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Zwei junge pariser Mädchen, die sich zum ersten Mal über den Weg laufen, sehen sich unvermittelt durch ein unsichtbares Band verbunden. Éléonore, die belesene und mitfühlende Schülerin hatte noch nie große Wünsche an ihre alleinerziehende Mutter, außer endlich ihren Vater kennenlernen zu dürfen. Die einsame und ungezügelte Hélise hingegen, will nur irgendwie durch den Tag kommen und irgendwo dazu gehören - während sie versucht, dem finsteren Wesen das sie aus dem Verborgenen lenkt, gerecht zu werden. Nicht nur, dass Éléonores Vater ihr ein magisches Erbe hinterlässt, die unauffällige Schülerin ahnt auch noch nicht, wie viel Wirbel die obdachlose Hélise in ihr Leben bringen wird. Wird das Band, das Éléonore mit der mysteriösen Hélise verbindet, zu einem Vorteil in einer Welt, die sich schlagartig für das Mädchen verändert? Oder wird es sie und viele Unschuldige endügltig ins Verderben reißen? Mehr Informationen auf: www.mortops.de !
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Seitenzahl: 554
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Zwei junge, pariser Jugendliche, die aus völlig verschiedenen Welten stammen und sich zum ersten Mal über den Weg laufen, sehen sich unvermittelt durch ein unsichtbares Band verbunden. Éléonore, die unauffällige und belesene Schülerin aus gutem Hause, will eigentlich nichts anderes, als ihren Vater kennenzulernen. Dieser vermacht ihr ein unerwartetes, magisches Erbe. Hélise, die obdachlose und von einem finsteren Wesen gelenkte Pyromanin hingegen, versucht nur, irgendwie durch den Tag zu kommen und einen Platz im Leben zu finden. Éléonore ahnt nicht, wie viel Wirbel das Zusammentreffen mit der gleichaltrigen Hélise nach sich ziehen wird – und welche Fäden von unbekannten Mächten aus dem Verborgenen gezogen werden. Éléonores braves Leben wird auf den Kopf gestellt, während sie immer weiter in einer Welt versinkt, von der sie niemals etwas geahnt hätte. Wird das Band, das sie mit der geheimnisvollen Hélise verbindet, zu ihrem Vorteil – oder sie endgültig ins Verderben stürzen?
Topsy Morgenthau ist 1993 in der brandenburger Wildnis geboren und aufgewachsen. Nach einem abgebrochenen Studium für Germanistik und Französisch (später Religionspädagogik) auf Lehramt, erst in Trier, mit dem Fachwechsel in Bremen, behielt er sich seine Leidenschaft für Sprachen und das geschriebene Wort bei. Die bereits früh entwickelte Lust aufs Schreiben leitete er vorerst in Gedichte, später in die Phantastik. Mit diesem, seinem ersten Werk, feiert er sein schriftstellerisches Debüt.
Ohne diese tapfere Hexenseele hätte ich nicht gewusst, wie es weitergeht.
Mein besonderer Dank geht an alle, die mich rückhaltlos unterstützen.
Die Geschichte geht weiter, und ich habe viel aus diesem ersten Werk gelernt.
Viel Spaß mit der 2. Auflage, in der nach wie vor neben
meinem Herz auch viele Gedanken stecken.
Und etwas weniger Rechtschreibfehler.
Die Literatur gibt der Seele Nahrung,
sie bessert und tröstet sie.
-François-Marie Arouet (Voltaire)
Prolog
Alles auf Anfang
Der Weg ist das Ziel
Die Hexenseele
Epilog
Europa, Frankreich, Paris in einem schicken Café, nahe dem Varieté Moulin Rouge 21.06.2017 – Mittwoch, 18:37
Findest du diesen Abend nicht auch einfach – wie soll ich es sonst anders sagen – berauschend, Charlotte?«
Thomas, der frisch gebackene Anwalt für Familienrecht, der sich seit langem mal wieder einen, so hoffte er, vielversprechenden Abend gönnte, richtete mit einer flüssigen Bewegung seine Krawatte.
Der blonde Charmeur strich sich einen letzten Krümel Gebäck von seinem maßgeschneiderten Anzug, bevor er zunächst vorsichtig, dann regelrecht vor Begierde strotzend, zu seiner Begleitung sah.
Schnell lehnte er sich einen Hauch näher an die überaus attraktive, junge Dame, die er vor wenigen Stunden erst kennen gelernt hatte. Thomas schenkte ihr einen verschmitzten Blick und wartete nervös auf eine Reaktion. Derweil leckten seine Augen über ihr eng geschnittenes, bordeauxrotes Cocktailkleid mit dem tiefen Ausschnitt. Mit den Fingerspitzen glitt er über ihre Schulter und zog erwartungsvoll die Augenbrauen empor.
»Ich würde sagen, berauschend trifft es gut, auch wenn mir als erstes erregend in den Sinn kam.« Die junge Dame zwinkerte ihm beinahe unmerklich zu, während sie sich eine Strähne ihres langen, aschgrauen Haares aus dem Gesicht strich.
Die natürliche Schönheit streckte sich scheinbar vor Müdigkeit und erlaubte ihm damit einen besseren Blick auf ihre weiblichen Attribute. Es entging ihr nicht, dass er heftig schluckte. Treffer.
»Was hieltest du davon, ma Chérie, wenn wir unseren Abend woanders hin verlegen würden?«, brachte er ein wenig verlegen hervor. Ein kurzes, vielsagendes Lächeln konnte sie sich tatsächlich nicht verkneifen.
»Sehr gerne, Monsieur«, kam es ein wenig schüchtern aus ihr hervor.
»Woran haben Sie dabei gedacht?« Beinahe geistesabwesend spielte sie an ihrem Saphir, der als Blickfang an ihrem ledernen Halsband angebracht war. Wie ein umgekehrter Tropfen prangte er unter ihrem makellosen Gesicht.
Thomas erhob sich von seinem Platz, legte einen großzügigen Einhundert Euroschein auf den Tisch und gab dem Kellner ein Zeichen, der schleunigst herbei eilte.
Der charmante Anwalt trat hinter sie und half ihr zunächst auf die Beine, bevor er ihr die dünne Jacke reichte.
Der Mann schaffte es nicht, länger zu verbergen, welche Absichten er anscheinend von Beginn an hatte. Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken, seine Hände an ihrer Hüfte, seine Blicke auf ihren Rundungen. Die verführerische Schönheit konnte es verstehen, ihr eng geschnittenes, rotes Kleid überließ wenig der Fantasie – gierige Augen mussten sich einfach bedienen.
»Ich dachte an einen privateren Ort. Ich habe gehört, es gibt hier ein schönes Hotel. Wie würde dir das gefallen, meine Kleine?«, flüsterte er leise, aber aufdringlich in ihr Ohr, und ein Teil von ihr wäre am liebsten sofort weggerannt.
Die Hände an ihrer Hüfte verstärkten mit jeder Sekunde, in der sie eine Antwort verzögerte, ihre Entschlossenheit, bis sie sich vorsichtig in seinem Griff umwandte. Behutsam legte sie ihre Hände auf seine Brust.
»Sie wollen doch nicht wirklich ein so unschuldiges, junges Ding wie mich, zu dem verführen, wonach es sich anhört?«, hauchte sie ihrerseits in sein Ohr.
Für Außenstehende, die sie nicht belauscht hätten, wären die beiden als Vater und Tochter durchgegangen – zumindest bis er begann, ihr offensichtliche Avancen zu machen.
Als seine Hände von ihrer Hüfte zu ihrem Hintern wanderten, begrub er für einen Moment sein Gesicht unter ihrem wallenden Haar. Thomas musste sich dafür ein wenig hinab beugen, da sie trotz der hohen Schuhe einen Kopf kleiner war, als er selbst.
Er gab ihr einen gehauchten Kuss auf den Teil ihres Halses, der nicht durch ihr Halsband verdeckt war, bevor der Mann vorsichtig zunächst über ihren Hals, dann ihre Wange leckte.
Wenngleich ein leichter Anflug von Ekel über sie kam und das aufreizende Mädchen sich ein wenig schämte, gewann ihr Verlangen – zumindest diese Schlacht.
»In Ordnung«, presste sie hervor, in der Hoffnung er würde aufhören, sie in aller Öffentlichkeit abzulecken. Als er sich wieder in voller Größe vor ihr aufbaute, bekam sie instinktiv ein ungutes Gefühl.
Dann sah sie es in seinen Augen – er war ein Tier. Und wenn sie jetzt nicht ginge, würde sie später wenig Gelegenheit bekommen, problemlos zu gehen. Die junge Dame bezweifelte, dass er ihr zu einem späteren Zeitpunkt noch die Chance dazu lassen würde.
Er roch nach Verlangen und Macht.
»Wo ist dieses Hotel, Monsieur? Lassen Sie mich nicht zu lange hier rumstehen...«
Sein schönes Hotel hatte sich schon auf den ersten Blick, als billige Absteige entpuppt. Und dass er vom Portier schon von weitem als Monsieur Bleu begrüßt wurde, komplettierte ihr Bild von diesem ach so feinen Mann. Sein kleingewachsenes Date konnte jedoch nicht überhören, was die beiden besprachen, auch wenn die Zwei verstohlen zu tuscheln versuchten.
»Hier, Einhundert für das Zimmer, und noch mal Einhundert für das Übliche«, orderte Thomas routiniert.
»Sicher Monsieur. Keine Zeugen, eine Packung Kondome, einen Wein und ein Fläschchen Ketamin«, zählte der Portier mit einem gefährlichen Lächeln auf, während seine Augen über eine imaginäre Rechnung in seiner Hand wanderten.
»Nicht doch so laut!«, zischte Thomas und warf einen kurzen Blick zu seiner Begleitung.
»Alles in Ordnung?«, fragte diese verunsichert und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, »können wir auf's Zimmer?« Mittlerweile ziemlich nervös geworden, schaute sie sich um.
Mit einem erleichterten Blick, von dem er hoffte, die junge Dame würde ihn nicht bemerken, schaute der Verführer zum Portier und klopfte auf den Tresen.
»Alles in Ordnung, wir können«, antwortete der noble Anwalt mit kräftiger Stimme und nahm die bestellten Utensilien entgegen. Gekonnt verstaute er sie in seinen Taschen und drehte sich elegant zu dem sichtlich nervösen Mädchen, das er sofort an der Hüfte umschlang, um es die Treppe hinab zu führen.
»Oh, du hast Wein geholt«, bemerkte sie mit einem versöhnlichen Ton, »ich mag Wein.«
Thomas kicherte ein wenig, es klang beinahe wie das Gegluckse eines kleinen Jungen.
»Nun dann wird dir dieser Wein besonders gut gefallen!« Am unteren Ende der Treppe angekommen, lenkte er die nervöse Schönheit durch enge Flure, die Stück für Stück mehr nach Keller, als nach dem ohnehin schon schäbigen Stundenhotel aussahen.
Zielgerichtet führte der Mann sie offensichtlich an mehreren Zimmern der gleichen Art vorbei, in das er sie zu bringen gedachte. Die Räume waren mit schweren, metallenen Türen verschlossen, die Wände vereinzelt abgebröckelt, zum Teil verschimmelt. Es roch überwältigend nach Erregung, Angst, Erbrochenem.
Geschmeidig zückte er einen Schlüssel aus der Brusttasche und öffnete schließlich eine der massiven Türen, hinter der sich neben einem großen, durchgelegenen und auch sonst ziemlich heruntergekommenen Bett, nur ein Teppich voller roter Flecken befand.
Thomas stellte sich hinter sie und versuchte vorsichtig das aufgeregte Mädchen ins Zimmer zu schieben. Ein Schwall aus Furcht und Ekel durchfuhr ihren Körper und ließ sie reflexartig herum schnellen, nur um genau in ihn hinein zu stolpern.
Der große Mann packte sie kräftig an einem Arm und warf die Flasche Wein an ihr vorbei auf das Bett. Mit der freien Hand strich er ihr über das Gesicht, das mehr vor Scham, als Erregung röter wurde.
»Was denn, bist du schon so geil, dass du nicht mehr warten kannst?«, entgegnete er trocken und begann sie ins Zimmer zu schieben. Ihr Herzschlag ging nun völlig durch die Decke.
Die letzte halbe Stunde entlud sich flammend in einem Schrei, den er ihr mit einer harten Backpfeife bezahlte und sie unsanft aufs Bett stieß. Die Flasche drückte sich hart in ihren Rücken, die schwere Tür fiel ins Schloss.
»Du wolltest doch nicht wirklich jetzt noch einen Rückzieher machen oder?«, fragte er enttäuscht wirkend, als er sich dem Bett näherte und zunächst seine Krawatte entfernte. Die ansehnliche, junge Dame atmete einen Moment tief durch und setzte sich aufrecht auf die Bettkante.
»Nein, du hast Recht...«, wisperte sie, auf den Boden starrend und in sich gehend, »das wäre nicht richtig.«
»Genau so ist es« bestätigte er überrascht und ließ sich von ihr die Flasche reichen.
Hinter der Tür befand sich ein großer Schrank, den sie vom Flur aus zuvor nicht sehen konnte. Thomas wühlte zwei dreckige Gläser hervor und kümmerte sich wenig darum, dass allerlei Werkzeug aus dem Schrank fiel. Knebel, Klemmen, ein Messer. Es war ein Schrank für Männer wie ihn.
»Verzeih die Unordnung«, bemühte er sich, wieder so charmant zu klingen, wie in der letzten Stunde, in der die beiden sich unterhalten hatten.
Ihr Blick wandte sich erst wieder nach oben, als er ihr ein Glas vor die Nase hielt, in dem sich augenscheinlich soeben ein feines Pulver auflöste. Das Weinglas wanderte immer näher an ihr Gesicht, während Thomas nervös mit dem Fuß tippelte. Er zog es erst zurück, als er bemerkte, dass sie anscheinend weinte. Im Wein landeten Tränen.
»Woher wusstest du, dass es mich anmacht, wenn du weinst?« Seine Stimme klang finster, bedrohlich, als wäre er zu allem bereit.
»Wie alt bist du, ma Chérie?« Das anregende Mädchen schniefte einmal kräftig.
»Sechzehn, Monsieur, aber ich werde nächste Woche Siebzehn, und ich–«, er schnippte mit dem Finger direkt vor ihrem Gesicht, um sie zu unterbrechen. Erschrocken blickte sie zu ihm auf.
»Du siehst mich an, wenn ich mit dir rede, und du beantwortest meine Frage. Dein Geschwafel sparst du dir, verstanden?« Sie nickte vorsichtig, schluchzte ein wenig stärker, bemühte sich bestmöglich nichts falsch zu machen. Das wäre nicht gut.
Darf ich?, fragte sie gedanklich. Diese Worte hallten durch ihren Kopf, wie ein nervöses Echo. Das Mädchen erwartete eine Reaktion, doch sie war allein mit Thomas und ihren flüchtigen Gedanken.
Der große Mann stellte sich direkt vor sie, reichte ihr das Glas. Sie hielt es fest umklammert, während sich der edle Herr Anwalt Stück für Stück seiner Kleidung entledigte. Das Mädchen riskierte es, einen kurzen Blick von seinem Gesicht auf seine Männlichkeit zu werfen, erhielt dafür sofort die nächste schallende Ohrfeige. Beinahe wäre ihr das Glas aus der Hand gesprungen.
»Du siehst mich an, meinen Prügel bekommst du früh genug«, stellte er eindringlich klar, als er das zittrige Mädchen am Kinn griff und ihr Gesicht auf seines fixierte. Vorsichtig nickte sie.
Darf ich? Bitte!, hämmerte es durch ihren Kopf.
Schweigend sah sie im Augenwinkel, wie er sich berührte. Er genoss es, sie wehrlos und verheult für sich allein zu haben.
»Du trinkst jetzt deinen Wein, sagst mir nochmal wie alt du bist und dann legst du dich aufs Bett. Wenn du keinen Ärger machst, wirst du wieder aufwachen.« Sie nickte und vergoss neuerliche Tränen. Die reizvolle Jugendliche wusste, was auf sie zukam. Warum dauerte es nur so lange, bis es vorbei war?
Mit angewidertem Gesichtsausdruck leerte sie das Glas mit einem Schluck, ließ sich aufs Bett nieder und starrte an die Decke, als er langsam begann, sie gnadenlos zu berühren, wo immer er wollte.
»Ich warte«, sprach er mit scharfer Stimme.
Ich auch! Oh bitte, darf ich? Wieso muss das sein?
»Ich bin Sechzehn, Monsieur, ich bin willig und brav...«, zitterte sie hervor. Sein folgendes Stöhnen erfüllte sie mit nichts anderem, als Ekel und den Drang, sich selbst die Pulsadern aufzureißen.
Der charmante Anwalt der Armen. Verfechter des Rechts, so hatte er sich vorgestellt. Thomas zerriss ihr Kleid, begann ihre Weiblichkeit mit seiner gierigen Zunge zu erkunden. Das begehrenswerte Mädchen weinte, schrie; schmerzerfüllt, verloren. Wieso musste es sein?
Du darfst, hallte es wie ein dröhnender Chor, bestehend aus Millionen gequälter Seelen durch ihre Gedanken.
Das zierliche Mädchen griff nach seinem Kopf, packte ihn am kurzen, blonden Haar. Mit ganzer Kraft riss sie sein verdutztes Gesicht nach oben, stach mit einem Finger in sein Auge. Thomas stolperte zurück und landete schreiend auf dem rot verschmierten Teppich. Fluchend erhob er sich langsam, während die Jugendliche schwerfällig versuchte, sich vom Bett zu rollen – dieses Zeug aus dem Wein begann seine Wirkung zu entfalten.
Jetzt hilf mir doch!, schrie sie innerlich.
Geistesgegenwärtig rammte sie sich ihre Finger in den Hals. Diese ließen die zarte Schönheit, so viel sie konnte, neben das Bett erbrechen, bevor sie es schaffte sich daneben aufzustemmen.
Thomas, der sich mit der Linken sein verletztes Gesicht hielt, erschien neben ihr, packte das Mädchen am Arm. Hoffnungslos wehrte sie sich, so gut sie konnte. Dieser fruchtlose Versuch sein Opfer zu packen, endete damit, dass Thomas im Erbrochenen ausrutschte und die unwillige Teenagerin mit sich zu Boden riss.
Das verzweifelte Mädchen landete direkt auf ihrem liebsten Anwalt.
Der ungehaltene Mann nutzte die Chance, um das Blatt zu wenden, drehte kurzerhand die Ausgangslage und drückte sie zu Boden. Thomas hatte Mühe, ihre Arme auf dem Boden festzuhalten, das Blut aus seinem verletzten Auge troff ihr direkt ins Gesicht.
»Salope! Du siehst nie wieder das Tageslicht, ich reiß dir eigenhändig dein Herz raus!« Zu allem Überfluss spuckte er ihr mitten ins Gesicht und versuchte sich für sein Vorhaben in eine gute Position zu bringen.
Bitte, ich bin noch nicht so weit! Ich werde mich bessern, ich werde es wirklich, aber ich kann das nicht alleine, noch nicht!
Ihr Peiniger stoppte abrupt, erzeugte einen schmerzerfüllten Laut. Er erhob sich von ihr – weniger weil er es so wollte, sondern viel mehr, weil er die Haftung zum Boden zu verlieren schien. Mit einem röchelndem Ächzen flog Thomas durch den Raum, prallte gnadenlos gegen die Zimmerwand auf der anderen Seite des Bettes. Nicht viel klang in diesem Moment für die Geschundene so erleichternd, wie das Geräusch brechender Knochen.
Erschöpft lag sie in ihrem eigenen Erbrochenem, beschmiert mit Blut und anderen Körperflüssigkeiten.
Eine grau-schwarze, neblige Gestalt erschien über ihr, die rot leuchtenden Augen entflammten sich augenblicklich beim Hinunterschauen. Erst setzte sich der Schopf, dann der Rücken, schließlich der ganze Körper in lodernde Flammen. Stachelartige, verzerrte Gebilde zierten den entfernt menschlich wirkenden Leib.
Du hast mich enttäuscht, ertönte es in ihrem Kopf. Die grauenvolle Figur begann gerade damit, das Bett zu umrunden, als sich das geschwächte Mädchen unter Mühen aufbäumte.
»Ich werde mich bessern!«, presste sie hervor, »aber lass mich es tun, bitte. Wenn ich das hier kann, wird mir alles andere auch leichter fallen! Bitte!«
Die flammende Schattengestalt drehte den Kopf zu ihr. Gut, tönte es durch ihren Kopf. Der entflammte Körper der Figur erlosch, eine kleine, graue Murmel fiel aus ihrer Hand. Die Kugel rollte auf die Grauhaarige zu und ließ ihre kräftigen, orange-braunen Augen vor Aufregung aufblitzen. Sie verfolgte die unnatürliche Bahn der kleinen Kugel und ergriff sie, als sie sie erreichte. Ein Blick nach oben versicherte ihr, dass der brennende Schemen verschwunden war.
Keuchend erhob sie sich, musste sich jedoch für einen Moment auf das Bett setzen, um nicht zu stürzen. Thomas starrte seine reizvolle Begleitung fassungslos an. Seine Gliedmaßen waren ungesund verdreht, völlig blutverschmiert.
»Was...«, drängte er seine perforierte Lunge zu erzeugen, hustete röchelnd. Die junge Dame starrte auf die Murmel in ihrer Hand, ein euphorisches Lächeln überkam sie.
Es hat sich also doch gelohnt, dachte sie zufrieden, als sie die kleine Kugel, die nach Asche und Tod schmeckte, hinunterwürgte. Ein tiefer, wohliger Seufzer entglitt dem Mädchen, ein heißes Brennen breitete sich auf der Haut aus. Einen Moment lang beobachtete die zufriedene Teenagerin ihre Handflächen und rechnete damit, die Hitze, die sie überrollte, würde ihre Hände verglühen.
Thomas wollte nach ihrem Haar greifen, als sie sich vor ihn kniete und selbstgefällig auf ihn herabsah. Langsam spreizten sich ihre Finger weit, so wie es Katzentatzen taten, wenn sie spielten, und formte dazu ein stummes Rawrr mit dem Mund.
Behutsam strich sie über den Boden vor ihrem charmanten Date, der sich ihren Fingerspitzen folgend in Brand setzte. Ungläubig, verwirrt und vor allem verängstigt schüttelte Thomas seinen Kopf hin und her und versuchte seinen verdrehten Körper aufzuraffen.
»Miau«, erklang ihre liebliche Stimme verspielt und versöhnlich. Als sich das gefährlich wirkende Mädchen erhob, strich es mit der aufgeheizten Rechten über die Wand, an welcher der geübte Vergewaltiger lehnte. Auch dort begann das Holzpaneel zu brennen.
Auf ihrem Weg zur Tür strich die reizvolle Mieze bei mehreren Gelegenheiten über Wände, Böden, das Bett, den Teppich. Die Melodie, die sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte, fand einen Weg in die Wirklichkeit. Vergnügt summend, begann die Zufriedene immer euphorischer zu werden, umso mehr Brandstellen sie entfachte.
»Lalala, Miau!«, sang sie ein letztes Mal, bevor die schwere Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Der Gedanke an Thomas' verzweifelt bebenden, röchelnden Leib ließ sie Erleichterung und eine berauschende Wärme erfahren.
Das Mädchen schloss die Augen, summte befriedigt und hielt einen Moment inne. Nach wenigen Minuten quoll dichter, dunkler Rauch aus dem Raum hervor. Sie entschloss, ihr ohnehin besudeltes, zerrissenes Kleid dem Feuer zu überlassen und warf ihre Kleidung vollständig vor die Tür. Nur das Halsband behielt die natürliche Schönheit, spielte vergnügt mit den Fingern an dem kleinen Saphir ihres Halsschmucks.
Der Portier staunte nicht schlecht, als das junge Mädchen mit dem aschgrauen Haar, nackt – und vor allem allein – sein Etablissement verließ und fröhlich trällernd in der Nacht verschwand. Charlotte klopfte sich innerlich auf die Schulter – sie war eine überzeugende Schauspielerin gewesen und hatte wieder einen erwischt.
Chère journal c'est moi, Éléonore
Mercredi, 28 Juin, 2018
Éléonore! Quel nom ordinaire.
Ein gewöhnlicher Name, passend für die gewöhnliche Welt, in die ich einst gehörte.
Zut! Es ist zu lange her, dass ich dir schrieb. Aber ich habe immer alles festgehalten, auf Notizblöcken!
Ich habe alles notiert und werde es dir erzählen – vielleicht mach ich das wirklich. Es hat mir gefehlt dir zu schreiben, du bist mir heilig. Du bist alt, du hast verbrannte Seiten, aber du bist mein. Ich weiß, ich hatte früher mehr Zeit für dich. Aber diese Welt ist jetzt größer.
Nein, das ist sie nicht.
Sie war es die ganze Zeit, ich konnte es nur nicht sehen.
Ich habe heute Geburtstag und das... nein, wir haben heute Geburtstag. Das ist gut. Es macht mich glücklich, auch wenn sonst nichts mehr beim Alten ist; alles ist anders. Chic alors! Es ist gut so. Anders ist nicht schlecht, weißt du, es ist nur... anders.
Es fängt gleich an zu regnen, das ist gut. Das ist wichtig, denn es erinnert mich daran wie alles begann. Er macht mich stark – ich muss stark sein.
Ich muss gehen.
Ich muss sehen, ob es ihr gut geht – wenn ich dir nicht mehr schreibe, warte nicht auf mich.
Diese, meine Welt ist jetzt größer. Und ich muss mit ihr wachsen.
Aber kann ich das?
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, dass meine Reise begann... das hier ist meine Geschichte. Ich bringe sie zu einem guten Ende.
Das werde ich! Es kann nicht immer schlecht laufen oder? Und du? Liebstes Tagebuch, du wirst irgendwann meine Geschichte weitererzählen, wenn ich es nicht mehr kann.
Es regnet. Mein Leben ist gut. Meine Geschichte ist gut. Auch wenn sie vor einem Jahr mit einer der wohl traurigsten Fragen begann, die ein junges Mädchen nur haben kann...
Chère journal c'est moi, Éléonore
Jeudi, 22 Juin, 2017
»Wer ist mein Vater?«, fragte ich meine Mutter zum ersten Mal – von Angesicht zu Angesicht.
Ich hatte mich Stunden, Tage, Wochen – eigentlich sogar Monate darauf vorbereitet, und dachte ich wäre bereit dafür, weißt du...
Trotz all der Vorbereitung zitterte ich so fürchterlich!
Ich warte ungeduldig auf meinen siebzehnten Geburtstag.
Ich musste mir einfach das wünschen, wovor meine
Mutter sich scheinbar fürchtete. Ich wollte ihn endlich kennen lernen!
Sie sah mich schockiert an, als ich diese schwere – doch so nachvollziehbare? – Frage stellte.
Er hatte uns verlassen, als ich noch zu klein war, als dass ich mich jetzt daran erinnern könnte. Ich musste einfach wissen, wieso!
Mutter seufzte schwer und ließ sich in ihren Lesesessel fallen. »Komm mein Kind«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »ich dachte mir schon, dass du irgendwann fragst.«
Wenn sie ahnte, dass mir das wichtig ist, wieso konnte sie dann nicht den ersten Schritt tun?
Ich setzte mich neben sie, auf den Stuhl, den sie vor dem Bücherregal stehen hatte, um an die obersten Bücher zu
kommen – du weißt ja, dass sie nicht eben groß ist.
Ich zitterte noch schlimmer, doch in diesem Augenblick hatte ich ein gutes Gefühl.
Noch immer habe ich Gänsehaut, obwohl es jetzt schon... mon dieu, vier Stunden. Es ist vier Stunden her und ich schaudere noch immer.
Ich atmete so schwer, dass ich das Gefühl hatte, selbst die Nachbarn mussten mich gehört haben!
»Ich will nicht, dass du ihn kennenlernst«, entglitt es schwach ihren Lippen, während sie geistesabwesend an das Deckengemälde ihres Arbeitszimmers starrte…
»Aber!...«, presste ich hervor – ehe sie mit einem eiskalten Blick konterte.
»Er ist kein Umgang für dich, das wird nicht passieren, es tut mir Leid.« In diesem Moment wusste ich erst gar nicht, wie mir geschah. Ich versuchte zu schlucken, alles brach so unfassbar schwer auf mich ein, selbst das aufrecht sitzen wurde zur Herausforderung.
Ich kann mich gerade wirklich nicht mehr an alles erinnern, was ich anschließend zu ihr sagte – ich habe eigentlich eher geschrien. Ich flehte, kämpfte, war gemein.
Sie schrie auch, so viel wie noch nie. Warum mussten wir deswegen so streiten?
»Es ist mein gutes Recht!«
»Er bringt nur Unglück!«
»Es ist mir egal ,was du denkst!«
»Ich lasse nicht zu, dass er dich in Gefahr bringt!«
Ich hasse dich.
Diese Worte waren die letzten, an die ich mich erinnere, bevor mir irgendwie... schwarz vor Augen wurde. Tränen. Da waren viele Tränen, die meine Wange herunterliefen, wie ein angebrochener Staudamm, der nach einem Unwetter einfach nicht mehr kämpfen konnte und ein unschuldiges Dorf davon spülte – sie zeichneten ein Bild der Verzweiflung auf dem Teppich. Es hat sich in meinen Kopf gebrannt, wie ein Unfall.
Ich wollte doch nur diesen Mann kennen lernen, den einzigen Vater, den ich habe? Dessen eigen Fleisch und Blut ich bin?
Das nächste was ich weiß, ist ein Lichtblick. Der schönste meines Lebens. Glaube ich?
»Éléonore! Beruhige dich.« Ich hörte sie endlich wieder reden, nachdem ich eine Weile mental völlig weg gewesen war, in meinem eigenen, kleinen Albtraum.
»Ich wünsche es mir so... so, so sehr«, schaffte ich, zumindest halbwegs deutlich, zu sagen. Nach einer langen, in diesem Moment weniger angenehmen, als vielmehr verschlingenden Umarmung, brach Mutter das Schweigen.
Sie wusste genau, dass ich mir nie etwas wünsche – das mir nicht auch wirklich wichtig ist! Kein Geld, keinen Schmuck... und das obwohl wir genug Geld haben.
Zeit! Ich wünsche mir Momente – Urlaub mit Mutter und Tante Laure, Partys mit Freunden, Besuche bei Verwandten! Nun musste sie einfach wissen, wie wichtig mir dieser Mann war, von dem sie eine so geringe Meinung hatte. Wie könnte es auch anders sein, er ist doch mein Vater? Kriminell sei er nicht, nur eben einfach kein Umgang. Aber das will ich selbst entscheiden!
»Éléonore. Es wird ein Treffen geben. Ein einziges, und deine Tante wird mit dir gehen, ich ertrage es nicht. EIN kurzes Treffen, verstanden? Nach deinem Geburtstag, und du wirst nicht eine Sekunde von ihrer Seite weichen, verstanden? Verstehst du mich, mein Schatz?« Resigniert. Enttäuscht. Vielleicht ein bisschen verletzt klang sie.
»Ja Maman... nur, ich will ihn an meinem Geburtstag sehen. Du hast gesagt, bei meiner Geburt war er auch da!
Wenn es schon... nur das eine Mal gibt, soll es an meinem Geburtstag sein. Geht das?«
Es war wohl mein verheultes, schmerzerfülltes Gesicht, das sie einknicken ließ, als ich ihr tief in die Augen sah und versuchte, mein Schluchzen zu bekämpfen.
Sie hat es mir versprochen. Sie hat es wirklich getan. Und jetzt? Habe ich irgendwie Angst. Mir wird übel, wenn ich daran denke... So sehr hatte Mutter noch nie irgendetwas nicht gewollt.
Muss ich mir Sorgen machen? Wird er zu mir genau so schlecht sein, wie er es zu ihr gewesen sein muss? Meine Freude weicht allmählich einer Beklemmnis, die ich so noch nie gefühlt habe, weißt du? Ich muss mich hinlegen. Brauche Ruhe, es tut mir Leid, du solltest mich nicht so sehen.
Es ist mittlerweile halb zwei... dunkle Wolken verdecken den Mond. Und meine Zukunft ebenso?
Ich liege seit Stunden auf meinem Bett und habe immer wieder zu dir hinüber gestarrt, das solltest du wissen. Ja, ich bin dein heimlicher Stalker, ich gestehe. Aber wie soll ich schlafen? Diese Gedanken fressen mich auf. Sie liegen so schwer auf meiner Brust, wie noch nie etwas zuvor.
Was ist das? Ich bekomme keine Luft, diese Nacht endet nicht. Diese Nacht endet nicht. Diese Nacht endet nicht. Diese Nac
Hey, es geht mir besser.
Es hat soeben angefangen zu regnen. Das seichte Prasseln auf dem Dach und dieser Duft! Ich danke dir, dass du für mich da bist! Ich weiß, dass du so als Tagebuch gar keine andere Wahl hast, aber… Danke. Ich liebe es, dir zu schreiben.
Der Regen spült alle Sorgen weg, er reinigt mich, er ist das Schönste für mich. Fühl dich nicht gekränkt! Du bist trotzdem toll. Doch wirklich.
Dieses beruhigend prasselnde Geräusch, dieser unfassbar harmonische Duft!
Ich bin so müde. Ich kann kaum die Augen aufhalten ich... es war ein guter Tag. Dieser Tag war schön. Dieser Tag ist schön! Ich werde ihn in meinem Herzen aufbewahren, er war so wichtig für mich.
Ich bin so unfassbar müde! Chouette! Ich danke dir.
Europa, Frankreich, Paris vor einem Kino nahe dem Place de Clichy 24.06.2017 – Samstag, 16:44
Mit ganzer Macht strahlte die Sonne auf die Erde und nicht eine Wolke ließ sich am Himmel erblicken. Das für gewöhnlich als schön empfundene Wetter machte Éléonore an diesem Tag ein wenig zu schaffen. Ihre Nervosität ob des anstehenden Besuches bei ihrem Vater hatte sich in den letzten Tagen immer wieder von nicht vorhanden – verdrängt – bis unerträglich schwer geändert.
Die Schülerin spielte gedankenverloren mit ihrem schulterlangen, schwarzen Haar, um sich irgendwie zu beschäftigen. Am besten hätte ihren Nerven ein kühler Regenguss getan, um einen klaren Kopf zu bekommen – nur würde der heute ausbleiben.
Geistig weggetreten stand sie zusammen mit ihren Schulfreunden vor dem Kino, auf das sie sich eigentlich seit über einer Woche gefreut hatten. Doch in ihrem Kopf spukten immer nur dieselben Gedanken.
Will er mich überhaupt sehen? Wie wird er sein? Mach ich das Richtige? Und was, wenn wir uns gut verstehen, ich darf ihn doch nur ein einziges Mal sehen?
»Hallohoo, Élée! Bist du noch bei uns?«, erkundigte sich eine vertraute Stimme von der Seite. Als die Gedankenverlorene den Kopf drehte, erblickte sie ihre beste Freundin, Josette. Verdutzt nickte sie der Blondine zu, die ihrerseits lächelte und sie vielsagend anschaute.
»Du bist verknallt oder?«, flüsterte die Freundin, als sie einen Schritt auf Éléonore zukam.
»Nein, quatsch«, versuchte Élée, diese Gedanken zu vertreiben.
»Es ist nur, ach... ich weiß nicht, kompliziert eben. Sei mir nicht böse, wenn ich heute so still bin, Josée.« Angestrengt versuchte Élée, sich ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
»Ich werde dir nicht böse, aber die Jungs haben sich seit Tagen auf das hier gefreut! Versau‘ ihnen bloß nicht die gute Laune. Und ich glaube, ich kenne da jemanden, der sicher ganz besonders nicht begeistert ist, wenn deine Laune im Keller ist.« Josette rückte näher an Élée heran und hakte sich bei ihr unter, um sie Richtung Kinotür zu drehen.
»Guck mal«, flüsterte die Freundin wieder, »Didier starrt dich immer wieder an, ich glaube er steht auch auf dich.«
Als Élée versuchte, ihn aus der Gruppe herauszufiltern, erschrak sie innerlich, als sich ihre Augen mit seinen trafen. Ihm war dieser Umstand auch nicht entgangen: Sogleich drehte er seinen Kopf verlegen zur Seite und rieb sich am Arm.
»Siehst du?!«, wisperte Josée aufgeregt und wippte auf und ab. Verwirrt schaute Éléonore drein, bevor sie begriff, was da eben passiert war.
»Aber... der hat bestimmt dich angestarrt. Du stehst ja auch direkt neben mir, du alte Klammerhexe. Und ich bin nicht verknallt«, versuchte sich die Verlegene zu wehren und musste unwillkürlich grinsen.
»Warte hier!«, befahl Josette, dieses Mal ohne zu flüstern, und stürmte hinüber zu den anderen der Gruppe.
Es war zu warm, um jetzt schon ins Kino zu gehen, die Belüftung war die Hölle. So mussten die Schüler zwar immer wieder ausweichen und Passanten durchlassen – weil sie den ganzen Bürgersteig versperrten – aber das störte die Schüler weniger, als die Fußgänger. Sie hatten die Ruhe weg.
Solange das Smartphone nicht schmilzt, ist wohl alles halb so wild, schoss es der höflichen Élée durch den Kopf, als sie die Blicke der genervten Passanten sah.
Eine ungewohnt unangenehme Wärme kochte in Éléonore hoch, weil sie ahnte, was ihre Freundin da vorhatte. Unwillkürlich verschränkte sie die Arme vor der Brust und versuchte nicht hinzusehen, wie Josette mit Didier sprach.
Als sich wieder Schritte näherten, konnte das Mädchen dann doch nicht anders, als hinzusehen. Es war der, so musste sie zugeben, attraktive Junge, der sie die ganze Zeit immer wieder angestarrt hatte.
»Hey, Didier«, begann das verschüchterte Mädchen viel verlegener, als es klingen sollte, »wie... geht‘s dir?« Innerlich ohrfeigte sie sich selbst. Ich klinge ja so richtig begeistert...
Didier, anscheinend selbst verlegen, fuhr sich durch die kurzen braunen Haare. Kurz kicherte er auf.
»Jetzt wo ich dich von etwas näher anstarren kann, sehr gut.« Was seine zurückhaltende Körpersprache vermuten ließ, durchbrach seine kraftvolle Stimme, die die schüchterne Teenagerin ohnehin schon immer gemocht hatte.
Didier schien zudem ziemlich mutig gewesen zu sein, denn er wirkte auf sie fast genau so verunsichert, wie sie sich selbst in dieser Situation fühlte. Élée musste sich in diesem Moment eingestehen, dass sie im vergangenen Schuljahr bei einigen Gelegenheiten daran dachte, wie es wäre, ihn besser kennen zu lernen.
Er war älter, musste die Klasse wiederholen. Außerdem war er bekannt dafür, sehr wählerisch zu sein, was seine Dating-Partner anging. Der charmante Junge suchte sich immer die Schönsten unter den Schönen aus, fand Éléonore.
Wie kommt er dann auf mich?, fragte sich das durchaus hübsche, nur verunsicherte Mädchen.
Didier war zu Beginn des Schuljahres weder besonders beliebt, noch besonders auffällig gewesen, was sich mit der Zeit sehr bald änderte. So etwas interessierte die liebenswürdige Schülerin zwar eigentlich nicht, doch bemerkenswert war es dennoch gewesen.
Dann war er eben erst niemand und ist jetzt beliebt. Nur dass sich überhaupt ein Junge ausgerechnet für sie interessierte? Das war neu – oder er war der Erste, bei dem es ihr auffiel.
»Hättest du Lust, kurz zu quatschen? Bevor wir in den Film gehen? Nur wir beide? Oder willst du lieber allein sein?« Jetzt klang seine Stimme doch ein wenig verunsichert. Ihre verschränkten Arme lockerten sich allmählich, als sie seine warme Stimme hörte und dabei sah, wie ihr Josée breit grinsend beide Daumen entgegen streckte.
Diese Vogelscheuche bringt mich noch ins Grab, schoss es ihr kurz durch den Kopf.
»Na klar, warum nicht?« Ein Grinsen schlich sich in Élées Gesicht, das sie weder bekämpfen konnte, noch wollte. Zum ersten Mal seit dem Aufstehen, dachte sie nicht die ganze Zeit an ihren Vater. Didier deutete hinüber zum Monument am Place de Clichy.
»Gehen wir ein Stück? Wir haben noch ein Weilchen, bevor der Film los geht.« Wie ein Gentleman hielt er ihr den Arm hin. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis das überforderte Mädchen verstand und sich aufraffte, sich bei ihm einzuhaken. Irgendwie war es peinlich und zuvorkommend zugleich.
»Klar«, antwortete sie knapp und versuchte Blickkontakt zu vermeiden. Ein Gefühl zwischen Unwohlsein und neugieriger Spannung überwältigte sie. Élée schaltete unweigerlich für einen Moment das Hirn aus.
Die Zwei spazierten den Weg bis zum Place, lehnten sich eine Zeit lang gegen das Monument, unterhielten sich über das, was ihnen so einfiel.
Die beiden hatten eine, fand Élée, sehr angenehme Unterhaltung. Nach den ersten wenigen, zähen Minuten fanden sich immer mehr Gemeinsamkeiten. Didier mochte viele Dinge, die sie auch interessierten – wieso hatten die Zwei sich nicht schon viel früher besser kennen gelernt?
Die hinreißende Jugendliche bereute in diesen Augenblicken die hunderte Male, in denen sie sich in der Schule nur knapp begrüßten, und dachte daran, dass es dem charmanten Didier genauso gehen musste. Doch nun unterhielten sich die Beiden zum ersten Mal, wie echte Menschen, zwanglos und irgendwie vertraut.
Éléonore fühlte sich merkwürdigerweise so wohl, dass die Zeit wie im Flug verging, und der Film bereits eine ganze Weile angefangen haben musste.
Und höchstwahrscheinlich war es die Idee ihrer sogenannten besten Freundin, nicht Bescheid zu sagen. Éléonore war sich unsicher, ob das nett oder unhöflich war.
Wohl beides, doch bisher hatte sich dieser kleine Abstecher wirklich gelohnt.
Dieser Junge faszinierte die warmherzige Schülerin auf eine Art, die sie nicht ganz verstand. Sie mochte ihn. Verdammt ich bin doch nicht wirklich verknallt… oder?
Er las gern, fast so sehr wie sie. Didier spielte gerne Basketball, so wie sie. Er war, das wusste sie aber auch schon zuvor, gut in der Schule und mochte das Lernen – so wie sie. Die liebenswürdige Schülerin fand mehr und mehr gefallen daran, einfach nur mit ihm zu reden.
Wie sich herausstellte, musste er die Klasse wiederholen, weil seine Familie im vorherigen Jahr mehrere Male umgezogen war, nicht weil er von der Schule geschmissen wurde – oder was die Gerüchteküche nicht alles hergegeben hatte. Der Junge war offenherzig, konnte gut erzählen und er schaffte es sogar, die introvertierte Streberin zum Lachen oder zumindest zum Kichern zu bringen.
»Und das hat er wirklich akzeptiert?«, fragte Éléonore ungläubig grinsend, während sie sich gedankenverloren durch die leicht gelockten Haarspitzen fuhr.
»Wenn ich es doch sage! Und weil er die Wette verloren hat, muss er das Kleid irgendwann tragen. Vielleicht, wenn du dabei bist?« Élée verdrehte, noch immer lächelnd, die Augen.
»Das ist doch albern«, verkündete sie kopfschüttelnd. Didier rieb strich sich durch die kurzen Haare und hielt sich den Nacken.
»Ja, du hast ja Recht. Ich sollte ihm sagen, dass es schon gut ist«, kam es resigniert von ihm. Élée merkte, dass er es schon gern gesehen hätte, wie sein Bruder das Lieblingskleid ihrer Schwester trug. Doch sie musste sich eingestehen, seine erwachsene Art – oder zumindest der Versuch erwachsen zu sein – sprach für ihn.
Vorsichtig rückte der Charmeur ein wenig näher an sie. Nervös drehte das bezaubernde Mädchen mit dem Finger durch die gelockten Spitzen ihrer schulterlangen Mähne und versuchte seinem beinahe hypnotisierenden Blick auszuweichen.
»Machst du denn nie Blödsinn? Irgendwas Verrücktes?«, erkundigte er sich leise und klang beinahe besorgt. Machte sie ihn auch nervös? Die Schülerin wollte nicht, dass er denkt, sie sei so zurückhaltend, weil er sie langweilte. Didier war keineswegs langweilig, fand sie.
»Doch natürlich, aber...«, die Gedanken, die sie unentwegt plagten, kehrten zurück. Die streberhafte Langweilerin steckte die Hände in ihre Jeanstaschen und überlegte kurz, wie sie es sagen sollte, damit er es verstand.
Bestenfalls ohne dass es ihn vielleicht verletzt? Oder abschreckt? Wer will schon mit einem Trauerkloß, wie mir, abhängen.
»Wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt«, zitierte das belesene Mädchen nach der kurzen Überlegung. Es war ehrlich genug, um nicht gelogen zu sein, und gleichzeitig behielt sie Details für sich. Der Versuch eines Lächelns zog sich durch ihr Gesicht.
»...was?«, Didier war offensichtlich verwirrt.
»Das hat Schopenhauer gesagt, ein deutscher Philosoph… ich hab‘ ja gesagt, ich lese viel. Wenn du gedacht hast, ich meinte damit Facebook Kommentare und Boulevardmagazine...«
»Nein«, unterbrach der charmante Junge sofort, »du bist schlau und so. Mir war schon klar, dass du richtige Sachen liest. Literatur und so was. Hat mich nur überrascht.«
Éléonore suchte den Blickkontakt zu ihm, den sie während ihrer Ausführung vermieden hatte.
Gerade hatte die verunsicherte Jugendliche noch gehofft, er würde nicht sofort einfach verschwinden, weil sie ihn verunsicherte oder Sonstiges. Unerwartet wurde sie stattdessen überrascht.
Da Didier ohnehin schon näher an sie herangerückt war, geschah das Folgende, bevor sie reagieren konnte. Der unwiderstehliche Mitschüler beugte sich dicht an ihr Gesicht und Élée bekam einen vorsichtigen, aber langen Kuss auf die Wange. Jede Emotion war in diesem Moment aus ihrem Gesicht entwichen und machte der puren Überforderung Platz.
Was war das? Mon dieu, er mag mich wirklich oder? Was soll ich sagen? Was soll ich tun? Ich starre ihn nur dumm an. Los Élée, sag was!
Didier bemerkte, dass etwas nicht stimmte, und nahm ein wenig Abstand.
»Tut mir Leid, ich dachte wirklich, du würdest dich darüber freuen.« Er wirkte eingeschüchtert, derweil er sich über den Nacken rieb, »lass uns einfach nicht darüber reden, okay?«
Irgendwie beruhigte es das nervöse Mädchen, dass er selbst nicht so genau wusste, was da über ihn gekommen war. Éléonore mochte keine Planlosigkeit und es fiel ihr schwer, damit umzugehen. In diesem Moment war sie sich sicher, dass Didier ihren Herzschlag eigentlich hätte hören müssen.
»Schon gut«, japste sie, bevor sie einen mutigen Schritt auf ihn zu ging.
Du schaffst das, Élée!, dachte sie bei sich selbst, starrte ihn für einen kleinen Moment grübelnd an.
Langsam und zitternd streckte sich das nachdenkliche Mädel nach oben, versuchte die tausend Gedanken in ihrem Kopf zu verarbeiten. Schließlich tat sie das, was sich in dieser Sekunde richtig anfühlte – so ungewohnt und schwer es auch für sie war.
Für einen vorsichtigen, ersten kurzen Augenblick drückte sie ihre Lippen auf seine, bevor sie – vor sich selbst erschrocken – den Kopf zurückzog. Als der Junge die Augen aufriss, wurde ihr klar, dass er genauso überrascht darüber gewesen sein musste, wie sie selbst.
»Wir müssen nicht darüber reden«, presste Élée mit heiserer Stimme hervor, als sie noch immer dicht an ihn gelehnt war und dem ansehnlichen Didier nervös in die dunkelbraunen Augen schaute.
Irgendwie glaubte das überforderte Mädchen, eine ansteigende Nervosität und eine gewisse Leidenschaft in seinen Augen zu erkennen.
Didier formte ein schüchternes Grinsen, als sich seine Hand auf ihren Nacken legte und er begann, Élée behutsam näher an sich zu ziehen. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, so etwas hatte sie noch nie erlebt. Ihr Herz schlug so unfassbar schnell, dass sie nichts tun konnte, als die Augen zu schließen und es geschehen zu lassen.
Umso schneller ihr Herz pochte – das spürte sie sofort – desto langsamer verging die Zeit. In freudiger Erwartung öffneten sich ihre Lippen, nur ein wenig. Die Schülerin wartete auf den großen Moment. Mit leergefegtem Kopf spürte sie, dass es gleich passieren würde und hasste es, dass in diesen Sekunden scheinbar alles in Zeitlupe geschah.
Viel zu schnell ging es dafür weiter, als Éléonore durch einen heftigen Stoß in den Rücken, gegen Didier geschleudert wurde. Mit der Stirn knallte die Überraschte gegen seine Lippen, stürzte mit ihm zusammen zu Boden und spürte kurz darauf selbst einen Körper auf sich landen.
Élées eigene, sowie auch fremde, lange Haare bedeckten Didiers Gesicht und machten es ihm schwer, zu fluchen, ohne sie die ganze Zeit in den Mund zu bekommen. Dieser Haufen löste sich allmählich auf, als der Schimpfende es schaffte, Élée und die fremde Gestalt von sich zu drücken. Dabei landeten die Zwei unsanft auf dem Boden.
»Aua! Passt doch mal auf!«, tönte die Person nach dem schmerzhaft klingenden Aufprall. Éléonore lag mittig zwischen den beiden und blickte besorgt zwischen den genervten Gesichtern hin und her.
Didier hatte einen blutigen Mund. Éléonore musste ihn verletzt haben, als die Fremde gegen sie geknallt war. Zu ihrer Rechten lag ein schnaufendes Mädchen, vielleicht in ihrem Alter. Das Mädel war übersät mit blauen Flecken und Schürfwunden, offensichtlich nicht mehr ganz taufrisch. Ihre Wunden waren fast noch auffälliger, als ihr langes, aschgraues Haar mit den blutigen Spuren.
»Mon dieu, du hast dich verletzt!«, reagierte die empathische Schülerin entsetzt. Doch Didier meldete sich schneller zu Wort, als die Fremde hätte reagieren können.
»Kein Wunder, wenn diese Salope uns umrennt!« Ihr heimlicher Schwarm war ziemlich undeutlich zu verstehen – hatte er sich auf die Zunge gebissen? Zudem musste er übersehen haben, dass Éléonore nicht mit ihm gesprochen hatte. Das fremde Mädchen war ganz offensichtlich schwerer verletzt und brauchte mehr Aufmerksamkeit.
»Die mach ich fertig!« Didier stemmte sich auf und stützte sich gegen das Denkmal. Wütend zeigte er auf das mitgenommene Mädchen mit den zerfetzten Klamotten.
»Das ist eine Irre! Komm von ihr weg, Éléonore!« Unsanft packte der Aufgebrachte sie bei der Hand und zog sie auf die Beine. Nachdem die aufgewühlte Élée wieder ihr Gleichgewicht gefunden hatte, entriss sie sich umgehend seinem Griff und blickte ihn böse an.
»Die Arme ist verletzt, siehst du das nicht?«, fragte sie ungläubig und wurde ebenfalls ungläubig angestarrt. Aufgeregt fuchtelte der verletzte Junge mit der Hand vor seinem blutigen Gesicht herum.
»Hallo?« Didier klang wirklich wütend, doch Élée verschränkte energisch die Arme und verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein. Geht‘s noch?
»Sehe ich etwa unverletzt aus? Ich bin voller Blut!«
Verständnislos schüttelte sie ihren Kopf und half dem zierlichen Mädchen, das wirklich kaum älter sein konnte, als sie selbst, auf die Beine.
»Sieh sie dir doch mal an, Didier, sie sieht wirklich verletzt aus!« Die Mädchen schauten sich für einige Sekunden in die Augen. Keine Worte, echte Tiefe. Eine kleine Ewigkeit verging, bevor sich der Blick zu lösen begann.
Ein weiteres Mal wurde Élée gestoßen, als Didier sich unsanft an ihnen vorbei drückte und davon marschierte. Die gutherzige Schülerin fühlte sich unwohl dabei, doch sie wusste, dass es wichtig war, sich jetzt zu konzentrieren. Schwer seufzend schaute die Schülerin ihrem Schwarm kurz hinterher, bevor sie sich zusammenraffte.
»Hey, ähm… Ist alles gut bei dir? Du siehst ja gar nicht gut aus«, begann Éléonore besorgt und begutachtete das fremde Mädchen. Fassungslos schwieg sie dabei.
Die Bluse zerrissen, die schwarze Jeans völlig verdreckt, mehr fleckig und grau als alles andere. Brandflecke in der ganzen Kleidung und diverse Wunden. Von oben bis unten mit Blutspritzern besudelt, selbst ihre Haare!
Völlig wortlos starrte die Fremde Élée an.
»Hast du eine Gehirnerschütterung oder so? Soll ich dir einen Krankenwagen rufen? Ich meine, du siehst so aus, als ob–«
»Nein!«, antwortete die Verletzte nun doch rasch und fiel ihr ins Wort. Sie hatte eine niedliche Stimme, passend zu ihrer schmächtigen Statur.
»Es ist alles in Ordnung, ich muss nur... nur nach Hause. Mein... Vater... wird sonst, nun ja ungehalten.« Der fröhliche, vergnügte Ton, den sie zu ihrer Ausrede anschlug, genügte, um Élée alle Widerworte, die sie sich schon in Gedanken zurechtgelegt hatte, zu zerstreuen.
»Das... klingt gar nicht gut«, brachte sie noch knapp hervor, »aber, bist du sicher, dass ich dir nicht irgendwie helfen kann?« Und das fremde Mädchen überlegte tatsächlich kurz.
Scheinbar gedankenverloren starrte diese einen Moment in den strahlend blauen Himmel, bevor sich die Augen der jungen Damen ein weiteres Mal trafen. Ein unendlicher Moment der Stille.
Éléonore befand das kräftige Orange-Braun ihrer Augen für umwerfend schön und irgendwie hypnotisierend. Gegen so eine Tiefe haben meine tiefgrünen Gucker keine Chance, dachte sie. Doch insgesamt war die Kleine wirklich unglaublich hübsch gewesen, wenn man von den Wunden und allem absah.
Nicht zuletzt haftete sich Éléonores Blick neidisch auf die Oberweite der natürlichen Schönheit, die wahrscheinlich nicht einmal das dezente, inzwischen leicht verschmierte Make-up brauchen würde. Ein verunsicherter, letzter Blick ging hinunter zu ihrem eigenen, im Vergleich niedlich wirkenden B-Cup, bevor sie verdrießlich die Lippen verzog. Okay, jetzt konzentrier‘ dich, Élée. Das ist wichtig.
»Ich...«, begann die kleingewachsene Fremde zögerlich. Sie taumelte, wie eine verwundete Katze an Élée vorbei und lehnte sich rücklings gegen das Monument. Seufzend sank sie nieder und starrte zu Éléonore hinauf, die es wohl irgendwie geschafft hatte, sie zu beruhigen. Abgesehen davon, hatte das Mädel ohnehin die ganze Zeit nach oben gestarrt – Élée war einen guten Kopf größer als sie.
Auf die steht wahrscheinlich jeder, musste Élée unwillkürlich denken und war zum ersten Mal in ihrem Leben neidisch auf ein anderes Mädchen – nicht, dass sie es ihr nicht gegönnt hätte, doch die Hormone ließen sie gerade ein wenig abschweifen.
»Ich bin Hélise«, krächzte sie mehr, als sie es sagte.
Éléonore kniete sich auf den Boden, direkt vor ihr Gesicht und schenkte ihr ein freundliches, ehrliches Lächeln.
»Ich bin Éléonore«, kam es zunächst zögerlich, »aber Freunde nennen mich einfach Élée.«
Hélise zwang sich, ein Grinsen zu unterdrücken, doch genau so ehrlich, wie es das von Élée war, formte sie ihrerseits ein herzerweichendes Lächeln.
»Freut mich, dich kennenzulernen, Éléonore.« Doch die hilfsbereite Schülerin schüttelte energisch den Kopf.
»Ich sagte doch, für Freunde bin ich Élée.« Und hielt der Verletzten die rechte Hand hin – diese machte nur große Augen.
»Wir kennen uns nicht!«, platzte es, wahrscheinlich aggressiver als gewollt, aus ihr heraus, »Und dass wir Freunde sind, ist mir neu!«
Während Hélise dabei immer mehr die Mundwinkel sinken ließ, blieb Éléonore eisern grinsend vor ihr sitzen und behielt die Hand ausgestreckt. Erst als sie kichernd den Kopf zur Seite legte und die Augenbrauen emporzog, schmunzelte die verletzte Hélise wieder.
Zögerlich ergriff diese nun doch die Hand, es war für beide ein ungewohnt berauschender Augenblick. Als sich ihre Hände voneinander lösten, lehnte sich Élée direkt neben die Geschundene an das Monument und überlegte kurz, wie sie formulieren sollte, was ihr durch den Kopf ging.
»Hat... hat dein Vater dir das angetan?« Die mitfühlende Frohnatur rechnete mit einer erbosten oder zumindest ungehaltenen Reaktion. Hélise zog die Knie mit beiden Armen dicht an ihr Gesicht und schaute über ihre Beine hinab auf ihre dreckigen Schuhe.
»Nicht wirklich, aber ich hätte mir gewünscht, er hätte es verhindert«, erklärte das wundersame Mädchen mehr säuselnd, als überzeugend.
»Du meinst also, du hast selbst etwas Dummes getan und er hat nur zugesehen?«, wunderte sich Élée ungläubig und besorgt zugleich.
Hélise zuckte wie vom Blitz getroffen mit dem Kopf herum und schaute am Gesicht ihrer Gesprächspartnerin vorbei. Élée drehte sich irritiert um, rechnete zunächst damit, Didier würde wiederkommen. Doch erkennen konnte sie nichts.
»Es tut mir leid, ich muss los. Mein... Vater kommt gleich nach Hause und er will nicht, dass ich so lange unterwegs bin.« Vorsichtig rappelte sich die unbekannte Teenagerin am Sockel auf und lehnte sich einen Moment lang schnaufend an. Éléonore erhob sich kurz nach ihr und wollte sie stützen, doch Hélise wehrte ab.
»Wir sehen uns nicht wieder, aber... danke«, stammelte das verletzte Mädchen sichtlich niedergeschlagen.
»Ich kann dich so nicht alleine lassen!«, protestierte Élée energisch und stellte sich ihrer neuen Freundin in den Weg. Hélise schob sie sachte mit einem Arm aus dem Weg – Éléonore wich – und begann, wie ein geschlagenes Tier davon zu schlurfen.
Eigentlich wollte sie der Verletzten folgen, ihr helfen, doch irgendetwas sagte ihr, dass es ein Fehler gewesen wäre. Schweren Herzens respektierte sie die Entscheidung der aufregenden Fremden.
Selbst verwundet, wenn auch nur emotional, lehnte sich die mitfühlende Éléonore noch einen Augenblick gegen den warmen Stein.
Sie schaute dem fremden Mädchen einen Moment lang hinterher. Hélise hatte ihre Seele in diesen wenigen Minuten anscheinend inniger berührt, als zuvor noch Didier – dazu auf eine andere Art, irgendwie tiefer.
Auch, als sie hinter der nächsten Häuserecke verschwand, schaffte es Éléonore nicht, ihren Blick davon zu lösen.
Alle Gedanken über ihren Vater, den Jungen, den sie eben noch küssen wollte, ihre Freunde im Kino, waren wie weggeblasen.
Lange hing sie in Gedanken an diese Begegnung, bevor sie sich schwermütig von dem Monument abdrückte. Die Wärme die der aufgeheizte Stein an ihrem Arm hinterlassen hatte, verblasste schnell, doch das Gesicht von Hélise, vor ihrem inneren Auge, brannte sich fest.
Irgendwann würden sie sich wiedersehen. Das mussten sie einfach. Sie wusste nicht wann oder wo, aber etwas in ihr sagte ihr: man sieht sich immer zweimal im Leben. Mindestens. Ganz bestimmt!
Als ihr dieser Gedanke kam, bemerkte sie, dass sie vermutlich nach Didier sehen sollte – das war besser, als so zu tun, als wäre nichts geschehen. Élée war klar, dass er ziemlich sauer gewesen sein musste. Aber so gut wie die beiden sich verstanden hatten, würde er sie sicher verstehen, sobald sich die Gemüter abgekühlt hatten. Sicher würde er nochmal auf ein Date mit ihr gehen – warum nur fiel es ihr dann so schwer, wieder Richtung Kino zu laufen?
Wie angewurzelt schaute die grüblerische Schülerin für ein kleines Weilchen in den kräftigen blauen Himmel und stieß angestrengt die Luft aus.
Wer war sie? Und warum war sie so fürchterlich zugerichtet? Wieso hat sie gesagt, wir würden uns nicht wieder sehen? Paris ist groß, keine Frage. Aber… das klang so, als wäre irgendetwas nicht in Ordnung – so sah sie ja auch aus. Und was hat das mit ihrem Vater zu tun? Ist es vielleicht doch besser, wenn ich meinen nicht besuche, weil ich dann genau so enden könnte? Mon Dieu…
Éléonores Gedanken überschlugen.
Europa, Frankreich, Paris in einem renovierungsbedürftigen Sozialbau 24.06.2017 – Samstag, zwei Stunden zuvor
In einer schmalen, schwarzen Jeans und einer fast hautengen, grau-weiß karierten Bluse spazierte Hélise beinahe tänzelnd durch den Hausflur eines alten, ziemlich heruntergekommenen Wohnhauses. Leise summend brachte sie den Weg in den dritten Stock hinter sich, in dem sie vor einer der Wohnungstüren stehen blieb. Sie schaute auf die Nummer an der Tür und glich sie mit der Nachricht auf ihrem Handy ab. Grinsend klopfte sie an der Tür.
»Hallöchen!«, tönte sie fröhlich, die Hände unschuldig hinter dem Rücken verschränkt. Ihr aschgraues Haar wellte über ihre Schultern und betonte ihr geliebtes Halsband mit dem Schmuckstein umso mehr. Wenn man sie gefragt hätte, wie sie sich selbst in diesem Moment fand, wäre ihr unwiderstehlich als erstes in den Sinn gekommen.
Martyrion, siehst du zu? Sie war sich unsicher.
Irgendetwas sagte ihr, dass er tatsächlich nicht bei ihr war. Es war ein ungewohntes; ein zugleich beklemmendes und doch beflügelndes Gefühl. Es wäre das allererste Mal, dass sie ganz allein war, solange sie sich erinnern konnte. Allein heißt allein. Doch er würde sicher kommen, wenn es brenzlig würde.
Die Tür öffnete sich und ein nach Tabak stinkender Mann, Mitte Vierzig, stand breit grinsend in der Tür. Es brauchte einen Moment, bis er sein Gesicht wieder zur Raison gebracht hatte. Der Herr versuchte anscheinend, locker zu sein. Er strich sich durch seine kurzen, fettigen, schwarzen Stoppel auf dem Kopf und rückte sein fleckiges Flanellhemd zurecht.
»Ich will zu Lucas, ist er da?«, fragte Hélise immer noch vergnügt. Sie spielte die Nervöse und wippte ein wenig hin und her. Dem Mann schien das zu gefallen, unwillkürlich leckte er sich kurz über die Lippen, bevor er sich räusperte.
»Natürlich, natürlich... Er ist in seinem Zimmer, er erwartet dich schon sehnsüchtig.« Er machte ihr gerade genug Platz, damit sie sich beim vorbei huschen an seinem Körper entlang schieben musste.
Summend sah sie sich in der Wohnung um, die im Gegensatz zum Hausflur oder der Fassade des Hauses, ziemlich wohnlich aussah. Sie wusste, dass er log. Die begehrenswerte Jugendliche war sowieso nicht wegen des siebzehnjährigen Lucas hergekommen. Dennoch freute sie sich auf dieses Treffen, denn es war ihr erster Soloflug – oder zumindest der Erste, in dem sie sich nicht auf Hilfe verlassen konnte, sollte sie welche brauchen.
Eigentlich hatte sie ihren Soll fürs erste erfüllt, doch ihr schemenhafter Vertrauter war enttäuscht von ihrem letzten Ausflug in dieses schäbige Stundenhotel.
Sie hatte sich schon viele Gedanken darüber gemacht, aus welchem Grund sie dieses Wesen hörte und sah, aus welchem Grund er ihr Leben so maßgeblich bestimmte. Doch er war auch immer für sie da gewesen, der Einzige der sie wirklich liebte. Der Einzige der sie beschützte. Hélise war sich sicher, dass sie Martyrion das hier schuldete. Er hatte ihr mehr als einmal das Leben gerettet, also musste sie sich erkenntlich zeigen – zudem fand sie allmählich Gefallen daran. Nicht zuletzt durch die Gaben, die Martyrion ihr schenkte.
Das Mädchen begutachtete gerade noch ein offensichtlich gefälschtes Familienfoto, als die Wohnungstür abgeschlossen wurde und der Mann in die Küche huschte.
Kein Wein, Freundchen, dachte sie ein wenig angespannt. Als er zurück ins Zimmer trat, stellte sie das Bild wieder an seinen Platz und drehte sich grinsend zu ihm um.
»Ihr seht süß zusammen aus! Wo ist denn Lucas?« Sie spielte ihre Rolle überzeugend, hoffte sie.
»Oh ähm, er muss gegangen sein, als ich ein Nickerchen gemacht habe, aber er ist bestimmt gleich wieder da...« Dieser Kerl wirkte viel nervöser, als Thomas. Langsam war sie sich sicher: sie musste entweder das erste Mädchen sein, das auf ihn hereinfiel oder er war ein furchtbarer Lügner.
»Aber wenn du warten willst, setz dich nur...«
Ja ja, du mich auch.
»Wie lieb!«, sprach Hélise mit verzückender Stimme und konnte förmlich riechen, wie zunehmend erregter er wurde.
»Ich bin übrigens Camille«, log sie routiniert. Ihr war klar, dass er das bereits wissen musste. Er wusste bereits einiges über sie, das ohnehin nicht stimmte. Ihrem Profil nach war sie ziemlich unscheinbar, dennoch auffällig genug, um jemanden wie ihn anzulocken. Camille mochte Spaziergänge im Park, natürlich bei Mondschein. Spielte früher Blockflöte, war sehr geübt. Ging gerne zum Reiten, wollte Lucas das irgendwann auch mal zeigen. Das musste so jemandem einfach gefallen.
Hélise wurde das Gefühl nicht los, dass sie das Rauschen des Blutes in den Adern dieses Mannes hören konnte.
»Ich heiße Maxime-«, er stockte abrupt. Ihm fiel zu spät auf, wie platt er wirken musste auf ein fremdes Mädchen, das mit seinem imaginären Sohn befreundet war.
»Also nur falls, du weißt schon, du den Vater deines Freundes beim Vornamen nennen möchtest.« Er rümpfte die Nase und ließ sich aufs Sofa sinken.
Vollidiot, schoss es beiden durch den Kopf. Dann setzte sie sich – für ihn wohl unerwartet – dicht neben ihn. Hélise fuhr sich durch ihr welliges Haar, die Spitzen sollten seine Schulter streifen. Anschließend lehnte sie sich bequem zurück und schlug ein Bein über das andere. Die ansehnliche Verführerin wusste, dass er auf den legeren Teenie-Look stand, das hatte Hélise aus den Gesprächen mit dem gefälschten Profil des siebzehnjährigen Lucas erfahren. Ihr schmaler Körper mit dem üppigen Vorbau hatten unter Umständen aber auch einen Einfluss darauf, wie sehr Männer auf sie ansprangen.
Achtsam sammelte sie einzelne Flusen von der brandneuen Jeans und tätschelte dabei mehr als auffällig ihre Schenkel.
»Und ähm, möchtest du was trinken oder so?« Ein verstohlenes Grinsen fuhr ihr durchs Gesicht. Sie musste wirklich die Erste sein, die er in seine Wohnung zu locken schaffte. Kein wunder, denn alles an seinem Onlineprofil und seinen Geschichten schrie nach einsamer Möchtegern-Triebtäter hat Samenstau. Genau ihr Ding, für einen entspannten Nachmittag. Während sie so tat, als hätte sie gedankenverloren nicht gehört was er sagte, überdachte sie kurz ihre Situation.
Ich ernähre mich von Leid, Kind des Feuers, waren die Worte, die Martyrion ihr immer wieder eintrichterte. Thomas sollte ihre erste Gelegenheit werden, zu zeigen, dass sie ohne einen Babysitter für das Leid sorgen kann, das ihr Vertrauter so sehr verlangte. Ihr Vater wurde ziemlich sauer, weil er letzten Endes doch helfen musste. Er war schwer enttäuscht – Hélise durfte sich nach seinem ungeplantem Eingriff keine Fehler mehr erlauben. Die gefährliche Teenagerin würde es dieses Mal hinbekommen, das musste sie. Perverse leiden zu lassen, hatte zudem eine außerordentlich befriedigende Note. Das würde sie auch alleine können – schon deshalb, weil nun ein weiteres Körnchen von Martyrions Macht ihren Körper durchflutete.
»Ähm...«, entfuhr es Maxime nach einer peinlich langen Pause mit einer Mischung aus Unwohlsein und Ungeduld. Mit einem warmen Lächeln drehte Hélise den Kopf in seine Richtung.
»Hab ich was falsch gemacht?«, fragte sie gespielt verunsichert und schloss mit ihren Gedanken innerlich ab. Das Spiel musste beginnen.
»Och, du hast doch nichts falsch gemacht, Kleines«, gab er sich Mühe, sie nicht so kurz vor seiner erhofften Ziellinie zu verunsichern.
Och echote es in ihren Gedanken, das Mädchen fuhr sich ein weiteres Mal verspielt und amüsiert durchs Haar.
»Dann ist ja gut! Papa sagt immer, ich bin ein gut geratenes Mädchen.« Unnötig weit streckte sie sich, um ihre Rundungen zu präsentieren.
»Aber mir wird langweilig! Wo bleibt Lucas? Können wir was Nicht-totlangweiliges tun, bis er da ist?« Maxime konnte ein Grinsen nicht verbergen, er stank mittlerweile stärker nach Erregung, als nach Tabak.
»Du bist also ein braves Mädchen, ja? Und du tust immer artig das, was dir dein Vater sagt?«, merkte er mit einem anzüglichen Ton an, der sich nicht mehr hinter einer Fassade zu verstecken versuchte.
Es wird doch, dachte sie erleichtert. Nur eine Närrin hätte in diesem Gespräch die unlauteren Gedanken, die sich hinter seiner zittrigen Stimme verbargen, nicht erahnen können.
Geh ran, Tiger, fuhr es Hélise gelangweilt durch den Kopf, umso mehr Mühe du dir gibst, desto mehr wird's dir gleich wehtun, du Schwachkopf.
»Natürlich, und wenn ich artig bin, belohnt er mich!« In ihrer Vorstellung waren das die Sachen, an die jemand wie er nur denken musste, um die Beherrschung zu verlieren.
Hélise verstand, warum ihr Martyrion beigebracht hatte, dass die Männer die sie jagen sollte, auf sie anspringen sollten. Andererseits würde es ihrer Meinung nach sicher auch reichen, sie einfach zu töten. Bisher war ihr allerdings dabei, außer Ekel und der einen oder anderen kleinen Verletzung, nichts zugestoßen. Wenn Martyrion es gerne so will, dann wagte sie auch keine Widerworte. Letztendlich war es halb so wild. Hélise war bis heute eine glückliche Jungfrau – und hatte auch nicht vor, daran jetzt etwas zu ändern.
Seine nächste Reaktion jedoch traf sie wie der Blitz. Maxime fuhr sich durch seinen stoppeligen Bart und sprang wie ein verschrecktes Reh vom Sofa auf.
Bitte, was? Soll ich mich erst nackt in dein Bett legen, damit du aktiv wirst...?
Mit aufgerissenen Augen schaute sie ihm nach, wie er in der Küche verschwand. Es wurde ihr eindeutig zu dumm, so beschloss sie von ihrem eigentlichen Plan abzuweichen.
Die junge Killerin folgte ihm auf leisen Sohlen und stellte sich in den Türrahmen. Bisher bemerkte er noch nicht, wie Hélise ihn beobachtete. Dieser unerfahrene Möchtegern-Bösewicht war nicht hier, um irgendetwas Wichtiges zu tun. Keine Expertise, keine Vorbereitung, wie bei Thomas. Der Mann begann lediglich mit zittrigen Händen die Schränke zu durchwühlen. Er war ganz anders, als der Letzte.
Toll, er ist zu verunsichert. Er hatte anscheinend nicht einmal eine Vorstellung davon, was er mit einem Mädchen wie ihr tun sollte, wenn es tatsächlich in seine Wohnung kam. Glück für alle, die vielleicht wirklich auf seine billige Masche hereingefallen wären. Pech für ihn. Und ein bisschen für Martyrion, so hatte Hélise es nicht von ihm gelernt. Doch solange dieser Mann nur irgendwie litt, meinte sie, wäre es egal, ob er sich auf ein amouröses Abenteuer gefreut hatte. Es musste so oder so reichen, sie hatte wirklich keine Lust, sich an ihn heranzuschmeißen.
Katzenhaft schlich sich das reizvolle Mädchen neben ihn und warf einen Blick in die geöffneten Schränke und Besteckschubkästen.
»Miau«, tönte sie verspielt, vergnügt. Maxime sprang vor Anspannungen und Schrecken im Dreieck.
»Verdammt, was soll...«, protestierte er, bis ihm auffiel, dass die junge Camille es sich längst in seiner Küche seelenruhig gemütlich gemacht hatte. Mit einem ohnehin schon großen, in ihrer kleinen Hand jedoch lächerlich riesig wirkendem Küchenmesser, schälte sie einen Apfel.
Sitzend auf der Arbeitsplatte und fröhlich mit den Beinen wippend, achtete Hélise nicht auf die zu Boden fallende Schale.
Vorsichtig setzte Maxime sich auf einen Stuhl an den großen Küchentisch, ohne sie aus den Augen zu verlieren oder ihr womöglich zu nah zu kommen.