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Am Tag, als die Flugzeuge in die Türme flogen, befand sie sich in einer Boeing hoch über dem Atlantik, und er schlief … So beginnt die Geschichte von Laura und Paul, deren Liebe und Leben vor dem Hintergrund des weltverändernden Terroranschlags in New York eine plötzliche Prüfung erfahren. Laura ist Flugbegleiterin und Paul Dozent an einer Universität. Die Welt ist ihr Zuhause. Aber diese Lebensweise scheint nun infrage gestellt. Verdrängte Ängste und reale Gefahren brechen mit Macht hervor. Und über allem schwebt die Ungewissheit des Schicksals, der in diesen Tagen voneinander getrennten Liebenden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der fröhlich aufgeschlossenen warmherzigen Laura mit ihrer handfesten Klugheit steht Paul mit seiner abwägenden kühlen Vernunft gegenüber. Doch ausgerechnet jetzt lässt ihn seine rationale Selbstkontrolle im Stich. Der Abbruch jeder Kommunikationsmöglichkeit versetzt ihn in Panik und er bricht auf, um Laura in ihrer vermeintlichen Gefahr beizustehen. Während seiner Odyssee gerät er selbst in Not und weiß nicht, dass Laura zeitgleich tatsächlich um ihr Leben ringt … Aus der wechselnden Perspektive der Protagonisten erzählt »Herzflug« vom allmählichen Verlust unseres Gefühls der Sicherheit und der Hoffnung auf die tragende Kraft der Liebe, die immer eine Wette gegen den Tod ist.
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2016
Mike Meto Mettke
Roman
Copyright: © 2016 Mike Meto MettkeUmschlaggestaltung & Satz: Sabine AbelsTitelbild: © MP_P - Fotolia.comwww.e-book-erstellung.de
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
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Für Uta
“Liebe ist eine Wette gegen den Tod.”
Am Tag, als die Flugzeuge in die Türme flogen, befand sie sich in einer Boeing hoch über dem Atlantik, und er schlief.
Vor Stunden hatte sie noch im Flur vor dem Spiegel gestanden, in ihrer nachtblauen Uniform mit den goldenen Litzen, und sich zurechtgemacht, während er wie immer alle Anstrengung aufbrachte, um seine Nervosität zu verbergen. Meist hielt er sich dann damit auf, den Koffer zum Auto herunterzutragen oder die Wohnung nach Dingen zu inspizieren, die sie nicht vergessen durfte. Namensspange oder ID-Card – es blieb für ihn unfaßbar, daß sie mit seinem Namen durch die Welt flog und unterschrieb –, das Portemonnaie für den Bordverkauf, Paß, Catering Instruction Manual, Taschenrechner, Schlüssel, Handy – eine Checkliste der Insignien ihres Berufes. Ihre Unbekümmertheit, von der er sich sonst gern anstecken ließ und die zu trüben er sich verbot, entwarf ein Abschiedslächeln voll Zuversicht und vorweggenommener Wiedersehensfreude, das er sich wie ein Medaillon vor Augen hielt, wenn er an die Grenzen fruchtloser Grübeleien gelangte. Sie schrieb ihm noch rasch die Telefonnummer des Hotels auf, unter der er sie erreichen konnte. Strich ihm über die Wange. Er hielt ihre Hand dort fest. Nur für Sekunden.
„Alles in Ordnung, Schätzchen?“, fragte sie.
Da war der jedesmal verschwiegene Wunsch, sie aufzuhalten, nicht gehen zu lassen. Absurd in seiner Dringlichkeit. Verhindern, daß etwas Unabänderliches seinen Verlauf nahm, von dem man nicht wußte, was es war, das in seiner Nicht-Greifbarkeit aber umso furchterregender wirkte.
„Alles in Ordnung“, sagte er.
Ein letzter Kuß mit offenen Augen.
Und die Wohnung wurde leer.
Wenn er nicht in die Universität mußte, verkroch er sich dann im Bett, um mit einem Schlaf das überreizte Bewußtsein einer Welt lauernder Gefahren zu löschen.
Laura schob den Trolley durch den Gang und sammelte die Tabletts ein. Hinter ihr drängelte bereits eine Schlange von Passagieren, die zur Toilette wollten. Sie hörte die ungeduldigen Stimmen der Pauschaltouristen, ihre halblauten Bemerkungen über enge Gänge, Sitzabstände und Thrombosen mangels Bewegung, und sie erinnerte sich an die Skepsis Pauls, wie gesunde Menschen, die nicht mal ihre Toilettenbesuche zeitlich zu koordinieren vermochten, in einem Havariefall gerettet werden sollten.
Wenn es sich einrichten ließ, nahm sie Paul bei längeren Umläufen mit. Ein kostengünstiges Privileg, das ihr Beruf mit sich brachte und das sie beide genossen. Paul war ein geduldiger und anspruchsloser Begleiter, der sich nie langweilte. Er nannte ihre Kurzreisen anthropologische Studienausflüge, und auch wenn sie sein unverhohlenes Beobachten manchmal eher an einen Insektenforscher denken ließ und gelegentlich störte, war sie sich Pauls Verständnis und Anteilnahme ihr gegenüber stets sicher. Und sie wußte immer, wo er war. Buchstäblich. Selbst in einem abgedunkelten Flugzeug würde sie sofort seinen Sitzplatz finden.
Dort, wo die Leselampe niemals verlöschte.
Ein knallbuntes Hawaii-Hemd versuchte mit Wucht vorbeizukommen und blieb zwischen Trolley und Sitzlehne stecken. Der Bauch ließ sich nur unwesentlich einziehen.
„Es ist dringend, Fräulein“, japste sein Besitzer kleinlaut.
„Das ist es immer“, erwiderte Laura freundlich, löste die Bremse des Trolleys und bugsierte ihn zur Galley.
Die Warteschlange rückte nach und belagerte die Toiletten.
Laura wartete einen Moment ab, um ihre Arbeit fortzusetzen zu können, als Anita, die Purserette, aus dem Cockpit eilte und hektisch den Vorhang zuzog. Sie steckte sich fahrig eine Zigarette an und starrte Laura konsterniert an.
„Mein Gott“, flüsterte sie, und Laura sah in ihren Augen blankes Entsetzen.
Paul erwachte, honigfarbenes Licht sickerte durch die Lamellen der Jalousien, sein Arm strich über Lauras verwaiste Bettseite, aber er fühlte sich jetzt besser und verspürte sogar Hunger.
Er zog sich an und verließ die Wohnung, um im Supermarkt etwas einzukaufen. Später würde er ein paar Semesterarbeiten kontrollieren und das morgige Seminar vorbereiten. Die Alltagsroutine war für ihn wie die Rettungsweste unter einem Flugzeugsitz – ihr Wert eher psychologischer Natur.
Bevor Laura in Pauls Leben getreten war, hatte er geglaubt, die Anatomie der Angst zu kennen. Er hatte sie studiert, nicht akademisch, sondern indem er sich ihr wiederholt und extrem aussetzte. Mit seinem Freund Thomas war er in den Hochgebirgen unterwegs gewesen, in den Alpen, Anden und im Himalaya, um herauszufinden, wie weit man gehen konnte. Sie hatten gespielt und Glück gehabt.
Paul war aus den Bergen mit einer Gelassenheit zurückgekehrt, die auf einer Fehleinschätzung beruhte, wie er seit Laura wußte. Sie bezog sich ausschließlich auf ihn selbst und funktionierte nur, wenn man allein blieb. Anfänglich hatte er seine Beunruhigung für schlichte Sorge gehalten, für ein Symptom der Verliebtheit, ehe er sich der Tatsache stellte, daß es eine Angst war, die man nicht kletternd bezwang. Erschwert wurde diese Einsicht durch Lauras heiteres Wesen, ihre Leichtigkeit und unverstellte Lebensfreude. Von ihr ging nichts aus, was Anlaß zu Angst gegeben hätte.
Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt trafen die ersten Vorboten des Feierabendverkehrs ein, Einkaufswagen verschwanden rasselnd hinter automatischen Türen.
Paul sah in den Himmel. Ein Kondensstreifen zog sich als feiner Schnitt in das klare Blau, das Flugzeug funkelte in der späten Sonne wie eine glühende Messerspitze.
Im Supermarkt arbeitete er zwischen den Regalreihen zügig seine kurze Einkaufsliste ab, immun gegen Sonderangebote und die Vielfalt möglicher Alternativen. Wenn Laura weg war, reduzierten sich Pauls Eßgewohnheiten auf eine reine Nahrungsaufnahme.
Während er an der Kasse anstand, beobachtete er die Leute. Es schien ihm, als wären sie heute kontaktfreudiger, mehr als sonst waren in Gespräche verstrickt, aber das konnte täuschen – eine Momentaufnahme ohne Aussagewert.
„Das kann man sich gar nicht vorstellen“, sagte die Kassiererin zu einer älteren Frau vor ihm, deren Einkäufe sie über den Scanner zog.
Paul hing dem Gesprächsfetzen nach, ohne Neugier auf den Zusammenhang.
Für ihn verriet das lediglich einen Mangel an Phantasie. Andererseits, was gäbe er dafür, sich nicht immer alles bis ins Detail vorstellen zu müssen?
Er verlor sich im Piepsen des Scanners, ein unregelmäßiger Herzrhythmus.
Wieder in der Wohnung, stellte er ein Fertiggericht in die Mikrowelle und machte den Fernseher an.
Laura betrat das Cockpit, bei Tage der hellste Ort im ganzen Flugzeug, eine mit Traumlicht geflutete Kapsel. Der Kopilot nahm ihr die Getränke ab. Er trug seine Pilotenbrille und wirkte immer ein bißchen angeberisch, wie ein kleiner Junge, der das alles nur spielt. Vielleicht lag es daran, daß er etwas kleinwüchsig geraten war und deshalb normale Gesten zu dick aufgetragen schienen.
„Schöne Scheiße“, murmelte er, und Laura sah die Anspannung in seinen Mundwinkeln. Der Kapitän lauschte dem Funkverkehr in seinen Kopfhörern.
Er war wesentlich älter und stand kurz vor der Pensionierung. Im Umgang mit dem Kabinenpersonal benahm er sich förmlich und zurückhaltend, Laura kannte ihn schon seit Interflug-Tagen.
Wenn man ihn in Badehose am Strand irgendeines Crew-Hotels sah, erweckte er fast Mitleid, aber Laura wußte, daß er Lehrbücher geschrieben und einmal sogar eine ausrangierte Tupolew-Linienmaschine auf einer großen Wiese gelandet hatte, wo sie zu einem Restaurant zu Ehren Otto Lilienthals umfunktioniert werden sollte.
„Müssen wir zurück?“, fragte Laura. Sie empfand kaum Angst, trotz der unglaublichen Vorkommnisse, die die Purserette vorhin mitgeteilt hatte. Es hörte sich an wie die Nachricht von einem katastrophalen Erdbeben in China. Der Schrecken blieb auf einer unpersönlichen Ebene. Sie flogen nach Kuba, und New York schien immer noch weit genug weg.
„Vielleicht werden wir umgeleitet“, sagte der Kopilot, „aber ich will da hinten keine Panik, klar?“ Er sprach, als läse er aus einem Drehbuch vor.
Der Kapitän bedachte die Äußerung seines Kollegen mit einem gequälten Gesichtsausdruck.
Laura verkniff sich ein Lächeln.
„Klar“, sagte sie. „Braucht ihr sonst noch was?“
Der Kopilot verneinte mit einer albernen Scheibenwischerbewegung seines Zeigefingers.
„Schicken Sie mir mal bitte meine Frau rein, Laura“, sagte der Kapitän. Die Frau des Kapitäns, eine Russin, stand meistens kettenrauchend in der Galley und quasselte jeden voll, der Pause machen wollte. Laura verstand.
In der jetzt verqualmten Galley redeten alle durcheinander, die Frau des Kapitäns nur eine davon.
Laura sagte ihr Bescheid und hörte dann eine Weile zu.
Alle hatten das gleiche wenige Wissen, das aus dem Cockpit kam, aber die Spekulationen wuchsen je nach Veranlagung und Temperament. Es waren Vorstellungen ohne Bilder, und Laura versuchte, sich New York ins Gedächtnis zu rufen. Nicht als Filmkulisse, sondern als die Stadt, die sie mit Paul erkundet hatte, und vor ihm mit Ray, dem Saxophonisten, in den Jazzkellern und Klubs, und mit ihrer Schwester, die dort immer noch lebte und arbeitete. Der Gedanke an ihre Schwester überfiel sie plötzlich und mit heftiger Schärfe. Wie konnte sie etwas so Naheliegendes ausgeblendet haben?
Sie verschwand schnell in der freien Toilette der Business-Class.
Dort hielt sie sich mit beiden Händen am schmalen Waschtisch fest, ihre Beine fühlten sich merkwürdig taub an.
Für einen Moment fürchtete sie wegzusacken, sie atmete tief und bewegte ihre Zehen. Der kurze Schwächeanfall ging vorüber, und sie blickte in den Spiegel. Eine leichte Blässe lag auf ihrem Gesicht und sie machte sich daran, ihr Make-up aufzufrischen. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, daß ihrer Schwester etwas zugestoßen sein konnte? Ließ sich so etwas berechnen? Die Flügel eines Schmetterlings in China konnten eine Blüte streifen und dadurch einen Hurrikan in der Karibik auslösen. Angeblich. Paul mochte solche Gedankenspiele. Laura konnte damit nicht viel anfangen. Wozu sollte man die Wahrscheinlichkeit möglicher Schrecken berechnen? Änderte das etwas am Ablauf der Dinge? Um Angst zu haben, mußte Laura in einer realen Situation sein, die Gefahr allen Sinnen zugänglich. Sie war so ganz anders als Paul. Neulich hatte sie ihn deshalb gefragt, warum er sie liebe. Seine Antwort kam ohne Zögern: „Weil du eine Frau bist, der das Leben gelingt.“
CNN. Breaking News. Ein Trailer für einen Sci-Fi-Thriller, dachte Paul. Ein Nachrichtenspiel wie von Orson Welles.
Der Krieg der Welten. Diesmal im Fernsehen.Oder doch eine Doku-Computeranimation?Der Reisklumpen, den Paul seit geraumer Weile unzerkaut im Mund hatte, quoll gegen den Gaumen. Langsam tropften die Informationen in sein Hirn, ohne sich zu einem Verständnis zu fügen. Er spuckte den Reisklumpen aus und stierte wie hypnotisiert auf die flimmernden Bilderschleifen. Immer wieder stürzten die Türme ein.
Wilde Gerüchte wurden kolportiert. Noch waren zahllose Flugzeuge in der Luft, der getroffene Kontinent vielleicht mehr als ein Reiseziel.
“Laura”, flüsterte Paul.
Er versuchte, in der Einsatzzentrale in Frankfurt anzurufen, geriet aber jedesmal an dieselbe entrückte Tonbandstimme. Bitte warten Sie. Es hörte sich an, als stünde die Frau unter Drogen.
Er probierte die Handynummer von Lauras Schwester. Die Leitung war tot. Er kam nicht mal auf die Mailbox.
Für Lauras Crewhotel in Kuba war es noch zu früh.
Um sich zu beschäftigen, schaltete er den Computer ein und checkte seine E-Mails. Er hatte nur Werbemüll, irgendjemand lockte mit Bonusmeilen. Er ging wieder offline, damit das Telefon frei blieb. Saß vor dem Monitor, wo der Bildschirmschoner dreidimensionale Rohrgeflechte aufbaute.
So also sah die totale Kommunikation aus, wenn etwas schiefging. Sein Blick fiel auf das Foto über dem Schreibtisch. Laura und Paul auf der Brooklyn-Bridge.
Im Hintergrund die Twin Towers. Laura lachte fröhlich, weil der Schwarze, den sie um eine Aufnahme gebeten hatten, Faxen machte.
Pauls Gesicht blieb etwas unscharf. Die Augen zusammengekniffen, blinzelte er in die Sonne. Einen Tag später fuhren sie zur Aussichtsplattform des Südturms hinauf; spontan, nur weil sie gerade vorbeikamen und keine Warteschlangen wie am Empire State Building abschreckten.
„Na los, wer weiß, ob wir noch mal so einfach Gelegenheit dazu kriegen“, hatte Paul Laura überzeugt. Natürlich gründete sich seine Äußerung nicht im Geringsten auf düsteren Vorahnungen, er hatte lediglich das gemeinsame Erlebnis im Sinn. Ihre Liebe war drei Wochen alt und noch mehr ein Versprechen als feste Gewißheit. Oben ertappte sich Paul dabei, daß er wie ein Touristenführer über Ellis Island, die Insel der Tränen, dozierte, während Laura ihre Stirn an die Scheibe preßte und auf den glitzernden Hudson River schaute.
„Merkst du, wie es schwankt?“, fragte Laura.
Paul schmiegte sich an sie und beschloß, nicht zu glauben, was er dachte: daß alles, was man zu hoch baute, schwanken mußte.
Ihre ganze New York-Reise kam Paul wie ein Wintermärchen vor, was nicht nur am Schnee lag, der die brüllende Stadt zu besänftigen schien und ihr eine Unschuld verlieh, die sich auf ihre Bewohner übertrug, sondern vor allem an Laura. In ihrem pelzbesetzten Wintermantel, den sie auf einem Flohmarkt erworben hatte, wirkte sie wie Audrey Hepburn in der Rolle einer russischen Prinzessin. Ausgelassen zog sie ihn an der Hand über die Straßen, ignorierte jedes Don’t walk der Ampeln, ihre langen dunklen Haare von der Kapuze kaum zu bändigen, atemlos lachend und dennoch von bezaubernder Unkompliziertheit.
In einem Sportgeschäft kauften sie sich Schlittschuhe, um im Central Park Eis zu laufen, und Paul ließ alles mit sich machen, ein lernwilliger Tanzbär auf Kufen, der seine Schwere vergaß und darüber staunte, was ihm geschah.
Paul beobachtete die Reaktionen der Menschen auf Lauras außergewöhnliche Schönheit, nicht um sich ihres Wertes als Trophäe zu versichern, sondern um zu verstehen, warum diese Schönheit nicht distanzierte oder Gefühle wie Neid und Eifersucht auslöste. Ihn überraschte vor allem das Verhalten anderer Frauen, bei denen er zumindest unterschwellige Rivalität vermutet hätte. Nichts dergleichen war erkennbar, und vielleicht lag das an Lauras Selbstvergessenheit.
Lauras manchmal frappierende Ähnlichkeit mit Audrey Hepburn ließ Paul auf die eingestandenermaßen verkitschte Idee kommen, zu Tiffany’s zu gehen. Es war ihm selbst nicht ganz klar, was er zu beschwören versuchte, zumal er für sich in dieser Kino-Karaoke keine passende Rolle sah. So blieb er ein unberufener Begleiter, der in einer romantischen Komödie mit Holly Golightly zwischen den Schmuckvitrinen umherlaufen durfte, als wäre alles ein begehbarer Filmtraum.
Ungespielt war die Verblüffung in den Gesichtern einiger älterer Verkäufer. Ebenso Lauras Desinteresse an den angebotenen Preziosen.
Das Telefon klingelte wie ein Wecker und riß Paul jäh in die Gegenwart zurück.
Die Maschine landete pünktlich in Holguin.
Laura stand am Ausgang und verabschiedete die sonnenhungrigen Passagiere, deren überreizte Hektik noch auf der Gangway von der tropischen Schwüle gebremst wurde und sie wie bunte Vögel mit verklebtem Gefieder über das Flugfeld zur nahen Empfangshalle taumeln ließ.
Dann ging auch Laura mit der Crew von Bord.
Eine uniformierte Kubanerin geleitete sie zu einem separaten Eingang und beaufsichtigte mit strenger Miene, wie sie ihr Gepäck entgegennahmen. Laura schenkte ihr eine von den Rosen, die in einem reagenzglasähnlichen Kolben steckten und an First-Class-Passagiere verteilt wurden. Augenblicklich verwandelte sich der Gesichtsausdruck der Kubanerin, und sie bedankte sich mit einer Flut spanischer Wörter, die Laura nur zum Teil verstand und mit ein paar Floskeln zu erwidern versuchte.
Die Crew durchlief anstandslos die Paßkontrolle. Nichts deutete darauf hin, daß sich die Nachrichten aus der Yankee-Metropole verbreitet hätten.
Im Crewbus, der bis zum Hotel etwa anderthalb Stunden brauchen würde, warteten vor der Abfahrt alle auf eine Ansprache des Kapitäns. Sogar seine redselige Frau schaute ihn jetzt stumm an. Er erhob sich noch einmal von seinem Sitz, es kostete ihn sichtlich Mühe.
„Also“, sagte er und räusperte sich. Laura sah, daß ihm wohl in erster Linie zu schaffen machte, etwas der Situation Angemessenes sagen zu müssen. In der Welt, in der er das Fliegen gelernt hatte, bestanden offiziöse Reden aus vorgestanzten und entpersönlichten Leerformeln, auf die man sich zurückziehen konnte. Seit zehn Jahren gab es eigentlich nur noch Briefings