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'Höfliche Pfützen' bringt Gedichte aus den Jahren 1989-2015, Entwicklungs- und Verarbeitungstexte, Sprach-Experimentelles, Portraitgedichte, Laut-Gemälde aus dem Moment. Markus Lemke spielt mit Klang und Sinn, mit der Form des Gedichtes selbst. Er zerbricht Sprache und fügt die Scherben zu neuen Wirklichkeiten. Traditionelle Formen stehen neben Dada ähnlichen Texten. Ernste und heitere Texte über Menschen, Tiere, Erinnerungen, Erfahrungen im Fluss des Lebens, die großen Lebensthemen, aber auch die Farben, Düfte und Klänge am Wegrand.
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Seitenzahl: 33
Veröffentlichungsjahr: 2016
www.tredition.de
Markus Lemke
Höfliche Pfützen
Gedichte 1989-2015
www.tredition.de
© 2016 Markus Lemke
Verlag: tredition GmbH
ISBN:
978-3-7345-1835-5 Hardcover
978-3-7345-1834-8 Paperback
978-3-7345-1836-2 e-Book
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Meinen Vätern
Es kitzelt unterm Schorf. (1989-1992)
Nenne dich (für Ulla)
Nenne dich,
dann wirst du erkannt!
Rufe „Hier“ bei
all deinen Namen!
Nenne dich „Baum“,
wenn du
Samen gefunden hast
und ihn pflegst.
Nenne dich „Fels“,
wenn du
Grund fühlst und
das Schwere dir leicht fällt
Nenne dich „Meer“,
wenn das Land endet
und die weißen Flecken beginnen
auf deiner Landkarte.
Nenne dich „Kind“,
wenn zwei deiner Eltern
die Schultüte packen
für dich.
Abc-Schütze
Mensch:
Nenne dich!
Nimm dich
beim Wort.
Versuch, in einen Spiegel zu schauen
(Eckstein, Eckstein…)
Schrankenwärter
an einem Nebengleis.
(alles muss versteckt sein!)
Straßenfeger
in Sackgassen.
(Hinter mir, vor mir…)
Rechtsanwalt
von Gartenzwergen.
(unter mir, über mir…)
Maurer und Fliesenleger
in Schneckenhäusern.
(neben mir, bei mir…)
Bist du‘s, bist du‘s nicht?
(zwischen mir…)
Nicht nur, sondern auch.
(in mir…)
Teilweise ganz.
(gilt es.)
Ich komme!
Biographie
Tier,
verspielt
und wendig,
und neu
im Paradies.
Kind
und lachend,
gern verborgen,
liebend –
wie es hieß.
Faxenmacher,
fratzenschneidend,
schielend,
singend,
weinend.
Trauriger,
Vernünftiger,
und schleppend
sein Gewicht.
Ausgeruhtes
Eichhorn.
Es kitzelt
unterm Schorf.
Leben Innen
Leben Innen:
lachen, weinen
innen. Hass-
liebe zu Innen.
Fluchtburg Innen.
Konserve Er-
innerung im
Garten Zeitlos.
Kostbares Heim-
lich: Innen.
Innen ist sicher,
außen schwankt.
Gefängnis Innen.
Hilflos behütet.
Berührungslos,
echolos,
spiegellos da.
Ersticken an
Innen.
Grenzgehen: Rettung.
Aus-gehen –
Heim-kommen.
Gasförmig, flüssig, fest.
Atem: ein, aus.
Außen wird Innen.
Innen
eratmete
Zeit.
„Sprache, spitz und verwundend“ (H. Domin)
Sprache mit
Widerhaken,
Betäubungsgift.
Sprache ohne ‚Sinn‘
und unverkäuflich.
Worte, scharf
wie Messer -
winzige Messer,
die Leben retten
wie eine Operation.
Wortpfeil, unterwegs
ins Schwarze.
Suchend und findend
sein Ohr. Kraft.
Magnetismus.
Schmerzendes Hören:
mit anderem Sinn
aus Taubheit erwacht.
Hoffen und leben
in der letzten,
wahren Sprache.
Morgens
Die Krücke an der Wand,
der Schleier gehoben.
Im Auge
sammelt sich Licht.
Bilder der Nacht:
das Krebsgeschwür Stummheit,
das verjagte Gespenst.
Am Boden noch
die schwarze Kutte,
leer, das Zeichen vom Leihhaus
auf schlechtem, zerrissenem Stoff.
Stille, gespannt und erwartend.
Geruch feuchter Erde.
Plötzlich die ersten Worte:
‚Vater‘ und ‚Ohr‘,
unvergessen, aufgespannt
zwischen Atem und Herzschlag.
Sechs ‚Vater‘-Gedichte
Grab
Verwittert,
überwuchert
die Schrift.
Eine Hälfte
eingefallen.
Ungepflegt, -
mit Recht.
Asche zu Asche.
Zuneigung,
wie im Leben –
verpasst
auch jetzt.
Doch,
was die Schale
nicht schaffte,
vielleicht
gelingt es
dem Kern.
Einladung
Tritt ein –
du bist doch
gestorben für mich!
Bei mir
ist es warm und hell.
Schäme dich nicht
für den Leichengeruch!
Schau her,
ich öffne das Fenster!
Du bist nicht schön,
ich weiß es.
Doch hab‘ keine Angst –
ich blinzle nicht!
Zögernd stehst du
vor der Tür. Jetzt
lass uns mutig sein!
Tritt ein,
sprich lauter –
ich höre dich schon!
Vater
Komm‘,
setz dich zu mir
und erzähle!
Sag‘ mir,
was das ist: Vater.
Ich will dir zuhören, auch
wenn du wenig zu sagen hast.
Und wenn du nichts weißt?
Dann schweige und
zeig’ mir,
was das ist: Vater.
Ich will dir zusehen,
lass‘ es mich lernen!
Und wenn du’s nicht kannst?
Sitzen, schweigen, schauen
wie ein Vater?
Dann lass‘ uns gehen
und suchen,
was das ist: Vater.
Wortaugen
Ich schreibe mich
an dich heran,
blind, nur
mit Wortaugen,
taste im Gestrüpp
meiner Erinnerung,
mache Geräusche davor,
in der Hoffnung,
du sitzt drin,
fliege und tauche,
auf der Suche
nach deinem Element,
sammle Bilder über dich,
schüttel sie im Reagenzglas
und erforsche das Destillat,
krieg’ die Augen nicht zu,