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Im Frankfurter Bahnhofsviertel kennt man sie: Hilde, die resolute Wirtin der „Wilden Hilde“. Mit eisernem Willen bringt sie Ordnung in ihr Revier. Betrüger, Konkurrenten, Frauenhasser – sie alle lernen schnell, dass man sich mit Hilde besser nicht anlegt. Ihre Methoden sind so unkonventionell wie effektiv. Zwölf Kurzkrimis aus Frankfurt mit schwarzem Humor.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Disclaimer
1. Der Laubbläser
2. Der Friseur
3. Der Verführer
4. Der Hipster
5. Der Taschendieb
6. Der Gerichtsvollzieher
7. Der Journalist
8. Der TÜV-Prüfer
9. Die Vermieterin
10. Der Preacher
11. Der Obdachlose
12. Der Sportlehrer
Liebe Leserin, lieber Leser
Über die Autorin
Bücher von Katja Kleiber
Copyright © 2021 by Katja Kleiber
c/o easy-shop
Kathrin Mothes
Schloßstraße 20
06869 Coswig (Anhalt)
www.katja-kleiber.de
Coverdesign: Book Brush unter Verwendung eines Bildes von Mohamed Hassan, Pixabay
Lektorat: Barbara Eymelt
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Formatiert mit Vellum
Es handelt sich um ein fiktives Werk. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Institutionen sind rein zufällig.
„Ich bring ihn um!“ Hilde hätte am liebsten die Faust geballt, doch ihre Finger steckten in dem Nageltrockner des Nail-Studios.
Angie lächelte. Sie trug irgendeinen komplizierten asiatischen Namen, aber alle nannten sie Angie. Angie lächelte oft.
„Ich bring ihn um“, wiederholte Hilde. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“ Im schummerigen Licht am Tresen der „Wilden Hilde“ in der Elbestraße waren ihre Fältchen zwar kaum zu sehen, trotzdem konnte sie sich in ihrem Alter Schlafmangel nicht mehr erlauben. Wegen der Weihnachtsfeiertage hatte sie kaum was verdient. Die Stammgäste hockten wie immer auf ihren gewohnten Plätzen, doch Laufkundschaft fehlte.
Mandy, Candy und ihre Kolleginnen kamen hauptsächlich in die „Wilde Hilde“, um auf die Toilette zu gehen. Wenn Hilde Glück hatte, tranken sie einen Schnaps oder Kaffee. Wer war sie, ihnen den Gang zum WC zu verwehren? Ganz abgesehen davon wollte sie keinen Ärger mit Drei-Finger-Joe, dem Luden. Die Stammgäste stierten die miniberockten Frauen an, ließen sich jedoch nie auf einen Handel ein. Sie brauchten ihr Geld für den Alkohol, der praktischerweise auch ihre Libido verpuffen ließ. Abend für Abend hielt Hilde die Stellung hinter dem Tresen bis in den frühen Morgen hinein. Da hieß es, fit zu bleiben.
Dieser verdammte Laubbläser hatte sie um acht geweckt. Um acht Uhr früh! Drei Stunden Schlaf waren eindeutig zu wenig. Das heisere Röhren seines Geräts, begleitet von einem unangenehm hohen Pfeifen, klingelte jetzt noch in ihren Ohren. Dabei ging es auf Weihnachten zu, die meisten Bäume waren seit Wochen laubfrei. Was der Laubbläser mit seiner Lärmmaschine hin- und herblies, war ihr unklar. Jeden Mittwoch ging das so. Jeden verdammten Mittwoch kam der Laubbläser um acht Uhr früh und lärmte.
Seit einigen Tagen war außerdem ihr Nachbar in der anderen Hälfte des Doppelhauses damit beschäftigt, eine neue Terrasse zu bauen und ließ dröhnend einen Betonmischer laufen. Umziehen war auch keine Option. Mit Mühe hatte sie diese bezahlbare Doppelhaushälfte und dem beliebte Viertel am Dornbusch gefunden. Dort war es angenehm ruhig und sie konnte ausschlafen. Normalerweise. Nur mittwochs nicht. Dann kam der Laubbläser.
Angie lächelte und zog noch einmal den Nagellack am kleinen Finger nach. Hilde wusste nicht, ob die Asiatin aus Höflichkeit lächelte oder weil sie sich nicht anders verständlich machen konnte. Vermutlich sprach sie gerade genug Deutsch, um die Wünsche ihrer Kundinnen zu verstehen. Jetzt setzte sie mit ruhiger Hand einige winzige Strasssteine auf den blauen Lack von Hildes Zeigefingernagel. Der Kleber roch durchdringend.
Blau war „in“ dieses Jahr, das hatte Hilde in dem Modemagazin beim Friseur gelesen. Auch bei Toni, der ihr schon seit zwei Jahrzehnten die Haare färbte, hatte sie über den Laubbläser geklagt.
Er hatte zustimmend gebrummt und seinen neuen Conditioner angepriesen.
Der war echt teuer. Auch Toni musste verdienen, das verstand sie. Also hatte sie sich das Zeug auf ihre frisch blondierten Strähnen schmieren lassen und sich weiter über den infernalischen Lärm am Morgen beschwert.
Irgendwann war Toni der Geduldsfaden gerissen: „Der arme Mann macht auch nur seine Arbeit. Du lebst quasi in einer Kneipe, wo sich die Besuffskis ausheulen, mitten im Bahnhofsviertel mit seinem Trubel, und jammerst über einen Laubbläser?“
Sie hatte geantwortet: „Der reißt mich aus dem Schlaf. Da bin ich empfindlich. Irgendwann kill ich den noch.“
Jetzt lag der Laubbläser tot vor ihr. Wie immer trug er ein grünes T-Shirt mit gelbem Logo und eine grüne Arbeitshose. Die Höllenmaschine war aus seiner Hand gerollt und an der Hauswand gelandet. Dort lag sie nun. Für immer zum Schweigen gebracht.
Hilde beugte sich über den Mann. Seine Haut war gelblich fahl. Hilde wusste, dass er tot war. Trotzdem führte sie ihre Hand an den Hals des Mannes. Eine zitternde Hand, wie ihr auffiel.
Kein Puls, nirgends. Die Haut fühlte sich kalt und klamm an.
Sollte sie den Notarzt rufen? Der Mann war tot, das war klar. Sie sah sich hilfesuchend um. Ihr Blick fiel auf einen Spaten, der etwa einen Meter vom Toten entfernt lag. Der Spaten glitzerte rot in der Sonne. Blut! Es haftete am Spatenblatt und begann bereits zu trocknen. Sie konnte sehen, dass es teils geronnen war.
Hilde rang nach Luft. Sie kannte diesen Spaten nur zu gut, es war ihr eigener. Letzte Woche hatte sie das Gerät dem Nachbarn geliehen, der das Fundament für seine neue Terrasse ausheben wollte. Jetzt lag der Spaten in ihrem Teil des Hofes, neben der Leiche des Laubbläsers. Verdammt, der Spaten musste mit ihren Fingerabdrücken geradezu übersät sein. Falls nicht die des Nachbarn drüberlagen. Sie linste zum anderen Teil des Doppelhauses.
Der Nachbar war nicht da. Sein weißer Transporter mit der Aufschrift Import/Export war ihr gestern Nacht begegnet, als sie nachhause gekommen war.
Hilde blickte wieder auf die Leiche. Hatte sie nicht gestern noch diesem Menschen den Tod gewünscht? Es überall lauthals verkündet? Jetzt lag der Laubbläser erschlagen in ihrem Hof, das Tatwerkzeug gehörte ihr. Aber es trug auch die Fingerabdrücke ihres Nachbarn. Sie schielte wieder zu seiner Hälfte des Hauses hinüber. Eine Amsel hüpfte über das frisch betonierte Fundament der Terrasse. Sie war bestimmt zu leicht, um Spuren im Beton zu hinterlassen, dachte Hilde. Dann kam ihr eine Idee.
Sie packte die Leiche beherzt an. Halb rollend, halb ziehend wuchtete sie sie rüber in den Garten des Nachbarn. Hoffentlich war das Fundament tief genug, damit der Tote darin versank. Nichts von ihm durfte aus der Betonmasse herausgucken. Wenn die überhaupt noch flüssig genug war, dem Fremdkörper zu weichen. Ihr brach der Schweiß aus. Sie würde nochmal duschen müssen, bevor sie zur „Wilden Hilde“ fuhr. Der Tote wog bestimmt an die 80 Kilo und machte überhaupt nicht mit.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Hilde fuhr herum.
Hinter ihr stand ein Mann. Er trug eine Mütze und einen Schal. Darüber blitzten seine dunklen Augen.
„Ich … ich hab nicht ...“
„Was ist passiert?“ Seine Stimme klang dumpf, aber tief und ruhig.
Ihr Nachbar. Wegen des Schals hatte sie ihn nicht sofort erkannt. Jetzt erinnerte sie sich an diese ruhige Stimme, die ihr neulich schon aufgefallen war, als sie sich bei ihm wegen des Lärms vom Betonmischer beschwert hatte. In wenigen Tagen seien die Arbeiten am Fundament beendet, hatte er ihr versprochen.
„Ich war's nicht.“
Seine Augen über dem Schal blickten durchdringend. Er trug blaue Einweghandschuhe. War er gerade beim Putzen? Aber in Mütze und Schal?
Hilde überlegte fieberhaft. Der Spaten war beim Nachbarn gewesen. Der Nachbar hatte den Spaten berührt, eventuell sogar … sie wagte es nicht zu denken. Ihr Blick fiel wieder auf die blauen Handschuhe des Mannes. Trug er die etwa dauernd? Dann hätte er keine Fingerabdrücke hinterlassen und auf dem Spaten prangten schön deutlich nur ihre eigenen.
„Warte einen Moment.“
Hilde war zu perplex, um zu antworten. Wieso kommandierte der sie rum?
Der Nachbar verschwand und kam mit seinem Wagen vorgefahren, dem weißen Import-Export-Transporter, den sie gestern noch gesehen hatte.
Er parkte im Hof, so dass er die Leiche vor Blicken von der Straße verdeckte. Dann stieg er aus und ging noch mal zu seiner Wohnung zurück.
Hilde war unbehaglich zumute. Sollte sie wirklich mitmachen? Schließlich hatte nicht sie den Laubbläser auf dem Gewissen. Ihr Blick fiel auf den Spaten. Wenn sie diese Leiche jetzt nicht loswürde, könnte sie jahrelang im Knast landen. Gab es nicht so was wie einen Indizienprozess?
Schon kam der Nachbar zurück. Er schleppte eine Teppichrolle über der Schulter.
Der Klassiker? Wie im Film, dachte Hilde. Der Nachbar rollte mit Schwung den Teppich neben die Leiche, schob diese mit einem Dreh darauf – es erinnerte an die Technik, mit der die Krankenschwester Hildes Oma im Bett umgelagert hatte – und rollte den Teppich wieder ein.
„Hilf mir!“, bellte er Hilde zu.
Gemeinsam schafften sie es, wenn auch mit Mühe, die Teppichrolle mit ihrem brisanten Inhalt in den Transporter zu hieven.
Der Nachbar ging noch einmal weg und kam mit zwei Eimern wieder, in denen eine zähe Flüssigkeit schwappte.
„Schnellzement“, erklärte er. „Das musst du dir jetzt nicht anschauen. Ich brauche dich heute Abend wieder. So gegen 20 Uhr wird es dunkel.“
Verdammt, die „Wilde Hilde“ öffnete um 19 Uhr. Sie würde ihre Kneipe schließen müssen. Wieder ein Tag ohne Einnahmen. Worauf hatte sie sich nur eingelassen? „Mitgefangen, mitgehangen“, sagte sie sich. Und das „gefangen“ würde sie zu verhindern wissen, selbst wenn sie dazu mit dem Nachbarn zusammenarbeiten musste.
Hilde achtete darauf, ihrerseits Einweghandschuhe zu tragen, als sie den Lieferwagen bestieg. Der Nachbar steuerte ihn in Richtung Schwanheimer Düne, fuhr unerlaubterweise bis zum Naturschutzgebiet und hielt am Wegrand. Er bedeutete ihr, ihm zu helfen. Sie schleppten die in den Teppich gewickelte Leiche wenige Meter zu einem Weiher, während die in den Zementeimern steckenden Füße aus der Rolle herausbaumelten. Der Zaun rund um den Weiher war aufgeschnitten und niedergetreten. Am Rand des Weihers ließen sie die Teppichrolle samt Inhalt fallen. Der Nachbar blickte sie an, dann gab er der Rolle einen kräftigen Tritt.
Sie sahen zu, wie die Leiche sich erst aus dem Teppich rollte, dann am Hang an Fahrt gewann, mehrmals aufschlug und schließlich mit lautem Platsch im Weiher landete und versank.