Hex Files - Hexen gibt es doch - Helen Harper - E-Book

Hex Files - Hexen gibt es doch E-Book

Helen Harper

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Beschreibung

Fauler Zauber - leicht gemacht

Um eines direkt klarzustellen: Ivy Wilde ist keine Heldin. Eigentlich ist sie die allerletzte Hexe auf der Welt, die man rufen würde, sollte man magische Unterstützung benötigen (was nicht heißt, dass sie es nicht könnte!). Ginge es nach Ivy selbst, würde sie am liebsten den ganzen Tag auf der Couch hängen, Serien gucken, Junkfood mampfen und mit ihrer Katze Streitgespräche führen. Doch durch einen Bürokratiefehler wird Ivy Opfer einer vertauschten Identität und unfreiwillig - sehr, sehr unfreiwillig! - mitten hineingeschleudert in den Arkanen Zweig, der Ermittlungsbehörde des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung. Rasend schnell vervierfachen sich Ivys Probleme, als dann auch noch ein wertvolles Objekt gestohlen und sie daher gezwungen ist, mit Adeptus Exemptus Raphael Winter zusammenzuarbeiten. Raphaels saphirblaue Augen lassen in Ivys Magen zwar irgendwie Schmetterlinge flattern, aber eigentlich zeigt der Adeptus all das, was Ivy aus tiefstem Herzen ablehnt: die freudlosen Tücken von zu viel stoischem Hexenwerk. Und je länger Raphael Ivy piesackt, desto größer wird ihr Verlangen ... ihn in einen Frosch zu verwandeln!

"Ich LIEBE dieses Buch, es hat so viel Spaß gemacht, es zu lesen!" UNDER THE COVERS

Auftakt der magisch guten HEX-FILES-Reihe von Helen Harper!

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Seitenzahl: 407

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Hierarchie des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung

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Epilog

Die Autorin

Die Romane von Helen Harper bei LYX

Leseprobe

Impressum

HELEN HARPER

Hex Files

Hexen gibt es doch

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Fauler Zauber – leicht gemacht

Um eines direkt klarzustellen: Ivy Wilde ist keine Heldin. Also, tatsächlich ist sie die allerletzte Hexe auf der Welt, die man rufen würde, benötigte man magische Unterstützung (was nicht heißt, dass sie es nicht könnte!). Ginge es nach Ivy selbst, würde sie am liebsten den ganzen Tag auf der Couch hängen, Serien gucken, Junkfood mampfen und mit ihrer Katze Streitgespräche führen. Doch durch einen Bürokratiefehler wird Ivy Opfer einer vertauschten Identität und unfreiwillig – sehr, sehr unfreiwillig! – mitten hineingeschleudert in den Arkanen Zweig, der Ermittlungsbehörde des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung. Rasend schnell vervierfachen sich Ivys Probleme, als dann auch noch ein wertvolles Objekt gestohlen und sie darum gezwungen ist, mit Adeptus Exemptus Raphael Winter zusammenzuarbeiten. Raphaels saphirblaue Augen lassen in Ivys Magen zwar irgendwelche Schmetterlinge flattern, aber eigentlich steht der Adeptus für all das, was Ivy aus tiefstem Herzen ablehnt: die freudlosen Tücken von viel zu viel stoischem Hexenwerk. Und je länger Raphael Ivy piesackt, desto größer wird ihr Verlangen … ihn in einen Frosch zu verwandeln!

Für alle Stubenhocker dieser Welt

Hierarchie des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung

Erste Stufe

Neophyt

Zelator

Theoreticus

Practicus

Philosophus

Zweite Stufe

Adeptus Minor

Adeptus Major

Adeptus Exemptus

Dritte Stufe

Magister Templi

Magus

Ipsissimus

1

Auf den ersten Blick wirkte der Mann eher unauffällig. Er war größer als ich, aber schmächtig, hatte einen seltsam knolligen Kopf auf einem weißen, dürren Hals und trug einen eleganten Anzug mit Krawatte. Aber man soll sich nie an der Kleidung orientieren. Ich hatte schon absurd reiche Leute in meinem Taxi, und der Reichste sah aus, als habe er drei Monate auf der Straße gelebt. Vielleicht war sein Bankkonto so gut gefüllt, weil er keine Zeit darauf verschwendete, sich zu rasieren, zu kämmen oder zu waschen.

Wie dem auch sei – der Mann, der mich mit einem dünnen Arm herangewunken hatte, sah aus, als könne ein Windstoß ihn umblasen. Seine bleiche Haut ließ vermuten, dass er nicht viel rauskam. Vielleicht fürchtete er sich vor jeder steifen Brise. Jedenfalls dachte ich mir: Dieser Fahrgast noch, dann bin ich bis ans Ende der Woche versorgt. Allerdings hoffte ich, dass er mir kein allzu fernes Ziel nennen würde. Ich hatte schon Leute aus dem Taxi geworfen, die an Stunden entfernte Orte gefahren werden wollten. Das gehört sich zwar nicht, aber ich habe auch ein Leben und Besseres zu tun, als die ganze Zeit irgendwen durch die Gegend zu kutschieren und immer aufs Neue die gleichen Gespräche über Ferien, das Wetter oder die neuen Folgen der TV-Serie Verwünscht zu führen. Nicht dass die Arbeit mir nicht gefällt, ganz im Gegenteil, aber ich lebe nicht, um zu arbeiten. Ich bin doch nicht geistesgestört.

Beim Einsteigen setzte er auf die Rückbank und ächzte »Cutteslowe«. Dann warf er mir einen Blick zu und musste zweimal gucken. Das passiert mir oft; die Leute staunen ewig über Taxifahrerinnen. Keine Ahnung, warum. Immerhin brauche ich für meinen Job keine Fähigkeiten, die man als Frau angeblich nicht besitzt. Etwas zwischen den Beinen baumeln zu haben, erleichtert weder das Lenken noch die Orientierung in einer kleinen Stadt wie Oxford. Umgekehrt mindern auch meine Brüste meine Fahrkünste nicht. Und auch ich kann einparken. Ich habe alle Witze darüber gehört. Sie sind nie lustig. Männer können Hexen sein und Frauen Taxifahrer. Und damit aus die Maus.

»Sehr wohl, Sir«, murmelte ich und lächelte in den Rückspiegel, ohne auch nur die Spur einer freundlichen Miene bei ihm heraufzubeschwören. Auch okay – die Schweigsamen machen weniger Arbeit.

Ich fädelte mich in den Verkehr ein, was den Fahrer des ramponierten BMW hinter mir finsteren Blicks gestikulieren ließ. Na, na. Er hatte schließlich Platz genug zum Bremsen. Wer sich über so was ärgert, sollte sein Leben schleunigst in den Griff bekommen. Wenn jemand es schon stressig findet, auch nur die Bremse zu touchieren, was passiert dann erst mit seinem inneren Gleichgewicht, wenn ein Rohr bricht, das Kind von der Schule fliegt oder die Mutter an Krebs erkrankt? Sich über Banalitäten aufzuregen ist die Mühe nicht wert.

Mein Fahrgast merkte davon nichts. Er nestelte an seiner Jacke, und seine linke Braue zuckte, als habe jemand einen unsichtbaren Faden daran befestigt und ziehe von oben. Vermutlich hätte ich ihn beruhigen können, aber das hätte letztlich wohl keinen Unterschied gemacht. Stattdessen drehte ich das Radio lauter und beschleunigte. Je rascher wir in Cutteslowe wären und je früher ich meinen Fahrgast absetzte, desto schneller würde ich nach Hause kommen, um die Füße hochzulegen.

Als wir von der Hauptstraße in den kleinen Vorort abbogen, spürte ich es. Mir war entgangen, dass er sich vorgebeugt hatte – der Bus vor mir hatte all meine Aufmerksamkeit beansprucht –, doch als sich das kalte Metall in meinen Nacken drückte, wusste ich, was vorging.

»Geld her«, zischte er. »Sofort.«

Eine Pistole. Na klasse. Wieso geriet ich immer wieder an durchgeknallte Idioten? Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Soll ich Ihnen mein Geld geben oder besser nicht auf den Bus auffahren? Beides gleichzeitig schaff ich nicht.«

Kurze Pause. »Halt an. Und glaub nicht, ich drück nicht ab, bloß weil du ein Mädchen bist.«

Hätte ich schlagfertig antworten sollen? Stattdessen zuckte ich die Achseln, tat, wie mir geheißen, schaltete den Motor aus und rührte mich nicht weiter.

»Her mit dem Geld!« Vielleicht hielt er mich für schwerhörig und glaubte, seine Forderung nachdrücklicher wiederholen zu müssen, damit ich ihn nicht missverstand.

Ich schürzte die Lippen. »Hab nicht viel dabei. Wie alle Taxifahrer. Könnte ja sein, dass man eine Knarre an den Nacken gesetzt bekommt und alles rausrücken soll.«

»Hör mal, du Miststück …«

»Ich sage nur«, fuhr ich unbekümmert fort, »Sie sollten die Sache vielleicht genauer abwägen. Risiko gegen Ertrag. Ich bezweifle, dass Sie das wirklich durchdacht haben, und gebe Ihnen Gelegenheit, es jetzt zu tun.« Ich ließ meine Stimme sanft klingen, um ihm zu zeigen, dass ich es ernst meinte. »Jeder verdient eine zweite Chance.«

Leider hörte der schlaksige Gentleman nicht zu, sondern drückte mir den Lauf fester ins Fleisch. Das tat weh. Und langsam wurde ich ärgerlich.

»Ich geb dir eine letzte Chance«, knurrte er. »Danach blas ich dein Hirn an die Frontscheibe.«

Ich wollte schon antworten, mein Hirn sei da, wo es hingehörte, und falls er jetzt abdrückte, würde er meine Luftröhre zerfetzen, vermutete jedoch, der Zeitpunkt wäre ungünstig für eine Anatomiestunde.

»Gut«, sagte ich beschwichtigend. »Im Handschuhfach ist eine Geldkassette. Ich muss mich also vorbeugen.«

»Keine Tricks.«

Vielleicht war es der Klang seiner Stimme, möglicherweise auch seine Wortwahl. Als ich den linken Arm ausstreckte, um das Handschuhfach zu öffnen, und dabei mit der Rechten eine Rune auf den Oberschenkel malte, wusste ich jedenfalls genau, was ich tat. Und ja, ich fand es ziemlich trickreich.

»Was …«, stotterte er. »Was soll das?« Er nahm, was eben noch eine tödliche Waffe gewesen war, von meinem Nacken und starrte auf eine Banane. Sicher, das klingt nach Klischee, aber ich musste lächeln.

»Die würde ich an Ihrer Stelle nicht essen«, meinte ich heiter. Was er in der Hand hielt, mochte wie eine Banane aussehen und sich auch so anfühlen, aber weiter reichte die Magie nicht. Leider.

Er sah von der Banane zu mir und zurück zur Banane. Kaum zu glauben, aber er war noch bleicher als zuvor. »Du bist eine Hexe.«

Ach nee. »Stimmt«, gab ich freundlich zurück.

»Warum arbeitet eine Hexe als Taxifahrerin?«

Das war eine sehr lange Geschichte, die ich ihm sicher nicht erzählen würde. »Ich hatte Ihnen Gelegenheit gegeben, es sich zu überlegen«, erwiderte ich.

Sein Blick zuckte hierhin und dorthin, während er seine Möglichkeiten abwog. Würde er fliehen oder mich angreifen? Vermutlich stand es fifty-fifty. Zum Glück für uns beide wählte er die Flucht und zerrte am Griff, aber natürlich blieb die Tür zu. Zentralverriegelung. Aus Großzügigkeit drückte ich auf den Öffner, und er fiel auf die Straße, rappelte sich auf und hatte es so eilig zu verschwinden, dass er fast über seine Füße gestolpert und dann beinahe von einem Doppeldeckerbus überfahren worden wäre.

Ich sah zu, wie er dem Gehweg und der vermeintlichen Freiheit entgegensauste. Es wäre klug gewesen, ihn laufen zu lassen – weniger Aufwand in jeder Hinsicht. Doch eine Stimme im Hinterkopf sagte mir, er werde seine schändliche Tat nur aufs Neue versuchen, und zwar bei Leuten, die sich weniger gut zur Wehr setzen konnten als ich. Das durfte ich nicht zulassen. Ich verdrehte die Augen. An manchen Tagen wäre ich gern gewissenlos.

Ich zählte leise bis drei, hob die Hand und zeichnete eine weitere Rune. Es knackte laut, und ein dicker Ast krachte meinem Möchtegern-Angreifer auf den Kopf. Sofort brach er zusammen.

»Bleib hier«, raunte ich dem Taxi zu, schob die Hände in die Taschen und schlenderte pfeifend zu dem Knallkopf, der mir den Tag verdorben hatte.

Ein Auto hielt; eine dunkelhaarige Frau sprang heraus und rannte zu dem Verletzten. Aus ihrer Perspektive war er das Opfer einer Baumattacke; dabei hatte er nur seine gerechte Strafe erhalten.

Ich erreichte die Frau, als sie nach dem Ast griff. »Das würde ich an Ihrer Stelle lassen«, meinte ich.

Sie sah zu mir hoch. »Der Mann ist gefangen! Er braucht unsere Hilfe.« Wieder zerrte sie an dem Ast, bewirkte aber nur, dass Zweige sich in ihre Designerjacke bohrten und der teure Stoff mit lautem Geräusch riss. Ich zuckte zusammen.

»So fügen wir ihm womöglich nur größeren Schaden zu. Es ist immer besser, auf die Profis zu warten«, riet ich ihr. »Und glauben Sie mir: Der Kerl ist die Mühe nicht wert.«

Sie schüttelte bestürzt den Kopf. »Eben geht man noch nichtsahnend die Straße entlang und isst eine Banane, und im nächsten Moment liegt man unter einem Baum.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe. »Von einem Baum würde ich in diesem Fall nicht reden. Der steht ja noch.« Ich betrachtete die Banane, die der Mann noch immer in der Hand hielt. Hmm. Dann sah ich die Frau an. »Haben Sie ein Telefon dabei? Sie sollten die Polizei rufen.«

Mit vor Anstrengung geröteten Wangen wandte sie mir keuchend den Kopf zu. »Die Polizei? Der Mann braucht einen Krankenwagen!«

»Er ist mit gezückter Pistole auf der Straße gelaufen«, wandte ich ein.

»Mit einer Pistole? Aber …« Sie sah wieder zu Boden und stockte. Umkehr-Runen sind für viele Hexen schwierig, vor allem, wenn sie nur ein oder zwei Sekunden Zeit haben und praktisch noch Neophyten sind, also auf der untersten Stufe stehen. Aber ich bin keine typische Hexe.

Der Dunkelhaarigen klappte die Kinnlade runter, und sie trat einen Schritt zurück. »Ich hätte schwören können, dass das eine Banane war.«

Ich warf ihr ein beruhigendes Lächeln zu. »Unter Schock kann so was schon mal passieren. Ihr Gehirn hat beim Anblick der Waffe Panik bekommen und wollte die Wahrheit nicht sehen. Das geschieht in Stresssituationen mitunter.«

Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Sonst bin ich unter Druck ganz ruhig. Aber es war ein langer Tag.«

Da war ich ganz ihrer Meinung. Betrübt dachte ich an mein Sofa und daran, wie viel Zeit mich die Aussage bei der Polizei kosten würde.

Als ich meinen Mietblock erreichte, war es schon dunkel und die Luft eisig kalt. Ich hatte mich arg verspätet. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte ich meinen üblichen Parkplatz neben der Haustür bekommen. Stattdessen schienen alle Nachbarn bereits von der Arbeit zurück zu sein und sich die besten Plätze geschnappt zu haben. Mit finsterer Miene trottete ich zur Haustür. Ich brauchte ein langes heißes Bad mit Kerzen, Schokolade und Wein. Viel Wein.

»Ivy!«

Der aufgedrehte Ruf von der anderen Straßenseite ernüchterte mich, doch ich setzte ein Lächeln auf und wandte mich Eve zu. »Hallo, kommst du gerade von der Arbeit?«

Mit schaukelndem Pferdeschwanz kam sie angetrabt und strahlte mich mit tadellosen Zähnen an. »Hab schon um sechs Schluss gemacht und die Zeit für ’ne Runde Laufen genutzt.«

Ich musterte ihren in Lycra gekleideten Körper und raunte: »Schön für dich.« Nicht dass ich sechs Uhr für früh gehalten hätte, da sie das Haus meist morgens um halb sechs verließ. Das wusste ich, weil ich mir im Vormonat bis ins Koma diverse Staffeln Verwünscht angesehen hatte und erst bei Sonnenaufgang ins Bett gekrochen war, zu der Zeit also, zu der Eve zur Arbeit ging.

»Du solltest mal mitlaufen – eine wirklich belebende Art, den Tag zu beenden.«

Ich widerstand der Versuchung, sie darauf hinzuweisen, dass sie groß, fit und schlank ist, während ich eher zu den Kleinen, Dicklichen gehöre und meine Brüste mir beim Laufen womöglich ein Auge ausschlagen, Sport-BH hin oder her. Ich mag Eve, aber sie kann »Auf keinen Fall!« einfach nicht als Antwort akzeptieren. Besser gar nicht darauf eingehen und hoffen, dass sie rasch das Gesprächsthema wechselt.

»Wie läuft’s bei dir in der Arbeit?«, fragte ich.

Zum Glück brachte die Erwähnung ihres Lieblingsthemas ihre Augen zum Strahlen, und jeder Gedanke daran, mich ihrem Fitnessprogramm zu unterwerfen, war wie weggeblasen. »Prima. Echt klasse. Die Basisrunen beherrsche ich schon in- und auswendig. Und Omen aus dem Verhalten von Ratten und Mäusen zu lesen, hab ich auch schon gut drauf. Mein Betreuer meint, nächsten Monat kann ich die Prüfungen für die Zweite Stufe ablegen. Vielleicht werde ich sogar in die Arkane Abteilung befördert.«

Bei diesem Gedanken hüpfte sie vor Begeisterung von einem Fuß auf den anderen. Eve lebte für den Orden, atmete seine Luft und träumte womöglich auch von ihm. Vom Heiligen Orden der Magischen Erleuchtung, um ihn beim offiziellen Namen zu nennen. Die meisten Leute machen sich nicht die Mühe, ihn zu verwenden – vermutlich, weil er weniger nach der allumfassenden und allmächtigen magischen Organisation für fast alle Hexer und Hexen Großbritanniens klingt, sondern eher nach einer Hippie-Enklave voll fröhlicher Geistlicher.

»Meinst du denn, dass du dich in der Arkanen Abteilung wohlfühlst? Sind die Typen dort nicht zu sittenstreng und streberhaft, düster und fanatisch?«

»Ivy!« Sie stupste im Scherz meinen Arm an, doch mit so viel Kraft, dass ich zusammenzuckte. »Die Arkane Abteilung, da spielt die Musik! Natürlich sind die Leute dort ernsthaft – immerhin machen sie die wichtigste Arbeit im ganzen Land. Ohne sie würde das Chaos auf den Straßen ausbrechen.« Tadelnd hob sie die Brauen. »Sie verdienen unseren höchsten Respekt.«

Ja, ja. Ich wollte Eve nicht die Stimmung verderben. »Du hast recht«, log ich. »Sie sind wunderbar.«

Eve nickte mit der glühenden Begeisterung einer wahrhaft Gläubigen. »Hoffentlich bin ich gut genug, um ihren Ansprüchen zu genügen und zu ihnen zu stoßen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Machst du Witze? Falls sie dich nicht wollen, dann nur aus Sorge, du könntest sie vorführen.« Das war nicht gelogen; Eve mochte nach meinem Geschmack zu sehr für den Orden schwärmen, aber ihre Hingabe und ihr Talent konnte ich nicht leugnen. »Die werden froh sein, dich zu bekommen.«

Sie lächelte. »Danke, Ivy.« Nach einer kurzen Pause fragte sie: »Und wie war dein Tag?«

Ich bügelte ihre Frage leichthin ab. »Wie immer.« Dazu grinste ich. »Du kennst mich ja. Und ehe du was sagst: Keine Sorge – ich habe nicht vergessen, dass du morgen verreist.«

»Und das ist wirklich in Ordnung? Ich würde ihn ja mitnehmen, aber …«

»Du möchtest nicht aller Welt zeigen, dass du eine Hexe bist.«

Eve verzog das Gesicht. »Diesmal nicht. Da muss man diskret vorgehen. Und ich bin ja nur vier, fünf Nächte weg.«

»Ich kümmere mich sehr gern um deinen Gefährten, Eve. Ehrlich.« Mit Katzen kam ich klar, vor allem, wenn es nicht meine eigenen waren.

»Du hast echt was bei mir gut.«

Beinahe hätte ich ihr vorgeschlagen, als Gegenleistung meine Wohnung zu putzen. Wir betraten das Haus, und Eve hielt auf die Treppe zu. Als sie merkte, dass ich nicht nachkam, sah sie sich um.

»Hab mir das Fußgelenk verknackst«, behauptete ich. »Alte Sportverletzung. Ich nehme den Aufzug.«

Sie runzelte die Stirn. »Klingt schmerzhaft. Wenn du Bandagen brauchst, sag Bescheid. Und ich kenne einen tollen Physiotherapeuten.«

Ich winkte ab. »Geht schon. Aber danke.« Mit dem Kopf wies ich zur Treppe. »Lauf nur.«

»Wenn du meinst …«

Großer Gott. Ich musste mir bessere Ausreden ausdenken, denn langsam plagte mich mein Gewissen. »Klar.«

»Gut, pass auf dich auf.« Eve lächelte strahlend und sprintete die erste Treppenflucht hinauf. »Bis später, Ivy!«

Ich drückte den Aufzugknopf und ließ mich an die Wand sinken. Eve auszuhalten war Schwerstarbeit.

In der Wohnung ließ ich sofort die Tasche fallen und warf mich aufs Sofa, um das Gesicht in die Kissen zu versenken. Herrlich!

Von irgendwo oben kam ein gereiztes Fauchen. »Futter.«

Mühsam hob ich den Kopf. »Hallo, Brutus.«

Mit seinen gelben Augen starrte er mich an, ohne zu blinzeln. »Futter, Miststück.«

Ich seufzte. »Ich hab’s dir doch schon oft genug gesagt. Wenn du mich so nennst, bekommst du nichts zu fressen.«

»Futter.«

»Lass mich kurz entspannen.«

»Futter.«

»Ich würde mir vorher gern einen Tee machen.«

»Futter.«

»Halt’s Maul.«

»Futter.«

Fluchend stand ich auf und humpelte in meine kleine, aber perfekt eingerichtete Küche. Die Reste des Frühstücks standen noch auf dem Tresen. Ich stellte das Geschirr in die Spüle und öffnete den Wasserhahn, während Brutus weiter nölte. »Futter. Futter. Fut-ter.«

Seufzend nahm ich eine saubere Schüssel, öffnete eine Dose und musste angesichts des vertrauten Thunfischgeruchs leicht würgen. Ich löffelte die Hälfte raus und stellte sie dem Kater hin. Brutus kam und schnüffelte reserviert daran, während ich den Wasserhahn zudrehte.

»Futter.«

»Ich hab dir gerade was hingestellt«, sagte ich mit zähneknirschend.

Zutiefst angewidert über das Angebot schlug er nach der Schüssel. Verärgert sah ich ihn an. »Letzte Woche hat dir das geschmeckt.« Er wandte den Kopf ab. Nicht mal anschauen wollte er den Fisch. »Brutus …«

Ein leises Knurren drang aus der Tiefe seiner Kehle. Ich verschränkte die Arme. Er gab keinen Zentimeter nach. »Fut…«

»Gut«, unterbrach ich ihn. Manchmal ist der Weg des geringsten Widerstands der beste. Ich öffnete den Schrank, nahm eine andere Geschmacksrichtung heraus und hielt sie ihm hin. Als Antwort kam nur ein kurzes Schnurren. Augenrollend warf ich den Inhalt der ersten Dose weg und gab ihm den der zweiten. Dann stapfte ich zum Telefon und bestellte mir eine Pizza.

2

Leider wurde meine Woche danach nicht besser, ganz im Gegenteil. Wäre mir klar gewesen, wie lausig mein Leben bald darauf werden würde, wäre ich am Freitag gar nicht erst aufgestanden.

Obwohl Brutus auf meiner Brust thronte und dauernd nach seinem Frühstück verlangte, überlegte ich, mir die Decke über den Kopf zu ziehen. Darunter war es so warm und gemütlich. Solange ich indes nicht aufstehen und den Kater aus dem Fenster werfen würde, fände ich weder Ruhe noch Frieden. Ihn rauszuwerfen würde jedoch nur noch mehr Mühe machen. Zwar hätte Brutus sich sicher nicht verletzt – er hatte erst zwei seiner neun Leben verbraucht, was für ein Tier seines Alters und Temperaments recht gut war –, doch nachdem mein versehentlicher Tritt auf seinen Schwanz mir einmal sieben volle Tage Katzenhass eingetragen hatte, in denen ich die Türen meiner Wohnung nur voller Angst öffnen konnte, fürchtete ich die Vorstellung, was ich mir als Reaktion auf den Flugunterricht einhandeln würde.

»Ich steh ja auf«, sagte ich. »In zwei Minuten.«

»Futter.«

»Lass das.«

Ich versuchte, mich noch mal zu entspannen, was mir nicht schwerfiel. Gerade glitt ich zurück ins wunderbare Land behaglichen Schlummerns, da fuhr mir eine Pfote mit genau kratzweit ausgestreckten Krallen über die Haut, genauer: über die Wange. Ich öffnete ein Auge. Vermutlich hatte Brutus exakt die zwei versprochenen Minuten lang gewartet.

»Futter.«

»Ja, ja.«

Seufzend reckte ich einen Fuß unterm Federbett hervor. Es war eisig. Stöhnend zog ich ihn zurück. Brutus näherte sich erneut meinem Gesicht, doch ich wich seinen Aufmerksamkeiten aus, indem ich den Kopf tief ins weiche Kissen drückte.

Ich würde es schaffen. Auf drei.

Eins.

Zwei.

Drei.

Keine Bewegung. Mit zusammengebissenen Zähnen wappnete ich mich, versuchte es erneut, sprang ernstlich auf, schoss zum Morgenmantel an der Schlafzimmertür, schlang ihn um mich, rannte los und fragte mich, warum ich in einer Wohnung mit herrlich poliertem Parkettboden lebte, der meine Füße erfrieren ließ, und keinen zentimeterdicken Flauschteppich hatte auslegen lassen. Wo zum Teufel waren eigentlich meine Hausschuhe?

Von einem Fuß auf den anderen springend flitzte ich in die Küche, setzte den Teekessel auf, riss den Schrank auf, in dem sich die kleine Heiztherme verbarg, und besah mir das Gerät. Keine Besonderheiten, es war in der Nacht nicht kaputt gegangen. Warum funktionierte es dann nicht? Wieso war meine Wohnung eiskalt und unbehaglich?

Mehrmals schlug ich mit der Hand dagegen. Einmal gurgelte es seltsam; sonst tat sich nichts. Naserümpfend dachte ich nach. Ich kannte verschiedene Runen, mit denen sich Feuer machen ließ, hatte aber nie Gelegenheit gehabt, sie anzuwenden. Außerdem wäre es vermutlich nicht klug, die eigene Wohnung in Brand zu stecken.

Ich nahm eine Schüssel und gab Brutus sein geliebtes Trockenfutter. Dann machte ich mir einen Tee, wärmte mir die eisigen Finger am Becher und erwog meine Möglichkeiten. Das Problem mit der Magie ist, dass sie lange überliefertes Wissen und alte Kenntnisse beinhaltet, die kaum etwas mit Technologie zu tun haben. Für das Verhältnis der mystischen Künste zu den Errungenschaften des einundzwanzigsten Jahrhunderts gilt wohl: Beide werden nie zueinanderfinden. Sollten sie es doch tun, ist mit Explosionen, gewaltsamen Todesfällen und der Wahrscheinlichkeit zu rechnen, in einen Hagelsturm aus Glasscherben und Hornissenstichen zu geraten.

Ich erwog also meine Optionen. Was hatte ich der guten Samariterin tags zuvor gesagt? Manches überlässt man besser den Profis! Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Eve war sicher schon Richtung Norden unterwegs. Also konnte ich in ihre Wohnung zischen, nach ihrer Katze sehen, einen Klempner rufen und im Warmen warten. Dieser Plan erschien mir brillant. Weise nickte ich vor mich hin.

Brutus stieß den Kopf gegen mein Schienbein; ich hockte mich hin und kraulte ihn hinter den Ohren. »Hier ist es kalt«, sagte ich überflüssigerweise. »Ich gehe rüber zu Eve, füttere Harold und warte, bis Hilfe kommt. Der heilige Bernhard mit einer Notration Rum wäre mir jetzt sehr recht. Komm gern mit, wenn du magst.«

Er warf mir einen verächtlichen Blick zu. Zwar hatte er es nie ausgesprochen, aber ich hatte den starken Eindruck, dass er Harold – vielmehr Harold Fitzwilliam Duxworthy III., um Eves Gefährten mit vollem Titel zu nennen (Hexen lieben pompöse Titel und weit verzweigte Stammbäume) – als ein Wesen ansah, das unter ihm stand. Darum entzog er sich auch meinem Angebot, ihn zu streicheln, und wandte sich lieber ab, um mir den Hintern zu zeigen und nach einem morgendlichen Sonnenstrahl zu suchen. Ich sah auf die Uhr: gut, nach einem nachmittäglichen Sonnenstrahl. Aber es war erst kurz nach Mittag. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich mit Brutus gemeckert hatte, obwohl er sehr geduldig gewesen war und mich lange hatte schlafen lassen.

»Tut mir leid!«, rief ich ihm hinterher. »Mir war nicht klar, wie spät es schon ist.«

Keine Antwort. Ich zuckte die Achseln. Um nicht noch mehr Zeit und Körperwärme zu verschwenden, schnappte ich mir Eves Schlüssel und schlüpfte in die Gummistiefel, die ich im Vorjahr gekauft hatte, um den so spontanen wie unsinnigen Plan umzusetzen, Kräuter sammeln zu gehen. Seitdem hatten die Stiefel unbeachtet in der Ecke gelegen.

Ich schlang mir den Morgenmantel fester um den Leib und schlüpfte in den Hausflur. Zum Glück war niemand unterwegs. Keinesfalls sollte der attraktive Mann aus Wohnung 23 mich in abgetragenem Morgenrock und zerzaustem Haar herumhuschen sehen, obwohl das eine aussichtsreiche Gelegenheit gewesen wäre, ihn aufzufordern, sich mein Bett mal genauer anzusehen. Ich flitzte zu Eve, schloss ihre Tür auf und huschte in die Wohnung.

Dort war ich nicht zum ersten Mal. Um Harold hatte ich mich schon öfter gekümmert, wenn Eve beruflich unterwegs war, und einmal hatte ich mich auf eine Party gewagt, mit der sie ihren Chef hatte beeindrucken wollen. Leider hatte ich ihn versehentlich für einen der Müllmänner gehalten, die hier die Tonnen leeren und für alle ein Lächeln und ein freundliches Wort übrig haben. Als ich ihn fragte, wie es denn laufe im Entsorgungsgeschäft, nahm er an, ich gehöre zu einem der vielen Zirkel von Hexenhassern, und schien drauf und dran zu sein, mich zu erdrosseln. Ich entschuldigte mich wortreich, aber die Lage wurde nur schlimmer, als Eve mich ihm vorstellte, um die Wogen zu glätten. Natürlich erinnerte er sich an meinen Namen. Auch wenn es Jahre her war, dass ich mit dem Orden zu tun gehabt hatte: Für die höheren Chargen der Zweiten und Dritten Stufe war ich weiter nur Dreck. Aber was soll’s.

Wie immer staunte ich, wie sauber alles bei Eve war. Dabei hatte sie nicht mal eine Putzhilfe. Vielleicht ermöglichte ihr eine komplizierte Abfolge von Runen, alle Zimmer auf magische Weise tipptopp zu halten, doch ich vermutete, dass sie dafür nichts anderes als Muskelschmalz verwendete. Die arme Frau sollte öfter unter Menschen gehen.

»Harold«, rief ich. »Harold! Ich bin’s, Ivy. Von nebenan.«

Der Kater antwortete nicht. Ob ich Eves Gefährten gegenüber zu vertraulich aufgetreten war? Ich versuchte es erneut. »Harold Fitzwilliam Duxworthy III. – bist du da?«

Aus dem Wohnzimmer drang ein leises Miau. Stirnrunzelnd folgte ich dem Geräusch und öffnete die Tür gerade noch rechtzeitig, um einen kleinen braunen Umriss mit vollem Tempo über den Couchtisch schießen zu sehen. Im nächsten Moment flog Harold ihm hinterher, stieß mehrere schwarze Kerzen um und ließ einen Jahresvorrat an Bienen-Zauberblütenstaub auf Eves makellosem Boden niedergehen. Gequält schnappte ich nach Luft, denn ich wusste, wie teuer das Zeug war. Dann nieste ich dreimal und verzog das Gesicht.

»Wer freitags niest, der niest aus Weh«, murmelte ich vor mich hin. Nein, das war kein gutes Vorzeichen.

Den Blütenstaub ließ ich, wo er war, und schob mich um den Tisch, um Harold zu finden und zu sehen, was er da gejagt hatte. Er saß zwischen Wand und Sofa gezwängt und starrte gebannt und mit riesigen Pupillen auf etwas unter ihm. Ich packte den Kater und handelte mir ein Jaulen und einen fiesen Kratzer ein. Daraufhin brachte ich ihn in die Küche, schloss die Tür hinter ihm ab, ging auf alle viere und spähte unters Sofa. Im Halbdunkel der Zimmerecke konnte ich eine winzige zuckende Nase und zitternde Schnurrhaare erkennen. Eine Maus.

Ich richtete mich auf. Ha! Eve hatte gesagt, sie mache Fortschritte darin, das Verhalten von Ratten und Mäusen als Omen zu lesen. Vermutlich sauste das kleine Geschöpf also nicht deshalb hier herum und richtete Schäden an, weil sich in Eves Wohnung ein Mäusenest befand, sondern weil sie das Tier dazu nutzte, ihre Fertigkeiten zu verbessern. Gedankenverloren tippte ich mir an die Lippen. Die Kunst, das Verhalten von Nagetieren zu interpretieren, hatte ich lange nicht mehr praktiziert – ob ich sie noch beherrschte?

Ich entspannte mich, leerte mein Bewusstsein, wie es mir einst beigebracht worden war, und konzentrierte mich auf die Maus. Einen langen Moment rührte sie sich nicht, doch als ich den kleinen Finger krümmte, kam sie angehuscht. Geräuschlos atmete ich aus. Ich konnte es also noch.

Mit geöffneter Hand griff ich unters Sofa. Sofort kam die Maus zaghaft näher. Ihre kleinen Pfoten kitzelten mich. Ich ließ ihr etwas Zeit, sich mit der Lage anzufreunden und zog die Hand dann langsam hervor. Nachdem ich aufgestanden war, hob ich das Tier hoch und sah ihm in die glänzenden Augen. »Also, Monsieur«, begann ich, und die Maus zuckte zusammen. »Pardon: Madame.« Schon entspannte sie sich wieder.

»Was hast du mir zu sagen?« Ich sandte ihr eine Ranke aus Magie zu. »Mir käme ein Glücksfall jetzt sehr gelegen.«

Die Maus zitterte und legte den langen Schwanz auf meine Finger. Als habe ihr Tun sie erschreckt, fuhr sie herum, stürzte sich auf meinen Daumen und biss hinein. Aufschreiend ließ ich das Tier fallen. Aus der Küche hörte ich Harold fauchen und an der abgeschlossenen Tür kratzen. Der kleine Nager raste in die Sicherheit des Sofas zurück, und ich starrte auf die Blutstropfen, die aus meiner Haut drangen. Das war gar nicht gut.

Bevor ich erneut nach der Maus suchen konnte, klopfte es laut, und ich fluchte. Eve war um diese Zeit nie zu Hause – wer sollte jetzt etwas von ihr wollen? Ich schlurfte zur Wohnungstür, öffnete und sah zwei Gestalten im Flur stehen.

Weil die mir am nächsten Person einen roten Kapuzenumhang trug, brauchte man kein Genie zu sein, um zu wissen, um wen es sich handelte: Trottel vom Orden. Trottel zudem, die in offizieller Mission gekommen waren. Aber ehrlich: Hatten sie denn die eigenen Zeitpläne nicht überprüft, bevor sie sich auf den langen Weg hierher machten?

Mein Blick glitt zum zweiten Mann, zu seinem dunklen, kurz geschnittenen Haar, seinem kantigen, rasierten Kinn. Eine Narbe lief ihm vom Ohr bis fast zur Nase, lenkte aber nicht von seinem Erscheinungsbild ab, sondern verlieh ihm allenfalls eine wunderbar gefährliche Ausstrahlung. Stechende blaue Augen musterten mich ausdruckslos. Dieser Abgesandte war weniger ein Trottel, eher ein wandelndes Abziehbild kraftstrotzender Männlichkeit.

»Eve Harrington«, verkündete der Kerl im roten Umhang. »Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie auf Probe in den Zweiten Ordensrang aufgenommen wurden.«

Mir fiel die Kinnlade runter. Eve hatte mir am Vorabend erst erzählt, sie habe nicht mal die Prüfungen abgelegt. Sie war wirklich ein aufgehender Stern am Ordenshimmel. Ehe ich erklären konnte, dass Eve nicht zu Hause war, packte der im roten Umhang mich schon am Arm und fing an zu raunen.

»He!«, protestierte ich. Leider war es zu spät. Viel zu spät.

»Für die nächsten 588 Tage sind Sie Raphael Winter verpflichtet und vollziehen in dieser Zeit Ihren endgültigen Übergang auf die Zweite Stufe des Heiligen Ordens der Magischen Erleuchtung. Er wird Ihr Mentor und Führer sein, während Sie beide für unsere glorreiche und hochverehrte Einrichtung arbeiten.« Einen Moment funkelten seine Augen, und seine Stimme wurde weich. »Glückwunsch. Sie können sich glücklich schätzen, ihn zum Partner zu haben. Gewiss werden Sie beide zusammen Großes vollbringen.«

Mein Arm kribbelte schmerzhaft, während die Bindung mir ins Fleisch schnitt und sich um meine Seele legte. Tief erschrocken starrte ich den Abgesandten des Ordens an. Was hatte er nur getan? »Sie … Sie …« Mein Kiefer arbeitete, doch ich brachte kein Wort über die Lippen.

Der andere Mann trat vor, und ich begriff: Was ich für einen Mangel an Gefühlen gehalten hatte, war bloß Hohn und Enttäuschung. »Vielleicht sollten Sie sich zu diesem feierlichen Anlass etwas angemessener kleiden, Miss Harrington.«

Feierlicher Anlass? Er mochte wie ein Sexsymbol aussehen, war aber offenbar ein aufgeblasener Knallkopf. Ein lächerlich aufgeblasener Riesenknallkopf. Ein lächerlich aufgeblasener Riesenknallkopf, der die Wahrheit auch dann nicht erkannte, wenn sie ihm direkt ins Auge sah. Ich hatte von Anfang an recht gehabt: noch so ein Trottel vom Orden.

»Sie Dummbeutel.« Die Männer runzelten die Stirn. »Sie Mega-Dummbeutel.« Ich schüttelte den Kopf. »Haben Sie auch nur eine vage Vorstellung davon, was Sie angerichtet haben? Ich bin nicht Eve Harrington! Sehe ich aus wie eine Brünette von ein Meter achtzig?« Ich wies auf mein blondes Haar und meine kleine, mollige Gestalt. »Ich bin Eves Nachbarin und habe nach ihrer Katze gesehen. Eve ist nicht zu Hause – sie ist wegen einer Ordenssache in den Norden gefahren!« Ich kratzte mich wild am Arm. »Und jetzt lösen Sie die verdammte Bindung wieder!«

Der im roten Umhang wurde bleich und starrte mich mit großen Augen an. »Sie machen Witze, nicht wahr?«

Ich stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn zornig an. »Seh ich etwa so aus?«

»Aber Sie müssen eine Hexe sein«, polterte er. »Der Bindungszauber hätte sonst nicht funktioniert.«

»Natürlich bin ich eine Hexe«, fauchte ich. »Aber keine der Ersten Stufe. Nicht mal Neophytin bin ich. Denn ich gehöre Ihrem bescheuerten Orden nicht an!«

Beide sahen schockiert drein. Ganz großartig. »Sie sind eine Hexe, aber kein Ordensmitglied?«

»Meinen Sie das ernst? Das ist schließlich nicht zwingend vorgeschrieben.«

Der im roten Umhang blinzelte nervös. »Stimmt, aber wer irgendwie Macht besitzt …«

»Lassen Sie mich in Ruhe!« Er drückte sich nicht mal akkurat aus: Es gibt eine ganze Gruppe von Hexen mit viel Macht, die den Orden meiden wie die Pest. Sie haben ihren eigenen Hexenzirkel geschaffen und sich unsinnigerweise verschworen, den Orden zu stürzen. Ich gehöre nicht zu ihnen – aber das bedeutet nicht, dass es diese Hexen nicht gibt. Ganz zu schweigen davon, dass die Hälfte jener Einwohner, die keine Hexen sind, über magische Fähigkeiten verfügt, wenngleich sie meist schwach und kaum bemerkbar sind. »Dass die große Mehrzahl der Hexen sich registrieren lässt, bedeutet nicht, dass das alle tun.« Ich holte tief Luft und versuchte, ruhig zu bleiben. »Und jetzt befreien Sie mich von dem verdammten Bann.«

Sie tauschten einen Blick. »Vielleicht sollten wir reingehen.«

Um diese Volltrottel für immer loszuwerden, würde ich sogar splitternackt Cancan tanzen. Also winkte ich sie über die Schwelle.

Der im roten Umhang schlurfte Richtung Wohnzimmer. Sein nerviger, aber attraktiver Begleiter stolzierte hinterher, als gehörte ihm das Haus. Als er den verstreuten Blütenstaub sah, hob er eine dunkle Braue. »Haben wir Sie gestört?«

»Zufällig schon«, antwortete ich erbost und verschränkte die Arme. »Wie konnten Sie nur so dumm sein? Prüfen Sie Ihre Unterlagen denn nicht, ehe Sie losziehen und Leuten willkürlich magische Seelenbindungen auferlegen?«

Seine Miene wurde eisig. »Das ist die Wohnung von Eve Harrington. Sie lebt allein. Sie haben auf unser Klingeln geöffnet, und zwar«, er musterte mich von oben bis unten und verzog dabei doch tatsächlich den Mund, »in dem … Ding da. Der gesunde Menschenverstand konnte nur annehmen, dass …«

Ich trat an ihn heran. »Vorsicht! Wagen Sie nicht, mit gesundem Menschenverstand zu argumentieren, obwohl eindeutig keiner von Ihnen ein Fünkchen davon besitzt. Haben Sie zuvor nicht überprüft, ob Eve eventuell verreist sein könnte?«

In seiner Wange zuckte ein Muskel. »Dessen waren wir uns nicht bewusst.«

»Ach nein?«, höhnte ich. »Das ist ja ein großartiger Orden. Sie wissen nicht mal, wo Ihre Leute stecken, obwohl Sie sie selbst weggeschickt haben?«

»Das alles lässt sich bestimmt klären.« Er warf dem im roten Umhang einen raschen Blick zu. »Biggins? Lösen Sie ihre Bindung. Lassen wir diese … Person gehen.«

Ich verdrehte die Augen. Er hätte nicht herablassender klingen können, wenn er ein Bad im Meer der Geringschätzung genommen und seine Haare in Hohn gewaschen hätte. »Ja, Biggins«, setzte ich in seinem Tonfall hinzu, »lösen Sie die Bindung.«

Biggins hüstelte. Seine Wangen wurden rot, und in meiner Magengrube machte sich ein ganz ungutes Gefühl breit. »Nun, Adeptus Winter«, wandte er zögernd ein, »die Sache ist die …«

»Ja?«

Biggins kratzte sich im Nacken. »Alle wussten, dass Sie nicht erpicht darauf waren, einen Lehrling anzunehmen.«

»Und?« Winter blickte so eisig, als wollte er seinem Namen alle Ehre machen.

»Ipsissimus Smythe wollte nicht, dass Sie Ihre Meinung ändern, falls Sie mal, äh …« Biggins war nun puterrot geworden. So lächerlich die Situation war, betrachtete ich sie doch fasziniert.

»Falls ich mal was?«

»Falls Sie mal gelangweilt oder verärgert wären.«

»Was soll das heißen?«, fuhr Winter ihn an.

Ich seufzte. »Ist das nicht offensichtlich? Weil Sie andere gern drangsalieren und ihnen übel mitspielen, hat er eine unauflösliche Bindung hergestellt.«

Winters blaue Augen wurden schmal. »Ich drangsaliere nicht, ich habe bloß hohe Anforderungen.« Er straffte sich. »Und keine Bindung ist unauflöslich.«

Er war weniger schlau, als er dachte. Ich verabscheue Kräuterkunde, weiß aber trotzdem einiges darüber. »Na ja«, sagte ich, »wenn Sie bei Ihren Vorbereitungen Lavendelessenz mit einem Hauch rotem Klee vermischen und obendrein die richtige Runen-Kombination verwenden, können Sie eine unauflösliche Bindung schaffen.« Ich warf Biggins einen Blick zu. »Stimmt’s?«

Er wirkte erleichtert darüber, dass ich die Antwort geliefert hatte. »Stimmt.«

Ich verabscheue es, solche Dinge zu wissen.

»Ich wusste von Anfang an, dass es besser wäre, Tarquin zu nehmen«, brummte Winter. Ich straffte mich sofort, und er warf mir einen Blick zu. »Ich habe Miss Harrington gewählt, weil sie ihr Fach glänzend beherrscht. Ich brauche einen Lehrling, der scharfsinnig, fleißig und stets bereit ist, mehr als das zu tun, wozu er verpflichtet ist. Meine Arbeit ist nicht belanglos und darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden.«

Oha. Große Worte. Ich ging nicht auf ihn ein, sondern wandte mich an Biggins. »Wie genau sieht die Bindung aus?«, fragte ich.

Er schluckte schwer. »Sie gilt 588 Tage.«

»Ja«, sagte ich ungeduldig. »Das hab ich mitbekommen. Eine wichtige magische Zahl. Und weiter?«

»Sie beide dürfen sich nie weiter als acht Kilometer voneinander entfernen.«

Ich zuckte zusammen. Das würde es schwer machen, als Taxifahrerin zu arbeiten. Aber vielleicht konnte ich beim Orden einen Antrag auf Zahlung des Verdienstausfalls stellen und die nächsten zwei Jahre blaumachen. »Sonst noch was?«

Biggins räusperte sich. »Alle Arbeiten müssen gemeinsam erledigt und sämtliche Ermittlungen dürfen nur zusammen durchgeführt werden.«

Das war schlimmer als befürchtet. Ich holte tief Luft. »Dann ist es einfach. Winter, Sie nehmen Langzeiturlaub, bis die Bindung gelöst wird. Und wir bleiben in Oxford, damit nichts Unerwünschtes geschieht.« Ich nickte vor mich hin. »Damit wäre die Sache erledigt.«

Winter funkelte mich an. »Erstens reden Sie mich in Zukunft mit Adeptus Exemptus Winter an.«

Ich hob die Brauen. Er stand ganz oben auf der Zweiten Stufe. Ob er eine eigene Abteilung leitete? Durchaus möglich. Zwar wirkte er für so viel Macht ziemlich jung, aber was wusste ich schon davon?

»Zweitens«, fuhr er fort, »nehme ich keinen Urlaub. Sie wissen offenbar einiges darüber, wie der Orden funktioniert, und verfügen über allerlei praktisches magisches Wissen. Wir werden zusammenarbeiten und diese Sache«, er verzog vor Widerwillen den Mund, »irgendwie durchstehen.«

»Kommt nicht infrage.«

»Hören Sie …«

Ich richtete mich zu voller Größe auf. »Nein, Adeptus Exemptus Winter, Sie hören mir zu. Ich habe ein Leben. Ich will dem Orden nicht angehören. Sie können mich nicht zwingen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Außerdem«, setzte ich hinzu und zog meinen Trumpf, »können Sie all Ihre Ersparnisse darauf wetten, dass der Orden mich nicht haben will.«

Biggins löste seinen Umhang, als fühlte er sich eingeengt. »Wie war Ihr Name doch gleich?«, fragte er.

Ich lächelte ihn an. »Ivy Wilde.«

Er zuckte zusammen. »Oha.«

Mein Lächeln wurde breiter. »Da sagen Sie was.«

3

Biggins huschte davon, um dem Orden Bericht zu erstatten und zu ermitteln, ob der Bann sich lösen ließ: eine Besprechung, bei der ich zu gern Mäuschen gewesen wäre. Stattdessen gab ich Harold zu fressen und ging mit Winter in meine Wohnung. Kaum hatte ich die Tür geöffnet und gemerkt, dass es bei mir kälter war als im zugigen Flur, fiel mir ein, dass ich den Klempner ärgerlicherweise nicht gerufen hatte. Immerhin war das ein Problem, für das ich eine Lösung finden konnte.

Winter ließ den Blick durch mein Wohnzimmer schweifen. Es war nicht schwer zu erraten, was er dachte. Zwar lag kein Blütenstaub auf dem Boden, aber bei mir war es nicht annähernd so proper wie bei Eve. Ich angelte meinen BH hinterm Sofa hervor und wirbelte ihn geistesabwesend am Zeigefinger herum. Winter starrte mich an, doch das war mir egal. Ich würde mich nicht dafür entschuldigen, dass meine Sachen in meiner Wohnung rumlagen.

»Also«, er wandte den Blick von meiner anstößigen Unterwäsche ab, »ich vermute, Sie sind darum kein Mitglied des Ordens, weil Sie es nicht über den Rang einer Neophytin hinausgebracht haben. Sie besitzen die nötige Intelligenz, verfügen aber nicht über genug Magie.«

»Raten Sie noch mal.«

Er wies auf meinen Daumen. »Jüngst hat ein Nager Sie gebissen. Sie können also nicht mal das Verhalten von Ratten und Mäusen deuten.«

Ich hob den Finger, an dem er Anstoß genommen hatte. »Diese Verletzung zeigt, dass ich ihr Verhalten sehr wohl deuten kann«, widersprach ich gelassen. »Es handelt sich um ein schlechtes Omen. Und prompt sind Sie aufgetaucht: die leibhaftige Verkörperung des Unglücks.«

»Ein Biss ist kein Omen.«

»Oh doch – wenn man so versiert ist wie ich.«

Er schnaubte. »Na bravo. Was können Sie überhaupt?«

Das hätte ich ihm möglicherweise erzählt, wenn er nicht so skeptisch geklungen hätte, aber ich musste ihm nichts beweisen. Er brauchte mich weit nötiger als ich ihn. »Was können Sie denn so?«, fragte ich zurück.

»Ich bin Adeptus Exemptus und dachte, meine Fähigkeiten seien offensichtlich.«

Dass ich darauf nichts erwiderte, war Antwort genug.

Winter zuckte die Achseln, als beweise mein Schweigen nur meine Nutzlosigkeit, und wechselte das Thema. »Wozu die Gummistiefel? Rechnen Sie mit einer Überschwemmung?«

»Die trage ich als Schutz vor den kläglichen Tränen von Ordenstrotteln wie Ihnen.«

In seinen Augen loderte Zorn. »Damit eine Sache klar ist, Miss Wilde: Ich bin hier der Boss. Bis wir diesen Schlamassel in Ordnung gebracht haben, befolgen Sie meine Anweisungen. Und Sie hören mit den Beleidigungen auf, halten Ihr vorlautes Mundwerk und stellen meine Geduld nicht länger auf die Probe.«

»War das eine Sache?« Ich neigte den Kopf zur Seite. »Waren es nicht fünf? Werden im Orden die Grundrechenarten nicht mehr gelehrt?«

Vermutlich war es für uns beide ein Glück, dass Brutus in diesem Moment hereinschlenderte und sich zu Füßen meines Gegners niederließ. »Wenigstens haben Sie einen Gefährten«, ächzte Winter und mied meinen Blick in dem klaren Bemühen, die Feindseligkeit zwischen uns zu verringern.

»Das ist Brutus.«

Mein Kater rollte sich auf den Rücken und sah zur Decke. »Streicheln«, forderte er.

Winter schrak drei Schritte zurück. »Ihr Gefährte hat gerade gesprochen.«

»Ja.«

»Streicheln«, verlangte Brutus erneut.

»Er will, dass Sie ihn streicheln«, sagte ich. Winter starrte mich mit seinen unfassbar durchdringenden blauen Augen an. »Ich habe ihn schon lange. Als ich jünger und begeisterungsfähiger war, hatte ich die großartige Idee, eine Methode zu entwickeln und zu vermarkten, wie Menschen mit ihren Haustieren reden und wie die ihnen antworten können. Nach vielen Versuchen hatte ich die richtige Abfolge von Runen gefunden, und Simsalabim: Brutus konnte sprechen.«

»Das hat funktioniert?« Winter musterte erst mich, dann die Katze. Noch immer schien er zu argwöhnen, ich würde bauchreden.

»Gewissermaßen. Brutus kann sprechen, beherrscht aber nur etwa zwanzig Worte, und die meisten sind nicht gerade nett. Ich habe den Plan fallen gelassen, mit meiner Beschwörung Millionen verdienen zu wollen, denn mir wurde klar, dass die Leute nur merken würden, dass ihre Katzen selbstsüchtige kleine Fieslinge sind, die sich für niemanden außer sich interessieren. Es wäre zu massenhaften Katzenaussetzungen gekommen, wenn die Halter erfahren hätten, was ihre Tiere wirklich zu sagen haben. Da schien es klug, die Magie für mich zu behalten.«

Winter blinzelte. »Verstehe.«

»Streicheln«, wiederholte Brutus. »Miststück.«

»Seien Sie nicht beleidigt. Das sagt er zu allen.« Ich zwinkerte Brutus zu und machte auf dem Absatz kehrt. Mir etwas Wärmeres anzuziehen, war jetzt das Wichtigste.

Ich ließ mir Zeit mit dem Umziehen. Winter konnte warten. Außerdem standen meine Haare in alle Richtungen ab, als hätte ich Elektroschocks bekommen. Sie zu einer Art Frisur zu bändigen, war nicht einfach.

Ob ich mein einziges Kostüm anziehen sollte? Aber dem Orden war es vermutlich ganz egal, was ich trug. In den Sachen steckte schließlich weiter Ivy Wilde. Also schnüffelte ich am Schritt der Jeans vom Vortag, kam zu dem Schluss, dass es da nichts zu meckern gab, und zog sie an – genau wie ein ausgeblichenes T-Shirt, auf dem der Schriftzug »Monkey Magic« prangte, der Titel einer japanischen Trickfilmserie aus den späten 90ern. Ha! Sollten sie doch denken, was sie wollten. Ich vervollständigte mein Outfit mit meiner neongrünen Bomberjacke. So würde mein Erzfeind mich wenigstens im Gewühl nicht verlieren.

Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, thronte Winter am einen Ende des Sofas, während Brutus mit gesträubten Haaren am anderen Ende saß. Anscheinend herrschte eine Art Patt zwischen ihnen. »Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihr Gefährte mich mag«, erklärte Winter.

Um des Friedens willen verkniff ich mir die Antwort, meine Katze habe eben Geschmack. Wenn es erforderlich war, konnte ich mich durchaus beherrschen. »Brutus«, sagte ich, »schau mal für mich nach Mrs Burridge.«

Sein Blick besagte, dass er den Tag eingerollt in einer Ecke hatte verdösen wollen; der alten Dame im oberen Stockwerk nachzuspionieren, die unverwandt mit Runen und Kräutern herumstümperte, magisch aber völlig unbegabt war, erschien ihm Zeitverschwendung. Doch zum Glück beschloss er, mich nicht bloßzustellen, stand auf, streckte sich und trottete davon.

Mit in die Hüften gestemmten Händen sah ich Winter an. »Gehen wir? Ich hab einiges zu erledigen. Je schneller wir die Sache klären, desto besser.« Was ich nicht sagte: Bei meinen Erledigungen handelte es sich nicht zuletzt darum, auf dem Sofa zu liegen, eine Familienpackung »Salt and Vinegar«-Chips zu essen, jede Menge Schokolade in mich reinzustopfen und mitunter nach der Fernbedienung zu greifen.

Er hob eine Braue. »Wollen Sie so aus dem Haus?«

Ich drehte eine Pirouette. »Aber ja.« Dass er einen makellosen Anzug trug, der vermutlich maßgeschneidert war, hieß nicht, dass alle Welt sich anzuziehen hatte wie zur Audienz bei der Queen.

Er seufzte schwer. »Gut. Also los.«

Ich ging voraus zum Aufzug und drückte den Liftknopf. Er betrachtete mich erstaunt. »Über die Treppe geht’s schneller.«

»Ich hab mir den Fuß verknackst und muss ihn schonen.«

»Sie sind kerngesund.«

»Als ob Sie das wüssten.«

In seine Augen trat Wut. »Ich bin Adeptus Exemptus. Und Sie sind in bester körperlicher Verfassung.«

Meine Miene hellte sich auf. »Meinen Sie wirklich?«

Winters Lippen wurden schmaler. »Ich meine: Sie haben weder Schmerzen noch körperliche Leiden – abgesehen davon, dass Sie gar nicht fit sind. Und abnehmen könnten Sie auch.«

Hatte er das gerade tatsächlich gesagt? »Abnehmen?«

Nun erst begriff Winter, in welcher Gefahr er schwebte. »Wenn Sie die blendende körperliche Verfassung erreichen wollen, die von einer Hexe der Zweiten Stufe erwartet wird, wäre das vernünftig. Bei uns wird mitunter viel gerannt, und auch sonst ist die Arbeit oft körperlich anstrengend.«

Klugschwätzer. »Und um welche Arbeit handelt es sich eigentlich?«, fragte ich eisig.

»Um die Arkane Abteilung natürlich.«

Ich verdrehte die Augen. Natürlich. »Dann hab ich ja Glück, nicht auf der Zweiten Stufe zu sein und nur mit Ihnen zusammenarbeiten zu müssen, mich aus dieser lächerlichen Lage zu befreien.« Ich verschränkte die Arme, um klarzumachen, dass ich ihm nichts mehr zu sagen hatte.

Der Ordenssitz liegt zwischen der Christchurch Cathedral und dem Merton College. Gern betont der Orden, er sei dort schon ansässig gewesen, als es die Universität noch nicht gab, und seine Mitglieder würden über Fähigkeiten verfügen, von denen durchschnittliche Oxfordstudenten nur träumen können. In Wahrheit behält der Orden seine akademischen Gegenstücke gern im Auge, damit sie nicht zu hochnäsig werden. Er genießt ehrwürdiges Ansehen, aber heutzutage wissen seine Mitglieder natürlich, dass es damit schnell vorbei sein kann – bei weiteren Durchbrüchen in den Biowissenschaften, der Chemietechnik oder auf anderen Gebieten.

Ehrlich gesagt: Ich wusste nicht, warum sie sich diese Sorgen machten. Que sera, sera, so ist das. Aufgrund der soliden Position des Ordens in jeder Großstadt des Landes und seiner Abgeordneten im britischen Oberhaus vermute ich überdies, dass es ihn noch geben wird, wenn die Universität längst zu Staub zerfallen ist.

Diesen Teil der Stadt meide ich, so gut ich kann. Mögen andere Taxifahrer Geld von Studenten einstreichen, die mit Münzen voller Taschenflusen den Fahrpreis zahlen. Ich lasse mich vom Orden nicht aus meiner Heimatstadt vertreiben, doch andererseits dränge ich mich ihm nicht auf.

Winter und ich schlenderten zum Haupteingang, ach was: Ich schlenderte, Winter marschierte. Das allerdings erlaubte mir einen sehr erfreulichen Blick auf seinen Hintern, der ausgesprochen fest und wohlgerundet war. Dass er einen Stock im Arsch hatte, hinderte mich nicht daran, diesen Teil seines Körpers wertzuschätzen. Als ich gerade überlegte, ob er sich jeden Tag hunderte Kniebeugen abverlangte, drehte er sich um und ertappte mich dabei. Und für den Bruchteil einer Sekunde schien er zu lächeln.

»Gefällt Ihnen, was Sie sehen?«, knurrte er.

Ich zuckte die Achseln. Er hatte mich erwischt, da gab es nichts zu leugnen. »Ja«, erwiderte ich. »Durchaus.«

»Und wie gefiele es Ihnen, wenn ich Sie so musterte?«

»Ich bin sehr für Gleichberechtigung«, gab ich zurück und drehte mich um, damit er mich betrachten konnte, wie ich ihn begutachtet hatte. Doch ich hörte nur einen verächtlichen Laut und sich entfernende Schritte. Wenn eine Frau zu viel Zeit mit ihm verbrachte, drohte vermutlich die Gefahr, dass sie Komplexe bekam.

Mühsam holte ich ihn ein und zwang mich zu schnellem Gehen, um mit ihm Schritt zu halten. Die wenigen Studenten, die hier unterwegs waren, wurden zunehmend von Ordenshexen in roten Umhängen ersetzt. Der große Abstand, den sie zu uns hielten, und die Blicke, die sie Winter zuwarfen, bewiesen, dass mein Begleiter hier bewundert und respektiert wurde. Ich unterdrückte ein Lächeln. Das würde sich ändern, sobald sie herausfanden, mit wem er zusammenarbeiten sollte.

Bisher hatte mich niemand erkannt, weil keiner mit mir rechnete. Es war schon einige Jahre her, dass ich über diese Steine getrottet war, doch ich wusste noch, wie es hier lief: Die Nachricht von meiner Ankunft würde sich rasend schnell herumsprechen. Das war kein selbstverliebtes Wunschdenken, sondern purer Realismus. Zum Verbreiten pikanter Gerüchte gibt es nichts Geeigneteres als ein paar Hexenzirkel.

»Adeptus!«, rief jemand hinter uns. »Adeptus Exemptus Winter!«

Er blieb stehen, und ich grinste. »Für Bewunderer haben Sie immer Zeit, was?«, murmelte ich leise.

Winter wirkte verärgert, sagte aber nichts dazu. »Practicus Lindman«, begrüßte er die junge Frau von der Ersten Stufe. »Was kann ich für Sie tun?«