Himmelslicht am Horizont - Andreas Rumler - E-Book

Himmelslicht am Horizont E-Book

Andreas Rumler

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Beschreibung

Recht Irdisches bescheint das Himmelslicht – jeden Morgen neu. Zwischen grauen Nebeln und aufleuchtender Klarheit erzählt dieser Band von der Kraft, Mut und Zuversicht zu bewahren. Mit feinem Witz und nachdenklicher Tiefe werden Höhen und Niederungen des Menschseins beleuchtet – von den Mühen der Ebene bis zu den Gipfeln menschlicher Errungenschaften. Die Gedichte feiern jene, die mit List, Herz und Verstand für eine gerechtere, menschlichere Gesellschaft einstehen. Sie erinnern an Siege im langen Ringen um Menschenwürde und an den unerschütterlichen Glauben an Fortschritt und Aufbruch. In unregelmäßige Verse gefasst, spiegelt sich hier der oft stolpernde, doch unbeirrbare Gang der Geschichte. Ein lyrischer Aufruf, aus den Quellen der Vergangenheit zu schöpfen, um Zukunft zu gestalten – ermutigend wie das erste Licht des Morgens. Ein poetischer Kompass für alle, die das Himmelslicht auch im Irdischen suchen.

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Seitenzahl: 139

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Table of Contents

Titel

Impressum

Motto

Widmung

– Vorab

Entrée

Irrlichter

Heimat auf Widerruf

Lichtschein

weiterBücher

Andreas Rumler

Himmelslicht am Horizont

– lyrische Notate

Originalausgabe

Oktober 2025

Kulturmaschinen Verlag

Ein Imprint der Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt)

Kolpingstr. 10, 97199 Ochsenfurt

[email protected]

Die Kulturmaschinen Verlag UG (haftungsbeschränkt) gehört allein dem Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V.

Der Kulturmaschinen Autoren-Verlag e. V. gehört den AutorInnen.

Und dieses Buch gehört der Phantasie, dem Wissen und der Literatur.

Der Kulturmaschinen Verlag verbietet die Nutzung aller Teile des Buches zu KI-Trainingszwecken.

Umschlaggestaltung: Sven j. Olsson

Umschlagfoto: Michael Augustin

Druck: Libri Plureos GmbH

978-3-96763-382-5(kart.)

978-3-96763-383-2(geb.)

978-3-96763-384-9(.epub)

Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag, Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag. Ein wenig besser würd’ er leben, Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Goethe: Faust

Ja, ich glaube an die sanfte Gewalt der Vernunft … Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse.

Brecht: Leben des Galilei

für Jutta

– VORAB

Schön sind die deutschen Lande von Natur aus und vom Klima begünstigt. Das zeigt sich in unserer Kultur: Reich entwickelte sie sich seit der Steinzeit. Wenn wir die Bedingungen schützen und sie bewahren, unter denen diese kulturelle Vielfalt erblühte, werden wir und unsere Nachgeborenen diesen Reichtum noch lange genießen.

Wasserstraßen als Lebensadern prägen die Landschaft: Rhein und Mosel, Elbe und Weser, Donau, Main und Neckar – um nur die bekanntesten zu nennen. Schlösser und Burgen grüßen von ­Höhen und zeigen, dass hier eine Bevölkerung mit Sinn für Kunst architektonische Pretiosen schuf. Ursprünglich für eine kleine Elite, jetzt aber genutzt von der sozialen Gemeinschaft, die diese Leistungen hervorbrachte und inzwischen demokratisch darüber verfügt. Die Städte sind sauber, ­lebens- und liebenswert, einst gesichert durch solide Mauern und Tore, an Festungen erinnern sie wie in Nürnberg, Köln oder das Holstentor in Lübeck. Vorbei die Zeiten, als sich Territorialfürsten bekriegten, wie einst die konkurrierenden Bischöfe von Köln und Trier, deshalb Städte und Mauern benötigten.

Weil wir uns einer vielfältigen, üppig florierenden Kultur erfreuen, ist es immer wieder ein Gewinn, lesend nach Kirschen in Nachbars Garten zu greifen. Wichtige Beiträge zu Literatur und Philo­sophie entstehen weltweit, gern übernehmen wir Anregungen aus anderen Kulturen, entwickeln sie oft auch weiter. Wie Hölderlin sein eigenes Arkadien entwarf, Goethe einen imaginären Dialog mit Hafis führte, übersetzen wir Molière und Shakespeare und freuen uns, dass Brecht, Schiller, die Familie Mann oder Anna Seghers weltweit gelesen werden. In Südkorea hat Frau Young-Ae Chon ein eigenes Goethe-Dorf als Studienzentrum errichtet. Bei der Lektüre in der Bibliothek und im Park mit einzelnen Autoren gewidmeten Gedenksteinen, lässt sich ein imaginärer Dialog mit Geistesverwandten aus aller Welt führen.

Früh schon gab es Bestrebungen, fair Herrschaft zu organisieren. Diskurs und Kritik als Motor der Demokratie zu nutzen. Nicht von Schlössern, Festungen und Kasernen aus zu regieren. Für bürgerliche Rechte stehen imposante Rathäuser als sichtbare Zentren gemeinschaftlicher Verwaltung des öffentlichen Lebens. Besonders beeindruckend ist das der Renaissance in Bremen ausgefallen. Dort haben Steinmetze politische Ideen und Ideale in die Fassade gemeißelt – wie für die Ewigkeit. Als Wächter auf dem Markt davor hat Roland sich unter die Bevölkerung gesellt und bietet Bedrohungen dieser Freiheit die Stirn. Schützend hält er sein Schild über die Bürger: vryheit do ik ju openbar. Dafür ist er mit seinem Schwert gut gerüstet.

Bewährt hat sich Deutschland im Chor der Völker. Es war dann erfolgreich, wenn es inneren Frieden pflegte und seine Nachbarn als Partner gewann, auf Kolonien und Mission verzichtete. Gesellschaften funktionieren durch Zusammenhalt, wenn sich, wie im Garten, der Walnussbaum von oben mit seinen Früchten über das Feigen-Bäumlein beugt und die grünen Kugeln, genährt von derselben Erde, harmonisch einander ergänzen. Aufbauen lässt sich auf dieser Geschichte, wenn man sie kennt, auch in ihren Schwächen und Verirrungen, dann lassen sich Perspektiven entwickeln für eine glückliche Zukunft.

Darum geht es, diesen Schein des Himmelslichts am Horizont, ge­geben als Ziel und Erfolg der Aufklärung und des Humanismus, diese Helle der Vernunft nicht aus den Augen zu verlieren. Trotz zeitweiliger Rückschläge in Gestalt von Rassismus und religiöser Intoleranz, völkisch-nationalen Verengungen, kriegerischen Verbrechen oder brutalen Diktaturen, haben zukunftsträchtige Ideen der Menschenrechte, die Überzeugung vom Wert der Gleichberechtigung, von der Bedeutung der Würde des Menschen an Einfluss gewonnen. Einblicke geben einzelne Etappen – wie 1848 in Frankfurt – in ein Kaleidoskop des Fortschritts. Langsam, im mäandernden Lauf der Geschichte, aber stetig.

Lyrische Notate habe ich diese Gedichte genannt, um Enttäuschungen zu vermeiden: von Lesern, die traditionelle Verse und Reime erwarten.

Bremen, Ende August 2025

Entrée

– KUNST

wann und warum menschen höhlen betraten dort lange zu verweilen über jahrtausende bis ein bergrutsch den eingang verschüttet wer kann es wissen mag darüber spekulieren ob sie dort dauerhaft leben feste feiern ihren priestern und deren göttern huldigen oder schutz suchen in bedrängenden zeiten

sie schufen mit einfachen mitteln bildwerke von ganz eigener schönheit in ihrer verborgenen galerie tief im berg seltene eleganz in ihrer reduktion avantgarde der altsteinzeit atemberaubend bis heute mit wenigen sicheren strichen geschaffen von bleibendem wert

ritzen ihre linien in den fels probieren kohle und farben aus wie rötel schwarze manganerde verschiedene töne von ocker gemischt mit fett oder eiweiß federn nutzen sie oder bloße hände bilder sorgsam zu skizzieren farbstifte entwickeln die künstler sprayen mit röhrenknochen pigmente auf die wände

dokumentieren was sie draußen sahen in freier natur hirsche und hirschkühe lassen pferde gallopieren an den wänden der halle zeigen maler wildschweine bisons die boten jägern reiche beute

ein lichtblick weit zurück in längst aus den augen geratene artifizielle werke der vergangenheit faszinierend mit welcher liebe zu darstellender kunst die ahnen begabt welch reiches erbe sie hinterließen

verlassen und vergessen kunst prähistorischer genies wohl nicht für die ewigkeit gedacht begeistern seit zufällig entdeckt weil sich ein jagdhund verirrt besucher in der höhle von Altamira

auf der Schwäbischen Alb fand man winzige plastiken so zierlich: schwer zu erkennen, dass es wiederholter grabungen bedurfte, erneuter untersuchung des abraums, die schätze überhaupt zu bemerken zwischen kies und geröll fragmente zusammenzufügen kleine figuren: einen bison auch ein mammut ein pferdchen mit mähne im team schürfen forscher die kostbaren splitter nichts zu übersehen alle teile des puzzles zu bergen vertraut miteinander wie die ahnen die kunstwerke schufen

elfenbein von mammuts dient unseren altvorderen als material und motiv kunst zu entwickeln ihrer welt abbilder zu geben dessen was sie sehen was ihnen nahrung schenkt und sie kleidet

metall kennen sie nicht formen göttinnen zierlich zwar doch stark fast brutal stilisiert wie die Venus von Kołobrzeg oder die statuetten vom Hohlefels oder Willendorf grob geschnitzte gestalten mit ästhetischen reizen recht eigener üppiger art vital dem prallen leben nachempfunden

scharfe kanten von feuerstein nutzen sie mit akkuratesse für ihre filigranen werke löwen beeindrucken sie und bären wer kam auf die idee und warum den körper eines jägers zu krönen mit einem löwenkopf?

flöten aus hohlen knochen gebildet geschnitten und gebohrt erlauben sanfte zarte töne in der höhle erklingen zu lassen spielen die menschen auf zu heiteren festen oder pflegen sie religiöse tänze begleiten sie ihre rhythmen mit wiegenden schritten?

sogar tief im berg drängt es sie sich zu verwirklichen schöpferisch tätig schönheit zu stiften als bild oder klang durch kunst zu bereichern ihr leben

– ZEITRAFFER

generationen von bewohnern schichten diese mauern auf ein haus als etagere der geschichte in Istanbul seit Konstantins herrschaft jahrhunderte spiegeln sie wieder stets neu überbaut nach umstürzen vermag es geschichten zu erzählen anschaulich als chronologie

über römischen säulen einer zisterne spannt sich ein byzantinischer bogen weiter oben eine osmanische Steinmauer mit gebrannten ziegeln darüber – hier ist die moderne erreicht: die türkische republik mauerwerk zu lesen wie jahresringe allein: nicht horizontal sondern vertikal der sonne entgegen in schichten

fromme ritter des vierten kreuzzugs erobern die christliche stadt klauen die quadriga für Venedig plündern Konstantinopel sturmreif bevor die Osmanen kommen gewaltige mauern sehen und siegen. wenige zeugnisse überdauern wie die Hagia Sophia wo die aktuellen herrscher die dekoration wechseln steinerne dokumente sprachlos und stumm verschwimmen in flirrender sonne

– DAS FLOß

brav klingt, unverfänglich der titel des gemäldes brisant, was sich verbirgt hinter dem getümmel eng ineinander verschlungener leiber sich aneinander klammernder menschen hingestreckt einige mehr tot als lebend auf einem floß inmitten brodelnder wogen unübersehbar: knapp 5 mal über 7 meter groß beherrscht die leinwand den lichten saal dominiert den reigen bedeutender kunstwerke Szene eines Schiffbruchs hat Théodore Géricault sein werk genannt viele sehen in ihm anerkennend einen vertreter französischer Romantik bemerken nicht den gemalten affront

so nimmt man es erfreut zur kenntnis und entgegen es stolz im Pariser Salon 1819 zu präsentieren doch einen skandal ruft das bild hervor in kräftigen farben bei düsterem inhalt erinnert es an eine katastrophe weit schlimmer: den versuch sie zu vertuschen wenige jahre zuvor nach der rückkehr der könige

als die Bourbonen in Frankreich wieder herrschen gilt es treue anhänger zu belohnen einen wie den lautstarken gegner Napoleons Hugues Duroy de Chaumareys offensiv hat er in salons der emigranten die feudale propaganda-trommel gerührt in Koblenz und London für unterstützung geworben grund genug den treuen untertan auszuzeichnen

zwar besitzt er kaum erfahrung als kapitän zur see doch vertraut man ihm das kommando an über die fregatte Méduse als flaggschiff eines bewaffneten konvois der marine in Afrika die alte kolonial-ordnung zu festigen

ein navigationsfehler lässt seinen segler stranden auf einer sandbank weitab von festem land sie liegt auf grund kaum beschädigt doch anrollenden wogen ausgesetzt noch funktionieren die lenzpumpen reichen aus eindringendes wasser abzuwehren eine gnadenfrist bleibt dem schiff

versuche scheitern den kahn wegzuschleppen oder durch einholen eines warpankers freizubekommen weil Kommodore de Chaumareys untersagt das schiff zu erleichtern ballast über bord zu werfen wie kanonen und schwere brocken der ladung

schließlich entscheidet Hugues Duroy de Chaumareys ein floß zimmern zu lassen für einen teil der mitglieder von besatzung und passagieren denn nicht für alle reichen die rettungsboote die sollen es an land schleppen einige menschen bleiben zurück auf dem wrack ahnen was ihnen bevorstünde auf dem floß

als erste nehmen der kapitän und seine offiziere dank ihrer autorität platz in den rettenden booten auch die familie des Gouverneurs für die Kolonie sie vergessen nicht gepäck und wertsachen zu retten im knapp begrenzten raum der boote sogar an delikaten wein für den langen weg über das meer zum rettenden ufer denken sie

entgegen der vereinbarung kappen die offiziere die leinen zwischen ruderbooten und floß soll man in todgeweihte länger kraft investieren? so treibt das floß ab nicht zu manövrieren über tage wind und wellen ausgeliefert fast ohne trinkwasser und lebensmittel dem sicheren untergang entgegen hüfthoch stand den menschen darauf die see fehlerhaft konstruiert das floß ohne auftriebskörper und viel zu klein für knapp 150 passagiere

zu kannibalismus kommt es selbstmord begehen manche stürzen sich in die wellen qualen abzukürzen Théodore Géricault malt die szene als endlich hoffnung aufkommt nach tagen endloser kämpfe und schrecken in gestalt winziger segel am horizont kaum einer der ausgesetzten überlebt das gemälde jedoch erregt aufmerksamkeit lässt nach verantwortung fragen und schuldigen und erinnert an das Floß der Medusa bis heute

– ENTRÉE

rot ragen mächtig die felsen von sandstein auf. weiße bänder scheinen sie zu gliedern erinnern an backsteingotik aufgemauert mit hellen fugen stählerne trümmer zeugen noch wie maueranker gewölbe zu stützen vom eingriff der festungsbauer der bunker preußischer Militärs in dem natur-paradies

weiß die kleckse mit denen vögel ihre siegel mit aplomb hinterlassen fast lauter als die rollenden wogen und schriller ihr geschrei noch unfähig zum flug stürzen sich junge küken drei wochen alter trottellummen unerschrocken rund 60 meter tief die steilen klippen hinab in die brodelnden wellen

als einzige deutsche insel auf hoher see nicht durch das watt zu erwandern isolierter vorposten des kontinents schlupfwinkel schwer zu erreichen gut geeignet beute diskret zu lagern jahrzehnte versteck finsterer gesellen unter freiheit zur see verstanden die sich die freiheit zu nehmen kaufleute von ihren waren zu befreien als Fuselfelsen bekannt – geliebt als günstige quelle zollfreier genüsse

je nach blickwinkel entrée Europas dort anzukommen um sicher den kontinent zu erreichen oder dessen letzter anblick bei endgültigem abschied oft mit tränen im auge heimat und freunde aufzugeben im elend aus schierer not: materiell religiös oder politisch

nachts der blick den Falm hinab auf die kaimauern nie kehrt hier ruhe ein laternen werfen ihr müdes licht in die brandung wo es in leisen wellen zerstiebt auf der reling hocken möven verteilen ihr glück gerecht über die planken und seile peitschen die flaggenmasten irgendein diesel gibt der stille immer seinen schweren takt fischer bereiten ihre netze vor zum nächsten fang

börteboote lauern auf der reede touristen zu übernehmen lebendig die alte tradition Claas Störtebekers und Godeke Michels gewinn zu erzielen mit eigener moral seebäderschiffe fischerboote beladene kähne steuern den felsen an beeindruckend wenn aus dem dunst grüne segel auftauchen: die Alexander von Humboldt

statt der Flak zerhackt der pulsierende strahl des leuchtfeuers die dunkelheit im frieden auf Helgoland dank des weichen sandsteins überstand der felsen den big bang

– LOUDER PLEASE, COMRADES

lächelnd leicht lasziv an ihrer laterne in bronze auf Langeoog den leuchtturm im blick lehnt sie als einziger stütze

in den wirren des kriegs verkörpert ein schlager als brücke über schützengräben, ein millionenseller, soldatenlied, trauer und sorge, trennungsschmerz, herbe angst vor verlust, gefühle tausender weiß Hans Leip zu erwecken im Ersten Weltkrieg, dann im Zweiten avanciert sein melancholisches Lied eines jungen Wachpostenmit rauschenden schellack-kratzern zum klingenden zeichen des senders Belgrad

fast an der gesamten front aller armeen andachtsvoll belauscht von soldaten, die schicksal und schützengräben verbinden. was im kampf unmöglich gelang den versen und der allen sprachen verständlichen melodie für waffenruhe, verbrüderung und kameradschaft in leisen tönen harmonisch zu werben louder please, comrades riefen britische tommys hinüber zu deutschen stellungen junge menschen auf beiden seiten schicksalsgenossen, sie kommen sich näher für die dauer eines anrührenden lieds

in englischer sprache überwindet es die front Marlene Dietrich singt es vor alliierten truppen als Lale Andersen auftrittsverbot erhält im reich meldet das die BBC und sie darf wieder singen meldungen der feindsender zu widerlegen klingende hoffnung auf frieden und vernunft

als utopie nach weiteren kriegen am kasernentor von Munsterlager umarmt sich ein bronzenes paar

– GUERNICA

im chaos schreiender menschen toten und tödlich getroffenen neben dem sterbenden pferd weit reißt es sein maul auf fällt eine schwache lichtquelle ins auge schimmer der hoffnung auf einen glücklichen ausgang als tryptichon hat Picasso seine anklage gestaltet breit angelegt als panorama des schreckens an eine pietà erinnert die aufschreiende mutter mit totem kind entworfen zur weltausstellung 1937 im damals noch freien Paris zu zeigen das leid der menschen im spanischen bürgerkrieg als die faschistischen partner Italien und Deutschland mit der Legion Condor und dem italienischen Corpo Volontarie die baskische stadt bombardieren aus sicherer höhe die freiheit in Spanien auszulöschen auch dort faschisten die macht zu erkämpfen mit sozialen maßnahmen wie der bodenreform und dem beharren auf menschenrechten hat die gewählte regierung hass und verachtung der internationale der oligarchen entfacht im exil bleibt das gemälde geht auf tournee für freiheit und recht zu werben bis es endlich spät nach dem ende des faschismus und tausenden opfern in Spanien dort seinen platz findet in der demokratie

– UKRAINE I.

bürgerlich angenehm in soliden verhältnissen sah ich mich um wachsend hob den blick mit den händen vom boden die augen gerichtet auf eine fast endlos ausufernde welt ohne zu ahnen wohin sie sich dehnt wie schalen der zwiebel sich weitend eroberte nach dem zimmer die wohnung tollte im garten und auf der straße lernte das viertel kennen danach die stadt

einen arm hatte der vater mutter besaß zwei für mich als sehr kleines kind ein unterschied zwischen vater und mutter oder mann und frau

später hieß es vater habe den arm verloren merkwürdig klang das nach unachtsamkeit so ’was lässt man doch nicht einfach liegen in der Sowjetunion genauer noch auf dem gebiet der Ukraine nach jahrenden zögerlich mit zaudern stockend angedeutet mehr als erzählt vernahm ich unter welch brutalen umständen er sein leben mitnahm ohne den arm wie ein pfand oder als preis der heimkehr wie der verlust geschah mit bebender stimme nannte vater das kommando eine himmelfahrt verachtet den vorgesetzten menschenschinder der sie antreibt mit befehlsverweigerung droht

nicht gern erinnern die eltern sich verdrängter tief dunkler zeiten mutter denkt beim krach von silvester-böllern an lange nächte im bunker in Essen dunkel oft ohne strom lebendig begraben oben bersten mauern und bomben vater blättert sich durch schwere folianten über ein Unternehmen Barbarossaklangvoll der name an gefechtslärm erinnert er mutter berichtet vater wälze sich oft nachts in alpträumen schreiend im bett phantomschmerz im stumpf quält ihn

verwundet aber nicht sichtbar verletzt hat mein onkel den krieg überstanden opulent dekoriert als offizier einer angesehenen Berliner einheit vor ’45