Hofer - Joesi Prokopetz - E-Book

Hofer E-Book

Joesi Prokopetz

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Beschreibung

Wer hat den Hofer umgebracht? Der erste Austro-Pop-Krimi. Joesi Prokopetz, Texter des Austro-Pop-Klassikers »Da Hofa« von Wolfgang Ambros, hat dessen Inhalt zu einem genialen Krimi weiterentwickelt. Er entführt in die Musik- und Drogenszene im Wien der 70er-Jahre und fesselt mit überraschenden Wendungen, lebensechten Figuren und brillanten Dialogen.

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Seitenzahl: 281

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Hofer

Ein 70er-Jahre-Krimi

Joesi Prokopetz

Hofer

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover & Satz: Anna Rakhmankina

Foto Innenumschlag: Wolfgang Sos / APA Picturedesk

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Europa

1 2 3 4 5 — 26 25 24 23

ISBN: 978-3-99001-681-7

eISBN: 978-3-99001-682-4

Joesi Prokopetz

Hofer

Ein 70er-Jahre-Krimi

edition a

Inhalt

Teil Eins: Riders on the Storm

Teil Zwei: Let There Be More Light

Teil Drei: Young Man Blues

Teil Vier: Chasing Shadows

Teil Fünf: One Too Many Mornings

Epilog: Tomorrow Never Knows

Der Song hinter der Geschichte

Das Erste, das Walter überkam, war Brechreiz. Dennoch konnte er seine Augen nicht von dem toten Mann abwenden, der unmittelbar neben dem Gehsteig auf dem Kopfsteinpflaster der schmierigen Vorstadtgasse lag. Man hätte ihn für eine Alkoholleiche halten können, wäre er nicht auf seiner linken Seite gelegen, den Kopf mit dem Kinn auf seine rechte Schulter gedreht, und sein Gesicht zerschnitten gewesen. Zerschnitten auf eine geometrische Art, als hätte jemand versucht, es in neun gleichgroße Quadrate zu teilen. Die Außenlinien dieser Quadrate waren erstaunlich exakt erkennbar und nur von dünnen Blutlinien gezeichnet.

Walter starrte noch immer, den Brechreiz niederringend, auf den Toten, als geschulte Hände ihm den rechten Arm auf den Rücken drehten und ihn in den Polizeigriff nahmen, sodass Walter sich vorbeugen musste. Er übergab sich synchron mit den von jemandem hinter ihm hervorgestoßenen Worten: »So. Und jetzt keinen Blödsinn machen, Bürscherl!«

Bevor Walter einordnen konnte, wie ihm geschah, legte ihm ein Zweiter Handschellen an.

Erst jetzt, wo ihn die beiden flankierten, konnte er sehen, wer ihn da festgenommen hatte. Zwei uniformierte Wiener Polizisten, ein feister, grobschlächtiger, etwa 50-jähriger Mann mit buschigem, aber sorgfältig zurechtgestutztem Schnurrbart, der sich als Bezirksinspektor Franz Faustenhammer vorstellte. Und ein zweiter, Rayonsinspektor Anton Altendorfer, ein jüngerer Beamter mit bis an den Unterkiefer reichenden Koteletten, die seit Mitte der 1960er Jahre bei der Polizei en vogue waren.

»Da schau, so einen langhaarigen Affen haben wir da. Angespieben hat er sich. Wohl zu viel LSD geraucht, was?«

Walter spürte den säuerlichen Geschmack seines Erbrochenen im Mund. »LSD wird nicht geraucht!«, ächzte er.

»Und ein Fachmann obendrein«, meinte der ältere Polizist spöttisch. »Haben wir einen Blutrausch gekriegt, was?«

Walter war dermaßen angeschlagen, dass es ihn nur fortgesetzt reckte.

Der jüngere Polizist schob den älteren, seinen Vorgesetzten, von Walter weg. »Aufpassen, Herr Oberinspektor, er speibt gleich wieder.«

»Drecksau!«, entfuhr es diesem. Angewidert sprang er einen Meter zurück.

In den Zinshäusern rundum wurden etliche Fenster geöffnet und Stimmenwirrwarr hallte in der Gasse wider.

»Was ist los?«

»Um Gottes willen, eine Leich’!«

»Also doch eine Leich’! Ich hab’ mich schon die ganze Zeit gewundert, was das da ist …«

»Aber die Polizei hat den Mörder schon! Endlich ist einmal ein Wachmann da, wenn man einen braucht. Bravo!«

»Aber nein, der Kerl war das doch nicht, der Tote liegt schon eine ganze Weile da!«

»Was, der liegt schon länger da?«

»Ja, seit gut einer Stunde, nur hab’ ich nicht gemerkt, dass das ein Toter ist.«

»Ja, was dann?«

»Was weiß ich? Ein Mistsackerl, ein großes, oder so.«

Die beiden Wachmänner blickten ratlos von einem Fenster zum anderen. »Haben Sie etwas beobachtet?«, rief der Herr Bezirksinspektor. »Kommen Sie herunter, Herrschaften, Sie müssen alle eine Aussage machen!«

Als die Menschen das hörten, zogen sie sich von den Fenstern zurück, denn mit der Obrigkeit wollten sie nichts zu tun haben. Im zweiten Stock allerdings wurde ein Fenster geöffnet. Eine Frau mit einem um den Kopf geschlungenen Handtuch beugte sich hinaus und meldete über die Schulter: »Ferdl, wir sollen da eine Aussage machen!«

»Mach’s Fenster zu, Lintschi, das geht uns nix an«, sagte – nicht sichtbar – ihr Mann. Wenige Minuten später allerdings trat ein bereits leicht angemürbtes Ehepaar durch eines der quietschenden Haustore und ging zögernd auf die beiden Polizisten und den erstarrten Walter zu. »Meine Herren«, sagte der in einen verfilzten Schlafrock gehüllte Gatte, »dieser Gammler da war das nicht …«

»Das war sicher der Hofer … da, vis-à-vis, auf Nummer 20 wohnt der«, setzte seine vollschlanke Gattin, in ein beiges Negligé gezwängt, hinzu.

Langsam wagten sich immer mehr Anwohner auf die Straße und übertrafen einander mit kriminalistischen Theorien.

»Herr Inspektor, das war sicher dieser Hofer, der hat nämlich ein bisserl einen Klopfer …«

»Bei dem hat oft und oft die ganze Nacht das Licht gebrannt …«

»Und so eine Lärmmusik spielt er immer …«

»Bei unserem Heurigen da vorn war er auch noch nie!«

»Jetzt haben wir schon hübsch eine ganze Zeit lang nichts mehr gehört oder gesehen von ihm! Ist er vielleicht gar eing’sperrt?«

»Gehören tät’s ihm, weil aufgestanden ist der nie vor zehn, elf zu Mittag.«

»Alles mit der Ruhe, Herrschaften, alles mit der Ruhe«, beschwichtigte der Bezirksinspektor, kaute mit dem Unterkiefer an seinem Schnauzer und wandte sich an seinen sichtlich überforderten jungen Kollegen im Range eines Rayonsinspektors. »Altendorfer, nehmen Sie die Aussagen dieser Zeugen auf. Klären Sie hauptsächlich die Personalien dieses Hofer und welchen Aufenthaltes sich dieser derzeit befindet. Wenn es Probleme gibt, rufen’S im Wachzimmer an.«

In die Züge des Rayonsinspektors stahl sich Beklemmung. »Ja, aber Herr Bezirksinspektor … bitte, wie soll ich denn …«

Aber Faustenhammer machte bereits Anstalten, Walter abzuführen, der sich nur halbherzig sträubte. Der Bezirksinspektor bemerkte daher den untersetzten Mann mit der senfgelben Jacke und dem Bürstenhaarschnitt nicht, der sich wie ein muskulöser Bullterrier aus dem Haus stahl. Kaum war dieser in der nächsten Quergasse verschwunden, kam, in einem akkurat weißen Arbeitsmantel, offenbar die Hausmeisterin aus dem Zinshaus Speckbachergasse Nr. 20 heraus, ging geradewegs auf die Polizisten zu, zeigte auf das Mordopfer und sagte mit fester Stimme und slawischem Akzent: »Das war nicht die Hofär! Aber sicherlich.«

»Woher wollen Sie denn das wissen, Frau Potočnić, haben Sie ihn denn so gut gekannt?«, fragte der Herr im Schlafrock.

»No besser als wie Sie, Herr … der hot gewohnt in meine Haus. Manchmal war auch im vierten Stock.«

»Und warum sind Sie sich da so sicher, dass er’s nicht war?«, wollte Faustenhammer wissen.

»Weil der Leiche do die Hofär ist!«

Teil 1

Riders on the Storm

Riders on the storm

Into this house, we’re born

Into this world, we’re thrown

Like a dog without a bone

An actor out on loan

Riders on the storm

The Doors, 1971

Kommissar Ludwig Haselbacher saß übergewichtig hinter dem abgenutzten Schreibtisch des verrauchten Amtszimmers, in dem er bereits seit Mitte der 1960er Jahre saß, als er zum Kommissar befördert worden war. Die Wände, ursprünglich wahrscheinlich in einem munteren Ockergelb gestrichen, waren im Laufe der Jahre zu einem matten Durchfallbeige verkommen, da und dort schimmerte schmutzig weiß die Wand durch. Über einem klobigen Rollkasten hing ein vergilbtes Schild, auf dem die Distinktionen und die dazugehörigen Titel von Beamten im Polizeidienst nach Ranghöhe, von oben links bis unten rechts, abgebildet waren.

Hinter Haselbacher sollte eigentlich das Schwarz-Weiß-Bild von Bundespräsident Franz Jonas hängen, aber das hatte er, entgegen der allgemeinen Anweisung, es zentral in den Amtsräumen aufzuhängen, gewissermaßen asymmetrisch auf die Seite des Zimmers verbannt, neben das Fenster, wo es am dunkelsten war in dem Raum. Der Bundespräsident gehörte der anderen Reichshälfte, nämlich der roten, an und die war nicht die politische Heimat Haselbachers. Hinter ihm hing ein mit Reißnägeln befestigtes Poster aus den 60er Jahren.

BIST DU JUNG, GESUND UND FREI,

KOMM’ ZUR WIENER POLIZEI.

Auf halber Höhe daneben, an einer Stelle, die vom Tageslicht bevorzugt war, klebte ein altes, postkartengroßes Foto einer jungen Frau, die, ein flottes Käppi am Kopf und das Gesicht über eine Schulter nach hinten gewandt, treudeutsch lachte.

Haselbacher strich sich mit Daumen und Zeigefinger von den Nasenflügeln über seine Ulkusfalten bis zu den Mundwinkeln und sagte im galligen Tonfall eines Magenkranken: »Ah so, die jugoslawische Hausmeisterin hat das Opfer identifiziert? Wie kann die das denn so genau wissen, bei dem zerschnittenen Gesicht? Na gut, da werden wir noch nachfragen, weil was so eine Tschuschin sagt … man kennt das ja.«

Dann fiel sein Blick mit Missfallen auf Walter. »Bringen’S den angespiebenen Halbstarken in die Dusche bei der Ausnüchterungszelle, Altendorfer, der stinkt ja wie ein Pestfetzen.«

Angeekelt wedelte er mit einer Hand vor seiner Nase hin und her.

»Ich hab’ überhaupt nichts gemacht«, protestierte Walter, ließ sich aber von Rayonsinspektor Altendorfer, der erfolglos versuchte, ihn nicht zu berühren, widerstandslos zur Dusche führen. Dort empfing ihn ein knabenhaft wirkender Bursche, offenbar so etwas wie ein Polizeischüler, um ihm ein Stück Seife und ein nicht weichgespültes Handtuch auszuhändigen.

»Die gehören alle in ein Arbeitslager«, räsonierte Haselbacher, zündete sich eine Johnny ohne Filter an, räusperte lautstark Schleim hoch, den er in ein verklebtes Taschentuch spuckte. »Sowas hätt’s unterm …«

»Herr Kommissar«, unterbrach ihn Bezirksinspektor Faustenhammer, »sollten wir nicht einen Fotografen zum Tatort schicken?«

»Natürlich«, polterte Haselbacher, »und dann schreiben’S einen Bericht und schaun’S, dass die Leich’ auf die Gerichtsmedizin kommt! Und Faustenhammer: Lassen’S den Asozialen mit den langen Haaren auch gleich erkennungsdienstlich abfotografieren.« Er blickte auf seine Uhr. »Wieder einmal kein Heimkommen, Herrgott noch mal«, sagte er gereizt, obwohl zu Hause niemand auf ihn wartete.

Er griff zum Telefon, wählte die Nummer der Pathologie in der Sensengasse, ließ es läuten und läuten, wollte schon wieder auflegen, als sich eine ruhige Stimme meldete.

»Dr. Weintritt, Gerichtsmedizin. Was ist denn, ich wollte gerade das Geschäft zusperren?«

»Ja, ich kann auch nicht nach Haus’ gehen, Herr Doktor. Wir haben eine Leiche mit einem verdrehten Kopf und einem zerschnittenen Gesicht. Und keinerlei Papiere oder sonst was, die auf die Identität des Opfers hinweisen würden. Vielleicht können Sie bei Ihren Zahnärzten nachwassern …«

»Was heißt, ›meine‹ Zahnärzte, Sie sind gut, hören Sie! Wurscht. Legen Sie ihn mir auf den Tisch. Ich schau’ mir das beizeiten dann an. Schönen Abend, Herr Haselbrunner!«

»…bacher, Haselbacher!«, sagte der Kommissar genervt, aber Dr. Weintritt hatte schon aufgelegt.

Der wäre mir damals gerade recht gekommen, dachte er, was bildet sich dieser Leichenschänder eigentlich ein?

• • •

Walter saß im, wenn überhaupt ganz schlecht gelüfteten, Amtszimmer von Kommissar Haselbacher, ohne Handschellen, geduscht, trotz Ausnüchterungszelle halbwegs ausgeschlafen, in einem Unterleiberl aus Polizeibeständen, rauchte eine von Haselbachers Zigaretten und trank aus einem Häferl mit der Aufschrift »133 Polizei« heißen Kaffee.

Haselbacher beugte sich vor und blies Walter Rauch ins Gesicht. »Wollen’S eine Topfengolatsche?«1

»Ja«, sagte Walter, »bitte!«

»Ich auch. Aber wir haben keine.« Haselbacher grinste hämisch, wurde aber sofort wieder amtlich. »Also, schildern Sie den Tathergang, Herr Walter Horvath. Haben Sie diesem Hofer zuerst den Hals umgedreht und ihm dann das Gesicht zerschnitten, oder …« Er unterbrach sich und legte vor Walter ein A4-großes, schwarz-weißes Foto hin. »Sagen Sie, mit was haben Sie dem denn das Gesicht quadriert? Ich hab’ sowas noch nicht gesehen.«

Walter blies in den heißen Kaffee, schaute zuerst das Foto, dann den Beamten an, der wiederum ihn, Walter, mit einem durchbohrenden Blick ansah, was Walter erschrocken denken ließ: Der Typ ist ein Irrer, der kann doch nicht wirklich glauben, dass ich das war. Aber vielleicht ist das Verhörtaktik oder sowas. »Ich hab’ gar nichts, Herr Polizeichef, ich hab’ ihn nur gefunden, ich hab’ überhaupt nichts damit zu tun, ich wollt’ heimgehen und auf einmal …«

»… ist Ihnen die Leich’ vor die Füße gefallen?«

»Aber nein, Herr Polizei…«

»Wenn’S noch einmal ›Herr Polizeichef‹ zu mir sagen, lass’ ich Sie wieder einsperren, Sie Kasperl! Kommissar, Herr Kommissar heißt das.«

Nachdem er Walter über die Dienstränge aufgeklärt hatte, lehnte er sich zurück und musste erst mal Luft holen. »Also«, fuhr er fort, »heimgehen wollten Sie, Sie sind wohnhaft im 16. Bezirk, Wurlitzergasse 19, stimmt das?«

»Ja, das Haus gleich neben dem Männerheim, Zimmer, Küche. Wasser und Klo am Gang«, erläuterte Walter seine Wohnsituation.

»Haben Sie das Opfer gekannt oder sonst irgendwie mit ihm je zu tun gehabt?«

»Aber nein, Herr Po… Herr Kommissar, ich kenn’ den gar nicht, nie gesehen.«

»Wenn Sie in der Wurlitzergasse wohnen, warum gehen Sie dann durch die Speckbachergasse?«, fragte Haselbacher argwöhnisch. »Von wo sind Sie denn gekommen und was haben Sie dort gemacht?«

»Ich war bei einem Freund in der Reizenpfenniggasse und wollte heimgehen, sonst nichts.«

»Und was haben Sie bei Ihrem Freund gemacht? Wie heißt der überhaupt, Ihr Freund?«

»Der Jack? Jack heißt der …«

Ludwig Haselbacher verzog den Mund und drückte die Säure hinunter, die ihm aus dem Magen über die Speiseröhre bis in den Mund zu steigen drohte. »Jack, Jack … Hauptsache amerikanisch, was?«

»Bitte: Jakob. Jakob Goldmann.«

»Jakob, aha … ein Jud’?«

»Weiß ich nicht, Herr Kommissar.«

»Ah, wissen Sie also nicht«, brummte Haselbacher in sich hinein. »Früher hat man das gewusst.« Dann wieder zu Walter gewandt: »Und?«

»Und was?«

»Was haben Sie dort gemacht bei Ihrem Freund?«

»Ich hab’ seine Schwester besucht, die Edna. Wir sind zusammen.«

»Moment, Herr Horvath, was heißt, Sie haben seine Schwester besucht? Wohnt die bei ihm, oder was?«

»Vorübergehend, bis wir zusammenziehen, also bis ich mir das Wasser einleiten lassen und mir eine Dusche mit Sitzbadewanne in der Küche leisten kann.«

»Da schau her«, Haselbacher dämpfte seine Johnny aus, »und weiter?«

Walter Horvath dämpfte nun auch seine Zigarette aus. »Was weiter? Der Jack war nicht zu Haus’.«

»Haben Sie seine Schwester ditschgerlt2, gell?«

Walter schaute Haselbacher an und überlegte, ob er ihm den Aschenbecher auf den Kopf hauen sollte. Er fühlte sich, weniger durch dieses Wort als durch die Tatsache, dass Haselbacher es aussprach, gedemütigt und seine Beziehung mit Edna angepatzt.

»Make love, not war«, sagte Walter schließlich.

»Reden’S gefälligst Deutsch, hörn’S? Und haben’S Rauschgift konsumiert?«

»Aber woher denn«, log Walter entrüstet.

»Mir können’S nichts erzählen. Das seh’ ich doch gleich, wenn ich so einen Hascher vor mir sitzen hab’. Also, Herr Horvath: Als Täter kommen Sie nicht infrage, mit Ihren Oberarmen wie Fensterhaken können’S niemandem den Hals brechen. Aber wir beide sind noch nicht fertig miteinander, das sag’ ich Ihnen. Altendorfer!«

Rayonsinspektor Altendorfer trat ein. Haselbacher machte eine Bewegung, als würde er eine Fliege verscheuchen. »Geben’S dem da seine Sachen zurück und schicken’S ihn heim.«

»Herr Kommissar«, meinte Walter, »kann ich das Leiberl da anlassen, weil meine Sachen stinken sicher noch immer …«

»Hat Sie ein Aff’ gebissen? Glauben Sie, wir kleiden Sie hier ein?«

• • •

»Also: Eindeutig Tod durch gewaltsam herbeigeführtes Verdrehen und dadurch Brechen der Halswirbelsäule«, sagte Dr. Weintritt. »Keine Anzeichen von Vermeidbewegungen an den Händen des Opfers …«

»Von was?«, fragte Haselbacher.

»Von Gegenwehr. Wahrscheinlich ist er von hinten angegriffen worden. Ein kurzer, kraftvoller Ruck und … aus. Lautlos und sehr professionell!«

»Auftragsmörder?«, fragte der Kommissar.

»Kann ich nicht sagen. Das müssen Sie herausfinden, Herr Haselb…«

»…bacher, Ludwig Haselbacher!«

»Sag’ ich ja«, beschwichtigte Weintritt. »Ich habe ein paar Fotos von seinem Gebiss gemacht und an meine Zahnärzte geschickt. Bis jetzt nichts. Mich tät überhaupt wundern, wenn der in den letzten zehn Jahren bei einem Zahnarzt gewesen ist, so wie dem seine Hauer3 beieinander sind. Und noch was: Seine Haut, sein Teint, weist auf einen Südländer hin. Muss aber nicht sein.«

»Und mit was hat der Täter dem sein Gesicht so zugerichtet?«

»Keine Ahnung. Sie sind der Kommissar. Die Verunstaltungen wurden dem Opfer übrigens erst nach seinem Tod beigebracht, sonst hätten sie mehr geblutet.«

»Danke. Sie sind mir eine große Hilfe, Herr Doktor.«

»Übrigens: Todeszeitpunkt vor ungefähr 36 Stunden!«

Der Kommissar schaute sich um. Jedes Mal, wenn er sich im Gruselkabinett des Dr. Weintritt, wie er dessen Arbeitsplatz bei sich nannte, aufhielt, wunderte er sich, wie ein Studierter das Tag für Tag und Jahr für Jahr aushalten konnte. Diese Stille, in der jedem Geräusch ein gespenstischer Nachhall folgte, das Klirren dieser ausschließlich der Totenschau dienenden Geräte, von kleinsten Skalpellen über diverse Sägen, metallische Schalen und eine mechanische Waage, die stumm drohend im Raum neben dem weiß emaillierten Leichentisch stand, auf dem jetzt, mit absurd offenen Augen im entstellten Gesicht, der Leichnam dieses Hofer lag. Haselbacher schaute auf die Uhr.

Er hatte die ganze Zeit nur flach geatmet, weil er fürchtete, den Tod zu inhalieren, traute sich erst auf dem Gang der Pathologie wieder einen tiefen Atemzug, hustete trocken und murmelte in sich hinein: »No, das kann was werden.«

• • •

Kaum, dass Walter wieder in seiner Wohnung war, holte er Wasser von der Bassena4. Der Gang zur Bassena war jedes Mal ein kleines Abenteuer, lief man doch Gefahr, einer der drei Witwen oder, gottbehüte, allen dreien, die außer den Eheleuten Summer und Walter ebenfalls im dritten Stockwerk wohnten, in die Hände zu fallen. Denn die Sache mit dem Bassena-Tratsch ist zwar legendär, jedoch nie bloß Legende gewesen. Wenn sich meist ältere und oft verwitwete Frauen beim Wasserholen an der Bassena trafen, dann stellte sich wie von selbst eine Art Nachrichtendienst ein. Konnte man sich nicht, wie Walter, mit der Ausrede, etwas »am Herd« vergessen zu haben, entschuldigen, so war man gezwungen, alle Ungeheuerlichkeiten aus der Umgebung über sich ergehen zu lassen, diesen, wenn möglich, noch etwas hinzuzufügen, sich diverse Vernaderungen5 anzuhören und, bevor man sich endlich zurückziehen durfte, noch ausfratscheln6 lassen musste.

Walter hatte Glück.

Die Luft war rein. Er schleppte die volle drei Liter fassende Kanne in seine Wohnung und goss Wasser in das Plastiklavoir, das auch der täglichen Körperreinigung diente, obwohl man sich nur mit größter Anstrengung den ganzen Körper reinigen konnte. Um Gesicht, Hals, Achseln und Hände zu waschen, reichte es aber gerade. Zuvor musste er das Wasser fast immer in einem Topf, der ausschließlich diesem Zweck diente, auf einer der zwei Gasflammen des vorsintflutlichen Herdes erwärmen.

Er weichte seine übelriechende Wäsche ein, »drückte sie durch«, wie man sagte, zog sich um und ging hinunter zu der Telefonzelle auf der Straße, um Jack anzurufen.

»Ja?«

»Horch einmal zu, ich erzähl’ dir was …«

Und Jack hörte zu.

»Diese Hausmeisterin«, fragte Jack schließlich, als Walter geendet hatte, »die hat gesagt, dass der Tote der Hofer war, unser Hofer?«

»Wenn ich es dir sag’!«

»Ja, aber wie kann die das behaupten, wenn das Gesicht so zerschnitten war?«

»Aber gar so zerschnitten war’s ja nicht, es war nur so würfelig … und eigentlich nur ein bisserl blutig.«

Jack schwieg einen Moment.

»Jack?«

»Ja, ich bin eh noch da. Und du …« Jacks Ton wurde ungewohnt sachlich. »Du bist dir hundertprozentig sicher, dass es nicht der Hofer war?«

»Wenn ich’s dir doch sag’!«

»Sehr suspekt.« Suspekt war ein Lieblingswort Jacks, das er oft verwendete, auch, wenn es gar nicht passte. »Ist die Edna da?«

»Ja, Moment …«

»Hallo, Waldi«, sagte Edna. »Wo bist du denn?«

»Geh, sag nicht dauernd Waldi zu mir …«

»Wo du doch so einen Dackelblick hast.« Sie kicherte. »Kommst du dann her?«

»Ja, ich dusch’ mich bei euch und dann gehen wir zu mir …«

Jack wohnte in einer der neueren Genossenschaftsbauten, und bei diesen waren im Gegensatz zu den Wiener Altbauten Wasser und Klo (Sanitäranlagen, wie man sagte) von vornherein eingebaut.

»Okay, weil ich glaub’, der Jacky geht heut’ nicht weg.«

»Ist er krank?«

»Nein. Er kriegt Besuch von einem Mädel, Suskia oder so. Einer Neuen.«

»Wie heißt die?« Doch bevor Edna den Namen von Jacks Neuer wiederholen konnte, brach die Verbindung ab, und Walter hatte keinen Schilling mehr, um nochmals anzurufen.

• • •

Der bittersüße Geruch von türkischem Haschisch, vermischt mit dem indischer Räucherstäbchen, hing in Jacks Wohnung, der gemeinsam mit Edna und Walter auf einem abgewetzten Teppich im Wohnzimmer saß und einen Joint anzündete. Nach einem tiefen Zug und einem geräuschvoll verhauchten Ausblasen gab er ihn weiter.

»Und diese Hausmeisterin hat was vom vierten Stock gesagt? Woher weiß denn die das?«, fragte Jack.

»Keine Ahnung«, antwortete Walter und blies ein wenig hustend Haschischrauch aus, »aber gesagt hat sie’s.«

»Das heißt doch gar nichts«, meinte Edna und nahm Walter ungeduldig den Joint weg, »hörst, du wohnst schon wieder auf dem Gerät, gib her«, und nahm ihrerseits zwei kurze, abgehackte Züge. »Das heißt gar nichts, sie ist doch die Hausmeisterin, natürlich weiß die was vom vierten Stock. Wahrscheinlich hat sie ihn einmal hineingehen sehen.«

»Trotzdem suspekt«, sagte Jack und nahm einen tiefen Zug. »Ich meine, klar kennt die den vierten Stock, aber weiß die, was Sache ist?«

Er blies den Rauch über teils zerfledderte Taschenbücher, die auf dem Boden verstreut lagen: Handkes »Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter«, E. A. Poes »Der Doppelmord in der Rue Morgue« und »Unterwegs« von Jack Kerouac.

»Keine Ahnung«, sagte Walter, der neben Edna saß und mit dem Rücken an einem abgewetzten Fauteuil lehnte, den Jack und er von einem Flohmarkt in die Wohnung geschleppt hatten. Locker legte er einen Arm über ihre Schulter und spielte gedankenverloren mit einer ihrer Brüste, »aber wir sollten schauen, ob da noch was vom Hofer seinem Zeug da ist. Wenn die Polizei da herumstierlt …«

»Geh«, sagte Edna leichthin, klopfte Walter auf seine Hand und entzog sich seiner Umarmung, »warum soll denn die Polizei da was machen?«

»Die Polizei steckt überall die Nase rein. Und wenn die vielleicht noch einen Hund mithaben …«

»Schnauze.«

»Was?«

»Hunde haben eine Schnauze«, kicherte Edna und nahm Walter bei der Nase, »eine Schnauze, gell, Waldi?«

»Aber gerade deswegen, weil sie eine Schnauze haben, haben sie eine Nase für’s Haschisch«, dozierte Jack.

»Wir sollten hingehen und schauen, ob noch was da ist.«

Walter blickte ausdruckslos auf den fast aufgerauchten Joint. »Da ist sicher noch was da«, murmelte er. »Der Hofer hat doch immer gesagt, dass sein Vorrat unerschöpflich ist.«

»Ich trau mich das nicht«, sagte Edna. »Überhaupt wird das Haustor sicher zugesperrt!«

»Aber erst um sechs oder so.« Walter stand ein wenig mühsam auf, blieb stehen und murmelte beeindruckt: »Pfo, der Stoff kann was, ich taumle, haha …«

»Wo willst denn hin?«

»Auf’s Häusl.«

Walter verbrachte in somnambuler Versunkenheit gute zehn Minuten auf dem Klo, ehe er sich wieder neben Edna fallen ließ. »Komm, fahren wir ins Voom«, sagte er. Und der Form halber fügte er hinzu: »Gehst du mit, Jacky?«

»Nein, ich bleib’ da, ich bin eingeraucht wie ein Oberrabbiner.«

• • •

Das Voom, eigentlich Voom Voom, war zu jener Zeit die Diskothek in Wien. Sie lag in der Daungasse, im achten Bezirk, in der Josefstadt. Hier wurde Musik aufgelegt, die man nie im Radio zu hören bekam. Die Beatles und im weitesten Sinne auch die Rolling Stones waren am Weg, gesellschaftsfähig zu werden. Im Voom liefen Jimi Hendrix, Frank Zappa, Pink Floyd, Country Joe and the Fish, Captain Beefheart, The Pretty Things … Underground eben.

Am Türsteher kam nicht jeder vorbei. Man musste schon eindeutig ein Progressiver sein, um die Stufen in die Tiefen des Orkus hinuntersteigen zu dürfen und den mit psychedelischen Lichtspielen verzauberten Discotempel zu betreten. Auf der Tanzfläche herrschte Freestyle. Die meist überschminkten Mädchen tanzten entweder in lasziver Trance oder mit grotesken Zuckungen, während die Burschen sich meist mittels abgehackter Verrenkungen gebärdeten. Manche Paare wiederum standen weltvergessen, eng umschlungen, unaufhörlich zungenküssend da, nur kleine, geschmeidige Beckenbewegungen andeutend; ganz egal zu welcher Musik. Für die Elterngeneration ein Sündenpfuhl, von dessen Existenz sie nichts ahnen durfte.

Wenn man unzweideutig ein Progressiver war oder persönlich bekannt, musste man keinen Eintritt bezahlen. Gäste, die im Voom Eintritt zahlten, gehörten nicht zum inneren Kreis. Als Bursch musste man lange Haare haben, die gern mit schütterem Bartwuchs kombiniert sein durften. Modisch gab es ganz klare, ungeschriebene Gesetze: Möglichst Ungebügeltes, ja Zerknülltes, Hemden und Blusen in ausgewaschenen Farben, die allerdings langsam mehr oder weniger farbenfrohen Blumenmustern zu weichen begannen, denn die Zeit der Blumenkinder war angebrochen, und musikalisch begann man auf Leonard Cohen aufmerksam zu werden.

In dieser Szene, die vorwiegend in Diskotheken wie dem Voom Voom zu Hause war, fiel ein junger Mann mit Kurzhaarschnitt, Trevira-Hosen aus dem »Kleiderhaus zum Eisenbahner7« und einem dunkelblauen Hemd mit einem ärmellosen, großmütterlich gemusterten Pullover darüber selbstverständlich sofort auf. Er stand wie ein schlechter Geruch in einer nicht ausgeleuchteten Ecke der Tanzfläche und ließ den Blick nicht von Walter und Edna, die beiläufig miteinander tanzten.

»Was schaut denn der Typ da die ganze Zeit her?«, fragte Edna und deutete mit ihrem Kinn so unauffällig wie möglich in Richtung des Fremdkörpers. Walter wendete träge den Kopf und blickte durch die Rauchschwaden auf den provozierend aus dem Bild fallenden Burschen.

»Keine Ahnung. Aber ich hab’ den schon irgendwo gesehen, bilde ich mir ein.« Mit diesen Worten ging Walter auf den Kerl mit dem ärmellosen Pullover zu.

»Was schaust?«, fragte er sachlich.

Der Angesprochene wand sich ein wenig und blickte scheu um sich. »Ich kenn dich. Du warst heute am Wachzimmer«, flüsterte er kaum hörbar.

Walter stutzte und blickte sich nun seinerseits um.

»Ottakring. Grubergasse«, fuhr der Bursche fort.

»Bist du ein Kieberer8?«

»Was? Bei der Polizei ist der?« Edna war zu den beiden getanzt und auch sie schaute sich witternd um.

»Ich bin noch in der Ausbildung. Ein ›provisorischer Wachmann‹, wie es offiziell heißt«, erklärte der Bursche. »Ich hab’ dir gestern bei der Dusche die Seife und das Handtuch gegeben.«

»Ah ja, genau, du warst das.«

»Ich bin der Vitus. Aus Zwettl. Vitus Veitschegger.«

»Ich bin der Walter, das ist die Edna.«

»Ich weiß«, sagte Vitus.

»Und? Musst du uns jetzt ausspionieren, oder was?«

»Aber wo! Mir gefällt das nur so da bei euch in Wien. Bei uns in Zwettl …«, er machte eine ausholende Bewegung, »gibt’s ja das alles nicht.«

»Da können wir dir leider auch nicht helfen«, sagte Edna abweisend, wollte Walter schon wegziehen, aber Walter hatte eine Idee.

»Horch zu, Vitus …«

• • •

Kommissar Ludwig Haselbacher und Bezirksinspektor Franz Faustenhammer standen vor der Hausmeisterwohnung des Zinshauses Speckbachergasse Nummer 20 in Wien-Ottakring. Sie hatten mehrmals geläutet, aber nachdem die Türglocke offensichtlich kaputt war, begannen sie, begleitet von energischen Rufen, lautstark an die Tür zu klopfen. »Polizei, Frau Potočnić, aufmachen! Wir wissen, dass Sie da sind!«

Tatsächlich konnte man durch die bereits leicht devastierte Wohnungstür hören, wie dahinter irgendetwas herumgeräumt und, so vermeinte Haselbacher, hastig getuschelt wurde. »Jooo, ich komm’ gleich! Machen’S nicht so ein Lärm!«

Dann hörten die beiden Polizisten, wie aufgesperrt wurde. Kurz darauf riss Frau Potočnić die Tür auf und rief ungehalten: »Polizei, Polizei! Glauben Sie, ich wart’ auf Ihnen? Ich hab’ einen kranken Mann, verstehen Sie? Pflägefall! Was ist denn los?«

Die beiden Herren deuteten an, dass sie an der Hausmeisterin vorbei in die Wohnung gehen wollten. Frau Potočnić wich keinen Zentimeter von der Stelle.

»Frau Milana Potočnić?«, fragte Bezirksinspektor Faustenhammer der Ordnung halber.

»No, stäht auf Türe?«, fragte die Hausmeisterin lakonisch.

»Frau Potočnić«, Kommissar Haselbacher gab sich einen Ruck, »wir sind hier, um Sie zu dem Tod … zu dem Mordfall von vor drei Tagen zu befragen. Das wird sich nicht zwischen Tür und Angel erledigen lassen, gehen’S auf die Seit’n. Wir reden drinnen weiter!«

Die Frau trat nach ein paar Augenblicken zurück und gab den Weg in die Hausmeisterwohnung frei. Das Vor- und auch das Wohnzimmer wirkten penibel sauber, sah man von einem Wandteppich mit maritimem Motiv ab, der abgeschabt war und den Eindruck erweckte, das Meer am Horizont des Bildes bewege sich. Ein deutlicher Chlorgeruch lag in der Luft. Die beiden Ermittler zogen hörbar die Luft ein.

»Ollas muss sein … stäril, versteht?«, erklärte Frau Potočnić. »Mann bettlägrig, Schlaganfall, holbseitig gelähmt. Kann nicht gehen, nicht sprächen. Nix essen, gor nix. Lepo sranje9!«

»Und der Gatte ist … ?«, fragte Faustenhammer.

»No in Bett, sog ich ja ganze Zeit.«

»Aha«, sagte Haselbacher und nahm unaufgefordert auf einem Sofa Platz, das Teil einer durchaus zeitgemäßen Sitzgarnitur war, wenn auch das Design von schwarzen Katzenköpfen auf orangem Grund zunächst irritierte. Faustenhammer setzte sich auf einen dazu passenden Hocker, während Frau Potočnić ein wenig überrumpelt in der Mitte des Zimmers stand.

»Wollen Sie einen Rakija10?«, fragte sie. Faustenhammer schaute zu Haselbacher und massierte gewohnheitsmäßig seinen Schnurrbart mit der Unterlippe, während der Kommissar aufgeräumt antwortete: »Ja, bitte schön.« Mit Blick auf Faustenhammer fügte er hinzu: »Zweimal!«

Als Frau Potočnić ins Vorzimmer ging, das gleichzeitig die Küche war, flüsterte Faustenhammer: »Im Dienst?«

»Man muss Vertrauen aufbauen, verstehen Sie, Faustenhammer?«

Mit drei großzügig gefüllten Schnapsgläsern auf einem Bakelit-Tablett kehrte Frau Potočnić zurück, stellte vor jedem der Herren ein Glas hin und hob das ihrige. »Živeli!«11, sagte sie, während sie auf dem freien orangefarbenen Katzenkopf-Sitzmöbel Platz nahm. Sie leerte ihr Glas in sich hinein, ohne den Kehlkopf zu bewegen. Die beiden Herren taten es ihr gleich, nur um sofort darauf einen kläffenden Hustenanfall zu bekommen, die Luft scharf einzuziehen und sie danach keuchend auszustoßen.

»Pflortsch!«, sagte Faustenhammer heiser und Haselbacher bestätigte: »Habe d’Ehre, das ist vielleicht ein Rachenputzer!« Er zündete sich eine Johnny an.

Frau Potočnić schwieg, lächelte aber hämisch.

»Also«, begann Haselbacher, »Sie haben das Mordopfer als Hofer identifiziert. Wissen Sie, wie der mit dem Vornamen heißt?«

»Nix waas da.«

»Woher kennen Sie denn diesen Hofer, was hat der gemacht, von was hat er gelebt, was für Freund’ hat er gehabt? Oder gar eine Freundin? Solche Sachen eben.«

Bei jeder der Fragen schüttelte Frau Potočnić den Kopf, um abschließend zu antworten: »Nix waas da. War ein … wie heißt deitsch? Einzelgängär …«

»Und warum, glauben Sie,« mischte Faustenhammer sich ein, was ihm einen missbilligenden Blick seitens Haselbachers eintrug »und warum glaubt die ganze Nachbarschaft, dieser Hofer war der Täter, wo doch er selber das Opfer ist?«

»Jo, waas da nix, war wie gesagt Einzelgängär. Hat nix gesprochen mit Leut’ und so.«

»Was mir nicht eingeht, Frau Potočnić, wieso hat denn von den Nachbarn keiner den Toten als Hofer erkannt?«

»No, zerschnittenes G’sicht?«

»Und wieso haben Sie ihn dann erkannt?«

»Ich hab’ Auge für solche Sachen.«

In diesem Moment war ein ungeduldiges Krächzen aus dem Schlafzimmer zu vernehmen. Frau Potočnić rief etwas auf Serbisch. »Mann braucht was!«, sagte sie und erhob sich. Sie eilte geflissentlich ins Schlafzimmer und ließ die beiden Polizisten sitzen.

• • •

Im ersten Wiener Bezirk, im Café Savoy, saß Walter Horvath mit seiner Freundin Edna Goldmann, ihrem Bruder Jakob »Jack« Goldmann und einem erneut für die progressive Location peinlich unpassend gekleidetem Vitus Veitschegger, dem provisorischen Wachmann aus Zwettl.

Das Café Savoy war, noch vor dem Hawelka, die erste Adresse für Gammler und angehende Eleven12 der Flowerpower-Bewegung, um stundenlang bei einem kleinen Braunen für 2 Schilling und 10 Groschen herumzulungern, dabei einander die Welt zu erklären und zu diskutieren, wo Ginger Baker, der Schlagzeuger der Gruppe The Cream (Gesang, Bass: Jack Bruce; Gitarre, Gesang: Eric Clapton; Schlagzeug: Ginger Baker) vorher getrommelt hatte.

Die einen sagten bei Blind Faith, die anderen bei Ginger Baker’s Airforce.

Recht schienen die zu haben, die behaupteten, er hätte vor The Cream bei der Graham Bond Organization gespielt, denn diese Version wurde von Herrn Theo, dem alerten Kellner des Savoy, vertreten und glaubwürdig belegt.

Der schlaksige Herr Theo war eine der interessantesten Figuren im gastronomischen Wiener Underground, genügte es doch, in seinem »Revier« Platz zu nehmen und ein »Gedeck« zu bestellen, worauf Herr Theo einen kleinen Braunen, ein Glas Wasser und, verborgen unter der Tasse, ein sogenanntes Hunderter-Piece13 servierte.

Mit Vitus ins Savoy zu gehen, war gestern von Jack und Edna noch als Irrsinn, ja geradezu als Verrat bezeichnet worden, aber Walter zerstreute ihre Bedenken.

»Je mehr der mit uns herumkommt, je mehr sich der schuldig macht, desto mehr gehört er uns«, hatte er erklärt. »Unser Mann bei der Polizei, verstehts ihr mich?«

Schließlich zeigte sich Jack einverstanden.

»So blöd ist das wirklich nicht. Wir wüssten dann vielleicht schon im Voraus, wo die Polizei sich wichtig macht.«

Auch Edna lenkte schließlich ein.

»Na ja, der will ein Progressiver werden, der ist nicht glücklich bei der Polizei«, dachte sie laut. »Und in Zwettl schon gar nicht. Wir zeigen ihm unseren Underground und er zeigt uns den seinigen.«

Und so kam es, dass Vitus Veitschegger aus Zwettl gewissermaßen im Wiener Zentrum des Drogen-Detailhandels saß, die Augen aufgerissen und die Ohren weit offen, aber nicht um polizeilich zu beobachten, sondern um sich in dieser für ihn neuen Dimension halbwegs zurechtzufinden.

»Pass auf«, sagte Jack jetzt möglichst unverfänglich, »wir führen dich in die Szene ein, wir können dir Sachen zeigen, von denen du keine Ahnung hast und ohne uns nie eine haben würdest, und du gibst uns ein paar Ezzes14, was sich polizeilich so tut, verstehst du? Und vielleicht brauchst du von uns auch einmal einen Tipp.«

Vitus nickte, hätte zu allem genickt, weil gerade ein Mädchen mit Minirock ins Savoy gekommen war, sich zu einer Gruppe dazusetzte, sich vorbeugte und zu Edna herüberwinkte, wobei eine ihrer Brüste aus der ziemlich offenen Bluse zu gleiten drohte.

In Wien gab es die 68er-Bewegung praktisch nicht. Keine nennenswerte Politszene, so gut wie keine Demonstrationen, kaum Gefechte mit der Polizei wie in Deutschland, keinen Rudi Dutschke, keinen Benno Ohnesorg und schon gar keinen Andreas Baader und keine Ulrike Meinhof. In Wien wurde der Kampf der Generationen mittels langer Haare, Miniröcke, Verzicht auf den BH, freier Liebe, Leistungsverweigerung, Haschisch und Rockmusik ausgefochten.

»In Zwettl täten’s die verhaften ohne Busenhalter«, murmelte Vitus heiser.

»Schau nicht so hin«, stieß ihn Jack an, »das wirkt suspekt!«

»Hast du noch nie eine Brust gesehen?«, grinste Edna, während sie zurückwinkte.

Jack nahm Vitus an der Schulter, drehte ihn zu sich und sagte: »Damit du siehst, dass wir es ehrlich meinen, sagen wir dir jetzt was: Der Tote von vorvorgestern ist gar nicht der Hofer gewesen. Vielleicht hilft dir das einmal.«

Vitus, kurz abgelenkt, fragte: »Ah geh, wer war der denn dann?«

»Das wissen wir auch nicht«, sagte Walter, »der Hofer jedenfalls nicht.«

»Kennts ihr den denn?«

»Wurscht«, sagte Edna.

»Also, Vitus«, drängte Walter sanft, »was ist?«

»Gut, aber ihr dürft mich nicht verraten!«

»Hörst, wir sind doch nicht deppert, pass nur auf, dass dir auf deinem Wachzimmer nichts herausrutscht.«

»Nur weil ich aus Zwettl bin, bin ich noch lang kein Trottel«, erwiderte Vitus ein wenig eingeschnappt.

»Na super«, rief Walter, »alsdann, Herr Theo, ein Ged…«

Jack stieß ihn in die Rippen.

»Spinnst?«, zischte er. »Doch jetzt noch nicht!«

Doch davon bekam Vitus schon nichts mehr mit. Wie ein balzender Auerhahn blickte er auf das Mädchen in der offenherzigen Bluse mit dem zarten Blumenmuster.

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»Wir gehen zu Fuß, beim Gehen kann ich gut denken«, sagte Kommissar Haselbacher zu Rayonsinspektor Anton Altendorfer, der im grünen Dienst-VW wartete, »und Sie fahren mit dem Auto in die Grubergasse.«