»Herbert von Willensdorf« Die Bestie aus dem All - H.E. Miller - E-Book

»Herbert von Willensdorf« Die Bestie aus dem All E-Book

H. E. Miller

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Beschreibung

Liebe Leserinnen und Leser. Ein weiteres Mal eröffnet uns Herbert von Willensdorf die Möglichkeit, ihn durch seine schier unglaubwürdigen aber wahren Geschichten hindurch begleiten zu können. Natürlich konnte auch er eine Invasion Ausserirdischer, welche sich via Duftssprays in öffentlichen Toiletten, in der ganzen Welt verbreiten konnten, um die Menschheit zu willenlosen, mordenden Bestien umfunktionieren zu wollen nicht verhindern. Aber vermögen nicht gerade solche, scheinbare Ausweglosigkeiten, Sie, liebe Leserinnen und Leser an ein solches Buch fesseln zu können. Erwecken Sie Ihren kriminalistischen Spürsinn und folgen Sie der unkonventionellen Vorgehensweise dieses ausgefuchsten Kriminalisten Herbert von Willensdorf, welcher sich in Literaturkreisen bereits eines Kultstatus erfreuen darf. Ich wünsche Ihnen dazu viel Vergnügen. Euer H.E. Miller

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Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Ähnliche


Inhalt

Sturz aus den Wolken

Die Entführung

Der letzte Beweis

Der Stern des Maharadscha

Die Bestie aus dem All

Der Langweiler

Das Grab des Ankh Mesut

Die Kreuzfahrt

Die kalte Hand des Todes

Das Plagiat

Der zitronengelbe Rolls-Royce

Die Villa am Stadtrand

Sturz aus den Wolken

Liebe Leserinnen und Leser. Lange Zeit habe ich mit mir selbst gerungen, ob ich Ihnen diese beinahe unglaubliche Geschichte näherbringen kann oder möchte, denn ich hatte letztendlich die Befürchtung, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser, mir diese wahre Geschichte nicht abkaufen würden. Sie beruht allerdings auf eigenen Sinneswahrnehmungen sowie auf Zeugenaussagen von Betroffenen, welche unmittelbar in das unfassbare Geschehen involviert waren. Ich habe aus Rücksichtnahme bewusst darauf verzichtet, die daran beteiligten Personen mit vollen Namen zu benennen, auch deshalb, um diese im öffentlichen Dienst stehenden Leute nicht öffentlich diskreditieren zu müssen.

Als die Boeing 787 mit Flug-Nummer RW 216 um 22 Uhr 15 vom Kennedy Airport mit sechzig Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern sanft in den wolkenlosen Nachthimmel abhob, schien niemand zu ahnen, dass sich nur Stunden später ein Ereignis anbahnen würde, welches das Leben jedes Einzelnen schlagartig verändern würde. Die hundertfach eingeübten Handgriffe des Piloten Martin P. strahlten eine gewisse überlegte Ruhe aus und wurden von dem dumpfen Getöse der beiden Düsenaggregate begleitet. Neben ihm saß Elvira B., eine ebenfalls erfahrene Copilotin, welche ihren Flugschein für Verkehrsmaschinen vor nunmehr mehr als zehn Jahren als Quereinsteigerin im zweiten Anlauf geschafft hatte. Mit ihrer sanften Stimme bestätigte sie die kurzen Anweisungen des Piloten über die Fluggeschwindigkeit und Höhe des Flugzeuges. Trotz ihrer sechshundert Flugstunden zuckte sie immer noch etwas zusammen, wenn der Pilot Martin P. die Düsen auf Grund der erreichten Höhe drosselte und sich dabei das beinahe aufdringliche Getöse in ein mildes, konstantes Surren verwandelte. Elvira B. blickte in die Weite, ohne einen Punkt fixieren zu können. Sie hatte den Eindruck, dass diese Nacht schwärzer als sonst war, außerdem waren keine Sterne auszumachen, was dem Verlorensein noch etwas Nachdruck verlieh. Obwohl Martin P. und Elvira B. als Team zusammenarbeiteten, fühlten sie sich trotzdem abgegrenzt voneinander.

»Hast du den Autopiloten eingeschaltet, Martin?«, fragte Elvira, obwohl sie auf der Anzeige deutlich das schwache Licht sehen konnte.

»Selbstverständlich, oder hast du etwa angenommen, dass ich das Flugzeug mit Handsteuerung bis nach Mumbai fliegen werde!«

Martin P. sah nicht nur unwahrscheinlich gut aus, nein, auch sein Auftreten erinnerte eher an einen Aristokraten als an einen Piloten. Er hatte bereits seine dritte Ehe hinter sich gebracht, welche von etlichen Seitensprüngen begleitet waren, vor allem die Flugbegleiterinnen mit ihren schmucken Uniformen hatten es ihm immer wieder angetan. Er gehörte nicht zu jenen, welche Nein sagen konnten, wenn eben diese Flugbegleiterinnen ihre weiblichen Reize einsetzten, um ihn irgendwie herumzubekommen. Natürlich hatte auch Elvira B. längst ein Auge auf ihn geworfen, versuchte sich aber ihrer Gefühle für ihn seit Anbeginn zu erwehren, was nicht selten zu spannungsgeladenen Konflikten führte. Außerdem war Elvira B. mit einem ehemaligen Angestellten des öffentlichen Dienstes liiert, welcher nach Meinung einiger seiner engsten Freunde zu den stillen Anhängern des Neokonservativismus in einer abgeschwächten Form gehörte, ohne wirklich auf den Pfaden eines Leo Strauss zu wandeln. Ein toller kerniger Bursche mit unbändiger Freude am Wandern und Sonnenbaden. Zwischendurch blickte eine der Flugbegleiterinnen, Andrea S., durch die halb geöffnete Türe des Cockpits und erkundigte sich bei den Piloten nach deren Bedürfnissen.

»Ah, welch ein Sonnenschein blickt da zu uns herein! Ich hätte gerne einen Kaffee, Andrea, dieser würde mich bestimmt wieder etwas munter machen«, meinte Martin in seiner liebevollen und zuvorkommenden Art.

»Und du, Elvira?«

»Ich bleibe bei Gin Tonic«, erwiderte sie aus Spaß. »Nein, auch einen Kaffee, wenn es nicht zu viele Umstände macht.«

»Du solltest jetzt etwas zu den Fluggästen sagen, Martin, sonst denken diese, sie befänden sich alleine im Flugzeug, außerdem wirkt es wie Balsam auf diejenigen, welche an Flugangst leiden«, unterbrach Elvira B. die angespannte Stille.

»Sehr verehrte Fluggäste, hier spricht Ihr Kapitän. Wir fliegen auf einer Höhe von 8000 Metern mit einer Reisegeschwindigkeit von 820 Stundenkilometern. Wir haben eine Außentemperatur von minus 49 Grad Celsius. Ich wünsche Ihnen weiterhin einen angenehmen Flug.«

Nur aus Gründen, um eine Art Konversation in Gang bringen zu können, erkundigte sich Elvira B. nach dem Erscheinungsdatum des zweiten Buches des allgemein bekannten Schriftstellers Igor Straskovsky, welcher einmal mehr über die Begleiterscheinungen der Russischen Revolution schrieb.

»Ich weiß es nicht genau, irgendwann im Herbst«, war Martins knappe Antwort darauf.

»Du scheinst dich ja wirklich für gar nichts zu interessieren, Martin«, fuhr Elvira in einer gewissen provokanten Weise fort.

»Doch, ich interessiere mich für Frauen und wie ich sie möglichst schnell ins Bett kriegen kann, wenn du es so genau wissen möchtest, Elvira«, sagte Martin daraufhin mit einer glaubwürdigen Überzeugung.

»Bei mir beißt du auf Granit, mein Lieber«, entgegnete Elvira B. daraufhin trocken.

»Ich werde noch die neuen Zielkoordinaten einstellen.« Martin beugte sich etwas nach vorne und betätigte das Rädchen so lange, bis die Nummer 223 eingestellt war.

»Hast du bemerkt, Martin, dass wir kontinuierlich an Höhe verlieren?«

Routiniert blickte Martin auf den Höhenmesser, welcher sich langsam und gleichmäßig zu drehen begann.

»Sehr seltsam, wir fliegen weiterhin mit dem Autopiloten, die Höhe müsste demnach konstant bleiben«, sagte Martin verunsichert. Martin schaltete den Autopiloten aus und versuchte mit der Handsteuerung an Höhe zu gewinnen.

»Das Höhenruder reagiert nicht, wir sind weiter am Sinken.«

Auch die Erhöhung der Geschwindigkeit brachte keinen Erfolg.

»Das kann doch nicht sein. Bitte reiche mir mal das Handbuch rüber«, meinte Martin P. immer noch sichtlich gefasst.

In der Zwischenzeit meldete sich Andrea erneut und erkundigte sich nach weiteren Wünschen seitens der Piloten.

»Bitte komm herein und schließ die Türe, Andrea. Wir haben ein technisches Problem, wir können die Höhe nicht halten, unser Sinkflug ist unaufhaltsam«, sagte Elvira zu ihr und versuchte dabei ruhig und entspannt zu wirken, was ihr aber in Anbetracht dieses außergewöhnlichen Ereignisses äußerst schwer fiel.

Während die Flugbegleiterin ihren Blick über die unzähligen Instrumente kreisen ließ, meinte sie ebenso ruhig, dass ihr Schwager, welcher als Passagier mitflog, eine Lösung dieses Problems finden könne.

»Dann hole ihn bitte, Andrea, aber unauffällig, wir wollen die Passagiere nicht beunruhigen, eine Panik unter den Fluggästen wäre das Letzte, was wir in einem solchen Moment gebrauchen könnten.«

Andrea verließ daraufhin das Cockpit, und während sie den Gang hinunterging, blickte sie auf die schlafenden Passagiere. Vorsichtig stupste sie ihren Schwager Alfred K. an, welcher gerade sitzend mit geschlossenen Augen vor sich hin döste.

»Alfred, bist du wach?«, meinte Andrea flüsternd.

»Ja, was gibt es?«

»Deine Fähigkeiten sind wieder einmal gefragt. Scheinbar haben die Piloten mit einem technischen Problem zu kämpfen. Wenn du dich kurz ins Cockpit bemühen würdest, wären wir dir dankbar, Alfred.«

Alfred K. sah sich geschmeichelt und folgte Andrea, ohne irgendwelches Aufsehen zu erregen.

»Andrea meinte, Sie könnten uns helfen. Wir verlieren seit geraumer Zeit an Höhe und bringen es nicht fertig, die Maschine wieder auf ihre ursprüngliche Flughöhe zu bringen. Wenn es so weitergeht, werden wir um eine Notwasserung im Indischen Ozean nicht herumkommen«, sagte Martin P. in einer erschreckenden Sachlichkeit.

»Nein, so weit werden wir es nicht kommen lassen, wir werden eine Lösung finden«, entgegnete Alfred K. und strahlte dabei eine beruhigende Selbstsicherheit aus. »Als Erstes werden wir den Autopiloten deaktivieren und auf manuelle Steuerung wechseln. Dann müssen Sie den Drehknopf, auf welchem EBC steht, ganz nach rechts drehen, warten Sie, ich mach es für Sie.« Alfred beugte sich nach vorne und bediente den Schalter in einer Selbstverständlichkeit.

»Was bedeutet EBC?«, wollte daraufhin Martin P. wissen.

Auch Elvira musste zugeben, dass ihr dieser unauffällige Drehknopf bisher noch nie aufgefallen war.

»Sind Sie ein Pilot, Alfred?«, versuchte Martin P. von Alfred K. zu erfahren.

»Nein, aber ich habe die letzten 35 Folgen der Erfolgsserie ›Mayday in den Wolken‹ gesehen, und in der letzten Folge hatten die Piloten mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen und ich kann mich gut daran erinnern, dass einer der Piloten diesen Drehknopf betätigte.«

»Welche Folge meinen Sie, Alfred, war es die, bei der das Flugzeug schlussendlich ins Meer stürzte und alle Passagiere mit sich in den Tod riss?«

»Nein, es waren koreanische Piloten, oder waren es Inder, jedenfalls hat einer von ihnen einen Turban getragen.«

»Ja, ich kann mich erinnern, es waren Japaner und einer von ihnen trug einen Vollbart«, gab Martin P. interessiert zurück.

»Japaner tragen keine Bärte, Martin, es waren Koreaner, ich habe es feststellen können in der Weise, wie sie Mayday ins Mikrofon gerufen haben, bevor sie im Meer verschwanden.«

»Nun wissen wir aber immer noch nicht, was EBC bedeutet«, meinte daraufhin Martin.

Jedenfalls zeigte das Flugzeug keinerlei Reaktion und sank langsam unaufhörlich weiter. Auch das Handbuch, welches Elvira B. ein weiteres Mal fix zur Hand nahm, sagte nichts aus über die Funktion diese Drehknopfes.

»Ach, wenn doch nur Herbert bei mir wäre«, meinte Elvira fassungslos.

»Meinst du Herbert von Willensdorf, Elvira?«, entgegnete Martin P.

»Nein, mein Hund heißt Herbert.«

»Ich bezweifle, dass dein Hund Herbert uns die Funktion dieses Schalters erklären könnte«, versuchte Martin P. die gedrückte Stimmung etwas aufzulockern.

»Sagtest du von Willensdorf, Herbert von Willensdorf, der sitzt hinten in der letzten Sitzreihe. Soll ich ihn holen? Er hat sich in der Vergangenheit des Öfteren als lösungsorientiert bewiesen«, sagte Andrea.

»Aber dieser von Willensdorf ist doch kein Pilot, er ist Schriftsteller. Noch ein Besserwisser im Cockpit und ich drehe durch«, meinte Martin P. daraufhin. »Am besten wir gehen alles in Ruhe nochmals durch. Sie wollen also gesehen haben, Alfred, dass einer dieser indischen Piloten diesen Drehknopf betätigte?«

»Ja genau, und er drehte ihn ganz nach rechts bis zum Anschlag.«

»Und dann?«, fuhr Martin P. fort.

»Dann ging ich in die Küche und holte mir noch eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Als ich zurückkam, waren diese Japser äußerst nervös und einer von ihnen gab ein Schimpfwort von sich, welches ich hier nicht wiederholen möchte.«

»Demnach haben Sie die wichtigsten Minuten verpasst, Alfred«, stellte Martin P. fest.

»Es muss doch irgendjemand in diesem Flugzeug geben, der die ganze Folge dieser Serie gesehen hat. Bitte, Andrea, gehe nach hinten und versuche es rauszufinden.«

Unterdessen spielte Alfred noch an einigen Knöpfen der Instrumentenanzeige herum.

»Jetzt nehmen Sie doch endlich Ihre Finger weg, Sie bringen ja noch das Flugzeug zum Absturz.«

Daraufhin fuhr Elvira B. das Fahrwerk wieder ein.

»Es muss an den Dicken liegen«, meinte kurz darauf die Pilotin Elvira B.

»Ich kann dir nicht folgen, Elvira«, sagte Martin, während er sich erneut an das Steuer klammerte.

»In der vordersten Reihe nahe des Cockpits sitzen gleich drei übergewichtige Männer. Möglicherweise trägt dies zu unserem Absinken bei.«

»Da kannst du recht haben, Elvira. Ich habe von einem Fall gehört, wo sämtliche Dicken auf einer Seite des Passagierraumes saßen, sodass das Flugzeug auf unerklärliche Weise immer im Kreis flog, bis der Sprit zu Ende ging. Man hat aus diesem tragischen Unfall gelernt und anschließend immer einen Dicken neben einen Dünnen gesetzt. Bitte, Alfred, gehen Sie nach hinten und sagen Sie den Schwergewichtigen, sie sollen sich nach hinten in die freie Reihe setzen.«

Alfred folgte der Anweisung des Piloten und verschwand.

Kurz darauf kam Andrea mit einem Passagier der ersten Klasse zurück ins Cockpit.

»Das ist Jochen Böblinger aus Schweinfurt«, stellte Andrea den schlaksigen groß gewachsenen Mann vor.

»Herr Böblinger, wir haben hier vorne ein kleines Problem, nichts Tragisches, aber es wäre äußerst nett von Ihnen, wenn Sie uns schildern könnten, welche Knöpfe diese Turban-Piloten in dieser Mayday-Folge bedient hatten.«

»Sie meinen Koreaner, es waren Koreaner. Dann haben Sie etwa das gleiche Problem. Sie brauchen sich nicht zu beunruhigen. Ich weiß, wie man es beheben kann. Bitte lassen Sie mich kurz auf den Pilotensitz.«

Elvira B. stand auf und stellte sich neben den Mann, welcher die Anzeigen zu überblicken begann.

»Es muss das Höhenruder sein. Bitte, Elvira, gehen Sie nach hinten und schauen Sie nach draußen auf die Tragfläche. Ich werde das Höhenruder betätigen. Falls es sich bewegt, könnten Sie dann ein lautes Ja nach vorne rufen? Aber bitte unauffällig, wir wollen niemand beunruhigen. Die Passagiere werden es noch früh genug merken, wenn wir den Schaden nicht beheben können.«

Mit aller Kraft zog Jochen am Steuerknüppel, als wäre er an einem Bodytrainer im Kraftraum. Nichts rührte sich und die Maschine verlor langsam, aber stetig immer weiter an Höhe. Wie ein erboster Autofahrer, welcher in der Kolonne festsitzt, schlug Jochen mit der Faust auf den Steuerknüppel.

»Die Steuerklappe hat sich nicht bewegt, keinen Millimeter«, sagte Elvira B., als sie wieder ins Cockpit zurückkam.

Unterdessen kam eine weitere Flugbegleiterin dazu und meldete dem Kapitän Martin P., dass in der drittletzten Reihe ein Mann ohnmächtig geworden sei. Er sei ganz grün im Gesicht, berichtete sie weiter.

»Es könnte eine Lebensmittelvergiftung sein. Mein Bruder hatte auch eine solche Vergiftung, nur war sein Grün von etwas hellerer Farbe.«

»Was hatte dieser Mann gegessen?«, wollte Martin P. wissen.

»Omeletts mit Pilzen.«

Martin stockte. »Sagtest du mit Pilzen?«

»Ja, Engelstrompeten.«

»Du willst mich mit dieser Metapher wohl für dumm verkaufen, Catherine. Wer hat außer ihm auch noch von diesem Gericht gegessen?«

»Sozusagen alle«, antwortete Catherine eher beiläufig.

»Ja stimmt, auch wir hatten das Omelett, die Pilze schmeckten vorzüglich«, meinte Elvira beinahe genießerisch. Ihre nächsten Gedanken überschlugen sich. »Wer soll das Flugzeug steuern und landen, wenn wir, Martin und ich, ebenfalls ohnmächtig werden?«

»Kein Problem«, meinte Alfred. »In einer weiteren Folge ›Mayday in den Wolken‹ hatte auch ein Passagier das Flugzeug gelandet. Leider hatte er das Fahrgestell vergessen auszufahren, was einige Schleifgeräusche zur Folge hatte, aber das Flugzeug bereits nach eineinhalb Kilometern zum Stehen kam.«

Catherine öffnete die Cockpit-Türe und sah, dass sich Herbert von Willensdorf bereits um den Mann, welcher immer noch ohne Bewusstsein war, kümmerte. Einige schaulustige Passagiere blickten nach hinten und nahmen wie so oft an, dass dieser Mann wohl zu viel getrunken hätte. Man sollte doch wissen, dass sich Fliegen und Alkohol nicht vertragen, murmelten einige und dösten daraufhin weiter. Mit schnellen Schritten bewegte sich Herbert nach vorne und klopfte unauffällig an die Türe des Cockpits.

»Sie auch noch, Herr von Willensdorf. Sie denken wohl, wir feiern hier eine Party. Also kommen Sie herein. Was gibt’s, geht es dem Mann hinten schon wieder besser?«

»Wie man es nimmt, er ist tot, er wurde mit bloßen Händen erwürgt. Außerdem hat sich seine grüne Farbe in ein Weiß gewandelt, als hätte man ihn mit Leimfarbe malträtiert.«

»Ich kann mich um Gottes willen nicht um alles kümmern, Sie sind doch der Kriminalist, aber beeilen Sie sich mit der Lösung dieses Falles, Herr von Willensdorf, und setzen Sie ihn bitte gerade hin.«

Es brauchte nicht besonders viel Scharfsinn, um festzustellen, dass einer der Passagiere für den feigen, hinterhältigen Mord verantwortlich sein musste.

Herbert setzte sich neben den Toten und hielt ihn in der Geraden, obwohl es sich als schwierig erwies auf Grund der zunehmenden Luftturbulenzen. Auf der hinteren Sitzreihe saß ein älterer Mann so um die siebzig, trug Nappaleder-Handschuhe, als wolle er vermeiden, Fingerabdrücke zu hinterlassen. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug ebenso eine schwarze Sonnenbrille. Er passte in das Mörderprofil, wie man es aus solchen einschlägigen Filmen kennt. Aber wo war der Beweis? Herbert konnte wohl kaum diesen Mann ansprechen: »Guten Tag, Sie haben wohl nicht etwa den Mann vor Ihnen erwürgt? Natürlich haben wir alle unsere kleinen Schwächen, aber etwas unauffälliger hätten Sie es wirklich bewerkstelligen können.«

Zwei Sitze neben ihm saß eine jüngere etwas zierliche Frau und drückte an ihrem Smartphone herum und schien die Welt um sich herum völlig zu ignorieren. Was hatte Herbert in den zahllosen Krimis immer wieder feststellen müssen, dass die scheinbar Unauffälligsten immer die Mörder waren. Es gab daher keinen wirklichen Grund, diese junge Frau von der Tat gänzlich freizusprechen. Herbert fuhr eine ganze Palette von hypothetischen Motiven auf, ließ aber die meisten sogleich wieder fallen. Bis hin zur Selbsterwürgung hatte er alle Eventualitäten durchgespielt. Nicht einmal der jungen Frau fiel es auf, dass der Tote in einem unbedachten Moment zur Seite kippte und mit seinem Kopf auf ihrer Armlehne heftig aufschlug.

Im Cockpit herrschte unterdessen eine wirkliche, ernst zu nehmende Besorgnis. Der Vorzeigepilot Martin P. hatte sich vor lauter Aufregung übergeben müssen. Obwohl die unansehnliche Pilzsoße an seiner Uniform klebte, hinderte es ihn nicht daran, am Steuerknüppel zu ziehen und hin und wieder »Komm schon!« zu rufen. Elvira zog sich aus unerklärlichen Gründen die Lidschatten mit einem Kajalstift nach. Nun waren sie nur noch 10 000 Fuß über dem Meer und es war kein Ende des Sinkfluges in Sicht. Obwohl Martins Kehle schmerzte, musste er die Passagiere verständigen. Lange wartete er, bis er sein Mikrofon einschaltete.

»Hier spricht Ihr Kapitän. Wir haben ein kleines Problem, nichts, was Sie beunruhigen müsste. Unsere Crew arbeitet an einer Lösung dieses kleinen Zwischenfalles. Ich werde Sie aber rechtzeitig darüber informieren, die Schwimmwesten anzuziehen. Unser freundliches Bordpersonal wird Sie noch genauestens instruieren.«

Ein erbitterter Kampf um die Schwimmwesten begann, obwohl sich unter jedem Sitz eine solche befand.

»Was haben Sie mit Udo zu schaffen?«, fragte die eine junge Frau, welche sich zielstrebig dem toten Mann näherte.

»Ich halte ihn fest, dass er nicht auf die Seite kippt.«

»Warum? Ist er tot? Ich habe ihn davor gewarnt, eine Flugreise zu unternehmen, und dann erst noch nach Mumbai, aber er hat sich in den Kopf gesetzt, einmal im Leben an einer Technoparty in Goa teilzunehmen. Ich bin, besser gesagt ich war seine Betreuerin. Er litt schon seit Jahren an epileptischen Anfällen. Es war eine Frage der Zeit, bis er das Zeitliche segnen würde.«

»Aber die Würgespuren am Hals, sehen Sie denn nicht die Würgespuren?«, gab Herbert dazwischen und fand es beinahe schade, dass er keinen Mordfall daraus konstruieren konnte, so als Zeitvertreib, bis die Maschine auf dem Meer zerschellen würde.

»Nein, nein, die hat er sich selbst zugefügt, denn er hatte außerdem noch einen beachtlichen Webfehler, eine Schraube locker, wenn Sie wissen, was ich meine. Es wäre äußerst nett von Ihnen, wenn Sie mir helfen würden, ihn nach vorne ins Cockpit zu bringen.«

»Selbstverständlich, Frau?«

»Frau Sandra L. Ich betreue Frauen wie auch Männer, wenn Sie irgendwann mal Bedarf haben, hier ist meine Karte.«

Irgendwie schleifend brachten die beiden den Toten an den wimmernden, sich bekreuzigenden Passagieren vorbei nach vorne.

»Ich fass es nicht, jetzt bringen Sie noch den Toten ins Cockpit,« schrie Martin P. »Also gut, wenn er schon mal hier ist, schnallen Sie ihn auf dem Mechanikersitz fest. Wenigstens einer, welcher mir nicht vorschreibt, welchen Knopf ich zu drehen habe. Haben Sie den Mörder? Von Willensdorf? Sie hatten wahrlich genug Zeit, um den Mord aufzuklären.«

»Er ist eines natürlichen Todes von uns gegangen, wenn man dies so nennen kann«, meinte daraufhin Sandra L. gelassen.

»Was ist denn mit Ihnen passiert, Martin? Haben Sie etwa auf die Instrumenten-Anzeigen gekotzt? Sie sehen ja schrecklich aus.«

»Still!« Elvira B. hatte endlich nach unzähligen Versuchen einen Funkkontakt zu einem Tower herstellen können.

»Funktionieren die Triebwerke normal?«, war die erste und wichtigste Frage, welche standardmäßig gestellt werden musste.

»Ja, ja, die Triebwerke funktionieren, wir verlieren an Höhe«, stotterte Elvira in das Mikrofon. »Was bedeutet EBC?«, wollte Elvira B. daraufhin wissen.

»Das ist die Beleuchtung im Frachtraum«, gab der Mann im Tower zurück. »Ich empfehle Ihnen, ein paarmal kräftig auf die Höhenanzeige zu klopfen, vielleicht ist sie hängen geblieben, wie es oft bei den Barometern vorkommt. Ja, jetzt habe ich Sie auf dem Radar. Haben Sie die Zielkoordinaten eingestellt?«

»Ja, wir fliegen 223.«

»Bitte stellen Sie auf 224 und halten Sie die Geschwindigkeit bei.«

»Okay, 224 verstanden. Warum 224?«

»Weil eine Notlandung in Mumbai für Sie und die Passagiere viel zu gefährlich wäre. Wir hören von Ihnen und guten Flug.«

Mit einem Klicken verstummte die Stimme des Tower-Angestellten.

Sieben Personen und ein Toter hielten sich nun im Cockpit auf und mussten zugeben, dass ihr Latein am Ende war. Elvira B. hatte weitere Versuche längst aufgegeben, die Maschine wieder auf Kurs zu bringen. Nur Martin P. zog immer noch am Steuerknüppel, obwohl er bereits Schwielen an den Händen hatte. Ein kurzer Blick auf den Wetter-Radar verriet ihm, dass sie sich zu allem Unglück noch einem Unwetter mit Sturmböen näherten.

»So, ich hab die Schnauze voll, macht doch, was ihr wollt, ich lege mich nach hinten auf das Notbett«, sagte Martin P. und tat wie gesagt.

Der Sturm hatte eine Heftigkeit, wie ihn Elvira B. und die Besatzung noch nie erlebt hatten. Die Maschine drohte auseinanderzubrechen. Das schreiende Wimmern der Passagiere war durch die isolierte Türe des Cockpits deutlich wahrzunehmen.

»Haltet euch fest«, mahnte Elvira B. Denn sie hatte nach dem Abgang von Martin P. die volle Verantwortung übernommen.

»Herbert, bitte setzen Sie sich auf den freien Pilotensitz und schnallen Sie sich an.

»Was sind das für eigenartige Geräusche? Es hört sich an, als würde ein Autolackierer die Farbe eines Autos mit einer Drahtbürste abkratzen«, stellte Andrea fest.

»Das ist der Hagel, es ist fraglich, wie lange es geht, bis die Cockpitfenster zerbersten«, meinte Elvira B. cool. »Zum Glück fliegen wir nicht so hoch, dann haben die, welche angeschnallt sind, wenigstens eine Überlebenschance.«

Martin P. war mittlerweile erschöpft eingeschlafen, murmelte aber im Schlaf immer wieder den gleichen Satz: »Ich muss sie hochkriegen, ich muss sie hochkriegen.«

Das Unwetter war durchflogen und am Horizont ging bereits die Sonne auf, was den Blick auf die unendliche Weite des Ozeans freigab, welcher unbarmherzig näher und näher kam. Ein Blick auf den Höhenmesser ergab, dass sie bereits auf fünftausend Fuß abgesunken waren. Man konnte bereits einige Kreuzfahrtschiffe erkennen.

»Nur ein Wunder kann uns jetzt noch retten«, sagte Elvira B. prosaisch.

»Sie sind eine starke Frau, Elvira. Wenn die Umstände anders wären, so würde ich Sie vom Fleck weg heiraten«, sagte Alfred voller Überzeugung in einer gewissen Theatralik. »Ich stelle mir eine Hochzeit in Reno vor. Du in einem weißen Brautkleid mit Brautjungfern, welche Blumensträuße auf uns werfen. Ich würde mein Cowboy-Kostüm tragen, und abends würden wir in einem schmuddeligen Motel übernachten und einen billigen Champagner trinken. Du würdest staunen, wie gut ich auf die Hormontherapie und auf die Geschlechtsumwandlung angesprochen habe. Es könnte alles so schön sein, wenn nur dieser verdammte Höhenmesser funktionieren würde.«

Elvira B. war sichtlich gerührt, denn sie hatte eine geheime Neigung zu dem Andersartigen. Wie gerne hätte sie ihre Lebenssituation gegen etwas derart Verruchtes eingetauscht. Diese Cowboys mit ihren speckigen Hosen und ihren staubigen Stiefeln hatten bei ihr schon früher eine gewisse Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer ausgelöst. Aber leider hatte sie keinen Entscheidungsspielraum mehr, wenigstens nicht für lange. Es wurde nichts mehr unternommen, das Unvermeidliche abzuwenden. Herbert griff nach der Hand von Elvira B. und drückte sie in einer Weise, als wolle er sagen: Keine Angst, Elvira, ich bin bei dir, was auch passiert.

Alfred K. versuchte mit zittrigen Fingern noch ein paar Zeilen auf ein Stück Papier zu bringen. Scheinbar wollte er sein bescheidenes Vermögen zu einem Teil der Pfadfinderorganisation der stolzen Samariter und zum anderen Teil einer unbekannten Schlagersängerin in Schleswig-Holstein vermachen. Er liebte Schlager. Das war sein Leben. Was hätte er dafür gegeben, wenn er gerade jetzt, da es mit ihm zu Ende ging, einen Schlager hätte hören können. Er hätte die Amigos gewählt, denn diese Typen waren heiß und sexy. Immer wieder summte er eine dieser Melodien vor sich hin, was aus den Amigos gemacht hat, was sie heute sind. Natürlich hatte er Mitleid mit dem kränkelnden Bernd, welcher eine Zeitlang im Rollstuhl verbrachte. Es war erschütternd für Alfred. Er hätte sein Leben dafür hingegeben, wenn Bernd wieder ganz der Alte sein könnte.

»Was singst du denn da, Alfred?«, meinte Catherine.

»Es ist Baby Blue von den Amigos, es hilft mir, von dieser Welt abzutreten.«

»So, so, Baby Blue von den Amigos, doch, das gefällt mir. Wir sollten es alle singen, laut, so als letztes Aufbäumen vor dem Untergang.«

»Herbert, du kannst meine Hand wieder loslassen, denn sie ist mittlerweile eingeschlafen«, bat Elvira B. nachdrücklich.

»Hast du noch einen zweiten Vornamen, Elvira?«, fragte Herbert in die zerreißende Stille hinein.

»Was spielt denn das noch für eine Rolle, Herbert. Monika, mein zweiter Vorname ist Monika.«

»Das ist ein schöner Name. Monika«, wiederholte Herbert mehrmals.

»Es ist abgeleitet von Harmonika.«

»Das wusste ich nicht«, entgegnete Herbert.

»Mein zweiter Vorname ist Karl-Friederich«, sagte Martin P., welcher im Halbschlaf das Gespräch mitverfolgt hatte.

»Auch ein schöner Name, vielleicht etwas bieder«, meinte Herbert tröstlich.

»Elvira, wir sind jetzt seit Stunden manuell geflogen, eine Möglichkeit besteht noch, erneut auf den Autopiloten umzuschalten. Ein letzter Versuch, das Unglück noch abwenden zu können«, sagte Herbert.

Elvira B. beugte sich vor und betätigte die Taste langsam und mit einer gewissen Andacht. Ein kurzer Ruck erschütterte das Flugzeug und dieses Mal drehte der Höhenanzeiger in die Gegenrichtung.

»Wir haben es geschafft, wir gewinnen wieder an Höhe. Herbert, Sie sind ein Teufelskerl.«

Ein Jubel sondergleichen folgte. Sogar Martin P. erhob sich ein wenig und lachte beinahe hysterisch. Mit vereinten Kräften stellten sie ihn auf und stützten ihn, denn er war noch zu schwach, um selbstständig stehen zu können.

Elvira B. weinte hemmungslos und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

»Es erinnert mich an Folge 9 von ›Mayday in den Wolken‹, auch da konnten sie das Flugzeug nach einem Sturzflug wieder auffangen«, meinte Alfred lachend.

»Es waren sicher Japaner, oder doch Vietnamesen ohne Bärte«, witzelte Martin B. bereits wieder.

Noch bevor sie sicher landen konnten, wurde von außen die Cockpit-Türe aufgerissen. Ein Mann in einer Arbeitskleidung stand auf einer Plattform und blickte in das Innere des Cockpits.

»Die Zeit ist um, meine Damen und Herren, Sie haben den Flugsimulator nur zwei Stunden gemietet. Ich muss Sie bitten, das Cockpit nun zu verlassen. Wir haben noch zwei weitere angehende Piloten, welche den Flugsimulator nutzen wollen, um die Boeing 787 endlich in den Griff kriegen zu können.«

»Was meint ihr? Irgendwie werden diese Simulatoren immer authentischer. Man hat beinahe das Gefühl, man sitze in einem echten Flugzeug«, meinte Alfred zu den anderen Teilnehmern.

»Für Martin möglicherweise zu authentisch. Aber unser Martin hatte schon immer ein Faible für das Dramatische. Was meint ihr, wollen wir uns nächste Woche wieder treffen? Ich schlage vor, dass wir uns dann einen Airbus 380 vornehmen, das wäre doch eine echte Herausforderung«, sagte Herbert, wobei aber Udo darauf bestand, nicht noch einmal den Toten spielen zu müssen.

Die Entführung

Die schweren bordeauxfarbenen Vorhänge bewegten sich nur zaghaft im Wind, als Charles die Terrassentüre einen Spalt öffnete. Der Blick des Mitte fünfzigjährigen Butlers schweifte über den mit Blättern bedeckten Vorplatz und blieb an dem mit Efeu behangenen Eingangstor haften. Eine zäh wirkende Dunkelheit ließ die Schatten, welche die beiden gusseisernen Laternen erzeugten, durch ihr Flackern beinahe gespenstisch erscheinen. Charles konnte sich mit dieser Jahreszeit nie wirklich anfreunden, denn das frühe Eindunkeln schlug ihm auf das Gemüt, und außerdem litt er an rheumatischen Beschwerden, was auf Grund der Feuchtigkeit noch zusätzlich befeuert wurde, auch wenn es, wie seit einigen Tagen, nicht geregnet hatte. Obwohl er des Öfteren von Schmerzen geplagt wurde, versuchte er dennoch im Beisein seiner Herrschaft die perfekte Haltung eines Butlers beizubehalten, obwohl der Hausherr, Sir Archibald Everton, keinen besonderen Wert auf diese Form von Etikette legte, vor allem dann nicht, wenn sie unter sich waren.

Archibald Everton stammte ursprünglich aus einer gutbürgerlichen Familie, wobei nur sein Onkel, welcher in Dublin einige Liegenschaften besaß, es zu einem beachtlichen Reichtum gebracht hatte, aber in seinem sechzigsten Lebensjahr einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Lange Zeit kursierten auch Gerüchte, er habe sich an Waffenlieferungen an die IRA beteiligt, was scheinbar zusätzlich noch sein Vermögen vermehrte. Allerdings konnte man ihm eine solche Beteiligung zu keinem Zeitpunkt nachweisen, obwohl der Geheimdienst aus diesen Verdachtsgründen heraus eine Sonderkommission gegründet hatte. Archibald erbte zusammen mit seinen beiden Schwestern das Vermögen im Wert von 600 000 Pfund. Dass er sich von da an Sir Archibald Everton nannte, lag nicht daran, dass er geadelt wurde, auch war Archibald nicht sein richtiger Name, den er sich angeeignet hatte, denn nach seinen eigenen Aussagen passte Stanley nicht zu seiner durch Reichtum erworbenen gesellschaftlichen Stellung.

»Charles, bitte schließen Sie die Türe, Sie wissen doch, dass Madame die kühle Nachtluft auf Grund ihrer hartnäckigen Erkältung nicht erträgt. Sie wird sich demnächst zu uns gesellen, denn die Gästeliste für das bevorstehende Bankett kann und möchte ich ich nicht selbstständig erstellen, obwohl meine holde Gattin sicherlich wieder Leute einladen möchte, welche an der Erfindung der Langeweile beteiligt gewesen sein mussten. Was wollten Sie sagen, Charles?«

»Nichts, ich habe mich nur geräuspert«, antwortete Charles, während er die Türe wieder zuschloss und anschließend an dem Vorhang herumzupfte, als wolle er den Faltenwurf glätten.

»Ich werde es nie begreifen, warum ein Geistlicher stets an solchen Festivitäten anwesend sein muss, obwohl wir beide der Kirche bereits vor Jahren schon abgeschworen haben.«

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, erst die Anwesenheit eines Pfarrers gibt einer solchen Gesellschaft einen offiziellen Rahmen und wird außerdem allgemein erwartet«, meinte Charles, während er sich hinter den kleinen Wagen stellte, auf dem die Spirituosen in reichlicher Auswahl bereitstanden.

»Wenn Sie gerade beim Wagen stehen, so könnten Sie mir einen kleinen Cognac einschenken, Charles«, bemerkte Archibald.

»Ich komme nicht darum hin, Sie auf die Empfehlung Ihres Arztes hinzuweisen, welcher Ihnen den Genuss geistlicher Getränke strikt untersagt hat, Sir.«

»Ach, mit diesen Quacksalbern ist es immer dasselbe, sie bringen einen mit ihren Vorschriften um die schönsten Genüsse und verlangen dabei Honorare, welche meinen Blutdruck in die Höhe schnellen lässt. Nun machen Sie schon, Charles, einen kleinen im Schwenker. Nehmen Sie sich ruhig auch einen, Charles, es wird Ihnen guttun, Sie haben ja wieder eine Haltung, als hätten Sie einen Kleiderbügel verschluckt«, meinte Archibald, als er bereits das Glas in seinen Händen hielt.

»Nein, niemals, Sir, ich neige bei der Einnahme von alkoholischen Getränken zu einer unkontrollierten Geselligkeit, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.«

»Sie dürfen Charles«, erwiderte Archibald und nippte genussvoll an dem starken Getränk. »Wie lange sind Sie jetzt schon bei uns, Charles?«

»Diesen November werden es sieben Jahre. Warum fragen Sie mich, Sir, spielen Sie mit dem Gedanken, in Zukunft auf meine Dienste verzichten zu wollen?«

»Nein, wo denken Sie hin, Charles«, erwiderte Archibald, welcher diese Frage nur stellte, um eine eher belanglose Konversation führen zu können. Er hätte sich ebenso nach dem Wetter des kommenden Wochenendes erkundigen können.

»Soll ich noch ein paar Scheite nachlegen, Sir?«

Wahrlich hatte Archibald, obwohl er in seinem Sessel nahe des Kamins saß, nicht bemerkt, dass nur noch kleine züngelnde Flammen ihren Schein auf die gemauerten Ziegelsteine warfen.

»Doch. ich bitte darum, Charles«, antwortete Archibald, während er mehr aus einem Reflex heraus seine Hände aneinander rieb.

Kurz darauf war ein Knistern, begleitet von herumfliegenden Gluten, wahrzunehmen. Wortlos blickten die beiden Männer in das bereits lodernde, neu entfachte Feuer hinein und folgten in einer entspannten Schweigsamkeit ihren Gedanken.

Begleitet von einem Knarren, öffnete sich die schwere Eichentüre, welche in den Salon führte, und mit leichten Schritten näherte sich die in einen bequemen Freizeitanzug gekleidete Madame den beiden.

»Guten Abend, Charles«, ertönte eine Stimme, welche so gar nicht zu ihrer lieblichen Erscheinung passte, denn sie war rau und wirkte etwas hölzern.

»Darf ich Ihnen auch einen Drink eingießen, Madame?«, fragte Charles aufmerksam und nahm wieder diese standesgemäße Haltung ein.

»Was trinkst du, mein Schatz?«, richtete sie sich an Archibald, und ohne dessen Antwort abzuwarten, meinte sie: »Ich nehme das Gleiche, Charles.«

»Hast du dir bereits Gedanken bezüglich unserer Gästeliste gemacht, Liebling?«, fragte sie und setzte sich dabei auf das Klavierbänklein, welches unmittelbar neben dem großen Ohrensessel stand. Selbstverständlich zierte ein Steinway-Flügel den großzügigen Salon, obwohl niemand im Hause Klavier spielen konnte. Marlene musste ihn regelmäßig abstauben, denn der glänzende Klavierlack hatte die Eigenschaft, jedes Stäubchen sichtbar erscheinen zu lassen. »Deine beiden Schwestern müssen wir einladen, ebenso den Pfarrer und die Carltons mit ihrem missratenen Sohn sowie Ernest und Catherin und nicht zu vergessen Peter Maverick.«

»Aber dann müssen wir Sue und Anthony ebenso einladen, denn die kennen sich doch alle untereinander«, fuhr er dazwischen. »Und deine Freundin?«

»Ach ja, Ellen, die hätte ich beinahe vergessen«, meinte Madame und machte dabei eine theatralische Bewegung, welche an einen kurzen Auszug aus dem Ballett von Schwanensee erinnerte. Tatsächlich war Mathilda Everton früher eine Balletttänzerin gewesen, aber leider nur mit einer mittleren Begabung im Ensemble des College-Theaters in der Abschlussklasse. Im Laufe der Pubertät hatte sie sich dann einige Kilos angefuttert, sodass an eine Karriere als Balletttänzerin nicht mehr zu denken war. Mathilda vervollständigte ihre Liste und schob sie in das oberste Fach des kleinen Sekretärs, welcher nahe des Durchgangs zum Esszimmer stand.

»Mir ist etwas kühl, Archi, könntest du mir nicht meinen Seidenschal aus dem Schlafzimmer holen, er sollte auf meinem Toilettentisch liegen?«

»Mein Name ist übrigens Archibald, Archi beinhaltet so etwas Verwerfliches, ich habe es dir schon des Öfteren gesagt, mein Liebes.«

»Na gut, dann eben Archibald«, meinte sie lächelnd.

Erst als sich Archibald schon vor dem Schlafzimmer von Madame befand, dachte er darüber nach, dass man auch das Dienstmädchen hätte damit beauftragen können.

»Willst du mir nicht einen Kuss geben, Charles, jetzt da wir unter uns sind?«, meinte Mathilda und nahm eine verführerische Pose ein.

Für einen Augenblick war die sonst eher stramme Haltung bei Charles verflogen und beinahe leger tänzelnd näherte er sich Mathilda, legte seinen Arm um sie und küsste sie leidenschaftlich.«

»Vorsicht, Charles, Archibald kann jeden Moment zurückkommen«, meinte Mathilda und löste sich beinahe ruckartig aus seiner Umarmung.

»Aber wir lieben uns doch, ich werde ihm meine Liebe zu dir gestehen müssen. Er wird früher oder später darüber hinwegkommen, Mathilda.«

»Du scheinst zu vergessen, dass wir uns ein Leben ohne ihn gar nicht leisten können, wenn er allerdings tot wäre, dann würden sich unsere finanziellen Probleme lösen lassen. Mein Pflichtanteil wäre mir in einem solchen Fall sicher, und alleine dieser würde reichen, um ein sorgenfreies Leben führen zu können. Selbstverständlich würde ich dich niemals darum bitten, ihn für immer verschwinden zu lassen, auch wenn es die einzige Lösung für uns beide wäre.«

»Nein, das könnte ich wirklich nicht«, entgegnete Charles in einer gespielten Selbstsicherheit.«

»Dann werde ich es tun müssen, ich kann so mit diesem Versteckspiel nicht weiterleben, Charles.«

Kaum war es ausgesprochen, öffnete sich die Türe und Archibald näherte sich Mathilda mit den Worten: »Ich habe den besagten Schal nicht gefunden.«

»Ach entschuldige, Archi, er liegt ja da drüben auf der Kommode, ich muss ihn übersehen haben.«

»Wünschen Sie noch etwas, Madame?«, fragte Charles, welcher wieder seine Butlerhaltung eingenommen hatte.

»Nein, das ist alles, Charles, Sie können sich entfernen«, erwiderte Mathilda stoisch.

»Wir können froh sein, dass wir Charles haben, einen besseren Butler könnte man sich nicht vorstellen, zuvorkommend und er sieht dazu noch blendend aus«, meinte Archibald, während er einige Schritte im Zimmer auf und ab ging und dabei in das lodernde Feuer blickte.

Eher beiläufig murmelte Mathilda: »Ja, doch, ich achte weniger auf das Aussehen unserer Bediensteten.«

Die darauf folgende Schweigsamkeit wurde durch ein intensives Klopfen an die Terrassentüre unterbrochen. Archibald zog in einem Ruck den Vorhang zur Seite und blickte geradewegs in das Gesicht der erwartungsvoll wartenden Frau.

»Ah, du bist es, Elisabeth«, war seine kurze Begrüßung, als er die Türe einen großzügigen Spalt geöffnet hatte.

»Ich kam durch den Garten und sah das dumpfe Licht eures Kronleuchters durch die Vorhänge scheinen.«

»Dich haben wir nun wirklich nicht erwartet, komm doch herein, Elisabeth.«

»Guten Abend, Mathilda«, sagte sie knapp und zündete sich dabei eine dieser schlanken Damenzigaretten an.

»Ich werde euch alleine lassen, ich möchte mich vor dem Nachtessen noch etwas frisch machen«, sagte Mathilda und zog sich in dezenter Weise zurück.

»Na Bruderherz, wie geht es dir?«, meinte sie salopp und ließ sich dabei in den großen Sessel fallen.

»Ich kann nicht klagen«, erwiderte er und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihn tatsächlich ein Problem beschäftigte.

»Du konntest dich schon früher nicht verstellen, rück schon raus damit, was beschäftigt dich, Archibald?«

»Ich glaube, Mathilda betrügt mich.«

»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen, wen hast du in Verdacht?«

»Das möchte ich nicht sagen«, hielt sich Archibald mit der Antwort zurück.

»Sag nicht, es ist der schöne Charles, euer Butler, welcher mir bei meinem letzten Besuch bei euch ebenso schöne Augen gemacht hatte, das kann doch nicht wahr sein.«

»Doch es ist wahr, ich hatte nur noch nicht den Mut, ihn darauf anzusprechen.«

»Was gedenkst du zu tun, Archibald?«

»Ich werde niemals in eine Scheidung einwilligen, vorher noch werde ich meinem Leben ein Ende setzen«, gab er niedergeschlagen zurück.

»Aber ich bitte dich, erst nach dem jährlichen Bankett, falls ich dieses Jahr auch wieder eingeladen bin.«

»Selbstverständlich, Elisabeth, wir haben gerade vorhin die Gästeliste zusammengestellt.«

»Was ist übrigens der Grund deines unerwarteten Besuches, Elisabeth.«

»Ich wollte dich darum bitten, einen weiteren Namen auf deiner Liste zu vermerken. Es handelt sich um einen gewissen Herbert von Willensdorf, man könnte ihn auch als meinen neuen Freund bezeichnen. Er ist ein angesehener Kriminalist, du hast doch sicher schon von ihm gehört, Archibald?«

»Nein, von Willensdorf ist mir nicht geläufig, aber wenn dir so viel daran liegt, so habe ich selbstverständlich nichts dagegen. Ich hoffe nur nicht, dass er seine kriminalistischen Fähigkeiten unter Beweis stellen muss«, fügte Archibald bei. »Möchtest du mit uns zu Abend essen, du bist selbstverständlich herzlich dazu eingeladen?«

Im selben Moment betrat Marlene das Zimmer und gab unmissverständlich zu verstehen, dass das Nachtessen soeben im Esszimmer aufgetischt wurde. Dem Geruch folgend, betraten die beiden daraufhin das Esszimmer und setzten sich an die gedeckte Tafel.

»Wo bleibt Madame?«, fragte Archibald den Butler, als dieser bereits dabei war, die Deckel von den Porzellanschalen zu entfernen.