Hohe Berge - Silke Stamm - E-Book

Hohe Berge E-Book

Silke Stamm

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Beschreibung

Sechs einander fremde Menschen – fünf Männer, eine Frau – brechen zu einer Skidurchquerung im Hochgebirge auf. Eine Woche, in der die Tourteilnehmer aufeinander angewiesen sind und sich zwangsläufig sehr nahekommen. Der Erzählerin wird bewusst, dass sie Angst hat, die Kontrolle abzugeben, und dass die Erwartungen der anderen sie lähmen. Ein Lawinenabgang bringt Bewegung in das fragile Gruppengefüge. Kunstvoll verdichtet und mit außergewöhnlicher literarischer Kraft erzählt Silke Stamm in ihrem Romandebüt eine faszinierende Geschichte vom Miteinander unter herausfordernden Umständen.

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Für Paul, Emilia und Thomas

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin/München 2022

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Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: plainpicture/AWL/Christian Kober

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Achter Tag

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Achter Tag

Dank

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Achter Tag

Im hellen Licht des frühen Nachmittags vor einem Gasthof auf der Bank zu sitzen, das Gesicht ins Sonnenlicht zu halten, das von den Schneefeldern ringsum zurückgeworfen wird, die Getränke auf den Tischen leuchten lässt und dem die Männer im weiten U der Holzbänke mit halb geschlossenen Augen ihre Gliedmaßen entgegenstrecken; die Beine ebenfalls weit auseinanderzustellen, damit möglichst viel Licht auf die feuchten Hosenteile fällt, die wärmenden Strahlen auf der Haut zu spüren und in tiefen Schlucken goldgelbes Bier zu trinken, neben Aaron, der nun in die Sonne blinzelt, sein Telefon in die Hand nimmt, darauf herumwischt, eine Nachricht liest, lächelt, sagt, von den Schweden gebe es noch keine Neuigkeiten, das Gerät wieder zur Seite legt und sich an den Gesprächen der vier anderen nur beteiligt, wenn sie etwas von ihm wissen wollen, Namen von Bergen oder Bindungstypen, wozu er kurze Auskünfte erteilt und dann wieder sein Gesicht zur Sonne wendet, während die anderen darüber sprechen, wohin sie jetzt, nach dem Ende der Durchquerung, aufbrechen werden, ob nach Hause oder eben noch woandershin, und Aaron sich nicht dazu äußert, dem jedoch, sollte er etwas sagen, alle zuhören würden.

Ihn mit der Frage nach der besten Zugverbindung anzusprechen, woraufhin er sein Mobiltelefon noch einmal in die Hand nimmt, mehrmals auf die glatte Oberfläche tippt, es herüberreicht, eine der Verbindungen empfiehlt und abschließend meint, er nehme denselben Zug; zuzuhören, während sich auch die anderen jetzt wieder an Aaron wenden und ihm Fragen bezüglich seiner nächsten Unternehmungen stellen, die er zuerst mit einem Scherz beantwortet, an den er anfügt, erst einmal freue er sich auf sein Zuhause; die aufsteigenden Perlenschnüre im Bierglas zu betrachten, die sich verkürzen, bis es Zeit ist, aufzustehen und einander gegenseitig zu versichern, vom Ende abgesehen sei die Woche schön gewesen; dann die anderen, die noch in der Sonne sitzen bleiben und weitertrinken wollen und deren Heimwege kürzer sind, der Reihe nach zu umarmen, zuletzt Luke, der ausnahmsweise seine Mütze abgenommen hat, bei der Umarmung ohne das unbeholfene Schulterklopfen der übrigen auskommt und der, da er etwa gleich groß ist, mit seiner Wange an der eigenen zu liegen kommt und sie dort lässt für einen Moment, der schön ist, bis er vorbei ist, Luke sich durch die schweißverklebten Haare strubbelt und es nichts mehr zu sagen gibt.

Aaron nicht in den Arm zu nehmen und zu nicken, als ererklärt, er habe noch etwas Zeit, eine Fahrkarte brauche er nicht zu kaufen, er komme nach; also die eigenen Ski aus dem Mikado der an einen Bretterzaun gelehnten Ausrüstungsgegenstände herauszuziehen, den Rucksack zu schultern, sich dabei trotz des Gepäcks gewichtslos zu fühlen, so, als würde etwas fehlen, und zum Bahnhof aufzubrechen, ohne zu wissen, ob das jetzt eine Art von Verabredung ist und wie verbindlich die dann wäre.

Zum Schalter und anschließend zum Bahnsteig zu gehen, wo der Zug bereits steht; dort unvermittelt von einer Menschenmenge umschlossen zu sein und sich darauf zu konzentrieren, die geschulterten Ski zwischen sommerlich gekleideten Wartenden hindurchzunavigieren, ohne jemanden anzurempeln; an der Waggontür kurz zu zögern, dann aber doch einzusteigen, weil es merkwürdig aussähe, auf dem Bahnsteig herumzustehen, als wäre es so abgemacht; die Ausrüstung die steilen Stufen hochzutragen, dabei in den Stiefeln zwischen den Zehen noch die Steinchen aus dem Bachbett zu spüren, von vorhin; die Ski zu verstauen, mit Rucksack und Jacke zwei Plätze zu belegen und im dämmrigen Abteil nun wahrzunehmen, wie hell der Tag draußen noch immer leuchtet; sich in die offene Tür zu stellen, Ausschau zu halten und ihn dann zu entdecken, Aaron, der tatsächlich am Zug entlangkommt und offensichtlich ebenfalls Ausschau gehalten hat; zu rufen und dabei im Klang der eigenen Stimme etwas zu hören, das er vielleicht auch hören kann.

Erster Tag

Im Zug an lang gezogenen, glitzernden Seen vorbeizufahren, die zwischen frühlingsgrünen Hügeln liegen, auf denen schon die ersten Bäume rosa Blüten tragen und hinter denen die Berge aufragen, farblos, fast zweidimensional, als wären sie nachträglich ins Bild geklebt; probehalber schon einmal ein Harscheisen auf die neue Bindung zu montieren und sich zu ärgern, als das nicht auf Anhieb klappt.

Kaum geschlafen zu haben in der Nacht, weil es im Zug keine Liegewagen gab;sich auf einen Zweiersitz gelegt zu haben, was jedoch nicht möglich war, ohne mit Kopf und Knien gegen Armlehne und Vordersitz zu stoßen; die ganze Zeit über gefroren und nach und nach fast alle Kleidungsstücke, die sich im Rucksack fanden, übereinander angezogen zu haben, schließlich sogar in den Seidenschlafsack gekrochen zu sein, trotz der Befürchtung, ihn dabei zu zerreißen; mit angewinkelten Beinen schlaflos in der dünnen, weißen Hülle gelegen zu haben, dem vom Geratter der Räder unterstrichenen Unbehagen ausgeliefert, mit Material, das noch nicht einmal für eine Zugfahrt ausreicht, für die Tour nicht gut gerüstet zu sein; als der Zug nach Mitternacht fast eine Stunde lang in der Stille einer dunklen, menschenleeren Gegend stehen blieb, Angst bekommen zu haben, den Anschluss zu verpassen und nicht einmal den Startpunkt der Tour rechtzeitig zu erreichen.

Frühmorgens dann doch beinahe pünktlich hinter der Grenze angekommen zu sein, und in den wenigen Minuten, die für den Weg die Treppe hinauf, an Stehcafés und Imbissen vorbei und wieder zum anderen Gleis hinunter blieben, die Ski zwar hauptsächlich an Menschen in Jeans oder Geschäftskleidung vorbeigetragen zu haben, sich dabei in Skistiefeln aber schon weniger deplatziert vorgekommen zu sein.

Später am Vormittag an einem kleinen Bahnhof auszusteigen, und unter denen, die mit aussteigen, auch aus den Augenwinkeln die anderen Teilnehmer sofort an ihrer Ausrüstung zu erkennen und daran, dass sie sich ebenfalls vorsichtig umsehen.

Im gleißenden Sonnenlicht die Augen zusammenzukneifen und auf einen der Männer zuzugehen, während die anderen noch umständlich ihre Ski auf dem Bahnsteig positionieren und sich nur mit Halbblicken streifen; den Mann, der weißliche Spuren von Sonnencreme auf dem Nasenrücken hat und trotz der Wärme eine rote Mütze trägt, auf die Durchquerung anzusprechen, woraufhin er sofort die Hand ausstreckt, sich als Luke vorstellt und anschließend ein paar Worte in Mundart an einen Mann mit schulterlangen, grau melierten Locken richtet, der mit schlenkernden Schritten näher kommt und auch, als er stehen bleibt, nicht aufhört, auf den Ballen zu wippen, dabei nickt und etwas erwidert, was nicht zu verstehen ist, vermutlich seinen Namen; auch die beiden anderen, die nun herantreten und sich vorstellen, Hans-Ruedi und Jean-Pierre, vom Dialekt her gleichfalls Einheimische, mit festem Handschlag zu begrüßen; mit im Kreis zu stehen, sich aber beim ersten Abgleich der vier Männer, welche Touren sie jeweils schon gemacht haben und wie gut sie die Gegend kennen, nicht zu beteiligen; zu beobachten, wie Hans-Ruedi nebenbei in ein großes, gelbes Stofftaschentuch schnäuzt, es danach wieder zusammenfaltet, in der Hosentasche verstaut und dabei konzentriert und keinesfalls betulich wirkt.

Zur Bahnhofstoilette zu gehen, in dem kühlen, weiß gekachelten Raum die Trinkflasche aufzufüllen, das kalte Wasser über die Handgelenke laufen zu lassen und direkt aus dem Strahl zu trinken; sich das Gesicht zu benetzen, mit nassen Händen durch die Haare zu fahren und froh zu sein, dass es keinen Spiegel gibt; zurückzugehen auf den Bahnsteig, sich mit in den Schatten zu stellen, Berichte über Gipfel anzuhören, ohne etwas beizutragen, und auch nichts gefragt zu werden.

Auf die Ankunft des Bergführers zu warten, von dem die anderen vermuten, dass er aus der Gegenrichtung eintreffen müsste, was dann auch so geschieht; sofort genauer hinzuschauen, als er mit einem weiteren Teilnehmer aus der Unterführung hochkommt, mehrere Stufen auf einmal nimmt, dabei schlaksig wirkt und zugleich durchtrainiert, und, oben angekommen, rasch beginnt, das Mietmaterial aus seiner großen Plastiktasche zu verteilen; ein Lawinenverschüttetensuchgerät von ihm überreicht und dessen Handhabung in knappen Worten erklärt zu bekommen, während er bereits Hüftgurte und Steigeisen an einige der anderen ausgibt und dann, ohne viel mehr als seinen Namen, Aaron, preisgegeben zu haben, losgeht, in den hellen, heißen Tag hinaus.

Mit den Ski in der Hand und dem Poltern der Stiefel im Ohr ein Stück auf der asphaltierten Straße zu marschieren, bald jedoch ins Gelände abzuzweigen, wo der Schnee sämtliche Geräusche dämpft; es Aaron, als er seinen Rucksack absetzt, nachzutun, die Ski so auf dem Gepäckstück zu platzieren, dass die Unterseiten nach oben zeigen und trocken bleiben, den Beutel mit den Steigfellen auszupacken und in dem Moment froh zu sein, daran gedacht zu haben, ihn griffbereit ganz oben zu verstauen; die Felle auf die Laufflächen zu kleben, fest anzudrücken, die Ski dann in den Schnee zu legen und in die Bindungen zu steigen; im Geräusch, mit dem sie einrasten, die Entschiedenheit eines Startsignals mitzuhören und sich zu freuen, dass es jetzt losgeht.

Die ersten fünfhundert Höhenmeter wie Aaron ohne Pause durchzugehen, während die anderen Teilnehmer, die kürzere Anreisewege hatten und noch in ihren Betten schlafen konnten, ab und zu stehen bleiben, um Fotos zu knipsen oder etwas auszuziehen, und dann wieder aufschließen; im Kopf ihre Namen zu wiederholen, Luke mit der roten Mütze, Jean-Pierre, gebräunt mit Schnauzer, Hans-Ruedi, Fippu, der zusammen mit Aaron ankam und dessen Augenlider gerötet sind, und den eigenen Vordermann, den mit den grau gesträhnten Locken.

Während die Sonne weiter steigt, darauf zu achten, dass sich der Abstand von einer Skilänge zum Vordermann nicht vergrößert; ihm die Bitte zuzurufen, seinen Namen noch einmal zu sagen, aber eine andere Antwort von ihm zu erhalten als vorhin Luke, und zwar Thomas.

Bei jedem Schritt zu spüren, dass der Körper sich erinnert, was zu tun ist,dass die Knie genau den richtigen Druck erzeugen, damit abwechselnd die Ski gleiten und die Felle greifen; das Gleichmaß der Bewegungsabläufe zu genießen, die Weite der Landschaft, die mächtig und statisch wirkt, jedoch beim Gehen wieder und wieder mit neuen Ausblicken überrascht, und nicht nur Felsen und Wolken viel Raum schenkt, sondern auch den Gedanken; die am Morgen im Zug verfasste Nachricht an die Tochter, Bin bereits bald bei Bergen, im Kopf immer wieder aufzusagen, ohne dies eigentlich zu wollen, und dabei die Alliterationen im Gehrhythmus zu betonen, deren Zauber sie bereits in der ersten Klasse für sich entdeckt und dann mehrere Jahre lang in kleinen Briefchen angewendet hatte, die sie auf den quadratischen Abreißblock in der Besteckschublade schrieb, wo sie zum Teil noch immer liegen; auf den vorhin abgeschickten Text noch keine Antwort bekommen zu haben und auch keine mehr zu erwarten, weil es hier oben vermutlich nirgendwo Empfang gibt.

Später, als das Tal enger und der Anstieg steiler wird, hintereinander in einer einzigen Spur zu gehen, ohne dass sich noch jemand unterhält; die Reihe weiterhin nie zu verlassen und deshalb zuletzt direkt hinter Aaron zu gehen, der sich nach einer Biegung umwendet und in die Stille der Berge hinein sagt, Lue, itz gsehsch scho d Hütte, auf die Rückfrage hin nur lacht und entgegnet: Ja, es isch a dir, se z finde; beim Weitergehen minutenlang die Hänge abzusuchen und sich zu freuen, als sie sich dann endlich zeigt, aus grauem Stein an einen der ins Weiße gesprenkelten Felsen geschmiegt; nach einer letzten etwas steileren Passage unmittelbar unterhalb der Hütte, von der Aaron sagt, das sei jetzt die Schlüsselstelle des heutigen Tages, und ins Gelächter aller hinein betont, er meine das durchaus ernst, hier sollte nicht gerade jemand stürzen, da gehe es dann weit hinunter, das Gebäude zu erreichen, vor dem er stehen bleibt, bis zuletzt auch Hans-Ruedi angekommen ist, und Aaron jedem Einzelnen mit Handschlag gratuliert, obwohl es ja kein Gipfel-, sondern nur der Hüttenaufstieg war.

Zusammen auf der Terrasse zu sitzen, Aaron und Thomas breitbeinig in Liegestühlen, die im Schnee stehen, der Rest auf einer steinernen, an die Hauswand gemauerten Bank; den beiden zuzuhören, die sich halbe Sätze zuwerfen und über Dinge lachen, die nur für sie eine Bedeutung haben; im Rücken die von der Wand gespeicherte Sonnenwärme zu spüren und die nackten Füße auszustrecken, während die Stiefel und Socken zum Trocknen in der Sonne liegen; Thomas, der von niemandem so genannt wird, ein weiteres Mal anzusprechen, ob er bitte den Namen, den die anderen benutzen, buchstabieren könne, was dann aber Hans-Ruedi übernimmt: Im Berndeutschen werde letztlich jeder anders genannt, als auf der Geburtsurkunde zu lesen sei, in dem Fall also Thömu, so wie aus einem Philipp der Fippu werde; seine etwas gespreizte Aussprache der hochdeutschen Namen wahrzunehmen und auch, dass Thömu seinen Kopf nur leicht dem Gespräch zuneigt, ohne den Blickkontakt lange zu halten, und dann wieder einen Spruch in Richtung Aaron loslässt.

Lukes Schritte zu hören, der mit feucht am Kopf klebenden, rötlichen Haaren konzentriert ein volles Tablett durch den weichen Schnee zu jedem Einzelnen hinbalanciert, beim Überreichen der Getränke lächelt und auf den Dank sehr gärn erwidert.

Als das Licht diesiger wird und die Kälte sich unter die Jacke zu schieben beginnt, hineinzugehen, zum Matratzenlager im ersten Stock; einen dämmrigen, holzverkleideten Raum zu betreten, der zu beiden Seiten des schmalen Mittelgangs aus doppelstöckigen Lagern besteht; von den unteren Schlafplätzen den an der Außenwand mit dem kleinen Giebelfenster zu wählen, bevor es ein anderer tut, um sich beim Schlafen mit dem Gesicht zur Wand drehen zu können, statt zu einem anderen Körper hin, und auch, um das Fensterchen schnell wieder öffnen zu können, falls es nachts jemand schließen sollte; den Seidenschlafsack auszubreiten, darüber zwei Hüttendecken, die Stirnlampe bereitzulegen, das Zahnputzzeug und das zweite Paar Skiunterwäsche für die Nacht, und während des Sortierens zu bemerken, dass auch Aaron mit seinem Rucksack ins Gruppenzimmer kommt, obwohl Bergführer sich normalerweise Einzelzimmer geben lassen, dass er jedoch einen Platz in der oberen Etage wählt und eher in der Mitte.

Da es im Lager nur unter den Decken auszuhalten wäre, hinunter in den beheizten Gastraum zu gehen, nach Spielkarten zu suchen und in einer Truhe zwischen Schachteln und einzelnen Spielfigürchen ein abgegriffenes Jassblatt zu finden: Eicheln, Rosen, Schellen und Schilten, einem Skatblatt ähnlich, nur dass es auch Sechsen gibt; sich an einen der Holztische zu setzen, die Spielkarten auf vier Häufchen zu sortieren und nachzuzählen, ob sie vollständig sind, sie dann wieder zu mischen und zu warten; schon oben im Schlafraum an alle gerichtet gefragt zu haben, wer mitspielen möchte, ohne dass sich jemand festlegen wollte; als Aaron dann der Erste ist, der in die Stube und nach einem kurzen Plausch mit dem Wirt zum Tisch kommt, den Kartenstapel in die Hand zu nehmen und ihn zu fragen: Hast du Lust?

Auf seine Gegenfrage nach dem Spiel zu offenbaren, mit Jasskarten eigentlich nur eines zu kennen, den Schieber, bezüglich der Regeln aber nicht ganz sattelfest zu sein; damit es nicht beim Reden bleibt und falls gleich noch die zwei erforderlichen Mitspieler dazustoßen, die Karten schon einmal auszuteilen, im Uhrzeigersinn, was, wie er lächelnd anmerkt, falsch sei; mit den Karten in der Hand ein, zwei Fragen zu den nächsten Etappenzielen zu stellen, auf die er nicht eingeht, dazu werde er nachher für alle etwas sagen; sich, nachdem er ein Bergsportmagazin genommen und aufgeschlagen hat, dem Fenster mit der milchigen Sonne, die den Schneestaub in der Luft zum Leuchten bringt, zuzuwenden, ins helle Licht jenseits des dunklen Rahmens zu blicken, schließlich aufzustehen, in den Hüttenschlappen vorbei am Skischuhraum in den Schnee hinauszutreten, wo ein kalter Wind weht, kälter, als dass es sich dort ohne Jacke lange aushalten ließe; später, als Hans-Ruedi mit am Tisch sitzt, von ihm einige Fragen zu Regeldetails gestellt zu bekommen und sich darüber zu freuen, als Expertin angesehen zu werden; die Fragen so weit wie möglich zu beantworten, Aaron zuzuzwinkern und dabei ebenfalls zu lächeln.

Zu viert einen Schieber zu spielen, Jean-Pierre als Partner zugelost zu bekommen, und schon in der ersten Runde gleichzeitig mit dem eigenen Fehler seinen entsetzten Blick auf die falsch ausgespielte Karte zu bemerken, entschuldigend mit den Schultern zu zucken und zu registrieren, dass er zwar versucht, sich mit Kommentaren zurückzuhalten, es ihm aber auch bei der nächsten Karte, die er für falsch hält, nicht gelingt, ein lautes Schnaufen zu unterdrücken.

Noch sitzen zu bleiben, nachdem das Spiel verloren ist, Aaron wegen des Getränkenachschubs am Tresen steht und Hans-Ruedi eine topografische Karte auf dem Tisch ausbreitet und sich darin vertieft; von Jean-Pierre dargelegt zu bekommen, momentan habe er viel Zeit, Resturlaub, demnächst dann aber einen neuen Arbeitgeber, der ihn von seiner alten Firma abgeworben habe; zu nicken und zu lächeln, während er ausführt, was er geplant habe, um die freien Wochen, über die er nach dieser Tour noch verfüge, gut zu nutzen, und über Weltgegenden und günstige Reisezeiten referiert, und nach einer Weile, in der Aaron nicht zurückkommt, weil er an einem anderen Tisch angesprochen wurde, mit dem Lächeln und Nicken aufzuhören.

Im kühlen Schlafraum alleine zu sein, bis auf Fippu, von dem nur ein paar dunkle Locken und ein Hügel unter der Decke zu sehen sind; die Stirnlampe auf dem Rucksack zu platzieren, sich mit dem Rücken zur Tür in ihrem Strahl auszuziehen und gerade alle Schichten der Oberbekleidung über den Kopf gezogen und nach dem Nacht-Shirt gegriffen zu haben, als die Tür aufgeht und Thömu hereinkommt, kurz stockt und eine halbe Entschuldigung brummt, auf die es nichts zu erwidern gibt; aus den hastigen Geräuschen, die er macht, während er im Schein seiner Leuchte etwas aus dem Rucksack holt und die Lichtkegel sich auf den Wänden überschneiden, Gereiztheit herauszuhören, obwohl er sich zugleich bemüht, leise zu sein wegen Fippu.

Ende der Leseprobe