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Liebe Leserinnen und Leser, auch in der neuesten Ausgabe, der bereits zum Kult gewordenen Erfolgsserie um den Weltenbummler und unbeirrbaren Kriminalisten Herbert von Willensdorf, besticht er wieder durch seine unkonventionelle und scharfsinnige Vorgehensweise. Er bringt Licht in die dunklen, abgründigen Geheimnisse. Diese Geschichten stützen sich nicht auf wahre Begebenheiten, lassen aber dennoch einen Spielraum zu, mit einem Augenzwinkern und viel Fantasie den Wahrheitsgehalt hineininterpretieren zu können. Ich wünsche euch, liebe Leserinnen und Leser, eine spannende Unterhaltung. Euer H. E. Miller
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Seitenzahl: 452
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Portrait: H. E. Miller, geboren 1955 in Basel/Schweiz. Nach einer abgeschlossenen Berufslehre folgten mehrere längere Studienreisen nach Ägypten und dem Sudan. Mehrere Jahre Mitgliedschaft im Forum für Ägyptologie an der Universität in Basel. Weitere Auslandsaufenthalte in Asien und Fernost. Freier Komponist und Musiker. Kunstschaffender, Auftragsarbeiten. Auftragsarbeiten mit Ausstellungen in diversen Galerien. Heute lebt und arbeitet er als selbstständiger Unternehmer in Basel.
Cairo Moon Hotel
Unser Mann in Montélimar
Tod eines Journalisten
Die Bucht von San Cristóbal
Die Krautwickel des Grauens
Das Haus an der Headford Road
Dieses Hotel hatte wahrlich nicht das gewisse ägyptische Flair, dachte sich Misses Withchair, als sie durch die gläserne Türe hindurch den Speisesaal betrat.
Wie gewohnt war ihre Agentur für die Buchung und Reservation zuständig, wobei darauf geachtet wurde, sich in einem durchschnittlichen Rahmen zu bewegen, um das schmale Budget nicht zu sehr belasten zu müssen.
Misses Withchair hatte erst vor wenigen Tagen ihren 29. Geburtstag gefeiert, wirkte aber einige Jahre älter, was dem Umstand zuzusprechen war, dass sie sich tagsüber nur wenig oder gar nicht schminkte. Allerdings war sie dafür besorgt, durch tägliche Übungen ihrem Körper die für ihren Beruf nötige Sportlichkeit erhalten zu können.
Schon bereits mehrere Wochen dauerte die Welttournee an, aber dieses Musical vor den berühmten ägyptischen Pyramiden vorzuführen, schien für das gesamte Ensemble einen vorzeitigen Höhepunkt zu bedeuten. Geradezu symptomatisch war der Name dieser gelungenen Produktion, welche Boris Engelhoff nahe dem Original von Sir Benedict Strattheim produzieren vermochte. »Caravenserai« gehörte zu dieser Zeit zu den angesagtesten Produktionen, wobei die gelungene Mischung aus Gesang und Tanz die Orientalistik des 19. Jahrhunderts widerspiegeln sollte. Die Geschichte spielte in Bagdad und drehte sich um einen Drehtänzer einer Derwisch-Tanzgruppe, welcher sich unglücklich in eine Tochter des Sultans Saray verliebte und keine Möglichkeit sah, mit ihr zusammenzukommen. Nach etlichen Verwicklungen hatten sie trotz aller widrigen Umstände dennoch zueinander gefunden und lebten bis an ihr Lebensende glücklich zusammen. Misses Elenora Withchair bekleidete die Rolle der Brautmutter und zugleich die Herrscherin des Sultanats. Der Sultan selbst wurde von dem italienischen Tenor Roberto Fraggini verkörpert, wobei der Regisseur ihm, auch schon wegen seiner umwerfenden Stimme, die Hauptrolle zukommen ließ.
Misses Withchair setzte sich willkürlich an einen der lieblos dekorierten Tische und platzierte ihren Seidenschal neben sich auf den darauffolgenden Stuhl, um bei dem erwarteten Ansturm den Platz neben ihr freihalten zu können. Ein traditionell gekleideter Kellner stand nahe dem Eingang und beobachtete wortlos die in der Mitte des Raumes sitzende Misses Withchair. Mit einer schnippenden Bewegung delegierte sie den jungen Kellner zu sich und bestellte ein Kännchen Tee mit Milch, eine Art Chai, wie sie ihn öfters in Indien getrunken hatte. Mit einer einstudierten Verbeugung zog sich der junge Mann zurück und das darauffolgende Geschirrklappern deutete darauf hin, dass sich außer der Schauspielerin überhaupt niemand in der unteren Etage aufgehalten hatte. Ein Blick auf ihre vergoldete Uhr an ihrem zarten Handgelenk ließ eine gewisse Ungeduld zu, denn die restlichen Leute dieser zusammengewürfelten Theatergruppe müssten bereits eingetroffen sein. Bereits etwas unruhig, klopfte sie mit ihren Fingern auf die Marmortischplatte und wendete ihren Kopf dabei mehrmals dem Eingang des Speisesaales zu. Mittlerweile brachte der Kellner den bestellten Tee und wunderte sich ebenfalls über das Ausbleiben der Theaterleute, welche sich bereits vor einigen Tagen angemeldet hatten. Immer wieder ließ sie ihren Blick durch die wintergartenähnliche Terrassentüre gleiten und blieb an den angegliederten Hochhäusern haften, welche eine gewisse Grenze bildeten zwischen der dichtbesiedelten Stadt und dem Beginn des wüstenähnlichen Gebietes, welches bis zu dem Plateau von Gizeh mit den drei großen Pyramiden führte. Durch die rasante Ausdehnung der Stadt rückten diese jedoch immer näher und waren vom oberen Stockwerk des Cairo Moon Hotels bereits gut sichtbar. Geräusche von Stimmen, welche nur durch ein sich näherndes Gemurmel wahrzunehmen waren, erfüllten die Eingangshalle des Hotels. Misses Withchair erhob sich aus ihrem geflochtenen Korbstuhl und blickte in die Richtung, aus der das Gemurmel entsprang.
»Du bist schon hier, Elenora?«, meinte Edna Caruso, als sie sich den Weg durch die unzähligen Korbstühle hindurch gebahnt hatte. Obwohl Edna Caruso nur eine kleine Rolle in dem Stück innehatte, fühlte sie sich für alles und jeden verantwortlich. Sie hatte sich extra für die Zeit, in der sie in Kairo gastierten, einen tropischen Freizeitanzug mit Tropenhut gekauft und getragen, obwohl alle anderen Mitglieder sich nur in T-Shirts und Shorts kleideten. Schwerfällig wälzte der Deckenventilator die heiße, trockene Luft unmerklich um. Weitere Mitglieder kamen auf Elenora zu und setzten sich unweit von ihr unter den beinahe kitschigen, neuwertigen Kristallleuchter.
»Wir hatten eine Panne unterwegs«, berichtete der Fahrer des kleinen gecharterten Reisebusses, während er sich Wasser aus einer eisgekühlten Glaskaraffe einschenkte. Der Kellner sah sich alsbald überfordert, als zugleich mehrere der angekommenen Gäste eine Bestellung aufgaben. Einer der fünf Sänger des Eunuchenchors litt besonders unter der Hitze und den Strapazen dieser Reise, was ihn dazu veranlasste, sich bereits in eines der reservierten Zimmer zurückzuziehen.
»Wenn uns dieser Gregori nur nicht so kurz vor unserer ersten Aufführung schlapp macht«, meinte der Regisseur, wobei seine Bemerkung im allgemeinen Gemurmel unterging.
»Ist der Lastwagen mit unseren Utensilien bereits eingetroffen?«, fragte André, denn er hatte sich um die Garderobe zu kümmern und war auch ansonsten Mädchen für alles. Alle hatten sich an seine beinahe pomadige Art gewöhnt, und niemand schien sich daran zu stören, dass er beinahe keine Möglichkeit ausließ, dem Hauptdarsteller Roberto Fraggini den Hof zu machen. Nur Roberto selbst störte sich daran, dass sich André immer und überall neben ihn setzen wollte, um ihm irgendwie nahe zu sein.
»Soll ich dir ein Glas Wasser einschenken, Roberto?«, fragte er, während er bereits die halb leere Karaffe in der Hand hielt.
Der Regisseur unterbrach diese weitere Anbiederung mit den Worten: »Leute, seid doch bitte einmal ruhig. Wir haben in zwei Tagen einen hoffentlich legendären Auftritt vor der Cheops-Pyramide. Wir werden wie gewohnt eine Show der Totale hinlegen, wobei uns dieser beinahe magische Ort sicherlich zu einer Höchstleistung inspirieren wird. Ich habe mir erlaubt, unsere Drehtanzgruppe um ein weiteres Mitglied zu ergänzen. Obwohl sich die Verhandlungen mit der in New York ansässigen Agentur dahinschleppten, hatte es sich doch noch zum Guten gewendet, und ich konnte sage und schreibe Jürgen Riesterer verpflichten. Er unterbrach seine Tournee mit den Wirling Wizzerd, welche ihn durch New Mexiko führte, und sollte morgen bereits in Kairo ankommen.«
Ein beinahe euphorischer Applaus folgte auf diese sensationelle Nachricht, wobei ein Lächeln über das Gesicht des Regisseurs huschte.
»Obwohl wir alle wissen, dass Jürgen ein Weltstar ist, würde ich mir wünschen, dass ihr euch alle trotzdem ihm gegenüber ganz natürlich verhalten werdet. Er wird unser Schaffen sicherlich enorm beflügeln können.«
»Aber er kennt doch gar nicht unsere monatelang einstudierte Choreographie«, wendete einer der Drehtänzer ein.
»Ach was, er kennt jeden eurer Tanzschritte und den Rest erledigt er intuitiv. Macht euch nur keine Sorgen darum. Wenn ihr ausgetrunken habt, können wir unsere Zimmer beziehen, und heute Nachmittag könnt ihr wählen zwischen einer fakultativen Probe oder einem Nachmittag zur freien Verfügung.«
Die Künstler packten ihre in der Eingangshalle deponierten Rollkoffer und begaben sich geschlossen in die obere Etage. Das ganze obere Stockwerk war mit schwarz-weiß, im Schachbrett angelegten Fliesen belegt und trug ebenso wie die mit Intarsien verzierten Wände dazu bei, den Standard des Hotels etwas anzuheben. Die sonst gut sichtbaren Pyramiden versanken wieder einmal im Smog des Großstadtverkehrs.
Elenora bewohnte das erste Zimmer, welches üppig eingerichtet war und eine eigene Terrasse hatte, worauf sie sich vorsichtig auf einen Stuhl setzte und in einem Reiseprospekt blätterte. Vor einigen Jahren hatte sie, damals mit ihrem ersten Ehemann, bereits schon einmal das Land der Pharaonen bereist, wobei sie aber auf Grund seiner gesellschaftlichen Stellung nur an den besten Adressen hier in Kairo logierten. Ein angenehmes Gefühl der Erinnerung durchströmte ihren Körper, als sich das Ausrufen des Muezzins mit dem ununterbrochenen Autogehupe vermischte. Sie erinnerte sich noch an die Nilschifffahrt, an das unvergleichliche Licht bei den Sonnenuntergängen und an die betörenden Gerüche der orientalischen Gewürzmärkte. Es war beinahe wie ein Nachhausekommen, nach einer Irrfahrt durch die Höhen und Tiefen des vorbeieilenden Lebens, aus dem sie auszubrechen versuchte. Erst als sie sich dieser Künstlergruppe angeschlossen hatte, fand sie wieder zu sich selber und konnte den Zugang zu dem sogenannten normalen Leben wiederfinden, nur das Geräusch, welches das Schließen der Gefängniszellentüre verursachte, hatte sich in ihrem Unterbewusstsein unauslöschlich festgesetzt. Das eher zaghafte Klopfen an ihre Zimmertüre ging im Straßenlärm unter, erst als das Klopfen wiederholt kräftiger wurde, erhob sich Elenora aus ihrem Stuhl und öffnete die Türe einen großzügigen Spalt.
»Was wünschen Sie?«, fragte sie den fremden, etwas eingefallenen Mann, welcher Elenora mit seinen sanften Augen betrachtete.
»Habe ich das Vergnügen, mit Elenora Withchair zu sprechen?«, sagte er in einer Weise, als würde er diese Frau bereits bestens kennen. »Mein Name würde Ihnen nichts sagen, und ich denke nicht, dass ich Ihnen in irgendeiner Weise aufgefallen bin, obwohl ich Ihnen bereits seit Monaten hinterherreise und auch keine Ihrer Aufführungen ausgelassen habe.«
»Sind Sie ein Stalker, Mister?«
»Nennen Sie mich bitte Rodolfo. Sie sehen, auch ich habe einen Künstlernamen, obwohl ich nicht künstlerisch tätig bin.«
»Irgendwie haben Sie aber schon mit dem Showbusiness zu tun, Rodolfo? Möglicherweise sind Sie sogar auf der Suche nach jungen, unverbrauchten Talenten, wobei Sie diesbezüglich bei mir an der falschen Adresse sind. Mein Stern ist bereits schon vor Jahren untergegangen. Ich werde in dieser Branche nur noch als Zweitbesetzung geduldet, und das auch nur, weil ich in einer schwachen Minute nicht Nein sagen konnte, als der Regisseur mich als eines seiner vielen Abenteuer betrachtete. Also Rodolfo, was wollen Sie?«
»Müssen wir das zwischen Tür und Angel besprechen?«, meinte er und nutzte damit die wachsende Neugier von Elenora aus.
»Also kommen Sie herein und schließen Sie die Türe«, antwortete sie und setzte sich auf einen der Stühle, welche um den kleinen Clubtisch angeordnet waren. »Wollen Sie etwas trinken, Rodolfo?«
»Nein danke, später vielleicht«, meinte er mit der Absicht, ein längeres Gespräch führen zu wollen. »Ich hoffe, Sie nicht allzu sehr damit zu schockieren, wenn ich Ihnen anvertraue, dass ich wie Sie einige Zeit im Gefängnis verbracht habe. Nicht lange, denn schließlich handelte es sich nur um ein Vermögensdelikt im fünfstelligen Bereich. Aber lange genug, meinen Zellennachbar in dieser Zeit sehr gut kennenzulernen. Leider ist ihm, auch auf Grund seines fortgeschrittenen Alters, das Klima in dieser ungesunden Umgebung nicht besonders bekommen und eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte, musste ich mitansehen, wie es mit ihm zu Ende ging. Er war ein wirklicher Freund. Wo erlebt man es sonst noch, dass einer seine letzte Zigarette mit einem teilt.«
»Bitte kommen Sie auf den Punkt, Rodolfo«, meinte Elenora etwas ungehalten.
»Ich muss Ihnen die Vorgeschichte erzählen, es wäre sinnlos, Sie nur mit harten Fakten zu konfrontieren.«
»Na gut, erzählen Sie weiter.«
»Mein Zellennachbar hieß übrigens Kangoo, Ralph Kangoo, sagt Ihnen dieser Name etwas?«
»Nein, nie gehört«, antwortete sie kurz.
»Sagt Ihnen dieser Name wirklich nichts?«, doppelte Rodolfo nach.
Sie schüttelte den Kopf.
»Dieser Ralph Kangoo, den Sie so vehement abstreiten zu kennen, arbeitete sehr eng mit Ihrem verstorbenen Mann zusammen, und wir beide wissen, dass einige vertrauliche Informationen ausgetauscht wurden. Man spricht von Staatsgeheimnissen. Sie wussten selbstverständlich nichts von alldem, Misses Withchair.«
»Tatsächlich habe ich mich, was das Geschäftliche meines Mannes anging, immer rausgehalten«, entgegnete Elenora scharf.
»Scheinbar nicht immer«, sagte Rodolfo verächtlich grinsend. »Bei diesen Informationen, bei denen es unter anderem um die Vergabe von Aufträgen in Millionenhöhe ging, haben Sie allem Anschein nach munter mitgemischt, was Ihnen ein Jahr und zwei Monate unbedingt eingebracht hat. Sie sehen, ich bin bestens informiert, Elenora.«
»Für Sie immer noch Misses Withchair«, berichtigte sie ziemlich energisch.
»Nun hätte ich doch gerne etwas zu trinken«, meinte Rodolfo, wobei er nur damit zu bezwecken schien, die Spannung aufrechtzuerhalten.
Eilig holte Elenora die Mineralwasserflasche, welche auf der geschnitzten Kommode stand, und füllte zwei Gläser beinahe randvoll.
»Erzählen Sie weiter. Langsam fängt es an, mich zu interessieren.«
»Das Erbe meines verstorbenen Freundes Ralph, wirklich ein lieber Kerl … habe ich ich Ihnen schon gesagt, dass er seine letzte Zigarette mit mir teilte?«
»Ja, Sie sagten es«, meinte sie bereits sichtlich nervös. »Fahren Sie fort.«
»Wieder einmal hatten dieser Ralph und Ihr Mann zusammen eines dieser lukrativen Geschäfte abgeschlossen, wobei nicht weniger als eine halbe Million abgezweigt wurde und auf ein Nummernkonto einer Bank in Lichtenstein floss. Leider kam es nicht mehr dazu, die Summe aufzuteilen, denn Ralph wurde verhaftet und Ihr Mann starb kurze Zeit darauf an einem Herzinfarkt. Ralph, übrigens ein edler Mensch, hatte seine Informationen an mich weitervererbt, wobei er selbstverständlich nicht ausgelassen hatte, zu erwähnen, dass Sie, Madame Withchair, wissen, wie man an diese Informationen herankommen kann. Ich will ja nicht als habgierig erscheinen, das läge mir fern, aber es lag auch in Ralphs Interesse, dass ich etwas von diesem Kuchen abbekommen sollte. Sagen wir hunderttausend Dollar und gewisse Informationen, diese Forderung sollte wahrlich nicht übertrieben sein.«
Elenora lachte laut heraus. »Und deswegen reisen Sie mir monatelang hinterher. Sie hätten es sich sparen können. Denken Sie wirklich, ich würde in einem solchen Tingeltangel-Theater auftreten, wenn ich im Besitze einer halben Million Dollar wäre!«
»Ich weiß, Sie haben das Geld«, entgegnete er forsch.
»Gesetzt den Fall, ich wäre im Besitz dieses Geldes, oder hätte ein Wissen über diese Informationen, denken Sie wirklich, ich würde diese an Sie weitergeben?«
»Ihnen wird das Lachen schon noch vergehen, Misses Withchair«, meinte er mit ernster Miene.
»Nicht nur die Polizei ist auf der Suche nach diesem Geld, nein, auch die Leute, welche Ihr Mann über den Tisch gezogen hatte. Von mir wird niemand etwas erfahren, wenn Sie sich kooperativ zeigen, Misses Withchair.«
»Üben Sie diesen Beruf schon lange aus?«
»Welchen Beruf meinen Sie, Madame?«
»Der Beruf eines Erpressers.«
»Nein, erst seit ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, beschäftige ich mich damit, das Erbe von Ralph zu verwalten.«
»Sie scheinen zu vergessen, Rodolfo …«
»Rodolfo ist übrigens nicht mein richtiger Name«, sagte er schmunzelnd. »Sagen Sie zu mir Bernd, Bernd Hoover.«
»Ach was, das ist doch auch nur eines Ihrer Pseudonyme«, entgegnete sie weiterhin lächelnd.
»Sie müssen sich doch nicht gleich entscheiden, ich habe so lange gewartet, da kann ich auch noch etwas länger warten«, sagte er in einer schmierigen Art.
»Wie gesagt, Mister Hoover, habe ich noch einige Freunde von früher, welche mit einem solchen miesen Erpresser, wie Sie einer sind, nicht zimperlich umgehen werden.«
»Ahh! Bravo, so ist es gut, immer schön zurückgeben, aber damit können Sie mir nicht drohen«, fuhr Bernd Hoover dazwischen und packte Elenora an den Schultern, und während es ein weiteres Mal an die Zimmertüre klopfte, schüttelte er sie einige Male hin und her, um seiner Forderung einen kleinen Nachdruck zu verleihen.
»Herein«, rief Elenora und löste sich dabei mit einem Ruck aus der Umklammerung.
»Ich wollte nur fragen … ah, du bist nicht alleine, Elenora, willst du mir diesen netten Herrn nicht vorstellen«, sagte Soraya interessiert, noch die Türfalle in der Hand haltend.
»Darf ich vorstellen, Mister Bernd Hoover, Miss Soraya …«
»Freut mich«, kam er ihr entgegen und reichte ihr seine schmalgliedrige Hand.
»Sie kommen mir bekannt vor, Bernd, ich weiß im Moment nur nicht, wo ich Sie hinstellen soll, okay, der Name sagt mir überhaupt nichts, aber das Gesicht. Ich dachte immer, du seist dem männlichen Geschlecht gegenüber völlig abgeneigt, Elenora, und kaum dreht man dir den Rücken zu …«
»Er ist ein Bekannter von mir und interessiert sich hauptsächlich für unsere Aufführungen«, sagte Elenora schnell mit einer abwinkenden Handbewegung.
»Dann wird es dich auch nicht stören, wenn ich dir diesen netten Herrn nach unserer Probe entführe?«
»Hoover«, wiederholte sie ein weiteres Mal, und kurz bevor sie die Türe wieder schließen wollte, konnte sie diesen Bernd Hoover doch noch einordnen.
»Jetzt weiß ich es, Sie waren bisher an jeder Vorstellung unserer Welttournee anwesend. Selten genug, dass mir einer der Zuschauer speziell ins Auge springt, aber an Sie kann ich mich erinnern, Bernd. Ich habe daraufhin die Reservationsliste durchgesehen, aber ein Bernd Hoover war nicht dabei, dessen bin ich mir vollkommen sicher. Ich würde es begrüßen, Ihren richtigen Namen zu wissen, bevor ich mich Ihnen in meinem Hotelzimmer vollends hingeben werde morgen Nacht, falls Sie sich für diese Zeit irgendwie freischaufeln können, Bernd, oder wie immer Sie heißen.«
»Nomen est omen, Sie können mich ebenso Robin Hood nennen, aber spielt es eine Rolle, wenn Sie morgen Nacht nach einem gepflegten Beisammensein in meine Arme sinken?«
»Nein, da haben Sie recht«, flüsterte sie geschmeidig und verließ darauf das Hotelzimmer.
»Robin Hood, etwas Besseres ist Ihnen wohl nicht eingefallen! Bitte verlassen Sie nun mein Zimmer.«
»Das werde ich, aber wir werden uns wiedersehen, Misses Withchair«, sagte er und verschwand, wie er gekommen war.
Das Abendessen wurde in der Gruppe im Speisesaal des Hotels eingenommen. Schwitzende Leiber reihten sich aneinander und beschäftigten sich in der Zwischenzeit mit dem Besteck, denn das versprochene Hühnchen an einer Linsensoße ließ auf sich warten. Der Regisseur hatte so seine präzisen Vorstellungen, und so verbot er den Konsum des hauseigenen Weines, jedoch Bier wurde von ihm toleriert. Was hinter dieser seltsamen Philosophie steckte, wusste niemand, aber es wurde allgemein ohne Murren akzeptiert.
»Reichst du mir das Brot herüber, Antoine?«
Doch Antoine suchte vergebens auf dem mit Zuckerrohrstauden dekorierten Tisch. Die Wartezeit wurde genutzt, über die stattgefundene kleine Probe am Nachmittag zu diskutieren.
»Auch wenn du nur zweite Besetzung bist, würde ich es begrüßen, wenn du an diesen Proben auch teilnehmen würdest«, forderte der Regisseur Elenora auf, und kaum hatte er es gesagt, widmete er sich wieder dem Eunuchenchor und war wieder einmal voll des Lobes.
»Mensch Jungs, ihr habt ja wieder einmal alles gegeben.«
»Danke Chef«, erwiderte Atila Mauritsch.
»Außer dass ihr zwei Mal den Einsatz verpasst hattet, und bei der Stelle, als der Sultan Aray sich den Haremsdamen zuwendete, um gepriesen zu werden, habt ihr das kurze Stück des türkischen Textes vergessen. Noch einmal und ihr seid für die längste Zeit Eunuchen gewesen, das versichere ich euch. Der Text lautet: ›Habibi, Habibi‹, aber dann hattet ihr ›Bu iki mankene bir bakarmisin‹ gesungen, was so viel heißt wie: Schau dir diese Models an. Was sollen wohl die arabisch sprechenden Ägypter davon halten, wenn ihr solchen Mist in die Welt hinausposaunt.«
Leicht beschämt versuchten die Sänger den Blicken des Regisseurs zu entgehen.
»Sie hingegen, Roberto, Sie ließen erneut die Luft vibrieren, besonders als Sie darüber wehklagten, dass Ihre Tochter, Prinzessin Serafina, sich diesem Drehtänzer, gespielt von Jürgen Riesterer, hingegeben hatte. Er hatte sie verführt, und dem Sultan blieb kein anderer Ausweg, als ihn enthaupten zu lassen. Mohamed Mustafa Efendi hatte jedoch Mitleid mit ihm und ließ den Tänzer entkommen. Dieser Moment, als der Sultan vor dem leeren Verlies stand und dieses für ihn charakteristische Belting in das Verlies hineinschmetterte, war einer der schönsten Momente des ganzen Musicals, begleitet von einigen Cantabile Orientale und einer einzelnen Suzuki.«
»Sie meinen wohl ›Bouzouki‹, Chef«, berichtigte eine der Haremsdamen, worauf sich der Regisseur blitzschnell korrigierte mit: »Sag ich doch.« Trotzdem brachen einige der Schauspieler in Gelächter aus.
»Den Bauchtanz müssen wir noch etwas entschärfen, auch wenn Sie früher in einem Nachtclub getanzt hatten, so können Sie hier definitiv das Oberteil anbehalten, Soraya. Ich wäre der Letzte, welcher auf diese wohlwollende Laune der Natur verzichten möchte, aber wir müssen einem vorprogrammierten Tumult der Zuschauer vorbeugen … Ahh, da kommt ja schon unser Essen«, unterbrach er seinen Redefluss und biss in eines dieser fetttriefenden Hühnchen hinein.
»Guten Appetit«, richtete sich der Kellner an den Regisseur, worauf er wortgewandt »Sukran el Fendi«, antwortete. El Fendi hatte er dazugedichtet, er wusste auch nicht, was damit gemeint war, aber es hörte sich auf jeden Fall gut an.
»Sie sind aber sprachgewandt«, meinte Roberto zu ihm und wollte sich für dessen Komplimente revanchieren.
Die meisten der Schauspieler und Sänger verliefen sich in der heißesten Zeit des Tages wieder in ihre Zimmer und platzierten sich vor die Gebläse der Kühlungsaggregate, welche die schwüle Luft mehrmals täglich umwälzte.
Die ersten und einzigen Proben vor der Pyramide selbst hatte der Regisseur Federico Carotta für denselben Abend angesagt. Nervös saß er noch als Einziger weiterhin im Speisesaal und versuchte, den gesamten zweiten Akt vor seinem geistigen Auge durchzuspielen. Schweiß tropfte auf die vor ihm liegenden losen Blätter, obwohl er mit einem mitgebrachten Handtuch die nasse Stirn immer wieder abtupfte.
»Ist es wahr oder träume ich? Das ist doch Federico Carotta.« Geschickt schlängelte ich mich zwischen den Stühlen durch, und als ich schlussendlich vor ihm stand, bestätigte sich meine Vermutung, dass es sich tatsächlich um meinen ehemaligen Schulfreund Federico handelte.
Etwas geistesabwesend blickte Federico zu mir hoch und meinte zu mir: »Ich glaube, Sie verwechseln mich, Mister.«
»Aber, aber, Federico, du alter Schwerenöter, weißt du nicht mehr, als wir zusammen in das Schulhaus einbrachen, um die Prüfungsaufgaben zu stehlen? Federico, alter Junge, du hast dich beinahe gar nicht verändert. Das Bärtchen steht dir gut, hast du es eingefärbt?« Tatsächlich passte es nicht zu den grau melierten Haaren des Regisseurs.
»Herbert, Herbert von Willensdorf.« Endlich erwachte Federico aus seiner Lethargie und reichte mir seine schwitzige Hand hin.
»Leitest du immer noch dieses Schülertheater in Salzburg, Federico, oder? Nein, das kann doch nicht wahr sein. Dann bist du tatsächlich dieser Federico Carotta, welcher bei diesem Musical vor den Pyramiden Regie führt. Ich habe, als ich letzthin in Amsterdam war, in einem Internetcafé den Aushang gesehen und selbstverständlich einen Platz reserviert. Dass es sich dabei um meinen Schulfreund handeln würde, war jenseits meiner Vermutung.«
»Und du, Herbert, betätigst du dich immer noch als Schriftsteller, um deinem ohnehin feudalen Leben etwas Spannung beizumischen? Ich gehöre wohl zu den Einzigen, die wissen, dass deine Kriminalgeschichten allesamt nur frei erfunden sind, obwohl du in deinen Büchern vehement das Gegenteil behauptest hattest.«
»Ich bin sozusagen auch im Showbusiness tätig, wenigstens vorübergehend«, versuchte ich das Thema in andere Bahnen zu lenken. »Ich arbeite an einem Projekt namens Rashned Lubijowitsch in the Great Pyramid.«
»Ist das nicht dieser Slam-Poetry-Sänger aus Belgrad?«, fragte Federico interessiert.
»Nein, es handelt sich dabei um seinen Bruder, den Saxophonspieler. Er wird auf den Spuren von Paul Horn beweisen, dass die energetischen Wellen seines einzigen gespielten Tones an den Wänden der großen Galerie eine strukturelle Veränderung der Bausubstanz hervorrufen können und durch einen weiteren gespielten Ton aus seinem Instrument wieder neutralisiert werden. Selbstverständlich hegten die Leute der Altertumsverwaltung gewisse Zweifel an der Wirksamkeit meiner Theorie, obwohl bereits Willfried Babtiste 1892 die Wirksamkeit in seinem Buch ›Die Transformation der Wellen‹ bestätigte. Und obwohl Babtiste seine letzten Jahre in einer psychiatrischen Anstalt verbringen musste, hat seine bahnbrechende Entdeckung bis heute standgehalten. Ich werde Babtiste mit meinem Versuch wieder rehabilitieren und ihm den Platz in der Geschichte der Physik zusprechen, den er verdient. Aber ich spreche ja nur von mir, wie geht es vorwärts mit deinem Musical ›Caravanserai‹?«
»Wir haben morgen noch eine Hauptprobe vor den Pyramiden und dann am Donnerstag ist die Premiere. Ich habe in meiner neuesten Produktion auch eine Drehtanzgruppe dabei, und es ist sicherlich nicht zu viel verraten, dass ich als Vortänzer Jürgen Riesterer verpflichten konnte.«
»Du meinst Jürgen, diesen Jürgen. Wenn du ihn hast, so hast du auch die Zuschauer auf deiner Seite, Federico. Wie hast du das nur geschafft?«
»Mit Verhandlungsgeschick und Beharrlichkeit«, antwortete Federico mit sichtlichem Stolz.
Wir beide waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir nicht bemerkten, wie sich uns eine in einen Kimono gekleidete Frau näherte.
»Ach, du bist es, Elenora. Darf ich dir Elenora vorstellen, Sie spielt die Brautmutter, die Frau des Sultans Saray.«
Beinahe ruckartig erhob ich mich, und beeindruckt von ihrer lieblichen Erscheinung sagte ich nur: »Herbert, mein Name ist Herbert von Willensdorf.«
»Elenora scheint ja eine magische Wirkung auf dich auszuüben, so unsicher habe ich dich aber nicht in Erinnerung, Herbert. Du musst wissen, Elenora, dass er es war, welcher das Interesse der Mädchen zu unserer Schulzeit immer auf sich gezogen hatte.«
»Ihr seid zusammen in dieselbe Schule gegangen?«, fragte Elenora neugierig.
»Nur zwei Jahre, denn Herbert ist zusammen mit seinen Eltern nach Pforzheim gezogen, und so haben wir uns aus den Augen verloren.«
»Sind Sie auch Künstler, Herbert, ich darf doch Herbert sagen?«
»Ich bitte darum, Elenora. Ich betätige mich als Schriftsteller und nebenbei werde ich hin und wieder, vor allem durch meine schriftstellerische Tätigkeit, zu Kriminalfällen herbeigezogen.«
»Unter welchem Namen schreiben Sie?«
»Unter meinem eigenen, Herbert von Willensdorf, und sollte Federico die Unverfrorenheit haben, meinen richtigen Namen Ihnen gegenüber zu erwähnen, werde ich mit ihm nie wieder auch nur ein Wort wechseln.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab, auch wenn ich immer der Meinung war, dass dein richtiger Name auch so einiges hergegeben hatte.«
»Schweig, Federico!«, warf ich ziemlich energisch in die Runde, während sich meine Blicke mit denen von Elenora kreuzten, was dem Regisseur nicht verborgen blieb.
»Sind Sie das erste Mal in Kairo, Elenora?«
»Nein, aber es ist schon Jahre her.«
»Dann wäre es mir eine Freude, heute Nachmittag für Sie den Fremdenführer zu spielen, denn ich kenne diese Stadt wie meine Westentasche.«
»Doch gerne, Herbert, ich würde mich freuen.«
»Ich werde um 15 Uhr in der Lobby auf Sie warten, und ziehen Sie sich bitte etwas an, welches sich nicht an der ägyptischen Tradition stört, sonst laufen wir Gefahr, auf Schritt und Tritt von Händlern und Kaufleuten belästigt zu werden.«
Federico nickte zustimmend und richtete seinen Blick erneut auf den Text des zweiten Aktes.
Wie ein Torhüter, welcher seinen Strafraum verteidigt, stand der Hotelmanager hinter einem üppig verzierten Korpus, nahe der Rezeption, und fuchtelte mit einer Fliegenklatsche in der Luft herum. Er strahlte eine gewisse Befriedigung aus, denn das Hotel war mittlerweile bis auf das letzte Zimmer ausgebucht. Ich hatte Glück, das letzte Doppelzimmer noch zu ergattern zu können.
Mein Blick schweifte über die Dächer der dicht ineinander verschlungenen Häuser, während ich genüsslich, auf der Terrasse stehend, eine Zigarette rauchte. Doch, diese Elenora hatte schon was, fuhr es mir durch den Kopf, und in Vorfreude auf mein bevorstehendes Date huschte ein breites Lächeln über mein Gesicht. Mein Zimmernachbar stand ebenfalls auf seiner Terrasse und winkte mir mit seinem Tropenhut in einer Weise zu, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Möglicherweise entsprang es aus einer Solidarität heraus, denn auch er schien eines der Doppelzimmer für sich alleine zu beanspruchen.
»Waren Sie schon bei den Pyramiden?«, fragte mich dieser etwa 60-jährige vollschlanke Mann und zeigte mit seinem Finger in Richtung dieser Kulturstätte, welche man aber wieder einmal im Dunst des Nachmittagsverkehrs nicht sehen konnte. Es war die Frage der Fragen, welche jeder zu fragen schien, sozusagen die Kardinalsfrage schlechthin.
»Und Sie, waren Sie schon bei den Pyramiden?«, entgegnete ich darauffolgend.
»Ja, schon zwei Mal«, meinte der etwas schwer atmende Mann.
»Und was sagen Sie dazu?«, fragte ich ihn, obwohl ich die Antwort bereits zu kennen schien.
»Sie können sich mir nächstes Mal anschließen, wenn Sie möchten«, schlug er vor, während er an seinem Hemd zupfte, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. »Wollen Sie mit mir zusammen unten an der Bar einen Whiskey trinken?«, fragte er mich und erhob sich mit einem Ruck aus seinem Sessel.
»Doch, da wäre ich nicht abgeneigt, aber nur kurz, denn ich habe noch eine wichtige Verabredung«, entgegnete ich, und so verabredeten wir uns kurz entschlossen.
Die Bar, welche entfernt an Ricks Café im Film Casablanca erinnerte, war in ein weiches Licht getaucht und die sanfte Musik rundete diesen Eindruck ab.
»Ich möchte mich Ihnen gerne vorstellen, mein Name ist Peter Bruckner und ich bin ein Österreicher«, sagte er in einer Weise, wie wenn man sich alleine durch seine Herkunft bereits ein abgeschlossenes Bild erstellen konnte.
»Freut mich, ich heiße Herbert von Willensdorf und bin hier in Ägypten schon beinahe zu Hause, wenn man es an der Zeit meiner Aufenthalte in diesem Land bemisst.«
»Und ich gab mich der Peinlichkeit hin, Sie zu den Pyramiden führen zu wollen«, meinte er etwas beschämt.
»Leider müssen wir mit einem einheimischen Hochprozentigen vorliebnehmen, Mister Bruckner«, sagte ich beinahe entschuldigend und bestellte zwei Doppelte bei dem traditionell gekleideten Barkeeper.
»Halten Sie sich geschäftlich in Ägypten auf?«, wollte ich wissen, um die Konversation etwas anzukurbeln.
»Ja gewissermaßen. Ich habe mich mit einer Frau in diesem Hotel verabredet, aber sie scheint allem Anschein nach nicht hier zu sein. Ich hatte sie bisher noch nie persönlich getroffen, ich kenne nur ihren Namen.«
»Demnach eine schöne Unbekannte. Das muss doch herauszufinden sein, haben Sie sich schon an der Rezeption nach ihr erkundigt?«
»Nein, ich habe ja erst gestern in dieses Hotel eingecheckt, nachdem ich es im Golden Hotel nicht mehr ausgehalten habe.«
»Sie meinen das Golden Hotel nahe dem Tahrir Platz?«
»Ja genau dieses, kennen Sie es etwa?«
»Es gehört einem guten Freund von mir«, erwiderte ich schnell.
»Jetzt habe ich mich anscheinend wieder in die Nesseln gesetzt. Ich werde zukünftig mit meinen Äußerungen Ihnen gegenüber etwas vorsichtiger sein, Herbert«, versprach er und nippte an dem nach Brennspiritus schmeckenden Getränk.
»Sie haben ja völlig recht mit dem Golden Hotel. Es ist nicht besonders sauber und die Zimmer erinnern an Gruppenunterkünfte, wie wir es aus der Schulzeit in Erinnerung haben.«
»Nun übertreiben Sie aber bewusst, Herbert. Ich habe dieses Hotel nur verlassen, weil ich die viel zu weichen Matratzen nicht mehr ausgehalten habe, und weil mir mein Hausarzt Matratzen in der Stärke hart bis sehr hart empfohlen bzw. verordnet hatte, um meiner chronischer Rückenmuskulatur entgegenzuwirken.«
»Und mit den Matratzen hier im Cairo Moon haben Sie demnach einen befriedigenden Liegekomfort?«, betrachtete ich es aus der Sicht eines Chiropraktikers.
»Ach, bei Ihnen weiß man nie genau, wieweit Sie es mit Ihren Aussagen ernst meinen, Herbert«, sagte Peter verschmitzt.
»Und nun suchen Sie also diese geheimnisvolle Frau?«
»Von geheimnisvoll habe ich nichts gesagt«, meinte Bruckner etwas verunsichert.
»Es geht mich schließlich auch gar nichts an, geheimnisvoll oder nicht geheimnisvoll ist mir eigentlich völlig egal. Ach, es ist schon so spät. Bei unserem netten Geplauder habe ich beinahe meine Verabredung mit der Zweitbesetzung vergessen.«
»Wie meinen Sie?«
»Ich werde mit der Brautmutter, der Gemahlin des Sultans Saray, eine kleine Stadtführung unternehmen. Wir werden sicherlich noch später Gelegenheit haben, unser Gespräch über die Matratzen dieser Welt weiterzuführen, Herr Bruckner.«
Als ich die Lobby erreichte, stand Elenora bereits wartend in einem umwerfend schönen Abaya nahe dem Ausgang. Überwältigt brachte ich erst kein vernünftiges Wort heraus.
»Haben Sie es vergessen, Herbert, wir wollten doch zusammen eine Stadttour unternehmen«, sagte sie mit einer lieblichen Stimme.
»Verzeihen Sie, Elenora, ich war etwas irritiert. Sie sehen ja umwerfend aus in diesem Abaya. Sie sollten sich nicht wundern, dass ich Sie erst mit der Königin von Saba verwechselt habe«, stotterte ich und führte sie hinaus zu dem Taxi, welches bereits auf uns wartete.
»Zur al-Azhar-Moschee bitte«, wies ich den Fahrer an, welcher, nur im Schritttempo fahrend, sich den Weg durch die verstopften Straßen bahnte.
»Ich habe mich vorhin in der Hotelbar mit einem netten Herrn aus Österreich über Matratzen unterhalten«, sagte ich zu ihr, um ein Gespräch anzukurbeln. »Einem gewissen Peter Bruckner.«
»Wie, sagten Sie, war sein Name?«
»Peter Bruckner, ein kleiner dicklicher Mann«, antwortete ich eher nebensächlich.
Elenoras Gesicht verfinsterte sich und ihr starrer Blick war auf die eben vorbeiziehenden Eselskarren gerichtet.
»Kennen Sie diesen Mann etwa?«, versuchte ich sie aus ihrer Erstarrung herauszuholen.
»Nein«, erwiderte sie kurz entschlossen.
»Ich hatte aber den Eindruck, Sie würden ihn kennen.«
»Ich sagte doch, nein. Bitte fragen Sie nicht weiter, Herbert«, meinte sie zu mir und nahm einen alten, zerknitterten Reiseführer aus ihrer Tasche.
»Wollen wir mal sehen, al-Azhar-Moschee. Diese Moschee hat eine über tausendjährige Geschichte und galt als Sinnbild des Islamismus.«
Während Elenora vorlas, konnte ich meinen Blick kaum von ihr lassen, denn ihre kastanienfarbenen Augen untermalten ihre feinen Gesichtszüge und der dunkelrote Lippenstift betonte ihren fordernden Mund. Ich achtete kaum auf ihre geschichtlichen Ausführungen, denn die Faszination ihrer Erscheinung raubte mir die Sinne.
Der riesige Bazar Chan el-Chalili stand ebenso auf unserem Plan wie ein Besuch im Bootsrestaurant Blue Nile, welches einen unvergesslichen Ausblick auf die beleuchteten Restaurants am Ufer des Nil bot.
Ununterbrochen hatte ich an diesem schönen Abend geredet, womöglich um meine ungewohnte Unsicherheit überspielen zu können. Elenora hörte geduldig zu, auch wenn ich über unwesentliche Dinge sprach.
»Und du bist tatsächlich eine Art Kriminalist«, fuhr sie mir ins Wort, um auch wieder einmal etwas gesagt zu haben. »So richtig mit Mördern und so?«
»Ja, auch mit Mördern«, sagte ich mehr nebenbei, denn ich hatte nicht vor, diese eher bedrückenden Geschichten aufzugreifen. Sie war mit Erzählungen über ihre Vergangenheit eher dezent zurückhaltend. Auch als ich sie konkret darauf ansprach, wich sie mir immer geschickt aus.
»Jetzt habe ich dir bereits mein halbes Leben unterbreitet und über dich, Elenora, weiß ich so gut wie gar nichts.«
»Ein großer Teil meines Lebens war eine einzige Enttäuschung, die darin gipfelte, dass ich eine gewisse Zeit im Gefängnis verbracht habe, und das auch nur, weil ich zu meinem damaligen Mann gehalten hatte. Mit ihm war ich vor einigen Jahren hier in Kairo. Leider ist er vor einigen Monaten auf Grund eines Herzinfarktes verstorben.«
»Das tut mir leid, Elenora.«
Eine bedrückende Stille folgte ihrem nur schwer abgerungenen Bekenntnis.
»Würdest du mich bitte wieder zurück ins Hotel bringen, Herbert?«
»Selbstverständlich, Elenora«, antwortete ich einfühlsam, und beim Souk al Asr hielt ich ein Taxi an, welches uns wieder zum Cairo Moon Hotel zurückbrachte.
»Ich hoffe, du bist nicht enttäuscht, dass ich dich nicht noch zu einem Kaffee zu mir in mein Zimmer einlade, aber ich habe das Bedürfnis, alleine zu sein. Ich danke dir für diesen wunderschönen Abend. Sehen wir uns morgen noch vor unserer Hauptprobe?«, fragte sie liebevoll.
»Von mir aus so bald als möglich. Gute Nacht, Elenora, und schlaf gut.« Mit einem kurzen Küsschen auf meine Wange verabschiedete sie sich von mir.
Schon frühmorgens schlich Peter Bruckner in den Räumen des unteren Stockwerkes umher, denn er war immer noch auf der Suche nach dieser Frau, und die größte Chance, dass er sie antreffen würde, bestand darin, dass er in der Nähe des Eingangs zum Speisesaal wartete.
»Hatte sich denn wirklich niemand nach mir erkundigt?«, fragte er erneut den übernächtigt scheinenden Hotelmanager, als dieser dabei war, zusammen mit dem Servicepersonal das Morgenbuffet bereitzustellen.
»Ja, habe ich es Ihnen denn nicht gesagt, dass eine Frau sich nach Ihnen erkundigt hatte?«, meinte der Manager eher beiläufig.
»Nein, Sie haben es mir nicht gesagt«, antwortete Bruckner forsch.
»Dann habe ich es vergessen, Mister Bruckner.«
»Was hatte Sie genau gesagt?«
»Sie erkundigte sich nach Ihrer Zimmernummer und diese habe ich an Sie weitergegeben«, sagte der Manager geschäftig.
»Falls Sie sie sehen, ich bin in meinem Zimmer«, sagte Bruckner und verschwand mit eiligen Schritten.
Federico Carotta wirkte etwas ungehalten, als er, auf einem Stuhl sitzend, von der Lobby aus den Eingang des Hotels beobachtete. Er wollte es nicht versäumen, als Erster den erwarteten Star begrüßen zu können. Seine freudige Erregung mischte sich mit der Befürchtung, dass dieser Riesterer doch nicht kommen würde, auch wenn sein Anwalt die Verträge unterzeichnet hatte. Erst nachdem er zwei Stunden auf diesem Stuhl ausgeharrt hatte, erschien wie immer beinahe tanzend und leichtfüßig der ersehnte Star in der Drehtüre des Hoteleingangs, gefolgt von einigen meist weiblichen Fans, welche sich immer in seiner Nähe aufhielten.
»Ich sage dir gleich, Federico, ich bin lange genug im Schatten sogenannter Drehtänzer gestanden, nun werde ich es sein, der sagt, was Sache ist.« Federico fühlte sich überrumpelt und vergaß dabei seine Begrüßungsworte. Ein kurzes »Hallo Jürgen« war alles, was er noch in dieser Situation herausbrachte. Gefolgt von den meist älteren Frauen, schwebte er in den ersten Stock und verschwand in seinem extra für ihn reservierten Zimmer. Den verdutzt dreinschauenden Regisseur ließ er alleine im Gang zurück.
»Wo ist denn nun unser Star?«, warf Soraya in die Runde, als alle im Speisesaal beim Frühstück saßen.
»Jetzt seid doch nicht so ungeduldig. Er wird sich erst noch ein paar Stunden ausruhen, aber ich denke, zur Hauptprobe, welche wir mit Publikum bestreiten werden, wird er sicherlich anwesend sein«, war die klare und unmissverständliche Antwort des Regisseurs. Es herrschte eine gewisse Unruhe und die Nervosität breitete sich in jeder Faser der Schauspieler und Sänger aus.
»Ich hoffe nur, wir kommen nicht wieder in einen Stau auf dem Weg zu den Pyramiden, hast du den Bus noch einmal auf seine Fahrtüchtigkeit geprüft?«, wandte sich Federico an den Chauffeur, welcher mit einem Kopfnicken bejahte.
»Ach, wenn es doch nur schon vorbei wäre«, jammerte Federico weiter.
Punkt sieben Uhr saßen dann doch alle Mitwirkenden in der eigens für diesen Anlass improvisierten Garderobe im Schatten der großen Pyramide und warteten angespannt auf den Startschuss. Fein säuselnde Musik stimmte die zahlreich erschienen Zuschauer auf das Bevorstehende ein. Bereits jetzt waren die drei großen Pyramiden in vielfarbige Lichter getaucht. Roberto Fraggini stand etwas abseits und vollzog einige Stimmübungen, während die Mitglieder des Eunuchenchores sich ein weiteres Mal über ihren verpassten Einsatz unterhielten. Markus Tadori, der Pressesprecher und Speaker des ganzen Unternehmens, eröffnete mit einer kleinen Einleitung die darauffolgende Show. Sultan Saray stand alleine auf der Bühne und, beobachtet von seiner Gemahlin, setzte er zu seinem Wehklagelied an: ›Ach, hätte ich doch nur von der süßen Frucht der Weisheit gegessen.‹« Bereits jetzt lief Roberto zu einer Bestform auf, der sich die zahlreichen Zuschauer, meist Touristen, nicht entziehen konnten. Während die Eunuchen sich mit dem Sultan ein Gesangsduell lieferten und sich die Brautmutter etwas abseits stehend die Hände vor das Gesicht schlug, um ihrem Entsetzen über das heimliche Verhältnis von ihrer geliebten Tochter zu diesem Drehtänzer Nachdruck zu verleihen. Untermalt mit türkischer Popmusik sprangen die Tänzer, allen voran Jürgen Riesterer, auf die Bühne, und sein Tanz war schon nach wenigen Minuten eine einzige Offenbarung. »Sieh nur die Tänzer, Sie schmücken den Weg des Herrschers«, sangen die Eunuchen aus voller Brust, während die Haremsdamen den Sultan befächerten.
Volle zwei Stunden dauerte dieses Musical, und trotz aller Befürchtungen lief alles reibungslos und ohne größere Schnitzer ab. Alleine die Tatsache, dass das Liebespaar letztendlich zueinander fand, gab den Zuschauern Anlass, die ganze Darbietung mit einer Standing Ovation zu würdigen. Elenora spielte und sang großartig, und ab und zu merkte ich, wie sie mich mit ihren Augen fixierte, als sie mich mitten in den Zuschauern ausfindig machen konnte.
»Großartig, einfach großartig«, wiederholte sich der Regisseur mehrmals, bevor er die Schauspieler ein weiteres Mal zurück auf die Bühne schickte, um den tosenden Applaus entgegenzunehmen.
»Jürgen, du warst heute wirklich eine Offenbarung, kein Wunder, dass dir Offerten aus der ganzen Welt vorliegen.«
»Aber nein, Federico, du beschämst mich. Ich bin nicht besser als andere Drehtänzer. Mein Erfolg beruht einzig und allein auf der Arbeit meines Schneiders, welcher meinen geilen, hautengen Anzug kreiert hatte. Das ist auch der Grund dafür, dass ich darauf bedacht sein muss, keine Fettpölsterchen anzusetzen. Gerade letzte Woche sagte mein Fitnesstrainer zu mir: ›Pass auf, Jürgen, wie schnell wird man zur Presswurst, zum Elvis Presley des Drehtanzes. Falls du nicht bis nächste Woche die 850 Gramm abgenommen hast, kannst du dich höchstens noch auf ein zweites Standbein als Sumo-Ringer konzentrieren.‹ Eine Frechheit, denn mein Fitnesstrainer war es, welcher meine Kochkünste wie kein anderer lobte und mir beinahe alles, was ich in stundenlanger Hingabe kreierte, innert Minuten weggefressen hatte.«
»Was, kochen kannst du auch noch, Jürgen? Du bist ja ein richtiger Teufelskerl. Es stimmt, dass Genie und Wahnsinn einhergehen, manchmal machst du mir richtig Angst«, fuhr Federico fort.
»Aber, aber, Federico, wir müssen die Mauer, welche uns trennt, niederreißen, das Band durchschneiden. Du kannst mich nicht nur als guten Freund von nebenan betrachten, welchen man freundlich grüßt, wenn er dabei ist, allwöchentlich den Rasen vor dem kleinen Häuschen zu mähen. Man könnte an ihm vorbeigehen und ein kurzes ›Ihr Auto hat es aber auch wieder einmal nötig‹ einbringen, wenn er dabei ist, den Vogelschiss von seinem Autodach zu entfernen. Hätte ich mich nach meinem sozialistisch angehauchten Berufsberater orientiert, so wäre ich Zahnarzt geworden und hätte der Gesellschaft die faulen Zähne gezogen, und andererseits hätte ich von meiner Segeljacht aus, welche im Hafen von Rimini liegen würde, den Kapitalismus aufs Schärfste verurteilt.«
»Na, na, Jürgen, bei uns bist du erstmal Tänzer. Deine Vorträge ›Wie werde ich steinreich in 16 Minuten?‹, welche du mit Erfolg bereits in einigen nicht ganz unbekannten Business Clubs gehalten hast, haben bereits aus einigen armen Schweinen steinreiche Schweine gemacht. Sind es dadurch bessere Menschen geworden, haben diese bei der letzten Wahl die richtige Partei gewählt?«
»Aber Federico, es ist beinahe beängstigend, wohin dich deine Fantasie führt. Erst sprichst du von einer Offenbarung meiner Darbietung und kaum ist der Applaus verhallt, nagen an dir die Selbstzweifel an deinen Fähigkeiten als Regisseur. Federico, du bist das wahre Genie, wir hingegen bewegen uns nur im Mittelmaß und jetzt will ich von alldem nichts mehr hören«, meinte Jürgen zu ihm, während er den kreischenden Mädchen ein Autogramm nach dem anderen gab.
Es wurde sehr spät an diesem Abend. Die Künstler waren nach wie vor etwas elektrisiert, als diese im Bus zurück in das Hotel Cairo Moon fuhren. Eine weitere tropische Nacht war angebrochen.
»Na, wie war es?«, rief der Hotelmanager den Künstlern entgegen, als diese sich vorbei an der Rezeption in ihre Zimmer in der ersten und zweiten Etage begaben. Nur einige von ihnen begaben sich noch in die Bar, um den Tag mit einem Drink ausklingen zu lassen. Roberto Fraggini war noch nicht vollends abgeschminkt, und sein Schweiß vermischte sich mit seinem Make-up, was zu einer unansehnlichen Mischung verkam. Alles war ruhig, nur einige Flugzeuge, welche nach ihrem Start vom Cairo Airport starteten und eine Schleife über die Stadt flogen, unterbrachen die Stille der Nacht.
Zur selben Zeit, als ich mich in die Bar begab, um mich den Künstlern anzuschließen, ertönte ein entsetzlicher Schrei, welcher von draußen, von der Rückseite des Hotels zu kommen schien. Sekunden waren wir erstarrt, ehe wir uns geschlossen hinausbegaben und unter einem der Balkone den verkrümmt daliegenden Mann entdeckten. Sein möglicher Sturz von einem der Balkone hinterließ eine grässliche, gut sichtbare Wunde an seinem Hinterkopf.
»Nicht in das Blut treten«, empfahl ich den Anwesenden, welche ihre Blicke nicht von der Leiche abwenden konnten.
»Jemand muss die Polizei benachrichtigen«, sagte Eduardo in einem Anflug von Verzweiflung.
Beinahe automatisch holten einige ihr Natel heraus, aber nur der Hotelmanager, welcher sich mittlerweile auch an der Unglücksstelle einfand, kannte die Nummer des Polizeipräsidiums auswendig.
»Kennt jemand von euch diesen Mann?«, fragte ich die Anwesenden, worauf aber ein allgemeines, verhaltenes Nein folgte.
»Die Polizei wird bald hier sein«, bestätigte der Manager und stand weiterhin etwas unbeholfen abseits der Runde, welche sich automatisch gebildet hatte.
Die Sirenen der Polizeifahrzeuge durchdrangen die Stille der Nacht, als sie sich mit hoher Geschwindigkeit dem Unfallort näherten.
»Bitte treten Sie zurück, lassen Sie uns unsere Arbeit machen«, sagte einer, welcher keine Uniform trug und sich als Inspektor Ali Al Chamsi zu erkennen gab. Irgendwie kam mir dieser Al Chamsi bekannt vor, aber es fiel mir nicht ein, in welchem Zusammenhang.
In bekannt arabischer Manier sicherten die Beamten den Unglücksort, wobei alles einer gewissen Hektik unterlag.
»Wer ist dieser Mann?«, fragte er in die Runde, ohne sich speziell an jemanden zu richten.
»Wir wissen es nicht«, antwortete ich stellvertretend für alle Anwesenden.
Er wendete sich von dem Toten ab und schaute für kurze Zeit in meine Richtung herüber. In diesem Moment schien er mich auch irgendwie zu kennen, machte aber keine Anstalten, sich weiter mit diesem Gedanken zu befassen. Vorsichtig kramte der Inspektor in den Taschen des Opfers und zog schlussendlich eine Art Personalausweis heraus und betrachtete diesen im Schein einer Taschenlampe.
»Aus seinen Papieren geht hervor, dass es sich bei diesem Toten um einen gewissen Ewald Ramsey handelt«, sagte er zu seinem Assistenten, welcher nicht für eine Sekunde von seiner Seite wich.
»Was hatte dieser Mann hier zu suchen, wenn er nicht Gast Ihres Hotels war?«, richtete Al Chamsi seine Frage an den Hotelmanager, welcher die Arbeit der Polizei mit Spannung verfolgte.
»Ich kann mich wirklich nicht auch noch um alles kümmern, was sich außerhalb des Hotels abspielt«, entgegnete er etwas beleidigt.
»Was sagten Sie eben zu Ihrem Assistenten«, meinte Peter Bruckner, welcher sich ebenfalls unter den versammelten Hotelgästen befand.
»Ich sagte, dass er Ewald Ramsey hieß. Wieso, kennen Sie diesen Mann?«, wollte Al Chamsi wissen.
»Nein, eigentlich nicht.«
»Was soll das heißen?«, fragte Al Chamsi scharf.
»Ich dachte erst, ich würde ihn aus meiner Zeit in Wien kennen, aber ich muss mich getäuscht haben, möglicherweise eine Verwechslung.«
»Na gut, Herr Bruckner, halten Sie sich der Polizei zur Verfügung, es könnte sein, dass wir noch weitere Fragen an Sie haben.«
»Wer bewohnt die drei Zimmer, welche direkt über dem Fundort des Toten liegen?«
»Da müsste ich nachsehen«, sagte der Manager, und zusammen betraten die beiden den Eingangsbereich des Hotels, und während der Manager in seinem Gästebuch die Zimmerzuteilung zu entziffern versuchte, schaute sich der Inspektor in den angrenzenden Räumen um.
Wieder trafen sich unsere Blicke, als ich alleine an einem Tischchen im Speisesaal saß und mir eben eine Zigarette anzünden wollte.
»Ich kenne Sie doch von irgendwoher«, begann er das Gespräch und stellte sich beinahe demonstrativ neben mich. »Ich weiß es, es war in Luxor, als Sie eine Grabungslizenz beantragt hatten, als ich noch für die Altertumsverwaltung tätig war.«
»Eiskalt, Mister Al Chamsi. Es war hier in Kairo, als ich als Gastdozent an der Universität über Verbrechensverhütung gesprochen hatte.«
»Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Sie heißen von … von …«
»von Willensdorf, Herbert von Willensdorf.«
»Obwohl Sie Gast in diesem Hotel sind, haben Sie dieses scheinbare Verbrechen nicht verhüten können«, meinte er ironisch und verließ den Speiseraum wieder.
»Im oberen Zimmer wohnt zurzeit dieser Herr Peter Bruckner, den Sie ja bereits kennengelernt hatten, und unten eine gewisse Miss Soraya Wiskowski, Sie ist eine der Schauspielerinnen des Musicals, welches zurzeit bei den großen Pyramiden aufgeführt wird, in der kleinen Dachkammer zuoberst ein gewisser Ramsey.«
»Ach so«, murmelte der Inspektor und begab sich, gefolgt von seinem Assistenten, in das kleine Dachzimmer, denn er wollte sich dieses Zimmer ansehen, welches dieser Ramsey bewohnte.
»Doch, das ist ziemlich hoch«, stellte der Assistent fest, als er sich über die Brüstung lehnte.
»Ach, was erzählen Sie denn da, wir wissen ja nicht mal, ob dieser Ramsey hinuntergestürzt ist oder unten erschlagen wurde.«
Anschließend begutachteten sie das Zimmer von Bruckner.
»Was suchen Sie in meinem Zimmer?«, fauchte Bruckner, als er die beiden erblickte.
»Nicht so forsch, Herr Bruckner, schließlich ist es Ihr Balkon, unter dem der selige Mister Ramsey lag.«
»Was wollen Sie damit andeuten, etwa dass ich ihn heruntergestoßen hätte? Ich habe ihn ja nicht mal gekannt.«
»Das sagen Sie, Mister Bruckner. Wir haben es nur aus Ihrem Munde gehört. Jedenfalls werden wir diesen Balkon unter die Lupe nehmen. Bitte Ahmet, sage den Leuten von der Spurensicherung, sie sollen anschließend noch nach oben kommen.«
»Wird gemacht, Chef«, bestätigte Ahmet und eilte schnellen Schrittes nach unten.
»Bitte zeigen Sie mir Ihren Pass.«
Peter Bruckner fasste sich an die Brusttasche und holte seinen Pass heraus.
»Sie sind Österreicher?«
»Ja«, gab Bruckner kurz zur Antwort.
»Genau wie dieser Ramsey, welch ein eigenartiger Zufall«, stellte der Inspektor fest. »Wir müssen leider Ihren Pass einbehalten, zumindest einige Tage, bis wir in dieser leidigen Angelegenheit weitergekommen sind. Sie waren ja bestimmt noch nicht bei den Pyramiden, machen Sie sich doch noch ein paar schöne Tage, Kairo bietet eine Fülle an Sehenswürdigkeiten.«
Wie erstarrt stand Elenora vor dem Bild, welches die Direktion auf Geheiß des Inspektors neben der Rezeption aufhängen ließ. Das von Ramseys Pass herauskopierte Foto sollte dazu dienen, mehr über das Bewegungsmuster dieses Verunfallten oder Getöteten zu erfahren. Es war dieser Mann, welcher Elenora erpressen wollte. Wie lange würde es wohl dauern, ehe Soraya der Polizei von meiner Bekanntschaft zu diesem Mann erzählen wird, welchen sie in meinem Zimmer angetroffen hatte. Sie musste Soraya zuvorkommen, was aber angesichts der Tatsache, dass bereits der Inspektor wieder in Begleitung von Ahmet die kurze Treppe bis zum Eingang des Hotels heraufkam, zu scheitern drohte. Soraya, welche den Inspektor telefonisch informierte, kam eben die Treppe herunter und zeigte unmissverständlich in die Richtung, in der Elenora stand und keinerlei Auswegmöglichkeit mehr sah.
»Sind Sie Misses Elenora Withchair? Wir hätten noch einige Fragen an Sie. … Können wir dazu Ihr Büro benützen?«, fragte der Inspektor, worauf der Manager zustimmte und in Richtung des kleinen Raumes zeigte, welcher sich direkt neben der Rezeption befand. »Bitte folgen Sie mir«, forderte er Elenora auf, und gemeinsam verschwanden sie in diesem unwohnlich und kühlen Raum.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie diesen Ramsey kannten, Misses Withchair?«
»Er hatte sich unter einem anderen Namen vorgestellt, als er an die Türe meines Hotelzimmers klopfte und sich mit mir unterhalten wollte.«
»So, wie nannte er sich denn Ihnen gegenüber?«
»Robin Hood, aber ich hegte so meine Zweifel über die Richtigkeit seines Namens.«
»Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen, dann sagen Sie mir wenigstens, was er von Ihnen wollte.«
»Er wollte nur das eine, wie die meisten Männer. Sie bilden sicherlich keine Ausnahme, Herr Inspektor, wenn ich feststellen muss, wie Sie Ihre Blicke über meine makellose Beine gleiten lassen.«
»So kommen wir doch nicht weiter, Misses Withchair, es sollte auch in Ihrem Interesse sein mitzuhelfen, diesen tragischen Unglücksfall aufzuklären.«
»Ist Misses Withchair noch auf ihrem Zimmer?«, wollte ich von dem Hotelmanager wissen?«
»Nein, sie ist mit dem Inspektor in meinem Büro nebenan«, antwortete er mir und wies auf die geschlossene Türe hin.
Ungehalten hatte der Inspektor »Herein!« gerufen, als ich an die Türe klopfte.
»Was geht denn hier vor? Ohne Befugnis von offizieller Seite erlauben Sie sich, Misses Withchair zu verhören, und das ohne das Beisein einer Drittperson. Aber, aber, Herr Inspektor, ich denke, ich muss es zur Anzeige bringen, es sei denn, Sie lassen Misses Withchair augenblicklich gehen.«
»Dann werde ich Sie eben rein offiziell vorladen, Misses Withchair, oder haben Sie dieser Vorgehensweise etwas entgegenzusetzen, Herr von Willensdorf?«
»Solange Sie ihr nicht das Recht absprechen, einen Anwalt beizuziehen, dann nicht Herr Al Chamsi.« Mein Beschützerinstinkt hatte sich wieder einmal durchgesetzt, auch wenn ich alles andere als eine einvernehmliche Stimmung zwischen dem Inspektor und mir geschaffen hatte. Diese hilflos wirkende Frau war es jedenfalls wert, beschützt zu werden.
Beim gemeinsamen Mittagessen mit der ganzen Musicaltruppe hatte es an diesem Tag nur ein Thema gegeben. Jeder hatte sich eine Theorie über die Todesursache dieses Ramsey zurechtgelegt und versuchte, diese mit handfesten Argumenten zu begründen. Schließlich spaltete sich die Gruppe in zwei Lager, wobei die eine Gruppe an einen Selbstmord glaubte und die andere die Ansicht vertrat, es habe sich um einen geplanten Mord im Garten des Hotels gehandelt. Bruckner verfolgte die Gespräche aus einiger Entfernung, denn sein reservierter Tisch befand sich nahe dem Fenster. Die nächste bevorstehende Aufführung war auf Grund der Ereignisse letzter Nacht etwas ins Abseits gerückt, was den Regisseur einige Anstrengungen kostete, die Spannung weiterhin aufrechterhalten zu können.
Ich nutzte die Mittagszeit, einen ausgiebigen Spaziergang zu machen, obwohl die Hitze beinahe unerträglich war. Obwohl mir die Anwesenheit dieser Künstlertruppe nicht etwa unangenehm war, nein, im Gegenteil, sie brachte eine erfrischende Abwechslung in das sonst eher ruhige und leblose Hotel Cairo Moon, hatte ich trotzdem das Bedürfnis, einige Zeit mit mir alleine zu verbringen, sofern man das in einer Stadt wie Kairo überhaupt sein kann. Auch über Mittag ließ die Geschäftigkeit dieser Millionenmetropole nicht im Geringsten nach. Ich dachte über Elenora nach, wobei meine Gedanken zwischen der leisen Vermutung, sie könnte etwas mit dem Tod dieses Mister Ramsey zu tun haben, und der Tatsache, dass sie eine liebliche, verletzliche Frau ist, welcher eine solche Tat nie und nimmer zuzutrauen wäre, hin und her gingen. Ich muss allerdings ehrlicherweise zugeben, dass damals meine Objektivität sehr gelitten hatte, denn das Gefühl eines Verliebtseins überragte zu dieser Zeit alles und ließ einen Verdacht oder gar eine Beschuldigung nicht wirklich zu. Ich brauchte sie nur anzusehen und die Zweifel verflogen wie der heiße Wüstensand, welcher durch die Hände zerrann.
Der Speisesaal hatte sich bereits geleert, und die meisten der Hotelgäste zogen sich zu einem Mittagsschlaf in ihre Zimmer zurück. Beinahe unhörbar tippte ich die Türe Elenoras an.
»Bitte komm herein, Herbert«, flüsterte sie mit sanfter Stimme, und ehe ich auch nur ein Wort sagen konnte, schlang sie ihre Arme um meinen Hals und küsste mich in einer Weise, als wäre sie von einer unbeschreiblichen Sehnsucht verzehrt. Langsam öffnete sie ihren geblümten Morgenmantel und zog mich hinunter auf ihr Bett, um sich einer immer wachsenden Begierde vollends hinzugeben. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir eng umschlungen auf dem Bett lagen, denn die Zeit schien stehen geblieben zu sein. Allerdings bestätigte uns der Schattenwurf, dass es bereits im Laufe des Nachmittags sein musste.
»Um welche Zeit hast du deinen Auftritt, Elenora?«, fragte ich feinfühlig, um die seit Stunden anhaltende Stimmung nicht zu zerstören.
»Wir fahren wieder etwa um sechs Uhr los.«
»Dann werde ich dir Zeit dazu lassen, dich frisch zu machen, mein Engel.«
»Wirst du heute Abend auch wieder dabei sein, mein Schatz?«, fragte sie mich, obwohl sie die Antwort bereits wusste.
»Selbstverständlich möchte ich diese unwiderstehliche Darbietung, diese gefühlvolle Hingabe der Drehtänzer nicht verpassen.«
»So, so, nur die gefühlvolle Hingabe der Drehtänzer«, sagte sie lachend und verschwand mit gleitenden Bewegungen in der Dusche.
Ich wollte noch Rashned Lubijowitsch vor seiner großen Performance in der Pyramide treffen und begab mich daher zum Cecilia Hostel, in welchem sich Rashned für diese einmalige Darbietung vorbereitete. Bereits seit Wochen brachte er die Hotelgäste und das Personal an den Rand des Wahnsinns, indem er auf seinem Saxophon nur den einen durchdringenden Ton spielte. Den Ton der Töne. Das Vorhaben sollte nicht daran scheitern, dass er im entscheidenden Moment diesen einen Ton dem Instrument nicht entlocken konnte. Mit Fäusten klopfte der Hostelmanager an seine Tür, um zu verhindern, dass sich das Hostel nach und nach leeren würde.
»Bitte Herr Lubijowitsch, spielen Sie doch einmal etwas Unterhaltsames, gegen dies hat doch keiner was, aber nicht nur diesen einen Ton.«
»Es sind zwei Töne«, berichtigte Rashned und warf die Zimmertüre vor dem verzweifelten Direktor energisch zu.
»Befindet sich Mister Lubijowitsch im Hause?«, fragte ich den Manager, worauf er »Sie brauchen nur dem Ton zu folgen, dann werden Sie ihn schon finden« antwortete.
Nach meinem verhaltenen Klopfen öffnete Rashned die Zimmertüre einen Spalt und bat mich anschließend einzutreten. Seine Lippen waren etwas aufgequollen und auch sonst sah er ziemlich mitgenommen aus.
»Hallo Herbert, ich bin völlig fertig.«
»Aber, aber, Rashned, du hast ja nur zwei Töne zu blasen.«
»Aber das Fernsehen!«