Highland Vampires: Liebe ohne Morgen - Gabriele Ketterl - E-Book
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Highland Vampires: Liebe ohne Morgen E-Book

Gabriele Ketterl

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Beschreibung

Was als harmlose Studienfahrt zu den historischen Stätten Schottlands beginnt, endet für die Studentin Susan in einer unerwarteten Zeitreise. Während der Besichtigung der Ruine von Crichton Castle stürzt sie in eine Bodenspalte und findet sich unversehens im Jahre 1766 wieder. Der charismatische Mann, dem sie in die Arme fällt, stellt sich ihr als Daniel MacFarlane vor. Er ist einer der drei legendären Highlander, dessen unglaubliche Geschichte man ihr noch vor wenigen Stunden als fantastische Legende erzählte. Mit Daniels Hilfe, viel Mut und einer gesunden Portion Galgenhumor macht sich Susan daran, sich mit ihrer neuen Situation anzufreunden, doch die MacFarlanes hüten ein dunkles Geheimnis. Sie sind samt und sonders Vampire – Seelen der Nacht. Ausgerechnet jetzt droht ihre Vergangenheit, sie einzuholen, und das bringt nicht nur die Brüder, sondern auch Susan in tödliche Gefahr.

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Liebe ohne Morgen

© 2023 Amrûn Verlag

Jürgen Eglseer, Traunstein

Umschlaggestaltung im Verlag

Printed in the EU

ISBN TB 978-3-95869-511-5ISBN ebook 978-3-95869-510-8

Alle Rechte vorbehalten

Besuchen Sie unsere Webseite:

amrun-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

v1/23

Für meinen Sohn Daniel und meinen Vater.

Ihr hattet nie die Möglichkeit eure Träume zu leben.

Mountains divide us and a waste of seas;

but still the blood is strong, the heart is Highland

and we in dreams behold the Hebrides.

Prolog

24. Februar 15

Eisiger Wind peitschte die Gischt des Loch Arkaig über die Ufer des großen Sees bis weit in die Ebene, die sich dahinter erstreckte. Die wenigen, vom Sturm gebeugten Bäume und Sträucher schienen sich mit letzter Kraft an den schlammigen Boden zu klammern.

Daniel versuchte, sich mithilfe seines riesigen Schwertes aufzurichten und wischte sich den Schweiß aus den Augen. Als er die Hand zurückzog, entdeckte er das Blut. Vorsichtig tastete er über die Stirn und zuckte mit schmerzverzerrter Miene zurück.

Die offene Wunde an seiner Schläfe war wohl nicht so harmlos, wie er gehofft hatte. Auch sein Bein bereitete ihm Sorgen, er hatte Mühe, es durchzustrecken. Immer wieder knickte es ihm weg. Sein Blick wanderte über das verlassen daliegende Schlachtfeld.

Zahllose Tote lagen überall verstreut. Die Überlebenden waren bereits verschwunden. Hier und da vernahm Daniel noch das leise Wimmern der Sterbenden. Der Sturm trug den metallischen Geruch kürzlich vergossenen Blutes vermengt mit dem Duft frisch aufgerissener Erde über das Feld. Warum nur hatte sich sein Vater zu diesem Wahnsinn überreden lassen? Sonst stets der besonnene Chieftain der MacFarlanes – zumindest, wenn es um die Sicherheit des eigenen Clans ging – hatte seine Entscheidung diesmal, die Camerons bei ihrem Kampf für unabhängige Highlands zu unterstützen, in einem Gemetzel geendet. Welch ein Irrsinn. Der Plan, dass die Hinrichtung der Königin die Möglichkeit bieten würde, das Regime der Clans wiederherzustellen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Daniel war wütend. Nicht nur auf seinen Vater, der sie in diesen sinnlosen Kampf hineingezogen hatte, nein, auch auf sich selbst. Was sollte er hier? Was sollten seine Brüder hier? Ein Gedanke, der ihn unvermittelt aufrüttelte. Jonathan, Andrew, wo waren die beiden? Er weigerte sich zu glauben, dass sie gefallen waren. Das konnte und durfte nicht geschehen sein. Als er versuchte, einen vorsichtigen Schritt zu tun, schoss ein infernalischer Schmerz durch seinen Körper. Daniel blickte an sich hinunter und was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht. Sein grobes Hemd war von Blut durchtränkt, der nasse Kilt klebte ihm klamm und kalt am Körper. Zunehmend fühlte sich sein linkes Bein taub an. Nur mit Mühe konnte er sich bücken und den Kilt anheben. In stetem Strom lief Blut aus einer klaffenden Wunde am Oberschenkel hinab in seine Stiefel. Das sah nicht gerade nach einer leichten Verletzung aus. Er atmete ein, so tief es der Schmerz in seinem Brustkorb eben zuließ, straffte seine Schultern und stolperte, das Toben in seinem Körper ignorierend, los in Richtung Ufer.

»Wenn ihr fühlt, dass das Ende kommt, versucht, das Wasser zu erreichen. Nur von dort aus könnt ihr über die Fluten in die Ebenen unserer Väter gelangen.«

Daniel hatte zwar keine Lust auf die Ebenen der Väter, aber zumindest hoffte er, dass auch seine Brüder diesen Satz ihres Vaters verinnerlicht hatten und er sie dort finden konnte. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte er sich seinen Weg durch Tote und Sterbende. Mit jedem Schritt, mit jeder noch so kleinen Bewegung schwand seine Kraft. Nur mit Mühe gelangte er an das steinige Ufer des Loch Arkaig. Immer wieder knickte sein Bein ein und sein Schwert war nur eine ungenügende Stütze. Daniel stemmte sich, soweit er es noch vermochte, gegen den Sturm, der in seiner ganzen Urgewalt über dem großen Loch und der Ebene tobte. Er sah seinen Bruder sofort. Jonathan MacFarlane war eine eindrucksvolle Erscheinung, doch jetzt lag er verkrümmt und blutbeschmiert zwischen den grauen Steinen, eine Hand nach dem Wasser ausgestreckt, als könnte es ihm in irgendeiner Form seine Kraft zurückgeben. Sein langes dunkles Haar klebte in seinem Gesicht und am Körper. Daniel wusste instinktiv, dass sein älterer Bruder mit dem Tod rang. Er sank auf die Knie und kroch auf Jonathan zu. Als er ihn erreichte, sah er die riesige Wunde in dessen Brustkorb.

»Nein, Jonathan, du darfst nicht sterben. Wofür? Warum? Ich hasse unseren Vater, ich hasse all das Gerede von Ehre und Ruhm. Was bringt es den Toten, die dafür starben?« Tränen liefen über Daniels Wangen. Wütend strich er seine blutbesudelten blonden Locken aus dem Gesicht.

»All das nutzt uns nichts mehr, kleiner Bruder. Ich sah Vater fallen. Alles, woran ich mich noch klammere, ist, dass Andrew lebt. Unser Kleiner darf nicht auch noch sein Leben verloren haben.« Die tiefe Stimme seines Bruders war nur noch ein leises Flüstern, kaum dass Daniel ihn zu verstehen vermochte.

»Wundervoll. Hier liegen wir nun, verblutend, für nichts als das Wissen, dass wir unsere vermaledeite Pflicht erfüllt haben.« Zornig warf Daniel sein Schwert von sich.

»Wer sagt Euch, dass Ihr sterben müsst, Ihr Herren?«

Die Stimme schien aus dem Nichts zu kommen, doch als Daniel den Kopf wandte, sah er eine schmale Gestalt, die sich langsam aus den grauen Nebelschwaden am Ufer löste und auf sie zukam. Der Mann war nicht groß und sah in keiner Weise Furcht einflößend aus, und doch war etwas an ihm, was Daniel erschaudern ließ.

Es war eine Aura der Macht, der Kraft und ein seltsames Vibrieren, das ihn umgab.

»Wer seid Ihr? Was tut Ihr auf diesem Feld der Toten?«

»Wer spricht denn hier von Toten? Ihr lebt, oder irre ich mich? Ihr lebt und ich kann dafür sorgen, dass dies so bleibt.« Der Mann war neben ihm in die Knie gegangen und sah Daniel fragend an.

»Dazu müsstet Ihr magische Kräfte haben, seht uns doch an. Wir haben nicht mehr genug Blut in unseren Körpern, um uns Gedanken über das Leben zu machen, der Tod liegt uns näher.«

»Keinesfalls. Sagt mir, ob Ihr leben wollt, Ihr Herren. Sagt mir, ob Ihr den Verrat derer von Bothwell, denen Ihr dieses Massaker hier zum größten Teil zu verdanken habt, irgendwann einmal rächen wollt. Glaubt mir, der Tag wird kommen.« Der Mann neigte sein Haupt und suchte Daniels Blick. »Beeilt Euch, Daniel MacFarlane, selbst meine Macht hat ihre Grenzen. Wie lautet Eure Antwort?«

»Wenn wir alle hätten überleben können, so zöge ich es durchaus in Betracht, doch Andrew scheint gefallen zu sein, ebenso wie unser Vater. Ich weiß nicht, ob ein Weiterleben sinnvoll wäre.«

»Oh, Ihr irrt Euch. Ja, Euer Vater ist tot, das ist wohl wahr, nicht jedoch Euer Bruder.«

Der Mann erhob sich und wandte sich dem Ufer zu. Dort erschien eine riesenhafte Gestalt. Eine wilde, rote Flut aus Haaren umrahmte ein von Wind und Wetter gegerbtes Antlitz, ein weiter grüner Umhang vermochte nur leidlich, die Muskelberge zu bedecken, die sich darunter verbargen. Der Riese kam mit langsamen, bedachten Schritten näher und Daniel erkannte mit Staunen, wener auf seinen Armen trug.

Andrew.

Vorsichtig legte der Gigant den Körper seines Bruders ab und wandte sich dem Fremden zu. »Herr, er lebt, doch auch in ihm ist nur noch ein kleiner Funke zu erspüren. Ihr müsst Euch beeilen, wenn Ihr sein Leben retten wollt.«

»Seht her, Ihr Herren, Euer Bruder ist, ebenso wie Ihr, noch am Leben. Ich frage ein allerletztes Mal: Wofür entscheidet Ihr euch? Leben oder Tod?«

Leben.

Daniel wollte leben. Fünfundzwanzig Jahre waren kein Alter, um zu sterben, noch weniger die dreiundzwanzig Jahre, die Andrew bis zu diesem Tag vergönnt gewesen waren. Egal, wer der geheimnisvolle Mann sein mochte, er vertraute ihm, musste ihm vertrauen.

»Leben. Ich spreche für mich und – so hoffe ich – für meine Brüder. Wir wollen leben.« Daniels Blick verschleierte sich, der Tod griff nach ihm und Daniel bezweifelte, dass das, was er gerade erlebte, noch Wirklichkeit war. Wohl eher ein wahnsinniger Traum, eine Vision der langsam heraufziehenden Finsternis.

Der Fremde lächelte ihn zufrieden an. »Ihr habt weise gewählt, Daniel. Sehr weise. Ich werde Euch helfen, Euer neues Leben anzunehmen, doch nun muss ich rasch handeln. Habt keine Furcht, nur ein kurzer Schmerz steht noch zwischen Euch und einem neuen, einem anderen Leben.«

Der Mann beugte sich zu ihm hinab und das Letzte, was Daniel zu bemerken vermochte, waren lange weiße Zähne, die sich seinem Hals näherten, und einen tatsächlich nur kurzen stechenden Schmerz.

Das Ufer des Loch Arkaig verschwamm vor seinen Augen und Dunkelheit umfing ihn – doch die Dunkelheit zerrann und verwandelte sich in silbernes Licht.

Berlin

August 2013

Herrlich. Einfach nur herrlich. Die rotgoldene Sonne wärmte ihre Haut, Wellen plätscherten sanft an das Ufer des endlosen Strandes und der hübsche Fremde vor ihr im Einbaum schickte sich an, den Außenbordmotor anzuwerfen, um mit ihr auf das im Sonnenlicht glitzernde Meer hinauszufahren.

Der Motor schien ihr ein wenig zu laut für diese Idylle. Er sollte ihn ausmachen, lieber würde sie mit ihm Seite an Seite rudern. Su streckte den Arm aus, wollte den schönen Jüngling sachte berühren … und fiel …

»Autsch. Mist verflixter! Was ist denn jetzt los?«

Es dauerte eine Weile, ehe Su verstand, was passiert war. Das war es mit warmer, rotgoldener Sonne und plätschernden Wellen. Die Morgensonne schien zwar durch das offene Fenster in ihr Gesicht, doch vor ihrem Haus fuhr ein Fahrzeug der Straßenreinigung und säuberte mit lautem Geplätscher und Getöse die Gehwege. Der Außenborder entpuppte sich ziemlich zügig als ihr Wecker, der unbeirrt lautstark vor sich hin brummte.

Augenblick, Wecker? Da war doch was. Natürlich, das Treffen mit den anderen Teilnehmern der Studienreise. Mühsam rappelte sich Su auf und sah mit Schrecken, dass die Uhr bereits Viertel nach acht zeigte. Sie hatte nur noch eine Viertelstunde, um rechtzeitig im Café anzukommen. Miese Voraussetzung, um pünktlich zu sein.

»Ach du Schande. Lass das jetzt nicht wahr sein.«

Hektisch zog sie sich das T-Shirt über den Kopf und beim Versuch, ihre Pyjamahose elegant von sich zu werfen, verhedderte sie sich rettungslos darin.

»Danke, du dussliger Dienstag, das habe ich dringend gebraucht.«

Fluchend entwirrte Su das Chaos, sprintete ins Bad, wusch sich in aller Eile das Gesicht und malträtierte ihr langes hellbraunes Haar mit einer Bürste. Sie zwang die dichte Haarflut in einen straff am Hinterkopf sitzenden Pferdeschwanz, putzte sich die Zähne und hastete zurück ins Schlafzimmer. In aller Eile zog sie ein ärmelloses schwarzes Shirt über, dazu ihre geliebten, kurz über den Knien abgeschnittenen Jeans. Auf dem Weg in den Flur griff sie sich in der Küche einen Apfel, schlüpfte kauend in ihre schwarzen Converse und war keine sieben Minuten, nachdem sie aus dem Einbaum – oder vielmehr aus dem Bett – gefallen war, unterwegs in Richtung Kurfürstendamm.

Sie hatte in weiser Voraussicht auf den morgendlichen Straßenverkehr in der Stadt das Fahrrad gewählt. So trat sie, so kräftig sie konnte, in die Pedale. Die fluchenden Autofahrer, die sie mit ihrer Kamikazefahrweise zu abenteuerlichen Brems- und Ausweichmanövern zwang, ignorierte sie geflissentlich. Ziemlich außer Atem erreichte sie die schmale Seitenstraße und bog, wahrscheinlich ein bisschen zu schnell, ab.

»Unverschämtes Weibsstück.«

Wenn sie es nicht so eilig gehabt hätte, wäre allein dieser Ausruf ein Grund gewesen, um anzuhalten und herauszufinden, wie jemand aussah, der eine Frau als Weibsstück bezeichnete. Leider musste ihre vokabularbedingte Persönlichkeitsstudie heute warten. Mit fast einer halben Stunde Verspätung erreichte sie das Café Kant und sperrte, hektisch und verzweifelt nach Luft japsend, ihr Rad ab. Eine sehr sympathische Geräusch- und Geruchkulisse begrüßte Su, kaum dass sie die schwere alte Holztür des Cafés aufgewuchtet hatte. Fröhliches Lachen, laute und etwas leisere Gesprächsfetzen drangen an ihre Ohren, überlagert von dem herrlichen Duft frisch gebrühten Kaffees und knackiger, einladender Backwaren. Weniger erfreulich war Marius’ Gesicht, das sich ihr just in diesem Augenblick von einem großen Tisch im hinteren Bereich des Cafés zuwandte.

Oh weh, das sah nicht sehr vielversprechend aus. Eilig schlängelte sich Su durch die eng stehenden Tische und Stühle auf ihre Kommilitonen und ihren leicht gereizt wirkenden Dozenten zu.

»Sorry, hab verpennt.«

»Verzeihung, wie war das?«

»Entschuldigen Sie bitte, ich habe verschlafen.«

»Na bitte, geht doch. Dass du dich verständlich und in ganzen Sätzen artikulierst, nachdem du uns hier hast warten lassen, ist wohl das Mindeste, was wir verlangen können.« Marius war eindeutig verärgert.

Dabei war Marius Zeiselmair sonst eigentlich eher von der geduldigen Sorte: gerade zweiundvierzig Jahre alt und Dozent für Anglistik an der Uni Berlin, Bayernimport der allerersten Güte.

Su versuchte, ein möglichst zerknirschtes Gesicht hinzuzaubern.

»Das ist nur, weil ich mich über mich selbst ärgere. Es tut mir echt leid, ich weiß ja, wie viel wir noch zu planen haben.«

»Gut erkannt, junge Dame. Dabei darf ich noch ganz beiläufig darauf hinweisen, dass du es warst, die für diese Uhrzeit und diesen Treffpunkt plädiert hat. Jetzt setz dich endlich, du machst mich nervös, wenn du so verknittert dastehst.« Marius wedelte sie ungehalten zu dem letzten freien Stuhl an den beiden zusammengeschobenen Tischen.

Su fühlte, kaum dass sie saß, einen bohrenden Zeigefinger zwischen ihren Rippen.

»Denk dir nichts. Ich glaube, er hatte eine miese Nacht. Ich tippe auf zu wenig Sex.« Mel, Sus beste Freundin in diesem Kurs, hatte wahrlich leise geflüstert, trotzdem drehte sich Marius um und seine braunen Augen hinter der Nickelbrille funkelten ziemlich wütend.

»Ich für meinen Teil tippe auf zu wenig Arbeitseinsatz, liebe Melanie. Der Schlaf hat mich gemieden, weil ich versuchte, möglichst viele Punkte aus euren letzten Seminararbeiten herauszuholen. Ihr macht es mir wahrlich nicht leicht.«

»Na ja, darum fliegen wir doch nach Manchester und nach Schottland. Wenn wir es selbst sehen und erleben, sind wir sicher viel besser.« Su sah ziemlich überzeugt aus.

Der Blick, den Marius ihr daraufhin zuwarf, sprach Bände.

»Ihr hört mir jetzt alle sehr genau zu. Wenn noch irgendwas schiefgeht, blase ich das Unternehmen ab. Wollt ihr das?«

Einhelliges Kopfschütteln war die Antwort. Die Idee, den verstaubten Hörsaal zuerst gegen Manchester, seine industrielle Entwicklung und sein Umland und gar gegen Schottland einzutauschen, war zu verlockend.

»Also, ich fahre fort. Ich gehe davon aus, ein jeder von euch hat Geld eingewechselt und bereits alles, was ihr benötigt, eingekauft. Wir führen ein Tagebuch während der gesamten Reise, ich habe extra ein neues Tablet besorgt. Ach, Melanie, da du offensichtlich so gern tippst, wie wäre es, wenn du das übernehmen würdest? Die anderen Damen und Herren liefern dir sicherlich gern den passenden täglichen Input. Eine vorsichtige Warnung: Ich will, dass dieses Reisetagebuch perfekt wird, denn nur damit können wir im Nachhinein unsere Unternehmung anständig rechtfertigen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, Frollein Arnold?«

Melanie nickte etwas betreten. »Überdeutlich. Ich werde dich nicht enttäuschen, versprochen.«

»Nun gut. Das wäre damit geklärt. Heute ist Dienstag, unser Flug geht am Freitag um sechzehn Uhr ab Berlin. Bis dahin habt ihr alle – und zwar ausnahmslos alle – diesen Ablaufplan verinnerlicht. Sekunde mal.«

Marius zog einen Stapel Papier aus seiner altmodischen braunen Aktentasche. »Das sind jeweils sechs Seiten. Melanie, du kannst dich daran ein wenig orientieren und das Gerüst für das Tagebuch basteln. Ich gebe dir nachher gleich das Tablet, ich schätze, du kannst damit umgehen.«

Melanie nickte eifrig. »Damit ist sicher auch Facebook machbar, oder?«

»Wenn ich dich dabei erwische, dass du mit dem Ding auf Facebook oder sonst irgendeiner Community bist, versenke ich dich eigenhändig im Loch Ness … mit einem Gewicht an den Füßen. Noch Fragen?«

»Ähm, nein, ich denke, jetzt ist das klar.« Melanie zog eine enttäuschte Grimasse.

»Sehr schön. Dann brauchen wir mindestens zwei Leute, die das Ganze fotografisch begleiten. Wir brauchen exzellente Bilddokumente. Wer will? Wer kann?« Marius Blick huschte über die zwölf Anwesenden.

»Das kann ich machen, sehr gern sogar. Ich hab mir doch die neue Kamera gegönnt. Meine Bilder sind ziemlich gut«, sagte Su zaghaft.

Marius nickte zustimmend. »Tatsache, deine Bilder haben echt was. Gut, damit ist das beschlossen. Chris, könntest du zur Sicherheit auch noch ein paar Bilder von allen Sehenswürdigkeiten machen? Ach, und Chris, damit meine ich nicht irgendwelche Highland-Schönheiten, verstanden?«

Chris grinste in sich hinein. »Kein Thema, ich halt mich zurück.«

»Gut, dann gehen wir gleich den Ablauf durch. Wenn jemand Fragen hat, bitte jetzt stellen – oh, mein Croissant, macht Platz, Leute.« Marius verstand es eindeutig, Prioritäten zu setzen.

Drei Tage später.

Es war nicht Freitag der Dreizehnte, auch wenn Su ab und an glaubte, es wäre doch einer. Zum dritten Mal radelte sie heute durch das Berliner Vor-Wochenend-Chaos. Zuerst war sie brav bei ihren Eltern gewesen, um sich für die nächsten zwei Wochen zu verabschieden. Das klang, so banal dahingesagt, einfacher, als es tatsächlich war. Ginge es nach den Vorstellungen ihrer Mutter, hätte es sich beim vierzehntägigen Trip nach Großbritannien ebenso gut um ein Jahr im Kriegsgebiet des Sudan handeln können. Es war wahrlich nicht leicht gewesen, ihre überbesorgte Mutter davon zu überzeugen, dass England und Schottland durchaus zivilisierte Länder waren. Die Tatsache, dass dort fluchende, bärtige Männer in Röcken mit Baumstämmen warfen, um anschließend flaschenweise Whisky in sich hineinzukippen, musste erst einmal vernünftig erklärt werden. Warum musste sie sich auch die Doku über die Highland Games ansehen? Kaum war das bewältigt, sagte ihre Freundin Tina ausgesprochen zerknirscht für die zweite Woche fürs Blumengießen ab, im Anschluss fiel Su auf, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, wann und wo sie in England die richtigen Batterien für ihre Kamera finden würde. Als ob das noch nicht genug wäre, fiel andauernd der Akku ihres Handys aus und sie sah sich gezwungen, rasch zum Shop zu radeln und ihre knappe Reisekasse vorab durch den Erwerb eines neuen Akkus zu strapazieren. Mist. Das ging ja gut los.

Mittlerweile war es zwölf Uhr dreißig und bei einem war sich Su absolut sicher: Wenn sie heute zu spät am Flughafen eintrudelte, würde Marius sie vierteilen, mindestens.

Kaum wieder zu Hause schleppte sie daher außer Atem ihr Fahrrad in den Radkeller, schloss es ab und hastete über die Treppen nach oben. Der riesige Trolley erwartete sie bereits fast fertig gepackt. Sie musste nur noch die Batterien, ihre neuen Jeans und eine Sweatjacke hineinstopfen. Das schien irgendwie immer mehr zu werden. Die Liste war doch gar nicht so lang gewesen. Zweifelnd musterte Su den Kofferinhalt, es half eh nichts. Wenn sie jetzt etwas wieder herausnahm, würde sie es hundertprozentig in den nächsten zwei Wochen brauchen. Also blieb alles drin und sie quetschte ihre Habseligkeiten mit einem großen Badetuch fest. Schließlich kamen sie an diversen Seen vorbei, da war sicher ein Bad in einem echten schottischen Loch drin. Nur mit großer Mühe und viel Körpereinsatz schaffte sie es, den Koffer zu schließen. Er ächzte bedrohlich, doch das ignorierte Su ebenso wie die Tatsache, dass das Gepäck nur zwanzig Kilo wiegen durfte. Der Herr war mit den Wagemutigen. Zumindest hoffte sie es.

In Windeseile kam in ordentlicher Reihenfolge und akribisch auf ihrem Zettel abgehakt das Zeug, das sie nicht aus den Händen geben wollte, in ihren großen Rucksack. Kamera: drin. Handy: drin. Medikamente: drin. Schere: drin … Mist. Eben nicht! Fluchend nahm Su die Schere wieder aus dem Handgepäck. Sie wollte nicht wieder dem Berliner Zoll eine Schere vermachen, das wäre die vierte in fünf Jahren. Endlich sah es so aus, als wäre sie tatsächlich fertig. Ein eiliger Kontrollgang durch die Wohnung, ein letzter Blick aus dem Fenster auf das Gewühl in ihrer Straße und schon hupte unten das Taxi, das sie gerufen hatte. Den Luxus gönnte sie sich. Mit dem Megakoffer in den Bus zu steigen, wäre an einem Freitagnachmittag einer Mutprobe nicht unähnlich gewesen. Da der Taxifahrer es vermied, sie zu fragen, ob er helfen könne, wuchtete sie ihr Gepäck leise vor sich hin schimpfend die Treppen hinunter. Immerhin ließ er sich dazu herab, sich aus dem Auto zu bequemen und ihre Sachen im Kofferraum zu verstauen.

»Danke. Zum Flughafen bitte und wenn es geht unter einer halben Stunde.«

»Kleene, wenn de Straße vastopft ist, kann ick so jar nüscht machen.«

»O doch, Sie könnten losfahren. Sorry, aber wenn ich heute zu spät komme, kann ich meinen Semesterschein knicken, also bitte versuchen Sie es.«

Su versuchte nicht, die Antwort zu verstehen, sondern lehnte sich erschöpft in die Polster zurück. O Mann, warum musste bei ihr immer alles zu einer Monsteraktion ausarten? Immerhin, sie saß in einem Taxi, das tatsächlich fuhr und noch war die Uhr nicht ihr Feind.

Berlin, Flughafen

Geschafft! Sie war tatsächlich pünktlich, zwar auf den allerletzten Drücker, aber immerhin. Marius prüfender Blick auf seine Armbanduhr stellte also in keiner Weise eine Gefahr dar. Ihr gelang sogar ein fröhliches Lächeln und ein dank des Gewichtes, das sie mit ihrem Koffer hinter sich herzog, leider etwas gepresstes »Schön, dass ihr auch schon da seid.«

Mel grinste sie nur breit an. »Herzilein, eine Minute später und es hätte sich was mit deiner Fröhlichkeit. Ich freue mich so!«

Su nickte eifrig. »Frag mich mal. Nein, lieber nicht. Wahrscheinlich würde ich dich total zutexten, so aufgeregt bin ich. Ich war nur einmal in England und Schottland kenne ich nur von Bildern und aus Filmen. Ich freu mich unbeschreiblich.«

»Na, dann darf ich davon ausgehen, dass du irgendwelche, wie auch immer geartete Katastrophen weitläufig umrunden wirst? Du würdest mir damit wirklich eine große Freude machen.« Marius Stimme klang sehr versöhnlich und nun, da tatsächlich alle pünktlich samt Gepäck und unverletzt am Counter der Fluggesellschaft standen, schien er seinen legendären Humor wiedergefunden zu haben.

Su gedachte nicht, ihren Dozenten erneut auf irgendeine Palme zu bringen, und so nickte sie mit einem leicht zerknirschten Lächeln. »Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, dass ich die nächsten vierzehn Tage nichts Unüberlegtes oder gar Gefährliches tun werde. Indianerehrenwort.«

Grinsend schulterte Marius seinen riesigen Trekkingrucksack. »Dein Wort in Gottes Gehörgang. Also, vorwärts, Leute, es geht los. Stellt euch an und holt eure Tickets und Ausweise raus.«

»Wir brauchen einen Ausweis? Echt?«

»Su!«

»War nur ein Scherz. Relax. Ich hab ihn natürlich dabei. Alles gut.« Kichernd schob Su ihren Trolley zum Counter. Doch, sie freute sich wirklich sehr auf diese Reise.

Um ein Haar wäre ihre Freude nur von kurzer Dauer gewesen.

»Na, haben wir aus Versehen Pflastersteine eingepackt?«

Ratlos blickte Su die nette, etwas rundliche Bodenstewardess an, aus deren Mund diese bedrohlichen Worte gekommen waren.

»Also, Steine nicht wirklich, aber ganz viele Dinge, die ich zum Überleben brauche.«

»Ach, Sie brauchen also über sechsundzwanzig Kilo zum Überleben?«

»Hoppla, so viel ist das?« Su war schuldbewusst. »Das hätte ich nicht gedacht, tut mir leid.«

»Wäre sinnvoll gewesen, den Schrankkoffer vorher auf eine Waage zu stellen. Das kann wirklich helfen.«

»Mist, was machen wir denn jetzt? Hilft es irgendwas, wenn ich sage, dass ich in den letzten sechs Monaten über fünf Kilo abgenommen hab?«

Die Dame hinter dem Counter bemühte sich redlich, eine ernste Miene beizubehalten, was allerdings nicht ganz gelang.

»Gut, ich will nicht so sein, aber nur, weil die Maschine nicht ganz ausgebucht ist. Da darf ich ein Auge zudrücken. Vorsicht beim Rückflug, die Kollegen in London sind nicht so langmütig wie ich. Verstanden, junge Dame?«

Su nickte heftig und bedachte die Bodenstewardess mit ihrem strahlendsten Lächeln. »Oh ja, ich habe verstanden. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Vielen lieben Dank, das ist wirklich nett.«

Die Dame grinste Su über den Counter an. »Tja, so bin ich, zu gut für diese Welt, und nun trollen Sie sich, bevor ich es mir anders überlege.«

Mit freundlichem Winken und ziemlich dankbar schulterte Su ihren Rucksack und gesellte sich zu den anderen, die bereits warteten, um schließlich gemeinsam durch die Sicherheitskontrolle zu gehen.

»Mädel, nimm mir das nicht übel, aber du hast tatsächlich ab und an mehr Glück als Verstand.« Marius musterte seine Studentin fast schon bewundernd.

»Danke, ich nehme das einfach als Kompliment.«

»Wie du meinst. So, ich denke, wir sind vollzählig. Bitte alle zum Sicherheitscheck und zum Gate. Wir haben, sobald wir durch sind, noch knapp eine Stunde Zeit. Wer also noch was kaufen will, oder aufs Klo muss …« Marius lächelte fröhlich in die Runde. Man sah ihm an, dass auch er sich auf die Reise freute.

»Au ja, eine Flasche Wodka als Reiseproviant.« Severin kicherte leise in sich hinein.

»Junge, wir diskutieren das aus, sobald wir in Schottland sind. Ich kenne da einen exzellenten Pub in Edinburgh, die schenken den weltbesten Whisky aus. Dort werden wir beide einmal herausfinden, wer härter im Nehmen ist.« Marius hatte die Stirn in grüblerische Falten gelegt und sah Severin herausfordernd an.

Severin überlegte kurz, sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher. »Na gut, ich nehm mal’n stilles Wasser für den Anfang.«

In bester Laune machte sich die Truppe auf zum Gate für den Flug nach London. Su reihte sich in die Schlange der Wartenden ein. Während ihre Habseligkeiten durchleuchtet wurden, warf sie noch einen Blick zurück durch die große Glasscheibe, hinaus auf den bunten trubeligen Vorplatz des Flughafens. Ob Berlin ihr fehlen würde? Wohl kaum. Außerdem würde sie in nur zwei Wochen wieder hier sein. Was sollte in so kurzer Zeit schon groß passieren?

Nordengland/Schottland

2013 – Reisetagebuch Melanie Arnold

Tag 4

Manchester war enorm beeindruckend. Eine große, lebendige Stadt mit viel Industrie, teils noch in historischen Hallen untergebracht, teils in hochmodernen Gebäuden. Dazu ein nicht zu verachtendes Bankenviertel, eingebettet in eine moderne, aufstrebende City. Allerdings haben wir auch viele Dinge gesehen, die nicht in das Bild einer »gesunden« Großstadt passen wollten. Viele Menschen sind wohl – trotz Industrie – ohne Arbeit. Insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit ist ein großes Thema hier im Norden. In diversen informativen Gesprächen mit jungen Leuten wurde viel Unzufriedenheit mit dem aktuellen Istzustand geäußert.

Im Großen und Ganzen war Manchester aufregend. Für uns war der Aufenthalt hier nicht nur interessant und sehr lehrreich, sondern auch ziemlich unterhaltsam. Durch unsere kleine Bed-and-Breakfast-Pension, die mit uns dreizehn Leutchen komplett ausgebucht war, hatten wir den ersten Kontakt zu den Briten. Unsere Landlady war eine reizende und sehr besorgte Gastgeberin, die uns nach Strich und Faden verwöhnte. Das leckere englische Frühstück werden wir sicherlich vermissen, vor allem den knusprigen bacon und die fluffigen scrambled eggs. Nicht ganz so sehr vermissen werden wir wohl – und hier spreche ich für die komplette Truppe – Lammfilet mit Minzsoße. Wir alle haben tapfer gekostet und – da wir die Gastgeber nicht kränken wollten – brav gegessen. Einhellige Meinung: Minze in Zartbitterschokolade – wunderbar, Minze in Massen an Lamm – höchst sonderbar.

Im Augenblick huschen vor dem Fenster des Zugabteils die letzten Ausläufer Manchesters an uns vorbei. Man glaubt es kaum, wir sind tatsächlich auf dem Weg nach Schottland. Die Planung steht fest und die Schlösser und Burgen, die wir uns ansehen werden, haben wir gemeinsam ausgewählt. Vorerst freuen wir uns allesamt unglaublich auf Edinburgh, wo unsere Reise nicht nur beginnen, sondern in zehn Tagen auch enden wird. Wir haben das unglaubliche Glück, dass ein alter Freund unseres Dozenten dort Event-Manager in einem der wohl schönsten und traditionsreichsten Hotels ist. Auf diese Weise kommen wir in einen Genuss, den wir uns unter normalen Umständen niemals hätten leisten können. Wir werden zwei Nächte im traditionsreichen »The George Hotel« verbringen. Laut unserem Dozenten ist allein das Hotel eine kleine Zeitreise und erzählt viele spannende Geschichten.

In diesem Sinne: Schottland, wir kommen.

»Ach du heilige Victoria. Wie geil ist das denn?« Bewundernd ließ Chris seine Kamera sinken. Vor ihm erhob sich die hochherrschaftliche und beeindruckende Fassade des »The George« und brachte selbst den sonst nie um einen flotten Spruch verlegenen Seminarclown zum Schweigen.

»Das ist herrlich.« Su flüsterte fast, so sehr faszinierte und beeindruckte sie das altehrwürdige Gebäude.

»Ach, habe ich etwas gefunden, das euch Lästermäulern ein bisschen Ehrfurcht abnötigt? Ja, meine Lieben, hier stehen wir vor einem Haus mit einer langen Geschichte und einer nicht weniger langen Tradition. Hier haben Kaiser und Könige genächtigt, hier trifft man auf die Geister der Vergangenheit und jedes Zimmer hat seine eigene, ganz spezielle Geschichte. Kein Raum ist wie der andere und ein jeder ist auf das Liebevollste ausgestattet. Hier könnt auch ihr Ungläubigen der Geschichten und Traditionen ein wenig Demut im Angesicht der vergangenen Jahrhunderte an den Tag legen.« Marius seufzte leise. »Ich liebe dieses Haus und nun kommt mit hinein und erweist dem ›George‹ bitte den Respekt, den es verdient.«

Sie wurden von Charles, Marius’ Freund, einem sehr fröhlichen Schotten im Kilt und mit herzerfrischendem schottischen Akzent, auf das Freundlichste begrüßt, und bekamen umgehend eine Führung durch das Hotel. Charles erzählte die Geschichte des Traditionshotels so begeisternd und spannend, dass selbst Chris und Severin gebannt lauschten. Zwei Stunden später standen sie wieder in der äußerst edel möblierten Empfangshalle des »George« und Charles fuhr sich lächelnd durch den rotblonden Haarschopf.

»Ich hoffe, dass es nicht allzu langweilig war und ich einige eurer Fragen beantworten konnte. Leider war es uns nicht möglich, alle Zimmer auf der gleichen Etage zu reservieren, aber ich denke, eure Unterkünfte werden euch gefallen. Wir haben immer Doppelzimmer belegt, nur du, Marius, hast ein Einzelzimmer. Es ist schon alles vorbereitet und ihr könnt euch erst mal ein wenig erholen, nach so viel Kultur und Geschichte.«

Breit grinsend wandte sich Charles an Marius. »Alter Freund, wenn du Lust hast, könnten wir vor dem Abendessen, zu dem ich euch übrigens herzlich einlade, noch einen … äh … Tee … trinken.«

»Tee? Das ist eine sehr gute Idee, exzellent. Das machen wir. Darauf freu ich mich, seit wir in Berlin losgeflogen sind. Es geht doch nichts über schottischen Tee.«

Mel beugte sich zu Su hinüber. »Sag mal, seit wann fährt Marius denn so auf Tee ab? Ist der schottische Tee denn so was Besonderes?«

Kopfschüttelnd wandte sich Su der Freundin zu und blickte sie nachsichtig lächelnd an. »Mensch, kapierst du denn nicht? Schottischer Tee? Hallo, aufwachen. Die beiden gehen jetzt erst mal alten Whisky bechern. So sieht es aus.« Grinsend schulterte Su ihren Rucksack. »Los, komm mit, wir verduften auf unser Zimmer. Ich würde gern duschen, bevor wir zum Abendessen antreten. Ach, Charles, darf ich fragen, was es zu essen geben wird? Ich bin da immer so neugierig.«

Das seltsame Lächeln, das sowohl Charles als auch Marius nach dieser Frage im Gesicht hatten, machte Su ein wenig nervös.

»Es gibt etwas, was fast genauso traditionsreich ist wie dieses Haus. Lasst euch überraschen.«

»Überraschen, hm, na gut. Ich mag Überraschungen per se, aber wenn es um meinen Magen geht, bin ich etwas eigen.« Leise vor sich hin grummelnd machte sich Su, gefolgt von einer feixenden Mel, auf den Weg zu ihrem Zimmer.

Im »George« gab es noch Schlüssel für die Räume, richtig schöne, große Schlüssel, nicht diese profillosen, langweiligen Plastikkärtchen, wie in den anderen Hotels mittlerweile üblich. Fast ehrfurchtsvoll steckte Su den Schlüssel in das Schloss und drehte ihn vorsichtig um. Mit Bedacht schob sie die schwere dunkle Holztür auf und spähte in den Raum, der sich hinter dem kleinen Flurbereich auftat.

»Wow.« Mehr fiel den beiden Mädchen im ersten Moment nicht ein, nachdem sie das Zimmer betreten hatten. Die hohen Wände waren mit Blümchentapeten in rosa, hellbraun und gold tapeziert, an den Decken endeten die Tapeten in herrlichen Stuckornamenten. Der roséfarbene Teppich mochte, ebenso wie die Farbe der Tapeten, nicht jedermanns Geschmack sein, doch in Kombination sah das Ensemble so herrlich nach einer uralten, ausgesprochen edlen Filmkulisse aus, dass es eine wahre Augenweide war. Das riesige Himmelbett aus dunklem, glänzendem Holz mit seinem Baldachin in gold und rosé passte ebenso in dieses Bild aus der traditionsreichen Vergangenheit wie die wuchtigen, gemütlichen Blümchensessel und der kleine, edle Couchtisch. Auf diesem prangten ein großer, wohlgefüllter Obstkorb und eine Flasche mit Mineralwasser, flankiert von schlanken Sektkelchen und einem Ensemble aus zwei bauchigen Teetassen, einer Zuckerschale, in der große Kandisstücke samt einer silbernen Zuckerzange lagen.

Neugierig untersuchte Melanie die Willkommensgeschenke. »Also, Sekt hätte es schon sein dürfen, und wofür sind die Tassen? Mineralwasser mit Kandis?«

»Banause. Sieh dich doch anständig um. Dort auf dem Sideboard, schau doch hin.« Su konnte sich nur wundern. Sie war absolut begeistert und das »George« hatte sie mit seinem ganz speziellen Zauber sofort für sich gewonnen. »Da, wirf doch mal einen Blick dort hinüber. Da stehen ein Wasserkocher und ganz viele Teesorten. O Mann, ein silbernes Milchkännchen und Kekse und …« Su fühlte sich wie ein kleines Kind an Weihnachten. Strahlend drehte sie sich zu Mel um. »Ist das nicht alles wunderschön? Hach, ich liebe Schottland jetzt schon.«

Mel sah die Sache etwas gelassener. »Fein, dann setz deine Begeisterung doch bitte gleich in die Tat um und wirf den Wasserkocher an. Eine Tasse Tee wäre tatsächlich gar nicht übel. Ist es okay, wenn ich so lange rasch unter die Dusche hüpfe?«

»Mach du nur, ich kümmere mich um den Fünf-Uhr-Tee.«

Während Mel leise vor sich hin singend in dem großen Badezimmer verschwand, stellte Su den Wasserkocher an, wählte sorgfältig zwei sehr edel klingende Teesorten aus und stellte die Tassen bereit. Schottland war eindeutig toll. Nachdem der Tee aufgebrüht war und der frische Bergamotteduft des Earl Grey durch den Raum zog, warf sich Su auf das große, bequeme Bett, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah hinauf in die rosa-gold-braunen Stoffbahnen. Sehr cool, so durfte das hier gern weitergehen. Das leise Knurren ihres Magens erinnerte sie daran, noch nichts außer einem ziemlich faden Gurkensandwich im Zug gegessen zu haben.

»Mel, mach hinne. Der Tee ist gleich so weit und ich will noch unter die Dusche.« Zaghaft schnupperte Su in Richtung ihrer Achseln. »Und zwar zackig. Ich beginne, dezent zu transpirieren.«

Nordengland/Schottland

2013 – Reisetagebuch Melanie Arnold

Tag 5

Soeben haben wir Edinburgh Castle verlassen. Sonst ist es nicht sehr leicht, uns zu beeindrucken, aber dieses Schloss mit seiner Geschichte nötigte uns allen eine ganze Menge Respekt ab. Selten sind drei Stunden so schnell vergangen wie heute. Die Burg samt ihren Anlagen hat unglaublich viel zu erzählen. Das allerdings übernahm Sherry, eine äußerst coole und sehr amüsante Schottin, die zwei Semester in Deutschland, genauer in Heidelberg, studiert hat. Das Geld, das sie sich mit Führungen durch eine der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Schottlands verdient, spart sie für eine Reise nach Neuseeland. Sie will dort unter anderem auf einer Schaffarm arbeiten.

Oh ja, Schaf. Das bringt mich zum gestrigen Abend zurück. Diese Geschichte muss unbedingt für die Nachwelt aufgezeichnet werden. Als gegen acht Uhr abends die komplette Truppe zum Dinner antrat, ordentlich gestylt, um Marius nicht zu blamieren, erwartete uns in dem noblen, in dunklem Holz mit venezianisch rotem Teppichboden gehaltenen und mit zahllosen silbernen Kerzenleuchtern bestückten Restaurant des »George« eine, sagen wir mal, interessante Überraschung. Man hatte uns eine lange Tafel an der rechten Seite reserviert, elegant eingedeckt, mit Leinenservietten, gefaltet in Formen, die von uns wohl keiner jemals so hinbekommen hätte. Kaum waren wir einigermaßen damit fertig, uns zu orientieren – es soll Menschen geben, die ab drei unterschiedlichen Gabeln ein wenig den Überblick verlieren –, ließ Charles einen Begrüßungscocktail auffahren, der es in sich hatte. Heißer Whiskylikör mit flüssiger Sahne, Gewürzen und, wie es schmeckte, mit einem Tropfen Kaffee verfeinert. Im Anschluss wurde in der Mitte der Tafel ein ziemlich großer Platz freigeräumt und die Kerzen in den Kandelabern auf dem Tisch angezündet. Es sah verflixt eindrucksvoll und edel aus. Als wir irgendwo aus der Ferne einen Dudelsack hörten, dachten wir, es würde wohl in einem der Nebenräume ein Fest gefeiert. Weit gefehlt! Der Dudelsack war für uns und es war nicht nur einer, nein, das Licht wurde gedimmt, der ganze Raum war nur noch von Kerzen erleuchtet. Hintereinander kamen drei Highland Bagpipers in das Restaurant marschiert und spielten für uns ›Flowers of Edinburgh‹, ›Amazing Grace‹ und ›The Skye Boat Song‹. Wir markieren ansonsten immer gern die coole Truppe, aber gestern haben wir wohl alle kräftig geschluckt, um die Rührung wegzustecken, ganz zu schweigen von der Gänsehaut, die wir samt und sonders hatten.

Etwa bei der Hälfte von ›Amazing Grace‹ ging die Tür zur Küche auf und zwei Köche brachten eine silberne Platte herein, auf der eine ebenso silberne Haube thronte, und stellten sie auf dem freien Platz auf unserer Tafel ab. Die beiden Jungs warteten, bis die Bagpipers fertig gespielt hatten. Die Musiker verneigten sich in unsere Richtung und, sehr zu unserem Amüsement, in Richtung der Silberplatte – sehr seltsam.

Wir applaudierten leise schniefend und einige wischten sich verstohlen ein Tränchen aus dem Augenwinkel. Als Charles vortrat und lächelnd fragte, wer denn der oder die Älteste bei uns sei, zeigten wir alle einhellig auf Marius. Der aber schüttelte heftig den Kopf. »Nichts da, wer von euch Nasen der Älteste ist, wollte Charles wissen. Wenn ich mich nicht sehr irre, ist das unser guter Chris. Komm doch mal her, Champ. Heute bist du leider fällig.«

Keiner von uns hatte nur ansatzweise eine Ahnung, was nun kommen sollte. Chris ist durch nichts so leicht aus der Fassung zu bringen, also zupfte er sein Sakko zurecht und schlurfte lässig grinsend auf Charles und Marius zu. Ein wenig irritiert sah er auf das riesige Messer, das Charles urplötzlich in Händen hielt.

»Ich hab heute ausnahmsweise echt noch keinen Mist gebaut, also könnt ihr mich gar nicht meinen.«

»Oh, keine Angst, das hier hat rein gar nichts mit dir zu tun. Euch allen zu Ehren gibt es heute eine ganz besondere Spezialität. Das erfordert ein besonderes Ritual. Also, komm bitte her und stell dich neben mich.«

Chris’ Gesichtsausdruck war in diesem Moment wahrlich nicht der intelligenteste, aber er platzierte sich folgsam zwischen Charles und Marius und starrte fragend auf die silberne Platte.

Als Nächstes trat Charles nach vorn und nahm mit etwas angespannter Miene die glänzende Bedeckung ab, gab sie an Marius und schob Chris näher an den Tisch. Der musterte verwirrt das, was da auf der edlen Servierplatte prangte. Das Ding erinnerte in etwa an eine überdimensionierte, etwas außer Form geratene Leberwurst, der Geruch war … interessant.

»Nun, mein Junge, du hast heute die Ehre, den Haggis anzuschneiden. Dazu musst du vorab ein paar Worte sprechen, das nennt man ›Ode to the Haggis‹, dann rückst du ihm mit dem Messer zu Leibe. Dir als Zeremonienmeister gebührt die Ehre des ersten Stücks. Also, los, keine falsche Scheu und nicht vergessen: Es ist eine wahrlich große Ehre, den Haggis anzuschneiden.« Breit grinsend reichte Charles Chris das große, scharfe Messer.

»Ähm, echt? Eine Ehre?« Chris schien ein wenig verunsichert.

»Aber natürlich.« Marius nickte mit sehr ernster Miene. »Sieh dich doch um.«

Erst jetzt kam Chris auf die Idee, sein Umfeld genauer zu betrachten. Tatsächlich standen alle Köche in Reih und Glied vor der Küche, die Bagpipers hatten sich in der Mitte des Restaurants aufgestellt und auch die Kellner beobachteten neugierig die Szene, die sich vor ihnen abspielte. Chris wurde etwas blass.

»Oh. Gut, ähm, was muss ich jetzt genau machen?« Nervös drehte er das riesige Messer in den Händen.

»Ganz einfach, mein Junge, du sprichst ein paar Dankesworte an den Haggis, verbeugst dich leicht vor ihm und schneidest ihn sehr respektvoll an. Alles nicht so schwer, nur Mut.« Aufmunternd nickte Charles dem ein wenig verstört wirkenden Haggis-Meister zu.

Chris räusperte sich umständlich und mit einem letzten, leicht verzweifelten Blick auf die vielen Menschen stammelte er die wohl unverständlichste und seltsamste Dankesrede, die jemals ein Haggis gehört hatte. Wir erhaschten nur etwas von wegen: »Danke, dass wir dich essen dürfen und du so toll aussiehst. Ich kenne dich zwar nicht, aber du bist sicher etwas ganz Leckeres …« Den Rest nuschelte er so unverständlich, dass es ziemlich authentisch schottisch klang. Er hob das Messer und schnitt mutig in die wurstartige Pelle. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als er sah, was herausquoll. Es war eine undefinierbare graue Masse, von kleinen grünen Sprenkeln und Fettbröckchen durchsetzt, die sich langsam aus der Wurstpelle herausschob.

»Was ist das?«, flüsterte Chris fast unhörbar.

»Alle möglichen zerhackten Schafsinnereien, ein wenig Lammfleisch, viel Speck und diverse Kräuter in einem Schafsdarm gegart«, flüsterte Charles zurück.

Die Blässe in Chris’ Gesicht verwandelte sich in ein dezentes Hellgrün. Su bezeichnete den Farbton im Nachhinein als zartes Lindgrün.

»Muss ich jetzt wirklich davon essen?«

»Auf jeden Fall. Es wäre eine unglaubliche Beleidigung für die Köche und die Gastgeber, wenn du den Ehrenbissen ablehnen würdest. Nur Mut.«

Marius’ Blick war ungewöhnlich ernst und Chris zuckte zusammen, als Charles ihm erwartungsvoll einen Teller und eine große Gabel reichte. Zaghaft und mit schiefem Lächeln steckte Chris seine Gabel in das graue Durcheinander und legte sich mit starrem Blick einige Häufchen der Masse auf den Teller.

»Na los, koste. Es schmeckt wirklich gut.« Charles lächelte Chris sehr freundlich an.

Der lud sich tapfer eine anständige Menge der Haggismasse auf die Gabel, steckte sie sich in den Mund, kaute und schluckte heroisch. »Lecker, sehr lecker. Schmeckt echt gut.«

Die Gesichter von Marius und seinem Freund waren Gold wert, die unseren aber nicht weniger. Wir konnten es kaum fassen, dass Chris todesmutig seinen ganzen Teller leerte.

»Junge, du hast mehr Mut, als ich dachte. Respekt.« Marius hieb Chris heftig auf die Schulter. »Du hast echt was gut, hätte nicht gedacht, dass du das durchziehst.«

Chris atmete tief durch. »Soll ich dir was sagen? Ich auch nicht. Aber es schmeckt echt nicht so, wie es aussieht. Man muss nur ausblenden, was drin ist. Allerdings gelingt mir das gerade nicht mehr. Kann ich bitte noch so ein Whiskydingens haben?«

»Das hast du dir redlich verdient.« Lachend reichte Charles ihm einen weiteren Cocktail.

Einige kosteten tatsächlich vorsichtig von dem schottischen Nationalgericht und was soll ich sagen: Es schmeckt echt nicht übel. Würzig, annähernd ein wenig wie Leberwurst. Allerdings waren wir alle doch sehr froh, als die Köche grinsend den Haggis wieder abtransportierten und ein sehr schmackhaftes, mehrgängiges Menü servierten.

Chris wirkte nach diesem Erlebnis irgendwie wesentlich ruhiger. Böse Zungen behaupteten im Laufe des Abends, dass es ein höchst fieser Plan von Marius gewesen sei, um Chris’ große Klappe einmal zum Schweigen zu bringen. In diesem Sinne heißt es definitiv eins zu null für Marius.

Da wir soeben in der Altstadt von Edinburgh und damit an unserem nächsten Besichtigungspunkt ankommen, darf ich hiermit für heute schließen.

Crichton Castle

22. August 1766

Du sollst dem Gefangenen sein Essen bringen.«

»Ich denke nicht daran, da noch ein einziges Mal hineinzugehen. Übernimm du das doch. Ansonsten ist dein Mundwerk immer sehr schnell mit lockeren Reden. Sicherlich hast du auch heute eine auf den Lippen. Also bitte, dort steht seine Schale. Geh hinein zu ihm und bring sie dem Kerl.«

»Es ist nicht meine Aufgabe, ihn zu versorgen. In dem Trakt bist du dafür zuständig, also tu deine Pflicht oder es wird dir leidtun.«

Der Wächter blickte mit säuerlicher Miene auf den Napf, der mit einem Kanten trockenen Brotes und einem undefinierbaren Brei aus Kohl und Speck bestückt darauf wartete, zu dem Gefangenen gebracht zu werden. Bei allen anderen, die hier ihre Strafe absaßen oder auf ihre Verurteilung warteten, stellte das kein Problem dar. Hier jedoch lag der Fall anders. Kein Einziger der ansonsten recht verwegenen Truppe zeigte nur das geringste Interesse daran, dem letzten der sieben Gefangenen des Sondertraktes von Crichton seine tägliche Ration zu bringen.

»So beweg deinen faulen Hintern dort hinunter. Wenn er verhungert und du damit Bothwell um seinen Spaß bringst, möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Vorwärts! Nun mach schon.«

Das Machtwort des Hauptmannes war gesprochen und der einfache Wächter hatte keine Wahl. Er bückte sich, nahm den unansehnlichen Napf und trollte sich in Richtung der Treppe, die zu den Verliesen hinabführte. Fackeln und Petroleumlampen erhellten die Gänge. In diesem Trakt des Gefängnisses schien die Zeit stillzustehen. Ärgerlich schüttelte er das faulige Stroh von den Füßen, das hier überall herumlag und sich um seine Knöchel wand. Trotz des Umwegs, den er gelaufen war, kam er zu seinem großen Leidwesen wenige Augenblicke später vor der grob gezimmerten Tür der letzten Zelle an. Zitternd schob er den Schlüssel in das rostige Schloss und drehte ihn mühsam. Ehe er die schwere Pforte aufstemmte, nahm der Mann eine der Fackeln, die neben ihm an der Wand diffuses Licht spendeten, und steckte sie durch den schmalen Spalt, kaum dass sich die schwere Tür ein wenig bewegte. Verdammt, wo steckte der Kerl? Die mit einem schimmligen Strohsack ausgelegte Pritsche war leer.

Langsam drückte er die Tür weiter auf. Auf seiner Stirn erschienen winzige Schweißperlen.

»Zeig dich, du Hurensohn. Du kommst nicht an mir vorbei. Ich bringe dir etwas, zu essen. Ginge es nach mir, würde ich dich hier verrotten lassen. Wo zur Hölle steckst du?«

»Da bin ich sehr froh, dass du das nicht zu entscheiden hast«, sagte eine sanfte, tiefe Stimme. »Wobei das, was ihr hier als Essen bezeichnet, eigentlich lediglich eine sehr freundliche Umschreibung für versuchten Giftmord ist.«

Ängstlich wedelte der Wachmann mit seiner Fackel in das stockdunkle Verlies. »Ich sagte, zeig dich, du Kreatur. Ich will dich sehen, bevor ich da reinkomme. Los, mach schon, verflucht noch eins.« Der Schein der Fackel holperte über die feuchten, dunklen Wände des Kerkers.

»Ich bin hier, neben dir. Siehst du mich denn nicht?« Die Umrisse eines großen Körpers lösten sich langsam aus dem Dunkel.

Der Wächter umklammerte die Fackel noch ein wenig fester. »Bleib, wo du bist! Wage es nicht, dich weiter zu bewegen.« Zitternd fuchtelte der verängstigte Mann mit der brennenden Fackel in Richtung des Gefangenen.

»Du bist aber auch unentschlossen. Zuerst soll ich mich zeigen, dann wieder nicht. Sei doch bitte so gut und entscheide dich endgültig.« Die Umrisse wurden größer und deutlicher und die Angst des Wächters wuchs in gleichem Maße. Er warf die Schale mehr, als dass er sie stellte, auf den strohbedeckten Boden und trat hektisch einen Schritt zurück.

»Bleib mir vom Leib, ich warne dich.« Er zog sich so eilig zurück, dass er sich schmerzhaft am Türrahmen stieß, doch das beachtete er nicht. Der Wächter wollte nur eines: so schnell wie möglich wieder fort von hier. Hastig steckte er die Fackel zurück in ihre Halterung und rannte wie vom Teufel gehetzt zurück zur Wachkammer. Noch lange verfolgte ihn das schallende Gelächter des Gefangenen.

2013

»Nun mach schon, sonst stehen wir nachher allein hier rum.« Melanie ließ ihren Blick nachdenklich über das Gelände wandern. »Die Schlacht von Culloden«, notierte sie pflichtbewusst auf ihrem Merkzettel. »Menschenskinder, wenn man bedenkt, was hier so alles passiert ist. Schon tragisch, an so einem denkwürdigen Wendepunkt der Geschichte zu stehen.«

Mit staunendem Blick ließ Su ihre Kamera sinken. »Sag mal, seit wann bist du denn so tiefsinnig? Ich dachte eigentlich, dass dir das hier alles eher an einem ganz bestimmten Körperteil vorbeigeht. Woher denn dieser plötzliche Sinneswandel? Ist das etwa der Wahnsinnsblick, den man von hier aus hat, oder hat dich der Geist eines gefallenen Highlanders geknutscht?«

»Ich kann es dir nicht sagen, ehrlich.« Mel zuckte ratlos die Schultern und schob grübelnd die Unterlippe nach vorn. »Es ist vielleicht so ein wenig die Art, wie Marius erzählt. Da ich ausnahmsweise zugehört habe, finde ich die Story ziemlich heftig.« Mel faltete ihren etwas ramponierten Zettel wieder zusammen und steckte ihn in die Hülle des Tablets, das sie ständig mit sich herumschleppte. »Bedenk doch einfach mal, dass hier, genau hier, wo wir heute stehen, Unmengen an Blut vergossen wurden. Hier sind Menschen für ihre Hoffnung und ihre Ideale gestorben. Nach Culloden war es vorbei mit der Herrlichkeit der Highlands – ey, ich find das ziemlich dramatisch.«

Su knipste noch zwei schöne Panoramabilder, schaltete die Kamera aus und hängte sich ihr neues Lieblingsspielzeug wieder um den Hals. »Krieg ist immer dramatisch und ich muss ehrlich sagen, ich kann es einfach nicht besonders heroisch finden, wenn man sich so in den Schlamassel bugsiert, wie es die Clans hier getan haben. Wenn sie es ein wenig, sagen wir mal, subtiler angegangen wären, hätten sie vielleicht nicht alles verloren. Ist für sie nun echt mies gelaufen hier oben. So ist wieder einmal viel an Geschichte, ja, ganze Clans und deren Traditionen, flöten gegangen, weil sich ein paar Unbelehrbare nicht damit abfinden konnten, dass sich die Welt ändert. Auf die Weise haben sie nicht nur ein wenig verloren, sondern gleich satt alles in den Sand gesetzt.«

»Gute Sichtweise, Su. Da steckt sehr viel Wahrheit drin.« Unbemerkt von den beiden Frauen war Marius herangekommen. »Nur leider hat es der unbändige Stolz der einst so mächtigen Chieftains und Führer der Highland Clans nicht zugelassen, Kompromisse einzugehen.«

Su zog eine verärgerte Grimasse. »Typisch Kerle. Nicht logisch denken, sondern gleich wieder feste druff, egal, was nachher ist. Ich werde es nie verstehen.«

»Ich sag es doch andauernd. Alle Macht in die Hände von Frauen, und die Welt ist in Ordnung.« Mel seufzte tief angesichts dieser welterschütternden Erkenntnis.

»… sagt die Frau, die bei Demos in der ersten Reihe steht und sich über unsere derzeitige Regierung exorbitant aufregen kann«, sagte Marius lächelnd. »Leute, das hilft den alten Clans nun auch nicht mehr. Su, hast du genug Bilder?«

»Mehr als genug, das ist schon der zweite Chip. Die Bilder auszusortieren, wird eine Heidenarbeit.«

»Dem kann man vorbeugen. Wenn es jetzt schon so viele sind, setzen wir uns heute nach dem Abendessen hin und fangen schon mal an. Melanie, du machst bis dahin bitte das Reisetagebuch so weit fertig, dass wir ein wenig sehen können, welche Bilder sicher bleiben müssen und auf welche wir getrost verzichten können.«

»Och nee jetzt!« Mel war nur mäßig begeistert. »Muss das heute sein? Wollten wir nicht in dem tollen Pub im Ort essen?«

Marius sah sie mit gerunzelter Stirn an. »Was hindert dich daran, nach dem Essen dein Hirn noch mal anzuwerfen?«

Su kicherte in sich hinein. »Mal sehen, wie viel wir nach ein paar Pints noch anwerfen können.«

»Euch werde ich die Hammelbeine lang ziehen. Wir hatten eine Abmachung. Anständige, zeitnahe Dokumentation. Ich darf um etwas mehr Enthusiasmus bitten, meine Damen. Ein Bierchen zum Essen und dann wird noch was getan.«

»Manchmal bist du ein echter Sklaventreiber.« Su schmollte. Der Tag war hochinteressant gewesen, aber auch anstrengend. »Wann dürfen wir denn die aktuelle Kneipenkultur studieren? Ich meine, wenn schon, denn schon. Wir sollten uns doch einen Gesamteindruck von Land und Leuten verschaffen, oder hab ich das missverstanden?«

»Den könnt ihr euch verschaffen, wenn wir morgen am Loch Arkaig sind. Morgen Abend wird auf der Burg übernachtet, mit schottischem Burgfest. Das ist Kultur vom Feinsten.« Marius grinste breit.

»Dein Gesichtsausdruck gefällt mir irgendwie überhaupt nicht. Du führst doch was im Schilde.« Su musterte ihren deutlich amüsierten Dozenten mit zusammengekniffenen Augen.

»Nein, niemals. Ganz normale, seit Langem gepflegte Traditionen der Anwohner der dortigen Gegend. Vertraut mir.« Mit einem vielsagenden Lächeln im Gesicht wandte sich Marius ab. »Jetzt beeilt euch, ich bekomme langsam Hunger und wir haben noch viel vor.«

Su und Melanie sahen ihm mit sehr skeptischem Blick hinterher. »Ich trau ihm nicht von zwölf bis mittags. Wehe, wir landen da morgen in so einem stinklangweiligen Kulturevent … oder aber … Ich mag gar nicht daran denken.« Su schüttelte sich.

»Woran willst du nicht denken?« Mel war etwas ratlos.

»Ich sag nur eins: Schafsdärme.«

Mel erblasste. »Mist, ich trau ihm das zu. Komm, wir beeilen uns. Ich bin ab sofort seine Musterstudentin, der kann mir gar nichts.« Kichernd folgten die beiden dem kopfschüttelnd vorangehenden Marius.

Nordengland/Schottland

2013 – Reisetagebuch Melanie Arnold

Tag 9Erster Eintrag, Anreise Loch Arkaig

Niemand von uns fand heute die richtigen Worte, als es darum ging, diesen See und die Umgebung würdig zu beschreiben. Es ist unbeschreiblich schwer, Worte zu finden für etwas, das so unglaublich eindrucksvoll ist. Einige Male fiel sogar der Ausdruck ›überwältigend‹ und um bei der Wahrheit zu bleiben: Das könnte hinkommen.

Trotz strahlenden Sonnenscheins ist es hier, am lang gezogenen Ufer des Loch Arkaig, ziemlich frisch. Ein kühler und doch recht kräftiger Wind weht über das Wasser, und steht man lange genug am Ufer, sammelt sich tatsächlich die Feuchtigkeit auf der Haut. Dennoch ist es ausgesprochen schön hier. Endlose, satte Wiesen, viel knotiges Buschwerk mit kleinen gelben und blauen Blüten, die tapfer dem Wind die Stirn bieten. Ebenso wie die Bäume, die teils aussehen, als hätte sich der allgegenwärtige Sturm sie genauso zurechtgebogen, wie er sie haben wollte. Die Natur passt sich in atemberaubender Weise an die raue Witterung an. Ein Blick zum Himmel zeigt uns überdeutlich die Kraft des Windes, der kleine weiße Wolkenfetzen in rasendem Tempo über uns hinwegjagt. Das Wasser des Loch Arkaig ist hier an dieser Stelle kristallklar – und es ist immer kalt, ehrlich gesagt sieht es sogar kalt aus.

Wir wurden an einem noch fast unberührten Teil des Loch abgesetzt und dort von einem ortsansässigen Führer in Empfang genommen. Drei Stunden wanderten wir daraufhin am Ufer entlang und bekamen Geschichten über das Loch und die Gegend zu hören, die uns hin und wieder die Haare zu Berge stehen ließen. Die Führung endete an einem breiten, steinigen Uferabschnitt, der eine sehr traurige Geschichte birgt, ganz in der Nähe der Burg, in der wir die nächste Nacht verbringen werden. Inhalt der Führung und eben jene Geschichte werden im Anhang nachgeliefert. Don, unser reizender Führer, wird uns eine gedruckte Form seiner Ausführungen überlassen. Ich werde meine Erzählung weiterführen, sofern wir alle den heutigen Abend überleben. Da wir nun wissen, dass es auf der Burg nicht nur spukt, sondern selbst hier am Ufer des Sees – wieder einmal – die Seelen der Gefallenen der großen Schlacht von 1587 herumwandern sollen, sind wir uns dessen gar nicht mehr so sicher.

– Ende erster Eintrag.

Melanie schaltete das Tablet ab und verstaute es ordentlich in der dazugehörenden Tasche.

»Mel, beweg dich. Wenigstens mit den Füßen müssen wir ins Wasser. Na, komm schon.« Su winkte ungeduldig mit ihrem bunt gemusterten Badetuch.

»Sag mal, hast du noch alle Nadeln am Baum?« Mel sah mit großen Augen auf die vom Wind gekräuselte Oberfläche des Sees. Sie fror beim bloßen Anblick des Wassers.

Su streifte sich bereits ihre Jeans ab, unter der ein pinkfarbenes Bikinihöschen zum Vorschein kam.

»Su, willst du die Seelen der Highlander komplett verwirren? Also bitte, ein Bikini und dann noch in Pink. Schwarzes Neopren als Ganzkörperanzug wäre wohl passender.« Chris schüttelte tadelnd und milde lächelnd sein Haupt.

Alles, was er erntete, war ein herablassendes Grinsen. »Du Weichei schaffst es doch nicht mal, deine Zehenspitze da hineinzuhalten.«

Mit gönnerhaftem Grinsen ließ sich Chris auf einem großen Stein am Ufer nieder und warf seine blonden Haare aus dem Gesicht. »Nur zu, edle Meerjungfrau, tu dir keinen Zwang an. Ich schließe eine Wette mit dir ab. Wenn du hineingehst, zehn Züge rausschwimmst und wieder zurück, geh ich auch rein.«

»Versprochen?« Su baute sich vor ihrem überraschten Kommilitonen auf. »Los, Hand drauf. Wenn ich das jetzt mache, machst du genau das Gleiche? Hab ich das richtig verstanden?«

Sicherheitshalber schielte Chris noch einmal an Su vorbei auf die bewegte Oberfläche des Sees. »Das verspreche ich.«

»Marius! Hast du das gehört? Ihr alle? Wenn ich reingehe und schwimme, geht unser Westentaschen-Chuck-Norris auch rein und schwimmt. Ihr seid meine Zeugen.« Su warf einen fragenden Blick in die Runde. Einhelliges Nicken antwortete ihr.

Marius und Don kamen grinsend näher. »Also, wir haben das auch gehört, aber nun wollen wir Taten sehen.«

Su schnaufte einmal tief durch und entledigte sich ihres Sweatshirts. »Na wartet.« Sie nahm ihr Badetuch und stakste begleitet von den staunenden Blicken ihrer Freunde hinunter zum Wasser. Hinter sich vernahm sie einen überraschten Ausruf von Don.

»Das tut sie jetzt nicht wirklich, oder?«

»Glaub mir, sie tut das. Allein, um ihn leiden zu sehen.«

Marius Antwort zauberte ein Grinsen auf ihr Gesicht. Su war inzwischen am Ufer angekommen, zupfte sich ein Haarband vom Handgelenk und band sich die Haare hoch. Sie warf einen Blick zurück auf die dort mit offenen Mündern stehenden Freunde und tastete sich Schritt für Schritt über die glitschigen Steine in das kalte Wasser vor. Als sie bis zu den Oberschenkeln im Wasser stand, ließ sie sich mit einem lauten Schrei vornüber ins Wasser fallen.

»Scheiße, ist das kalt.«

Aber Su tat genau das, was man von ihr erwartete. Mit zusammengebissenen Zähnen schwamm sie nicht zehn, sondern zwölf Züge hinaus auf den See, legte sich demonstrativ auf den Rücken, spuckte in einer hohen Fontäne Wasser in die Luft und schwamm zügig zurück zum Ufer. Es war Marius, der als Erster reagierte, zum Wasser hinunterlief, ihr Badetuch hochnahm und es ihr entgegenhielt, sobald sie das Ufer erreicht hatte. Eilig wickelte sie sich in das große, weiche Tuch. Zwar bibbernd und mit leicht schiefem Grinsen, jedoch hochzufrieden wandte sie sich an den versteinert dasitzenden Chris.

»Darf ich bitten, der Herr? Ich habe meinen Teil der Vereinbarung erfüllt, also auf geht’s.« Aufmunternd klopfte sie ihm auf die Schulter.

Mit unergründlicher Miene erhob sich Chris, entledigte sich sehr langsam seiner Kleidung, bis er nur noch in dunkelgrünen Boxershorts vor ihnen stand.

»Muss ich das jetzt wirklich tun?«

Marius zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du vor einem Mädchen und uns allen nicht wie der letzte Depp dastehen willst, würde ich sagen: Ja.«

Ohne ein weiteres Wort stapfte Chris grummelnd zum Wasser. »Mädchen. Sie machen doch wirklich nichts als Ärger.« Seine letzten Worte, bevor er sich mit Todesverachtung in die eiskalten Fluten warf, sorgten für lang anhaltende Heiterkeit.

Er hielt sich tapfer, schwamm ebenso wie Su hinaus, doch nach etwa acht Zügen merkte man, dass er bereits langsamer wurde. Ein wenig umständlich wendete er und kraulte zurück zum Ufer.

»Su, du spinnst, und zwar nicht zu knapp. Das Wasser hat bestenfalls vierzehn Grad. Das ist arschkalt.« Zitternd kletterte Chris die steinige Böschung am Ufer hoch. »Hat jemand ein Handtuch, bitte? Ansonsten tut’s auch ein Eiskratzer, dann schab ich mir die Eisperlen gleich so ab.«

Don reichte ihm eilig ein großes Handtuch, das er aus den Tiefen seines Rucksacks angelte. Schließlich wollte niemand, dass er krank wurde.

Amüsiert beobachtete Su, wie sich Chris trocken rubbelte. »Na, ich würde sagen, das war ein Pünktchen für mich. Wie heißt es so schön? Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten.« Freundschaftlich klopfte sie dem noch immer zitternden Kommilitonen auf die Schulter. Sie legte ihr feuchtes Badetuch zusammen und stakste über das unebene Ufer zu ihrem Rucksack, um es wieder zu verstauen.

In dem Augenblick, als sie sich hinunterbeugte, um ihren Rucksack aufzuheben, wehte eine kräftige Windböe über den See und die Uferregion. Su stopfte das Tuch eilig in den Rucksack und richtete sich wieder auf. Suchend glitt ihr Blick über das Ufer. Seltsam, sie hätte schwören können, dass jemand um Hilfe gerufen hatte, als hätte der Wind den Schrei herbeigetragen. Sie kniff die Augen zusammen und suchte noch einmal die Umgebung ab. Aber da war nichts. Nun gut, ihre Kommilitonen, Marius und Don, aber die standen in einiger Entfernung und feixten noch immer wegen des frierenden Chris. Auch ihr Lachen blies der Wind zu ihr hinüber, ebenso wie ihre fröhlichen Gesprächsfetzen. Su aber fühlte sich mit einem Mal überhaupt nicht mehr so fröhlich. Kälte kroch ihr in die Glieder. Es fühlte sich an, als hätte sie gerade eben etwas Schreckliches erlebt. Dem war aber nun nicht so. Ganz im Gegenteil, alles war sehr amüsant gewesen, sie hatte jede Menge Spaß gehabt. Sich gegen den großmäuligen Chris behauptet zu haben, sollte eigentlich zu ihrem Wohlbefinden beitragen. Woher kam dieses beklemmende Gefühl? Sie schauderte und schlang unbewusst die Arme um den Körper. Noch immer wanderte ihr Blick suchend über die Wasseroberfläche und das umliegende Ufer. So sehr sie suchte – da war nichts, rein gar nichts.