Northern Star - Inga Schneider - E-Book + Hörbuch
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Northern Star Hörbuch

Inga Schneider

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Beschreibung

Zwischen Intrigen und verbotenen Gefühlen: Die große skandinavische Hotel-Saga »Northern Star« von Inga Schneider jetzt als eBook bei dotbooks. Als Erbe eines Hotelimperiums gehört Nikolaj Bjerregaard zur dänischen High Society und lebt in einer Welt von Wohlstand und Macht. Doch er will mehr: Aus dem Schatten des übermächtigen Vaters heraustreten, die Dämonen der Vergangenheit hinter sich lassen und mit seiner eigenen exklusiven Boutiquehotel-Kette expandieren. Als er die Hamburger PR-Expertin Emma Jakobsen kennenlernt, die ihm bei der Expansion helfen soll, ist die Anziehungskraft zwischen ihnen sofort spürbar. Doch was Nikolaj nicht weiß: Emma will aus einem ganz bestimmten Grund nach Kopenhagen. Ihr Ziel ist, seinen Ruf zu ruinieren ... Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Liebesroman »Northern Star« von Inga Schneider ist der prachtvolle Auftakt ihrer großen »Rosenborg-Saga« um die Erben eines Hotelimperiums – Fans von Ayla Dades »Blackwell Palace«-Reihe werden begeistert sein. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:8 Std. 54 min

Sprecher:Marlene Hekk

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Über dieses Buch:

Als Erbe eines Hotelimperiums gehört Nikolaj Bjerregaard zur dänischen High Society und lebt in einer Welt von Wohlstand und Macht. Doch er will mehr: Aus dem Schatten des übermächtigen Vaters heraustreten, die Dämonen der Vergangenheit hinter sich lassen und mit seiner eigenen exklusiven Boutiquehotel-Kette expandieren. Als er die Hamburger PR-Expertin Emma Jakobsen kennenlernt, die ihm bei der Expansion helfen soll, ist die Anziehungskraft zwischen ihnen sofort spürbar. Doch was Nikolaj nicht weiß: Emma will aus einem ganz bestimmten Grund nach Kopenhagen. Ihr Ziel ist, seinen Ruf zu ruinieren ...

»Northern Star« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Inga Schneider hat »Hygge« im Blut. Sie arbeitet als Journalistin in Dänemark und Schleswig-Holstein. Seit 2021 veröffentlichte sie bereits mehrere erfolgreiche Cosy-Crime- sowie Liebes- und Feel-Good-Romane. 

Bei dotbooks erscheint ihre große Rosenborg-Saga, für die bereits weitere Bände in Planung sind.

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eBook-Ausgabe Juni 2023

Copyright © der Originalausgabe by Inga Schneider und SAGA Egmont im Vertrieb bei Egmont Verlagsgesellschaften mbH

Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-665-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Inga Schneider

Northern Star

Die Rosenborg-Saga 1

dotbooks.

Für Julia.

Immer zusammen und niemals allein!

Prolog

Nikolaj Bjerregaard stand an der Flügeltür seines Büros und sah aus dem Fenster. Vor ihm lag die großzügige Gartenanlage des Rosenborg, die an ihrem Ende direkt an den weißen Sandstrand grenzte. Sogar das Meer konnte er von hier aus sehen. Es war schon ein unsagbar schönes Plätzchen, an dem seine Familie vor einigen Jahrzehnten dieses Fünf-Sterne-Hotel hatte errichten lassen. Das musste er ihnen lassen, auch wenn er es hasste. Die Bjerregaards hatten Geschmack.

»Tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für dich hab, Mann.«

Erik Larsen stellte sich neben ihn, die Hände wie immer lässig in die Hosentaschen gesteckt. Nikolaj sah zu ihm rüber und schüttelte den Kopf.

»Hände gehören nicht in die Taschen … so wird aus dir nie ein seriöser Geschäftsmann«, sagte Nikolaj und lachte, obwohl ihm alles andere als zum Scherzen zumute war.

»Wer sagt denn, dass ich das möchte? Du bist der Geschäftsmann, ich nur dein kleiner Angestellter.« Erik winkte ab und lachte ebenfalls.

»Natürlich.«

Nikolaj biss sich auf die Lippe und konzentrierte sich wieder auf den Garten vor ihm. Er hatte erst vor ein paar Wochen die Leitung des RosenborgaufBornholm übernommen, nachdem sein Vater den bisherigen Manager wegen Illoyalität gefeuert hatte. Es passte ihm nicht, dass er mal wieder die Kohlen aus dem Feuer holen und das Hotel irgendwie durch die Sommersaison bringen musste. Schließlich hatte er eigene Pläne und Projekte, die in Kopenhagen auf ihn warteten. Und jetzt auch noch das.

»Du bist dir wirklich sicher?«, hakte Nikolaj noch einmal nach und widmete sich wieder dem eigentlichen Grund ihrer Unterhaltung.

Erik nickte. »Zu einhundert Prozent.«

»Dann hab ich wohl keine andere Wahl.«

»Nein.«

Nikolaj legte den Zeigefinger an die Lippe und schwieg. Er wusste, dass seine Arbeit hier auf Bornholm nicht leicht werden würde. Schließlich war es einst das Lieblingshotel seiner Mutter gewesen, und Erinnerungen an sie gab es quasi an jeder Ecke.

Er schaute auf den Schreibtisch, der schräg hinter ihm stand. Eriks Blick folgte Nikolajs und blieb an einem kleinen, schwarzen Buch hängen, das aufgeschlagen auf der Schreibtischunterlage lag.

»Sie hat wirklich geschrieben, dass sie um ihr Leben fürchtet?«, fragte Erik und blieb skeptisch.

»Sagen wir mal so: Sie hat gewusst, wozu meine Familie im Stande sein kann«, antwortete Nikolaj knapp, ging zum Schreibtisch herüber, nahm das Büchlein in die Hand und zitierte: »›Ein Bjerregaard tötet, was er liebt. Das ist mir heute so bewusst geworden, dass es mir eiskalt den Rücken herunterlief. Ich hoffe, dass seine Liebe zu mir nicht so groß ist, wie er behauptet. Ansonsten ist es schlecht um mich bestellt. Das spüre ich.‹«

Nikolaj legte das Buch beiseite und strich mit dem Zeigefinger über die zittrige Handschrift seiner Mutter. Es wirkte, als hätte sie die letzten Zeilen in ihrem Tagebuch in höchster Eile geschrieben.

»Das ist krass, Nikolaj«, sagte Erik. »Danke für dein Vertrauen und … dass du es mir vorgelesen hast.«

»Hör zu«, begann Nikolaj leise und rückte näher an Erik. »Niemand weiß von Mutters Tagebuch, geschweige denn davon, dass ich es besitze. Nicht einmal meine Geschwister. Und es ist besser, wenn niemand jemals davon erfährt.« Nikolaj schaute erneut auf das Tagebuch und seufzte. Er wusste genau, wie brandgefährlich dieses Buch für die Zukunft seiner Familie war, sollte es jemals in die falschen Hände geraten.

»Du kannst dich auf mich verlassen. Das weißt du!«, antwortete Erik und sah auf seine Uhr. »Ich muss los. Wir bekommen gleich eine Reisegruppe von High Society. Das bedeutet jede Menge gut betuchte Seniorinnen, die hier auf der Insel noch einmal den Sommer ihres Lebens erleben wollen.« Erik rollte mit den Augen, klopfte Nikolaj auf die Schulter und ging zur Tür.

»Übrigens: Ich möchte Gitte Sörensen in meinem Büro sehen. Sofort!«, gab Nikolaj Erik mit auf den Weg.

Erik sagte nichts, sondern nickte nur knapp, um Nikolaj zu zeigen, dass er ihn gehört hatte. Er öffnete die Tür und rannte direkt in eine zierliche dunkelhaarige Frau, die durch die Wucht des plötzlichen Aufpralls nach hinten stolperte.

»Oh.« Erik sah erschrocken nach vorne und schüttelte irritiert den Kopf. »Tja, Mann, was soll ich sagen. Sie ist schon da!« Er zeigte auf Gitte, die mit gesenktem Blick vor ihm stand. Hatte sie etwa gelauscht?

Nikolaj zupfte seinen Hemdkragen zurecht, ging zum Schreibtisch und versteckte das Tagebuch seiner Mutter in einer Schublade. Es war besser, wenn es nicht so offen in seinem Büro herumlag.

Er ging zur Tür und räusperte sich.

»Komm rein, Gitte. Wir haben dringend etwas zu klären!«

Gitte schlich an Nikolaj vorbei, während er mit grimmiger Miene die Tür hinter sich schloss.

Kapitel 1

Kopenhagen. Elf Monate später.

Die Sonne schien viel zu grell, als Nikolaj Bjerregaard aus dem Aufzug stieg. Instinktiv kniff er die Augen zusammen und tastete in der linken Innentasche seiner Jacke nach seiner Sonnenbrille, doch sie war nicht da. Um auf Nummer sicher zu gehen, suchte er auch noch die anderen Taschen ab. Ohne Erfolg. Oh Gott, er musste die Brille heute Früh bei ihr vergessen haben. Schon als er sie gestern Abend ins MASH ausgeführt hatte, hatte er ein komisches Gefühl gehabt. Und nach dem Essen wollte er es einfach schnell hinter sich bringen, ein wenig Druck ablassen, Spaß haben. Warum er trotzdem die ganze Nacht geblieben war, wusste er nicht. Aber als er vor ein paar Stunden aus ihrer kleinen Wohnung in Hvidovre geschlichen war, war er extra leise gewesen, nur um sie ja nicht aufzuwecken.

Nikolaj war einfach nicht der Typ für Abschiede. Weder für lange noch für kurze. Und die Tatsache, dass er jetzt seine Sonnenbrille bei ihr liegen gelassen hatte, ärgerte ihn ungemein. Nicht, dass die Brille besonders teuer oder gar seine einzige gewesen wäre. Zu Hause hatte er eine ganze Schublade voll davon. Aber darauf, sie so schnell noch einmal wiederzusehen, hätte er gut verzichten können. Und es passte ihm gar nicht, dass sie einen Beweis für ihre gemeinsame Nacht hatte. Wer weiß, was sie damit anstellen würde? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, wenn eine Frau sich in der Presse hervortun wollte, nur weil er sich mit ihr eingelassen hatte.

Natürlich wusste sie, wer er war. Jeder wusste das. Wenn Nikolaj abends durchs Kopenhagener Nachtleben zog, war er meist nicht lange allein. Ganz egal, wohin er ging. Dänemarks Regenbogenpresse hatte er es zu verdanken, dass jeder weibliche Single in Kopenhagen seinen Namen kannte.

»Kopenhagens begehrtester Junggeselle« hatten ihn die bunten Blätter schon vor ein paar Jahren getauft. Seitdem liefen ihm die Frauen in Scharen hinterher. Dabei waren sie an ihm als Person kaum interessiert. Vielmehr ging es ihnen darum, etwas vom Glanz und Glamour, der seine Familie umgab, abzubekommen.

»Meine Familie«, murmelte Nikolaj und konnte sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen.

Die Bjerregaards zählten zu den reichsten Familien des Landes und besaßen mehrere Hotels, darunter die beiden mehrfach ausgezeichneten Luxushotels Rosenborg København und Rosenborg Bornholm. Sie waren einflussreich und verkehrten in den höchsten und feinsten Kreisen der Gesellschaft. Es kam durchaus vor, dass er mit dem dänischen Kronprinzen zusammen eine Regatta segelte oder sein Vater und dessen neue Frau zum Galadinner bei Hofe waren. Sie waren ganz oben in der Gesellschaft angekommen – und jeder in der Familie war stolz darauf, auch wenn es offen niemand zugeben würde. Das gehörte sich nicht.

Nikolaj schlenderte über die Dachterrasse des Hotels, vorbei am schwarzgefliesten Pool, in dem vergangene Woche noch hochkarätige amerikanische Politiker geplantscht hatten. Das ganze Rooftop samt Bar hatte dafür gesperrt werden müssen, nur damit einige der mächtigsten Männer der Welt nach Einbruch der Dunkelheit in dem beleuchteten Becken schwimmen und die Aussicht auf das nächtliche Kopenhagen genießen konnten.

Nikolaj blieb stehen und sah sich um. Der Panoramablick von hier oben sei atemberaubend, versicherten die Gäste ihm immer wieder, wenn er sie hier oben zufällig antraf. Auch wenn er sich natürlich längst daran gewöhnt und kaum noch ein Auge dafür hatte.

Der schwarze Diamant, die Dänische Königliche Bibliothek, funkelte glitzernd direkt gegenüber vom Rosenborg in der Sonne. Sein Blick glitt nach rechts, vorbei an Børsen mit dem Turm aus ineinander verschlungenen Drachenschwänzen und Schloss Christiansborg, dem Zentrum der Macht und Sitz der Regierung.

Es stimmte, die Aussicht von hier oben war prachtvoll. Wie alles im Rosenborg.

Schon jetzt am frühen Vormittag pulsierte rund um das Luxushotel im Herzen von Kopenhagen das Leben. Die Kanalboote schipperten Touristen aus aller Welt vorbei an den zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die diese Stadt zu bieten hatte: Schloss Amalienborg, die Königliche Oper und, ach ja, die kleine Meerjungfrau. Wie konnte er die nur vergessen?

»God morgen, Nikolaj.« Christian, einer der Barkeeper, grüßte ihn freundlich, als er zum Tresen ging. Der Barkeeper war gerade dabei, die Bestände der Rooftop Bar zu sortieren. »Kaffee?«

Nikolaj nickte dankend und sah sich um. Von seinem Vater war weit und breit noch nichts zu sehen. Dabei waren sie für zehn Uhr verabredet gewesen. Er schaute kurz auf die Uhr. Es war schon kurz nach. Der alte Patriarch verspätete sich sonst nie. Schon im Kindesalter hatte er Nikolaj eingetrichtert, dass Pünktlichkeit eine der wichtigsten Tugenden sei, wenn man im Leben respektvoll behandelt werden wolle.

Nikolaj nahm seinen Latte und setzte sich unter einen der weißen Sonnenschirme im hellgrau gestalteten Loungebereich. In seinem Kopf hämmerte es. Er hatte einen typischen »Zimmermann«, wie man in Dänemark sagen würde. Es war ein bohrender Kopfschmerz, eindeutig durch zu viel Alkohol in der vergangenen Nacht hervorgerufen. Seine Augen brannten durch das gleißende Sonnenlicht, das von den weißen Schirmen und hellen Fliesen nur noch mehr reflektiert wurde. Es war wirklich viel zu hell heute. Durch die vielen Pflanzen hindurch beobachtete er, wie die ersten Hotelgäste auf die Terrasse kamen. Sofort zog der schwarze Pool in der Mitte der ansonsten weißen Umgebung ihre Blicke auf sich. Beeindruckt steckten sie ihre Köpfe zusammen. Er wusste, was sie dachten. Das Design der Dachterrasse war einzigartig, preisgekrönt und hatte die Familie jede Menge Kronen gekostet. Juwel hatte die Presse es einmal genannt. Immerhin war es das erste seiner Art in Kopenhagen gewesen, auch wenn inzwischen das eine oder andere Hotel versuchte, es zu kopieren. Dem Rooftop des Rosenborg konnte so schnell nichts das Wasser reichen.

Schwarz, Weiß und Gold waren die dominierenden Farben. Die Fliesen im Pool bestanden aus feinsten italienischen Mosaiksteinen in dunklen Schwarznuancen, die selbstverständlich alle handsortiert waren. Im Zusammenspiel mit dem Wasser ergaben sie ein nahezu perfektes Bild von Tiefe und sorgten dabei für eine optische Täuschung. Stand man am Beckenrand, hätte man denken können, das Wasser im Pool war tatsächlich schwarz, was dazu führte, dass mancher Badegast erst einmal zögerlich seinen Fuß hineinhielt, um sich davon zu überzeugen, dass es wirklich klares Wasser war.

»God morgen.«

Die flache, ausdruckslose Stimme seines Vaters riss ihn aus seinen Gedanken. Nikolaj setzte sich in seinem Sessel auf, sah sich um und entdeckte den alten Patriarchen an der Bar. Kurz überlegte er, ob er zu ihm gehen sollte, doch er verschob den Gedanken schnell wieder. Sollte sein Vater doch zu ihm kommen. Immerhin hatte er um diesen Termin gebeten. Nicht umgekehrt.

»Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Du bist tatsächlich pünktlich.« Jørgen Bjerregaard gesellte sich zu seinem Sohn an den Tisch und setzte sich in einen der Loungesessel.

Nikolaj überhörte den provokanten Ton in der Bemerkung seines Vaters. Er war einfach noch viel zu müde und hatte keine Lust auf Streit. Nikolaj lehnte sich wieder zurück und wünschte sich einmal mehr an diesem Morgen, er könne seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verstecken. Sein Vater sah aus, als wäre er einer alten 1980er-Jahre-Serie entsprungen. Er trug einen dunkelblauen Anzug, die Krawatte bis zum Anschlag hochgebunden, die wenigen silbergrauen Haare, die ihm zwischen den ausladenden Geheimratsecken geblieben waren, hatte er nach hinten geföhnt. Er war komplett oldschool angezogen, trug wie immer ein weißes Einstecktuch in der Brusttasche seines Jacketts. Nikolaj kannte niemanden, der heutzutage noch so herumlief.

Wie immer, wenn er sich mit Nikolaj auf dem Rooftop traf, trank Jørgen nur einen Espresso. Für mehr hatte er meist keine Zeit.

»Einen Espresso hat man viel schneller ausgetrunken als zum Beispiel einen großen Milchkaffee. So muss man sich nicht allzu lange mit Personen aufhalten, die einem lästig sind. Die Termine kann man mit einem Espresso kurz und knapp halten. Ist die Tasse leer, kann man auch das Gespräch beenden. Merk dir das, mein Junge«, hatte Jørgen ihm einmal gesagt, als er Nikolaj einen seiner unschlagbaren Ratschläge fürs Geschäftsleben geben wollte.

Nikolaj war nicht entgangen, dass sein Vater auch stets nur einen Espresso trank, wenn er ihn zu sich zitiert hatte. Offenbar war es für seinen Vater die charmante Art, Nikolaj zu zeigen, dass er sich nicht lange mit ihm aufhalten wollte. Sein Vater hatte ihm nie den Eindruck vermittelt, als wäre er ihm sonderlich wichtig. Seine Mutter, Ellen, war da ganz anders gewesen. Sie war der ruhende Pol in der Familie gewesen, diejenige, die jeden Einzelnen wertgeschätzt und alles zusammengehalten hatte.

Seine Gedanken schweiften ab. Fünf Sterne. So hatte seine Mutter die Familie stets bezeichnet. Die Familie, zu der neben seinen Eltern auch noch sein Bruder Frederik und seine Schwester Louise zählten.

»Jeder von uns ist ein einzelner Stern, aber zusammen sind wir so wertvoll wie die fünf Sterne eines Hotels«, hatte sie immer gesagt.

Nikolaj runzelte die Stirn. Sie waren schon lange keine fünf Sterne mehr.

Das Räuspern seines Vaters holte ihn zurück ins Hier und Jetzt.

»Was gibt’s?« Nikolaj nippte an seinem Milchkaffee, schließlich hatte er alle Zeit der Welt und gab sich betont gelassen.

»Es geht um NOVA.« Jørgens Stimme senkte sich, die eisblauen Augen waren streng auf seinen Sohn gerichtet.

»Mhm«, machte Nikolaj, als hatte er sich schon denken können, dass es darum ging.

Seit zwei Jahren war er Manager mehrerer exklusiver und vor allem nachhaltiger Boutiquehotels. Neben zwei Hotels in Kopenhagen gab es auch eines in Aarhus sowie auf Bornholm. Nachdem er jahrelang in den beiden Hotels seines Vaters gearbeitet hatte, hatte Nikolaj vor ein paar Jahren das Bedürfnis verspürt, etwas Eigenes ins Leben zu rufen. Doch ihm fehlten die finanziellen Mittel dazu, um so ein großes Projekt alleine, ohne die Hilfe seiner Familie, zu stemmen. Sein Vater hatte ihm daraufhin den Bereich Neuentwicklung innerhalb des Hotelimperiums übertragen, in der Hoffnung, Nikolaj würde weitere Rosenborg’sche Luxushotels ins Leben rufen, nur mit einer jüngeren, moderneren Zielgruppe. Doch die Boutiquehotels, die entstanden waren, entsprachen nicht Jørgens Vorstellungen. Seiner Ansicht nach waren sie zu klein und nicht prunkvoll genug, um den Namen Rosenborg zu tragen. Dass jene kleinen Hotels, in jeweils bester Lage, mit wenigen Zimmern und einem hohen Maß an Exklusivität, aber genau das waren, was junge, moderne Leute unter Luxus verstanden, war an ihm vorbeigegangen. Trotzdem kam auch Jørgen nicht umhin zuzugeben, dass Nikolaj Erfolg mit NOVA hatte. Vor allem ausländische Touristen waren verrückt nach den Hotels.

»Ich höre.« Er setzte sich aufrecht hin, verschränkte die Arme vor der Brust und drückte den Rücken durch, um sich noch ein wenig größer zu machen. Es war die übliche Drohhaltung, die er oft an den Tag legte, wenn er seinem Vater gegenübersaß.

»Ich will, dass wir expandieren. Auch wenn es sich mir nicht erschließt, aber NOVA hat Erfolg. Und Maurice Johnson hat mir erzählt, dass er sich mit seinem Hotel aus Hamburg zurückziehen wird. Das ist die Chance für uns, auch außerhalb Dänemarks Fuß zu fassen.« Jørgen kramte sein Mobiltelefon hervor und schob es über die schwarze Glasplatte des Tisches. Nikolaj warf einen flüchtigen Blick auf das Display und sog die Luft zwischen seine Vorderzähne. Er war kurz davor, zu explodieren. Er hasste es, wenn sein Vater über seinen Kopf hinweg Entscheidungen traf.

»Das ist das Hotel, um das es geht. Es liegt in bester Lage, in Hafennähe. Zweiundfünfzig Zimmer, alle hochwertig ausgestattet. Wir müssten nur wenig investieren. Hier und da ein wenig frische Farbe und der übliche NOVA-Chic. Im Herbst könnten wir eröffnen. Der Kaufvertrag ist schon unterschrieben. In zwei Wochen können wir mit dem Umbau beginnen.«

»Du hast was getan?«, brach es aus Nikolaj heraus. »Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt? Hast du vergessen, dass Entscheidungen von solcher Tragweite gemeinsam getroffen werden? Was bildest du dir ein, einfach so über meinen Kopf hinweg zu bestimmen?«

Die Begeisterung seines Vaters für das Objekt konnte Nikolaj nicht teilen. Er kannte die Hotels, die Maurice Johnson, Hotelmogul aus Großbritannien und enger Freund der Familie, betrieb. Sie konnten NOVA nicht auch nur ansatzweise das Wasser reichen. Die Zimmer waren ohne stimmiges Konzept und rein zweckmäßig eingerichtet. Darüber hinaus meist viel zu klein und unmöglich geschnitten. Statt modern und minimalistisch wie das NOVA, kam Johnsons Hotel karg und altmodisch daher. Es dürfte schwierig werden, ein King-Size-Bett darin unterzubringen.

Typisch für seinen Vater. Es zeigte, wie wenig er sich mit NOVA auskannte. Wie wenig er seinen Sohn und das, was ihm etwas bedeutete, kannte.

»Irgendjemand muss Entscheidungen treffen, wenn es ums Wohl der Firma geht. Und würdest du dich nicht ständig in irgendwelchen Betten herumtreiben, sondern das machen, wofür du bezahlt wirst, wäre ich nicht gezwungen, über deinen Kopf hinweg zu entscheiden.« Jørgen Bjerregaard war bedacht darauf, möglichst leise zu sprechen, damit die anwesenden Hotelgäste nichts von ihrem Disput mitbekamen. Trotzdem war der abfällige Klang in seiner Stimme nicht zu überhören.

»Das ist eine Lüge, und du weißt das!« Nikolaj ballte die Hand zu einer Faust und haute sich damit vor Frust gegen das Knie. Der pochende Schmerz hinter seinen Schläfen nahm zu, wie immer, wenn er sich zu sehr über seinen Vater aufregte. Er war so wütend. Seit Jahren war er so wütend. Auf sich, auf seinen Vater und das Leben, das ihm auf so üble Weise mitgespielt und alles zerstört hatte, was ihm lieb gewesen war. Vielleicht wären die Dinge anders verlaufen, wenn …

Er sah zu Jørgen herüber, der ihm selbstgefällig gegenübersaß. Für einen Moment bekam er beinahe Mitleid mit seinem Vater, der plötzlich so alt und grau hinter der ganzen arroganten Fassade wirkte. Aber dann dachte er an das, was damals geschehen war. Und sein Mitleid verflog.

Er versuchte, sich zu beruhigen. »In zwei Wochen, sagst du?«, fragte Nikolaj schließlich, um gute Miene zu bösem Spiel zu machen, aber die Wut in seinem Magen wollte einfach nicht verschwinden. Immer wieder boxte er mit der einen Faust gegen seinen Oberschenkel.

»Ja. Da die Zeit drängt, habe ich auch schon mit Handwerkerfirmen gesprochen, die den Umbau realisieren könnten. Ich …«

»Wie ich sehe, hast du bereits alles geregelt. Auch wenn du es nicht hören willst, aber darf ich dich daran erinnern, dass ich der Geschäftsführer der NOVA-Hotels bin?«

Die Worte schienen an seinem Vater förmlich abzuperlen, als wäre er mit einer Schicht aus Teflon überzogen.

»Und darf ich dich daran erinnern, dass ich als dein Vater jede Menge Geld in ›deine‹ Hotels investiert habe? Ohne mich und ohne den guten Namen unserer Familie hättest du noch nicht mal ein Hostel eröffnen können.« Jørgen sprach wie gewohnt ruhig und besonnen. Der Klang in seiner tiefen Stimme ließ keinen Zweifel daran, wer das Oberhaupt der Familie war.

»Also stell dich nicht so an. Andere Söhne würden ihrem Vater die Füße küssen, wenn er ihnen ein Leben, wie du es hast, auf dem Silbertablett servieren würde.«

»Ein Leben, wie ich es habe …«, sagte Nikolaj mühsam beherrscht. Ein Leben, das du zerstört hast, dachte er bitter.

»Glaub nur nicht, dass du etwas Besseres bist, Nikolaj. Nur, weil du das Glück hattest, als ein Bjerregaard geboren zu werden. Das ist ein Privileg, ich weiß, aber kein Grund, sich darauf auszuruhen. Steig endlich von deinem hohen Ross herunter.«

»Pff«, machte Nikolaj und wich dem stechenden Blick seines Vaters aus. Er verachtete ihn dafür, dass er sich immer wieder in alles einmischte. Nach dem Studium war es seinem Vater nicht schnell genug damit gegangen, Nikolaj aus dem Management des Rosenborg zu kicken. Um genau zu sein, hatte es nicht mal ein Jahr gedauert. Nikolaj hatte gerade die Idee der Boutiquehotels zur Sprache gebracht. Zunächst hatte er sich darüber gefreut, dass ihm sein Vater dieses eine Mal zumindest keine Steine in den Weg warf, ihm die neue Aufgabe mit der Neuentwicklung gegeben hatte und ihn scheinbar unterstützt hatte. Doch zu welchem Preis? Es war nicht seine Hotelkette, so wie er es zunächst geplant hatte. Er war nur der Manager. Sein Vater hatte sich einen einflussreichen Platz im NOVA-Aufsichtsrat gesichert, und keiner der anderen Mitglieder wagte es, ihm in seiner Meinung zu widersprechen. Im Prinzip war NOVA nichts anderes als Rosenborg – in beiden Hotels hatte Nikolaj nichts zu sagen, wenn es darauf ankam.

»Und du solltest dein Deutsch verbessern. Es klingt lausig.« Jørgen sah seinen Sohn über den Rand seiner kleinen Espressotasse von Royal Copenhagen im Design Black Fluted Mega an, die mit ihren schwarzen Bemalungen einen Kontrast auf dem weißen Porzellan bildete und sich damit perfekt in das Konzept der Dachterrasse integrierte. Er verzog keine Miene.

»Ich habe Deutsch in der Schule gelernt. Das sollte reichen. Außerdem sprechen doch eh alle Englisch«, konterte Nikolaj, dessen Geduldsfaden mittlerweile dünn wie der Faden einer Spinne war. Es war zwar Jahre her, dass er Deutsch auch wirklich gesprochen hatte, aber das musste er seinem Vater ja nicht unter die Nase reiben.

Jørgen ignorierte seinen Sohn. »Um NOVA auf dem deutschen Markt gut zu positionieren, habe ich eine Agentur beauftragt, sich darum zu kümmern. Sie werden dir unter die Arme greifen. Ich würde vorschlagen, du begleitest mich nach Hamburg.«

»Ich brauche niemanden.« Es fiel ihm immer schwerer, seine Wut im Zaun zu halten.

»Wir fahren heute noch nach Hamburg. Du wirst mich begleiten, Sohn! Das ist keine Bitte.« Jørgen nahm einen letzten Schluck von seinem Espresso, stellte die Tasse auf den Tisch und stand auf.

»Wage es ja nicht, noch einmal Dinge über meinen Kopf hinweg zu entscheiden.« Nikolaj stand ebenfalls auf und hob den Zeigefinger, als wolle er seinem Vater drohen.

Für einen Moment standen sich beide gegenüber, als wären sie bei einem Duell im Wilden Westen. Es schien, als wäre jeder der beiden Männer bereit, jeden Moment seinen Colt zu ziehen.

Sie hatten noch nie einen guten Draht zueinander gehabt, aber seiner Mutter war es gelungen, dass Nikolaj und sein Vater sich zumindest respektierten. Wie oft hatte sie sich zwischen die beiden gestellt? War zwischen die Fronten geraten, wenn sie versucht hatte, Nikolaj in Schutz zu nehmen und sein Handeln zu entschuldigen. Und wie oft hatte Nikolaj sich vor seine Mutter gestellt, wenn seine Eltern sich gestritten hatten. Und das hatten sie dauernd. Auch an jenem Tag, an dem seine Mutter seine beiden Geschwister ins Auto packte, das Haus verließ und Nikolaj alleine zurückließ … seitdem war nichts mehr so, wie es einmal gewesen war.

Nikolaj sah seinen Vater an und versuchte, sein Pokerface zu deuten. Doch Jørgens Blick blieb ausdruckslos und unnahbar.

»Also gut, begleitest du mich nach Hamburg?«, fragte Jørgen schließlich und sah ihn dabei mit diesem Der-Klügere-gibt-nach-Blick an, den Nikolaj so sehr hasste. Er klang dabei so beiläufig, als hätte es ihren Disput gar nicht gegeben.

»Das kannst du vergessen.« Ohne ein weiteres Wort schob sich Nikolaj an seinem Vater vorbei und marschierte, ohne nach links und rechts zu gucken, in Richtung Aufzug. Er musste sich dringend abreagieren.

Im Aufzug kramte er sein Smartphone aus der Hosentasche und wählte ihre Nummer. Es tutete einige Male, bevor sie ranging.

»Wir treffen uns zum frokost bei Ida. Zieh dir was Hübsches an. Und nimm meine Sonnenbrille mit«, sprach er in den Hörer, ohne sie überhaupt zu Wort kommen zu lassen.

Kapitel 2

Hamburg

Was machte sie hier nur?

Es war nicht das erste Mal am heutigen Tag, dass Emma sich diese Frage stellte. Seit drei Stunden saß sie mit ihren Kollegen in einem riesigen Saal mit Stuckdecken, Kristall-Kronleuchtern und viel zu rutschigem Parkettboden. Und die ganze Zeit über hatte sie, mehr oder weniger angestrengt, über die Seminaraufgabe nachgedacht.

»Was sind wir?«, hatte Mimi, die Seminarleiterin, die viel zu hohe Schuhe trug und verblüffende Ähnlichkeit mit Barbara Schöneberger hatte, ganz früh am Morgen gefragt.

»Wir sind Le de Luxe, eine der exklusivsten und angesagtesten Marketing- und PR-Agenturen in Hamburg«, hatte Emma daraufhin geantwortet.

Doch irgendwie war ihre Antwort bei den anderen nicht gut angekommen.

Selbst Bea, ihre etwas füllige Agenturchefin, deren Markenzeichen ein aufgesetztes, stets präsentes Lächeln war, hatte sie über den Rand ihrer goldumrandeten Pilotenbrille strafend angefunkelt.

Seitdem hatte Emma sich aus dem Seminar so gut es ging herausgehalten. Doch das schien jetzt nicht mehr möglich zu sein.

»Was genau sind wir?«, wiederholte Mimi und starrte zunächst in die Runde und dann auf ihre sündhaft teuren Jimmy Choos, die davon zeugten, dass sie mit einem einzelnen Workshop viel mehr Geld verdiente als Emma in einem Vierteljahr.

Sie musste gestehen, dass sie ihren Kopf abgeschaltet hatte, als es darum ging, herauszufinden, welche Farbe am besten die Werte der exklusiven, erfolgreichen PR-Agentur widerspiegeln würde.

»Wir sind gold!«

Emma zuckte zusammen, als Mimi unvermittelt in die Hände klatschte. Als wäre es ihr Stichwort gewesen, klatschten auch ihre zwanzig Arbeitskollegen begeistert. Was zum Teufel hatte das mit ihrer Arbeit als PR-Agentin zu tun?

Während um sie herum das Chaos ausbrach, blieb Emma still auf ihrem Stuhl sitzen. Zur Sicherheit sah sie sich links und rechts nach einem geeigneten Fluchtweg um. »Was sind wir?«, rief Mimi.

»Gold!«, riefen die anderen.

»Was sind wir?«

»Gold!«

»Was?«

»Gold. Gold. Gold. Wir sind gold!«

Wie ein Mantra schrien Emmas Kollegen den neuen Leitspruch von Le de luxe. Ihre Agenturchefin stand in der Mitte des Kreises und zündete allen Ernstes eine Konfettikanone. Binnen Sekunden regneten goldenes Konfetti und Glitzer in allen möglichen Größen auf die Teilnehmer hernieder. Daraufhin erhoben sich alle und tanzten ausgelassen in dem goldenen Glitzerregen.

Emma kam sich vor wie in einem Irrenhaus. Hätte sie nicht mit eigenen Augen gesehen, was gerade um sie herum passierte, sie hätte es nicht glauben können. Sie blinzelte ein paar Mal unruhig, als könne sie damit die Realität ausblenden, doch es klappte nicht. Drehten hier jetzt alle komplett durch?

Just in diesem Moment, in dem die Welt um sie herum verrückt spielte, fasste Emma einen Entschluss: Sie würde kündigen. Und zwar noch heute. Das Theater in der Agentur würde sie nicht länger mitmachen. Sie war zwar eine gute PR-Frau, aber für die Arbeit bei Le de Luxe einfach nicht geschaffen. Es war an der Zeit, neue Wege zu gehen.

»Ich bedanke mich für diesen fantastischen Workshop. Ihr wart großartig. Danke.« Als würde Mimi auf einer großen Bühne stehen, legte sie theatralisch die Hand auf ihre Brust und machte eine so tiefe Verbeugung, dass man ihr in den Ausschnitt sehen konnte. Zwei männliche Kollegen reckten die Hälse und warfen sich vielsagende Blicke zu. Spinner! Emma schüttelte es bei dem Gedanken daran, was wohl gerade in den Köpfen der beiden vorging.

»Wir haben dir zu danken, liebe Mimi«, sagte Bea, die Mimi in Theatralik in nichts nachstand und der Workshopleiterin um den Hals fiel, bevor sie sich wieder an ihre »Jünger« wandte. »Kommt, verabschieden wir Mimi gebührend!«, forderte sie alle auf. »Und dann fahren wir zurück in die Agentur.«

»Wir sind gold. Wir sind gold. Wir sind gold!«

Jetzt reichte es wirklich!

*

Die Agentur hatte ihr Büro in bester Lage. Das moderne Bürogebäude in der Hafencity lag zwischen Sandtorplatz und Grasbrookhafen und verfügte nicht nur über ein repräsentatives Foyer, sondern auch über einen exklusiven Conciergeservice.

Die Räume von Le de Luxe bestachen durch ihren schicken Industrial-Design-Look. Bodentiefe Fenster und noble Echtholzfußböden gab es in jedem Raum, und von den Decken hingen mehrere silbrig-glänzende s.Luce-Galerieleuchten, von denen eine so teuer war wie die Monatsmiete von Emmas Apartment.

Von vielen Büros aus, wenn auch nicht von ihrem, hatte man einen traumhaften Blick auf den Hamburger Hafen. Emmas Schreibtisch hingegen lag in der hintersten Ecke des Büros, abgetrennt durch ein paar klapprige Pappwände, die ihr bis zu den Schultern reichten. Privatsphäre gewann man dadurch nicht gerade, konnte doch jeder sehen, was sie machte, wenn er oder sie daran vorbeilief und den Hals ein wenig zu sehr nach oben reckte.

Von der überschwänglichen Euphorie, mit der sich die Kollegen nach dem Seminar in die Mittagspause verabschiedet hatten, war nicht mehr viel übrig, als Emma zurück in die Agentur kam. In den meisten Büros herrschte Katerstimmung. Ihre Laune hätte hingegen nicht besser sein können. Ihre Kündigungsfrist betrug vier Wochen zum Monatsende. Im Klartext bedeutete das: Wenn sie heute kündigen würde, blieben ihr noch sechs Wochen in der Agentur.

Sie huschte an der Buchhaltung vorbei und nahm Kurs auf die Kaffeeküche, in der Beas Sekretärin Anita und zwei Praktikanten die Köpfe zusammensteckten.

»Hej.« Emma grüßte kurz, nahm sich einen Kaffeebecher aus dem Schrank und stellte ihn unter den Luxus-Kaffeevollautomaten. Ihre uralte Filterkaffeemaschine zu Hause, die sie von ihrer Oma geerbt hatte, konnte damit nicht mithalten – die Maschine hier kochte den besten Kaffee, den sie je getrunken hatte.

Sie erinnerte sich daran, wie begeistert sie anfangs darüber gewesen war, dass Le de Luxe sie für den Job ausgewählt hatte. Zunächst hatte sie zwar nur alle möglichen kleinen Aufgaben wahrgenommen, wie Papiere sortiert und Kollegen auf Kundengespräche begleitet, letztlich aber mehr und mehr das Vertrauen ihrer Chefin gewonnen. Und seit einem Jahr hatte Bea ihr endlich einen eigenen Kunden überlassen: Maurice Johnson, Chef einer Londoner Hotelkette, die auch in Hamburg ein kleines Hotel betrieb. Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hatte, war dies jedoch für sie der Anfang vom Ende bei Le de Luxe gewesen. Maurice Johnson hatte sich als arroganter, aufdringlicher Kunde erwiesen, der die PR-Arbeit einer Agentur zuweilen mit den Diensten eines Escort-Service zu verwechseln schien. Erst kürzlich hatte er während eines Arbeitsessens Emma seine Hand auf den Oberschenkel gelegt und ihr dabei lüsterne Blicke zugeworfen. Sie hatte ihn daraufhin zur Rede gestellt und auch ihrer Chefin davon berichtet, doch Bea hatte »den kleinen Vorfall«, wie sie es nannte, einfach nur weggelächelt.

»Warum ist die Stimmung auf einmal so gedrückt? Sind wir doch nicht gold?«, fragte Emma und stellte sich neben Anita.

»Dir wird das Lachen noch vergehen«, zickte sie. »Jetzt, wo die Johnson Group ihr Hotel am Hafen schließt und die Agentur verlässt. Hast wohl keinen guten Job gemacht, was?«

»Maurice Johnson verlässt die Agentur?« Emma versuchte, geschockt auszusehen, auch wenn sie innerlich jubelte. Vielleicht hatte Bea dem Blödmann doch noch gekündigt, nachdem er seine Finger nicht hatte bei sich lassen können.

»Bea möchte dich auf der Stelle sehen«, giftete Anita weiter.

Emma hörte nicht auf sie und reckte ihr Kinn. »Das trifft sich gut. Ich war gerade auf dem Weg zu ihr.«

*

Ganz untypisch für Bea war die schwere Mahagonitür ihres Büros geschlossen, als Emma wenige Minuten später davorstand. Sie klopfte an und fragte sich gerade, ob die dicke Tür das Klopfen überhaupt hinein ins Büro tragen würde, als sich die Tür öffnete und Bea ihren Kopf herausstreckte. »Ach, da bist du ja.« Bea spielte mit dem Zeigefinger an ihrer ausladend runden Goldkreole herum. »Komm rein.« Sie ging zum Schreibtisch zurück.

Emma trat ein und deutete auf die Tür. »Zumachen?«

Bea nickte. »Setz dich bitte.«

Im Gegensatz zu den anderen Räumen in der Agentur war Beas Büro riesig. An der einen Wand hing ein überdimensionales Porträt von ihr, das zweifellos nur dort hing, damit es ihr Ego streichelte. Ihr breites Lächeln wirkte in Übergröße noch unechter und aufgesetzter, als es eh schon der Fall war, dachte Emma und ging weiter.

Vor dem Schreibtisch, ebenfalls aus edlem Mahagoniholz, der vor der großen Fensterfront mit Blick auf den Hamburger Hafen platziert war, machte sie Halt. Sie setzte sich auf den mit schwarzem Leder bezogenen Schwingstuhl, legte die Hände in den Schoß und wippte vor und zurück.

»Bea, ich muss dir reden!«, sagte Emma bestimmt. Am besten wäre es, wenn sie ihrer Chefin gleich den Wind aus den Segeln nehmen und kündigen würde.

»Emma«, unterbrach Bea sie und faltete die Hände auf dem Schreibtisch. Ihre Fingernägel strahlten in leuchtendem Rot und sahen, im Gegensatz zu Emmas, perfekt aus. »Was du zu sagen hast, tut jetzt erst mal gar nichts zur Sache. Ich habe einen Kunden für dich, der – sagen wir mal – eine ganz besondere Art von Betreuung braucht.«

Emma hob eine Augenbraue. Jetzt klang Bea tatsächlich wie jemand, der Escortladys an Männer vermittelte.

»Das passt mir im Moment nicht gut, denn …«, machte Emma einen neuen Anlauf, während Bea sie so gespannt ansah, als würde ihr Emma gleich die Zahlen vom Samstagslotto verraten. »… ich möchte kündigen.« Puh, geschafft!

Einen Moment sagte Bea nichts, und Emma fragte sich, ob sie ihr überhaupt zugehört hatte. Dann räusperte sie sich und ging, als wäre nichts gewesen, zur Tagesordnung über. Mehr noch: Sie drehte den Spieß einfach um.

»Nachdem Maurice Johnson uns verlassen hat, wäre das tatsächlich ein Grund, dir zu kündigen. Trotzdem möchte ich dich nicht gehen lassen. Auch wenn mir deinetwegen einer unserer treuesten Kunden durch die Lappen gegangen ist.«

Meinetwegen?Das soll wohl ein Scherz sein!?

»Ich hab Maurice Johnson vergrault? Das kann doch nicht dein Ernst sein, Bea! Er hat mich angefasst, und als ich mir das nicht habe gefallen lassen, hat er den Agenturvertrag gekündigt«, fasste Emma zusammen. »Und weißt du, was mich richtig aufregt? Dass du mich nicht in Schutz nimmst, sondern mir die Schuld in die Schuhe schieben möchtest. Ein Grund mehr für mich, nicht mehr für diesen Laden hier zu arbeiten.« Emma lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Was bildete Bea sich eigentlich ein?

»Nun, das ist deine Sicht der Dinge, die ich dir natürlich auch zugestehe. Aber ich habe eine andere Sichtweise darauf. Es wäre lieb, wenn du mir die ebenfalls zugestehst«, gab Bea sich diplomatisch.

Emma sah demonstrativ aus dem Fenster. Wollte Bea sie etwa nicht verstehen?

»Folgendes. Ich habe einen Auftrag erhalten und habe mich gefragt, ob du die Richtige dafür sein könntest.«

Es war unfassbar, wie unerschütterlich Bea in ihrem Handeln war. Sie sah von oben bis unten an Emma herunter.

Unwillkürlich dachte Emma darüber nach, was sie heute Morgen angezogen hatte. Sie hasste es, wenn andere Leute sie musterten.

Emma schielte an sich herunter. Der Hosenanzug in Altrosa war zwar von H&M und noch aus dem vergangenen Jahr, aber durchaus noch tragbar. Die cremefarbene Bluse aus Polyester hätte glatt als Seide durchgehen können, und die Schuhe … sie zuckte zusammen. Was trug sie für Schuhe? Sie beugte sich leicht vor, sodass sie gerade so die Spitze ihrer Pumps sehen konnte, die – verglichen mit dem restlichen Outfit – tatsächlich hochwertig und für ihre Verhältnisse mit rund hundert Euro auch teuer waren.

»Ich habe Kontakte zu einer Hotelkette aus Kopenhagen, die hier in Hamburg ihr erstes Hotel eröffnen möchte. Sagt dir NOVA etwas?« Während Bea sprach, hob und senkte sie ihre Arme, wodurch ihre breiten Goldarmbänder klimperten.

NOVA? Emma hatte keinen blassen Schimmer, wovon diese Frau redete. Sie hatte gekündigt und würde sich ganz bestimmt nicht noch auf einen neuen Schickimicki-Kunden einlassen.

»In einer Stunde bekomme ich Besuch von Jørgen Bjerregaard. Er ist der Senior-Chef der Rosenborg-Hotels in Kopenhagen und auf Bornholm. Vielleicht googelst du ihn vorher noch«, sagte sie mit einem Hauch von Arroganz in ihrer Stimme.

»Das wird nicht nötig sein. Ich weiß, wer die Familie Bjerregaard ist«, konterte Emma.

»Ach ja?« Bea stutzte, als hätte sie Emma so viel Allgemeinbildung gar nicht zugetraut, setzte dann aber unbeirrt fort: »Stell dich darauf ein, dass du den Sommer in Kopenhagen verbringen wirst. Danach kannst du gehen, wohin du willst!« Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu, was Emma als eindeutiges Zeichen dafür wertete, dass ihr Gespräch zu Ende war.

Kapitel 3

Bjerregaard. Natürlich kannte Emma diesen Namen. In den vergangenen Monaten hatte sie kaum einen anderen Namen so häufig gehört wie diesen. Sie brauchte ihn ganz bestimmt nicht googeln.

Nach dem Gespräch mit Bea hatte sich Emma frustriert ihre Tasche geschnappt und war fluchend in den Aufzug gestiegen. Wie konnte Bea ihr nur so die Tour vermiesen? Sie hatte ihren Job gekündigt, verdammt noch mal. Aber Bea schien das gar nicht interessiert zu haben. Wie immer hatte sie die Belange der Agentur über die Wünsche ihrer Mitarbeiter gestellt. Blöde Kuh!

»Was hast du denn erwartet? Dass sie dich die nächsten sechs Wochen freistellt?«

Emma zuckte mit den Schultern. Was hatte sie erwartet?

»Es ist Beas gutes Recht, dich bis zu deinem letzten Arbeitstag in der Agentur zu beschäftigen.« Gitte nahm die Flasche Sekt, die Emma auf dem Nachhauseweg gekauft hatte, und öffnete sie. Der Sektkorken schob sich mit einem solchen Schwung aus der Flasche, dass er im hohen Bogen durchs kleine Wohnzimmer flog und an der Tür zum Flur auf dem Dielenboden landete.

Gitte zuckte mit den Schultern, schenkte die Gläser ein und reichte Emma eines.

»Auf deine Kündigung«, prostete Gitte ihr zu.

Emma nippte an dem Sekt, der herrlich erfrischend auf ihrer Zunge prickelte, und lehnte sich im Sessel zurück. Was für ein Tag …

»Du weißt ja noch gar nicht, für wen ich die PR machen soll«, meinte Emma und versuchte, so neutral wie möglich zu klingen, obwohl ihr das beim Gedanken an den Auftraggeber sichtlich schwerfiel. Außerdem wusste sie, dass es ihre Cousine bestimmt aus der Fassung bringen würde, wenn sie es erführe.

»Dann rück mal raus mit der Sprache«, forderte Gitte ihre Cousine auf und setzte sich gespannt aufs Sofa.

Emma holte tief Luft. »Es wird dir nicht gefallen.« Sie zögerte, wollte die Spannung aber auch nicht unnötig hochtreiben. »Es sind die Rosenborg-Hotels.«

Gittes Miene verfinsterte sich schlagartig. »Was?«

»Die Bjerregaards eröffnen in Hamburg ein Hotel. NOVA oder so ähnlich. Ich soll den Sommer über in Kopenhagen verbringen, mir die NOVA-Hotels dort anschauen und dann für das geplante Hotel hier in Hamburg ein PR-Konzept entwerfen. Nichts Besonderes also«, versuchte Emma den Auftrag herunterzuspielen. Sie wusste, dass ihr das angesichts der Tatsache, dass Gitte und die Bjerregaards eine gemeinsame Vergangenheit hatten, nicht gelingen würde. Zu viel war damals auf Bornholm passiert.

»Wirst du auch Kontakt zu ihm haben?«, fragte Gitte angespannt.

»Ich gehe fest davon aus. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist er der Manager der NOVA-Sparte.« Emma wunderte es, dass Gitte den Namen nicht aussprach, wo sie seit ihrer Rückkehr von Bornholm doch von nichts anderem als von Nikolaj Bjerregaard gesprochen hatte.

»Und du willst den Auftrag annehmen?«

»Hast du nicht eben selbst gesagt, dass Bea mich bis zu meinem letzten Arbeitstag beschäftigen kann?«

Gitte nickte.

»Wenn das so ist, habe ich einige Infos für dich.« Sie stand auf und ging wortlos aus dem Zimmer. Emma blieb allein im gemeinsamen Wohnzimmer zurück und lauschte dem wohlvertrauten Streit ihrer Nachbarn in der Wohnung unter ihr. Es gab keinen Abend, an dem sich das Paar nicht in der Wolle hatte. Die würde sie in den sechs Wochen Kopenhagen schon mal nicht vermissen.

Nach einer Weile kehrte Gitte mit einem Schuhkarton zurück. Sie stellte ihn auf den Couchtisch und setzte sich.

»Bitte«, sagte sie und schob ihn in Emmas Richtung.

»Was ist das?« Sie runzelte die Stirn.

»Das ist alles, was ich in den vergangenen Monaten über die Bjerregaards zusammengetragen habe. Alle möglichen Zeitungsartikel, die ich finden konnte, und so weiter.«

Emma hob skeptisch den Deckel des Schuhkartons und schaute hinein. Die Schachtel war bis zum Rand mit Artikeln gefüllt. Die Bjerregaards beim Opernbesuch, im Urlaub auf ihrer Yacht, posierend vor einem ihrer Hotels und auf dem Familienanwesen in Gentofte. So also sah das Understatement der dänischen Upper Class aus.

»Gitte, das ist so schräg. Wo hast du das her?« Emma nahm einen großen Stapel Zeitungsartikel aus dem Karton und legte sie sich auf ihren Schoß. Es wunderte sie nicht, dass ihre Cousine so eine Schachtel besaß. Gitte war eine ausgesprochen leidenschaftliche Sammlerin. Schon als Teenie hatte sie alles Mögliche von ihren Lieblingsbands zusammengetragen. Poster, Artikel, Bilder, jede noch so kleine Meldung war penibel ausgeschnitten und in einem Ordner aufbewahrt worden.

»Ich weiß nicht, irgendwie hatte ich das Gefühl, ich könnte das noch mal gebrauchen«, sagte Gitte und zuckte mit den Schultern.

Emma blätterte weiter durch die Seiten, bis sie auf ein Foto stieß, das ihre Aufmerksamkeit erlangte. Es zeigte einen jungen Mann, kaum älter als sie selbst. Die kurzen, blondgesträhnten Haare waren verwuschelt, und am Kinn war der Ansatz eines Dreitagebarts zu erkennen. Nikolaj Bjerregaard trug eine dunkelblaue Jeans und ein graues Leinenhemd. Die eine Hand hatte er lässig ans Kinn gelegt, die andere steckte in einer seiner Hosentaschen.

»Arroganter Mistkerl«, schimpfte Gitte über den Mann, der ihr vor knapp einem Jahr den Boden unter den Füßen weggerissen hatte.

Emma kniff die Augen zusammen und betrachtete ihn genauer. Auch wenn er auf dem Foto noch so nett in die Kamera lächelte, war er doch nicht besser als die anderen stinkreichen Männer, die in der High Society das Sagen hatten und keine Sekunde zögerten, ihre Macht auszuspielen. Die Firmenbosse, die meinten, sie konnten sich alles erlauben; die sich über geltendes Recht hinwegsetzten und wie ein Rudel Wölfe zusammenhielten, wenn einer von ihnen Mist gebaut hatte. Nikolaj Bjerregaard war kein Deut besser als Maurice Johnson oder … Bea. Oh, wie sie all das satthatte!

Wie ein Häufchen Elend hatte Gitte damals vor ihrer Tür gestanden, nachdem Nikolaj Bjerregaard sie einfach gefeuert hatte. Und alles nur, weil sie sich in einen Gast verliebt hatte.

Gut, es war nicht irgendein Gast gewesen, mit dem ihre Cousine geschlafen hatte, sondern Stefan Andersson, schwedischer Stürmerstar in der dänischen Superliga und Freund von Nikolaj Bjerregaard. Doch die eigentliche Krux an dem Ganzen war, dass Stefan Andersson ein verheirateter, zweifacher Familienvater war. Und als die Presse Wind von der Affäre bekommen hatte und der Name Bjerregaard damit in Verbindung gebracht worden war, hatte ziemlich schnell festgestanden, wer die Verantwortung für den drohenden Skandal tragen musste.

Gitte war schneller gefeuert worden, als ein Paparazzo auf den Auslöser seiner Kamera drücken konnte.

Doch als wäre dies nicht demütigend genug gewesen, hatten die Männer anschließend einfach die Tatsachen verdreht.

Eine Woche nach Gittes Kündigung war ein Artikel in der Presse erschienen, der ihren Ruf in der Hotelbranche endgültig ruinierte und der Stefan Andersson als Opfer unerfüllter Fanliebe hinstellte. Darin hieß es, eine Affäre zwischen dem Fußballer und dem Zimmermädchen hätte es nie gegeben und sei vielmehr Wunschdenken einer kranken Stalkerin gewesen.

Allein beim Gedanken daran kam Emma vor Wut die Galle hoch. Sie sah zu ihrer Cousine herüber, die wie gebannt auf das Foto von Nikolaj Bjerregaard in ihrer Hand starrte.

»Weißt du was?«, brach es plötzlich aus Emma heraus. Sie riss Gitte das Foto aus der Hand und pfefferte es auf den Tisch. »Ich hab die Schnauze so voll von alldem. Es muss doch irgendetwas geben, womit wir es ihm heimzahlen können!«

Gitte rührte sich zunächst nicht, sondern schniefte in ein Taschentuch.

»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, für jemanden wie ihn zu arbeiten. Nach allem, was er dir angetan hat. Das ist eh mein letzter Auftrag von Le de Luxe. Was hab ich also zu verlieren?« Emma leerte ihr Sektglas in einem Zug.

»Deinen Ruf in der Werbebranche«, murmelte Gitte.

»Na und? Und wenn ich künftig Dänischkurse an der Volkshochschule geben muss. Wenn das deinen Ruf wiederherstellt, ist es mir das wert!«, antwortete Emma entschlossen und schenkte sich nach.

Gitte tippte mit dem Zeigefinger gegen ihre Stirn und spekulierte. Emma beobachtete sie genau. Vielleicht wusste sie tatsächlich etwas? Vielleicht gab es einen Punkt, an dem sie ansetzen konnten?

»Ich glaube, es gibt da tatsächlich was.« In Gittes Augen blitzte es auf. »Wenn du mich fragst, haben die Bjerregaards jemanden getötet.«

»Was?« Emma fiel aus allen Wolken. »Bist du dir da ganz sicher?«

Gitte nickte. »An dem Tag, an dem ich gekündigt wurde, habe ich ein Gespräch mitbekommen. Nikolaj erzählte seinem Kumpel, dass seine Mutter ganz offensichtlich Angst davor hatte, umgebracht zu werden.«

»Du meinst, die Bjerregaards haben Nikolajs Mutter auf dem Gewissen?« Emma konnte es kaum glauben. »Du weißt schon, dass das üble Anschuldigungen sind. Ich meine, dafür brauchen wir Beweise.«

»Die du beschaffen kannst«, meinte Gitte trocken.

»Ich?«

»Es gibt ein Tagebuch der Mutter, das in Nikolajs Besitz ist. In dem Buch steht die Wahrheit über das, was damals wirklich passiert ist. Offiziell hatte Ellen Bjerregaard einen Autounfall. Irgendwo findest du in der Schachtel auch einen Artikel, der anlässlich ihres zehnten Todestages erschienen ist.«

Emma schaute ihre Cousine an. Es war erstaunlich, wie viel sie über die Bjerregaards wusste. Aber war das nicht eine Nummer zu groß für sie? Immerhin ging es um eine Mordanschuldigung.

Als würde sie Emmas Zweifel bemerken, stand Gitte auf und setzte sich neben Emma auf die Sessellehne. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie wirklich jemanden getötet haben. Aber alleine der Verdacht würde ihren Namen ruinieren. Überleg mal, was das für ein Skandal wäre, wenn die Presse davon Wind bekommen würde?«

Emma nickte. »Und um Futter für die Presse zu haben, brauchen wir Ellen Bjerregaards Tagebuch«, fasste sie zusammen. Sie starrte einen Momentlang vor sich hin und nippte gedankenversunken an ihrem Sektglas. »Ich werde es besorgen«, sagte sie schließlich und drehte sich zu Gitte um. »Wir werden die Bjerregaards ruinieren. So, wie sie deinen Namen ruiniert haben. Es wird Zeit, dass wir den Mächtigen ihre Grenzen aufzeigen.«

Kapitel 4

Kopenhagen

Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, als Emma zwei Tage später in Kopenhagen eintraf. Sie war mit dem Zug gefahren, obwohl Bea dafür plädiert hatte, von Hamburg aus den Flieger zu nehmen. Die Anreise wäre sicherlich deutlich kürzer und vielleicht auch bequemer gewesen, aber Emma hatte sich alleine schon aus Protest für die Bahn entschieden. Nach langer Diskussion hatte Bea ihre Entscheidung schließlich akzeptiert.

»Solange ich nicht über fünf Stunden in einem Zug sitzen muss, soll’s mir recht sein«, hatte sie gesagt und belustigt abgewunken.

Emmas war’s egal. Sollte ihre Chefin doch denken, was sie wollte. Vor ihr lag ein aufregender Job in Kopenhagen, der sie vermutlich den ganzen Sommer über auf Trab halten und mit Sicherheit auch an ihre Grenzen bringen würde.

Jørgen Bjerregaard hatte bei einem seiner Besuche bei Le de Luxe jede Menge Wünsche geäußert, die die neue Projektleiterin erfüllen sollte. Und zu ihrer Überraschung zählten neben der Marketing- und PR-Arbeit offenbar auch noch Knigge-Unterricht für die Angestellten zu ihren Aufgaben.

*

»Bring meinen Leuten bei, wie deutsche Geschäftspartner ticken. Wie müssen sie sich verhalten, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten.« Jørgen Bjerregaard saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem cognacfarbenen Lesersofa in Beas Büro und sah Emma herausfordernd an. Sein intensiver Blick klebte an ihr. Er fixierte sie förmlich mit seinen tiefblauen Augen. Widerlich!

Emma versuchte, sich nicht von ihm provozieren zu lassen. Was ihr nur mäßig gelang. Schon nach den ersten Minuten war ihr klar gewesen, dass Jørgen Bjerregaard ein durch und durch unangenehmer Mensch war. Seine Äußerungen waren in höchstem Maße anmaßend, und er war so von sich überzeugt, dass selbst Bea, die Kunden gegenüber nur selten verlegen war, es nicht wagte, ihm zu widersprechen.