Hollywood Ladies - Lena Troll - E-Book

Hollywood Ladies E-Book

Lena Troll

4,0

Beschreibung

Die Freundinnen Florentine und Pia fahren nach Schweden, um Flos Ex-Freund das Geld abzuknöpfen, das er ihr schuldet. Doch ihr Plan geht ziemlich daneben, denn Lars scheint spurlos verschwunden zu sein. Natürlich lassen sich die beiden nicht unterkriegen. Genauso wenig Florentines Mutter Sylvia, die ihren geplanten Korsika-Urlaub kurzerhand in die Stockholmer Schären verlegt. Engagiert greift sie den beiden unter die Arme, um den Verbrecher zu schnappen. Die Hollywood Ladies ermitteln weiter.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

1

Florentine

»MIR IST SCHLECHT!« FLORENTINE saß in der kleinen Zweibett-Schiffskabine auf dem Bett und massierte ihren Bauch mit beiden Händen. »Warum sind wir nicht über die Öresundbrücke gefahren? So eine schöne Brücke! Kopenhagen – Malmö, gerade und topfeben.« Sie schluckte und stöhnte auf.

Das Schiff schaukelte immer stärker.

Pia, Florentines Freundin, hatte es sich auf dem Bett an der gegenüberliegenden Seite der Kabine bequem gemacht. Die langen Beine hatte sie ausgestreckt und sich das Kopfkissen unter den Rücken geschoben. »Weil es mit der Fähre schneller geht«, sagte sie zu Flo gewandt. »Du willst dir doch von deinem Ex-Lover Lars so schnell wie möglich das Geld wiederholen, das er dir nicht zurückgezahlt hat.« Pia langte nach ihrer Handtasche auf der Ablage am Bullauge, nestelte darin und murmelte etwas vor sich hin.

Florentine schaute zu ihren Füßen hinunter. Eddie, ihr kleiner Mischlingshund, lag wie eine Kugel eingerollt auf dem Kajütenboden und schnarchte leise vor sich hin. Ihm schien das schreckliche Geschaukel der Stena Scandinavica nichts auszumachen.

»Wusste ich es doch!« Triumphierend hob Pia eine Pillenpackung in die Höhe. Sie schaute auf das Ablaufdatum. »Oh, nicht mehr ganz aktuell. Aber das macht sicher nichts.« Sie drückte eine der Tabletten aus dem Pillenheftchen und hielt sie Florentine unter die Nase.

Diese zögerte.

»Jetzt nimm schon. Die habe ich mal für die Zwillinge gekauft, als wir vor Jahren mit ihnen am Gardasee waren. Leon wird es sogar in einem Ruderboot schlecht. Die Tabletten sind für Kinder. Die kannst du auch nehmen.«

Flo zögerte, nahm dann aber die kleine Tablette, schluckte sie hinunter und trank aus ihrer Wasserflasche. »Wie lange dauert es, bis sie wirkt?«, flüsterte sie. Wenn das Schaukeln nicht aufhörte, würde sie die ganze Nacht kein Auge zutun. Bis morgen früh gegen neun Uhr sollte die Überfahrt von Kiel nach Göteborg dauern. Jetzt war es erst 22 Uhr. Ein Ruckeln ging durch das Schiff. Sie stöhnte auf. »Oh, ich glaube, ich muss …« Sie stand auf, schwankte die wenigen Schritte zur Toilette, zog die schwere Tür auf und kniete sich vor die offene Kloschüssel. Die Tür schloss sich hinter ihr automatisch.

»Klappt es?«, rief Pia nach einer Weile von draußen.

Florentine würgte, dann endlich kam die Erleichterung. Sie spuckte in die Toilettenschüssel. All das Fastfood, das sie tagsüber auf der Fahrt zwischen Süddeutschland und Kiel zu sich genommen hatte, verließ ihren Körper. Sie hätten nicht bei McDonald’s anhalten sollen. Das Zeug aß sie sonst nie. Kein Wunder, dass ihr die in Fett gebackenen Hühnchen nicht bekommen waren. Florentine kauerte am Boden, dann drückte sie sich mit beiden Händen hoch. Sie öffnete den Wasserhahn, gurgelte und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Das tat gut!

Pia steckte den Kopf zur Tür herein. »Geht’s wieder?«, fragte sie.

Florentine nickte und bemerkte, wie ihre Freundin kurz einen Blick in die Kloschüssel warf.

Pia betrat das Minibadezimmer und drückte auf den Spülknopf. »War ja ganz schön viel.« Sie lachte. »Das hast du früher schon gekonnt. Wenn dir schlecht war, hast du gespuckt, und gut war es.« Sie reichte ihr das Handtuch von der Stange. »Ich dagegen habe tagelang gelitten. Weißt du noch, damals, an Silvester?«

Flo trocknete ihr Gesicht. Sie atmete tief aus. Ihrem Magen ging es schon viel besser. Klar konnte sie sich erinnern. Die legendäre Silvesterparty kurz nach dem Abi. Sie hatten getanzt bis zum Abwinken, hatten viel zu viel Bowle getrunken und wussten beide später nicht mehr, wie sie nach Hause gekommen waren. Aber das war schon über zwanzig Jahre her.

Florentine betrachtete sich im Spiegel. Alles sauber! Nicht einmal das helle T-Shirt hatte etwas abbekommen. Sie drückte sich an Pia vorbei und ließ sich auf das Bett fallen. Eddie hatte es sich in der Zwischenzeit am Fußende bequem gemacht. Eddie! Er musste noch mal raus. Und ihr würde es sicher guttun, wenn sie ein wenig an die frische Luft käme. Zumal es hier in der kleinen Schiffskabine nicht gerade gut roch, und außerdem: »Bewegung hat noch nie geschadet!« Warum fiel ihr jetzt dieser typische Spruch ihrer Mutter ein, die für jede Situation den passenden Satz parat hatte? Gott sei Dank war Mama nicht hier. Sie hätte Florentine mit einem missbilligenden Blick zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht so anstellen sollte. Und dann hätte sie es sich sicher nicht verkneifen können zu erwähnen, dass Florentine Chicken McNuggets nicht vertrug. Schon als Kind wurde ihr von in Fett gebackenen Speisen schlecht. Gut, dass ihre Eltern mit dem Bulli, den ihr Vater liebevoll renoviert hatte, nach Korsika unterwegs waren. Flo schüttelte den Kopf. Mama drängte sich immer und überall in ihre Gedanken – nicht einmal im Urlaub hatte sie ihre Ruhe. Florentine beugte sich zu Eddie und strich über sein struppiges Fell.

Aber eigentlich war es ja keine richtige Urlaubsreise für sie. Ihr Ex-Lover Lars hatte sie vor einem halben Jahr verlassen. Und nicht nur das. Er hatte Geld von ihr geliehen und bisher nur kleinste Raten zurückgezahlt. Besser gesagt, drei Raten: Insgesamt 600 Euro hatte sie bisher von den 20.000 Euro, die Lars ihr schuldete, wiedergesehen. Seit Florentine vor zwei Monaten von Schweden wieder nach Deutschland in ihr Heimatstädtchen Mindringen zurückgezogen war, hatten seine Zahlungen ganz aufgehört.

Florentine hörte, wie Pia im Badezimmer hantierte. Der Wasserhahn lief, dann die Toilettenspülung. Schließlich öffnete sich die Tür, und Pia setzte sich ihr gegenüber. »Alles sauber. Es riecht nur noch ein wenig. Vielleicht sollten wir an die Bar gehen. Bist du wieder fit?«

Flo schüttelte den Kopf. »Mir ist nicht danach. Außerdem muss Eddie noch mal pinkeln. Und sein Häufchen hat er heute auch noch nicht gemacht.« Sie betrachtete ihren Liebling, der jetzt die Augen aufschlug und sie anschaute, als würde er sie verstehen. »Wahrscheinlich ist er zu aufgeregt«, fügte sie hinzu. »Eddie ist ja noch nie auf einem so großen Schiff gefahren.« Florentine bemerkte, wie Pia sie von der Seite anschaute. Sie wusste genau, was ihre Freundin dachte: Übertreib es nicht mit deinem Eddie. Dem geht es super.

Klar, Pia hatte recht. Aber Eddie war nun mal ihr bester tierischer Freund, seit Lars sie verlassen hatte, und ihr kleiner Liebling hatte ihr über eine schwierige Zeit hinweggeholfen.

Pia kramte in ihrer Reisetasche und zog eine leichte gestreifte Bluse heraus. Sie betrachtete sie mit kritischen Augen und stopfte sie schnell wieder zurück. »Quatsch«, murmelte sie vor sich hin. »Ich will ja nur ein Bier trinken. Dafür brauche ich kein feines Blüschen.«

Flo lächelte. Pia war Polizistin und trug während der Arbeit immer ihre unbequeme Uniform. Sie träumte oft davon, im Sommer leichte Kleidung zu tragen, flatternde Röcke, die ihre Knöchel umspielten, luftige Blusen, in denen man nicht schwitzen musste. Doch wenn sich die Gelegenheit bot, zog sie doch immer bequeme T-Shirts an. Aber auch darin sah ihre schlanke Freundin, die sicher zehn Zentimeter größer war als sie, attraktiv aus.

Seit dem Gymnasium waren Pia und sie beste Freundinnen. Und auch wenn sie sich in den letzten zehn Jahren, die Flo in Schweden gelebt hatte, nur sporadisch gesehen hatten, waren sie immer in Kontakt geblieben. So gut es eben ging mit einer Freundin, die hart arbeiten musste und Familie besaß. In den letzten Wochen hatte Pia zudem ihren Chef vertreten und alleine die Kinder versorgt, die zwölfjährigen Zwillinge und Paulchen, ihren kleinen Zweijährigen. Tommie, Pias Mann, hatte eine Prüfung absolviert. Und in dieser schwierigen Zeit hatte Pia obendrein einige Verbrechen in Mindringen aufgeklärt.

Doch jetzt waren sie beide nach Schweden unterwegs. Zwei lange Wochen hatten sie Zeit. Klar, zuerst wollten sie sich um Lars und das Geld kümmern. Das würde schnell gehen, bei dem sicheren Plan, denn sie hatten. Aber dann … dann hatten sie frei. Sie würden es sich gut gehen lassen: baden und sich auf den Klippen sonnen, lecker essen gehen, durch sommerliche Wiesen streifen. Stina, Flos schwedische Freundin, hatte ihnen eine kleine stuga, eine Hütte, in der Nähe von Vaxholm besorgt, einer Halbinsel nicht weit von Stockholm entfernt, auf der Flo viele Jahre gelebt hatte.

Pia hatte inzwischen ihre Jeansjacke übergezogen und griff nach der Key-Karte, mit der sich die Kabine öffnen ließ. »Und dir geht’s wirklich wieder gut? Sonst komme ich natürlich mit, wenn du Eddie pinkeln lässt.«

Flo winkte ab. »Mein Magen ist leer, und das Schiff schaukelt schon viel weniger.« Sie stand auf und schaute durch das Bullauge nach draußen. Es war immer noch hell, die Wellen schienen kleiner geworden zu sein.

»Okay. Bin nur kurz weg.« Pia lächelte Flo an, die Tür schloss sich mit einem Klick hinter ihr.

Flos Blick fiel auf ihr Handy. Kein Netz mehr. Aber vorhin hatte ihr Mattis, ihr Freund seit …, Flo überlegte, seit drei Wochen, eine Nachricht mit roten Herzchen geschickt: Genieße die Zeit mit Pia. Ich vermisse dich jetzt schon.

Florentine ließ sich auf das Bett fallen und schloss die Augen. Oh, sie vermisste ihn auch. Und wie! Endlich war sie wieder verliebt, endlich konnte sie wieder einen neuen Liebesroman schreiben. Sie hatte schon damit begonnen, und ihre Lektorin war von ihrem Plot angetan. Jetzt würde alles gut werden. Spätestens übermorgen würden sie sich Lars vornehmen, ihm das Geld abknöpfen, und dann hätte sie keine Geldsorgen mehr. Und anschließend würde sie erholsame Tage mit Pia verbringen. Schweden Anfang August, die beste Zeit. Die Touristen wurden allmählich weniger, die Mücken auch. Und im Spätsommer würde sie eine Woche lang mit Mattis in die Toskana fahren. Sie würden im lauen Sonnenuntergang mit Blick auf das Meer Rotwein trinken, würden sich lieben und … Florentine fuhr herum. Sie hatte ein Geräusch gehört, ein Pullern, das ihr bekannt vorkam.

»Eddie! Nein!« Eddie stand an der Tür, hatte sein rechtes Beinchen gehoben und – oh Gott, jetzt zeigte sich der vertraute Buckel, wenn er sein Häufchen machen musste.

2

Sylvia

»STOPP!« SYLVIA STIESS EINEN Schrei aus.

Joe bremste abrupt. »Was ist denn los?«, fragte er und schaute sie erschrocken von der Seite an.

»Da war was. Ich habe einen Schatten gesehen. Irgendetwas ist vor uns über die Straße gerannt. Vielleicht haben wir ein Tier erwischt.«

Joe setzte das Warnblinklicht.

Sylvia öffnete die Beifahrertür und sprang nach draußen. Vor der Schnauze des Bullis war nichts zu sehen, und neben der Straße im Gebüsch konnte sie auch nichts erkennen. Es war zu dunkel.

»Nimm die Taschenlampe!«, rief Joe ihr zu, beugte sich über den Beifahrersitz und reichte ihr durch die Tür die Lampe, die er aus der Ablage gekramt hatte, nach draußen.

Das Licht flackerte, Sylvia sah kein Tier. »Hier ist nur Müll!«, rief sie Joe zu. Sie schaute sich um: Plastikflaschen, Bierdosen und Chipstüten säumten den Fahrbahnrand. Ein Wahnsinn, was die Leute beim Fahren alles aus dem Auto warfen! Sylvia ging nach rechts ins Gebüsch, hier begann der Pinienwald. Plötzlich leuchteten zwei Augen auf. Ein Reh! Sie drückte den Ausknopf der Taschenlampe. Das grelle Licht erlosch, und Sylvia hörte ein Rascheln. Das Reh hatte sich umgedreht und rannte davon. Sie ging zum Wagen zurück und stieg ein. »Ein Reh. Aber es scheint nicht verletzt zu sein. Noch mal gut gegangen.« Sie lächelte ihren Mann müde an.

Seit heute Morgen waren sie unterwegs. Von Süddeutschland über den Bodensee und Liechtenstein, Richtung Mailand. Ein Stau nach dem anderen, vor allem um Locarno. Dann ein Unfall. Schon mehrmals hatte sie überlegt, umzukehren. Warum waren sie nur so hirnverbrannt und fuhren Anfang August in den Süden? Im heißesten Monat, in dem alle Ferien hatten. Sylvia kramte nach einem Taschentuch und wischte sich über die Stirn. Es war halb elf Uhr abends und immer noch furchtbar warm. Deshalb hatten sie sich bisher keinen Stellplatz gesucht. Bei diesen Temperaturen konnten sie im Bulli sowieso nicht schlafen.

»Was denkst du?«, fragte Joe, trank aus der Wasserflasche und reichte sie an Sylvia weiter.

»Blödes Timing.« Sie nahm einen Schluck, setzte die Flasche jedoch sofort wieder ab. »Boah, lauwarm.« Sie schraubte die Verschlusskappe zu und stellte die Flasche in den Jutebeutel neben ihren Füßen. »Zu heiß, zu viele Urlauber und zu laut. Und schmutzig ist es auch.« Sie schloss die Beifahrertür. Sogar auf der Landstraße, auf die sie vorhin abgebogen waren, war um diese Zeit noch viel los.

»Ich habe damit gerechnet, dass die Straßen voll sein würden, aber dass es so schlimm wäre, ne …« Joe schaute auf sein Handy, das er mit einer Halterung an der Windschutzscheibe festgeklemmt hatte. »Laut Navi müsste in ein paar Kilometern ein Campingplatz kommen. Wir suchen uns einen schönen Platz und ruhen uns aus. Morgen ist ein neuer Tag. Dann kommen wir sicher schneller voran. Korsika wartet auf uns!« Er lächelte, aber auch sein Lächeln wirkte müde.

Sylvia schwieg. Klar, Korsika. Schon lange hatte sie diese traumhafte Insel besuchen wollen. Ursprünglich sollte sie sein, nicht so überlaufen wie andere Inseln. Sylvia hatte sich so gefreut, als Joe ihr den renovierten Bulli zum vierzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte, wollte sofort losfahren, ohne zu überlegen, ohne zu planen. Das hatten sie sonst nie getan. Außerdem waren sie in den letzten Jahren, seit sie pensioniert war, nie in den Sommerferien unterwegs gewesen, sondern immer nur im Frühling oder Herbst, wenn weniger los und die Temperatur erträglich war.

»Fahren wir weiter?«

Sie nickte und griff nach ihrem Handy. »Ich rufe Flo an. Sie hat sich den ganzen Tag nicht gemeldet.« Sylvia drückte die Nummer ihrer ältesten Tochter, hörte jedoch nur den Anrufbeantworter.

»Es ist schon spät«, sagte Joe, fuhr auf die Fahrbahn und wurde nach kurzer Zeit von einem Pkw überholt.

80 Stundenkilometer maximal, mehr lief der Bulli nicht. Joe hatte den Oldtimer zwar generalüberholt, aber an der Geschwindigkeit war nichts zu machen gewesen. War auch gut so. Aber anscheinend hatten es hier alle Autofahrer eilig, sie wurden ständig überholt.

»Um diese Uhrzeit ist Flo noch wach«, sagte Sylvia, »du kennst doch unsere Tochter.«

»Die beiden werden schon lange auf dem Schiff sein. Da gibt es sicher kein Netz«, sagte Joe und deutete auf das Navi. »Der Campingplatz müsste gleich kommen.«

»Ich wollte nur wissen, ob mit der Fähre alles geklappt hat. Ist ja ganz schön weit von Mindringen nach Kiel.«

»Warum hätte es nicht klappen sollen?«

Sylvia zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Weil die Straßen voll sind. Sie hätten die Fähre verpassen, hätten einen Unfall haben können oder ...«

Joe lächelte sie an. »Flo ist erwachsen, und wenn ich mich erinnere, dann feiert sie bald ihren 42. Geburtstag. Und Pia kann gut Auto fahren. Wenn du sie jetzt nicht erreichst, heißt das, dass alles gut ist und sie auf der Fähre sind. Sie werden sich einen Absacker genehmigen und auf Schweden freuen.«

»Weiß ich doch.« Sie legte das Handy weg.

Die Lichter eines Dorfes tauchten auf. Sie fuhren durch die Hauptstraße, an beleuchteten Restaurants und zwei Tankstellen vorbei. Erwachsene und Kinder saßen vor einer Eisdiele, Menschen in luftiger Sommerkleidung belebten die hell erleuchtete Straße.

Joe schaute konzentriert auf das Navi. »Noch achthundert Meter. Dann müsste ein Campingplatz auf der linken Seite kommen.«

Sylvia fächelte sich mit einer Zeitschrift Luft zu. Die Bluse klebte an ihr, sogar ihre leichte Leinenhose war zu warm. Jetzt eine erfrischende Dusche! Der Bulli hatte zwar eine neu eingebaute Klimaanlage, aber sie mochte das kalte Gebläse nicht, deshalb hatten sie sich darauf geeinigt, dass Joe es nur ab und an kurz einschaltete.

Joe blinkte und fuhr auf das Leuchtschild zu, das am Eingang des Campingplatzes angebracht war.

»Oh, nein!«, rief Sylvia aus.

»Was ist?«

Sie deutete auf den Schriftzug unter dem Campingschild.

»Occu…«

»Nein, das Wort darunter.«

»Besetzt!«, las Joe laut vor. »Was für ein Mist!«

Sylvia sank in ihrem Sitz zusammen. »Und jetzt?« Sie schaute ihn von der Seite an.

»Wir stellen uns an den nächstbesten Parkplatz. Irgendwo an der Straße. Ich bin ehrlich gesagt hundemüde.«

»Ich schwitze! Ich will duschen!« Sie wusste, jetzt klang sie wie ein Kind, das seine Mutter im Supermarkt nervte, weil es keinen Lolli bekam, und nicht wie eine Frau, die in zwei Jahren siebzig werden würde. Aber sie konnte nicht mehr. Sie wollte sich frisch machen, sich am liebsten in ein kühles Hotelbett legen, auf eine bequeme Matratze, mit geöffnetem Fenster, durch das ein leichter Luftzug wehte …

»Vielleicht finden wir einen Platz am See.«

Ihre Augen weiteten sich. »Ich bin unerschrocken, das weißt du. Aber ich werde mich ganz sicher nicht im Lago di Lugano waschen. Doch nicht hier, im Süden. Da könnten doch überall Algen sein, und wer weiß, was da sonst noch herumschwimmt.«

Joe seufzte. »Was schlägst du vor?«

»Wir suchen uns ein Hotel, ich dusche, und dann überlegen wir morgen früh beim Frühstück, ob wir weiterfahren oder nicht.«

»Du willst unseren Urlaub abbrechen?« Joes Stimme klang entsetzt. »Wir haben noch nie einen Urlaub vorzeitig abgebrochen. Egal welche Schwierigkeiten wir hatten.«

»Ich will ihn nicht abbrechen.«

»Sondern?« Jetzt klang seine Stimme eher misstrauisch.

»Ich habe nachgedacht und …«, sie zögerte, »und habe einen Vorschlag.«

»Und der wäre?«

»Wir fahren in den Norden.«

»Wir sind doch im Norden von Italien. In welchen Norden denn?«

Sylvia schluckte. Sie hoffte, dass jetzt nicht das große Schweigen kommen würde, das Joe draufhatte, wenn er tödlich beleidigt war. Aber irgendwie war sie sich sicher, dass er auf ihre Idee eingehen würde. Joe war intelligent und ließ sich oft auf ihre Vorschläge ein – wenn er überzeugt war, dass sie gut waren. Und dieser Vorschlag war gut! »Wir könnten nach Skandinavien fahren«, sagte sie.

Auf Joes Stirn zeigte sich eine steile Falte. »Du meinst Schweden, stimmt’s?«

Sie nickte.

»Du willst zu Flo und Pia, weil du ihnen nicht zutraust, dass sie sich das Geld von Flos Ex-Lover zurückholen.«

»Das stimmt nicht ganz. Ich würde sie gerne dabei unterstützen«, sagte Sylvia und bemerkte einen kleinen Hüpfer in ihrem Bauch. Den spürte sie immer, wenn sie aufgeregt war, wenn sie ahnte, dass etwas Unerwartetes, Neues passieren würde. Etwas Aufregendes, was ihren Alltag als pensionierte Deutschlehrerin beleben würde.

Joe schwieg und trank aus der Wasserflasche.

»Vor allem kam ich auf die Idee, weil es so heiß und unglaublich voll ist.«

Joe schwieg weiter, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr aus der Einfahrt des Campingplatzes.

»Wohin fährst du?«, fragte Sylvia.

»Du hast recht. Es ist völliger Blödsinn, im August in den Süden zu fahren. Wahrscheinlich geht das morgen genauso weiter wie heute. Und auf Korsika werden wir sicher nicht alleine sein. Nein, das machen wir im Herbst oder nächstes Frühjahr.« Er blinkte und fuhr wieder in den Ort. »Beim Durchfahren habe ich die Leuchtreklame eines Hotels gesehen. Wir fragen, ob sie ein Zimmer frei haben. Und morgen früh machen wir uns auf den Weg nach Schweden.«

Sylvia lächelte und strich ihm über die Wange.

»Und ich muss mich ja sicher nicht darum kümmern, wohin wir fahren werden. Das weiß meine vorausschauende Frau ganz genau.« Er schaute Sylvia von der Seite an.

Sie lachte auf. Natürlich hatte sie einen Plan. Sie hatte sich von Flo genau erklären lassen, wo sich dieser unsägliche Lars aufhielt. Auf einer kleinen Insel in den Schären vor Stockholm, nicht weit von Vaxholm entfernt, wo Flo viele Jahre gewohnt hatte. Sandhamn hieß die Insel. Und als begeisterte Krimileserin kannte Sylvia die Romane der schwedischen Autorin Viveca Sten, die genau auf dieser Insel spielten. Sandhamn. Schön musste es dort sein! Sylvia hatte die Serie Mord im Mittsommer im Fernsehen verfolgt. Sie fand die Krimis besser, aber von der Landschaft im Film war sie begeistert gewesen.

»Aber eines musst du mir versprechen.« Joe sah ihr in die Augen. »Lass die Mädels machen. Du greifst nur ein, wenn es nicht anders geht.«

»Natürlich! Versprochen!« Sylvia schaute aus dem Fenster und lächelte vor sich hin.

3

Pia

PIA WAR HIN UND weg. Gebannt beobachtete sie die langsame Einfahrt der Stena Scandinavica in den Hafen von Göteborg. Die rundgeschliffenen Klippen, das glitzernde Meer, die Hochhäuser, die direkt am Ufer standen und Balkons hatten, die Richtung Wasser ausgerichtet waren. Wie schön wäre es, dort zu wohnen und täglich aufs Meer zu schauen!

Und dann der Slottsparken, der riesige Schlosspark mitten in Göteborg, in dem sie nach dem Ausschiffen einen langen Spaziergang machten. Eddie lief über die mit Birken, Fichten und Kiefern bewaldeten Hügel, er raste zwischen Blaubeer- und Preiselbeersträuchern hindurch und drückte seine Schnauze an ein Glasfenster, hinter dem Zwergpinguine herumwatschelten und sich in ein Wasserbecken stürzten. Nach einem Frühstück im Schlossparkcafé mit Cappuccino und Zimtschnecken fuhren sie am Vormittag weiter über die Europastraße Richtung Stockholm.

Pia wunderte sich, wie wenig los war. Es war Sommer, Urlaubszeit. Wo waren die Menschen? Klar fuhren viele Autos auf der Straße, auch Wohnmobile waren unterwegs. Aber kein Vergleich zu Deutschland. Gestern noch waren sie durch unzählige Baustellen und dann durch den Elbtunnel in Hamburg gefahren. Natürlich hatten sie genügend Zeit eingeplant und waren pünktlich zur Fähre gekommen. Aber diese ständigen Überholmanöver von anderen Autofahrern waren Stress pur gewesen. Hier dagegen war die Höchstgeschwindigkeit 130 Stundenkilometer, und die meisten hielten sich daran.

Zum Mittagessen bogen sie auf eine Landstraße ab und aßen in einem ausschließlich mit weißen Möbeln geschmackvoll eingerichtetem Restaurant ein leckeres Mittagsmenü, bestehend aus schwedischen Fleischbällchen mit Preiselbeerkompott, Kartoffelpüree und Salat mit anschließendem Kaffee und Gebäck. Sie hatten einen Tisch mit Aussicht auf einen See, und Pia saß nach dem Essen mit ihrer Kaffeetasse in der Hand da und genoss den Blick auf das Wasser. Flo kannte all die erholsamen Stellen, an denen man rasten, essen oder mit Eddie Gassi gehen konnte. Schließlich hatte sie viele Jahre lang in Schweden gewohnt und für ihre Liebesromane die schönsten Orte gesucht und gefunden. Ihre Freundin hatte zwar noch nie einen Führerschein besessen, aber auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln war sie dorthin gekommen, wohin sie wollte. Sie hatte, wie Flo ihr vorhin erzählte, auf die Schauplätze ihrer Romane sehr viel Augenmerk gelegt, sie mit Bedacht ausgewählt und auch immer ein paar Tage dort verbracht.

»Hier hat einer meiner ersten Liebesromane gespielt«, hatte Flo ihr beim Essen gestanden. »Ich muss den Ort und die Gegend erleben, sonst kann ich nicht darüber schreiben.«

Allmählich begann Pia zu verstehen, warum ihre Freundin so viele Jahre in Schweden gelebt hatte.

Pia schaute Florentine von der Seite an. Flo schlief neben ihr auf dem Beifahrersitz, den Mund leicht geöffnet.

Eddie hatte es sich in seiner kleinen Hundebox, die auf dem Rücksitz stand, gemütlich gemacht. Die Schnauze an den Schwanz gelegt, schlief er seit Stunden.

In Göteborg hatte die Sonne von einem strahlend blauen Himmel geschienen. Im Laufe der Fahrt zeigten sich jedoch immer mehr weiße Wolken, und jetzt wurde es allmählich grau und immer dunkler. Ein Gewitter schien im Anmarsch zu sein. Pia schaute auf das eingebaute Navi. In einer halben Stunde müssten sie in der Nähe von Vaxholm ankommen, wo Stina, Flos schwedische Freundin, ihnen eine stuga organisiert hatte. Schade, dass sie Stina nicht treffen konnten. Sie war seit einer Woche bei Verwandten in Lappland. Ihre Wohnung auf Vaxholm hatte sie für einen Monat an Urlauber vermietet. Das würden viele machen, hatte Flo ihr erklärt. »Die Mieten auf Vaxholm sind nicht gerade günstig, und ein kleines Zubrot können viele gebrauchen.«

Neben ihr öffnete Flo die Augen und streckte sich.

»Mann, war ich müde!« Ihr Blick fiel nach hinten zu Eddie, dann schaute sie nach draußen. »Was ist das denn für ein Wetter?« Sie rieb sich die Augen. »Total grau.«

»Macht nichts.« Pia lächelte ihre Freundin an. »Ich finde Schweden auch bei trübem Wetter schön.«

»Aha!« Flo grinste. »Du hast dich schon nach einem Tag mit dem Schwedenvirus infiziert. Selber schuld, dass du mich nie besucht hast.«

Nein, sie hatte Florentine nie besucht. Wie auch? Vor zwölf Jahren hatte sie die Zwillinge bekommen. Ihr Erzeuger hatte sich noch vor ihrer Geburt aus dem Staub gemacht, und sie musste arbeiten. Polizistin mit wenig familienfreundlichen Arbeitszeiten. Ein paar Jahre später hatte sie Tommie kennengelernt, ihren Traummann. Und dann war Paulchen gekommen, jetzt zwei Jahre alt. Sie hatte schlichtweg keine Zeit gehabt, Flo zu besuchen. Pia seufzte. Sie war es bisher gewesen, die ihre Familie finanziell versorgt hatte. Doch nach dem Sommer würde Tommie eine halbe Stelle als Philosophiedozent an der Uni Tübingen antreten. Endlich hatte er den Job, den er sich immer gewünscht hatte. Sie lächelte vor sich hin. Jetzt würde, was das Geld anginge, alles leichter werden. Und ihr neues Leben begann damit, dass sie zwei lange Wochen mit ihrer besten Freundin in Schweden verbringen würde.

Flo griff in die kleine Einkaufstasche, in der sie die beiden Sarah-Bernhardt-Teilchen verstaut hatte, die sie beim letzten Stopp gekauft hatten. Sie öffnete den weißen Karton, nahm eine der Leckereien heraus und biss genüsslich hinein. »Mmh, wie ich das vermisst habe! Diese lockere Creme und die dunkle Schokolade!« Sie leckte sich die Lippen und deutete auf den Karton. »Möchtest du auch eines?«

Pia schüttelte den Kopf. Sie stand nicht auf Süßes. »Du darfst das zweite gerne essen.« Sie hatte eher Lust auf einen Gemüse- oder Salatteller.

»So lecker!« Flo putzte sich den Mund mit einem Papiertaschentuch ab. »Als ich in Schweden wohnte, habe ich Butterbrezeln und Mamas leckere Apfeltorte vermisst. Aber seit ich wieder in Deutschland lebe, vermisse ich Zimtschnecken, Sarah-Bernhardt-Teilchen und vor allem dammsugare.«

»Was ist das denn?«

»Das sind Punschrollen, kleine Marzipanteilchen, grün und beige mit Schokolade an den Enden. Der Name kommt von suga – saugen. Man saugt sie in sich rein und kann nicht mehr damit aufhören.«

Pia lachte. Flo war eine Naschkatze, das war sie schon immer gewesen. Sie konnte Süßigkeiten in sich hineinstopfen, bekam weder Bauchschmerzen noch legte sie an Gewicht zu. Ihre Freundin war auch mit Anfang vierzig schlank wie eh und je, und jetzt, wo sie frisch verliebt war, strahlte sie eine Fröhlichkeit aus, die ungeheuer ansteckend war.

Pia selbst war immer schon dünn gewesen, und seit sie sich vegetarisch ernährte, also, mit ein paar Ausnahmen, denn manchmal konnte sie einem Schweizer Wurstsalat nicht widerstehen, war an ihr kein Gramm Fett mehr. Aber das machte nichts. Sie war durchtrainiert, ging, wann immer es ihre Zeit erlaubte, joggen. Sie musste sich ja fit halten. Vor allem jetzt, wo ihr Chef bald in Ruhestand gehen würde und er Pia als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte. Vielleicht würde sie schon in wenigen Monaten Chefin der Mindringer Polizeidienststelle sein. Pias Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

»Was grinst du vor dich hin?«

Flo hatte tatsächlich das zweite Sarah-Bernhardt-Teilchen verdrückt, putzte sich den Mund noch einmal mit einem Taschentuch und trank ein paar Schluck aus der Wasserflasche.

»Ich freue mich. Es ist so schön hier, ich habe zwei Wochen Urlaub vor mir, keine Schlägereien, keine Einsätze im Jugendhaus, keine Ermittlungen wegen Straftaten …«

»Abgesehen von der Suche nach meinem betrügerischen Ex-Freund!«

»Das kriegen wir schon hin!« Pia lachte. »Und bald verdienen Tommie und ich zusammen so viel, dass wir nicht mehr rumknapsen müssen.«

»Ihr könnt euren alten Wagen endlich verschrotten …«

»… und dann legen wir uns ein E-Auto zu, so wie mein Vater, beziehungsweise seine affige Freundin.« Pia lachte laut auf. »Weißt du, was Evelyn vor Kurzem zu mir gesagt hat?«

Flo schaute sie fragend an.

»Ihr könnt ja mein E-Auto kaufen. Ihr bekommt es auch ein wenig günstiger. Ich kaufe mir dann den neuesten Tesla …«

Flo lachte und deutete auf ein Verkehrsschild. »Fahr langsamer. In hundert Metern müssen wir abbiegen. Richtung Karlsudd. Wir fahren nicht nach Vaxholm. Unsere stuga liegt ein paar Kilometer davor.« Sie kramte nach ihrer Handtasche und schaute auf die Adresse, die sie in ihr Notizbuch geschrieben hatte: Karlsudd 12.