Hollywell Hearts - Die Glückspension am Meer - Jennifer Wellen - E-Book
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Hollywell Hearts - Die Glückspension am Meer E-Book

Jennifer Wellen

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Beschreibung

Die cosy Small-Town-Romance »Hollywell Hearts – Die Glückspension am Meer« von Bestsellerautorin Jennifer Wellen jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Neuanfang am Meer … Nachdem ihr Traum von einer eigenen Familie zerplatzt ist, sehnt sich Ava nach einer Veränderung. Da kommt ein Jobangebot weit weg von London gerade recht: Ava soll ihrer Freundin Tamy beim Aufbau einer kleinen Frühstückspension in Cornwall helfen. Und Tamys Farm »Hollywell Heaven« würde sich doch wunderbar als Rückzugsort für urlaubsreife Großstädter und gestresste Manager anbieten. Oder auch für Kinder, die es nicht leicht im Leben haben und sich im trubeligen Alltag der Ziegenfarm frei entfalten könnten? Ava sprüht nur so vor Ideen – vor allem, als sie den Single-Dad John und seine freche Tochter Elisa kennenlernt. Aber wird sie für eine zweite Chance auf Glück ihre schmerzliche Vergangenheit überwinden können? »Jennifer Wellen schreibt humorvolle Liebesromane mit Tiefgang und Herz. Ich liebe ihre Bücher.« Sonja Flieder Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Wohlfühlroman »Hollywell Hearts – Die Glückspension am Meer« von Jennifer Wellen ist Band 2 ihrer Cornwall-Reihe, in der jeder Roman unabhängig gelesen werden kann, und die Fans von Jane Linfoot und Jana Lucas begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 442

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Über dieses Buch:

Ein Neuanfang am Meer … Nachdem ihr Traum von einer eigenen Familie zerplatzt ist, sehnt sich Ava nach einer Veränderung. Da kommt ein Jobangebot weit weg von London gerade recht: Ava soll ihrer Freundin Tamy beim Aufbau einer kleinen Frühstückspension in Cornwall helfen. Und Tamys Farm »Hollywell Heaven« würde sich doch wunderbar als Rückzugsort für urlaubsreife Großstädter und gestresste Manager anbieten. Oder auch für Kinder, die es nicht leicht im Leben haben und sich im trubeligen Alltag der Ziegenfarm frei entfalten könnten? Ava sprüht nur so vor Ideen – vor allem, als sie den Single-Dad John und seine freche Tochter Elisa kennenlernt. Aber wird sie für eine zweite Chance auf Glück ihre schmerzliche Vergangenheit überwinden können?

Über die Autorin:

Jennifer Wellen lebt mit ihrer Familie im Ruhrgebiet und arbeitet als Dozentin im Pflegebereich. Wenn sie neben ihrer Tochter, den drei Katzen und ihrem Hund noch Zeit findet, schreibt sie mit Begeisterung witzige Romane für Frauen, die wissen, wie das Leben spielt.

Die Autorin im Internet:

www.jenniferwellen.com

www.instagram.com/jenniferwellen_autorin/

Bei dotbooks veröffentlichte Jennifer Wellen ihre Liebesromane »Honigkuchentage«, »Sternschnuppenwünsche« und »Kiss me like a Star«.

Ihr Roman »Drei Küsse für ein Cottage« erscheint bei dotbooks als eBook- und Printausgabe und bei SAGA Egmont als Hörbuch.

Ihre »Schottische Herzen«-Trilogie ist bei dotbooks im eBook erhältlich und bei SAGA Egmont im Hörbuch:

»Das Rosencottage am Meer«

»Das Veilchencottage am Meer«

»Das Magnoliencottage am Meer«

Ihre »Hollywell Hearts«-Reihe erscheint bei dotbooks im eBook und bei SAGA Egmont als Printausgaben und Hörbücher:

»Hollywell Hearts – Die kleine Farm am Meer«

»Hollywell Hearts – Die Glückspension am Meer«

Weitere Bände sind in Planung.

***

Originalausgabe Mai 2024

Copyright © der Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Katrin Scheiding

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98952-135-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

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blog.dotbooks.de/

Jennifer Wellen

Hollywell HeartsDie Glückspension am Meer

Roman

dotbooks.

Kapitel 1Ava – Warum nicht?

Ich stand am Rande der Dünen und ließ meinen Blick über die Bucht wandern. Dabei wehte der Wind mir einige Strähnen in mein Gesicht, während die salzige Meeresluft mich in der Nase kitzelte. Was für ein fantastischer Anblick, wie ein Bild aus einem Reiseführer: Das tiefblaue Meer schlug sanfte Wellen, der breite Sandstrand schimmerte gülden in der untergehenden Sonne und die fluffigen Wolken ließen hin und wieder Schatten über die Hollywell Bay wandern. Direkt vor mir thronten zwei große Felsen im Wasser, von denen der eine ein bisschen Ähnlichkeit mit einem Hundekopf hatte. Ich musste unweigerlich lächeln.

Schon bei meinem ersten Besuch in Cornwall hatte ich hier gestanden und den faszinierenden Anblick wie ein trockener Schwamm in mich aufgesogen. Aber dieses Mal begeisterte mich die Aussicht umso mehr. Plötzlich kam mir der Gedanke, wie schön es sein musste, hier zu wohnen und dies jeden Tag genießen zu können. Nicht, dass ich meine Heimatstadt London nicht mochte. Das geschäftige Treiben, die zahlreichen historischen Gebäude und die netten Menschen waren toll, doch in den letzten Monaten war so viel passiert, dass mein Körper nun nach etwas idyllischer Ruhe lechzte. Deshalb hatte ich mich kurzerhand nach der Arbeit ins Auto gesetzt und war hierhergefahren. Denn alles war derzeit besser, als am Wochenende in London zu auszuharren.

Während ich mir eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht strich, spürte ich mein Handy in der Jackentasche vibrieren. Ich zog es heraus – Tamlyn. Erleichtert tippte ich auf Annehmen.

»Keine Sorge, Tamy, Liebes, ich bin schon fast bei euch. Ich habe nur schnell einen Stopp am Strand eingelegt, um etwas frische Meeresluft zu schnuppern.«

Am anderen Ende lachte meine Freundin auf. »Dann ist ja gut, ich hab schon gedacht, du hast es dir womöglich anders überlegt und bist wieder auf dem Heimweg.«

Mit dem Telefon am Ohr warf ich seufzend einen letzten Blick auf die malerische Bucht, drehte mich um und lief durch die Dünen zurück Richtung Auto. »Keine Sorge, ich habe nicht vor, euch und die Ziegen vor Sonntagabend wieder zu verlassen.«

»Super, dann beeil dich, Scott hat schon die Würstchen auf dem Grill.« In dem Moment knurrte mein Magen los und ich lief ungleich schneller.

»Klingt super. Dann reservier mir doch schon mal einen Platz neben dir. Bis gleich.« Ohne ein weiteres Wort drückte ich das Gespräch weg, stieg ins Auto und legte das Telefon vorn in die Ablage. In dem Moment, als ich den Motor startete, vibrierte das Handy erneut. Hatte Tamy noch was vergessen?

Aber ein Blick aufs Display zeigte mir: Connor ruft an. Drei Worte, die meinen Magen binnen dem Bruchteil einer Sekunde dazu brachten, den Würstchen abzuschwören. Verdammt!

Hastig tippte ich mit einem Kloß im Hals auf Gespräch abweisen. Doch direkt danach vibrierte es wieder.

Und wieder.

Und wieder.

Tränen der Verzweiflung stiegen in mir auf.

Da ich wusste, dass Connor nun keine Ruhe mehr geben würde, schaltete ich das Telefon einfach aus. Wer Ruhe haben will, muss sie sich bekanntlich nehmen.

***

Fünfzehn Minuten später hatte ich einen Teller mit Würstchen und Nudelsalat vor mir. Ein Stück vom Tisch entfernt belagerten Logan und Scott den Grill, während Abby in ihrem Rollstuhl über die Rampe aus dem Stall gerollt kam. Tamy dagegen ließ sich neben mir auf den Stuhl plumpsen.

»Schön, dass du mal wieder da bist.« Sie lächelte mich an.

Ich erwiderte es. »Finde ich auch. Seit du hier in Cornwall lebst, sehen wir uns viel zu wenig.« Tamy und ich waren schon seit der Schule beste Freundinnen und hatten Jahre lang zusammen in London bei wephone communications gearbeitet, bis sie unverhofft von ihrem verstorbenen Vater, dessen Identität sie bis dato nicht gekannt hatte, die Ziegenfarm hier in Cornwall erbte. »Aber jetzt erzähl mal, wie läuft es denn so mit der Modernisierung hier?«

Nach reiflicher Überlegung hatte Tamy tatsächlich das Erbe ihres Vaters angenommen und war von London nach Hollywell gezogen. Jedoch nicht, ohne der Ziegenfarm einen neuen Anstrich zu geben, was Ideen anging. Einer der Pläne war, eine Frühstückspension aufzuziehen und Führungskräfteseminare anzubieten.

Tamy seufzte auf. »Ach, eigentlich ganz gut. Montag findet die endgültige Abnahme für den Anbau ans Haupthaus statt, und dann geht es ans Renovieren, damit Abby und ich endlich umziehen können.« Abby war Tamys Halbschwester, von der sie bis zu dem besagten Erbe ebenfalls keine Kenntnis gehabt hatte. Aber Abby war ein weiterer Grund für Tamys Entscheidung für Cornwall gewesen. Sie wollte sie mit der Farm nicht im Stich lassen. »Nur der Umbau des Haupthauses zur Pension liegt irgendwie brach. Da wäre ich am liebsten schon viel weiter, aber ich habe auch nur zwei Hände, und die Tatsache, dass Abby gerade viel mit ihrem Online-Studium zu tun hat, erschwert das Ganze.« Nachdem Tamy die Farm geerbt hatte, war ihr recht schnell klar geworden, dass noch viel mehr Potenzial in Hollywell Heaven und den Ziegen steckte. So war sie auf die Idee gekommen, aus dem Haupthaus eine Pension zu machen und einen behindertengerechten Anbau in Auftrag zu geben, wo sie und ihre Halbschwester Abby wohnen wollten. Abby saß seit einem Unfall als Kind mit Querschnittslähmung im Rollstuhl. Und obwohl sie recht selbstständig war, hatten sich mit Tamys Eintreffen auf der Farm einige neue Möglichkeiten ergeben. Ich freute mich, dass sie ihren Wunsch von einem Fernstudium nun so zielstrebig verfolgte.

»Und was wäre, wenn du dir Hilfe suchst?«, schlug ich vor und schnitt nachdenklich mein Würstchen klein. »Eine Art Geschäftsführer zum Beispiel, der sich um die Dinge kümmert, die du nicht schaffst?«

Meine Freundin schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, kann ich mir keinen Geschäftsführer leisten, ehe nicht die Sache mit der Pension und den geplanten Workshops angelaufen ist. Und das kann erst anlaufen, wenn das Haus renoviert ist, verstehst du? Außerdem weißt du, wie ich bin. Jemanden zu finden, der es mir zu hundert Prozent recht macht, wird schwer werden.«

Ich musste unweigerlich grinsen. Schon aus unserer Zusammenarbeit in London wusste ich, wie perfektionistisch und bestimmt Tamlyn in ihren Meinungen war. Sie war dort unter ihren Angestellten nicht umsonst mit dem Spitznamen Generalyn bezeichnet worden.

»Dann wirst du dich wohl oder übel weiterhin zweiteilen müssen.« Ich schob mir ein Stück Würstchen in den Mund und kaute.

Sie nickte. »Wohl war. Aber irgendwie bekomme ich das schon gewuppt.« Auch da war ich mir sicher. Wenn einer alles unter einen Hut bekam und aus der Farm ein florierendes Unternehmen machen würde, dann Tamy.

Seufzend griff sie zu ihrem Bier und nahm einen Schluck. »Und bei dir? Wie läuft es mit Connor? Macht er nun eine Therapie?«

Allein bei Erwähnung seines Namens blieb mir beinahe das Essen im Halse stecken. »Ehrlich gesagt …«, ich zögerte kurz, »… will er die Trennung einfach nicht akzeptieren. Ständig ruft er auf dem Handy an oder steht bei Grace und Joe vor der Tür.«

Nach der Trennung von Connor war ich vorübergehend bei unseren Freunden Grace und Joe untergekommen. Das war eben der Nachteil, wenn man zusammenwohnte und alles den Bach runterging. Einer zog den Kürzeren, und das war ich gewesen.

»Hast du denn schon ein eigenes Apartment gefunden? Wenn er nicht weiß, wo du wohnst, kann er auch nicht mehr vor der Tür stehen und dich belästigen.«

Ich seufzte auf. »Du weißt, wie schwer es ist, in London eine hübsche und bezahlbare Wohnung zu finden. Auch wenn ich nur zu gerne aus Grace’ und Joes Gästezimmer ausziehen würde. Charlotte ist nämlich ein kleiner Schreihals.« Natürlich war ich den beiden dankbar, dass sie mich aufgenommen hatten. Keine Frage. Aber gerade weil sie erst letztes Jahr Eltern geworden waren, kam ich mir in ihrer kleinen Familie ein wenig wie das fünfte Rad am Wagen vor. Und dass Connor wusste, wo sie wohnten und mit Joe zusammenarbeitete, machte es auch nicht leichter.

Tamy nickte. »Tja, das ist in der Tat vertrackt. Aber sieh es positiv. Der erste Schritt ist geschafft. Du hast dich endlich getrennt. Ich habe ehrlich gesagt nicht mehr daran geglaubt.«

Ich schwieg betreten und schob nachdenklich das restliche Würstchen auf dem Teller herum. Mein Leben war tatsächlich nicht mehr das, was es mal war. Noch im letzten Jahr hatte ich gedacht, Connor und ich würden irgendwann selbst heiraten und Nachwuchs bekommen. Wir hatten sogar gemeinsam ein Haus in Notting Hill in der Nähe von Grace und Joe gemietet und waren noch kurz vor der Trennung umgezogen. Aber das gemeinsame Leben, von dem ich geträumt hatte, war gegen zwei Dinge nicht angekommen: Connors Alkoholabhängigkeit – und seine körperliche Übergriffigkeit, wenn er mal wieder zu viel intus hatte. Ich hatte lange durchgehalten, bis es mir am Ende unmöglich geworden war, weiter mit ihm zusammenzubleiben. Jahrelang hatte ich es ertragen und versucht, ihn dazu zu bewegen, seine Probleme mit professioneller Hilfe anzugehen. Hatte zuletzt alles probiert, damit er einen Entzug machte und sich um eine Antiaggressionstherapie bemühte. Aber vergeblich. Connor wollte keine Hilfe annehmen. Und er sah auch nicht, dass ich Hilfe brauchte. Dass ich alles nicht mehr hinnehmen konnte und wollte.

Schließlich hatte ich mir eingestehen müssen, dass ich machtlos war. In den Augen meiner Freunde natürlich viel zu spät – was sicher auch stimmte. Aber es hatte auch bei mir gedauert, bis ich es geschafft hatte, es als das zu benennen, was es war: eine toxische Beziehung. Und meine Versuche, es irgendwie besser zu machen, war ein ewiger Kreislauf von Co-Abhängigkeit gewesen. Selbst jetzt noch hinterließ dieses Eingeständnis einen bitteren Geschmack für mich. So viele verlorene Jahre.

Und dennoch hatte Tamy recht. Der erste Schritt war geschafft. Ich hatte losgelassen und meine Sachen gepackt. Nun musste mein Leben weitergehen, wenn auch anders als gedacht. Aber konnte nicht auch Tamy ein Lied davon singen? Schließlich hatte sie ihr schickes Großstadtleben gegen Landluft und Ziegenstall eingetauscht.

Ich legte seufzend das Besteck beiseite, weil mir über die Gedanken der Appetit vergangen war. Im selben Moment warf Tamy mir einen nachdenklichen Blick zu.

»Jetzt mal eine blöde Frage. Aber was wäre denn mit dir?«

Ich stutzte. »Ähm … du meinst, ich soll auch eine Therapie machen?«

Sie runzelte die Stirn. Dieses Gesicht kannte ich. So sah Tamy immer aus, wenn sie über etwas brütete.

»Quatsch, ich meine, du hier auf Hollywell Heaven.«

Erstaunt rutschten meine Augenbrauen nach oben. »Ähm … wie bitte?«

Sie nickte wild mit dem Kopf. »Ja, genau. Damit wären schon mal zwei deiner Probleme gelöst. Die Wohnsituation – du kannst später mit im Anbau wohnen, der ist groß genug für uns drei. Und Connor weiß nicht, wo du bist, und kann folglich nicht mehr vor der Tür stehen. Aus den Augen, aus dem Sinn, lässt ihn vielleicht auch endlich vergessen.« Tamy sah mich ernst an.

»Aber was ist mit Grace und Joe? Und mit meinem Job? Ich kann doch nicht ständig von London nach Cornwall und zurück fahren. Immerhin sind das rund 450 Kilometer.«

Tamy schnaubte. »Also bitte. Grace und Joe kommen schon allein klar. Und deinen Job sollst du natürlich kündigen. Ich würde dich stattdessen als persönliche Assistentin einstellen. Wie in alten Zeiten.« Jetzt zwinkerte sie. Sie schien immer mehr Gefallen an ihrer Idee zu finden.

Doch in meinem Kopf rotierten die Gedanken los. »Aber hast du nicht vorhin gesagt, du kannst dir keinen Geschäftsführer leisten?«

»Einen Geschäftsführer oder Manager nicht, die sind viel zu teuer, aber eine Mitarbeiterin schon. Und bei dir weiß ich genau, wie du arbeitest und was du alles stemmen kannst. Schließlich warst du schon jahrelang bei wephone an meiner Seite.« Ihre Wangen begannen zu glühen und ihre Augen zu leuchten. »Außerdem würden wir zügiger die ersten Seminare anbieten können, womit der Rubel rollt. Also, was ist? Kannst du dir vielleicht vorstellen, mich hier zu unterstützen?«

Mein Herz schlug schneller. Das würde bedeuten, London vollständig den Rücken zu kehren. Wollte ich das? Die Großstadt gegen das schnöde Landleben eintauschen?

Vor meinem inneren Auge tauchte plötzlich die Bucht auf. Der Anblick des Meeres und der Felsen im Wasser. Hatte ich nicht selbst vorhin daran gedacht, wie schön es sein musste, hier zu leben?

»Ich … ähm … weiß nicht. Ich … ich kann das nicht so einfach entscheiden«, stammelte ich herum.

Tamy nickte. »Verstehe ich. Mir ging es ja letztes Jahr genauso. Alle Brücken abzureißen, ist mir auch schwergefallen. Nun bin ich hier aber echt glücklich und frag mich heute noch, was mich so lange zurückgehalten hat.« Natürlich hatte ich Tamys Verwandlung von karriereorientierter Geschäftsfrau zur Göttin in Gummistiefeln in Echtzeit mitbekommen. Aber sein Glück im Ziegenstall zu suchen, galt nicht für jeden.

Offenbar stand mir die Zerrissenheit ins Gesicht geschrieben.

»Hey, ich weiß, dass dies keine leichtfertige Entscheidung ist. Aber denk mal in Ruhe drüber nach. Ich brauche dringend Unterstützung, und du brauchst nach dem Beziehungsdrama eine neue Zukunftsperspektive. Hollywell Heaven kann sie dir allemal bieten.«

Zukunftsperspektive ... Ihre Worte hallten noch einen Moment in mir nach. Das klang bei ihr alles so einfach: Job kündigen, umziehen, dem bisherigen Leben Goodbye sagen. Sollte es das aber auch für mich sein?

»Möchtest du?« Überrascht sah ich zur Seite. Scott stand grinsend neben mir und hielt mir auffordernd mit einer Grillzange ein Stück Käse unter die Nase. Dem strengen Geruch nach zu urteilen Ziege.

»Warum nicht?«, gab ich zurück und sah zu, wie Tamys Freund mir den Grillkäse auf den Teller legte. Im gleichen Augenblick ging mir auf, dass ich mit dem Warum nicht vermutlich nicht nur das Essen gemeint hatte.

***

Es war das Gemecker der Ziegen, das mich am nächsten Morgen um fünf in der Früh weckte, obwohl ich mir keinen Wecker gestellt hatte. Gähnend stand ich auf und warf mich schnell in bequeme Klamotten, weil ich rüber in den Stall und den anderen mit den Ziegen helfen wollte. Nichts lenkte mich mehr von trüben Gedanken ab als die Arbeit auf der Farm hier. Das hatte ich schon bei meinen letzten Besuchen gemerkt. Beim Füttern konnte ich mir bei den Ziegen die Probleme vom Leib reden, beim einige Kuscheleinheiten abholen und durch das Reinrammen der Mistgabel in das vollgekackte Stroh konnte ich unterschwelligen Frust loswerden. In meinen Augen die beste Therapie, auf die ich auch heute keinesfalls verzichten wollte.

Beschwingt machte ich einen kleinen Abstecher in die Küche, um mir einen Kaffee zu holen. Am Tisch saß bereits Abby. Vor ihr ein aufgeschlagenes Buch und ein Stapel mit Karteikarten.

»O mein Gott, du bist schon auf?« Erstaunt sah sie zu mir hoch.

Ich grinste. »Eigentlich wollte ich ausschlafen, doch dann habe ich mir gedacht, mach’s wie Tamy.« Ich zwinkerte ihr belustigt zu.

»Du meinst also, schlafen kannst du noch genug, wenn du tot bist?«

Nun musste ich lachen. Das war Tamys Lieblingsmotto. Und genau deswegen war sie so erfolgreich bei wephone communications gewesen. Doch Hollywell Heaven hatte ihr gezeigt, dass es wichtigere Dinge gab als Karriere. Zum Beispiel Familie, eine Beziehung oder sich einfach mal den schönen Dingen im Leben widmen.

Ironischerweise musste ich in diesem Moment erkennen, dass wir die Positionen getauscht hatten. Noch im letzten Jahr war ich diejenige gewesen, die immer von Familie und der Zeit für wichtige Dinge gesprochen hatte. Nun war es an Tamy, dies umzusetzen, und an mir, dem abzuschwören und mich beruflich neu zu orientieren …

Vielleicht sogar hier auf der Farm? Mir kam Tamys Angebot wieder in den Sinn.

»Und du? Hast du eine Klausur vor der Brust?«

Abby seufzte auf. »Nicht nur eine, aber hey, ich habe mir das selbst ausgesucht, und nun muss ich da durch.« Sie hatte sich nach dem Tod ihres Vaters zunächst der Führung der Farm geopfert. Bis Tamy gekommen war. Da hatte sie es gewagt, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben, und mit ihrem Psychologie-Fernstudium begonnen.

»Macht es denn wenigstens Spaß?«

»Natürlich, würde ich mich umsonst morgens um kurz nach fünf schon quälen, um Lernkärtchen zu erstellen?«

»Nun hör aber auf, dein Biorhythmus hat dich doch bestimmt schon um kurz vor vier aufwachen und nach dem Buch greifen lassen.«

Abby grinste. »Tja, das ist das Leid eines Farmers. Der frühe Bauer hat die zufriedensten Tiere.« Ihr Satz erinnerte mich daran, dass ich ja eigentlich auf dem Weg zum Stall war. Somit nahm ich mir einen Thermobecher aus dem Schrank, füllte ihn mit Kaffee und drehte mich zu Abby um.

»Apropos Ziegenbauer, ich gehe dann jetzt mal rüber helfen.«

»Mach das, und sag Tamy, wenn es bei Flöckchen so weit ist, soll sie mich anrufen.«

Nun stutzte ich. »Was heißt denn so weit?«

»Wenn sie wirft beziehungsweise ihr Junges gebärt.«

»Oh«, entschlüpfte es mir überrascht. Ich hatte nicht gewusst, dass Flöckchen tragend war, aber nun gut. Bei unseren Anrufen gab Tamy mir jetzt auch nicht immer den genauen Stand zu jeder Ziege durch. »Alles klar, dann bis später.«

***

»Und? Hab ich recht?« Tamy wippte unruhig von einem Fuß auf den anderen. Ich stand neben ihr und betrachtete die Ziege in der Box. Sie war kugelrund, jetzt wusste ich ja auch, warum.

Scott nickte. »Hast du. Sie beleckt sich ständig am Euter und an der Schwanzgegend und meckert. Das kann nicht mehr lange dauern. Bis heute Mittag ist das Kitz da.«

Mein Herz schlug schneller. Also würde ich vermutlich eine Ziegengeburt miterleben können? Wahnsinn!

»Kann ich vielleicht etwas tun?«, wandte ich mich aufgeregt an Tamys Freund. »Heißes Wasser oder Handtücher oder so holen?«

Nun grinste der Tierarzt mich an. »Du bist ja lustig, nein, keine Sorge, Flöckchen schafft das schon ganz allein. Wie immer.«

Mein Blick flog zurück zu der Ziege, die im Stroh lag und leise meckerte. Ich wusste aus meinen letzten Besuchen, dass sie Sir Pommeroys Weibchen war. Er deckte nur sie, was recht merkwürdig schien. Normalerweise waren Geißböcke nämlich nicht monogam. Er scheinbar schon.

Aber Sir Pommeroy war auch kein Geißbock, den man mit anderen vergleichen durfte. Er war nicht nur der Chef der Herde, sondern auch ein recht eigenwilliger Charakter. Hier in der Gegend war er sogar als Wach- und Wehrbock berüchtigt. Kein Wilddieb oder streunender Hund hatte eine Chance, wenn Sir Pommeroy in der Nähe war. Laut Logan, der schon seit Jahren alles auf dem Hof regelte, hatte er sogar mehr als einmal seine Herde vor Angriffen beschützt. Dazu war der Bock hochintelligent und schien jedes Wort zu verstehen. Manchmal, wenn ich ihm bei meinen Besuchen hier mein Leid geklagt hatte, hatte er zu mir hochgeblickt und geschnaubt. So, als wolle er sagen: Ernsthaft? Das glaube ich jetzt nicht.

Apropos … »Wo ist Sir Pommeroy überhaupt?«

»Draußen auf der Weide mit den anderen«, sagte Logan, der gerade mit einem Ballen Stroh kam und in Flöckchens Box ging, wo er sie großzügig einstreute. Flöckchen ließ sich von ihm nicht beirren. Sie blieb in der Ecke liegen und begann zu hecheln.

»Sollte er bei der Geburt seines Nachwuchses nicht dabei sein?«, insistierte ich.

Tamy schüttelte vehement den Kopf. »Besser nicht, die frischgebackenen Mamis werden gern mal aggressiv gegenüber den Herdenmitgliedern. Aus Angst, dass ihrem Nachwuchs was passiert.« Das verstand ich natürlich, auch wenn ich glaubte, dass Flöckchen dem mächtigen Sir Pommeroy nichts anhaben konnte.

Als Logan aus der Box kam und die Tür schloss, sah ich plötzlich aus Flöckchens Hinterteil etwas kommen, ziemlich glibberig.

»Ähm … Leute. Muss Flöckchen etwa mal?«

Tamys Blick schoss in Richtung Ziege. »Oha, verdammt, es geht los«, rief sie und griff in ihre Hosentasche, um ihr Handy hervorzuholen.

»Beeil dich, es ist so weit«, gab sie Abby durch, dann drückte sie das Gespräch weg und sah über die Boxentür zu Flöckchen.

Scott warf einen prüfenden Blick hinein. »Himmel, das ist jetzt aber unerwartet. Ich hätte erst in ein paar Stunden damit gerechnet.«

Kurz darauf kam Abby in den Stall gerollt. So hielten wir fünf vor Flöckchens Box Maulaffen feil und sahen ihr bei der Geburt zu. Der Glibber, der sich als Fruchtblase mit Fötus entpuppte, wurde von Minuten zu Minute größer, bis es irgendwann einfach herausflutschte. Darin waren die Umrisse des Kitzes zu sehen, das sich in Embryonalstellung zusammengerollt hatte.

»Sollte die Fruchtblase nicht eigentlich offen sein?«, bemerkte ich. Scott nickte und öffnete bereits die Boxentür. »Allerdings, deswegen mache ich sie schnell auf, bevor das Kitz erstickt.«

Er hockte sich auf den Boden und zerriss mit den Fingern die dünne Fruchtblase, deren Flüssigkeit sich ins Stroh ergoss. Dann griff er eine Handvoll Stroh und rieb das glibberige Kitz trocken, dass nun hin und wieder den Kopf schüttelte. Flöckchen stand auf und besah sich ihr Kitz.

»Es ist vollkommen braun«, flüsterte Tamy ihrer Schwester zu.

»Bis auf den weißen Fleck um das Auge. Ob das eine Auge blau und das andere womöglich braun ist?«, gab Abby flüsternd zurück.

Wir bewunderten nun minutenlang fasziniert den neuen Erdenbewohner, der ein wenig herumzappelte. Es schien, als wolle das Kitz aufstehen, war aber viel zu schwach dafür. So etwas hatte ich tatsächlich noch nie in echt gesehen. London für ein Wochenende den Rücken zu kehren, hatte sich definitiv gelohnt. Mein Herz summte vor Freude. Unvermittelt legte Flöckchen sich wenige Minuten später wieder hin und meckerte.

Derweil räusperte sich Logan. »Leute, ich will ja nichts sagen, aber das sieht nicht wie eine Nachgeburt aus.« Mein Blick huschte zum Hinterteil der Ziege, aus der sich nun eine zweite Blase stülpte. Dieses Mal viel heller, fast weiß.

Scott sah zu Flöckchen und hielt mit dem Abrubbeln des Zickleins inne. »Okay, das sind dann wohl zwei Lämmer.«

»O mein Gott«, jubelte Tamy los. »Zwillinge!«

Nun stutzte ich. »Ist das eher selten?«

Abby lächelte breit. »Eigentlich nicht. Aber für Flöckchen schon. Meist kriegt sie nur eines. Allerdings habe ich mich schon gewundert, weil sie dicker war als sonst.«

Ich ließ dies unkommentiert, da ich wie gebannt zusah, wie erst der Kopf hervorkam und dann der Rest des Körpers folgte. Das Zicklein war reinweiß. Weiß hat in der Psychologie die Bedeutung des Neuanfangs, des Friedens und der Unschuld. Und was war wohl bitte unschuldiger als ein frischgeborenes Kitz?

Seufzend sah ich Scott dabei zu, wie er auch das zweite Zicklein mit Stroh abrubbelte. Das alles hier war so schön und friedlich. Ganz anders als die letzten Jahre meines Lebens, wo Stress, Streit und Übergriffe dominiert hatten. Vielleicht hatte Tamy recht. Ich brauchte eine neue Perspektive, und vielleicht würde ich sie hier in Cornwall finden können.

Kapitel 2John – Vertrau auf dein Schicksal

»Dad? Komm schon, steh endlich auf.« Die Worte meiner Tochter drangen vorwitzig in meinen Schlaf und ließen mich aus den Tiefen meiner Träume emporsteigen. Gequält öffnete ich die Augen. Dabei warf ich schnell einen Blick auf den Wecker. Kurz vor halb sechs. Ach nö!

»Herrgott Elisa, es ist noch mitten in der Nacht«, empörte ich mich und kniff die Augen wieder zu.

»Nicht für die Ziegen. Also komm schon, Dad. Steh auf. Du hast mir gestern versprochen, mich zur Farm zu fahren.«

Klar hatte ich das. Aber von halb sechs war nicht die Rede gewesen. »Noch zehn Minuten, okay?«

»Aber du weißt doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.« Dabei zog sie mir die Decke weg.

Ich schnaubte und rollte mich einfach ohne Decke zusammen. »Der frühe Vogel kann mich mal.«

Ich hörte meine Tochter genervt aufseufzen. »Bitte, Dad, Scott hat mir gesagt, dass bald das Kitz kommt. Also will ich so früh wie möglich da sein. Vielleicht habe ich Glück und kann dabei zusehen.«

»Was denn für ein Kitz?«, murmelte ich ins Kopfkissen.

»Von Flöckchen. Hab ich dir aber alles gestern schon erzählt. Hast du mir denn gar nicht zugehört?« Ihre Stimme klang entrüstet. »Also komm, es ist schon fast halb sechs. Wir brauchen bis zur Farm 15 Minuten mit dem Auto.« Sie stupste mich am Bein an.

Ich versuchte es nun mit einer anderen Taktik und stellte mich einfach auf taub. Vielleicht ging sie dann zurück in ihr Zimmer. Aber da hatte ich falsch gedacht. Sie stieß mich an.

Und wieder.

Und wieder.

Da ich mein Kind kannte und wusste, dass sie, wenn ich nun nicht reagierte, auf mein Bett klettern und darauf herumspringen würde wie eine hungrige Katze, setzte ich mich seufzend auf.

»Herrgott, ja, ich steh ja schon auf.« In diesem Moment wünschte ich mir sehnlichst Nancy an meine Seite, die nun anstatt mir aufstehen, sich um Elisa kümmern könnte und mich noch schlafen lassen würde. Doch sie hatte sich dazu entschieden, mich mit Elisa sitzen zu lassen. Hätte mir vor elf Jahren mal jemand gesagt, dass ich irgendwann alleinerziehend sein würde, hätte ich geantwortet: Niemals! Elisa war schließlich ein Wunschkind gewesen. Aber erstens kommt es, und dann oft auch anders, als man denkt.

Gähnend schwang ich schließlich die Beine aus dem Bett. Elisa reichte mir bereits meine Jogginghose. Ich schlüpfte hinein und stand auf.

Im Bad gönnte ich mir etwas Wasser fürs verknitterte Gesicht, und anschließend trabte ich in die Diele, um mir meine Turnschuhe anziehen.

»Hier«, sagte Elisa und hielt mir plötzlich einen Thermobecher mit dampfenden Kaffee unter die Nase. Manchmal war ich fasziniert, wie erwachsen sie mit ihren elf Jahren schon war. Selbst Kaffee kochen konnte sie schon. Wann war sie eigentlich so selbstständig geworden?

»Danke, mein Schatz.« Ich nahm ihr lächelnd den Becher ab und trank einen Schluck. Er schmeckte wirklich gut und weckte die müden Lebensgeister. »Sollen wir dann?«

Meine Tochter grinste. »Klaro.« Im Gegensatz zu mir war sie total fit und absolut guter Laune. Und das völlig ohne Kaffee. Beneidenswert.

Wortlos griff ich zu meinem Schlüssel, Handy, Geldbörse, ließ alles in den Taschen meiner Jogginghose verschwinden und öffnete die Tür.

***

Nur Sekunden später waren wir auf dem Weg nach Hollywell, wo sich die Ziegenfarm von Tamy befand, auf der Elisa seit Monaten beinahe jede freie Minute verbrachte. Nicht, dass ich das schlimm fand. Im Gegenteil. Besser, meine Tochter verbrachte ihre Zeit dort, als vor Langeweile in ihrem Zimmer umzukommen oder den falschen Umgang zu pflegen. Aber um sechs in der Früh an einem Samstag?

Gähnend griff ich zu dem Thermobecher in der Halterung und trank einen weiteren Schluck. Derweil flog die weite, grüne Landschaft an uns vorbei. Die Sonne war bereits aufgegangen und ließ die Tautropfen auf dem Gras glitzern.

»Musst du eigentlich noch Hausaufgaben machen?« Manchmal vergaß Elisa über das Vergnügen auf Hollywell gern ihre Verpflichtungen, weshalb ich schon das ein oder andere Mal in der Schule zu einem Gespräch hatte antanzen müssen.

»Alles erledigt. Und die Ratten habe ich auch schon versorgt.« Meine Gedanken flogen zurück in unsere Wohnung, wo in Elisas Zimmer ein großer Käfig stand, in dem Bertie Bott und sein neuer Freund Harry wohnten. Anfangs war ich Ratten als Haustieren wie vermutlich die meisten Leute eher abweisend gegenüber eingestellt gewesen. Doch wie schon so oft hatte Elisa sich einfach über meinen Kopf hinweg erst Bertie Bott in einer Zoohandlung gekauft und dann auf Anraten Scotts noch einen Freund für ihn. Scott war Tamys Freund und der Tierarzt, den Elisa aus unerklärlichen Gründen genauso sehr in ihr Herz geschlossen hatte wie die Farm und die Ratten. Mittlerweile mochte ich die possierlichen Tiere aber auch, die nicht nur intelligent, sondern auch wirklich sehr zutraulich waren. Und da ich gelernt hatte, dass Elisa bezüglich mancher Dinge beratungsresistent war und ich gegen ihr flottes Mundwerk nur schwer ankam, weil mir oft die Argumente fehlten, hatte ich nicht geschimpft, sondern versucht, mich darüber zu freuen, dass sie sich freute. Manche würden sagen: ganz schön inkonsequent. Ich sagte: Win-win-Situation. Wenn sie nämlich bekam, was sie wollte, zeigte sie sich in der Zeit danach als wahrer Engel. Sie half im Haushalt mit, erledigte selbstständig ihre Hausaufgaben und ging sogar einkaufen.

Apropos einkaufen …

»Ich fahre nachher in den Supermarkt, brauchst du noch etwas?«

Meine Tochter runzelte die Stirn. »Kannst du mir Schokopops mitbringen? Und eine Schlangengurke, bitte.«

Nun runzelte ich die Stirn. »Seit wann magst du denn Gurken?«

Elisa schüttelte den Kopf. »Doch nicht für mich, Dad, für Bertie und Harry. Scott sagt, Ratten dürfen auch Gurke.« Jahaaa, die zwei Nager waren wirklich Gourmets. Auf ihrem Futterplan standen nicht nur Körner, hartes Brot und diverse Einrichtungsgegenstände, sondern auch besondere Dinge wie Katzenfutter und Grünzeug.

»Wird erledigt.« Während ich auf den Feldweg einbog, der zur Farm führte, setzte ich in Gedanken die zwei Dinge mit auf meine Samstags-Einkaufsliste.

»Wann soll ich dich wieder abholen?«

»Gar nicht, Dad. Ich frage einfach Scott, ob er mich heute Abend mit zurücknimmt.« Ein Positives hatte es. Wenn Elisa auf der Farm war, bedeutete es für mich, den ganzen Tag frei zu haben. Was für eine schöne Abwechslung!

»Spätestens um acht bist du aber wieder zurück. Wir wollen doch heute einen Kinoabend machen.«

»Klar, Dad, das habe ich nicht vergessen. Denkst du beim Einkaufen dann auch an das Popcorn?«

»Natürlich, und auch an die obligatorische Cola.«

Ich reduzierte die Geschwindigkeit und hielt direkt neben Tamys SUV an. Trotz der Herrgottsfrühe war hier schon eine Menge los. Logan schleppte einen Ballen Heu in den Stall, und Tamy schob eine volle Schubkarre Richtung Misthaufen. Als sie mein Auto sah, hielt sie kurz an und winkte uns wie wild zu.

»Dann bis später, Dad. Hab dich lieb.« Elisa drückte mir schnell einen Kuss auf die Wange und sprang aus dem Auto. Ich rief ihr noch »Ich dich auch« hinterher, doch schon schlug die Beifahrertür zu. Im selben Moment sah ich, wie eine junge Frau, die mir völlig unbekannt war, aus dem Haupthaus kam und Richtung Stall lief. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem Knoten hochgedreht, während ihre langen Beine in engen Jeans steckten. Ich kam nicht umhin zu bemerken, wie die Jeans ihre Kurven hervorbrachte. Und ihr enger Pullover, der nichts der Fantasie überließ, bescherte mir einige sehr eindeutige Gedanken. Und das schon um sechs in der Früh.

Ich sah, wie die Frau Elisa zulächelte, Tamy ihr etwas sagte und alle drei schnellen Schrittes im Stall verschwanden. Mein Blick folgte ihnen, bis sie nicht mehr zu sehen war. Verblüfft blieb ich noch eine Weile mit laufendem Motor und wild klopfendem Herzen stehen. Himmel, was war das denn? Seit wann brachte mich der Anblick einer Frau denn so aus dem Lot?

Nach Nancys Weggang hatte ich den Frauen abgeschworen. Nicht ein einziges Date hatte ich seitdem gehabt. Zum einen, weil der Stachel der Enttäuschung noch zu tief saß, zum anderen, weil ich mich voll und ganz auf mein Kind konzentrieren wollte. Und die Angst, erneut so verletzt zu werden, wie Nancy es damals getan hatte, hatte sein Übriges dazu beigetragen, mich von Frauen fernzuhalten. Aber jetzt, in diesem Moment, wurde mir bewusst, dass es auch nie eine gegeben hatte, die mich genug interessiert hätte. Geschweige denn so eine Reaktion ausgelöst hätte wie die Fremde gerade.

***

Zurück zu Hause legte ich mich wieder ins Bett. Doch die Faszination mit der Frau vom Hof ließ mir keine Ruhe. Ich glitt in einen Halbschlaf hinüber, in dem sich Szenarien zusammenspannen, die seichte Züge von Fifty Shades of Grey aufwiesen. Meine Lippen, die über ihre Halsbeuge strichen, während meine Hand in ihr offenes Haar griff und ihren Kopf zurückzog …

Nach einigen wirren Traumschleifen gab ich es auf, Ruhe zu finden, und sprang aus dem Bett. Vielleicht würde mich eine kalte Dusche gefolgt von etwas Hausarbeit ablenken.

Aber nach zwei Stunden, in denen ich die gesamte Wohnung auf Hochglanz schrubbte, ging es mir trotzdem nicht besser. Immer wieder sah ich die blonde Frau vor meinem inneren Auge auftauchen. Und immer wieder spürte ich ein gewisses Kribbeln in mir aufkommen.

Nun gut. Ich war auch nur ein Mann, und das letzte Mal, dass ich mein Bett für mehr als nur schlafen genutzt hatte, war schon Jahre her. Also was erwartete ich? Natürlich lechzte mein Körper nach weiblicher Zuneigung und nutzte jeglichen Anreiz, um mir zu zeigen, dass er trotzdem noch funktionierte. Aber wollte ich das?

Nein. Ich wollte mich nicht schon wieder angreifbar machen oder Elisa eine andere Frau in meinem Leben zumuten. Ich fand, meine Kleine hatte noch genug mit dem Verlust zu kämpfen. Und das tat mir leid. Kein Kind hatte es doch verdient, von der eigenen Mutter zurückgewiesen zu werden. Also was, wenn ich eine Beziehung einging, die nicht allzu lange hielt? Dann riskierte ich doch eine weitere Verletzung der Seele meiner Tochter. Und für was Unverbindliches war ich einfach nicht gemacht. Viel zu unpersönlich und abgeschmackt. Demnach war dies auch keine Option. Also blieb nur eines – weiterhin Single-Dad zu bleiben.

Da meine Wohnung mittlerweile auf Hochglanz poliert war und meine Gedanken trotzdem keine Ruhe fanden, tat ich etwas, das ich sonst nie tat. Ich zog mich an und fuhr Richtung Perranporth an den Strand, um ein paar Meter zu laufen. Die frische Meeresluft würde meinen Kopf sicher gut durchlüften und alle Bilder hinausblasen.

***

Vom Parkplatz aus ging ich durch den Dünenweg runter zum Strand und von dort aus rechts entlang Richtung Perrenporth City. Ich hatte mir die Schuhe ausgezogen und die Hose hochgekrempelt, um durchs Wasser zu waten. Heute schien das Meer recht ruhig, nur kleine Wellen schwappten über meine Füße. Wieder einmal wurde mir klar, wie gern ich an der Küste lebte. Ich war schon hier geboren und aufgewachsen und wollte das alles nicht missen. Nicht, dass ich die Großstadt nicht kannte. Schon allein aus beruflichen Gründen hatte ich hin und wieder für das Autohaus, in dem ich als Verkäufer tätig war, nach London reisen müssen, doch jedes Mal, wenn ich wieder zurückkam, war ich immens erleichtert. London war mir viel zu laut, zu voll und manchmal sogar zu dreckig. Somit war ich ein klassischer Verfechter der ländlichen Idylle.

Schritt für Schritt watete ich durch die Brandung, in der Hoffnung, meine Gedanken in eine andere Richtung lenken zu können. Auf der grünen Anhöhe am Ende der Bucht sah ich bereits die steinernen Säulen der Sonnenuhr, die in die Höhe ragten. Manchmal sah man Möwen oder andere Vögel darauf sitzen. In einiger Entfernung jagte ein Hund den Strand entlang. Ich lief weiter und ließ die Uhr rechts von mir liegen. Doch wenn ich gedacht hatte, dass der Strandspaziergang mich von meinen rotierenden Gedanken ablenken würde, so hatte ich falsch gedacht. Zum einen, weil ich mir plötzlich vorstellte, mit der fremden Frau hier Hand in Hand entlangzulaufen. Zum anderen, weil der Anblick von The Watering Hole, einer kleinen Strandbude in einiger Entfernung, mich an vergangene Zeiten erinnerte. Hier waren Nancy und ich während der Schwangerschaft oft eingekehrt, um ihren Heißhunger auf Süßes bei einem Sonnenuntergang zu stillen. Wir zwei hatten draußen auf der Terrasse gesessen, uns ein Stück Kuchen geteilt und uns ausgemalt, wie unser Kind wohl sein würde. Ob braunhaarig, so wie ich oder eher dunkelblond wie Nancy. Hatten uns überlegt, ob wir unser Apartment in Cubert aufgeben und stattdessen ein kleines Häuschen kaufen sollten. Ja, während der Schwangerschaft waren wir wirklich glücklich gewesen. Also, was war passiert?

In diesem Moment, wo ich mich und Nancy in Gedanken dort in der Strandbar am Tisch sitzen sah, überfiel mich die Traurigkeit wie ein gemeiner Dieb. Ich hatte Nancy geliebt. Sehr sogar. Und das Kind hatte mein Glück vervollständigt. Leider war das Glück wie eine Seifenblase, die schneller platzte, als man es sich vorstellen konnte. Elisa war ein Schreibaby gewesen, das uns die Nächte geraubt hatte. So gut es ging, hatte ich Nancy unterstützt, doch anscheinend nicht genug. Eines Tages war sie mit Sack und Pack einfach verschwunden. Das Kind hatte sie dagelassen. Allein, bei uns in der Wohnung. Natürlich war ich aus allen Wolken gefallen, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Hatte zuerst an etwas Schlimmes gedacht und mir Sorgen gemacht. Wie lange das Baby schon allein gewesen war, konnte ich nicht sagen. Zum Glück war nichts passiert, nur Nancy war wie vom Erdboden verschluckt.

Alle Versuche, sie zu finden und den Grund für ihre Flucht in Erfahrung zu bringen, waren im Sande verlaufen. So hatte ich mich schließlich meinem Schicksal als alleinerziehender Vater ergeben und mich mit meiner Tochter zusammengerauft. Dabei hatte ich schnell festgestellt, dass Elisa wesentlich ruhiger schlief, wenn sie nachts bei mir im Bett lag und ich ihre Hand hielt. Etwas, was Nancy immer konsequent abgelehnt hatte. Auch heute noch gab es Nächte, in denen Elisa klammheimlich in mein Bett krabbelte und mit mir kuschelte. Womöglich hatte sie von Anfang an gespürt, wie wenig Liebe Nancy ihrem eigenen Kind entgegenbringen konnte. So schrecklich der Gedanke war, eine befreundete Arbeitskollegin hatte mir mal erzählt, dass es tatsächlich Frauen gab, die ihr Baby einfach nicht lieben konnten, was zum Teil an der eigenen Vergangenheit lag. Nancy war selbst von ihrer Mutter verstoßen worden. Warum, hatte sie mir nie erzählt. Nur, dass sie keinen Kontakt mehr zu ihr pflegte.

So hatte ich mich wie ein Ertrinkender an diese Erklärung geklammert und mein Leben weitergelebt. Zusammen mit Elisa. Was anderes blieb uns ja nicht übrig.

Im Nachhinein betrachtet, war ich stolz auf mich, weil ich das alles – Job, Kind, Haushalt – unter einen Hut gebracht hatte. Das hatte Elisa und mich nur noch weiter zusammengeschweißt. Auch wenn das alles nicht so gelaufen war, wie ich es mir in meinen schönsten Gedanken vom trauten Familienleben vorgestellt hatte, so würde ich es jederzeit wieder tun. Weil ich mein Kind liebte und sie für nichts in der Welt wieder missen wollte. Nicht mal morgens um halb sechs, wenn sie mich aus dem Bett nervte.

Ich holte tief Luft, warf einen letzten Blick auf die Strandbar und drehte mich wieder um, um zurückzulaufen. Was geschehen war, war geschehen. Dass ich mich aber deshalb von Frauen abgewandt und mich ganz in die Vaterrolle zurückgezogen hatte, war nun vielleicht verständlich. Aber war es endlich an der Zeit, auch unter diesen Aspekt einen Strich zu setzen und mein eigenes Glück zu suchen? Elisa wurde zunehmend selbstständiger. In ein paar Jahren wäre sie aus dem Haus, um zu studieren oder eine Ausbildung zu machen. Wollte ich dann weiterhin alleine sein? Deshalb stellte sich mir gerade die Frage, ob mein Körper mir vielleicht etwas sagen wollte. Dennoch gab es in meinem Inneren eine leise Stimme, die mir immer und immer wieder zuflüsterte: Willst du das Risiko wirklich eingehen?

Zurück am Auto hatte ich meine Gedanken so weit sortiert. Wenn das Schicksal es wollte, dass ich mich endlich wieder in die weite Welt des Datings hinauswage, würde es mir ein Zeichen geben. Darauf vertraute ich.

Kapitel 3Ava – Für immer

Auf dem Weg zurück nach London hatte ich genug Zeit, mir Tamys Angebot noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Was spräche denn dagegen, meinen Job zu kündigen und nach Cornwall zu ziehen? Eigentlich nichts!

Wie Tamy schon sagte, Grace und Joe kämen auch wunderbar ohne mich zurecht. Geschwister hatte ich nicht, und mein Vater hatte nach dem Tod meiner Mutter ohnehin kaum Interesse an mir gezeigt, was meiner Beziehung zu ihm nicht wirklich zuträglich war. Meist trafen wir uns ein- oder zweimal im Jahr, um uns auszutauschen, und das war’s. Und das könnte ich auch locker mit einem Besuch in London verbinden.

Mein Job bei wephone communications erfüllte mich seit Tamys Weggang ohnehin nicht mehr so wie früher, und seit wephone mit bettertalk fusioniert hatte, waren dermaßen viele Veränderungen gekommen, dass ich schon des Öfteren mal über eine neue Perspektive nachgedacht hatte.

Und zu guter Letzt – Connor. Der einzige Grund, der mich noch in London gehalten hätte, war er. Aber jetzt, wo es zwischen uns endgültig vorbei war und sich seine Aufdringlichkeit langsam zum Problem entwickelte, sah ich darin einen weiteren Hinweis, mein Leben in London aufzugeben. Das Thema Familie hatte ich längst abgeschrieben. Warum also nicht in Cornwall neu starten und mich statt auf Kinder eher auf einen neuen beruflichen Horizont fokussieren?

Als ich von der Autobahn abfuhr und das Häuschen in Notting Hill ansteuerte, wo Grace und Joe wohnten, wusste ich, dass meine Entscheidung tatsächlich gefallen war. Für Cornwall.

***

Natürlich musste ich diese Entscheidung zuallererst Grace und Joe mitteilen, was mir ein wenig Magendrücken verursachte. Doch als ich durch die Tür kam und Charlotte mal wieder aus vollem Halse schrie, fiel es mir plötzlich gar nicht mehr so schwer.

»Ich muss dir was sagen«, begann ich, nachdem ich mich zu Grace auf die Couch gesetzt hatte. Sie stillte gerade das Baby und hob fragend den Kopf.

»Das klingt ernst.«

Ich sah mich kurz um. Jemand fehlte.

»Wo ist Joe?«

»Er hat sich hingelegt. Kopfweh.« Das hatte er seit der Geburt öfter.

»Er sollte sich endlich mal durchchecken lassen. Normal ist das nicht«, insistierte ich kopfschüttelnd.

»Hab ich ihm auch schon gesagt, aber er glaubt, das liegt alles nur an dem Stress und dem Schlafentzug.« Sicher eine mögliche Erklärung, aber Vorsicht war doch besser als Nachsicht.

»Trotzdem, einen Check-up sollte er machen lassen. Vielleicht hat er Probleme mit der Halswirbelsäule oder so. Immerhin ist er auch nicht mehr der Jüngste.«

Grace strich dem Baby liebevoll übers Köpfchen. »Du hast recht, aber jetzt erzähl mal, was wolltest du mir sagen?«

Für einen Moment hielt ich inne und ging gedanklich noch mal alles durch. Doch je länger ich darüber sinnierte, desto fester wurde mein Entschluss.

»Ich werde nach Cornwall zu Tamy ziehen.«

Grace’ Kopf ruckte hoch, und sie sah mich mit großen Augen an. »Bitte was? Einfach so? Wann ist dir der Gedanke denn gekommen?«

Bevor ich zur Erklärung ansetzte, atmete ich einmal tief durch. Auch für mich würde es einen dramatischen Einschnitt bedeuten. Aber mich hielt hier einfach nichts mehr. So begann ich, ihr leise zu erklären, was ich mit Tamy am Wochenende besprochen hatte und was mir selbst so durch den Kopf gegangen war. Meine Freundin schwieg und hörte mir zu, während das Baby an ihrer Brust nuckelte. Ob ich mich in so einer Situation konzentrieren könnte, wusste ich nicht. Aber gut, man wuchs an seinen Herausforderungen.

»Das hört sich aber schon sehr konkret an«, war ihre Antwort auf meine Eröffnung.

Ich nickte zustimmend. »Ist es auch. Ich brauche dringend einen Neustart.« Das leise Aufseufzen war eindeutig. Grace war traurig.

»Natürlich werde ich dich vermissen, aber ich kann dich auch verstehen. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich auch, dass du das alles endlich hinter dir lassen solltest. Also nutz die Chance, wenn du kannst.«

Trotz ihrer gefassten Reaktion sah ich Tränen in ihren Augen schimmern. Ich robbte näher an sie heran und legte ihr meinen Arm um die Schulter. Mein Blick fiel dabei auf Charlotte, die dem entspannten Gesichtsausdruck nach zu urteilen kurz vor dem Eindösen war.

»Hey, ich bin doch nicht aus der Welt. Wir halten weiterhin Kontakt, und ihr drei werdet in Zukunft euren Urlaub einfach bei uns mit den Ziegen verbringen. Ich habe mir sagen lassen, dass Kinder total auf Bauernhöfe abfahren«, versuchte ich mich in einer Beschwichtigung.

»Selbstverständlich bist du nicht aus der Welt. Genau wie Tamy, aber mit dir sind nun beide meine besten Freundinnen nicht mehr in meiner direkten Nähe.« Das Zittern in ihrer Stimme deutete echte Betroffenheit an.

»Weiß ich doch, aber du wirst mit dem Baby bestimmt auch neue Mädels kennenlernen, mit denen du dich austauschen kannst. Vor allem über diesen ganzen Babykram.«

Meine Freundin schnaubte auf. »Ein schwacher Trost, meinst du nicht auch?« Sicherlich, aber Grace war recht kontaktfreudig und offen, weshalb ich mir sicher war, dass sie nach der ersten Stunde in einem Schwimmkurs oder der obligatorischen Krabbelgruppe mit mindestens drei neuen Freundinnen aufwarten konnte, die noch dazu ihre Bedürfnisse und Probleme viel besser verstanden als wir, die Kinderlosen aus den wilden, alten Zeiten.

Für einen Moment schwiegen wir. Dann fiel mir etwas ein. Ich stand auf und lief in die Diele, wo meine Reisetasche stand. Mit einem kleinen Jutebeutel, auf dem das neue Logo von Hollywell Heaven zu sehen war, ein schemenhafter Ziegenkopf mit geschwungener Schrift um selbigen rundherum, ging ich zurück. Das Logo war Tamys Kopf entsprungen.

»Hier, das soll ich dir von Abby geben. Mit besten Grüßen und Wünschen für den kleinen Schreihals.« Ich setzte mich wieder neben sie und packte die Tasche aus. Darin war ein Töpfchen Ziegenbutter, zwei Knäuel Mohairwolle und ein Stückchen selbst hergestellte Ziegenmilchseife. Eine Idee von Abby, die gerne die Produktpalette erweitern wollte.

»Seife?« Grace hob erstaunt die Augenbrauen. »Was kann die?«

»Abby sagt, sie reinigt sehr gut und ist dank des hohen Fettanteils der Ziegenmilch schonend für die Haut. Du sollst sie mal ausprobieren. Sie meint, sie sei besser als jedes sensitive Babyduschgel, weil sie ohne die ganzen chemischen Zusätze auskommt.«

Grace griff zu dem kleinen, unförmigen Klotz, der in Pergamentpapier gewickelt war. Vielleicht sah die Seife aufgrund ihrer Form noch nicht schön aus, aber es war ja auch Abbys erster Versuch. Grace wickelte sie aus und roch daran.

»Hm, also, wenn ich Kunde wäre, würde ich die so nicht kaufen. Sie müffelt ein wenig streng, und schön ist auch anders.« Nachdenklich drehte sie den Klotz in ihrer Hand herum. »Aber mit ein paar Kräutern oder Blumen darin, zum Beispiel Ringelblume oder Rose, sähe das bestimmt schon etwas hübscher aus.« Sie roch ein weiteres Mal daran. »Und vielleicht kann man etwas Natürliches hinzufügen, das den Geruch etwas überdeckt. Zum Beispiel Arganöl oder Mandelöl.«

Wie ich so dasaß und meiner Freundin bei der Produktbegutachtung zusah, musste ich schwer schlucken. Ich würde Grace wirklich vermissen. Und Joe. Bei Charlotte war ich mir nicht sicher. Sie war zwar extrem niedlich, konnte aber auch ganz schön anstrengend sein.

Damit ich nicht vor meiner Freundin in Tränen ausbrach, drängte ich meine Gefühle vehement zurück und lächelte gequält. »Hab mir schon gedacht, dass das was für dich kleine Biotante ist.« Grace war schon immer Fan von natürlich hergestellten Produkten. Ebenso, wie sie eine begnadete Strick- und Häkelmeisterin war. Tamy hatte Grace liebevoll den Spitznamen Dinkel-Dörte verpasst.

Und jetzt, wo Charlotte da war, frönte sie ihrer Leidenschaft noch mehr. Vor allem aus Angst, ihrem Kind durch unnötige Chemie zu schaden, und dem Vorhaben, das Baby schön warm zu halten – obwohl wir Frühling hatten und es temperaturtechnisch gesehen sehr mild war.

»Vielleicht probierst du die erst mal aus und rufst Abby dann an. Ich bin sicher, für Verbesserungsvorschläge ist sie dir dankbar.«

Grace nickte und legte den Seifenklotz auf den Couchtisch. »Ich sehe schon, ich muss euch öfter besuchen kommen. Habt ihr schon einen Biobeauftragten in eurem Unternehmen?« Sie grinste.

Nun musste ich auch schmunzeln. »Hey, ich bin noch gar nicht offiziell eingestellt, aber ich bin mir sicher, wenn Tamy jemanden für den Job will, dann dich. Und das kannst du doch gut von hier aus und nebenbei machen, oder?« Amüsiert zwinkerte ich ihr zu.

Das Baby ließ die Brustwarze mit einem Schmatzgeräusch los und ging beinahe zeitgleich in leises Schnarchen über. Auch wenn Grace meine Freundin war und ich sie schon oft oben ohne am Strand bei einer unserer zahlreichen Urlaube gesehen hatte, sah ich verlegen weg. Erst als sie ihre Brust verhüllt hatte, aufgestanden war und Charlotte zurück in die Trage gelegt hatte, suchte ich erneut den Blickkontakt.

Sie seufzte auf. »Wann genau ziehst du um?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich denke, zum nächsten ersten. Meine Kündigungsfrist beträgt vier Wochen, und ich habe ja noch Resturlaub. Wenn ich jetzt kündige, kann ich Mitte nächsten Monats die Firma verlassen. Den Urlaub werde ich dann einfach für meinen Umzug nutzen. Viele Sachen habe ich ja nicht mehr.« In einer Nacht-und-Nebelaktion, als Connor mal wieder auf Kneipentour war, hatte ich meine persönlichen Dinge zusammengepackt. Joe war gekommen, um mir zu helfen. Letztlich waren es rund sieben Umzugskartons, eine Reisetasche und mein Laptop gewesen. Alles andere wie Möbel oder Haushaltsgegenstände hatte ich Connor überlassen. Ich wollte nur noch raus aus der Beziehung. Scheiß auf Töpfe oder Bettwäsche. Also wäre ein Umzug nach Cornwall ein Klacks. Manchmal muss man nur das Positive an Situationen sehen.

Grace kam zurück zur Couch. Doch anstatt, dass sie sich neben mir in die Polster fallen ließ, beugte sie sich hinab und nahm mich in den Arm. »Versprich mir, dass das nicht das Ende unserer Freundschaft bedeutet.«

Nun brachte mich das schlechte Gewissen wieder ins Wanken. Sollte ich tatsächlich alle Zelte abbrechen? War das wirklich die richtige Entscheidung? Aber in dem Augenblick, als Charlotte laut losbrüllte und Grace genervt aufstöhnte, wusste ich, ich musste hier raus. Raus bei Grace und Joe, raus aus London, raus aus meinem alten Leben. Denn egal, wie sehr ich meine Freunde auch vermissen würde, ich hatte zu viele schlechte Erinnerungen an mein Leben hier, die ich endlich vergessen musste. Und was war da besser als die grüne Landschaft von Cornwall, das blaue Meer, der weitläufige Sandstrand oder die niedlichen Ziegen von Hollywell Heaven?

***

Tags darauf war ich früher auf der Arbeit als sonst, um zuerst meine Kündigung zu schreiben und auszudrucken. Als das Blatt vor mir lag und ich nur noch unterschreiben musste, spürte ich dennoch einen Kloß im Hals.

Als hätte Tamy meine Zweifel über die Kilometer hinweg gespürt, vibrierte mein Telefon. Sie hatte mir gerade eine Mail mit dem Arbeitsvertrag im Anhang geschickt. Mit ein paar wenigen Klicks druckte ich ihn ebenfalls aus und las ihn flüchtig durch. Das also war nun meine Zukunft.

»Guten Morgen«, ertönte es und ein Schatten verdunkelte die Papiere in meiner Hand. Mein Blick flog hoch. Vor mir stand Norris, der nach Tamys Kündigung ihren Job übernommen hatte. »Bist du so früh hier, um mal wieder in Ruhe Schuhe zu shoppen, oder arbeitest du tatsächlich?« Allein dieser klischeehafte Spruch von ihm reichte aus, um meine Zweifel über meine Kündigung mit einem Wisch vom Tisch zu fegen. Ich griff wortlos zu einem Stift, unterschrieb das Kündigungsschreiben und hielt es ihm demonstrativ hin.

»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen. Mit meinem Resturlaub wäre ich dann offiziell zum 14. Mai weg.«

Er nahm stirnrunzelnd das Papier an sich und las, was darauf geschrieben stand. Dann lächelte er süffisant und nickte. »Alles klar, ich bespreche das nachher mit Chesterton und bestätige es dir.« Er drehte sich um und ging in sein Büro. Allein die Tatsache, dass er meine Kündigung völlig unkommentiert ließ, zeigte mir, wie sehr es in der Tat Zeit für was Neues war. Schon länger fühlte ich mich hier nicht mehr wohl. War genervt von der ewigen Routine und dem hinterlistigen Geschäftsgebaren meines direkten Vorgesetzten.