Riskantes Erbe - Katja Kleiber - E-Book
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Katja Kleiber

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Beschreibung

Ein Unglück. Ein Liebesnest am Mittelmeer. Und bedrohliche Geheimnisse. Die heile Welt der Hamburger Hotelinhaberin Irene bricht zusammen, als ihr Mann plötzlich verunglückt. Er hinterlässt ein überraschendes Erbe: Ein Apartment in Spanien, von dem Irene nichts wusste. Und sein angeblicher Unfall entpuppt sich als Attentat. Nach und nach entdeckt Irene, dass ihre Ehe auf Lügen gebaut war. Irene will die Geheimnisse ihres Mannes aufdecken. Koste es, was es wolle. Sie stößt auf eine Welt des Verbrechens … und lernt den attraktiven Anwalt Pep kennen. Bald weiß sie nicht mehr, wem sie vertrauen soll, denn alle scheinen etwas zu verbergen. Auch Pep. Was riskiert Irene, um die Wahrheit zu erfahren?

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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INHALT

Disclaimer

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Epilog

Danksagung

Leseprobe: Tödliches Yoga

Über die Autorin

Bücher von Katja Kleiber

Copyright © 2022 by Katja Kleiber

2. unveränderte Ausgabe 2025

c/o easy-shop

Kathrin Mothes

Schloßstraße 20

06869 Coswig (Anhalt)

www.katja-kleiber.de

Covergestaltung: TomJay  - bookcover4everyone / www.tomjay.de

Unter Verwendung eines Fotos von Picturereflex / Depositphotos.com

Dieses Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

DISCLAIMER

Es handelt sich um ein fiktives Werk. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Institutionen sind rein zufällig.

Für den Mann aus den Bergen.

* * *

KAPITEL1

Uwe sah sie schon vor sich. Die süße Maus hatte er vor zwei Wochen kennengelernt bei seinem letzten Besuch im Viertel St. Georg.

Bald würde er da sein. Nur noch fünfundsiebzig Kilometer bis Hamburg, ein Katzensprung verglichen mit der Strecke, die er seit dem Start in Spanien zurückgelegt hatte.

Er blickte auf das Display, das die Uhrzeit in grünen Ziffern zeigte. Der Countdown bis zur nächsten Ruhepause lief unerbittlich. Wenn er nicht schnell genug bei seiner Maus war, müsste er auf eine Raststätte fahren und auf dem Bock schlafen. Diese modernen Fahrtenschreiber waren nicht auszutricksen. Sein Chef erst recht nicht.

Zum Glück war die Autobahn um diese Zeit leer. Die Fahrbahn trocken. Er gab Gas, um etwas schneller als erlaubt voranzukommen. Nur ein paar Kilometer pro Stunde, das wurde hingenommen. Langsam beschleunigte der Vierzigtonner.

Seine Scheinwerfer frästen Lichttunnel in die Dunkelheit.

Im Radio spielten sie einen Country-Song.

Uwe drehte lauter. Er trommelte den Rhythmus mit dem rechten Daumen auf dem Lenkrad mit. Die Musik hielt ihn wach, und natürlich das Amphetamin. Die Pille hatte er kurz hinter Karlsruhe eingeworfen. Beruhigend, die kleinen Helferlein dabei zu haben. Meistens blieben sie im Handschuhfach, aber jetzt sehnte er sich nach dieser süßen Kleinen mit den Mausaugen.

Hoffentlich verliebte er sich nicht. War bei seinem Job nicht drin.

Ein Lichtschein am rechten Straßenrand.

Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

Feuer. Kein Waldbrand, dafür war er zu weit im Norden. Ein Unfall. Ein Wagen hing in der rechten Leitplanke und brannte lichterloh.

Uwe ging in die Eisen. Gleichzeitig betätigte er die Taste der Freisprechanlage und sprach »eins eins zwei« ins Mikro. Eine ruhige Stimme aus der Notrufzentrale meldete sich. Fragte nach Fakten. Während der Sattelschlepper langsam an Tempo verlor, gab Uwe den Unfall durch.

Schließlich stand der Truck. Er blickte zurück. Die Autobahn war immer noch wie leergefegt. Er sprang aus der Kabine und lief über die leere Spur zurück.

Das Feuer hatte den Wagen voll erfasst. Flammen schossen meterhoch empor. Die Umrisse der Karosserie waren nur noch als schwarzes Gerippe zu erkennen.

Hitze schlug ihm ins Gesicht. Ascheflocken wirbelten durch die Luft und landeten auf seinem Hemd.

Uwe stoppte. Da war nichts mehr zu retten.

Er starrte auf das Wrack. Wenn der Tank hochging, wollte er nicht in der Nähe sein.

Er drehte sich um und eilte zu seinem Laster zurück.

Da sah er sie.

Eine Frau rannte auf das Feld, das sich neben der Autobahn erstreckte. Weg von dem brennenden Wagen. Ihr helles Haar leuchtete im Schein der Flammen.

Dann verschluckte sie die Dunkelheit.

Aus der Ferne näherte sich das Heulen von Sirenen.

Als Uwe das Führerhaus seines Trucks erreicht hatte, zerriss eine Explosion die Nacht.

KAPITEL2

Irene räkelte sich gemütlich, die Augen noch geschlossen. Dann tastete sie nach dem warmen Körper neben sich, um noch etwas zu kuscheln. Da war nur das kalte Laken. Sie öffnete die Augen. Sie lag allein im Bett.

Mühsam versuchte sie, sich zu erinnern, warum. Hubert hatte am Donnerstag angerufen, als er in Spanien losgefahren war. Er würde Samstag in aller Frühe bei ihr sein, hatte er versprochen. Jetzt war er nicht hier.

Irene schloss die Augen wieder und drehte sich auf die linke Seite. Entlastete die rechte Schulter, die wieder mal ziepte.

Hubert hatte bestimmt auf dem Sofa geschlafen, um sie nicht zu stören. Wie er immer behauptete. In Wahrheit ... in Wahrheit, was? Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie massierte ihre Schulter. Die Haut fühlte sich trocken an. Sie musste sich mal wieder mit Bodyöl einreiben. War lange her, dass ihre Haut ohne Pflege klarkam.

Sie war zu träge, ins Wohnzimmer zu gehen und ihn zu begrüßen. Es würde nicht stören, wenn sie noch ein Weilchen döste. Lange war es her, dass Hubert sie morgens mit Zärtlichkeiten geweckt hatte. Sie zog die Decke bis zur Nase hoch.

Im Flur war ein kratzendes Geräusch zu hören. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Kam Hubert jetzt erst?

»Du liegst ja noch im Bett«, trompetete Jasmin. »Guten Morgen, Frau Langschläferin!«

Wie konnte eine Nachteule wie sie einen Morgenmensch als Tochter haben, fragte sich Irene. Sie wälzte sich aus den Federn und ging ins Bad. Im Spiegel zeigte sich ihr ein zerknittertes Gesicht, die schulterlangen, braunen Haare waren zerstrubbelt. Am Scheitel zeigten sich weiße Ansätze, sie musste bald wieder zum Friseur. Mit einundfünfzig brauchte man eben ein paar Tricks, um einigermaßen ansehnlich zu wirken. Der Duft von Kaffee brachte sie dazu, sich mit dem Morgenritual zu beeilen.

Als sie aus der Dusche kam, reichte ein Blick ins Wohnzimmer, um zu sehen, dass das Sofa leer war. Hatte Hubert wenigstens angerufen mit dem Hinweis, dass er sich verspäten würde? Sie schaute zum Telefon. Kein Blinken des Anrufbeantworters. Auch auf dem Handy keine Nachricht.

Irene tappte in die Küche.

Auch dort fand sie Hubert nicht vor, aber ihre Tochter war zu Besuch gekommen.

Der Tisch war gedeckt. Im Brotkorb türmten sich Brötchen und Croissants. Jasmin stand am Herd, legte vorsichtig Eier in einen Kochtopf.

»Hey, Mama.« Sie wandte sich um und warf ihr die Arme um den Hals.

Wie immer wunderte sich Irene, wie schnell aus ihrem Baby eine erwachsene Frau geworden war. Im Sommer würde sie dreißig Kerzen für die Geburtstagstorte kaufen müssen.

Auf dem Balkon maunzte eine graugetigerte Katze. Sie gab Futter in ein Schüsselchen, öffnete die Tür und stellte die Schale der Katze hin. Die hatte sie aufmerksam beobachtet. Maunzte kurz und stürzte sich auf das Fressen.

Irene sah zu, wie das Tier die Brocken vertilgte. Der Streuner war eines Tages aufgetaucht, über das Garagendach auf ihren Balkon gesprungen. Struppig, mit stumpfem Fell. Beim nächsten Einkauf war Katzenfutter in ihrem Korb gelandet. Sie wandte sich ab und ging ins Wohnzimmer.

»Seit wann magst du Katzen?«, fragte Jasmin. Als sie klein war, hatte sie sich immer ein Haustier gewünscht. Irene war es zu viel Aufwand gewesen. Sie hatte gewusst, dass die Arbeit an ihr hängen bleiben würde. Dabei war im Hotel genug los, sodass sie abends erschöpft ins Bett sank. Schließlich musste die Hypothek abbezahlt werden, mit der sie das Hotel gekauft hatte. Was wie ein Schnäppchen gewirkt hatte, entpuppte sich als baufällig. Katzen waren ihr allerletztes Problem gewesen.

Irene war noch zu muffelig, um zu antworten.

»Wo steckt Paps?«

Irene zuckte die Schultern. Auch das war keine echte Frage. Zu oft hatte Hubert sein Kommen angekündigt, war dann viel später erschienen oder hatte angerufen, dass sich sein Projekt verzögere und er noch ein paar Tage brauche. Aber er war immer ehrlich gewesen. Vorgestern hatte er klipp und klar gesagt, dass er Samstag Nacht hier sein würde.

Die Eieruhr klingelte. Jasmin nahm drei Eier aus dem Topf, schreckte sie unter kaltem Wasser ab und setzte sie in bunt bemalte Keramikbecher.

Die stammten noch aus ihrer Zeit als Praktikantin in dem Fünf-Sterne-Hotel auf Mallorca, erinnerte sich Irene. Das war auch schon ewig her. Zwang sich, präzise zu sein. Mehr als dreißig Jahre hatte sie die bunten Eierbecher mitgeschleppt, vom winzigen Apartment unterm Dach in ihre erste gemeinsame Wohnung mit Hubert in Sankt Pauli bis hierher in den lang ersehnten Altbau in Harvestehude.

Es duftete nach Waffeln. Jasmin türmte das heiße Gebäck auf eine Platte und stellte ein Fläschchen Ahornsirup dazu. Dann legte sie drei rote Papierservietten auf die Teller und setzte sich an den Tisch.

»Lass uns anfangen.«

Sie sagte nicht, dass es keinen Sinn hatte, auf Hubert zu warten.

Irene nahm ihren gewohnten Platz mit Blick auf den Balkon ein und griff nach dem Brötchenmesser.

Das Telefon klingelte. Wieso rief Hubert nicht das Handy an? Irene erhob sich.

»Guten Morgen, spreche ich mit Frau Hansen?«

»Ja, Hansen am Apparat. Ich sage Ihnen gleich, ich bestelle nichts am Telefon. Sparen Sie sich die Mühe!«

Irene wollte auflegen, doch eine ernste Stimme hielt sie davon ab.

»Kriminalpolizei Hamburg, Mo Davidoglu mein Name. Ich muss Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen.«

KAPITEL3

Irene klammerte sich an Jasmins Hand. Die war genauso kalt wie ihre eigene.

Jasmin trug eine Sonnenbrille, obwohl es ein bewölkter Tag war. Man sah ihre Augen nicht. Irene wusste, dass sie rot geschwollen waren.

Ihre Freundin Suzie hielt sie auf der anderen Seite untergehakt. Ihr leuchtend rot gefärbter Haarschopf hob sich grell von der schwarzen Trauerkleidung ab.

Der Pfarrer trug diesen immens großen, weißen Kragen der nordischen Protestantenkirche.

Seine Worte gingen an ihr vorbei. Seit Tagen hing dieser dünne Schleier zwischen ihr und der Welt. Das Einzige, was sie sich wünschte, war: zu schlafen und von Zeiten zu träumen, in der ihre kleine Welt noch intakt gewesen war.

»Asche zu Asche, Staub zu Staub.«

Jemand drückte ihr ein Schippchen in die Hand. Was erwarteten die. Sollte sie jetzt kalte Erde auf diese Urne schaufeln? Eine Urne, die Hubert verkörperte? Anstelle eines lebendigen, warmen Körpers war dort ein Behältnis voller kalter Asche. Ihre Hand bewegte sich wie von selbst, ohne ihr Zutun. Mit einem dumpfen Klang trafen Erdklumpen auf die Urne.

Die rote Rose entglitt ihren Fingern.

Sie schluchzte auf und wandte sich ab. Ihre Tochter entwand ihr sanft die Schaufel.

Irene wankte zu einem der hohen Bäume, die die Gräberreihe säumten. Wenigstens die uralten Riesen würden ihr Leid verstehen in ihrer jahrhundertelangen Erfahrung. Es roch aufdringlich nach feuchter Erde und Rasenschnitt.

Suzie war ihr gefolgt, schloss sie in die Arme.

Sie verharrten eine Weile. Irene schluchzte, bis ihre Kehle trocken wurde. Dann kam sie sich albern vor, eine solche Show auf der Beerdigung zu bieten. Immerhin war Huberts Unfall schon drei Wochen her, sie sollte sich gefasst haben. Der Staatsanwalt hatte eine Obduktion angeordnet, das hatte gedauert. Wie gut, dass die sterblichen Reste danach eingeäschert worden waren. Sie hätte es nicht ertragen, den sezierten Leichnam zu sehen. Oder auch nur den Anblick eines Sargs mit dem toten Körper. Die Vorstellung einer reinigenden Flamme war immerhin ein wenig tröstlich. Sie wischte sich über die Augen und richtete sich auf.

Suzie hielt ihr einen Schokoriegel hin. Als ob Essen alles richten würde.

Sie schob ihre Hand weg und trat wieder zu den anderen.

Die Verwandten reihten sich auf, um ihr Beileid auszusprechen.

Mechanisch schüttelte sie Hände. Eine Tante, ein Cousin, den sie ewig nicht gesehen hatte. Kollegen ihres Mannes. Die verlegen vorgetragenen Worte des Mitgefühls hörte sie kaum, sie war wie weggetreten.

Gleichzeitig war sie irgendwie sauer auf Hubert. All die Pläne, die sie noch gehabt hatten. Reisen, neue Hobbys. Für die Rente. Und jetzt war er weg, für immer aus ihrem Leben verschwunden. Sie schluchzte auf.

Eine Frau trat an sie heran, ergriff ihre Hand.

Sie schaute hoch.

Die Frau hatte sehr helle Haare, einzelne Strähnen waren hellblau und rosa gefärbt. Sie war jung, etwa im Alter von Jasmin, schätzte Irene. Ein Piercing verunstaltete eine Augenbraue, ein weiteres durchbohrte ihre Unterlippe.

Die Frau beugte sich vor, flüsterte ihr ins Ohr: »Auch du hast ihn verloren.« Hielt dabei noch immer ihre Hand fest umklammert.

Irene wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

In dem Moment griff Suzie ein. Sie nahm die junge Frau bei den Schultern und schob sie beiseite.

Daraufhin ließ die Frau Irenes Hand los.

Suzie drehte die Frau resolut um und führte sie weg, den Weg herunter, der zurück zur Kapelle führte.

Irene blickte ihnen nach.

Da trat Manfred van Vreeden auf sie zu. Sie hatte den Partner ihres Mannes zuletzt bei einer Ausstellung gesehen, die die Architekten in ihrem Büro organisiert hatten. Förderung junger Künstler oder so. Das war ein Jahr her, überlegte sie. Damals war sie glücklich.

Der schlanke weißhaarige Mann ergriff ihre Hand. »Was für ein furchtbares Unglück. Hubert war viel zu jung. Mein tief empfundenes Beileid.« Er drehte sich herum, hielt dabei ihre Hand fest, sodass sie seiner Bewegung folgen musste.

Täuschte sie sich, oder wollte er sie ablenken von der Begegnung mit der verwirrten jungen Frau?

»Komm doch bitte in den nächsten Tagen bei uns vorbei, damit wir einige Fragen zu Huberts aktuellen Projekten regeln können«, bat Manfred.

Sie nickte abwesend.

»Natürlich erst, sobald du dich dazu in der Lage fühlst.« Er schien bemerkt zu haben, was er ihr zumutete.

Sie wollte nichts weiter, als sich auf dem Sofa zusammenzukrümmen und möglichst zu schlafen. In ihren Träumen war Hubert immer bei ihr.

»Du weißt doch, er leitete diesen Hotelbau in Spanien. Das übernehme ich jetzt, aber einiges ist mir unklar.«

»Ich kenne mich mit seiner Arbeit nicht aus.«

»Trotzdem, wir versuchen es.«

»Er hat wenig darüber gesprochen, was er im Büro macht«, wandte sie ein.

»Das sehen wir dann. Du als seine Erbin musst ohnehin einige Papiere unterzeichnen, damit es weitergehen kann.«

»Das tue ich gerne.« Sie hörte sich zustimmen, obwohl sie jetzt nichts weniger im Sinn hatte, als irgendwelche Vollmachten für Architekten zu unterschreiben. Eine Floskel. Wonach sie sich eigentlich sehnte, war Ruhe.

Eine unendliche Ruhe, wie Hubert sie jetzt genoss.

KAPITEL4

Die Auslagen leuchteten bunt. Orangen, Kaki, Tomaten, sattgrüne Gurken. Irene sah die Schönheit nicht.

Sie hatte sich zum Türken an der Ecke geschleppt. Den Weg zum Supermarkt schaffte sie nicht, da war sie sich sicher.

Noch immer verschwommen Tag und Nacht. Sie döste im Bett vor sich hin. Appetit hatte sie auch nicht. Heute hatte sie sich ins Bad geschleppt und ihr eingefallenes Gesicht im Spiegel gesehen. Daraufhin hatte sie sich gezwungen, einkaufen zu gehen.

Mechanisch legte sie einige Orangen in ihren Korb, Tomaten und Salat. Der kleine Laden an der Ecke hatte zwar keine Auswahl wie der Discounter, aber es gab das Nötigste und dazu noch allerhand exotische Dinge wie Okraschoten, gefüllte Weinblätter und andere Delikatessen. Sie griff nach Lebensmitteln, die sie kalt essen konnte. Irene hatte keine Lust zu kochen, selbst zum Backen, ihrem Hobby, konnte sie sich nicht aufraffen.

Schon seit Tagen überließ sie Jasmin das Hotel. Die würde das schon schaffen, wenigstens für einige Tage oder Wochen. Jedenfalls besser, als es ihr selbst in diesem Zustand gelingen würde.

Sie war froh, als sie ihren Korb gefüllt hatte und an der Kasse stand.

Der türkische Händler rundete die Summe ab, schenkte ihr ein paar Cent.

»Danke«, murmelte sie.

Als sie den Laden verließ, hörte sie eine helle Stimme hinter sich: »Hallo.«

Sie drehte sich um.

Eine junge Frau, gepierct und tätowiert, die hellen Haare zu einem wirren Vogelnest frisiert.

Irene hatte die Frau schon einmal gesehen, aber wo? Sie grüßte mit einem Kopfnicken und ging weiter.

»Bilde dir nur nicht ein, dass du alles allein erbst.«

Die Gestörte vom Friedhof! Die ihre Hand umklammert und wirres Zeug geredet hatte.

Irene ging schneller.

Die junge Frau hielt mühelos Schritt. »Ich habe ihn geliebt!«

Irene stellte ihre Tasche ab und wandte sich der aufdringlichen Frau zu. Sie holte tief Luft. »Lassen Sie mich in Ruhe!« Ungewollt überschlug sich ihre Stimme.

»Tu doch nicht so, als wüsstest du von nichts!«

Irene schnaubte. »Sie verwechseln mich. Wir kennen uns nicht.«

»Ich war Huberts wahre Liebe!«

Irene zuckte zusammen, als sie den Namen ihres Mannes hörte.

»Und die Wohnung in Spanien, ich sag es gleich, die gehört mir. Schließlich habe ich die Schlüssel!« Bei diesen Worten deutete die Frau mit dem Daumen auf ihre eigene Brust. »Die kriegst du nicht.«

Sie wandte sich abrupt um und ging.

Irene brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Dann nahm sie ihre Tasche hoch und schleppte die Einkäufe nach Hause.

Während sie die Lebensmittel in den Kühlschrank räumte, hallten die Worte der Frau in ihr nach. ›Huberts wahre Liebe‹.

Irenes Gedanken überschlugen sich. Die Dienstreisen nach Spanien, um das Hotelprojekt zu überwachen. Die vielen Überstunden. War da was, was sie nicht mitgekriegt hatte?

Sie griff zum Handy, wählte im Gehen Suzies Nummer und verließ die Küche, um sich auf dem Sofa in eine Decke zu kuscheln. Bei Suzie sprang die Mailbox an: »Sie haben das Yogastudio Sunshine erreicht. Wenn ich mich nicht persönlich melde, unterrichte ich gerade. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, ich rufe Sie zurück.«

Irene schluchzte auf. Schnell drückte sie auf ›Auflegen‹. Hoffentlich schnell genug, damit Suzie ihre Verzweiflung nicht bemerkte. Sonst würde die hier anrücken und sie bekochen, ihr Essen aufzwingen, das sie kaum runterwürgen konnte.

Kaum war die Verbindung unterbrochen, rief ihre Freundin zurück. »War gerade auf der Toilette, wie geht es dir? Wie kann ich dir helfen?«

»Ach, Suzie!« Irene schilderte zusammenhanglos, was geschehen war. Dass eine durchgedrehte Frau sie verfolgte. Dieselbe Person, die sich bei der Beisetzung an sie rangemacht hatte.

Suzie hörte ihr eine Weile zu. Dann hörte Irene, wie sie tief Luft holte.

»Du wusstest wirklich nichts?«

KAPITEL5

Der Notar thronte hinter einem mächtigen Schreibtisch aus Holz. Entweder hatte er ihn in einem Antiquitätenladen erworben oder geerbt. Vermutlich Letzteres, wenn sie sich die Kanzlei anschaute. Bis auf ein wirrbuntes Ölgemälde, einem abstrakten Werk, wirkte die Einrichtung gediegen, aber unaufdringlich. Vermutlich hatten viele Generationen hanseatischer Juristen Geld angehäuft, um Doktor Wigbert Schwekendonk ein auskömmliches Geschäft zu ermöglichen.

Irene erinnerte sich an den Resopaltisch in der kleinen Küche, an dem sie ihre Hausaufgaben gemacht hatte, während die Mutter das Essen zubereitete. Dann verdrängte sie das Bild und konzentrierte sich auf die Worte des Notars.

Er las in getragenem Tonfall das Testament vor, das Hubert bei ihm hinterlegt hatte. Es ging um Girokonten, Aktienfonds, eine Lebensversicherung. Alles Dinge, die ihr den Mann nicht zurückbringen konnten.

Ihre Gedanken schweiften ab. Suzie hatte versucht, ihr so schonend wie möglich klarzumachen, dass Hubert in der Tat eine Geliebte gehabt hatte – und zwar vermutlich seit Jahren. Es handele sich in der Tat um die Gepiercte, die bei der Beerdigung aufgetaucht war.

»Die ist doch nicht älter als Jasmin«, hatte Irene erschrocken eingeworfen.

Sie habe die beiden in einem Restaurant zusammen gesehen, hatte Suzie erzählt. Turtelnd. Und einige Monate später bei einer Vernissage.

»Wieso hast du mir nichts gesagt?« Wofür hatte man eigentlich Freundinnen? Suzie war doch sonst nicht zurückhaltend.

»Ich dachte, du wüsstest Bescheid«, hatte Suzie lahm geantwortet. »Würdest das tolerieren.«

Auf keinen Fall hätte Irene eine Nebenbuhlerin geduldet. Sie hätte Hubert achtkantig herausgeschmissen.

Hätte sie? Oder hätte sie geschwiegen, und Unwissen vorgetäuscht?

Die Stimme des Notars drang zu ihr durch, unterbrach ihre Gedanken. Sein Tonfall hatte sich irgendwie verändert.

»An allem erbt Ihre Tochter den Pflichtteil, also ein Viertel. Jedoch hat Ihr Ehemann, der nun von uns gegangen ist, eines seiner Assets Ihnen allein vermacht. Und zwar handelt es sich um das spanische Unternehmen ›Daurada Ltda.‹. Es geht vollständig in Ihren Besitz über.«

Irene schaute ihn verständnislos an.

»Ein Erbe in Spanien anzutreten, erfordert einigen bürokratischen Aufwand, wie wir von anderen Mandanten wissen. Dabei stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Seite.« Der Notar blickte sie hoffnungsfroh an. »Wir haben auch Beziehungen zu Partnern vor Ort, die vertrauenswürdig sind.«

Irene war wie vor den Kopf geschlagen. »Was für ein Unternehmen?« Das Bild einer Fabrikanlage tauchte vor ihrem inneren Auge auf.

Der Notar blickte wieder in die Unterlagen. »Zur Natur des Unternehmens wird hier keine Aussage gemacht. Die Vermögenswerte beziehen sich auf eine Immobilie in einem Ort namens ...« Er blätterte. »In Cambrils. Eine Immobilie mit sechzig Quadratmetern Grundfläche, erworben vor zehn Jahren.«

Eine Fabrik auf sechzig Quadratmetern?

Der Notar sprach bereits weiter. »Es muss sich nicht um ein aktives, produzierendes Unternehmen handeln. In Spanien fallen erhebliche Erbschaftssteuern auf Wohneigentum an. Um diese Steuern zu vermeiden, werden Gesellschaften gegründet und das Wohneigentum in das Vermögen einer Gesellschaft überführt. Im Erbfall wird nun nicht die Immobilie an sich, sondern die Gesellschaft vererbt. Schon unterliegen sie nicht mehr der Erbschaftssteuer. Im Klartext: Die Gesellschaft ist vermutlich eine Hilfskonstruktion. Ich gehe davon aus, dass Sie eine Wohnung in dem Ort Cambrils erben.«

Die Wohnung, von der das tätowierte Girl gesprochen hatte! Sie existierte wirklich.

»Wann wurde sie noch mal erworben?«, fragte Irene matt.

Der Notar blätterte wieder zurück und nannte die Jahreszahl. »Seit zehn Jahren im Vermögensbestand, das ist gut, dann gibt es keine Bedenken, dass die Gesellschaft zur Vermeidung von Erbschaftssteuern gegründet wurde.«

Irene rang nach Luft. Hubert hatte ihr zehn Jahre lang die Existenz dieser Wohnung verschwiegen. Zehn Jahre Lügen?

KAPITEL6

Irene verteilte Kaffeelöffel auf Untertassen. Die Beerdigung war nun einige Tage her, aber der Schmerz war noch frisch. Sie fühlte sich wie betäubt. Die fröhliche Stimme der Moderatorin aus der Morgensendung drang wie durch einen Vorhang zu ihr.

»Du willst wirklich dahin?«, fragte Jasmin, die Käsescheiben aus einer Packung nahm und auf einem Teller für das Frühstücksbüffet arrangierte.

Die Kaffeelöffel machten ein feines Kling, wenn sie die Untertassen berührten. Irene schritt um den Tisch, verteilte rhythmisch weiter die Löffel. Kling, kling, kling.

»Ich mein ja nur«. Jasmin klang verschnupft. »Die Frühjahrstagung der Zahnärzte steht an.«

»Wieso ist Olga nicht gekommen?« Die war neulich schon ausgefallen. »Es ist doch lächerlich, dass wir das Frühstück selbst vorbereiten müssen.«

»Die hat Grippe oder so. Einer muss es ja machen. Wenn du nach Spanien fährst, bin ich ganz allein.« Jasmin klang quengelig. »Und die Frühjahrstagung ist nächste Woche. Das Haus voller Zahnärzte.«

Die Löffel lagen auf den Untertassen. Irene holte die Tassen aus der Spülmaschine. Zarte Porzellantassen, durch die das Licht schimmerte. Das glatte Material fühlte sich gut an. Sie setzte eine nach der anderen auf die Untertassen.

»Du weißt, wie pingelig die Dentisten sind.« Jasmin gab nicht auf.

»Wir sind zwei Geschäftsführerinnen. Eine kann doch mal weg sein.«

Irene hatte langsam die Nase voll von der Diskussion. Sie wäre ja nicht ewig abwesend. Der Notar hatte was von einer spanischen Steuernummer erzählt, die sie brauchen würde, um das geheimnisvolle Unternehmen aufzulösen. Er hatte auch einen Berater empfohlen, der ihr in Sachen Bürokratie zur Seite stehen würde, und sich dann in einen Vortrag über das spanische Erbrecht verloren.

Unterdessen hatte sich vor ihrem inneren Auge die Szene am Grab immer wieder abgespielt, als die Erde von ihrer Schaufel rutschte und mit einem dumpfen Ton aufschlug. Wie Jasmin ihre kalte Hand umklammert hielt.

Auf die Worte des Notars hatte sie erst wieder geachtet, als er meinte: »Ich wäre auch gerne mal wieder am Meer.«

Auch um den Preis, den Ehepartner zu verlieren, fragte Irene sich. Dann nahm sie sich zusammen. Der Notar hatte nur Small Talk machen wollen. Jedenfalls würde sie bald am Meer sein.

Das Apartment, das Huberts Unternehmen ausmachte, lag offenbar in einem Ort an der Küste. Von Barcelona aus wäre es in ein, zwei Stunden erreichbar, hatte sie verstanden. Keine Weltreise, dort vorbeizuschauen, die Unterlagen in Ordnung zu bringen und den Verkauf anzustoßen.

Die überschwängliche Stimme der Radio-Moderatorin kündigte ein Gewinnspiel an. Irene griff nach der Fernbedienung und machte das Radio aus.

»Ich muss ein paar Papiere unterzeichnen, dann bin ich zurück.«

»Das kann man doch sicher alles online erledigen. Die Wohnung ... wer weiß, wie es da aussieht.«

Wie sollte es da schon aussehen. Wie in Huberts Büro vermutlich, dachte Irene. Ein Händchen für Inneneinrichtung hatte er nie gehabt.

Wenn sie nicht eingegriffen hätte, wäre ihre Wohnung mit schicken, aber unbequemen Möbeln aus Stahl ausgestattet und seltsame, moderne Kunstwerke hingen an Sichtbetonwänden.

Irene setzte weitere Porzellantassen auf die Unterteller. Sie war bei den Tischen am Fenster angelangt, die morgens besonders begehrt waren, weil die Morgensonne hereinschien. Nur noch den Kaffee zubereiten, dann wäre alles fertig für die ersten Frühaufsteher.

»Willst du dir das Liebesnest von Paps wirklich ansehen?«

Irene sackte auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht in ihren Händen. Sie atmete schwer. ›Liebesnest‹. Die Worte hallten durch ihren Kopf. Er war dort nicht allein gewesen. Wieso war ihr diese Idee nicht gekommen? Das war auch der Grund, warum die Gepiercte Ansprüche auf die Immobilie erhob. Ein spitzer Schmerz fuhr durch ihr Herz.

Jasmin trat hinter sie und streichelte ihr über die Schultern, massierte die verhärteten Muskeln.

»Glaubst du wirklich?« Irene merkte, wie verzagt ihre Stimme klang.

»Vielleicht ist es ja wirklich ein Gewerbebetrieb. Wer weiß, was Paps dort investiert hatte. Mit Geld konnte er umgehen.«

Jasmin hatte recht. Hubert hatte ein Händchen für das Finanzielle gehabt, in den vergangenen Jahren war es stetig aufwärtsgegangen. Irene bedauerte nur, dass er nicht offener zu ihr gewesen war. Wieso hatte er ihr nicht erzählt, dass er eine Wohnung – oder eine Firma – in Spanien erworben hatte?

KAPITEL7

Irene blinzelte aufs Meer. Die Frühlingssonne stand niedrig und zauberte eine gleißende Spur auf das ruhige Wasser, die sich über den Wellen kräuselte. Das Licht blendete Irene. In den letzten Monaten hatte eine graue Wolkendecke über Hamburg gehangen. Sie war gar nicht erst auf die Idee gekommen, eine Sonnenbrille mitzunehmen, als sie für den Flug nach Barcelona gepackt hatte.

Die angebliche Firma Daurada Ltda. hatte sich als Apartment in einer Ferienwohnanlage entpuppt. Von dem sie noch nicht viel gesehen hatte.

Gestern Abend war sie im Dunkeln angekommen und hundemüde aufs Sofa gefallen. Ein Blick ins Schlafzimmer hatte sie davon überzeugt, dass die Nacht auf dem Sofa erträglicher sei als in diesem Bett. Heute Morgen war sie sofort wieder aus der Wohnung geflüchtet.

Jetzt saß sie auf der Terrasse eines Cafés und genoss die leichte Brise, die vom Meer herüberwehte. Eine Kaffeemaschine gurgelte. Ein riesiges chromglänzendes Modell, wie sie mit einem kurzen Blick in die Bar festgestellt hatte, bevor sie sich diesen Platz auf der Terrasse gesucht hatte.

Die Sonnenstrahlen streichelten ihre Haut. Sie schloss einen Moment die Augen und genoss die Wärme. Ihr erster Moment der Ruhe seit Wochen wurde ihr bewusst.

»Bitte sehr«. Der Kellner sprach ein paar Wörter Deutsch, genauso wie sie ein paar Wörter Spanisch. Sie erinnerte sich an mehr als gedacht, obwohl der Aufenthalt auf Mallorca während ihrer Ausbildung zur Hotelfachfrau einige Jahrzehnte zurücklag. Vor ihr stand nun eine Tasse Milchkaffee mit reichlich Schaum, genau wie sie es liebte. Duftete verführerisch. Sie nahm einen Schluck und schmeckte den Aromen von Vanille und Karamell nach.

Ein Kreischen zerriss die Stille. Irene blickte nach oben, konnte aber nicht erkennen, wo das nervende Geräusch herkam. Aus den Palmen, die die Promenade säumten?

»Papagei«, sagte der Kellner, der ihren Blick bemerkt hatte.

Papageien in Spanien?

»Sittiche«, sagte ein Mann, der am Nebentisch saß und ebenfalls Kaffee trank, dabei eine Zeitung vor sich aufgeschlagen hatte. Ein riesiger, zotteliger Hund lag zu seinen Füßen. »Halsbandsittiche. Die kreischen unerträglich. Verschmutzen alles. Sind nicht von hier.«

Sie linste zu ihm rüber. Er war recht groß, breitschultrig, trug lässige, aber hochwertige Kleidung. ›Casual Chick‹, hätte ihre Freundin Suzie das genannt. Dem Tonfall nach kam er ebenfalls aus Norddeutschland.

»Sie sind doch auch nicht von hier. Deutscher?« Gleich darauf kam Irene ihre Frage dumm vor. Sie hörte doch, dass er fließend Deutsch sprach. Außerdem hatte er strahlend blaue Augen, sein Haar war flachsfarben. Gut aussehend auf eine entspannte Weise. ›Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen‹, wäre Suzies Kommentar. Sie sah häufig nur das Äußere eines Menschen. Seltsam für jemanden, der sich in Yoga und fernöstliche Weisheiten vertieft hatte.

»Ja, aber ich lebe hier«, erwiderte der Unbekannte, als müsse er sich rechtfertigen.

Irene antwortete nicht. Sie konzentrierte sich auf ihr Getränk und den herrlichen Blick auf die See. Sie war nicht hergekommen, um sich über fremdenfeindliche Äußerungen zu ärgern, selbst wenn sie sich nur auf Vögel bezogen. Sie hatte anderes zu tun. Die Aufgabe, die vor ihr lag, forderte ohnehin ihre ganze Kraft.

KAPITEL8

Das Meer wiegte hin und her.

Irene konnte sich nicht sattsehen. Sie blickte in die blaue Weite. Die Wellen waren mäßig hoch, nicht zu vergleichen mit den Brechern der Nordsee. Und doch … dieses ungleichmäßig gleichmäßige Rauschen … zog sie in seinen Bann.

Ein milder Wind umspielte ihr Gesicht, trug Gerüche von Rosmarin, Pinie und Meeresalgen heran.

Jede der Wellen schien eine ihrer Sorgen mit sich davon zu tragen. Irene hatte viele Sorgen, aber die Zahl der Wellen war unendlich. Sie folgte den einzelnen Wogen, die sich dem Strand näherten, bis sie brachen und sich in weiße Gischt verwandelten.

Sollte nicht jede fünfte Welle größer sein als die übrigen? Irene begann zu zählen, aber bald gab sie auf. Hin und wieder näherte sich eine größere Welle, aber es war nicht immer die fünfte. Sie konnte keine Regelmäßigkeit feststellen. Die Natur ließ sich nicht berechnen.

Sie begann zu frösteln. Trotz der gleißenden Sonne sorgte der Wind für Kühle. Sie zog das Seidentuch enger um den Hals. Ein wertvolles Tuch einer traditionellen französischen Marke, das Hubert ihr geschenkt hatte. »Das Hermès-Tuch ist wertbeständig«, hatte er gesagt.

Sie verbot sich den Gedanken an Hubert und ging weiter am Strand lang, genoss das Wasser an den Füßen, mehr noch den nachgiebigen Sand. Die Bewegung wärmte sie wieder auf.

Wenn sie gegen die Sonne blickte, glitzerte der Sand golden. Nicht umsonst hieß die Region Costa Daurada, die vergoldete Küste. Splitter von Glimmerschiefer sorgten für den Effekt, hatte sie in der Broschüre der Touristeninformation gelesen, die am Flughafen ausgelegen hatte. Egal, was der Grund für das Funkeln war, es wirkte, als sei der Strand von Goldpartikeln durchzogen.

Dazwischen glänzten perlmuttfarbene Muscheln, weiße Kiesel und vom Wasser abgeschliffene Glasscherben, die Farbe stumpf und doch faszinierend. Irene stapfte weiter, obwohl sie eigentlich nicht vorgehabt hatte, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen.

Ein paar Hundert Meter vor ihr lief ein Mann mit seinem Hund. Das Tier tänzelte um den Mann herum, der sich immer wieder bückte, um ein Stück Treibholz aufzuheben und zu werfen. Der Hund rannte begeistert los und holte das Holz zurück.

Ansonsten war niemand am Strand.

In der Ferne ließen sich Hügelketten erahnen, die zum Horizont hin verblauten. Gerade zog ein Flugzeug eine Kurve über den Himmel und hinterließ einen weißen Kondensstreifen auf dem blauen Hintergrund. Irene ertappte sich beim Gedanken, dass es noch möglichst lange dauern sollte, bis sie wieder ins Flugzeug nach Hamburg steigen musste. Dabei wurde sie im Hotel dringend gebraucht. Sie verdrängte den Gedanken und lief weiter. Sie wollte entschlossen wirken.

In einer feinen Linie am Meeressaum blieben kleine Bläschen im Sand hängen. Irene achtete darauf, nicht auf die Bläschen zu treten, obwohl diese sowieso gleich zerplatzen würden. Ein Spiel nach eigenen Regeln.

Trotz des wolkenlosen Himmels frischte der Wind weiter auf. Er trug Sandpartikel mit sich, die unangenehm an ihren Waden rieben. Sie bückte sich und krempelte ihre Hosenbeine wieder herunter, gerade so weit, dass sie trotzdem barfuß weitergehen konnte, ohne die Hose zu durchnässen.

Ihre Füße waren kalkweiß. Kein Wunder, den ganzen Winter über hatten sie keine Sonne gesehen. Die Nägel bräuchten auch mal wieder eine Pediküre. Sie richtete sich auf.

In dem Moment riss ihr ein Windstoß das Tuch vom Hals. Bevor sie reagieren konnte, flatterte es davon, aufs Meer hinaus. Es senkte sich langsam und traf auf eine Welle, die es sanft anhob.

Irene sah die bunten Farben im Wasser wiegen. Sie lief in die Brandung, doch prompt kam eine etwas höhere Welle, erwischte ihre Jeans.

Das Wasser war eiskalt. Sie quietschte auf und lief zurück auf den festen Sand.

Mit jeder Woge entfernte sich ihr Tuch weiter.

Ihr Herz krampfte sich zusammen. Nie wieder würde sie ein Geschenk von Hubert bekommen. Alles, was sie jetzt noch an ihn erinnerte, war so unendlich wertvoll.

»Porta’l, Fosca!«, rief eine dunkle Stimme. Der Hund, den sie eben noch in der Ferne gesehen hatte, stürzte sich in die Fluten. Er war ungefähr so groß wie ein Schäferhund, hatte aber lange, zottelige Haare.

Er paddelte mit den Pfoten. Schon bald schien er das Tuch zu erreichen, doch immer, wenn er sich näherte, trieb er wieder zurück, während die Wellen das Tuch nach draußen zogen.

»Holen Sie ihn zurück! Er wird abgetrieben ...«

Der Mann schaute sie an. Jetzt, wo er direkt vor ihr stand, erkannte sie ihn: Der Mann mit den meerblauen Augen, der eben noch im Café die Zeitung gelesen hatte.

Er schaute wieder aufs Meer, zu dem Tier, das eifrig gegen die Brandung ankämpfte. Dann hob er zwei Finger an den Mund und pfiff.

Der Hund hob den Kopf, wendete augenblicklich und kam wieder an den Strand zurück. Kaum hatte er das Wasser verlassen, schüttelte er sich heftig, sodass Tropfen in alle Richtungen spritzten.

Er kam zu ihnen gelaufen und guckte schuldbewusst mit großen Augen durch seine Stirnfransen.

Der Mann bückte sich, tätschelte und lobte das Tier. Dann blickte er auf. »Tut mir leid.«

»Ist nicht so schlimm«, sagte Irene. Sie überlegte, ob das stimmte oder nur ein Ausdruck der Höflichkeit war. Eines der letzten Andenken an Hubert war unwiederbringlich verloren.

Der Hund schüttelte seine Zotteln erneut.

Wassertropfen spritzten Irene ins Gesicht.

---ENDE DER LESEPROBE---