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Was für eine Chance! Anni Gade darf beim Flensburger Lokalradio im alten Leuchtturm mitarbeiten. Obwohl die junge Stadtführerin bisher nur wenig mit Journalismus am Hut hatte, macht sie sich mit Feuereifer ans Werk. Doch was spaßig beginnt, entwickelt sich bald zu einem wahren Krimi: Reporter Timo Feddersen wird tot aufgefunden. Zunächst sieht es nach einem unglücklichen Treppensturz aus, aber eine Obduktion ergibt, dass Timo vergiftet wurde. Ein Mord! Annis Spürsinn ist geweckt. Sie vermutet den Täter im Senderteam, in dem sich längst nicht alle so gernhaben, wie es scheint. Kommissar Jan Christiansen dagegen glaubt an eine Beziehungstat, denn Radio-Casanova Feddersen hat schon viele Herzen gebrochen. Sehr zum Leidwesen des eigenbrötlerischen Kommissars wäre Anni aber nicht Anni, wenn sie nicht auf eigene Faust ermitteln würde. Doch dabei kommt sie dem Täter gefährlich nahe … Als Printausgabe und Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich sowie als eBook bei dotbooks
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Seitenzahl: 325
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Was für eine Chance! Anni Gade darf beim Flensburger Lokalradio im alten Leuchtturm mitarbeiten. Obwohl die junge Stadtführerin bisher nur wenig mit Journalismus am Hut hatte, macht sie sich mit Feuereifer ans Werk. Doch was spaßig beginnt, entwickelt sich bald zu einem wahren Krimi: Reporter Timo Feddersen wird tot aufgefunden. Zunächst sieht es nach einem unglücklichen Treppensturz aus, aber eine Obduktion ergibt, dass Timo vergiftet wurde. Ein Mord!
Annis Spürsinn ist geweckt. Sie vermutet den Täter im Senderteam, in dem sich längst nicht alle so gernhaben, wie es scheint. Kommissar Jan Christiansen dagegen glaubt an eine Beziehungstat, denn Radio-Casanova Feddersen hat schon viele Herzen gebrochen.
Sehr zum Leidwesen des eigenbrötlerischen Kommissars wäre Anni aber nicht Anni, wenn sie nicht auf eigene Faust ermitteln würde. Doch dabei kommt sie dem Täter gefährlich nahe …
»Hering, Strandluft, Mordgeflüster« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei Saga Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Inga Schneider hat »Hygge« im Blut. Sie arbeitet als Journalistin in Dänemark und Schleswig-Holstein. Seit 2021 veröffentlichte sie bereits mehrere erfolgreiche Cosy-Crime- sowie Liebes- und Feel-Good-Romane.
Die Website der Autorin: www.inga-schneider.de/
Die Autorin bei Facebook: ingaschneider.autorin/
Die Autorin auf Instagram: @ingaschneider.autorin
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre »Rosenborg-Saga« sowie ihre Cosy-Crime-Reihe »Annie Gade und die Fördemorde«. Alle Titel sind bei Saga-Egmont auch als Hörbuch- und Printausgabe erhältlich.
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eBook-Ausgabe Juni 2025
Copyright © der Originalausgabe 2025 Inga Schneider und SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)
ISBN 978-3-98952-854-3
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Inga Schneider
Hering, Strandluft, Mordgeflüster
Kriminalroman
dotbooks.
Kapitel 1 Allens op Anfang
Kapitel 2 Do is se wedder
Kapitel 3 Wat för’n Tohuwabohu
Kapitel 4 Holl de Ohren stiev
Kapitel 5 Nüe Döörn
Kapitel 6 Ohaueha
Kapitel 7 So ’n Schiet
Kapitel 8 Kuddelmuddel
Kapitel 9 Watt mutt dat mutt
Kapitel 10 Von nix kommt nix
Kapitel 11 Dösbaddel
Kapitel 12 Verdödeln
Kapitel 13 Is mol wedder tied
Kapitel 14 Blot en versök
Kapitel 15 Proberen geiht öwer studeren
Kapitel 16 Meckerbüddel
Kapitel 17 Spökenkram
Kapitel 18 Twee Meckerbüddel
Kapitel 19 Nich to glöven
Kapitel 20 Dat kümmt anners as man denkt
Kapitel 21 Kiek mol an
Kapitel 22 Dat geiht för keen Kojenlüüd
Kapitel 23 Schuster, bliev bi dien leest
Kapitel 24 Dumm kummt man nich to Welt, dat mutt man liern
Kapitel 25 Allens in' Lot
Lesetipps
Die alte Metalltür des Leuchtturms gab ein lautes Quietschen von sich, als Anni sich mit vollem Körpereinsatz dagegenstemmte.
»Könnten die das Ding nicht mal ölen?«, murmelte sie, befand aber zugleich, dass das Quietschen auch etwas Praktisches hatte: Es ersparte dem Sender die Klingel. Vermutlich war deshalb noch niemand auf die Idee gekommen, die Scharniere zu schmieren.
Anni drehte sich von der jetzt offenen Tür weg und schaute hinaus. Vom alten Leuchtturm hatte man einen traumhaften Blick auf die Flensburger Förde und die dänische Küste, die sich auf der anderen Seite des Wassers entlangschlängelte. Ein Ausblick, an dem sie sich wahrscheinlich nie sattsehen würde. Der Wind blies auflandig und ihr daher mächtig ins Gesicht, als sie die Tür schließlich hinter sich schloss. Rumms! Jetzt wusste auch der letzte ihrer neuen Kollegen, dass sie im Haus war.
Neue Kollegen. Wie sich das anhörte … Anni schmunzelte. So richtige Kollegen hatte sie schon lange nicht mehr gehabt. Eigentlich noch nie, wenn sie so recht darüber nachdachte. Als Stadtführerin war sie freiberuflich und größtenteils eigenverantwortlich unterwegs. Sie war zwar dem Flensburger Tourismuschef unterstellt, doch dieser fungierte eher als ihr Auftraggeber, auch wenn Gunnar Hansen das nicht gerne hörte.
Anni schloss die Eisentür hinter sich, richtete den Gürtel ihres knallroten Regentrenchcoats, der sich im Gefecht mit der Tür nach oben verschoben hatte, und machte ein paar Schritte über die knarzenden Dielen.
Der Radiosender in diesem stillgelegten Leuchtturm war schon speziell, und das lag nicht nur an dem außergewöhnlichen Ort, an dem er untergebracht war. Dies hier war ganz anders als das, was sie sich unter einem modernen Radiosender vorgestellt hatte. Modern war hier nichts. Urig traf es wohl eher. Die Location war zwar einmalig – direkte Strandlage mit Meerblick –, täuschte aber nicht über den Museumscharakter hinweg, den sie versprühte: unebene Böden, schiefe Wände, Spinnweben in den Ecken. Kurzum: Der Hausmeister hatte hier mehr zu tun, als nur die Eingangstür zu ölen.
Anni seufzte. Auch von ihrem Praktikum hatte sie andere Vorstellungen gehabt. Sie hatte gedacht, sie würde als rasende Reporterin durch Flensburg düsen, spannende Geschichten aufdecken und diese dann on air den Hörern erzählen. Stattdessen sortierte sie Werbejingles und kürzte Nachrichtenmeldungen aus dem dpa-Ticker für die Moderatoren. Die Redakteure huschten an ihr vorbei, ihre Aufgaben längst verteilt, und Annis eigene Ideen wurden oft genauso schnell abgewiesen, wie sie ausgesprochen wurden. Sie gab’s ungern zu, aber es war sterbenslangweilig. Wenn das so weiterging, würde sie hier bestimmt nicht lange bleiben. Warum hatte sie sich nur dazu überreden lassen?
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Noch früh. Gut. Endlich mal ein Morgen, an dem sie sich nicht verspätet hatte, weil Hugo mit der Nachbarskatze wilde Verfolgungsjagden durch den Garten veranstaltet hatte.
Anni durchquerte den Flur und ging vorbei am noch verwaisten Empfang, der unter der gusseisernen Wendeltreppe, die hinauf ins Studio führte, platziert war. Britta, die Empfangsdame, würde erst gegen neun Uhr mit ihrer Schicht beginnen, und Anni bereute es nicht, ihr heute Morgen nicht über den Weg zu laufen. In der kurzen Zeit, die Anni nun beim Radio war, hatte sie schnell herausgefunden, dass Britta die Tratschtante schlechthin war. Sie wollte über alles und jeden, der in diesem Leuchtturm ein und aus ging, Bescheid wissen. Was ziemlich anstrengend sein konnte, auch wenn Anni sich eingestehen musste, dass die Klatschgeschichten, die Britta zu erzählen hatte, ziemlich gut waren. Manchmal zumindest.
Anni durchquerte den schmalen Flur und öffnete die Tür zur Redaktion, die im ehemaligen Leuchtturmwärterhaus untergebracht war. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, hörte sie auch schon Schritte die Treppe hinunterkommen.
»Moin Anni, du bist früh dran!« Martin, der Morgenmoderator, öffnete die Tür, sein Haar wie immer in alle Richtungen abstehend, als hätte er gerade mit einer Steckdose gekämpft.
»Moin.« Anni knöpfte ihren Mantel auf und hängte ihn an die Garderobe. »Soll ich Kaffee kochen?«
Martin sah sie irritiert an, als hätte sie so etwas zuvor noch nie für ihn gemacht, fing sich aber schnell wieder. »Nee, lass mal.« Er winkte ab. »Ich hab eine andere Aufgabe für dich. May-Britt hat sich krankgemeldet, und jetzt brauch ich deine Unterstützung. Der Bürgermeister kommt in einer Stunde. Sei meine Assistentin bei dem Interview.«
Anni sah ihn mit offenem Mund an und hob eine Augenbraue. »Du veräppelst mich doch.«
Martin schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht, dazu hab ich keine Zeit. Es ist wirklich dringend.«
»Warum macht Timo das Interview nicht mit dir? Hat er nicht auch Frühschicht?« Sie schielte in Richtung Dienstplan, der neben ihr an der Wand hing.
»Hör mir bloß auf mit dem. Der ist heute Morgen mal wieder zu nichts zu gebrauchen. Taucht hier auf und –« Er stoppte und sah auf die Uhr. »Wie auch immer. Er hat gesagt, dass in dir mehr steckt als nur eine Praktikantin mit Talent zum Kaffeekochen. Hoffen wir für dich, dass man ihm dieses Mal vertrauen kann.«
»Also –«, setzte Anni zu einer Entgegnung an, aber Martin hatte sich schon wieder umgedreht und war auf dem Weg zurück ins Studio.
Anni sah ihm nach. »Tz … ich glaub’s ja nicht!«, murmelte sie und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie schaltete den Computer ein und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, während sie ein paar Krümel von der Tastatur wischte.
Timo also. Hätte sie sich ja gleich denken können, dass er hinter alldem steckte. Ihm hatte sie auch das Praktikum hier beim Radio zu verdanken. Vor ein paar Monaten waren sie sich zufällig über den Weg gelaufen, und als Timo erfahren hatte, dass Anni als Petuhtante verkleidet Stadtführungen veranstaltete, war er sofort Feuer und Flamme gewesen, hatte eine große Story gewittert und eine Reportage über sie und ihre Arbeit gemacht. Einen Tag lang hatte er sie begleitet, seine Eindrücke auf Social Media geteilt und dabei so sehr die Werbetrommel gerührt, dass die Drähte in der Touristinfo zu glühen begonnen hatten.
Eine Zeitlang war jede von Annis Führungen restlos ausgebucht gewesen, und sie hatte sogar zusätzliche Führungen angeboten, um den Anfragen gerecht zu werden. Sehr zur Freude von Gunnar Hansen. Die Dollarzeichen in seinem Gesicht waren nicht zu übersehen gewesen. Doch irgendwann war das Interesse an ihren Führungen wieder auf Normalstand gesunken, und sie hatte wieder Zeit gehabt durchzuatmen.
Und genau zu diesem Zeitpunkt hatte Timo sie zu einem Praktikum beim Sender überredet. Anfangs war sie von der Idee nicht begeistert gewesen, da sie mit ihrem Hauptjob bereits ausgelastet genug gewesen war. Aber Nele, ihre beste Freundin, hatte sie schließlich überredet zuzusagen und sie daran erinnert, dass der Job als Stadtführerin lediglich als eine Art Übergangslösung gedacht gewesen war, nachdem Anni ihr Studium geschmissen hatte.
Letztlich hatte Anni nachgegeben und das Praktikumsangebot angenommen. Und wie so oft hatte Nele recht gehabt. Anni brauchte diese Praktikumserfahrung, um ihren heimlichen Traum zu verwirklichen, ihre Heimat – Flensburg – und die Geschichten der Einwohner in den Medien lebendig zu machen.
Tja, und jetzt war sie hier – und soeben von der kaffeekochenden Praktikantin zur Fragenvorbereiterin befördert worden, weil die Co-Moderatorin sich krankgemeldet hatte. Wenn das kein Karrieresprung war.
Motiviert machte sich Anni an die Arbeit, studierte einige der Artikel über den Bürgermeister, die in den vergangenen Wochen im Tageblatt und in der Flensborg Avis, Flensburgs dänischer Tageszeitung, erschienen waren, und begann letztlich damit, sich einige Fragen zu notieren.
Anni tippte auf die Tastatur, während sie aus dem Augenwinkel immer wieder durch das Leuchtturmfenster spähte, hinter dem sich die Förde in der Morgensonne erstreckte. Es war einer dieser friedlichen Momente, in denen sie fast vergessen konnte, dass ihr Leben gerade so chaotisch war wie lange nicht mehr. Und das alles nur, weil sie ihre Wohnung gekündigt hatte …
Anni schüttelte den Kopf und versuchte, sich wieder auf den Bürgermeisterbesuch zu konzentrieren. Sie konnte, nein, sie wollte jetzt nicht daran denken, was sie in ihrer kleinen Dachgeschosswohnung in Freienwill erwartete, wenn sie den Arbeitstag hinter sich gebracht hatte. Sie hatte jetzt eine andere Aufgabe, die ihre volle Aufmerksamkeit erforderte. Und wer wusste schon, wohin es sie führen würde, wenn sie dies hier nicht vermasselte.
Sie hatte gerade die vierte Frage formuliert – »Was tun Sie, um die Wasserqualität in der Förde zu verbessern?« –, als Martin erneut auftauchte. Dieses Mal mit einer Tasse Kaffee in der Hand, den er mehr verschüttete als trank.
»Ach übrigens«, sagte er, während er sich auf einen der wackeligen Drehstühle im Redaktionsraum fallen ließ, »der Oberbürgermeister hat gerade angerufen. Er bringt seinen Hund mit.«
»Seinen Hund? Hier zu uns in den Sender?« Anni spitzte die Ohren. »Warum?«
Martin nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht, als hätte er versehentlich Essig getrunken. »Weil er es kann. Er ist der Oberbürgermeister, Anni.«
»Du weißt schon, was passiert ist, als er mit dem Hund das letzte Mal hier bei uns im Sender war, oder?« Anni sah ihn vorsichtig über den Monitor hinweg an.
»Was einmal passiert, muss sich ja nicht wiederholen«, grunzte Martin, bevor er mit einem Blick auf die Uhr aus dem Raum stürzte.
Anni seufzte. »Na, das will ich doch hoffen«, rief sie Martin hinterher, doch dieser war schon längst wieder in die obere Etage gelaufen.
Als Anni die Ohren spitzte, wusste sie auch, warum er es so eilig gehabt hatte. Was sie nämlich hörte, war … nichts. Nicht mal ein Rauschen kam mehr aus dem Radio. Absolute Funkstille. Dann ein Fluchen aus dem Raum über ihr. Erst leise, dann lauter und schließlich untermalt mit einem dumpfen Stampfen, das die Deckenleuchte über ihrem Kopf vibrieren ließ.
»Klingt nach einem Sendeloch«, murmelte sie.
Dass dies passierte, wunderte Anni nicht. Die Computersoftware, mit der der Sender arbeitete, war inzwischen so veraltet, dass sie keine Updates mehr zuließ. Doch für eine neue Software fehlte dem kleinen Lokalsender das Geld – nicht zuletzt, weil mit dem Verkauf der Brauerei und nach dem Mord an Investor Michael Blumberg im Sommer gleich zwei wichtige Sponsoren ausgefallen waren. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass der Oberbürgermeister genau jetzt dem Funkhaus einen Interviewbesuch abstattete. Immerhin hatte das Stadtoberhaupt beste Kontakte zur Flensburger Wirtschaft. Wäre doch gelacht, wenn sich darunter nicht ein neuer Sponsor finden lassen würde …
Hundegebell und die raue Stimme von Bonnie Tyler rissen Anni aus ihren Gedanken. Offenbar war der Oberbürgermeister gerade vorgefahren, und auch das Sendeloch hatte sich in Luft aufgelöst. Sie druckte die Fragen aus, stand auf und ging hinüber zum Drucker. Aus dem Augenwinkel sah sie einen großen schwarzen Hund schwanzwedelnd vor dem Fenster stehen.
Anni seufzte. Das letzte Mal, als der Oberbürgermeister da gewesen war, hatten sie mitten im Interview einen Stromausfall gehabt. Nur weil sein Hund, Basko, ein Kabel durchgebissen hatte. Und sie hatte die leise Befürchtung, dass der heutige Tag mit einem weiteren Desaster enden könnte. Ihr Puls schlug schneller, je lauter das Hundegebell wurde. Gott, sie würde wirklich den Oberbürgermeister interviewen. Sie, die Praktikantin. Auf einmal war sie ganz hippelig.
Anni spähte aus dem Fenster, doch der Oberbürgermeister und sein Hund hatten sich inzwischen umgedreht und waren geradewegs auf dem Weg zum Strand, was ihr einen kleinen Zeitpuffer verschaffte. Sie schnappte sich die ausgedruckten Fragen und ging zum Aufnahmestudio, wo sie direkt in die Arme von Timo Feddersen, dem selbsternannten Sender-Casanova, stolperte.
»Na, Anni, schon aufgeregt?«, fragte er, machte einen Schritt zur Seite und lehnte sich lässig an die Wand.
Anni seufzte leise. Ihre Finger umklammerten fest die Unterlagen. Ja, sie war aufgeregt. Natürlich war sie das. Sie würde gleich den Oberbürgermeister interviewen – und hatte keinen Plan davon, wie man überhaupt ein Interview führte. Schon gar nicht live! Bei dem Gedanken lief es ihr kalt den Rücken herunter. Gut, versuchte sie sich zu beruhigen, sie würde nicht allein vor dem Stadtoberhaupt sitzen, sondern Martin lediglich assistieren, aber trotzdem. »Diesen ganzen Stress habe ich dir zu verdanken.« Sie machte einen Schritt zur Seite, um sich an Timo vorbei in Richtung Studio zu quetschen, und schnupperte.
»Mir?« Er machte ein Unschuldsgesicht und tat, als wüsste er nicht, wovon Anni sprach.
Sie hingegen wusste sehr wohl, was Martin vorhin hatte andeuten wollen. Timo hatte eine Fahne, die sich gewaschen hatte. »Himmel, bist du etwa betrunken?« Anni fächelte sich frische Luft zu, während Timo süffisant grinste.
»Du sagst das, als wäre es etwas Unanständiges, Anni.«
»Es ist etwas Unanständiges, betrunken zur Arbeit zu erscheinen. Das macht man nicht, Timo.« Sie machte einen weiteren Versuch, an ihm vorbeizukommen, aber Timo war so standhaft wie die Felsen, auf die der Leuchtturm gebaut war.
»Falsch.« Er grinste. »Unanständig ist das, was ich gestern Abend getan habe …«
Sie kniff die Augen zusammen. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Anni warf ihm einen Blick zu, der so neutral war, dass er beinahe schon unfreundlich wirkte. Timo war der Typ Mann, der mit jedem Gesprächspartner das Gefühl hatte, die Welt neu zu erfinden, dabei aber nie wirklich etwas sagte, was von Bedeutung war. Er wirbelte um einen herum, erzählte von seinen letzten Begegnungen und hatte dabei stets den Eindruck, etwas Einzigartiges zu liefern – was er auf seine Art sicher auch tat, aber auf eine Weise, die in Anni nichts als ein großes Gähnen hervorrief.
»Timo, ich würde ja wirklich gerne hören, wie viele Herzen du gestern Abend gebrochen hast, aber ich fürchte, ich habe gerade etwas Wichtigeres zu tun«, erwiderte sie und versuchte, die Unterhaltung schnell zu beenden.
»Ach komm, Anni, ein bisschen Smalltalk wird dir guttun. Das bringt dich runter und auf andere Gedanken«, fuhr Timo fort, ohne auf ihre offensichtliche Abweisung zu achten.
Bevor Anni antworten konnte, durchschnitt ein schrilles Piepen die Luft. Sie zuckte zusammen.
»Verdammt, nicht das auch noch!«, fluchte sie, duckte sich unter Timos Arm hindurch und hastete zum Technikraum, wo Martin bereits in einem Meer von Kabeln, Steckern und Bildschirmen stand. Der größte Bildschirm zeigte Fehlermeldung über Fehlermeldung: Die Sendersoftware streikte – schon wieder. Doch dieses Mal sah es wirklich schlimm aus.
»Kriegst du das wieder hin?« Annis Blick wanderte vom Bildschirm zum Morgenmoderator, der leise nickend an seinem Bleistift kaute.
»Du solltest dich wirklich entspannen, Anni. Bist du sicher, dass ich dir nicht doch ein, zwei Dinge erzählen sollte? Oder vielleicht eine Massage. Dein Nacken sieht sehr verspannt aus.« Timo stand dicht hinter ihr.
»Timo, bitte!«, unterbrach Anni ihn energisch. »Siehst du denn nicht, dass jetzt wirklich nicht die Zeit für deine Eroberungsgeschichten ist? Wir müssen das hier in den Griff bekommen, bevor –«
Unten im Foyer knarrte die Eingangstür. Mist!
»Könnte einer von euch bitte nachsehen, wer …«, Martin hielt kurz in seiner Arbeit inne, schob sich die Brille nach oben und wischte sich den Schweiß von der Stirn, während Timo pfeifend an der Wand schräg hinter ihm lehnte.
»Timo, verzieh dich nach unten!«, befahl Martin schließlich, bevor er sich mit schnellen Fingerbewegungen wieder durch die Menüs auf dem Bildschirm navigierte. Ob er wirklich wusste, was er tat?
Es dauerte eine Weile, bis Timo realisierte, dass er tatsächlich nicht im Mittelpunkt des Geschehens stand. Ohne Anni und Martin eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und verschwand. Angespannte Stille füllte daraufhin den Raum, nur unterbrochen durch das monotone Klicken des Servers. Solange die Technik das machte, war noch nicht alles verloren, beruhigte sich Anni, unwissend, ob das Knacken wirklich ein gutes Zeichen war.
Sie versuchte, sich abzulenken, ging ein wenig weiter in Richtung Tür und lauschte. Unten im Foyer hörte sie, wie Timo und Britta ins Plaudern kamen.
»Ein Sendeloch? Schon wieder? Es ist bestimmt das zehnte in dieser Woche. Langsam wird’s peinlich.« Der Ton in Brittas Stimme war eine Mischung aus Besorgnis und … ja, Schadenfreude.
»Wem sagst du das. Man mag schon gar nicht mehr erzählen, von welchem Sender man kommt, wenn man auf einer Pressekonferenz ist.« Timo lachte.
»Ich weiß, was du meinst.« Brittas schrilles Kichern hallte von den Betonmauern wider. »Ich druckse mittlerweile auch rum, wenn man mich nach meinem Arbeitsplatz fragt. Wir brauchen dringend eine Finanzspritze, wenn wir auch im nächsten Jahr noch on air sein wollen.«
»Steht es wirklich so schlecht um die Senderfinanzen?« Timo klang besorgter, als Anni es ihm zugetraut hätte. Sie schob sich noch weiter in Richtung Eingangstür, in der Hoffnung, mehr von dem Gespräch mitzubekommen. Doch just in dem Moment, in dem Britta zur Antwort ansetzte, ertönte hinter Anni ein Jubelschrei.
»Yes! Wer ist der Beste? Ich bin der Beste!« Martin war aufgesprungen, die Hände zu Fäusten geballt und weit nach oben in die Luft gestreckt, als sei er eben mit der SG Flensburg-Handewitt deutscher Handballmeister geworden. »Ich hab’s geschafft!«
Anni wirbelte zu ihm herum. »Großartig!« Sie klatschte in die Hände »Du bist ein Genie.«
Er schüttelte den Kopf und winkte ab. »Jetzt wollen wir mal nicht übertreiben. Sagen wir lieber, ich kenne diese Anlage in- und auswendig und weiß, an welchen Knöpfen man drehen muss, um sie wieder in Schwung zu bringen.« Martin zwinkerte Anni zu, nahm ein Taschentuch und tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
»Knöpfe?« Sie sah skeptisch auf die Kabel und Bildschirme.
»Das sagt man doch nur so, Anni.«
»Ah okay. Dann hoffen wir mal, dass die Knöpfe nicht allzu schnell wieder herausspringen.«
»Wie meinst du das?« Martin sah sie fragend an.
»So, wie ich es gesagt habe. Immerhin haben wir gleich ein Live-Interview mit dem Oberbürgermeister. Ein weiteres Sendeloch können wir da wirklich nicht gebrauchen.« Sie versuchte sich an einem Lächeln und zeigte auf den Fragenkatalog in ihrer Hand.
Martins Euphorie schien verflogen. »Den Oberbürgermeister hab ich ganz vergessen. Mist! Ausgerechnet heute, wo alles so instabil ist.« Er atmete zweimal kräftig durch und schien merkwürdig verunsichert. So kannte Anni ihn gar nicht. Normalweise strotzte er vor Selbstvertrauen.
»Wird schon schiefgehen. Und vielleicht sind die Leute aus der IT bis dahin ja auch endlich im Haus.« Sie zwinkerte ihm zu und machte auf dem Absatz kehrt.
*
Eine Horde wildfremder Menschen durch Flensburg zu führen war eine Sache. Ein Live-Interview mit einem der wichtigsten Männer der Stadt zu führen etwas völlig anderes. Diese Erfahrung musste Anni ziemlich schnell machen, denn auch wenn sie sonst nicht auf den Mund gefallen war, war es für sie nicht leicht, live im Radio zu sprechen. Sie hatte es mit Ach und Krach geschafft, die Hörer zu begrüßen, und gehofft, dass niemand ihre zittrige Stimme bemerkt hatte.
Ihr Herz klopfte so stark, dass sie befürchtete, es nicht bis zum ersten Songblock zu schaffen. Krampfhaft hielt sie sich an der Tischkante fest und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie vor Aufregung kaum stehen konnte.
Zum Glück hatte sie Martin an ihrer Seite, der selbstredend wortführend war und sicher durch die Sendung moderierte, sodass ihr mehr oder weniger lediglich eine Statistenrolle zukam. Womit sie sehr gut leben konnte.
»Oberbürgermeister Schmidt, es freut mich, Sie in unserer Morgensendung zu haben«, begrüßte Martin das Stadtoberhaupt mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und prostete ihm mit seiner Kaffeetasse zu.
»Ich freue mich auch sehr. Moin, Moin Flensburg.« Überschwänglich erhob der Oberbürgermeister ebenfalls seine Kaffeetasse und verschüttete ein paar Tropfen, als er diese zum Mund führte. »Hoppla.« Er lachte und tupfte sich den Mund ab.
»Aber wir sind ja nicht zum Kaffeetrinken zusammengekommen, sondern möchten Ihnen nach den ersten einhundert Tagen im Amt ein wenig auf den Zahn fühlen.« Martin lachte noch lauter als zuvor, während die letzten Worte seinen Mund verließen.
Auch Oberbürgermeister Schmidt lachte, wenn auch eher gequält, während sein Hund Basko sich dicht neben ihm positionierte und Anni mit weit aufgerissenen Augen und leise knurrend anstarrte. »Dann legen Sie mal los«, meinte Schmidt und gab sich betont locker, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte, wie Anni fand. Dafür wirkte sein Lächeln viel zu verkrampft.
Martin ergriff erneut das Wort, leitete gekonnt und professionell das Gespräch in seriösere Bahnen. Er schnappte sich Annis Fragebogen und begann mit der ersten Frage. »Einhundert Tage Schmidt in Flensburg. Sagen Sie, wie sind Ihnen die ersten Monate im Amt bekommen?«, fragte er.
Oberbürgermeister Schmidt antwortete, ohne zu zögern, und wirkte dabei beinahe staatsmännisch. »Großartig, wenn sie auch sehr arbeitsintensiv waren. Es gab einiges, was aufgearbeitet werden musste und –«
»Was denn zum Beispiel?«, fiel Martin ihm ins Wort.
»Zum Beispiel wie es mit dem Bau der geplanten Luxuswohnungen am Hafen weitergeht. Außerdem haben wir immer noch zu wenig E-Ladesäulen in der Stadt, ganz zu schweigen vom Problem der E-Roller, die oft wahllos im Stadtgebiet verteilt werden.«
»Und dann ist da ja auch noch die Brauerei …«
»Die nicht das Problem der Stadt ist. Nicht in erster Linie zumindest. Wir sind natürlich besorgt, dass die Brauerei nach ihrem Verkauf in finanzielle Schieflage geraten ist, und werden alles tun, was in unserer Macht steht, um den Mitarbeitern zu helfen. Aber in gewissen Bereichen sind uns diesbezüglich die Hände gebunden«, erklärte Schmidt.
»Welche Bereiche sind das?«, hakte Martin nach.
»Nun, dazu kann ich jetzt keine Auskunft geben.«
»Warum?«
»Ich sage nur, dass die Brauerei in privater Hand ist und …« Oberbürgermeister Schmidt stoppte. Sein Blick wanderte von Martin zu Anni und wieder zurück zum Moderator. Gleichzeitig legte er eine Hand auf den breiten Rücken seines Hundes und streichelte sanft darüber.
»Ja?« Martin sah den Oberbürgermeister erwartungsvoll an und drehte einen Kugelschreiber zwischen Daumen und Zeigefinger.
Schmidt hielt sich die Faust vor den Mund und räusperte sich. Warum antwortete er nicht? Geriet er bei dieser simplen Frage etwa ins Schwimmen?
Anni hielt die Luft an und betrachtete Schmidt, dessen staatsmännisches Auftreten verschwunden war. Stattdessen streichelte er unablässig seinen Hund, tätschelte ihn einige Male, sagte aber nichts. Was ging wohl gerade in seinem Kopf vor?
Der Oberbürgermeister dehnte den Nacken und räusperte sich erneut, während er Basko an sich drückte. »Nun –«, machte er einen neuen Ansatz, wurde aber wie aufs Stichwort vom lauten Bellen seines Hundes unterbrochen.
Anni zuckte erschrocken zusammen und machte einen Schritt zu Seite, ließ den Oberbürgermeister und seinen Hund aber keinen Moment aus den Augen. Hatte er den Hund gerade etwa bewusst zum Bellen gebracht, indem er ihn an sich gedrückt hatte?
Just in dem Moment, in dem Anni fürchtete, ihre Fantasie sei mit ihr durchgegangen, drückte Oberbürgermeister Schmidt seinen Hund ein weiteres Mal an sich, woraufhin Basko augenblicklich laut zu bellen begann. Es war lediglich eine kleine Bewegung, die kaum auffiel, wenn man den Hund und die Hand seines Herrchens nicht gerade fixierte.
»Basko, nicht jetzt.« Schmidt gab sich demonstrativ gelassen, würdigte seinen Hund keines Blickes, sondern schenkte Martin seine ganze Aufmerksamkeit, der ihn lediglich mit großen Augen anschaute.
»Ihr Hund scheint in dem Punkt nicht so verschwiegen zu sein wie sie«, scherzte Martin, während Basko weitere Male bellte, sodass Martin letztlich den ersten Songblock vorzog und die Mikrofone ausschaltete.
»Meinen Sie, er wird sich beruhigen?« Martin schaute auf den schwarzen Rottweiler-Mischling, dessen massiger Körper bei jedem Bellen in Bewegung geriet.
»Ich versuche es, aber wahrscheinlich macht ihn dieses Studio nervös.« Oberbürgermeister Schmid sah sich in dem kleinen Raum um. »Es ist schon sehr eng hier.«
»Ihnen ist unser Studio bekannt. Wir sind in einem Leuchtturm untergebracht, da ist der Platz begrenzt. Die Aussicht ist dafür aber herrlich.« Martin deutete auf das Rundum-Panorama, das sich vor ihren Augen erstreckte.
»Ja, aber meinem Hund gefällt es hier nicht.« Oberbürgermeister Schmidt nahm die Kopfhörer ab und legte sie vor sich auf den Moderationstisch.
Verdutzt sah Martin ihn an. »Was wird das jetzt? Wir haben nur zwei Lieder, dann gehen wir wieder rein.«
Oberbürgermeister Schmidt winkte ab. »Ich nicht. Basko muss an die frische Luft.«
»Was soll das heißen?« Martin nahm seinen Kopfhörer ebenfalls ab und warf einen besorgten Blick auf die Uhr.
»Das heißt, dass ich dieses Interview leider vorzeitig beenden muss.« Der Oberbürgermeister nahm seine Hand von Basko, der augenblicklich verstummte. »Aber ich biete Ihnen gerne an, zu einem Interview zu mir ins Rathaus zu kommen. Schicken Sie meinem Pressesprecher doch einfach die Fragen vorab, und dann werden wir schon einen Termin finden.« Oberbürgermeister Schmidt lächelte, nahm seinen Hund an die kurze Leine und verabschiedete sich. »Viel Glück beim Radio, Anni.« Er reichte Anni die Hand und schüttelte sie kräftig. »Auch wenn ich hoffe, dass Sie uns mit Ihren Stadtführungen erhalten bleiben.«
Anni erwiderte den Händedruck, auch wenn sie ebenso perplex von der Reaktion des Oberbürgermeisters war wie Martin. »Versprochen.«
»Gut, gut.« Schmidt lächelte und ging die Wendeltreppe nach unten.
»Danke fürs Gespräch«, murmelte Martin und nahm die Kopfhörer in die Hand. »Wie soll ich das nur den Hörern erklären? Und mit was sollen wir die Sendung füllen?« Er wirkte ebenso ratlos wie vorhin zwischen den Kabeln im Serverraum.
Anni überlegte. »Wir könnten ein Call-in machen«, sagte sie schließlich.
»Ein … was?« Martin sah sie an, als wäre sie vollkommen übergeschnappt.
»Ich weiß, ich bin kein Profi, aber sind wir nicht alle schon mal in der Situation gewesen, in der wir einfach stehengelassen wurden? Das hat doch jeder schon mal erlebt. Also lassen wir die Leute doch davon erzählen. Machen wir aus der Not eine Tugend, erzählen wir, dass der Oberbürgermeister gehen musste, und fragen die Hörer nach ihren Erlebnissen. Ich bin mir sicher, wir werden ein paar schöne Geschichten zu hören bekommen.« Anni lächelte.
»Anni, wir können den OB doch nicht bloßstellen und sagen, dass er uns sitzengelassen hat.« Martin schüttelte den Kopf und setzte sich seine Kopfhörer wieder auf.
»Hast du denn nicht gesehen, dass er das absichtlich gemacht hat? Er hat seinen Hund zum Bellen gebracht, damit er einen Grund hat, um das Interview herumzukommen.«
Martin schüttelte den Kopf und deutete auf die rote Digitaluhr an der Wand, die genau anzeigte, wann er wieder auf Sendung gehen musste.
Niedergeschlagen setzte sich Anni ebenfalls die Kopfhörer auf. Schon wieder war eine ihrer Ideen abgeblockt worden. Lustlos setzte sie sich an einen der Bistrostühle hinter sich und steckte die Hände in die Hosentaschen. Diese Sendung hatte sie sich definitiv anders vorgestellt.
3 … 2 … 1
»Da sind wir wieder, wenn auch nur noch zu zweit. Was?, werdet ihr jetzt vielleicht fragen, wer fehlt denn da? Nun, ich kann sagen, meine Kollegin Anni ist es nicht.« Martin plapperte vergnügt drauflos, als wäre nichts gewesen, und öffnete Annis Mikro. Vor Schreck hätte sie sich beinahe verschluckt, als das rote Licht vor ihren Augen anging.
»Nein, ich bin noch da und laufe dir auch bestimmt nicht weg.« Sie zwinkerte ihm zu und war selbst überrascht darüber, mit was für einer Selbstverständlichkeit die Worte mit einem Mal aus ihrem Mund kamen. Vielleicht lag es daran, dass Martin sie überrumpelt hatte, wodurch sie keine Zeit zum Nachdenken gehabt hatte.
»Zum Glück, denn unser lieber Oberbürgermeister musste sich leider abrupt verabschieden. Seinem Hund ging’s nicht gut – vielleicht habt ihr ihn vorhin bellen hören –, und wie wir alle wissen: Die Liebe zum Tier geht vor.« Martin rollte übertrieben mit den Augen, als er die letzten Worte sprach, und Anni fühlte mit ihm. Der Oberbürgermeister hatte sich mit seinem Auftritt wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.
»Und darum haben wir uns gefragt, wann seid ihr das letzte Mal sitzengelassen worden?« Martin zeigte auf Anni, die wie selbstverständlich übernahm, als die rote Lampe erneut aufblinkte.
»Ruft uns an und erzählt uns eure Geschichten. Wir sind gespannt, was euch alles schon mal passiert ist.«
»Gleich nach dem nächsten Musikblock geht’s los.« Martin schaltete die Mikros aus und nahm den Kopfhörer ab.
Aus den Lautsprechern ertönte Taylor Swifts ›Shake it off‹, und Annis Füße begannen im Takt zu wippen.
»Danke, dass du meine Idee aufgegriffen hast.«
»Hatte ich denn eine Wahl?« Martin runzelte die Stirn.
»Jetzt können wir nur noch hoffen, dass sich auch jemand bei uns meldet«, sagte sie und schaute gebannt auf die Telefonleitungen. Martins Blick folgte ihrem. Keiner der beiden sagte etwas, und die Sekunden verstrichen quälend langsam.
Es dauerte bis zum Ende des ersten Refrains, bis die erste Leitung zu blinken begann. Kurz darauf blinkte auch die zweite Leitung, und als das dritte Licht ansprang, jauchzte Martin leise in sich hinein. Die Erleichterung stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
»Es hat geklappt. Jetzt müssen die Leute uns nur noch etwas zu erzählen haben.« Er setzte den Kopfhörer wieder auf und begann, off air mit dem ersten Hörer zu sprechen. Kurz darauf streckte er beide Daumen in die Höhe.
Erleichtert pustete Anni durch, während Martin mit seinen Lippen ein stummes Danke formte.
Was um alles in der Welt? Jan Christiansen musste zweimal hinhören, nachdem er das Radio eingeschaltet hatte. Zwischen Wohnzimmer und Bad meinte er eine Frauenstimme gehört zu haben, die ihm seltsam bekannt vorkam. War das etwa …?
Er griff zu Zahnbürste und Zahnpasta und putzte sich die Zähne, während sein Kopf im Rhythmus des Liedes wippte. Als er fertig war, spülte er den Mund aus und wischte sich mit dem Handtuch die Reste der Zahnpasta aus den Mundwinkeln. Dann ging er ins Schlafzimmer und zog sich an.
Jan horchte erneut, doch im Radio spielte immer noch Musik. Er hätte schwören können, vorhin ihre Stimme gehört zu haben. Aber wie konnte das sein?
Gedankenversunken stellte er einen Becher in den Kaffeevollautomaten und schaltete die Maschine ein. Kurz darauf erfüllte das leise Surren des Automaten den Raum, und der Duft frischgebrühten Kaffees lag in der Luft. Er nahm den Becher in die Hand und nippte daran, als …
»Wow, das waren tolle Geschichten, die wir heute Morgen von euch gehört haben.«
Beinahe hätte er sich am heißen Kaffee verbrannt, so sehr war er zusammengezuckt, als ihre Stimme erneut durch die Lautsprecher drang. Anni Gade? Perplex sah er zum Radio und kniff die Augen zusammen. Jan lauschte angestrengt.
»Weißt du, Martin, was alle Geschichten gemeinsam hatten?«
»Nein. Aber du wirst es mir sicher bald erzählen.«
Lachen. Dieses Lachen. Er würde es aus Hunderten heraushören.
»In allen Erzählungen brachte das Sitzengelassen-Werden etwas Gutes mit sich. Nehmen wir zum Beispiel Petras Geschichte. Wäre sie von Tom nicht sitzengelassen worden, wäre sie an diesem Abend Christian nicht in die Arme gelaufen und hätte so vielleicht die Liebe ihres Lebens verpasst.«
Typisch Anni Gade. Jan schmunzelte, nahm einen letzten Schluck und kippte den restlichen Kaffee in den Ausguss. So wie er die quirlige Stadtführerin im vergangenen Sommer kennengelernt hatte, war sie jemand, der selbst in der dunkelsten Stunde versuchte, noch das Positive zu sehen.
Merkwürdig. Gerade erst gestern hatte er an sie denken müssen, als er auf dem Weg ins Polizeirevier an der großen Baustelle am Hafen vorbeigekommen war, auf der gerade zig Luxuswohnungen gebaut wurden. Und heute Morgen hörte er dann auf einmal ihre Stimme im Radio. Was für ein Zufall …
Das Klingeln des Telefons zerrte ihn aus seinen Gedanken. Er warf einen flüchtigen Blick aufs Display, zögerte und nahm ab.
»Ja.«
»Jan?« Eine verzerrte Frauenstimme ertönte am anderen Ende der Leitung.
»Du hast mich angerufen. Wer sollte also sonst ans Telefon gehen«, antwortete er beinahe tonlos. Vor diesem Anruf hatte er sich seit seiner Rückkehr aus Griechenland gefürchtet.
»Könntest du deinen Sarkasmus bitte für einen Moment zurückstellen?« Die Stimme war nun deutlicher zu hören.
»Aber natürlich, Bianca. Schön dich zu hören«, sagte er mit übertriebener Freundlichkeit. »Besser?«
»Nicht aufregen«, murmelte Bianca am anderen Ende der Leitung. Und er konnte sie förmlich vor sich sehen, wie sie an dem alten Tisch in der großen offenen Küche mit den Natursteinwänden saß, eine Hand mit dem Handy am Ohr und die andere vors Gesicht geschlagen. Zu oft hatte sie diese Geste gemacht, wenn er sie mit seiner sarkastischen Art auf die Palme getrieben hatte. Damals … als sie noch ein Paar gewesen waren.
»Du weißt, warum ich anrufe?«, fragte Bianca, offensichtlich bemüht darum, ruhig zu bleiben. Vielleicht, nein, bestimmt sogar hatte auch sie sich vor diesem Anruf gefürchtet. Er wusste, dass sie ihm nicht wehtun wollte, nur zeigen konnte er es ihr nicht.
»Hm«, machte er, legte das Handy auf die Kommode im Flur und schaltete den Lautsprecher ein.
»Es geht um Stellas Geburtstag.« Bianca machte eine Pause und atmete hörbar ein und aus. »Wir … w-wir werden nicht nach Flensburg kommen.«
Er schloss die Augen, versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen, während sich sein Herzschlag beschleunigte. Er hätte es wissen müssen.
»Jan? Bist du noch da?«
Er räusperte sich. »Ja.«
»Es tut mir leid, aber Stella hat sich hier gerade so gut eingelebt, dass ich sie nicht schon wieder rausreißen möchte.« Bianca machte eine Pause. Im Hintergrund hörte er ein Rumpeln und die Stimme eines Mannes. Wahrscheinlich Alessandro. Er verzog das Gesicht.
»Das verstehst du doch, oder?«
Er nickte stumm. »Natürlich«, sagte er bitter. Was sollte er auch anderes sagen? Bianca hatte ihre Entscheidung eh schon längst getroffen. Sie rief nur an, um sie ihm mitzuteilen und vielleicht Absolution dafür zu erhalten, dass sie ihm den Geburtstag seiner Tochter vorenthielt.
»Aber bald ist ja Ostern. Dann kommen wir nach Flensburg.« Wieder machte sie eine Pause.
»Um eure restlichen Sachen zu holen?« Er hätte es nicht fragen dürfen, wusste, dass dies ein Fehler war. Aber es brannte ihm auf der Zunge, seit Bianca ihm in den Herbstferien mitgeteilt hatte, dass sie mit Stella bei ihren Eltern in Italien bleiben würde.
»Ja.« Biancas Stimme war so leise, dass er sie kaum verstehen konnte. »Ich hoffe, du weißt, dass … es tut mir leid.«
»Gib Stella einen Kuss von mir.« Er schluckte, spürte, wie seine Augen feucht wurden. Seit Weihnachten hatte er seine Tochter nicht mehr gesehen. Das war nun drei Monate her. Gott, er vermisste sie so sehr, dass er den Schmerz kaum ertragen konnte.
»Natürlich mache ich das. Ruf sie heute Abend doch einfach an. Dann kannst du ihr noch Gute Nacht sagen.« Biancas Stimme klang nun lieblicher und erleichtert. Wahrscheinlich war sie froh, dass er ihr keine Szene gemacht hatte. »Ihr könnt doch auch Facetimen. Das hat euch das letzte Mal doch so viel Spaß gemacht.«
Hielt sie ihn jetzt für vollkommen verrückt? »Spaß hatten wir, als wir uns das letzte Mal an Weihnachten gesehen haben. Alles andere ist nur gute Miene zum bösen Spiel machen.« Er schluckte erneut, doch der Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, wollte einfach nicht verschwinden.
»Bitte sag das nicht.«
»Warum nicht? Es ist doch die Wahrheit.« Jetzt bloß nicht ausflippen, versuchte er sich zu beruhigen und schlüpfte in seine Schuhe, um sich abzulenken. »Und es war doch deine Idee, dass wir uns immer die Wahrheit sagen sollen, oder?«
»Jan.«
Er sah auf die Uhr und pustete durch. »Ich muss aufs Revier. Ich rufe Stella heute Abend an. Über Facetime, versprochen. Sie kann ja nichts dafür, dass ihre Eltern solche Idioten sind.« Er legte auf, ohne sich weiter zu verabschieden, und verließ die Wohnung.
»Gut gemacht, Anni.«
Martin ließ sich rücklings auf das rote Sofa im Redaktionsbüro fallen, breitete die Arme aus und legte den Kopf in den Nacken. Es schien, als würde die gesamte Anspannung der letzten beiden Stunden mit einem Mal von ihm abfallen.
»Danke.« Anni setzte sich neben ihn, nippte an ihrem Kaffee und fühlte sich hervorragend. Die aus der Not geborene Sendung war ein voller Erfolg gewesen – und was Anni fast noch mehr freute: Sie hatte daran einen maßgeblichen Anteil gehabt. Endlich hatte ein Moderator eine ihrer Ideen nicht gleich abgeschmettert, sondern ernst genommen und in die Tat umgesetzt. Okay, Martin hatte auch kaum eine andere Wahl gehabt, als ihren Vorschlag anzunehmen. Schließlich hatte ihm mit dem plötzlichen Abgang des Oberbürgermeisters das Wasser bis zum Hals gestanden. Aber trotzdem: Er hätte auch anders improvisieren können.
»Es war toll, dass du dich darauf eingelassen hast.« Sie grinste diebisch in sich hinein und seufzte.