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In rund 25.000 gereimten Versen erzählt dieses Buch eine unbekannte Episode des Trojanischen Krieges, versetzt in eine mittelalterlich angehauchte Welt von Burgen, Hofintrigen und Rittern in strahlender Rüstung. An der Oberfläche finden sich die Abenteuer des jungen Helenos und seines Blutsbruders Petros im Kampf zwischen ihrem Traum, die Welt zu verändern, und der herben Realität von Krieg, Verrat und dunkler Vergangenheit. Unter der Oberfläche aber durchzieht eine Fabel über die ewig gültigen Bedingungen des menschlichen Daseins dieses Buch, die alles zusammenhält und alles miteinander verbindet. Es handelt sich um das dritte Werk von Hansjoachim Andres.
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Seitenzahl: 887
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Wer mich näher kennt, weiß vielleicht, dass ich seit einigen Jahren immer wieder ein Buch zur Sprache gebracht habe, an dem ich arbeite. Es trägt den Titel „Der Tempel der Hathor“ und wird ein durchkomponierter Gedichtband sein. Die Veröffentlichung desselben verzögerte sich Jahr um Jahr und es ist an der Zeit, ihn zu beenden.
Wie allerdings bereits ein Blick auf das Cover des vorliegenden Buches lehrt, handelt es sich bei „Helenos und Helena“ nicht um diesen Band, sondern um ein anderes Werk. „Helenos und Helena“ ist zwar im Umkreis dieses anderen Buches entstanden und enthält einige Ideen dessen gewissermaßen in nuce, erzählt aber im Gegensatz zu diesem eine abgeschlossene und durchgängige Geschichte, soweit eine solche Geschichte abgeschlossen sein kann.
Die Grundlage der Handlung bietet eine Angabe des antiken griechischen Schriftstellers Parthenios von Nikaia, der in seiner Sammlung tragischer Liebesgeschichten unter Berufung auf ältere Dichter auch die vorliegende skizziert.
Dies geschieht allerdings in einer solchen Knappheit, dass nichts außer der Beziehung zwischen Helenos (Korythos), Helena und Paris entnommen wurde und damit lediglich der Ausgang der Geschichte auf den allerletzten Seiten meines Buches. Selbst dieser aber ergibt sich nur, wenn man die Angaben des Parthenios neu kombiniert. Der wesentliche Gang der Handlung und die Details sind damit frei erfunden, wenn auch mit Anspielungen auf zahlreiche antike und moderne Schriftsteller. Die Charakterisierung der handelnden Personen weicht ebenso von hergebrachten antiken Darstellungen – besonders der Homers – ab, wie die mittelalterlich angehauchte Fantasiewelt, in welcher mein trojanischer Krieg angesiedelt ist. Will man die Handlung in die konventionelle Erzählung dieses Krieges einbetten, muss man den drastischen Unterschied bemerken, dass der Trojanische Krieg im vorliegenden Buch auch nach zwanzig Jahren nicht beendet ist, als die hier geschilderte Handlung einsetzt. Man könnte sich die in der Ilias beschriebenen Kriegsereignisse dann im Anschluss an die hier dargestellten Gegebenheiten denken. Aber diese Einordnung ist wahrscheinlich eher für Leute interessant, die sie sowieso erkennen würden.
Ansonsten liegt mit dem Buch der besondere Fall vor, dass die wichtigsten Angaben tatsächlich dem Titel zu entnehmen sind:
Erstens ist offenkundig, dass es sich nicht um den Trojanischen Krieg handelt, sondern um einen trojanischen Krieg, der die Überlieferung im Dienste seiner Aussage neu gestaltet.
Zweitens umschreibt das Wort „Fabel“, dass dieses Buch weder ein psychologisch ausgefeilter Roman, noch eine fantastische Geschichte, noch ein Epos mit einer in sich geschlossenen Welt ist, sondern eine gleichnishafte Erzählung, bei welcher der Gang der Handlung und die Charakterisierung der handelnden Personen komplett der Beschäftigung mit einem einzelnen Thema und einer einzelnen Aussage unterworfen sind. So ist die vorliegende Märchenwelt der Ritter und Burgen nicht in sich kohärent oder besonders ausgefeilt, sondern nur darauf angelegt, intuitiv verständlich zu sein und so nicht die Aufmerksamkeit zu beanspruchen, die vielmehr jener Aussage zukommen sollte, auf welcher der alleinige Fokus liegt. Auch die Doppelbedeutung der Fabel als einerseits einer gleichnishaften Erzählung und andererseits der lateinischen Übertragung (fabula) des griechischen „Mythos“ kommt zum Tragen.
Drittens benennt der Titel „Helenos und Helena“ völlig korrekt den Protagonisten der Geschichte. Es ist weder Helenos noch Helena, sondern vielmehr das „und“, welches die beiden verbindet.
Damit ist aber fürs Erste genug gesagt, denn schließlich kann die Geschichte für sich selbst sprechen und soll letztlich auch als eine mehr oder weniger spannende und abenteuerliche Erzählung Vergnügen bereiten.
Das vorliegende Buch wurde im Zeitraum von Dezember 2016 bis Mitte April 2017 während meiner Freizeit geschrieben. Eine skurrile Schlussbemerkung mag sein, dass ich 2011 in „Verserzählungen, Gedichte und Balladen. Band 1“ angekündigt habe, ein Folgeband werde mehr Verserzählungen beinhalten. Wie man den Inhalt von „Helenos und Helena“ auch klassifizieren will; mit rund 25.000 Versen erlaube ich mir, zu sagen: Diese Ankündigung ist erfüllt.
Hansjoachim Andres
„.Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“
Matthäus 26,52
Von irgendwo kommt eine Straße her und irgendwo führt sie schlussendlich hin, die Wolken ziehen nicht von ungefähr und auch der Wind im Korn hat seinen Sinn in Wirklichkeit doch schon von Anbeginn und niemand fängt den Bau der Straße an, bevor er nicht ihr Ende nennen kann.
Erstes Buch: Träume
Zweites Buch: Freundschaft
Drittes Buch: Hinterhalt
Viertes Buch: Entscheidung
Fünftes Buch: Turnier
Sechstes Buch: Verschwörung
Siebentes Buch: Schlacht
Achtes Buch: Konfrontation
Neuntes Buch: Verrat
Letztes Buch: Schicksal
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Es war einmal; der Wind ging in den Feldern
und in den Lüften waberte das Korn,
die Kühle lag weit hinten in den Wäldern,
die Julihitze aber stand weit vorn.
Da ging ein Weg durch Äcker voller Ähren,
auf beiden Seiten bis zum Horizont,
wo sich, die Wolkendecken zu durchqueren,
ein schneebedeckter Bergesgipfel sonnt.
Und dieser Weg lief hin auf eine Feste,
in Weizenfelder sauber eingesäumt,
wie man sich den Damaststoff auf das beste
mit rotem Mohn auf goldnem Grund erträumt.
Die Mauern standen weiß und weit erhaben
war ihr Gesichtskreis bis zum Meeresstrand,
wo Wellen man, des Meeres beste Gaben,
nur fortgesetzt in Weizenfeldern fand.
Und ab und an malt träge graue Flächen,
die sich bewegen, aber langsam nur,
ein Wolkenband, aus dem die Schatten brechen,
in die ansonsten bunteste Natur.
Vom höchsten Turm zeigt sich der späte Sommer
in einer beinah unbekannten Pracht –
es ist der ganze Blick auf ihn als komm er
ganz wie der Morgen aus der tiefen Nacht.
Und dort am Wehrgang auf der höchsten Mauer,
wo Bienen summen und der Adler baut,
die kleinen Echsen sich auf ihre Lauer
zur Wärme legen und das Bilsenkraut
aus feinen Rissen schaut, da ist der Posten,
der Feld an Feldern tief im Tal bewacht
und auch den weiten Weg in Richtung Osten
im Notfall durch ein Leuchtsignal entfacht.
Im Wehrgang aber stand zu dieser Stunde
ein junger Mann mit unbedachtem Blick,
der nun zuweilen in die weite Runde,
zuweilen seitwärts ging und meist zurück.
Er stütze sich mit beiden Unterarmen
auf das Geländer und sein eines Bein
stand fest auf den vom Nachmittag so warmen
und groben Bohle, dort im Sonnenschein,
derweil das andere wie unbeschäftigt
das Standbein mit dem Stiefel überkreuzt
und angelehnt und gleichfalls unbedächtig
den umgedrehten Fuß zu Boden spreizt.
Der junge Mann, der so bei seiner Wache
am Nachmittag die großer Wärme spürt,
stand unter einem Banner, das ein Drache
in schwarz auf dunkelgelbem Grunde ziert.
Er ließ die blauen Augen in die Ferne
und in sich selbst versinken, in den Grund,
der wie ein Abendhimmel ohne Sterne
ganz tief und weit war, ohne Bank und Sund.
Und seine weichen Züge ließen wenig,
gar nichts erahnen, was darin verschwand,
sie waren letztlich nur sich selber ähnlich
und allen andern daher unverwandt.
Und auch die hohen Wangen und die Lippen,
gerundet weich und aus der Tiefe Rot,
die glichen nur den kreidebleichen Klippen
aus denen nichts klafft, außer manchmal Tod,
gerahmt von braunem Haar, das beide Schultern
ganz wie das Laub der Haselnuss berührt,
das so, als sei es rein und jeder Schuld fern
in einer Gerade fort vom Scheitel führt.
Sein Name: Helenos; und sein Gebaren,
das lässt sich nicht vergessen durch die Zeit,
so viele Jahre auch dazwischen waren,
es steht noch wie am ersten Tag bereit.
Die Sonne glänzte über seine Kleider,
die nicht für ihn in einem fernen Land
ein über alles Maß begabter Schneider
aus Stoff und Stahl vernietete und band.
So eine braun gefärbte Brigandine,
mit goldnen Nieten und von grünem Stoff,
der aus den Kettengliedern und den Schienen,
selbst durch die braune Oberfläche troff
als flösse Wasser auch von seinen Armen,
in jadegrün, wo seidne Wellen gehn,
bis sie – in diesen Tagen viel zu warmen –
gesteppten braunen Lederhandschuhn stehn.
Und auch die Hosen sind von grüner Farbe,
die hohen Stiefel aber wieder braun
dass grün und braun wie eine frische Garbe
das ganze Waffenkleid ist anzuschaun.
Im Gürtel aber, der mit Gold beschlagen
und um das Wehrgehenk gewunden ist,
muss eine Scheide eine Waffe tragen,
die einst aus fernem Land verschwunden ist.
Ein nie gesehnes Ding in schwarzer Scheide,
sein Heft wie Silber und von schmalem Stahl,
aus dem nicht nur die fingerdünne Schneide,
vielmehr auch noch ein Korb aus einer Zahl
von vielgewundnen Stäben sich verbreitet
und bis zum Knauf die schlanke Hand umschließt,
sich an der stärksten Stelle wieder weitet
und wie ein Brunnen auf- und niederfließt.
Daneben aber, auf der andern Seite,
hängt schwarz in eine Scheide eingefasst,
ein gerader Dolch, der in Gewicht und Breite
durch Zufall zu der andern Waffe passt.
Ein leichter Griff, die Form der Hand umschreibend,
in Ebenholz, mit Silber austauschiert,
nach oben hin zu einem Knauf hintreibend,
nach unten breiter zum Parier geführt,
dass sich Parier und Knauf entsprechend gleichen
und halbmondartig ihre Form ausläuft,
bis sie zum Schluss der breiten Klinge weichen,
auf der sich prächtig die Verzierung häuft,
die aber schon in Ätzung und Gravuren
zum Teil verblichen und verrostet ist,
denn lange Jahre haben ihre Spuren
– so oft die Klinge auch gebürstet ist –
in Fraß und Abrieb, Splittern, hinterlassen,
dass von der mittig aufgebrachten Schrift
nicht mehr als nur ein Zeichen zu erfassen,
ein letztes Zeichen nur zu lesen ist.
Das Zeichen „P“, der Rest ist schon verblichen.
Die dunkle Scheide konnte nichts dafür,
ihr Silber ist noch keinem Schwarz gewichen
und glänzt vom dunklen Grund noch für und für.
Im Hintergrund, am Wehrgang, den die Hitze
noch immer aufheizt und die Luft durchzieht,
bis sie erneut durch weite Mauerschlitze,
für Armbrustschützen, das Gemäuer flieht,
lehnt träg ein runder Schild mit Lorbeerzweigen
in Grün und Gold und neben ihm ein Helm
kann das Gesicht des jungen Trägers zeigen,
im Grunde nur ein Bogenschützenhelm,
zwar Scheitel, Schläfen und zum Teil die Wangen,
nicht aber Augen, Mund und Nase schützt,
wo nichts, um fremde Schläge abzufangen,
als das Geschick des Waffenträgers sitzt.
So stand nun Helenos und sah nach unten,
hinaus, hinüber in das weite Tal,
der Nachmittag war noch nicht ganz verschwunden
und Wolken trieben in geringer Zahl,
die weich und weiß in vielen Formen kamen,
in vielen gingen und ein dichtes Bild,
von Rittern, Heeren, Helden mit sich nahmen,
das Träume antreibt, aber keine stillt.
„Und Feierabend!“, von den schweren Stufen
kommt Petros eilig aus dem Treppenhaus
und tritt nach schnellen Schritten unter Rufen
schlussendlich auf den offnen Gang hinaus.
Und Helenos sieht zu dem Mann hinüber,
der älter ist als er, doch noch nicht alt,
und durch den Bogengang zu ihm herüber,
wo jeder seiner Schritte widerhallt,
nach außen tritt und gleichfalls in die Runde,
die weiten Felder und die Sonne blickt,
die immer noch zu fortgeschrittner Stunde
im Juliwetter den Betrachter drückt.
Er sieht die Welt aus dunkelbraunen Augen
mit dünnen Falten links und Falten rechts,
die mehr zum Lachen als zum Weinen taugen
und Zeichen eines südlichen Geschlechts,
der Menschen aus den hohen Bergen tragen,
die eine Sonne rein und klar begrüßt,
die nicht von Nebelbank und Regentagen
die Hälfte ihrer großen Kraft einbüßt.
Und von den schwarzen kurzgeschnittnen Haaren,
die eine Locke auf der breiten Stirn
nach links und rechts in gleichem Maß umfahren,
reicht eine Linie über das Gestirn
der beiden Augen; die gewölbten Brauen,
sie weisen auf die starke Nase hin,
die neben kräftig aufgebauten Wangen
die Flucht zieht auf das unrasierte Kinn
und schließlich auf den Hals, in seiner Breite,
der eine Macht zumindest ahnen lässt,
die so auch in der angespannten Seite
die Kraft in streng geformte Bahnen lässt,
von denen alle Glieder wie durchflossen,
die Arme hart und wie durchzogen sind,
die Muskeln fast wie in Metall gegossen,
die Sinne überall durchflogen sind.
Der Mantel dieses Mannes auf den Schultern
steckt fest in einer Fibel, goldberingt,
die so, als sei dem Träger die Geduld fern,
im Stoff durch immer neue Löcher dringt.
Der ist von grober Wolle, dunklen Tönen,
im Tartanmuster grün, rot, braun kariert,
wobei die grobe Machart zu versöhnen
ein feines Netz von Linien drüberführt.
Auch unter diesem Mantel sind die Farben
gedeckt und trüb, ein dunkles Kettenhemd
liegt auf dem Gambeson, das manche Narben
verdeckt und auch ein Zeichen, dass hier fremd
und ungewöhnlich ist in diesen Breiten.
Der Gürtel hält die Waffen und das Kleid,
das letztere geschnürt an beiden Seiten,
die ersteren zum schnellen Zug bereit.
Ein Dolch mit Nägeln an dem Griff beschlagen,
der wie aus einem Stück gedrechselt ist,
in einer Scheide dergestalt zu tragen,
dass er schnell aus- und eingewechselt ist.
Und andernfalls hängt an der linken Seite,
ganz nackt mit starker Klinge ein Falchion,
das seine hinten schmale, vorne breite
gekrümmte Klinge wetzt am Gambeson.
Die Hose ist so schlicht wie auch die Wickel,
die gelblich-weiß um beide Waden gehn,
und die gestützt von einem Strick schnell
am Morgen schon in flachen Schuhen stehn.
Den Helm trägt Petros nun an seinem Gürtel,
den Schild in einer Hand, es zeigt sein Bild
das Festungsbanner und die Form ein Viertel
des Kreises – mandelförmig ist sein Schild.
Der Brillenhelm schützt auch die Schläfenseiten
und deckt die Augen wie die Nase ein,
damit die Schläge weg vom Eisen gleiten
und damit letztlich auch von Mark und Bein.
Nun jedenfalls stand Petros am Geländer
und blickte gleichfalls in das weite Tal,
die Ebene, den Tag und all die Länder,
bis hin zum Meer und Wolken ohne Zahl.
Und Petros fragt auf einmal Helenos:
„Und gibt's da was zu sehn?“ – „Nicht unbedingt.“
„Wie dann bedingt?“ – „Weißt du, ein Wolkenschloss
wie das da, lässt mich fragen, wie gelingt
es eigentlich, dass diese Welt so herrlich
und groß ist und an jedem Tag so schön,
trotzdem seit zwanzig Jahren nun gefährlich
die Heere jedes Jahr vorüberziehn.“
Und Petros legt die Hand auf seine Schulter:
„Ich denke mir, das ist der Lauf der Welt.
Die dreht sich weiter, auch wenn keiner Schuld wär,
egal ob einer aufsteht oder fällt.“
Und Helenos sieht trübe in die Tiefe,
doch dreht auch er sich dann zum Gehen um,
ganz so als ob da etwas in ihm schliefe,
dass einstmals schreit – doch noch war alles stumm.
Im Gehen redet Petros weiter: „Endlich
ist Wachablösung, heute war mir so
als wäre jede Stunde länger, stündlich
war eine dieser langen Stunden wo,
du dich nur fragst, wie lange unsre Schichten
denn dauern können, bis die Wache kommt.“
Es nickt auch Helenos, ihm beizupflichten,
als aus dem Flur im ersten Stockwerk prompt
(sie waren schon ein Stück treppab gestiegen)
Alan zu seiner nächsten Schicht erscheint.
„Hat alles seine Ordnung?“ – „Hier, es liegen
die Schlüssel schon bereit“, wie Petros meint.
Und Helenos reicht ihm die Schlüssel weiter
und beide nehmen ihren Weg zur Tür,
nachdem die Treppen auf dem Weg schon breiter
und jedes Stockwerk breiter wurden für
die Flure, die nach links zum Palas gehen,
doch beide nehmen ihren Weg so fort,
bis sie im warmen Licht des Tages stehen
und damit auch im Innenhof, wo dort
an einer Mauer eine überdachte
und beiden angestammte Bank besteht,
da eingetaucht im Schatten eine sachte
und fern vom Meer noch kühle Brise weht.
Als sie die ganze Lage überflogem,
und eilig ihre Waffen abgelegt,
die Rüstungsteile haben ausgezogen,
die Gambesons, die jeder drunter trägt,
erfrischen sie sich nun in Hemd und Hose
am Brunnenwasser, anfangs innerlich,
dann schnüren sie die Oberkleider lose
nach beiden Seiten auf und waschen sich.
Und schließlich setzen sich die Männer wieder
mit dem Gesicht zum Hof auf ihrer Bank,
so wie es sich ergibt, zur Ruhe nieder.
Am Fuß der Bank treibt träge ein Gerank
von Efeu, der sich auch an einer Mauer,
die gegenüberliegt, verbreitet hat,
an deren linkem Ende der Erbauer
den Turm zur Plattform ausgeweitet hat,
wogegen sich der rechte etwas stärker
zu einem Turm mit hoher Krone streckt
und ausgebaut mit Zinnenkranz und Erker
dem Feind in andrer Art entgegenreckt.
Daneben schließt das Torhaus seine Gatter,
das gut bemannt im Abendlicht erstrahlt,
und nun durch Projektion in Licht und Schatten,
ein Gitter in den gelben Burghof malt.
Noch ist dort überall das rege Treiben
des Mittags und des Nachmittags in Gang,
wo manche in den Nebenbauten bleiben
und manche an dem Mauerfuß entlang
des Innenhofes ihre Rüstung glätten,
die Waffen putzen und was nötig ist,
was überfällig ist und was sie hätten
erledigt haben müssen in der Frist.
Auch Mauern reparieren und die Ställe,
die Küchenarbeit in der Abendzeit,
zu jedem steht ein Trupp für alle Fälle
geschäftig, wenn es nötig ist, bereit.
Und viele gehen noch in Eisenhüten
mit Brigandinen, Waffen in der Hand,
im Wehrgang, um die Festung zu behüten,
und spähen in das abendliche Land.
Auch Petros hat ein Schwert zur Hand genommen
und reinigt das Falchion so gut es geht:
„Ich muss mal zusehn, an ein Schwert zu kommen,
das meiner Art ein bisschen besser steht.
Ich bin es nicht gewohnt.“ Doch gegenüber
sagt Helenos: „Hast du denn auch gemerkt,
dass Alan, als wir da an ihm vorübergegangen
sind, am Schlüssel rumfuhrwerkt;
ich weiß nicht wie, als würde er was suchen,
er muss doch sowieso nichts schließen. Und
als würde er für sich ganz leise fluchen,
ich weiß nicht was. Denn unser Schlüsselbund
war ganz in Ordnung.“ Petros sieht herüber:
„Er war auch ziemlich angebunden als
er nach dem Schlüssel fragte und darüber
hinaus auch seltsam. Für den Fall des Falls
sind wir ja da.“ Er reinigt nun die Schneide
und schärft sie mit dem Stahl entsprechend nach,
dann zieht er auch den Dolch aus seiner Scheide,
aus der vor kurzer Zeit ein Splitter brach.
Und Helenos sieht aufwärts zu den Türmen,
zum höchsten, wo die hohen Wolken ziehn,
die gleich den Drachen und Laternenschirmen
im rotgefärbten Abendlicht erglühn,
vor blassem blauen Himmel, der nach Westen
vergoldet wird, doch noch im Tagesschein,
wenn auch die schwarzen Schatten an den Ästen
erahnen lassen: Es soll Abend sein.
Und auch die Vögel singen ihre Lieder
am Abend, wenn der Himmel neu erwacht,
und für die anderen zwölf Stunden wieder
sich ausschmückt mit dem Sternenglanz der Nacht.
Da kracht es plötzlich in der Nähe, lauter
und lauter wird Krawall, es kommt vom Turm
Trompetenhall, Alarm, die Wache schaut her,
die Feinde laufen in der Nähe Sturm!
Und Petros, Helenos verstehen eilig
die Lage und sind schnell am Zinnenrand,
sie haben sich im Rennen schon einstweilig
die Rüstung umgeworfen und zur Hand
die Waffen, als rundum im Hof das Laufen,
das Fluchen und die Ausrüstung beginnt,
das Brunnenwasser und der Sand in Haufen
in vorgesehene Gefäße rinnt.
Und Petros sieht nach unten auf die Strecke
des Landes, das die Festung übersieht,
derweil ein anderer im Gang mit Schrecken
den Aussichtspunkt samt seinen Waffen flieht.
Ganz in der Nähe zieht ein Trupp Achäer
heran und ist schon bald zum Sturm bereit.
„Gewöhnlich hätten die schon lang die Späher
entdecken müssen, wenn sie schon die Zeit
benötigt haben, bis hierher zu ziehen“,
sagt Helenos, als man das Tor begießt,
die andern sich befestigen zum Fliehen
und Helenos die Brigandine schließt.
Und Petros steht ganz ruhig auf seinem Posten,
die Armbrustschützen machen sich bereit
und messen schon den Wind aus Richtung Osten,
da sagt er: „Endlich. Wurde langsam Zeit.“
Nun nähert sich der Zug der weißen Festung
und teilt sich in gewohnter Weise ein,
die ersten zielen auf die Mauerbrüstung,
die rot beleuchtet nun im Abendschein
von Blut und wieder Blut das erste Zeichen,
den Vorgeschmack des Kampfgetümmels trägt,
da Schützen müde von den Zinnen weichen
und sich der Ansturm eine Bresche schlägt.
Die Feuerbecken werden da entzündet,
damit nicht noch das Angesicht der Nacht
den Sieg den einen aus den Händen windet
und neuerlich die anderen entfacht.
Es ist jedoch noch hell, als alle Posten
vergeben sind und jeder Platz besetzt,
die Augen aller endlich Richtung Osten,
die Schwerter alle messerscharf gewetzt,
die zweiten Reihen auf den Positionen,
die dritten in Reserve aufgebaut,
und allesamt bereit sind, nichts zu schonen,
und jedermann dem nebenan vertraut.
Die Feinde haben sich derweil am Rande
des Hügels mit Pavesen aufgestellt,
damit aus ihrem Schutz heraus im Stande
ein Bolzen auf den nächsten Bolzen fällt;
und neben ihnen rüsten sich zum Rammen
mit einem breiten Dach von Holz und Fell,
die Söldner, die mit anderen zusammen,
bedeckt von diesem schützenden Gestell,
den Rammbock an die Tore vorwärts schieben
und langsam näher kommen, Stück für Stück,
derweil die Männer auf den Mauern drüben
um Siege beten, Sicherheit und Glück.
Und endlich fällt das Zeichen von den Türmen
und mit ihm Schuss um Schuss ins Tal hinab,
wo nun, so lang die Stürme eben stürmen,
das nächste Feld zugleich ein Massengrab,
die Wiese Friedhof und das Leben Sterben,
der rohe Mut zum bloßen Wahnsinn wird,
wo Wissen, Denken und Gefühl verderben
und wer das Wahre glaubt im Glauben irrt.
Ein unfassbarer Lärm dringt an die Mauer,
da fester Stein die Schießenden bedeckt,
derweil der Pfeil wie blanker Hagelschauer
am nächsten Pfeile in der Mauer steckt.
Und langsam kriecht von Zinne hin zu Zinne
im Schutz der Mauer Helenos voran,
die Schlaufe seines Schildes weist nach innen,
die Außenseite deckt den Nebenmann,
bis er zu Petros, der mit Fuß und Hebel
die Armbrust spannt und für den nächsten Schuss
die Bolzen, spitz wie blankpolierte Schnäbel,
aus einer Tasche am Spalier benutzt,
vorangedrungen ist und an der Weste
in Richtung Hauptturm zieht mit einem Mal:
„Wo ist das Feuer, das jetzt brennen müsste,
um Hilfe ruft – und wo ist das Signal?“
Und Petros lädt schon nach: „Wenn wir hier fechten
kann ich dich nicht entbehren, nimm das mal.“
Er gibt ihm eine Armbrust und zur rechten
beauftragt er Naudoc, der halb in Stahl
mit seiner Armbrust auf die Feinde feuert,
da Schuss an Schuss in ihre Richtung dringt:
„Geh schnell zum Turm und sieh mal, was da dauert,
warum da keiner Glut zustandebringt.“
Da nickt Naudoc und lässt die festen Zinnen
im ersten Schritt, den Schutzwall, hinter sich
und wendet schon in Richtung Turm nach innen,
als aus dem Nichts und wie mit einem Zisch
ein Bolzen seinen Hals durchsticht und taumelnd
er niedersinkt und auf den Boden schlägt,
ein letzte Atem weicht aus seinem Gaumen,
bevor das Ende ihn von dannen trägt.
Und unten bricht mit einem Mal das Gatter,
die Tore öffnen sich, man weiß nicht wie,
und mit dem Licht des Abends in die Schatten
fällt auch die Schar der Feinde ein wie nie.
Als ginge eine Woge an die Klippen
stürmt alles ein und keine Gegenwehr,
zerschlagne Arme und gebrochne Rippen,
zerbricht die Welle, als von ungefähr
dort Petros an der rechten Stelle stehend
als erster in die weite Bresche springt
und mit dem Schwert und Waffen unversehens
hinunter in die Schar der Feinde dringt.
Es halten kurz die klaffend weiten Breschen,
als Gegendruck den Ruck der Schlacht eindämmt;
das Korn war reif in dieser Zeit zum Dreschen,
und Zeit, dass sich der Wind dagegenstemmt.
So wütet Petros unter ihrer Masse
mit schnellen Schritten, jeder Schlag gelingt,
da jeder so, dass alle Schnitte fassen
und alle sitzen, in den nächsten dringt.
Ein Schlag nach rechts und mit dem Schild zur Linken,
ein Tritt zur Seite, mit dem Kopf nach vorn,
dass allseits Glieder, Körper niedersinken
und Petros wütet nun in seinem Zorn.
Und Helenos sieht die bedrängte Lage,
doch immer noch den Turm, der ohne Licht
am Abendhimmel rot, doch wie am Tage,
in dunkler Farbe in den Himmel sticht.
„Und Petros hält das durch.“ Er rennt zur Seite
mit schnellen Schritten, eilt den hohen Gang
ganz wie im Flug, durchmisst der Festung Breite,
und rennt den Pulk der Kämpfenden entlang,
als plötzlich vor dem Weg, der aufwärts leitet,
ein andrer Trupp Achäer aufgebaut,
zum Kampf gestellt und zum Gefecht bereitet,
auf Helenos, ganz außer Atem, schaut.
Er atmet aus und zieht die schmale Klinge,
schrill sausend fährt sie durch den Abendwind,
ein heller Adler breitet seine Schwingen,
die beiderseitig scharf geschliffen sind.
Der erste kommt und hebt das Schwert nach oben,
die Klinge dringt ihm durch das Lederwams,
er sinkt, das Schwert noch immer halb erhoben,
das Wams jedoch von rotem Blut entflammt.
Der zweite schlägt, sein Harnisch ist von Eisen,
der Helm von Stahl, dazwischen Kettenhemd,
bis niederfallend in zwei gleiche Schneisen
ein Stich die Ketten auseinanderstemmt.
So liegen zwei am Boden und die Klinge
fährt sausend durch die angespannte Luft;
und mit dem Schild zur Linken harrt der Dinge
bereit zum Kämpfen Helenos, da ruft
von hinten nun, er trifft mit schweren Schritten
in Richtung Schauplatz ein, ein Berg von Mann,
und stemmt sich selbst und seine Macht inmitten
des Raumes, welchen er sich bahnen kann,
und steht im Licht der Feuerkörbe glühend
von rot und gelb, als schauderhafter Glanz
auf seine Rüstung fällt, die feuersprühend
in eben diesen Farben ganz und ganz
bemalt und infernalisch ausgestattet,
mit Teufelsfratze, Zähnen am Visier,
von Feuer rot und Finsternis beschattet,
und insgesamt so wie ein Höllentier,
dass seinen Rachen aufreißt, angestrichen
und furchterregend zu betrachten ist.
Und in der Hand, der andre Krieger wichen,
die stark und schwer, nicht zu verachten ist,
hält er den Dreizeck in die weite Runde,
die sich gebildet hat von Freund und Feind,
da dieser in der fortgeschrittnen Stunde
der ungespielte Gottseibeiuns scheint.
Da lüftet er ein Stück weit die Visiere
und Schatten liegen schwarz auf dem Gesicht,
dass einem noch viel fürchterlichren Tiere
zumindest in der Angst der Nacht entspricht:
„Mein Name ist Gibourc!“, es dröhnt von unten,
„Ich bin der beste Kämpfer dieser Schlacht.
Du konntest zwar zwei Sterbliche verwunden
doch nicht die Fleisch und Blut gewordne Nacht.“
An seiner Waffe rasselt eine Kette,
die goldenschwarz bis hin zum Gürtel führt,
dass seine ganze dunkle Silhouette
den Seelenfänger Kerberos beschwört.
Er steht komplett in Eisen eingeschlagen,
da richtet Helenos sein Schwert zurecht.
Er kann ihm wirklich keine Wunden schlagen,
zumindest mit der Klinge geht es schlecht.
Doch irgendwo muss ja ein Schwachpunkt liegen
und irgendwie muss eine Öffnung sein,
aus der die wildgewordnen Blicke fliegen,
aus der er atmen kann und wieder ein.
Natürlich im Visier – und diese Kette
ist sicherlich kein Schmuck und hat doch Zweck,
er riss gewiss, wenn er geworfen hätte,
den Gegnern damit ihre Schilde weg.
Er nimmt die Klinge locker in die Rechte,
fixiert gespannt das schauervolle Bild,
und hoffend, dass er schließlich richtig dächte,
zur Linken seinen rundgewölbten Schild.
„Mein Schild ist fest, mich schrecken deine Blicke,
so oft du auch den Teufel selbst beschwörst,
nicht mehr als meine eignen und ich schicke
dich in die Hölle, wo du hingehörst.“
„Da geht dein Schild!“, der Riese wirft die Waffe,
sie rast mit Riesenwucht ins Holz und schlägt
die Widerhaken ein in die Agraffe,
die einen Schildgurt in der Rundung trägt.
Und Helenos greift rasch mit beiden Händen
(er lässt die Klinge los) an seinen Schild
und hält mit Gurt und Griff die beiden Enden,
dass jede Ader in den Armen schwillt,
sein Atem stockt, er stemmt sich so dagegen,
dass sich die Sohlen in dem weichen Sand
in eingedrückte Bodenwellen legen
und er die Kraft Gibourcs in jeder Hand
bis zum Zerreißen spürt, bis zum Zerbersten,
dann springt er auf und lässt die Wölbung los,
es fliegt der Schild samt Kettenzug zum Ersten,
zum Zweiten fliegt auch Helenos und bloß
in einem Sprung reißt er den Dolch nach oben,
der Schild kracht scheppernd und Gibourc dazu,
und Helenos hat sich im Sprung erhoben
und steht wie in der Luft und hat im Nu
den kleinen schwarzen Schlitz im Helm gefunden,
schlägt beide Arme an den Dolch und rammt
den Stahl mit aller Kraft im Sturz nach unten,
der einen Strom von rotem Blut entflammt.
Der Riese fällt. Der Sand verfärbt sich dunkel,
doch Helenos geht schon die Treppe an,
rennt weit und hoch im ersten Sterngefunkel,
im Treppenhaus des Turms rennt er hinan
und Stock- und Stockwerk eilt er immer weiter
und schlägt schwer atmend auf die Luke ein,
an der die lose angelehnte Leiter
von jedem Schlag erbebt im Fackelschein.
Doch keiner öffnet. Oben ist es stille.
„Alan, mach auf!“ Doch keiner hört es mehr.
Er schlägt nach oben, doch es reicht kein Wille
die Tür zu öffnen und das Schloss ist schwer.
Da springt er von der Leiter auf die Stufen
und rennt nach unten in den ersten Stock,
er hat für den Moment genug gerufen,
setzt an und landet auf dem Marmorblock,
der eine Fensterbank nach außen bildet,
der tiefe Hof ist noch vom Feuer rot,
kein Buch hat ihm die Schlacht so wild geschildert,
wie eine Schlacht ihm nun zu Füßen droht.
Und nimmt kurz Schwung und lässt sich schließlich fliegen,
für den Moment scheint alles atemlos,
dann hält er sich am Seil und klimmt in Zügen,
zu Anfang kleiner und zum Ende groß,
nach oben an dem Seil, das meistens Fässer
mit Holz und allen Dingen aufwärts bringt,
an dem jedoch und heute weitaus besser
der junger Mann den Leib nach oben schlingt.
Und Schritt für Schritt an jene Mauer setzend,
die Arme fest am Seil, klimmt er empor,
die Lederscheide an der Mauer wetzend,
zieht er sich Stück für Stückchen weiter vor
und setzt schlussendlich an der Brüstung über,
der Turm liegt dunkel, ganz wie er ihn kennt,
es wäre ihm jedoch unendlicher lieber,
wenn gerade da ein helles Feuer brennt.
Er zieht die Waffe, die er schnell vom Boden
gegriffen hatte, als er aufwärts ging,
und denkt nun an verschiedenste Methoden
wie er mit einem hier vorhandnen Ding
in Schnelle Feuer schlagen könnte. Zischend
sitzt neben ihm ein Bolzen im Balkon.
Und seine Klinge aus der Scheide wischend
schließt linker Hand Alan sein Gambeson
und tritt nun aus den Schatten in die Runde,
die letztes Abendlicht und Sternlicht malt,
wo Nacht und Tag zugleich in dieser Stunde
die Turmrotunde beiderseits bestrahlt.
„Nun hab ich dich.“ - „Was willst Du?“ - „Keine Sorgen.
Du weißt es schon – und wenn du das nicht weißt,
dann sieht ein andrer spätestens schon morgen,
der als Gefangner aus der Festung reist,
dass ich allein die Festung übergeben,
ich euch verraten habe, denn der Sold
hat nie in meinem ganzen Söldnerleben
dem, was ich leiste, den Tribut gezollt.“
„Es fehlt dir also Geld.“ Im steten Kreisen
sucht Helenos nach einer Position,
wo er im Schatten und zugleich im Leisen
Alan sich nähern kann, da hat er schon
den Raum gefunden, eng an einer Zinne,
es folgt Alan eng an das Mauerloch.
„Alan, ich kenne dich nicht gut, ich kenne
hier überhaupt niemanden gut und doch,
von Petros abgesehn, ist das verständlich,
dass jeder hier nach seinem Beutel lebt.
Vielleicht ist das auch alles unabwendlich,
wenn man in einer Welt nach Reichtum strebt,
die diesen weit, sehr weit nach oben,
ganz oben angesetzt hat, doch die Welt
hat Gott der Herr zu anderm Zweck gewoben
und Menschen zu ganz anderem bestellt.“
Alan greift aus und führt die ersten Streiche,
der junge Mann pariert, es folgt ein Stich,
er dringt ihm oberflächlich in die Weiche,
da just Alan ein Stück zur Seite wich
und führt erneut den Schlag zur linken Seite,
gezielt auf Helenos geübte Hand,
der, abgeglitten von des Korbes Breite,
jedoch das avisierte Ziel nicht fand.
Und Helenos sticht zu und trifft die Flanke,
Alan weicht aus und tritt zu Fuß ins nichts,
die Mauerkronne hatte keine Schranke
und stürzend fällt er, stieren Angesichts.
Und Helenos sucht hastig in der Runde
nach dürrem Holz, nach Stahl und Feuerstein,
bis er zum Schluss am Rande der Rotunde
den Beutel sieht und nimmt ihn mit hinein,
schlägt Stahl an Stein, treibt Funken in die Schale,
wo vorbereitet Holz und Naphta sind,
da flammt es auf und springt mit einem Male
die erste Flammenlohe in den Wind.
Schnell knackt und knistert es und schwillt nach oben,
der Turm liegt schwarz und gelb in hellem Glanz,
da hat sich das Signal schon weit erhoben
und lodert auf der wilde Flammentanz.
Doch Helenos muss fort, die Schlacht geht weiter,
er rüttelt an der Luke, doch mit Schreck
ist mit Alan, der niederstürzte, leider
nun auch der Schlüssel zu der Luke weg.
Er will das Seil nach rückwärts nehmen, eilig
lässt er die Flammenschale, lässt er sie,
und sieht nicht wie, ganz, ganz weit oben freilich,
der Abendstern hell aufstrahlt wie noch nie.
Er drückt sich ab und rutscht am Seil nach unten,
erst Stück für Stück, dann Stock um Stock hinab,
doch konnte auch Alan ihn nicht verwunden,
so rutscht er doch im ersten Stockwerk ab.
Das Seil zischt fort, er kann es nicht ergreifen,
das war das Ende und er greift ins nichts,
von unten dringt in hellen, dunklen Streifen
mit schrillem Lärm der Schein des Fackellichts.
Er stürzt hinab, ganz langsam scheint das Stürzen,
Minuten statt Sekunden scheint es lang,
da Meter sich zu Zentimetern kürzen,
wo eben noch der wilde Schlachtenklang
vorbeizog, ist nun Stille um die Mauern
und alles völlig gleich und ruhig in ihm,
als könnte alles wirklich ewig dauern,
weil alles friedlich, alles ruhig erschien.
Da schlägt er auf. Und durch. Der Brunnendeckel
ist viel zu schwach und bremst den Fall ein Stück;
und wieder fällt er eine weite Strecke,
er weiß nicht, ob zum Unglück oder Glück.
Und dann ist schwarz. Rundum die tiefen Schatten,
ein großes, tiefes ahnungsvolles Meer,
wo sich die Träume und die Schatten gatten,
die Länder Meer sind und die Meere leer.
Und da war eine Lichtung, baumumstanden,
sie war sehr schön und wunderbar und groß,
wo Blumen sich und frische Wasser fanden,
die Wasser Blumen trugen wie ein Floß.
Wo weite Wurzeln in die Lüfte ragen,
in gelbem Licht ein wunderbares Bild,
wie sanftes Meer an sanften Sommertagen,
unendlich lau und unbegreiflich mild.
Und oben steht ein Baum, der ist sehr groß,
nach allen Seiten wachsen ihm die Zweige,
nur ein Zweig teilt der andern Zweige los
– er war der tiefste unter aller Neige –
so wenig, dass er nicht wie sie nach oben
in das wie Seide weiche Sommerlicht,
vielmehr zurück zu seinem Stamm gehoben
nachgerade ein in seine Wurzel bricht.
Nur dieser Zweig trug Früchte, unbeschreiblich,
von fremder Art, doch über alles schön,
es schien, als würden jene Früchte leiblich
direkt vom Stamm, nein, von der Wurzel gehn.
Der Baum im Traum, der schönste aller Bäume,
nun wich er langsam aus dem weichen Bild,
das wie ein Mutterleib die hohen Räume
mit Wärme, Licht und großer Liebe füllt.
Und Scheppern, lachen, singen. Seine Lider,
sie öffnen sich nur langsam und er sieht
zuerst nicht richtig, doch dann sieht er wieder
knapp über sich ein Zelt und hört ein Lied.
Er liegt im Bett und spürt den Kopf von hinten
mit Nebel angefüllt und stumpfem Druck,
doch lässt der nächste Blick den Schmerz verschwinden
und plötzlich sitzt er auf mit einem Ruck.
Und neben ihm steht Petros, der soeben
die Linke loslässt, die er gerade hielt:
„Es wurde jetzt auch Zeit … Es ist das Leben
zurückgekehrt, das eben von dir schied.“
„Mein Kopf ist schwer, wo bin ich hingefallen?“
„Bis in den Brunnen. Jeder hats gesehn.
Ich sah ja kurz zuvor ums Eck mit allen
hoch oben auf dem Turm ein Licht angehn.“
„Und die Achäer?“ – „In die Flucht geschlagen.
Es war nach kurzem die Verstärkung da,
man muss es Lucan doch nicht zwei Mal sagen,
sind die Achäer einer Festung nah.“
Da schlägt die Zeltbahn auf der einen Seite
ein Edelmann zurück und tritt ins Zelt.
Man sieht im Licht der warmen Feuerscheite,
dass seine Beine noch in Stahl gestellt,
sein Oberkörper noch in Kettenmieder,
in eine halbe Rüstung eingefasst,
vom Kampf beschädigt ist und seine Glieder,
die sonst die Rüstung allerseits umfasst,
zum Teil verbunden sind und angegriffen,
von einem rücksichtslos geführten Kampf,
wo von den Schwertern, spitz und scharf geschliffen,
das Blut vom Boden in den Himmel dampft.
„Mein Name ist Sir Lucan und ich wollte
nach eurem Zustand sehn. Man sagte mir,
dass ich euch hier zuerst begrüßen sollte,
man sagte nämlich – Petros, auch von Dir –
ihr beiden wärt der ganze Grund gewesen,
warum die Festung noch in unsrer Hand
und nicht im Schutz der Rammen und Pavesen
der nächsten Brückenkopf im Feindesland
wie viel zu viele ist. Ich will euch danken,
und nicht zu lange stören, doch nur dies:
Ich brauche solche Leute, die nicht schwanken,
der König braucht sie auch und ich verließ
die Hauptstadt nur, um Sorgen in die Feinde,
in ihren Reihen einzustreuen, so
dass Truppen ich zu einem Heer vereinte
und dachte mir, ihr wäret auch ganz froh
mich zu begleiten, also teilzunehmen.
Doch das ist alles. Gute Besserung.“
Sie danken ihm. Er geht und dunkle Schemen
entwirft die Zeltbahn rund um sie herum.
Sie sehen sich kurz an. Auch ohne Worte
versteht hier jeder, was der andre denkt.
Es war nun Zeit, dass sie von diesem Orte
das Schicksal hin zur fernen Hauptstadt lenkt.
„Nun denn. Doch ruh dich aus!“, mahnt Petros eilig,
und Helenos sinkt auf die Bank zurück,
„Wir haben unsre Chancen und einstweilig
wird deutlich, ob zu Unglück oder Glück.“
Und draußen kreisen Humpen, krachen Fässer
und Lieder klingen bis ins Zelt der Nacht,
da jedes und nach jedem Becher besser
den Mut der Söldner mehr und mehr entfacht.
Die Feuer malen Schatten an die Wände
und zeichnen Muster groß und rätselhaft,
da Garnison und Hilfsheer sich die Hände
zur Freundschaft reichen und zur Brüderschaft.
Sie denken an die Freunde, die am Morgen
noch lebten, aber schließlich auch daran,
dass sie noch leben und die größten Sorgen
verblassen im Vergleich zum Sensenmann.
So klingt es lange an die weiten Sterne,
die unbeeindruckt, doch unendlich schön,
dort in unendlich, endlich weiter Ferne
so hoch und hell auf ihren Bahnen gehn.
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So schön das Land. Der Tag spielt an den Hügeln,
in Licht und Schatten spielt er auf und ab,
an Felsenwänden streift er seine Flügel,
auf Höhenzüge setzt er seinen Stab.
Und alles liegt vergoldet und umflossen
von warmem Licht und frischem Morgendunst,
als sei der Berg in Bronzeguss gegossen
und übe hier ein Meister seine Kunst.
Der Wald ist tief, beglänzt sind seine Wipfel,
ganz tief ihn ihm lädt eine Quelle ein,
aus der das Wasser frisch vom höchsten Gipfel
tritt schwer und dunkel in den Tagesschein.
So zieht die Straße hin durch weite Täler,
der Felsenkamm beschattet ihren Zug,
und hoch der Aar, als sei er der Erzähler,
webt die Geschichte ein in seinen Flug
Die Söldnermenge zieht durch diese Weiten,
sie ist sehr groß, doch wirkt erstaunlich klein,
wie sollte es, auch wenn dort tausend reiten,
im Angesicht der Berge anders sein?
„Fast wie zu Hause“, sagt da Petros leise,
auf einem Braunen zieht er träg die Bahn,
Gepäck im Rücken und auf seine Weise
mit offnem Hemd und Hose angetan.
Just da kommt Helenos zu ihm herüber,
sein junger Fuchs greift etwas stärker aus,
er richtet sein Blick zum Berg hinüber
und zieht im Schatten dieses Riesenbaus
und sieht im Geiste alles, was geschehen,
was einmal war und wie es vor sich ging
und kann ein Stück in die Geschichte sehen,
wie alles an- und schließlich Feuer fing.
Ein Kloster steht am Meer mit seinen Wellen,
die Wogen branden täglich auf es zu,
sie kommen, gehen, steigen und zerschellen,
doch stören nicht die angestammte Ruh.
Auf einem Fels im Sand sind seine Mauern
begründet und sein Boden ist von Stein,
die Fugen können Zeiten überdauern,
die Felsenplatten könnten ewig sein.
In weiten Bögen, die sich selber tragen,
in Mauersteinen steht das sanfte Bild,
das weiß und rot schon seit uralten Tagen
die Sehnsucht nach dem wahren Frieden stillt.
Die Mönche machen täglich ihre Runden
am weiten, weißen, menschenleeren Strand,
der führt sie in den langen Andachtsstunden
und nimmt die Koinobiten an die Hand.
Im Schutz der Mauer vor den dunklen Stürmen
wächst ruhig ein Garten in der Einsamkeit,
begrenzt von hohen Mauern, runden Türmen,
vergisst er Wetterlage, Ort und Zeit.
Da wachsen Pflanzen voll von großen Kräften,
in schwere Büchern steht es festgemacht,
wie Öl und Sud aus vielen dunklen Säften
wird eingerieben und wie aufgebracht.
Die Bücher aber stehen in den Räumen
die groß und tief sind, weise ausgedacht –
der Stoff zu vielen unerfüllten Träumen,
das Öl zu Feuertürmen in der Nacht.
Und dort liest auch ein Mönch zu seinen Zeiten,
ein junger Mann, er war schon immer da,
Regale weiter zu Regalesbreiten
und Raum für Räume, wie nur er sie sah.
Die Hälfte hat er in ein dutzend Jahren,
die knappe Hälfte hat er ausstudiert,
noch eine Hälfte hat er zu umfahren
bis ihn der Weg zum fernen Hafen führt.
So liest er und kopiert in vielen Stunden,
die nicht durch Messe, Andacht und Gebet,
durch Arbeit ausgefüllt sind und gebunden,
so liest er weiter, liest er früh und spät.
Und auch an Tagen, da er lang im Garten,
da er am Strand ist, dreht sich sein Gemüt
um Wellenbruch in ausgewetzten Scharten,
um jede Blüte, die dort vor ihm blüht.
Und selbst zur Messe sieht er oft die Dinge,
die lange und vor Zeit geschrieben sind,
die großen Kriege, wenn die andern singen,
in ihrer Andacht Segeln hart am Wind.
Von Rittertum und übergroßen Schlachten,
von großer Liebe, riesigem Verrat,
verklärter Freundschaft, unerfülltem Trachten,
von großem Sieg und übergroßer Tat.
Und wie man Völker zu Armeen schmiedet,
das angsterfüllte Heer zum Siegen führt,
das einmal unterworfne Land befriedet
und eine Krone auf dem Scheitel spürt.
So träumt er von der Welt zu seinen Füßen,
von der er nur den kleinsten Ausschnitt kennt,
die Bilder aber aus den Bücher grüßen,
für die er tief im Innersten entbrennt.
Der Bruder Corythos lebt so sein Leben
auf kleinem Boot in stillem Ozean,
doch eines Tages wird die See erbeben
und dann bricht aus ein riesieger Vulkan.
So hat er wenig mit den andern Brüdern,
die ihn umgeben, hat fast nichts gemein,
die nichts von dem, was ihn bewegt, erwidern,
so lebt er im Alleinsein selbst allein.
Nur selten tragen ihn die schmalen Boote
zu den Geschäften in die kleine Stadt,
doch sieht er außer Häfen, Masten, Schote
fast nichts, was diese Stadt zu bieten hat.
Und eines Tages ruft nach vielen Jahren
der Vater Abt den Corythos zu sich,
das war ein ungewöhnliches Verfahren,
da er sonst selten von den andern wich,
vielmehr gemeinsam alles zu besprechen,
was alle angeht, immer üblich war.
Nun aber war es Zeit den Brauch zu brechen,
und also sondert man sich von der Schar.
Der Abt steht auf vom Tisch und blickt zur Seite,
zum Fenster, wo das wilde Meer sich regt
und aufschäumt, rollt und läuft in seiner Breite,
bevor er sich ein Blatt zu Händen legt.
„Mein Sohn, du weißt, du bist jetzt viele Jahre,
seitdem du lebst, bei uns.“ – „Herr Abt, ich weiß.“
„Es ist nun an der Zeit, dass ich das Wahre,
die ganze Wahrheit sage; ist der Preis
auch hoch, es ist die Zeit, es dir zu sagen –
und daher höre zu, wie es sich fügt.“
Er sieht nach draußen, wo sich Möwen jagen
und schwer das Meer vor grauem Himmel liegt.
„Vor achtzehn Jahren hat man dich gefunden,
am Ufer, Leute haben dich gebracht.
Du warst jedoch für niemanden verschwunden
und daher haben sie an uns gedacht.
Du wurdest aufgezogen und geborgen,
nach Art der Mönche und von uns gelehrt,
die Frauen mussten anfangs für dich sorgen,
als Säugling, doch es hat nicht lang gewährt
bis du zur Schule kamst und alle Sachen,
die Mönche lernen, lerntest, schnell und gut,
dass keine waren, die es besser machen –
die kleine Insel in der großen Flut.
Und doch, du weißt, ich muss es ehrlich sagen,
du warst nicht so wie wir und bist es nicht,
darüber habe ich auch nichts zu klagen,
es hat von Anfang an in dein Gesicht
der Herr dir andre Wege vorgezeichnet,
die wir nicht kennen und die keiner weiß,
ganz wie ein Mann, der glaubt, dass er den Teich hätt,
in Wahrheit aber ist das Meer sein Preis.
Du standest bald in unsren dunklen Tuchen
und wurdest Mönch. Es war so, wie dem war.
Du warst zu jung, um dir das auszusuchen.
Ich seh es ein. Es zeigt sich Jahr für Jahr,
dass dem so war. Ich wollte aber sagen …“,
ein ferner Donner rollt vom nahen Meer,
wo Wolken tief Gewittergüsse tragen
und streifig zieht der Himmel hin und her,
„Ich wollte sagen, dass es besser wäre,
zumindest denken wir das, wenn du fort
nach Troja gingest, wo du eine Lehre,
ein andres Studium nehmen kannst und dort
dein Glück ermitteln, wo es liegen möge.“
Und Corythos bebt tief in seiner Brust,
sein Leben hatte sich so sehr geändert,
dass er nicht sagen konnte, ob die Lust,
ob Angst es war, vielleicht von allem beiden,
die Konsequenzen waren riesenhaft,
er konnte nicht mit einem sich bescheiden,
da alles sich in ihm zusammenrafft.
Er nickt und hört den Abt: „Ich will dir aber
drei Dinge geben, die in jedem Fall.“
Er öffnet unter einem Kandelaber
die schwere Truhe, schließt mit einem Knall.
„Ganz dir gehören sollen: Diese Münzen,
die sind für deinen Weg, wir schenken sie,
sie alle, die in diesem Beutel glänzen
gemeinsam mit dem Weggeld, das sind die,
zum Abschied dir. Dann dieses Buch in Leder,
gebunden für den Gürtel, das Brevier,
sorgfältig ausgemalt mit Stift und Feder,
mit fabelhaften Mustern und Getier,
und schließlich dieses hier.“ Es glänzt die Waffe
auf aus dem Tuch, in dem sie sich befand,
ein jeder Niet glänzt fein wie die Agraffe,
die einem König nicht zum Schlechten stand;
ein Dolch in schwarzer Scheide. Seine Klinge
ist fast verblasst, es stand mal eine Schrift,
es standen an der Kehle viele Dinge,
von denen einzig „P“ zu lesen ist.
„Man fand es bei dir, als man dich gefunden,
und auf den Decken, bester Corythos,
da standen Lettern, fest in Gold verbunden,
sie schrieben einen Namen: Helenos.“
„Ich danke, Vater.“ Und er nimmt die Dinge,
die sich da bieten, sorgsam in Empfang,
er weiß noch nicht ganz, was die helle Klinge,
der Name heißen soll: Schön ist sein Klang.
„So soll es sein.“ Die Silbernägel glühten.
Und sie umarmen sich. Das Meer ist still.
„Ich segne dich, dich möge Gott behüten.
Und alles möge sein, wie Gott es will.“
Wenn man so ein Gefühl hat, das gewaltig,
gewaltig groß ist wie der Sonnenschein,
der keine Form hat und doch vielgestaltig
seit Ewigkeit strahlt auf die Schöpfung ein,
wo man nicht oben kennt und kennt kein unten,
ganz wie im weiten, tiefen blauen Meer,
wo atemlos beklemmende Sekunden
zu Stunden werden und Gedanken schwer,
und plötzlich alle Welt wie die Spirale,
die sich beständig auf ein Zentrum dreht,
und doch nicht ankommt, nun mit einem Male
tatsächlich mitten in dem Zentrum steht –
wenn man so ein Gefühl hat, lässt sich ahnen,
wie Corythos geahnt hat, zu der Zeit,
als Wellen vor ihm, ungeahnte Bahnen,
hinzogen, träge, in die Ewigkeit.
Das lässt sich nicht beschreiben, denn die Stürme
sind selten und die Regel ist der Wind,
doch wehe wenn nur einmal Wolkentürme
zu einer Sturmflut aufgeschichtet sind.
Und Corythos war nun im Sturm gefangen,
wo halbe Dinge nicht und nimmermehr
ans Ufer, fern vom wilden Meer, gelangen
und Wellen branden um die Inseln her.
Wenn man die Brücken hinter sich gebrochen,
die Bohlen morsch und halb zerfallen sieht,
die Seile ausgefranst, das Tau zerstochen,
und jeder Fremde diese Brücke flieht,
aus welchem Grund soll man den Schlüssel halten,
der eine Tür am andern Ufer schließt,
wenn unerkennbar riesige Gewalten
– ein ganzer Fluss – in jener Schlucht hinschießt?
So etwa war nun Corythos zu Mute,
als er am Strand im Sandmeer auf ein Schiff,
den Seesack voll mit allem Hab und Gute,
hinaussah und den schwarzen Dolch am Griff
betrachtete und seine wirren Zeichen
das graue Licht des Tages auf dem Stahl,
da Schatten um die schweren Dünen streichen,
und Möwenscharen kreisen ohne Zahl.
Die Waffe war so fremd und ungewöhnlich –
und darum musste sie nicht jeder sehn,
der Neid ist oftmals ziemlich unversöhnlich
und kommt auf solchen Dingen oft zu stehen.
Und darum schlitzte Corythos das Leder
im Einband seines Gürtelbuches auf,
versteckt den Dolch und legt ein wenig später
die zweite Lederlage wieder drauf.
Schnell ist das Buch am Gürtel festgebunden
und tief im Sand drückt seine ganze Last,
der Seesack, der gefüllt in kurzen Stunden
das Habgut eines Menschenlebens fasst.
Ein wenig Werkzeug, Feuerstahl und Brote,
gedörrtes Obst, zum Schreiben Wachs und Stift,
nur etwas Kleidung, das steht zu Gebote,
wenn man sich selbst nach Übersee verschifft.
Der Wind schlägt seine Kutte beiderseitig,
am Hals bewegt er schnell das Ordenskreuz,
ihm macht der Sturm selbst die Kapuze streitig,
derweil der Seewind seine Augen reizt.
Und endlich zeigt sich seitab von den Klippen,
die weit und weiß den weichen Strand umstehn,
ein Handelsschiff mit rundgewölbten Rippen,
daran die Wellen auf und niedergehn.
Und rasch ist auch ein Ruderboot gelandet,
direkt am Steg, wo Corythos verharrt,
dort, wo das Meer nurmehr zum Land versandet,
und sich die Muschelbank zusammenscharrt.
Schnell setzt sich Corythos zu den Matrosen,
die an den Riemen rudern wie der Wind,
dem sie, obgleich sie wie der Sturmwind tosen,
doch letztlich endlos unterlegen sind.
Und mit den Ruderschlägen trennt der Nachen
sich ab vom Ufer, trennt die Wellen schwer,
bespritzt durch seichte salzgefüllte Lachen
und stößt sich ab ins weite graue Meer.
Noch einmal kommt das Kloster in die Blicke,
an dessen Fuß sich Luft und Seewind paart,
der junge Sturm geht hoch an ihm in Stücke.
Dann macht das kleine Boot verstärkte Fahrt.
Auf Wiedersehen, ihr altersgrauen Hallen,
auf Wiedersehn, du angegrauter Stein,
alleine bin ich euch einst zugefallen,
nun ist erneut an mir, allein zu sein.
Er war für dieses Los auch nicht geschaffen,
im Grunde hat er das ja auch gewusst,
doch wenn Gefühle sich zusammenraffen,
hat Wahrheit keinen Raum in einer Brust.
Er ahnte schon, dass einst die höchsten Sterne
die Wiege angestrahlt, in der er lag,
ein Los ihn führen wird in weite Ferne
und einst die Welt erschüttern wird sein Schlag.
Das kann der Mensch nicht lernen, doch zuweilen,
wird ihm so groß, ein Leuchtturm in der Nacht,
der einen Traum durch Wahrheit zu zerteilen
dem Thronsaal gleich ein Lichtermeer entfacht.
Die Flut ist auf dem Weg – wer kann sie halten?
Der Sturm ist los – wer weist ihm seine Bahn?
Es reicht kein Mensch, wenn sich Naturgewalten
ihn zu verschlingen, haben aufgetan.
Schon nähert sich das Boot den schweren Planken,
die grau um grau das wilde Meer bewegt
und wenn schon diese Riesenbohlen schwanken,
wie erst das Boot, das nur drei Männer trägt?
Das Boot wird aufgehievt. Im Übersteigen
sieht Corythos den Namen, den am Bug
die dunkel aufgemalten Lettern zeigen,
die „Tyche“ ist das Schiff im Wellenflug.
Und niemand achtet, da die Passagiere
verteilt sind, träge, hier und da am Deck
auf ihn, der an den Planken träge Schlieren
mit seiner Kutte zieht aus Sand und Dreck.
Der Abt hat alles für ihn abgesprochen
und alles ist bezahlt, als er sich nun
in eine Ecke setzt und streckt die Knochen
um erstmal von der Bootsfahrt auszuruhn.
Nun wird das Deck lebendig, Segel klettern,
hinauf am Mast, Kommandos trägt die See,
die Bahnen wirft der Wind gleich trägen Blättern
mitsamt den ganzen Schiff von Luv auf Lee.
Die „Tyche“ setzt sich krachend in Bewegung
und steuert rasch hinaus aufs offne Meer,
der Steuermann bewegt mit einer Regung
das Schiff, als ob er selbst ein Riese wär.
Und schnell ist auch die schlechte Küstenlage,
das graue Wetter, fern am Horizont,
da sich das Schiff nach einem halben Tage
nun mitten in der Abendsonne sonnt.
Das goldne Licht erwärmt die dunklen Planken,
die hellen Segel strahlen weiß im Wind,
da eilig, scheint es, schnell wie in Gedanken
die Fluten selbst zu Gold geworden sind.
Die Passagiere finden nun die Ruhe
sich hinzusetzen, Gruppen bilden sich,
die einen setzen sich auf eine Truhe,
die andern drängen sich an einem Tisch,
der sich zum Ausschank etlicher Getränke
als Tresen eignet, Krüge sind bereit,
da laut und lustig wie in einer Schänke
die Zweitracht ausbricht, Ungemach und Streit.
So kann nun Corythos aus freien Stücken,
da keiner auf ihn achtet, weit im Rund,
die ganze Menschensammlung überblicken,
die ausgebreitet, lauthals, schrill und bunt
nicht achtend, ob sie selbst betrachtet werde,
ihr Leben vor sich hin lebt und die Zeit,
die knapp bemessen ist auf dieser Erde,
verbraucht als wäre sie die Ewigkeit.
Die Leute reden seltsam, wenn sie glauben,
dass keiner zuhört – einer aber hört,
der mit dem schwachen Angesicht der Tauben
zwar aufnimmt, doch die Kreise wenig stört.
Er hat das Buch noch vor sich aufgeschlagen,
doch liest schon lange nicht mehr, was es heißt,
da links beim Seiten-auf-die-Seite tragen
die Klinge in der Abendsonne gleißt.
Noch eingewickelt, offen an der Spitze,
noch gut umhüllt, geweiteter am Ort,
verschickt sie Reflexionen, weiße Blitze,
und glitzert in den Abendhimmel fort.
Inzwischen hat die Menge sich verlaufen
und Gruppen bilden sich erneut, so dass
ein aufgebrachter und gedrängter Haufen
in einer Runde sitzt und auf das Fass,
das eben an der Theke aufgebrochen
und bald schon ausgeschöpft wird, rübersieht,
als hätten sie den Inhalt ausgerochen,
der eben erst die Eichenwände flieht.
Verwegene Gestalten, schwer zu sagen,
wie lange sie noch reisen, doch ein Stück,
denn jeder hat den Reisesack zu tragen
und Rüstungsteile jeder im Gepäck.
Auch Schwerter an der Seite, manche Schilde,
und manche tragen Kettenhemden, dünn,
als quer in Falten liegende Gebilde
hinauf vom Schenkel, knapp bis unters Kinn.
Und einer trägt sogar den Harnisch gänzlich
von glänzendem Metall und schwarz tauschiert,
geätzt, graviert, doch war es häufig brenzlig,
da ihn auch mehr als eine Narbe ziert.
Lauthals der Träger, laut wie die Gravuren,
dreitagebärtig zeigt er sein Geschick
im Spotten jenen gröberen Naturen
und reibt das Schwert zuweilen am Genick,
der Griff zu einem wie zu beiden Händen,
kein schlechtes Schwert, doch allzu oft benutzt,
ganz so, als ob sich Flecken darauf fänden,
obwohl es blank ist und zum Glanz geputzt.
Und einer wendet sich, als sich das Lachen
ein Stück gelegt hat, atemlos an ihn:
„Nun Malchus, zeig mal wieder ein paar Sachen
und mach, das wir nicht mehr im Trocknen stehn.“
„Spring über Bord. Da ist es feucht.“ Und Johlen
geht wieder in die Runde. „Nein im Ernst.
Ich werde euch jetzt was zu Trinken holen.
Es wäre ja gelacht, weil Du mich kennst,
dass ich für euch auch ohne jede Kohle,
für jeden alten Sack im Pack den Krug
und für die Truppe eine Runde hole.
Ich setze euch zum ,Feld‘ den guten ,Zug‘.“
Und er studiert die Passagiere, welche
im Abendlicht in kleinen Gruppen stehn,
und mustert schnell die weingefüllten Kelche,
die eilig über jenen Tresen gehn.
„Und wie nun?“, kommt die Frage von der Seite
an Malchus, der sich seine Nase reibt,
die, früher mal gebrochen, ihre Breite
in einem raschen Knick nach unten treibt.
„Nun, Julian, denk mal mit und überlege.
Der Mönch dahinten fällt von Anfang raus.“
„Die haben nichts!“, wirft Julian aus der Schräge
des schiefgestellten Mundes bitter aus.
Dann fallen ihre Blicke auf die nächsten,
die sich nicht minder lärmend auf dem Deck,
mit Singen, Lachen, wechselnden Gesprächen
aufstützen auf die Reeling samt Gepäck;
in bunten Fetzen, fransenüberhangen,
zur Hälfte Lumpen, dass man gar nicht sieht,
ob da ein Stoff, in Fetzen aufgegangen,
ob da ein Zierband um die Hüften zieht.
Mit bunten Mützen, Schellen an den Kappen,
zuweilen barfuß, Stiefel, kurz und lang,
so zeigt der Ritter Zirkus seine Knappen
vom allerersten bis zum letzten Rang.
„Die Saltimbanques, die kannst du auch nicht nehmen.
Die haben nichts, wie wir. Vielleicht dort vorn,
die haben Geld, wenn wir zu denen kämen ...“ –
„Ich will hier keinen Ärger sehn, du Horn.
Da drüben, der ist richtig.“ Malchus wendet
den Blick hinüber, wo für sich allein,
die Füße ausgestreckt, wie ausgeblendet
im Schatten noch ein Mann, Bein über Bein
im Tartanmantel, an der Reeling lehnend,
halb eingeschlafen auf den Planken sitzt,
da linker Hand, in seiner Breite gähnend
ein Claymore durch den Abendschatten blitzt.
Ein Riesenschwert, geführt zu beiden Händen,
mit rundem Knauf, der in die Spitze führt,
dem überlangen Griff, dem in zwei Enden
leicht abwärts das Parier noch zugehört,
an dessen beiden Seiten wieder breiter
ein festes Quatrefoil den Schluss markiert,
bevor der Griff zur Klinge breit und breiter
in einem kleinen Dorne überführt.
Die Hand, die dieses Schwert führt, scheint gewaltig,
die Finger breit und stark, als sei die Hand
gewohnt das Schwert, so riesenwuchsgestaltig
allein zu führen, wie sie es umwand.
„Sehr großes Schwert ...“, meint Julian bedächtig.
„Und wenn – er ist kein ebensolcher Mann.
Du machst mir meine Beute nicht verächtlich,
solang dein Hirn nichts selber leisten kann.“
Die andern pflichten bei: „Ja, Malchus, weiter!
Du bist der größte!“ Also steht er auf,
geht langsam über Deck, ganz so als schreit er,
sich zu vertreten, Stück für Stück hinauf,
wo unverändert noch der Fremde lagert.
Die andern schauen zu. Und Corythos,
der seinen Blick willkürlich in den Tag kehrt,
doch eben schon das Buch mit Spannung schloss,
beobachtet, wie sich der Plan entwickelt.
Die Sache ist nicht klar. Was hat er vor?
Es ist nichts Gutes und die Spannung prickelt.
Wer ist der Weise? Wer ist hier der Tor?
Und nun ist Malchus bis zum Ziel gekommen
und lehnt sich locker an die Reeling an,
da hat er seinen Stiefelschaft genommen
und schlägt mit Wucht ein, zwei, drei Mal daran.
Der Fremde dreht den Kopf ganz langsam rüber,
und blickt ihn aus den dunklen Schatten an.
Die braunen Augen treffen ihn. Und lieber
wär Malchus nun an einem andern Mann.
Er blickt zurück: „Du hast vielleicht gesehen,
das wir dort drüben eine Runde sind,
in der wir Söldner unsern Mann zu stehen
als trinkfest nun in aller Munde sind.
Nun aber sind wir Reisigen auf Suche,
nach Lohn und Brot und sahen gerade dich,
da steht die Kriegskunst schließlich auch zu Buche,
und also kam ich hin und fragte mich,
ob du als Kamerad den Kameraden
nicht einen Trunk spendierst, so im Metier.
Ein guter Trunk kann schließlich keinem Schaden,
es sei, er zahlt ihn auch, wie eh und je.“
Und langsam richtet sich der Fremde schließlich
in seine Richtung auf, links ist ein Schwert:
„Ich finde diese Sache sehr verdrießlich
und einer Hilfe sind die Armen wert.
Ihr seid nun zehn, ich bin allein, doch sicher
wird, wenn man euer Los den Leuten sagt,
die Menge etwas Geld für ein paar Becher
spendieren, seid nur darum nicht verzagt.
Ich kann ja einmal fragen.“ Auf den Füßen
steht er im Nu und Malchus weicht zurück,
von Wut gerötet, und sein Schwert entblößen
und sich beklagen geht in einem Stück:
„Du kannst den Kameraden nicht mehr kränken
als mit Erniedrigung. Das fordert Blut!“ –
„Du kannst dich auch mit meinem Blut nicht tränken.
Doch an der Küste ist in Kürze Flut.“
Und Malchus hebt das Schwert auf mit der Rechten,
doch schon zerbricht der Stahl den schmalen Knauf,
der Fremde bricht in einem Zug das Fechten
und löst den Kampf im gleichen Zuge auf.
Die Riesenklinge steht ihm an der Schläfe,
sein Schwert glitt schon zu Boden und das Blut,
das ihn nach Plan von seinem Gegner träfe,
rinnt ungehindert ein in seine Wut.
Er greift sich an die Schläfe und betastet
wie schwer die Wunde dort zu tragen ist
und spürt, dass zu dem Schnitt, der ihn belastet,
ein Stück des Ohres abgeschlagen ist.
„Mit einer Hand!“, die andern sind erschrocken,
der Fremde senkt sein Schwert und Malchus sieht
sein eigenes am Knauf derart zerbrochen,
dass auch der ganze Griff in Stücke geht.
„Wir sprechen uns.“ Es haben seine Leute
ihn abgeholt und weichen schnell zurück.
Mit einer Hand! Es war genug für heute –
und Malchus hatte offenbar kein Glück.
Und Julian verbindet Malchus eilig
die Schläfenwunde und das linke Ohr,
stillt seine Blutung und presst auch einstweilig
ein rundgedrücktes Leinwandstück davor.
Doch Malchus merkt die Schmerzen kaum und wütet,
zumindest innerlich, und schwört im Zorn,
dass er noch heute diesen Fremden tötet,
von hinterrücks – es ging ja nicht von vorn.
Derweil die Söldner ihren Zorn beruhigen
hat Corythos die Szenerie beschaut,
von allen andern war in groben Zügen
die Sache schnell vergessen und verdaut.
Er hat den Fremden ganz genau betrachtet,
war der auch nur sekundenlang zu sehn,
bevor er ihn, wie düster und umnachtet,
sah wiederum in dunkle Schatten gehen.
Von sonnenbrauner Haut und dunklen Haaren,