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Sommer, Sonne … unangebrachtes Herzklopfen?! Das Glitzern der See, ein Leuchtturm am Strand und ein verliebtes Brautpaar, das sich dort zärtlich küsst … Lilli liebt es, dass sie als Traurednerin im beschaulichen Hummelsby den schönsten Tag im Leben so vieler Menschen mitgestalten kann. Doch mit Ruhe und Harmonie ist es aus, als die Influencerin Tanja mit ihrem Verlobten Finn auf der Matte steht – er ist nämlich niemand anderes als Lillis Jugendschwarm! Während seine Verlobte Finn mit der ganzen Planung allein lässt, um eine Sendung auf Mallorca zu drehen, muss Lilli plötzlich allein mit Finn die Hochzeit planen. Dabei treiben Tanjas Ansprüche nicht nur die beiden, sondern ganz Hummelsby langsam an den Rand des Wahnsinns. Und sie kommen sich näher, als Lilli lieb ist, denn sie hat sich Finn nie aus dem Kopf schlagen können. Aber nun muss sie es … oder? Eine zauberhafte Cosy Romance an der Ostsee, die auch Fans von Susanne Oswald und Marie Merburg begeistern wird.
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Seitenzahl: 355
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Das Glitzern der See, ein Leuchtturm am Strand und ein verliebtes Brautpaar, das sich dort zärtlich küsst … Lilli liebt es, dass sie als Traurednerin im beschaulichen Hummelsby den schönsten Tag im Leben so vieler Menschen mitgestalten kann. Doch mit Ruhe und Harmonie ist es aus, als die Influencerin Tanja mit ihrem Verlobten Finn auf der Matte steht – er ist nämlich niemand anderes als Lillis Jugendschwarm! Während seine Verlobte Finn mit der ganzen Planung allein lässt, um eine Sendung auf Mallorca zu drehen, muss Lilli plötzlich allein mit Finn die Hochzeit planen. Dabei treiben Tanjas Ansprüche nicht nur die beiden, sondern ganz Hummelsby langsam an den Rand des Wahnsinns. Und sie kommen sich näher, als Lilli lieb ist, denn sie hat sich Finn nie aus dem Kopf schlagen können. Aber nun muss sie es … oder?
Originalausgabe Oktober 2025
Copyright © der Originalausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Monia Pscherer
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / shutterstock AI
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (ae)
ISBN 978-3-98981-229-1
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Inga Schneider
Roman
Hamburg
»Küssen, küssen, küssen!«
Lilli kniff die Augen zusammen. Gott, gab es etwas Peinlicheres als dieses Spiel, das sie gerade spielten? Warum hatte sie nur zugestimmt, mitzumachen? Sie hatte schon befürchtet, dass die Flasche auf sie zeigen würde. Und natürlich war es auch genau so gekommen. Typisch!
Das hat man davon, wenn man sich Dinge zu sehr wünscht. Am Ende gehen sie in Erfüllung und dann hat man den Salat.
»Ich küss doch nicht die da!« Finns Stimme durchschnitt die provozierenden Anfeuerungsrufe seiner Kumpels, während einige Mädchen, die wahrscheinlich insgeheim darauf gehofft hatten, dass die Flasche auf sie zeigen würde, anfingen zu lachen. Blöde Zicken!
»Die Flasche hat sie ausgewählt, also wirst du sie auch küssen!«, sagte Jan-Henrik und klopfte seinem Kumpel auf die Schulter, als sei er ein Boxer, der gleich in den Ring steigen würde.
Lilli sah sich in der Runde um. Finn Christoffersen saß ihr direkt gegenüber, vor ihm auf dem Boden lag die leere Flasche Cola, deren Hals direkt auf sie zeigte. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Seine Arme, sein Gesicht, seine gesamte Haltung, einfach alles an ihm sagte, wie sehr er sich davor ekelte, ausgerechnet sie zu küssen. Wahrscheinlich hätte er viel lieber mit Dauerwellen-Doro geknutscht. Immerhin war sie die Einzige in der Klasse, die sich schon schminken durfte und keine Gelegenheit ausließ, um ihren knallroten Lippenstift in Szene zu setzen.
»Leute, muss das wirklich sein? Sie will doch bestimmt gar nicht!« Finn löste sich aus seiner starren Position und zeigte direkt auf Lilli. Das wurde ja immer schöner!
Lilli war baff. Wieso ging er davon aus, dass sie ihn nicht küssen wollte? Natürlich wollte sie das. Heimlich hatte sie sogar schon mehrmals davon geträumt. Doch in ihren Träumen war es irgendwie romantischer gewesen – und Finn hatte sie freiwillig geküsst und nicht, weil eine leere Flasche auf ihn zeigte und eine Horde hormongesteuerter Jungs ihn anfeuerte.
Mist! Wie kam sie aus der Nummer nur wieder heraus?
Lilli war nicht so extrovertiert wie Dauerwellen-Doro oder der unfassbar gut aussehende Finn, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzte.
Als Kind war sie zwar noch ganz hübsch gewesen, aber die Pubertät hatte es nicht gut mit ihr gemeint. Spätestens als sie vor zwei Jahren eine feste Zahnspange und kurz darauf auch noch eine Brille verpasst bekommen hatte, war sie fest davon überzeugt gewesen, dass ihr Leben vorbei gewesen war, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte.
Sie musste sich nichts vormachen: Jemand wie sie würde Doro und Finn nie das Wasser reichen können. Für Leute wie sie war Lilli einfach so unsichtbar. Und zwar so sehr, dass ihnen nicht mal aufgefallen war, dass sie, schon seit ein paar Wochen, keine Zahnspange mehr trug. Plötzlich streifte sie ein Gedanke: Was, wenn die Flasche nicht einfach so auf sie gezeigt hatte? Wenn das Schicksal genau sie ausgesucht hatte, weil es wollte, dass Finn sie für einen Moment sah? Ja, genau so musste es sein. Es war ihr Schicksal, heute von Finn geküsst zu werden. Anders konnte sie sich das alles nicht erklären.
Lilli seufzte und stand auf, bereit, ihrem Schicksal die Stirn zu bieten.
»Nun stell dich nicht so an, Finni-Boy. Bringt es endlich hinter euch, damit wir weitermachen können!«, rief Henrik. »Ich möchte heute auch noch jemanden küssen.« Er hob eine Augenbraue und sah in Richtung Doro, die sofort die Lippen schürzte.
Während Finn offensichtlich noch einen Moment brauchte, um zu verdauen, dass er nicht um den Kuss herumkommen würde, sah Lilli in Richtung der Mädchen. Gab es überhaupt jemanden, der hinter ihr stand?
»Viel Glück«, flüsterte Antonia, die im Schneidersitz neben ihr saß und ihr aufmunternd zulächelte.
»Danke«, antwortete Lilli und richtete ihren Blick wieder auf Finn, der nun ebenfalls aufgestanden war und langsam auf sie zukam.
»Aber beschwer dich nachher nicht, dass es dir nicht gefallen hat«, murmelte er, wie immer voll und ganz von seinen Fähigkeiten überzeugt, während der Rest der Jungs laut johlte.
Lilli wurde rot und die Anfeuerungsrufe um sie herum immer lauter. Ihre Hände waren schwitzig und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Gott, wollte sie das hier wirklich durchziehen?
»Also gut«, hörte sie Finns Stimme nun dicht vor sich.
Im nächsten Moment legte er seine Hände auf ihre Schultern und übte, warum auch immer, leichten Druck darauf aus. Es war beinahe so, als wolle er sichergehen, dass sie sich nicht unter ihm wegduckte, wenn er zum Kuss ansetzte.
Finn senkte seinen Kopf und neigte ihn leicht nach rechts, worauf Lilli ihren Kopf in die andere Richtung neigte, damit sie mit den Nasenspitzen nicht aneinanderstießen. So wie sie es neulich in einem Video auf YouTube gesehen hatte.
Dann wurden ihre Knie weich. Oh mein Gott!
Es würde tatsächlich passieren! Finn Christoffersen würde sie küssen. Sie. Lilli Mortensen.
Jetzt war sie froh, dass Finn sie fest an den Schultern gepackt hatte. Ihre Knie zitterten mittlerweile so stark, dass sie wahrscheinlich umgefallen wäre, würde er sie nicht festhalten.
Sie überlegte gerade noch, ob sie die Augen schließen oder Finn weiter anschauen sollte, als sein Gesicht nun so dicht vor ihr war, dass sie ihn nur noch verschwommen wahrnahm. Und dann passierte es!
Ihre Lippen berührten sich und es war, als würde die Luft um sie herum explodieren, als würden Funken sprühen und den Raum in tausend Farben tauchen. Es war ein magischer Moment – und dann war der Moment vorbei.
Binnen einer Nanosekunde zog Finn seinen Mund zurück, löste den Griff um ihre Schultern und drehte sich breit grinsend zur johlenden Bande um, während Lilli leicht taumelnd in der Mitte des Kreises zurückblieb.
Wie? Das war’s jetzt? Das ganze Spektakel hatte ja nicht länger als ein Wimpernschlag gedauert.
Während Finn zurück an seinen Platz ging und sich von seinen Kumpels feiern ließ, als sei er eben Fußball-Weltmeister geworden, drehte sich Lilli um und setzte sich neben Antonia, die ihr bewundernd zulächelte.
»Ich hätte mich das nicht getraut«, flüsterte sie und klatschte in die Hände. »Wie war’s denn?«
Lilli holte tief Luft. Wie sollte sie das, was eben passiert war, am besten beschreiben?
»Ich denke, gut. Zumindest scheint Finn mit seiner Leistung zufrieden zu sein«, antwortete sie, während sich das Kribbeln, das sie bei der Berührung von Finns Lippen gespürt hatte, enttäuscht zurückzog.
Hummelsby.
Fünfzehn Jahre später.
»Und? Bewegt er sich?«
Lilli stemmte sich mit voller Wucht gegen eine verschlossene Tür, während ihre Freundin Britt hektisch versuchte, den Schlüssel im Schloss umzudrehen.
Die hintere Tür der kleinen Hütte am Strand klemmte schon seit ein paar Tagen, aber bislang war es Lilli immer gelungen, die Tür mit viel Geduld und noch mehr Fingerspitzengefühl zu öffnen. Heute allerdings erwies sich das Schloss als hartnäckiger, schier unbezwingbarer Gegner. Der Schlüssel im Schloss bewegte sich keinen Millimeter.
»Und wenn wir den Griff nach oben ziehen? Gestern hat das auch geklappt«, schlug Lilli vor und schaute verzweifelt zu Britt, die unter ihr vor dem Türschloss kniete und versuchte, den Schlüssel nach rechts zu drehen.
»Ehrlich, Lilli, du hättest schon längst Herrn Petersen anrufen sollen. Immerhin ist er als Bürgermeister von Hummelsby und Vermieter des Pavillons dafür zuständig, dass sich die Türen zu deinem Planungsbüro reibungslos öffnen lassen.« Britt setzte sich auf den Boden und legte den Schlüssel beiseite. »Ich gebe auf!«
»Das gibt’s doch nicht. Geh auf, du blödes Ding!« Lilli rüttelte noch ein Mal kräftig an der Tür und trat mehrmals frustriert dagegen, bevor sie ebenfalls kapitulierte und sich neben Britt auf den Steinboden setzte.
»Tut mir leid. Ich hab’s einfach vergessen«, gestand Lilli und streckte die Beine aus.
»Wie kann man denn so was vergessen?«
Lilli zuckte mit den Achseln und starrte in die Ferne.
Vor ihr lag der kleine Strand von Hummelsby und dahinter glitzerte die Ostsee in der Morgensonne. In Ufernähe entdeckte Lilli Jan-Oles Fischerboot, das auf der spiegelglatten See vor sich hindümpelte. Jan-Ole war einer der wenigen übrig gebliebenen Fischer in Hummelsby und hatte das Boot nach dem Tod seines Vaters vor zwei Jahren übernommen. Lilli beobachtete, wie er und sein Mitarbeiter Jens die Netze einholten und auf einen Fang kontrollierten. Eine Weile sah sie den beiden Männern bei ihrer Arbeit zu.
»Moin, Lilli.« Offensichtlich hatten sie sie am Strand entdeckt, denn sie hoben ihre Hand, winkten und riefen zu ihr herüber.
Lilli winkte zurück.
»Und?« Britt löste ihren Blick von den beiden Fischern auf dem Meer und wandte sich Lilli zu.
»Was?« Sie sah ihre Freundin fragend an und nahm die Sonnenbrille ab.
»Wir haben noch gar nicht über Jan-Ole gesprochen.« Britt schenkte ihr ein breites Grinsen und zeigte auf die beiden Männer auf dem Fischerboot.
»Über Jan-Ole?« Lilli spielte die Ahnungslose, auch wenn sie genau wusste, was Britt meinte. Jan-Ole war die vergangenen Tage immer mal wieder in dem Hochzeitspavillon aufgetaucht, hatte einen Kaffee bei ihr getrunken und versucht, Lilli in ein Gespräch zu verwickeln.
»Er ist ziemlich oft bei dir in letzter Zeit, findest du nicht? Oder schmiedet er etwa Hochzeitspläne?«
Lilli sah Britt mahnend an.
»Und wenn er nicht bei dir ist, hängt er drüben bei mir in der Hotdog-Bude rum und hält nach dir Ausschau.«
»Ich verstehe jetzt wirklich nicht, was du meinst?« Lilli setzte genervt ihre Sonnenbrille wieder auf und schaute demonstrativ aufs Meer.
»Ich frage mich, ob es an dir liegt, dass er neuerdings zu meinen Stammkunden gehört, wo er doch eigentlich lieber frischen Fisch als kleine Würstchen mag …« Britt hob herausfordernd eine Augenbraue.
Lilli reagierte nicht darauf. Sie tat einfach so, als könne sie nicht hören, was Britt sagte, und summte leise ein Lied vor sich hin.
»Wenn du mich fragst, hat er ein Auge auf dich geworfen.« Britt knuffte ihre Freundin in die Seite. Lilli summte weiter. Auf dem Ohr war sie taub.
»Er schaut dich schon sehr verliebt an, musst du zugeben.« Britt blinzelte mit den Augen.
»Aber ich bin nicht in ihn verliebt. Ich habe kein Interesse an ihm. Es knistert nicht. Ich spüre rein gar nichts, wenn ich Jan-Ole anschaue. Kein Kribbeln, keine Schmetterlinge. Nicht mal die Larve eines Schmetterlings krabbelt durch meinen Bauch, wenn du es genau wissen willst.« Lilli seufzte.
Zwischen Hamburg und der dänischen Grenze war sie wohl der einzige Mensch, der noch nie so richtig verliebt gewesen war.
Natürlich hatte sie als Teenie für den ein oder anderen Star geschwärmt. Harry Styles stand zum Beispiel lange Zeit hoch im Kurs, bevor ihn Chris Hemsworth aus ihren Träumen verdrängt hatte. Doch so richtig verliebt gewesen, in einen realen Mann, den sie anfassen konnte, war sie wohl noch nie.
Lediglich einmal hatte sie für einen kurzen Moment so etwas wie den Flügelschlag eines Schmetterlings in ihrem Bauch gespürt, als Finn Christoffersen sie während der Schulzeit geküsst hatte.
Nun ja, als Kuss konnte man das, was er ihr auf den Mund gedrückt hatte, vielleicht nicht bezeichnen, dazu war es viel zu schnell gegangen. Aber immerhin hatten sich ihre Lippen für eine klitzekleine Sekunde berührt. Und in diesem Moment hatte es zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben in ihrem Bauch gekitzelt, als habe sie die große Liebe ihres Lebens gefunden.
Ach, wie gerne würde sie sich endlich mal verlieben. So richtig mit Haut und Haaren, und das spüren, was sie damals bei Finn, dem Blödmann, gespürt hatte.
Doch dafür lebte sie wohl am falschen Ort. Denn die Auswahl an Single-Männern war in Hummelsby nicht gerade groß.
Und Jan-Ole hatte als Fischer bei Lilli ohnehin schlechte Karten, was weniger an ihm, sondern vielmehr an seinem Beruf lag. Lilli aß alles – außer Fisch. Und Schnecken … und Froschschenkel … und Stinkekäse und so’n Zeugs. Allein bei dem Gedanken an eine gebratene Scholle mit Krabben drehte sich ihr der Magen um. Und bei Jan-Ole gab es jede Menge Fisch. Das war schon berufsbedingt so. Und dann dieser ewige, penetrante Geruch, der ihn auf Schritt und Tritt begleitete und sich selbst in seinen sauberen Klamotten festgesetzt zu haben schien. Würg! Schon deshalb kam er als potentieller Lebenspartner für sie nicht infrage. Da konnte er noch so gut aussehen – und das tat er wirklich. Er war der attraktivste Fischer, den Lilli jemals gesehen hatte. Breite Schultern, eine schmale Taille, blonde kurze Haare und Augen, die so grün waren, dass selbst Smaragde vor Neid erblasst wären.
Aber Lilli hatte nun mal ihre Prinzipien. Und Fisch und sie passten einfach nicht zusammen. Das war zwar schade für Jan-Ole, aber wie ihre Großmutter immer gesagt hatte: Andere Mütter hatten auch schöne Töchter. Und Jan-Ole würde die für ihn passende Frau schon finden.
In Gedanken ging sie die weiteren Singles in Hummelsby durch, was sie aber, um ehrlich zu sein, nur noch mehr frustrierte. Da gab es Sönke, den eher langweiligen Segelmacher, und Tobi, den ewigen Studenten, der in der kleinen Kneipe an der Ecke abends Bier ausschenkte und Lilli immerzu auffordernd zuzwinkerte, wenn sie ihn zufällig auf der Straße traf. Er war lieb, nett und, wie Jan-Ole, unfassbar attraktiv.
Aber: »Von einem hübschen Teller wird man nicht satt«, hatte ihre Oma auch immer gesagt. Und irgendwie ist an der Sache etwas dran, dachte Lilli. Es sei denn natürlich, der hübsche Teller war einer der Hemsworth-Brüder. Dann wurde man sehr wohl satt von dem Teller, auch wenn man ständig Gefahr darin lief, dass man sich das Essen darauf mit anderen teilen musste.
»Vielleicht stehst du ja gar nicht auf Männer, sondern auf Frauen?«
Typisch Britt! Sie hatte darüber, dass Lilli sich noch nie Hals über Kopf in einen Mann verliebt hatte, ihre ganz eigene Theorie.
»Hast du darüber schon mal nachgedacht?«
»Britt, das Thema hatten wir doch schon zigmal. Ich stehe nicht auf Frauen, falls du das meinst. Ich bin durch und durch hetero.«
»Bist du dir wirklich sicher?«, hakte Britt nach und zwinkerte Lilli herausfordernd zu.
»Hm.« Lilli beugte sich vor und drückte Britt einen dicken Schmatzer auf die Lippen.
»Und?«, fragte Britt neugierig. Ihre grünen Augen funkelten sie herausfordernd an.
»Nichts«, antwortete Lilli und seufzte. »Ich könnte genauso gut einen Frosch küssen.«
»Mach doch mal, vielleicht wird ein Prinz daraus.« Britt lachte und setzte sich ihre Sonnenbrille auf. Ihre kurzen roten Haare leuchteten im Sonnenlicht.
Lilli lachte ebenfalls und schubste Britt leicht von sich.
»Schön wär’s. Wenn das so einfach wäre, würde ich glatt heute Nachmittag ins Moor gehen und mir den nächsten Frosch schnappen, der mir über den Weg läuft.« Sie schloss die Augen und ließ ihren Gedanken freien Lauf.
***
Seit knapp zwei Jahren lebte sie jetzt in Hummelsby, einem kleinen Ort an der Flensburger Förde. Als sie das erste Mal hierhergekommen war, hatte die Hütte am Strand, die von der Gemeinde übertrieben als Hochzeitspavillon angepriesen worden war, ein jämmerliches Bild abgegeben. Ein Teil der rechten Seite war mit Efeu bewachsen, das hintere Fenster eingeschlagen und das Dach undicht gewesen. Zwischen den Waschbetonplatten der kleinen Terrasse hatte das Unkraut gewuchert und die wenigen Holzbänke, die einst als Sitzgelegenheiten gedient hatten, waren morsch und von Moos überzogen gewesen.
Dabei hatte die Zeitungsanzeige, die Lilli im Hamburger Abendblatt gelesen hatte, so vielversprechend geklungen.
Heiraten mit Meerblick.
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am schönsten Tag ihres Lebens.
Lilli war davon so angetan gewesen, dass sie sich schon am folgenden Tag ins Auto gesetzt und auf den Weg nach Hummelsby gemacht hatte. Davor hatte sie die ganze Nacht nicht schlafen können und in ihrem Kopf immer wieder die Idee von einem Job als Traurednerin und eventuell auch Hochzeitsplanerin durchgespielt. Die Jobbeschreibung hatte wirklich verlockend geklungen: Büro mit Meerblick, freie Zeiteinteilung, Festgehalt, eigenständiges Arbeiten.
Letztlich hatte sie es sich so sehr in den Kopf gesetzt, diesen Job anzunehmen, dass sie nicht einmal mehr der trostlose Anblick der heruntergekommenen Hütte, in der ihr Büro untergebracht werden sollte, davon hatte abbringen können. Und als Hummelsbys Bürgermeister Gustav Petersen sich dazu bereit erklärt hatte, bei der Renovierung der Hütte zu helfen, hatte Lilli den unbefristeten Arbeitsvertrag unterzeichnet, ohne mit der Wimper zu zucken.
Die Hütte mit den bodentiefen Fenstern hatte von Anfang an etwas Magisches an sich gehabt, dem sich Lilli nicht hatte entziehen können.
Die Lage war traumhaft und entschädigte für einiges, das nicht zu einhundert Prozent perfekt war. Der kleine, feine Sandstrand, das tiefblaue Meer, das in heißen Sommernächten so herrlich im Mondlicht funkelte, und die hohen, dicht belaubten Bäume, die den hinteren Teil der Hütte umgaben und im Sommer kühlen Schatten spendeten und deren Äste sich im ständig vorhandenen Wind stets hin- und herbewegten, als würden sie ein leises Lied singen.
Das Rascheln der Blätter und das Rauschen des Meeres hatten eine beruhigende Wirkung auf Lilli gehabt, die zu dem Zeitpunkt nur eines wollte: Entschleunigen! Denn Stress hatte sie in ihrem damaligen Job als Reporterin bei einem Hamburger Radiosender genug gehabt.
Inzwischen war die kleine Holzhütte auf einem guten Weg, doch noch zu einem Pavillon zu werden, auch wenn sie noch lange nicht perfekt war. Besonders der hintere Teil der Hütte benötigte dringend einen frischen Anstrich, aber für ein simples Büro mit Meerblick reichte es.
Trotzdem würde sie Bürgermeister Petersen wohl oder übel noch mal an sein Versprechen von damals erinnern müssen. Immerhin empfing sie in der Hütte, ähm, dem Pavillon, die Hochzeitspaare zum Erstgespräch. Der erste Eindruck zählte und war quasi die Visitenkarte für das Hochzeitsparadies Hummelsby, wie Gustav Petersen die kleine Gemeinde nannte.
***
»Und was machen wir jetzt? Rufen wir den Schlüsseldienst?«, fragte Britt und holte Lilli aus ihren Erinnerungen zurück ins Hier und Jetzt.
»So schnell gebe ich nicht auf. Einen Versuch habe ich noch.« Lilli klatschte in die Hände und stand auf. »Ich lass mich doch von so einer blöden Tür nicht unterkriegen.«
Sie griff zum Schlüssel und marschierte entschlossen auf die verschlossene Hintertür ihrer Hütte zu. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss, umfasste den Türgriff und zog ihn fest ein Stück nach oben, sodass sich die Tür leicht vom Boden abhob.
Lilli hielt den Atem an und drehte, so vorsichtig sie konnte, den Schlüssel um. Wenn er jetzt abbrechen würde, könnte sie den heutigen Termin mit dem potentiellen Hochzeitspaar, das sich zur Erstbesprechung angesagt hatte, gleich vergessen.
Gespannt hielt sie den Atem an, während Britt neben ihr die Augen zusammenkniff, als könne sie das alles nicht mehr länger mit ansehen. Immerhin kreuzte sie dabei Zeige- und Mittelfinger, was Lilli als gutes Zeichen wertete.
Der Schlüssel bewegte sich zwar nur wenige Millimeter, aber diese reichten aus, um das Schloss zu entriegeln. Mit einem ächzenden Knarren öffnete sich die Tür, und Lilli drehte sich zufrieden zu Britt.
»Na, was hab ich gesagt?« Sie hob eine Augenbraue und lächelte.
»Wie hast du das denn gemacht?« Britt schaute ungläubig erst auf die Tür, die leicht verzogen in den Angeln hing, und dann zu Lilli, die immer noch lachend mit den Schultern zuckte.
»Hm, Zauberei«, unkte sie und knuffte Britt in die Seite.
»Zu schade, dass du deine Magie nicht schon früher eingesetzt hast. Jetzt habe ich fast eine halbe Stunde meiner Vorbereitungszeit verloren.« Britt folgte Lilli in den kleinen Lagerraum, in dem sich eine schmale Küchenzeile befand. »Und ich fürchte, dass wir gerade heute wieder einen Gästeansturm bekommen werden. Das Wetter scheint sich zu halten.« Sie sah durch ein kleines Fenster zu ihrer Hotdog-Bude herüber, die am anderen Ende der Dünen lag.
»Die halbe Stunde, die das hier gedauert hat, wirst du schon wieder aufholen. Außerdem hast du doch deine Aushilfen, die dich unterstützen, oder haben die schon wieder das Weite gesucht?«
Britt zog eine Grimasse und streckte ihr die Zunge heraus. Lilli winkte lächelnd ab und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Wenn sie in Hummelsby eines gelernt hatte, dann war es Gelassenheit.
Sie ging in die Küche, knipste das Licht an und griff zur Kaffeemaschine. »Ich mache uns jetzt erst mal einen Kaffee und dann wische ich draußen den Tisch und die Stühle ab. Wenn sich das Wetter tatsächlich hält, kann ich die Besprechung auch draußen abhalten, was meinst du?«
Britt nickte. »Aber nur, wenn du dich noch heute darum kümmerst, dass ich dir morgen nicht schon wieder mit dieser blöden Tür helfen muss«, sagte sie.
»Abgemacht.«
»Und hier willst du heiraten?«
Finn Christoffersen saß am Steuer seines Audis und schaute skeptisch auf die Landschaft, die links und rechts an ihm vorbeizog. Den Ort für seine bevorstehende Hochzeit hatte er sich definitiv anders vorgestellt.
Seit sie von der Autobahn abgefahren waren und Flensburg hinter sich gelassen hatten, war die Landschaft, die sie durchquerten, zunehmend einsamer geworden. Das letzte Haus, an dem sie vorbeigekommen waren, musste bereits mehrere Kilometer hinter ihnen liegen. Er schaute in den Rückspiegel, entdeckte aber nichts weiter als eine kleine Entenfamilie, die zügig die Straße überquerte. Und auch der Blick nach vorne brachte wenig Abwechslung. Um sie herum gab es nichts als Felder und Wiesen. Nicht ein einziges Auto war ihm in den vergangenen zehn Minuten entgegengekommen. Wo zum Teufel waren sie?
»Nicht ich, wir werden hier heiraten, mein Schatz!« Tanja warf ihre blonden langen Haare zurück und band sie im Nacken zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Sie klappte die Sonnenblende auf der Beifahrerseite herunter und betrachtete sich kritisch im Spiegel.
»Nenn mich nicht so«, maulte Finn und richtete den Blick wieder stur geradeaus auf die Straße, die sich durch leuchtend gelbe Rapsfelder und grüne Kuhweiden schlängelte.
Gott, was für eine Einöde!
Zumindest scheint die Sonne, dachte er, was für Ende Mai hier oben am nördlichsten Rand Deutschlands alles andere als selbstverständlich war.
Hummelsby. Allein der Name des Kaffs, in dem Tanjas große Traumhochzeit stattfinden sollte, trieb ihm die Sorgenfalten auf die Stirn.
»Was hat dieser Ort nur an sich, dass er sich gegen Ibiza und Mallorca durchgesetzt hat?«, fragte er, obwohl er die Antwort längst kannte.
»Einen traumhaft schönen Leuchtturm mit Blick auf die unendlichen Weiten der Ostsee«, erwiderte Tanja auf Knopfdruck, und Finn verzog das Gesicht. Natürlich musste er nicht unbedingt am Mittelmeer heiraten. Kampen auf Sylt hätte es auch getan. Aber Hummelsby?
Er schüttelte den Kopf, konnte immer noch nicht fassen, dass er dem Ganzen hier überhaupt zugestimmt hatte. Sogar amtlich. Mit Vertrag und so.
Je näher sie der 3000-Seelen-Gemeinde an der Ostsee kamen, desto öder wurde es um ihn herum. Und eine Frage ging ihm einfach nicht aus dem Kopf: Wie zum Teufel hatte sich dieser Ort zu einem Mekka für Hochzeitspaare entwickeln können? Lag es wirklich nur an diesem blöden Leuchtturm, den man vor zwei Jahren auf jeder Reklametafel gesehen hatte? Er konnte es sich kaum vorstellen.
»Leuchttürme gibt es auch auf Mallorca«, warf Finn ein, als ob er nicht wusste, dass dieser Einwand bei Tanja auf taube Ohren stoßen würde.
Sie hatte Hummelsby ganz bewusst als Ort für ihre Hochzeit ausgewählt, und er wusste, dass sie sich nicht davon abbringen lassen würde. Trotzdem gab er nicht auf. Er würde es immer wieder versuchen, schließlich war es auch seine Hochzeit. Auch, wenn er ganz offensichtlich nichts zu sagen hatte. Auch das stand in dem Vertrag. Trotzdem: Don Quichotte hatte auch nicht aufgegeben, als er gegen Windmühlen gekämpft hatte.
»Ich bitte dich. Auf Mallorca heiratet doch jeder.« Tanja fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Augenbraue, um ein paar feine Haare glatt zu streichen.
»In Hummelsby inzwischen auch«, murmelte Finn und rollte genervt mit den Augen.
Seitdem die berühmte Beauty-Bloggerin, Influencerin und Tanjas große Konkurrentin Tilly B in Hummelsby ihren Freund Marcus geheiratet hatte, war der kleine Ort nahe der dänischen Grenze als die Hochzeitslocation schlechthin quasi über Nacht durch die Decke gegangen. Jeder, der etwas auf sich hielt, versuchte, einen der begehrten Hochzeitstermine zu ergattern. Besonders jetzt zum Sommer gab es lange Wartelisten, denn die Kapazitäten der örtlichen Traurednerin waren begrenzt, wie Tanja nicht müde wurde, immer und immer wieder zu betonen.
»Denk daran, dass wir gleich nach links abbiegen müssen.« Als sie fertig war, warf Tanja ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu und klappte die Sonnenblende wieder hoch. »Wie spät ist es?« Sie nahm ihr Handy zur Hand und checkte ihren Instagram-Status. »Wir dürfen auf keinen Fall zu spät kommen.«
Aus dem Seitenwinkel nahm Finn ihren mahnenden Blick wahr, entschied sich aber, ihn zu ignorieren. Wenn’s nach ihm ginge, würden sie gleich nicht abbiegen, sondern von hier einfach direkt wieder auf die Autobahn fahren und auf schnellstem Weg zurück nach Hamburg düsen. Warum um alles in der Welt hatte er dieser ganzen Sache nur zugestimmt? Er wäre ganz bestimmt nicht hier, wenn er eine andere Wahl gehabt hätte.
Tanja gab sich offenbar mit Finns Schweigen zufrieden. Sie zuckte mit den Schultern und konzentrierte sich auf ihr Handy. Dann drehte sie ein, nein, zwei Storys aus dem fahrenden Auto heraus. Dafür öffnete sie das Fenster, sodass Finn eine frische Brise um die Nase wehte, die ihn kurz frösteln ließ. Auf Mallorca wäre es jetzt sicher wärmer gewesen.
»Fall nicht noch aus dem Wagen, bitte«, sagte er, doch Tanja war zu beschäftigt damit, ihre Follower auf den neuesten Stand ihrer Hochzeitsplanungen zu bringen.
Er schielte zu ihr herüber und betrachtete sie im Profil. Sie hatte wundervoll, nahezu perfekt geschwungene Lippen und eine zarte spitze Nase, während verführerisch lange Wimpern ihre tiefblauen Augen umrandeten. Auf ihren Wangen lag ein Hauch von Rouge, und ihre blonden Haare leuchteten im Licht der Mittagssonne. Keine Frage: Tanja war eine bildschöne Frau, um die ihn so manch einer beneidete.
Ihr Aussehen war auch der Grund gewesen, warum er sie überhaupt vor drei Jahren auf der Rundfunkparty in Hamburg angesprochen hatte. Sie war ihm sofort ins Auge gestochen, und als er sie erst einmal an der Angel gehabt hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis sie ihm hoffnungslos verfallen gewesen war. Warum hätte es ihr anders ergehen sollen als ihren Vorgängerinnen?
Finn war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und hatte das Leben und die Leidenschaft in vollen Zügen ausgekostet. Er war das, was viele vielleicht einen Playboy nennen würden, während er selbst sich lieber als Hamburgs begehrtester Junggeselle bezeichnete.
Mit Mitte 20 hatte er bereits so viele Frauen gehabt, dass er aufgehört hatte, sie zu zählen. Nicht, dass er stolz darauf war. Doch was sollte er tun, wenn die Frauen ihm in Scharen nachliefen und er teilweise nur die Hand ausstrecken musste, um eine von ihnen abzubekommen? Seinem Charme hatten bislang nur wenige Frauen widerstehen können. Und welcher Mann würde nicht die Gelegenheit beim Schopfe packen, wenn sie sich ihm böte?
Wobei er seine Freundinnen und Affären, ja alle Frauen, mit denen er jemals zu tun gehabt hatte, auch immer gut behandelt hatte. Darauf hatte er stets großen Wert gelegt. Ließ er sich auf jemanden ein, trug er sie auf Händen, bis er irgendwann die Lust an ihr verlor, was meist daran lag, dass sich eine Frau in ihn verliebte.
Liebe war nichts für ihn. Wenn er zurückdachte, war er noch nie im Leben richtig verliebt gewesen. Natürlich hatte er Frauen immer schon aufregend gefunden, und er liebte Sex. Aber Liebe …? Er dachte einen Augenblick nach, während er die Geschwindigkeit des Autos drosselte und den Blinker setzte. Nein, Liebe war nichts für ihn.
Trotzdem war er jetzt, mit knapp 31, dabei, seinem Leben eine entscheidende, wenn nicht gar die entscheidende Wende zu verpassen. Er würde heiraten, wenn auch nicht ganz freiwillig. Tanja wusste das, was es leichter machte. Sie hatten einen Deal. Und er würde alles tun, um sich daran zu halten.
Finn lenkte den Wagen nach links und bog auf eine noch schmalere Straße ein als die Landstraße, die sie gerade verlassen hatten.
»Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Fünf Kilometer, sagt das Navi.« Tanja klang beinahe so aufgeregt wie ein kleines Kind, das den Weihnachtsmann herbeisehnte.
Finn wusste, wie wichtig diese Hochzeit für sie war. Es war, als hätte sie die vergangenen Jahre nur auf diesen Moment hingearbeitet. Und seitdem er zähneknirschend zugestimmt hatte, sie zu heiraten, und seine Unterschrift unter den Vertrag, den sie aufgesetzt hatten, gesetzt hatte, war kein Tag vergangen, an dem sie nicht davon geredet hatte. Aber musste es denn ausgerechnet Hummelsby sein?
***
Der Parkplatz in der Nähe des Strandes war kaum besetzt. Nur wenige Autos waren auf der versandeten Fläche geparkt, was Finn nicht weiter wunderte. Es war noch viel zu kalt für einen Strandtag. Und auch wenn das Thermometer im Wagen milde 16 Grad Außentemperatur angezeigt hatte, war der Wind, der vom Meer herüberwehte, doch ziemlich frisch, sodass er sich dazu entschied, ein Jackett über sein Hemd zu ziehen.
Rechts neben dem Parkplatz stand ein rot-weiß gestrichener Kiosk, aus dem es nach frisch frittierten Pommes frites roch, als Finn und Tanja daran vorbeigingen.
»Vielleicht sollten wir hier eine Kleinigkeit essen, wenn der Termin bei der Traurednerin überstanden ist?« Finn riskierte einen Blick durch die Fenster des Imbisses und konnte es sich nicht verkneifen, auf den Teller eines Mannes zu schielen, während dieser genüsslich in einen Hotdog biss. »Ich habe lange kein Fastfood mehr gegessen.«
»Auf gar keinen Fall! Willst du mich mästen?«, fragte Tanja entsetzt. »Ich werde nicht mehr in mein Kleid passen, wenn ich jetzt dieses fettige Zeug esse.«
Finn lachte. »Als ob du jemals dick warst.« Er sah auf ihren superflachen Bauch und legte den Arm um ihre Wespentaille, als wolle er überprüfen, dass an ihr kaum mehr dran war als Haut und Knochen. »Vielleicht solltest du diese fettigen Dinge mal wieder essen, damit du nicht komplett vom Fleisch fällst und am Ende zur Hochzeit flachliegst.«
»Sag nicht, dass du dich um mich sorgst. Das wäre ja etwas ganz Neues.« Tanja wand sich aus seiner Umarmung, als sei ihr die plötzliche Nähe zu ihm zu viel geworden.
»Ich meine ja nur«, murmelte Finn, doch er war sich sicher, dass Tanja ihn schon längst nicht mehr hörte.
Sie spazierten weiter den Weg entlang, schweigend nebeneinanderher, bis der Strandweg eine kleine Biegung machte, von wo aus es nicht mehr weit zu dem kleinen Hochzeitspavillon war, den Finn bereits aus zahlreichen Prospekten, die ihm Tanja vorgelegt hatte, kannte.
Er blieb stehen, nahm einen tiefen Atemzug frischer Seeluft und legte den Kopf schräg.
»Was ist das?«, fragte er und deutete auf die Holzhütte, die vor ihnen in den Dünen lag.
»Was meinst du, Schatz?« Tanja spielte die Unschuldige. Er erkannte es an der Tonlage, in der sie sprach. Außerdem hatte sie ihn schon wieder Schatz genannt.
»Das ist kein Pavillon«, entgegnete er, so beherrscht er konnte.
»Ist es nicht?« Tanja kniff die Augen zusammen, als wolle sie dadurch besser sehen. »Findest du nicht, dass es Ähnlichkeit mit einem Pavillon hat? Immerhin hat es zu drei Seiten bodentiefe Fenster.«
Finn schüttelte den Kopf. »Deshalb ist es noch lange kein Pavillon.« Sein Architektenherz blutete bei dem Anblick, der sich ihm bot. Wie konnte man ein Gebäude nur so verkommen lassen?
»Was ist es denn dann?« Tanja stellte sich dicht neben ihn, als wolle sie überprüfen, ob sie von dort die gleiche Sicht hatte wie von dem Punkt, an dem sie zuvor gestanden hatte.
»Das ist eine Bruchbude. Darin heirate ich nicht.« Er wandte sich zum Gehen um, doch Tanja ergriff seinen Arm und hielt ihn fest. Ihre Finger umklammerten seinen Unterarm und krallten sich fest in seine Haut. Kaum zu fassen, dass so viel Kraft in einem so zierlichen Körper steckte.
»Finn Christoffersen, wir werden hier heiraten, ob es dir passt oder nicht. Denk daran, dass wir bereits alles vertraglich geregelt haben. Wenn du dich nicht daran hältst, wird das Konsequenzen haben. Und das möchtest du doch nicht, oder?« Ihre moosgrünen Augen funkelten ihn an. »Außerdem findet die Trauung ja nicht hier, sondern auf dem Leuchtturm statt.«
Er hasste es, wenn sie ihm mit diesem Vertrag kam. Jetzt hatte sie ihn in der Hand. Und sie wurde nicht müde, ihm diese Tatsache immer wieder unter die Nase zu reiben. Glaubte sie wirklich, er würde das vergessen können?
»Und wo, bitte schön, ist dieser Leuchtturm?«, fragte er genervt.
»Dort!« Tanja wirbelte herum und zeigte auf eine rot-weiße Säule, die sich am Horizont in den Himmel erstreckte.
»Und warum sind wir dann hier?«
»Weil das dort drüben das Büro der Traurednerin ist. Ehrlich, Finn, hast du mir überhaupt jemals zugehört? Ich hab dir doch alles schon Hunderte Male erzählt.« Sie schüttelte entrüstet den Kopf.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass die gute Frau nicht genauso heruntergekommen ist wie ihre Hütte. Ehrlich, das Ding könnte an der Rückseite dringend mal einen neuen Anstrich gebrauchen. Und was ist eigentlich mit der Tür passiert? Irgendwie hängt die schräg in den Angeln.« Er fuhr sich mit der Hand durch die verwuschelten dunkelblonden Haare und betrachtete skeptisch die Hütte vor sich.
»Weiß ich doch nicht, was mit der Tür passiert ist«, keifte Tanja genervt und stapfte an ihm vorbei, weiter den Weg entlang. »Komm jetzt endlich. Wir sind ohnehin spät dran.«
Lilli lehnte sich mit ihrem wackeligen Bürostuhl zurück und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Der Boden des Pavillons, den sie inzwischen oft selbst so bezeichnete, war leicht abschüssig. Und wenn man sich zu stark zurücklehnte und die Füße sich vom Boden abhoben, so wie bei ihr jetzt gerade, konnte es schon mal vorkommen, dass der Stuhl ein Eigenleben entwickelte und nach hinten wegrollte.
Noch so eine Sache, die sie dringend mit Bürgermeister Petersen klären musste. Irgendwie wurde die Liste mit Mängeln immer länger. Wenn er doch endlich mal ans Telefon gehen würde, wenn sie anrief. Würde sie ihn heute Vormittag nicht mehr erreichen, würde sie ihm heute Nachmittag einfach einen Besuch im Gemeindehaus abstatten. Petersen hatte seine festgelegten Sprechzeiten, in denen die Einwohner von Hummelsby ihn in seinem Büro erreichen konnten. Ähnlich wie bei einer königlichen Audienz, nur dass er es Bürgersprechstunde nannte. Für Lilli also die Chance, bei ihm vorsprechen zu können.
Sie hielt sich mit der einen Hand an der Kante ihres Schreibtisches fest und richtete sich mit Schwung wieder auf, woraufhin die Rückenlehne des antiken Bürostuhls nach vorne schnellte und ihr einen Stoß in den Rücken versetzte. Autsch! Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde sie nach der Saison ganz sicher einen Bandscheibenvorfall bekommen. Und das mit gerade einmal 29!
Sie streckte den Rücken durch, dehnte die verspannten Nackenmuskeln und warf einen flüchtigen Blick auf die Unterlagen vor sich. Schon wieder eine Influencerin, die Hummelsby als Ort für ihre Hochzeit auserkoren hatte.
Seufzend checkte sie die Fakten: Tanja Simons, 25 Jahre alt, Beauty-Bloggerin mit eigenem YouTube-Kanal, 190 k Followern auf Instagram und seit neustem auch auf TikTok und seit drei Jahren liiert mit –
Sie durchwühlte den Stapel Unterlagen vor sich. Irgendwo hatte sie sich doch den Namen von Tanjas Verlobten notiert. Heilige Ordnung! Sie war sich sicher, dass Tanja Simons ihn im Vorgespräch, das sie vor ein paar Wochen am Telefon geführt hatten, erwähnt hatte. Irgendwas mit F. Vielleicht Florian? Nein. Felix? Nein. Ein D und ein Y waren auch noch dabei gewesen.
»Mist!«, fluchte sie leise und suchte weiter.
»Wenn du nicht irgendwann im Chaos versinken möchtest, musst du dringend ordentlicher werden.« Die mahnenden Worte ihrer Mutter, die mit über dem Kopf zusammengeschlagenen Händen vor Lillis Teenager-Zimmer stand, hallten in ihrem Kopf wider.
Lilli rollte genervt mit den Augen. »Sei still!«, rief sie der Stimme in ihrem Kopf zu und hielt sich die Hände an die Ohren. »Konzentrier dich, Lilli. Irgendwo muss der Zettel mit dem Namen sein.«
Als sie den Zettel auch im letzten Papierstapel, den sie durchwühlt hatte, nicht gefunden hatte, stand sie auf. Frustriert ging sie durch den Raum, die Arme vor der Brust verschränkt, und dachte nach. Wie hieß der Typ denn noch? Was für einen Eindruck machte es auf das Brautpaar, wenn Lilli nicht einmal wusste, mit wem genau sie es zu tun hatte?
Instagram, schoss es ihr plötzlich in den Kopf. Darauf hätte sie ja auch vorher schon kommen können. Immerhin war Tanja Simons in den sozialen Medien keine Unbekannte. Sie war auf allen Kanälen omnipräsent. Darüber den Namen ihres Verlobten herauszufinden, dürfte ein Kinderspiel sein, zumal der – soweit sie sich erinnerte – selbst einen Instagram-Kanal hatte und dort irgendwas mit Handwerk machte.
Sie schnappte sich ihr Handy und stellte sich vor das einzige bodentiefe Fenster, das sie nach dem Durcheinander heute Morgen noch geschafft hatte zu putzen.
Einmal mehr verfluchte sie, dass sie nicht so häufig auf Social Media unterwegs war, wie man für jemanden in ihrer Position und mit der Kundschaft annehmen könnte. Britt hatte sie deshalb oft damit aufgezogen und ihr prophezeit, dass es ihr irgendwann noch mal zum Verhängnis werden könnte. Doch damit wollte sie sich jetzt nicht aufhalten. Sie musste diesen Namen finden, ansonsten –
»Frau Mortensen, richtig?!«
Lilli wirbelte herum, als sie hinter sich ihren Namen hörte. Die Tür zur Hütte war einen Spalt geöffnet und eine blonde junge Frau mit wippendem Pferdeschwanz und einer übergroßen, goldumrandeten Sonnenbrille mit rosafarbenen Gläsern steckte ihren Kopf hindurch.
»Ja«, antwortete Lilli und wünschte sich, sie hätte selbstsicherer geklungen. Doch in Gegenwart von anderen bildhübschen Frauen neigte sie dazu, unsicher und schüchtern zu sein. Sie räusperte sich, wandte sich vom Fenster ab und ging auf die Blondine zu.
»Prima, dann haben wir einen Termin.« Die Blondine reichte Lilli die Hand. »Ich bin Tanja Simons.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Lilli und schüttelte Tanjas zarte und perfekt manikürte Hand, die in ihrer Hand aussah, als gehöre sie einer Elfe. »Sie bringen ja bestes Wetter mit.« Lilli zeigte auf den blauen Himmel, lächelte und versuchte sich in Smalltalk.
»Es ist traumhaft. Ein wenig kalt zwar, aber die Hochzeit ist ja auch noch nicht heute, sondern erst in zwei Monaten. Bis dahin wird es wohl auch in Hummelsby Sommer werden, oder?«
Es war offensichtlich, dass Tanja sich um ein optimistisches Gesicht bemühte. Trotzdem konnte man ihr die Skepsis ansehen, als sie zuerst den Himmel und dann Lilli anschaute.
»Natürlich. Die Sommer hier bei uns im Ort sind ideal für eine Hochzeit. Die Tage sind warm, aber selten drückend heiß, und die Nächte sind angenehm erfrischend.« Lilli lachte und reckte den Hals. In der Vorbesprechung hatte Tanja Simons gesagt, dass sie heute ihren Verlobten mitbringen würde. Doch von ihm war weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht hatte sie es sich anders überlegt? »Sind Sie allein nach Hummelsby gereist?«
»Nein, ich habe meinen Verlobten dabei. Er ist –« Tanja stutzte und sah Lilli irritiert an. »Ist er nicht direkt hinter mir?« Sie drehte sich um, doch außer der halb geöffneten Tür war nichts und niemand hinter ihr zu sehen. »Das kann doch nicht wahr sein«, schimpfte sie im nächsten Augenblick und stemmte die Hände in die Hüften, nur um dann aus voller Kehle heraus zu rufen: »Schaaaatz!«
Sie rief so laut, dass es für eine Sekunde in Lillis Ohren schrillte. Himmel, hatte die ein Organ.
»Verdammt noch mal, wo steckst du?«, brüllte Tanja Simons erneut, doch dieses Mal war Lilli auf den keifenden Klang ihrer ansonsten eher lieblichen Stimme vorbereitet und hielt sich dezent die Ohren zu. Unfassbar, dass aus einer Frau, die eine so elfenhafte Erscheinung hatte, solche Töne herauskamen.
»Das kann doch alles nicht wahr sein. Du blamierst mich«, tobte die blonde Influencerin jetzt sogar und stampfte mit dem Fuß auf. Dabei wirkte sie wie eine Vierjährige, der man gerade das Spielzeug weggenommen hatte.
»Es ist eher peinlich, dass du hier gerade so rumzickst.« Eine sanfte, dunkle Männerstimme ertönte im hinteren Bereich von Lillis Büro. »Ich hab mir doch nur diese Hütte ein wenig genauer angesehen.«
»Das ist ein Pavillon.« Lilli drehte sich nach der Stimme um und erstarrte, als sie den Mann erblickte, der neben der kleinen Küchennische stand. Wo zum Teufel war er so plötzlich hergekommen? Und was machte er in ihrer Küche?
»Sie wissen, dass Ihre Tür kaputt ist, oder? Das sollten Sie dringend reparieren lassen. So ist es für jeden ein Kinderspiel, hier einzubrechen.« Der dunkelblonde, groß gewachsene Mann kam auf sie zu und lächelte.
Lilli kniff die Augen zusammen. Der Mann, der ganz offensichtlich Tanjas Verlobter zu sein schien, war attraktiv, sehr attraktiv. Groß und schlank, mit breitem, durchtrainiertem Oberkörper. Genau der Typ Mann, den man an der Seite einer superschlanken, blonden, modelähnlichen Influencerin erwarten würde.
Irgendwoher kannte sie ihn. Sie war sich sicher, dass sie ihm schon mal irgendwo begegnet war. Und zwar nicht auf Social Media. Nur wo?