hat sie mir beschert«, schimpfte er. »Russ und Nicky sind die einzigen, die ich ertragen kann. Jodie ist eine Hure wie ihre Mutter. Und du, du bist eine besserwisserische Tucke, und der Letzte ist ein gottverdammter Idiot.«

Faith hielt den Kopf gesenkt, so dass er ihre beißenden Tränen nicht sehen konnte. Sie setzte sich auf das alte, ausgebeulte Sofa und begann die Wäsche zu falten, die sie heute gewaschen hatte. Man durfte es Amos niemals merken lassen, wenn er einen verletzte. Denn wenn er Blut roch, ging er aufs Ganze. Je betrunkener er war, desto gemeiner wurde er. Am besten, man beachtete ihn nicht weiter. Wie alle Säufer ließ er sich leicht ablenken. Außerdem würde er ihrer Meinung nach ohnehin gleich umkippen.

Sie konnte sich nicht erklären, warum ihr das alles immer noch so wehtat. Schon seit Jahren war sie Amos gegenüber vollkommen abgestumpft, hatte noch nicht einmal mehr Angst. Zu lieben gab es da schon lange nichts mehr, denn der Mann hatte sich mit unzähligen Flaschen Whiskey selbst zerstört. Wenn er jemals anders gewesen war, dann war es damit bei ihrer Geburt jedenfalls schon vorbei gewesen. Aber irgendwie glaubte sie, dass er sich nicht viel verändert hatte. Er war einfach die Art Mensch, die immer andere für die eigene Misere verantwortlich machte, anstatt selber etwas dagegen zu unternehmen.

Wenn er manchmal nüchtern war, konnte Faith erahnen, was Renee seinerzeit an ihm anziehend gefunden hatte. Amos war etwas größer als der Durchschnitt und besaß einen drahtigen Körper, der niemals Fett angesetzt hatte. Sein Haar war noch immer dunkel, wenngleich es auch ein wenig schütter geworden war. Man konnte ihn noch immer als gutaussehenden Mann bezeichnen – sofern er nüchtern war. Betrunken wie jetzt jedoch, unrasiert, mit unordentlich und fettig herabhängendem Haar, rotgeschwollenen, alkoholisierten Augen und aufgedunsenem Gesicht gab es überhaupt gar nichts, was man hätte attraktiv finden können. Seine Kleidung war voller Flecken und dreckig, und er stank gen Himmel. Seinem säuerlichen Atem nach zu urteilen hatte er sich an diesem Tag bereits mehr als einmal übergeben. Die Flecken auf der Vorderseite seiner Hose zeugten davon, dass er beim Wasserlassen nicht sehr umsichtig gewesen war.

Er trank schweigend die Flasche aus und rülpste laut. »Muss pinkeln«, verkündete er, stand taumelnd auf und ging auf die Eingangstür zu.

Faith hörte, wie der Urin auf die Türschwelle spritzte und eine Pfütze bildete, durch die jeder, der heute Nacht irgendwann zu Hause auftauchte, hindurchgehen musste. Sie würde gleich als Erstes morgen früh den Fußboden wischen.

Amos torkelte wieder ins Haus. Er hatte seinen Hosenschlitz nicht geschlossen, aber wenigstens war sein Geschlecht nicht zu sehen.

»Ich gehe ins Bett«, verkündete er und verzog sich. Faith sah ihn stolpern und sich am Türknauf wieder aufrichten. Er zog sich nicht aus, sondern fiel so, wie er war, auf das Bett. Wenn Renee nach Hause kam und Amos in seinen dreckigen Klamotten quer über dem Bett liegen sah, würde sie einen Riesenaufstand machen und alle im Hause wecken.

Innerhalb weniger Minuten hallte Amos’ lautes Schnarchen durch die beengte Baracke.

Faith stand eilig auf und ging zu dem kleinen Anbau am hinteren Ende des Hauses, den sie sich mit Jodie teilte. Nur Amos und Renee hatten ein richtiges Bett, alle anderen besaßen lediglich Pritschen. Sie machte das Licht an, eine einzige nackte Glühbirne, und streifte sich schnell ihr Nachthemd über. Dann zog sie ihr Buch unter der Matratze hervor. Jetzt, wo Scottie schlief und Amos schnarchte, hatte sie aller Wahrscheinlichkeit nach ein paar friedliche Stunden für sich, bevor die anderen wieder eintrudelten. Amos kehrte immer als Erster zurück, verließ allerdings auch am Morgen als Erster das Haus.

Sie hatte gelernt, jede Gelegenheit zur Entspannung zu nutzen und den Augenblick zu genießen. Sie hatte viel zu wenige solcher Augenblicke in ihrem Leben, als dass sie sie einfach verstreichen lassen könnte. Sie liebte Bücher und las alles, was ihr in die Hände fiel. Es hatte etwas Wunderbares, wie man die Wörter aneinanderreihen und dadurch eine ganz neue Welt erschaffen konnte. Beim Lesen konnte sie diese vollgestopfte Baracke hier vollkommen vergessen. Sie durfte aufregende Welten voll Schönheit und Liebe betreten. Wenn sie las, dann glaubte sie jemand anderes zu sein, jemand, der Respekt verdiente. Und nicht eine von diesen heruntergekommenen Devlins.

Sie hatte jedoch auch gelernt, nicht in Gegenwart von Papa oder den Jungen zu lesen. Wenn es glimpflich abging, dann machten sie sich lediglich lustig über sie. Wenn sie aber übler Laune waren, dann konnte es passieren, dass sie ihr das Buch entrissen und es ins Feuer oder in die Toilette warfen. Wenn sie dann hektisch versuchte, das Buch zu retten, wollten sie sich nicht mehr einkriegen vor Lachen, ganz so, als ob es das Komischste sei, was sie jemals gesehen hätten. Renee warf ihr manchmal vor, dass sie ihre Zeit mit Lesen verschwendete, anstatt sich um andere Dinge zu kümmern, aber immerhin nahm sie ihr die Bücher nicht weg. Jodie machte sich zwar manchmal über sie lustig, aber im Grunde genommen war es ihr vollkommen gleichgültig, was ihre Schwester tat. Sie konnte schlicht nicht begreifen, warum Faith ihre Nase lieber in ein Buch steckte, als sich zu amüsieren.

Diese kostbaren Momente allein, wenn Faith in Frieden lesen konnte, waren der Höhepunkt des Tages – ausgenommen die Tage, an denen sie Gray gesehen hatte. Manchmal glaubte sie, ohne Bücher wahnsinnig zu werden und ohne Unterlass schreien zu müssen. Aber ganz gleich, was Papa auch tat, ganz gleich, wer über ihre Familie schlecht sprach, ganz gleich, was Russ und Nicky trieben und wie sehr Scottie auch kränkelte, wenn sie ein Buch vor sich hatte, dann konnte sie sich darin verlieren. Und heute hatte sie reichlich Zeit zum Lesen und konnte sich in die Geschichte der Rebecca vertiefen. Sie legte sich auf ihre Pritsche, zog die Kerze unter ihrem Bett hervor, zündete sie an, stellte sie neben sich und lehnte ihren Rücken gegen die Wand. Das Kerzenlicht, so schwach es auch sein mochte, machte das grelle Licht der Glühbirne wett. Sie erlaubte es ihr zu lesen, ohne die Augen allzu sehr anzustrengen. Eines Tages würde sie sich eine Lampe kaufen. Sie stellte sich eine richtige Leselampe vor, die ein weiches, helles Licht verbreitete. Zusätzlich würde sie noch eines dieser Lesekissen besitzen und es sich in den Rücken klemmen.

Eines Tages.

Es war schon fast Mitternacht, als sie den Kampf mit ihren schweren Augenlidern aufgab. Sie hasste es, wenn sie aufhören musste, da sie keine Minute dieser wertvollen Zeit verschwenden wollte. Aber sie war so müde, dass sie sich gar keinen Reim mehr aus den Worten machen konnte. Die Worte aber zu verschwenden war noch viel schlimmer, als die Zeit zu vertrödeln. Seufzend stand sie auf, legte das Buch in sein Versteck zurück und löschte das Licht. Dann kroch sie zwischen die Laken, wobei die Pritsche unter ihrem Gewicht ächzte, und blies die Kerze aus.

Paradoxerweise konnte sie in der plötzlichen Dunkelheit nicht einschlafen. Sie wälzte sich auf der schmalen Pritsche, halb dösend, halb wachträumend hin und her und durchlebte noch einmal die geheimnisvolle Liebesgeschichte des eben gelesenen Buches. Sie hörte Russ und Nicky kurz vor ein Uhr vorfahren. Rücksichtslos laut torkelten sie ins Haus und lachten schallend über irgendetwas, das ihre Saufkumpane sich an diesem Abend geleistet hatten. Beide waren noch minderjährig. Aber etwas so Unwichtiges wie das Gesetz hatte einen echten Devlin noch nie an irgendetwas gehindert. Die Jungen konnten sich zwar nicht in Kneipen sehen lassen, aber es gab noch genügend andere Quellen, um sich Alkohol zu beschaffen. Manchmal stahlen sie ein paar Flaschen, manchmal überredeten sie andere Leute, Alkohol für sie zu kaufen. Das wiederum bedeutete, dass sie das Geld dafür gestohlen hatten. Keiner der beiden hatte eine Arbeit, weder Teilzeit noch sonst irgendeinen Job, weil niemand sie anstellen wollte. Es war schließlich stadtbekannt, dass die Devlin-Jungs einen bis auf das Hemd auszogen.

»Der alte Poss«, kicherte Nicky. »Braaach!«

Diese Bemerkung reichte, um bei Russ einen Schluckauf zu provozieren. Von den wenigen Satzbrocken, die Faith mitbekam, schien es so, als ob ›der alte Poss‹, wer immer das auch sein mochte, sich bei einem lauten Knall erschreckt hatte. Die Jungen schienen das zum Schreien komisch zu finden, würden sich aber vermutlich schon am nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern können.

Sie weckten Scottie, der aber nur grunzte, nicht weinte. Also blieb sie in ihrem Bett. Sie wäre nur äußerst ungern im Nachthemd in das Zimmer ihrer Brüder gegangen. Dennoch hätte sie es getan, wenn Scottie ängstlich geworden und in Tränen ausgebrochen wäre. Aber Nicky sagte: »Sei ruhig und schlaf wieder.« Daraufhin verstummte Scottie. Innerhalb weniger Minuten schliefen sie alle, und das Schnarchen hob und senkte sich in der Dunkelheit.

Eine halbe Stunde später kam Jodie nach Hause. Sie war leise, jedenfalls versuchte sie leise zu sein. Sie ging auf Zehenspitzen durch das Zimmer und trug ihre Schuhe in der Hand. Der Gestank von Bier und Sex hing an ihr, eine ekelerregende gelb-rot-braune Mischung. Sie machte sich nicht die Mühe, sich auszuziehen, sondern ließ sich zufrieden seufzend auf ihre Pritsche fallen.

»Bist du noch wach, Faithie?«, fragte sie kurz darauf mit lallender Stimme.

»Ja.«

»Das dachte ich mir. Du hättest mit mir mitkommen sollen. Wir hatten jede Menge Spaß, echt.« Der letzte Satz hatte einen tiefen erotischen Unterton. »Du weißt gar nicht, was du verpasst, Faithie.«

»Dann verpasse ich doch gar nichts, oder?«, flüsterte Faith, und Jodie kicherte.

Faith fiel in einen leichten Schlaf und horchte nach Renees Auto. Dann erst würde sie sicher sein, dass alle wieder wohlbehalten zu Hause waren. Zweimal fuhr sie aus dem Schlaf hoch. War Renee von ihr unbemerkt zurückgekommen? Sie stand auf und ging ans Fenster, um nach dem Auto ihrer Mutter zu sehen. Es war noch nicht da.

In jener Nacht nämlich kam Renee überhaupt nicht nach Hause.

3

»Papa ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen.«

Monica stand mit vor Sorge verzerrtem Gesicht am Fenster des Esszimmers. Gray aß weiter sein Frühstück. Es gab nur wenig, was ihm den Appetit verderben konnte. Das also war der Grund, warum Monica schon so früh auf den Beinen war, wo sie sich doch gewöhnlich erst gegen zehn oder auch später aus dem Bett schälte. Hatte sie nicht geschlafen, sondern die ganze Nacht auf Guys Rückkehr gewartet? Seufzend fragte er sich, was Monica gegen Guys Ausflüge unternehmen wollte, etwa ihn ohne Abendbrot ins Bett schicken? Er konnte sich nicht erinnern, dass Guy jemals auf Affären verzichtet hatte, wenn auch Renee Devlin viel ausdauernder an seiner Seite blieb als alle anderen davor.

Seiner Mutter Noelle war es vollkommen gleichgültig, wo Guy seine Nächte verbrachte, solange sie diese nicht mit ihm teilen musste. Sie tat einfach so, als ob es Guys Affären gar nicht gäbe. Weder sie noch Gray maßen ihnen irgendwelche Bedeutung bei. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn es Noelle belastet hätte, das war aber überhaupt nicht der Fall. Es lag nicht daran, dass sie Guy nicht mehr liebte. Gray glaubte schon, dass sie dies auf ihre Art und Weise tat. Aber Noelle hatte eine starke Abneigung gegen Sex. Sie mochte es nicht, berührt zu werden, noch nicht einmal ganz beiläufig. So war es die beste aller Lösungen, wenn Guy sich eine Freundin hielt. Noelle gegenüber benahm er sich immer korrekt. Und obwohl er keinerlei Anstrengungen unternahm, seine Liebschaften zu verheimlichen, so war doch Noelles Stellung als Ehefrau unantastbar. Es war ein sehr altmodisches Arrangement, auf das seine Eltern sich geeinigt hatten. Gray kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er als späterer Ehemann ein solches Arrangement für sich nicht gutheißen würde. Dennoch kam es seinen Eltern sehr entgegen.

Monica aber war unfähig, die Sache in diesem Licht zu betrachten. Anders als Gray stellte sie sich ganz auf die Seite ihrer Mutter und glaubte, dass Noelle die Affären ihres Mannes verletzten. Gleichzeitig jedoch vergötterte Monica ihren Vater. Nie war sie glücklicher, als wenn er ihr seine Aufmerksamkeit zuteilwerden ließ. Sie hatte eine feste Vorstellung davon, wie eine Familie zu sein hatte: Sie musste eng zusammenhalten, einen liebevollen Umgang miteinander pflegen, sich immer gegenseitig unterstützen, und die Eltern sollten einander vollkommen ergeben sein. Ihr ganzes Leben hatte sie damit verbracht, ihre eigene Familie diesen Vorstellungen zu unterwerfen.

»Weiß Mama Bescheid?«, fragte Gray ruhig. Er unterdrückte die Frage, ob Monica tatsächlich glaube, dass Noelle Guys Abwesenheit etwas ausmachen würde, selbst wenn sie davon wüsste. Manchmal tat ihm seine Schwester richtig leid, aber auf der anderen Seite liebte er sie und wollte ihr nicht wehtun.

Monica schüttelte den Kopf. »Sie ist noch nicht aufgestanden.«

»Warum machst du dir dann solche Gedanken? Wenn sie aufgestanden ist und er dann nach Hause kommt, wird sie annehmen, er habe heute Morgen schon etwas zu erledigen gehabt.«

»Aber er ist mit ihr