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Luna Cathedras

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Beschreibung

»Ich bin kaputt, Zayne!« »Nein, Paige, du bist nicht kaputt. Du scheinst Schreckliches erlebt zu haben, aber du bist deswegen nicht weniger Mensch als ich oder Don.« Paige hat alles verloren: Ihren Verlobten, den Job und ihre Freunde. Und das alles nur, weil sie Mut gefasst und den sexuellen Missbrauch angezeigt hat, dem sie jahrelang ausgesetzt war. Zu allem Übel wird ihr nach alledem auch noch die Aufenthaltsgenehmigung entzogen. Als sie am Vorabend ihres Abflugs in London ihr Smartphone verliert, scheint der Horror komplett. Aus dem Gedächtnis kann Paige sich bloß an eine einzige Nummer erinnern - doch diese hat sie in den letzten zwölf Jahren nie gewählt: Die ihrer Studiums-Liebe Zayne. Eine mitreißende Romance mit OwnVoice Thematiken wie Selbsthass und niedrigem Selbstwertgefühl. Altersempfehlung 18+. Dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte.

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Klappentext:

Paige hat alles verloren: Ihren Verlobten, den Job und ihre Freunde. Und das alles nur, weil sie Mut gefasst und den sexuellen Missbrauch angezeigt hat, dem sie jahrelang ausgesetzt war.

Zu allem Übel wird ihr nach alledem auch noch die Aufenthaltsgenehmigung entzogen. Als sie am Vorabend ihres Abflugs in London ihr Smartphone verliert, scheint der Horror komplett.

Aus dem Gedächtnis kann Paige sich bloß an eine einzige Nummer erinnern – doch diese hat sie in den letzten zwölf Jahren nie gewählt: Die ihrer Studiums-Liebe Zayne.

Über die Autorin:

Die im Jahrgang 1989 in der Schweiz geborene Luna Cathedras wohnt und arbeitet mit ihrem Partner und zwei Katzen zurzeit in einer Kleinstadt in Brandenburg. Sie schreibt ihre Bücher in Begleitung von C-Drama und K-Drama OST und mit steter Unterstützung ihrer Vierbeiner. Sie liebt die fernöstliche Dramatik in den entsprechenden Serien und lässt die ein oder andere dadurch inspirierte Handlung in ihre Bücher miteinfliessen.

Wie Scherben liegt das Leben vor mir, auf dem Boden, zertrampelt und zerstört. Jeder Splitter sticht und brennt, bohrt sich tiefer in meine Seele. Wird es jemals enden, dieses Leid, diese Qual? Was bin ich noch wert – ich bin nichts. Die Last der Vergangenheit zu tragen, ist an manchen Tagen viel zu viel. Und an manchen Tagen erblicke ich den Hoffnungsschimmer in weiter Ferne, gerade abgelegen genug, aber doch so verführerisch nah, dass ich losgehen will. In jenen Momenten erinnern mich meine Füße, fest verfangen im Sumpf meines eigenen Bewusstseins, dass es für mich keine Hoffnung geben kann. Es wird stets finster sein in meiner Welt.

- Paige Weiß Tagebucheintrag 2020

Inhaltshinweis

Dieses Buch enthält keine herzzerreißende 0815 Liebesschnulze für den lauen, sorglosen Frühlingsabend. Ebenso wenig handelt die Geschichte von jungen Erwachsenen, die den Lebensweg noch zu finden haben. Nein – diese Protagonisten hier stehen mitten im Leben, sind über dreißig Jahre alt und haben, wie das Leben eben so spielt, die ein oder andere Sache so ziemlich verkackt, die sie mittlerweile bereuen. Und natürlich müssen sie mit den Folgen dieser Ereignisse umgehen – gerade da sie jede Menge miteinander verbindet.

Diese Geschichte greift ernste Themen auf, die für Lesende potenziell abschreckend oder sich gar negativ (triggernd) auswirken können. Nachfolgend wird nach bestem Wissen und Gewissen aufgelistet, was Paige und Zayne erwartet.

Die Altersempfehlung für das Buch liegt bei 18+.

Dies ist ein OwnVoice1-Roman.

Schlüsselworte:

Sexuelle Misshandlung am Arbeitsplatz

Explizite Szenen (Vergewaltigung, einvernehmlicher Sex)

Trauma

Posttraumatische Belastungsstörung (Panikattacken)

Unfall

Ausweisung

Trennungsschmerz (Depression & Albträume)

Overthinking

Nicht vorhandenes Selbstwertgefühl

1 OwnVoice: Der oder die Autor*in verwebt Tatsachen des eigenen Lebens in die fiktive Geschichte des / der Hauptprotagonisten. Dies können z.B. sein: Hautfarbe, Erfahrungen & Traumata, Autismus, Depression, etc.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Zusatz-Vertrag

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Donatello

Mehr von Luna Cathedras

Prolog

Mit einem frustgeladenen Grunzen stoße ich die Highheels von mir. Sie landen in ungefährer Richtung des Schuhregals.

Es ist mir egal.

Heute ist einfach alles scheißegal.

Ich will nur noch heiß duschen und ins Bett. Der Rest der Welt kann mich am derzeitigen Abend kreuzweise.

»Liebling?«, rufe ich halblaut durch den dämmrigen Flur, der ins Innere des Lofts führt. Aus Richtung Wohnzimmer strömt Licht heran, ergo folge ich dem Schein, zerre die Haarklammer aus meiner kinnlangen, schwarzen Mähne und platziere sie im Vorbeigehen auf der Anrichte.

»Garreth?«, versuche ich es noch einmal, diesmal laut und deutlich.

Das Rascheln von Kleidung dringt zu mir durch und ich beschleunige die Schritte. Vielleicht kann ich zwischen Dusche und Bett noch eine Runde Knutschen mit ihm einbauen, um meinem Frust ein Ventil zu bieten. Doch sobald ich ins Licht des Wohnzimmers trete, wird klar, dass ich mir das abschminken kann.

Garreth Leicester, Inhaber der Zeitung Local Times London und mein Verlobter, thront kerzengerade auf der Kante des einzigen Sessels, den wir unser Eigen nennen. Er sieht verdammt angepisst aus. Sein strohblondes Haar steht in alle Richtungen ab, die Krawatte seines dunkelblauen Anzugs sitzt locker und ein Glas Brandy ist seitlich des Sitzmöbels auf dem Beistelltischchen platziert.

»Hey, was ist los?«, frage ich besorgt, indes ich das Ledersofa anvisiere.

Wenn Garreth so aussieht, stimmt auf der Arbeit irgendetwas nicht – und in der Regel steckt der Skandal irgendeines Sternchens dahinter.

Er hebt die Hand, um mich vom Hinsetzen abzuhalten. Dementsprechend bleibe ich stehen und knete mit ratloser Miene die Träger meiner schwarzen Handtasche.

In aller Ruhe nimmt er einen Schluck Brandy, sieht daraufhin mit blitzenden Augen zu mir auf und fragt mit verhaltener Stimme: »Stimmt es?«

Irritiert ziehe ich die Brauen zusammen. »Stimmt was?«, fordere ich ihn auf, mehr Details offenzulegen.

Garreths braune Augen glänzen vor Jähzorn. »Ist es wahr, dass du heute gefeuert wurdest?«

»Wow – ich nahm an, unser Flurfunk wäre unschlagbar«, witzle ich trocken.

Sein Blick wird lauernd. »Dann kann ich also davon ausgehen, dass die Gerüchte über diese Sache ebenfalls existieren? Oder … sind sie sogar wahr?«

»Garreth«, seufze ich, mittlerweile erschöpft von seinen kryptischen Fragen. »Ich weiß nicht, was du gehört hast oder was du von mir hören willst –«

Seine Faust landet krachend neben dem Brandyglas auf dem Beistelltischchen. »Ich will wissen, ob du deinen Vorgesetzten angezeigt hast, obwohl die ganze Firma weiß, dass das erstunken und erlogen ist!«

Er atmet tief durch und fährt sich aufgewühlt durch die Haare.

Da ich ihm nicht antworte, steht er auf und sieht mich lange an. Letzten Endes schiebt er die Hände in die Anzughose, bevor er lieblos und mit kühlem Glanz in den Augen klar macht: »Ich heirate auf keinen Fall benutzte Ware. Und schon gar nicht beschädigte.«

Sehr geehrte Frau Weiß,

Mit diesem Schreiben teilen wir Ihnen mit, dass Ihre Aufenthaltsgenehmigung mit sofortiger Wirkung aufgehoben wird. Sie haben innerhalb von der von uns gesetzten Frist keine neue Beschäftigung gefunden und sich der Beteiligung zur Wiederaufnahme einer Anstellung mit dem Jobcenter konsequent verweigert.

Wir gewähren Ihnen aus Kulanz einen Aufschub bis zum 10.10.2024, um Ihre persönlichen Angelegenheiten zu klären, und Ihre Rückkehr in Ihr Heimatland eigenhändig zu arrangieren.

Wir fordern Sie auf, einen Nachweis in Form einer schriftlich zugestellten Kopie Ihres Flugtickets bis zum genannten Datum einzureichen.

Im Falle einer Missachtung sieht sich die Behörde gezwungen, adäquate Maßnahmen zu ergreifen.

Mit freundlichen Grüßen,

i.A. Ausländerbehörde

Seufzend falte ich den unterdessen knittrigen Brief zusammen und stopfe ihn in die Fronttasche meines Wanderrucksacks.

Sarah ist nicht aufgetaucht. Sie hätte vor einer Stunde hier sein sollen, gleichwohl sitze ich immer noch allein auf der Parkbank und bibbere vor Kälte. Ich hätte es wissen müssen – sie war der letzte Strohhalm, an den ich mich geklammert habe. Selbst so etwas wie eine beste Freundin kann sich allem Anschein nach innerhalb weniger Wochen von einem abwenden.

Eine einzige Träne rinnt mir die Wange hinunter. Grimmig wische ich sie weg, bevor die Passanten es bemerken. Ich werfe einen Blick auf meine letzten Habseligkeiten: drei Kartons mit Papierkram, dem Laptop und liebsten Büchern sowie den Spielsachen meiner beiden Katzen. Deren Transportboxen sind neben mir auf der Parkbank aufgereiht. Naseweiß und Prollo recken die Näschen durch die Gitterstäbe, ihre Augen sind angstvoll geweitet.

»Es tut mir leid, meine Lieben«, flüstere ich mit einem dicken Kloß im Hals.

Naseweiß mauzt anklagend, während Prollo sein Gesicht an die Stäbe drückt und mich mit großen Augen ansieht.

»Ich weiß«, versuche ich, die beiden zu beruhigen. »Wir finden eine Lösung, versprochen.«

Die Kirchenglocke schlägt siebzehn Uhr und ich seufze erneut, wühle in der rechten Jackentasche, indessen ich die Katzen bespaße, und suche mein Smartphone. Es ist nicht da. Stirnrunzelnd fasse ich in die andere Tasche, hinterher in die Innentasche, doch ich finde es nicht. Fahrig greife ich nach meiner Handtasche, zerre den Reißverschluss auf und wühle darin herum, bis ich den Inhalt komplett durcheinandergebracht habe.

»Verfickte Scheiße!«, fluche ich, vollends in Rage. Das Smartphone ist weg.

Passanten eilen an mir vorbei und meiden meinen Blick.

Ich brauche notgedrungen ein Taxi, das mich zum Flughafen fährt, kann meine Sachen allerdings nicht unbeobachtet hier stehen lassen. Wenn ich die Augen auch nur eine Sekunde lang von meinen Habseligkeiten abwende, werden sie geklaut. Gepeinigt stöhne ich auf und versuche, einen jungen Mann zu bitten, mir einen einzigen Anruf zu gönnen. Er mustert mich abfällig und schnaubt zur Antwort entrüstet, bevor er im Stechschritt vorbei stelzt.

Die nächste, bei der ich es versuche, ist eine Joggerin. Sie hält prompt inne, sobald ich ihr zuwinke, daher flehe ich sie an: »Bitte, ich brauche ein Taxi, das mich zum Flughafen fährt. Ich kann aber meine Sachen nicht unbeaufsichtigt lassen.«

Der Blick der Läuferin verweilt erst auf den Kartons, dann auf Prollo und Naseweiß. In ihren Augen steht Mitleid geschrieben. »Ich rufe Ihnen ein Taxi. Bleiben Sie hier.«

Erleichtert über die Hilfsbereitschaft warte ich und schaue ihr hinterher. Tatsächlich spricht sie mit dem Fahrer eines Taxis, der daraufhin aussteigt und mir entgegenkommt.

Sobald die Joggerin zurück ist, geht sie in die Knie und hebt die erste Kiste vom Boden hoch.

Hastig ziehe ich mir die Handtasche über die Schulter, als Nächstes den Rucksack und schnappe mir die beiden Katzen-Transportboxen.

»Danke«, sage ich mit jählings erstickter Stimme. »Sie retten mir das Leben, im Ernst!«

Sie grinst mich an und hebt den Karton in die Arme des wartenden Taxifahrers. Der sieht mit kritischem Blick auf meine Katzen, dann auf die Sachen und meint: »Trip nachhause?«

Ich nicke und versuche mich an einem unbekümmerten Lächeln, doch es will nicht so richtig klappen. Mein Gesicht verzieht sich eher zu einer Grimasse. Der Fahrer sieht es.

»Ah, Sie müssen«, beantwortet er Anteil nehmend seine eigene Frage. »Aber Geld für die Fahrt und den Flug haben Sie?«

Eilends bestätige ich. Wir machen uns zu dritt auf den Weg zum Taxi. Dort angelangt, öffnet er den Kofferraum mithilfe seines Beins und hievt die Kisten hinein. Anschließend holt er eine Decke heraus und bedeutet mir, sie zu nehmen. »Für die Sitzpolster, falls die Tiere Dreck machen sollten.«

Betreten danke ich ihm ein weiteres Mal.

Die Joggerin verabschiedet sich mit einem Winken und läuft davon, bevor ich ihr einen Schein für ihre Mühen zustecken kann.

Ich breite die Decke auf der Rückbank aus und stelle die Transportboxen sanft ab, ehe ich mich daneben platziere und uns alle anschnalle.

»Dann einmal nach Heathrow, ja?«, versichert sich der Taxifahrer.

»Ja, bitte«, antworte ich und füge nach wenigen Sekunden hinzu: »Und könnten Sie die Heizung ein Stück aufdrehen? Wir haben stundenlang in der Kälte gesessen.«

Der Fahrer nickt und kommt der Bitte nach, und öffnet zusätzlich das Beifahrerfenster einen winzigen Spalt, um für Frischluft zu sorgen. Derweil er sich durch den Verkehr schlängelt, fragt er: »Sie fliegen nachhause – wartet jemand dort auf Sie?«

Sofort werde ich skeptisch. Bisher war er supernett, aber ich habe auf die harte Tour lernen müssen, dass man Menschen niemals wirklich kennt, selbst wenn man Jahre mit ihnen verbracht hat. Bestes Beispiel dafür ist mein inzwischen Ex-Verlobter Garreth.

Er scheint mein Unbehagen zu bemerken, denn sein Blick zuckt für einen Moment zum Innenspiegel und er erklärt mit einem beruhigenden Ton in der Stimme: »Einer meiner Kollegen musste zurück nach Belgien. Es war ein Desaster, er hatte keinerlei Familie mehr und als er dort ankam, ist er direkt auf der Straße gelandet. Also falls Sie jemanden haben – egal, ob Sie ein gutes Verhältnis haben oder nicht – rufen Sie sie an, solange Sie noch können.«

Diese Schilderung trifft mich unvermutet hart. Ob sie nun der Wahrheit entspricht oder nicht – ich will auf keinen Fall zu so ein Schicksal werden. Tatsächlich habe ich einen Vater in der Heimat, doch wir pflegen keinerlei Kontakt, seitdem ich sieben Jahre alt war. Ich wüsste seine Nummer nicht einmal, hätte ich mein Smartphone noch.

Das Smartphone! Siedend heiß fällt mir wieder ein, dass ich es wohl verloren haben muss, als Garreth meine Sachen heute im Park abgestellt hat. Oder es liegt in seinem Wagen auf dem Beifahrersitz. Auf jeden Fall habe ich es eingebüßt, denn mein Ex wird es höchstwahrscheinlich mitten auf der Straße aus dem Autofenster werfen, bloß um zu verdeutlichen, wie sehr er mich inzwischen verabscheut.

Soll ich unterwegs nochmal anhalten und mir ein neues besorgen? Diesen Gedanken verwerfe ich sofort wieder, denn ich kenne nicht einmal mein Google-Passwort auswendig. Das war in der Notiz App gespeichert.

»Wann geht Ihr Flug?« Der Taxifahrer will definitiv Smalltalk machen.

Ich seufze ergeben und erwidere: »Morgen früh um sechs.«

Er wirft mir einen erstaunten Blick durch den Innenspiegel zu, weshalb ich anbringe: »Meine Katzen bekommen mehrere Stunden zuvor eine Schlaftablette, darum werde ich im Hotel übernachten. Sie reisen mit mir in der Kabine mit.«

Gespannt fragt er: »Oh, mussten Sie dafür drei Sitzplätze buchen?«

Ich nicke und zum ersten Mal seit gefühlten Wochen gelingt mir ein ehrliches Lächeln. »Ja. Aber diese Option ist besser, als sie im Frachtraum mitfliegen zu lassen. Wer weiß, was daraus für ein Trauma entstehen würde.«

Er brummt zustimmend und wir fahren in beidseitigem Schweigen weiter. Die Kälte entweicht allmählich aus meinen Gliedern und ich entspanne mich. Die Fahrt wird noch knapp eine Stunde dauern, also lehne ich mich zurück und schließe die Augen.

Restlos erschöpft lasse ich mich aufs Bett des Hotelzimmers sinken. Naseweiß und Prollo tappen durch den Raum und schnüffeln an jeder Ecke und Kante. Die mobile Katzentoilette steht im Bad, Wasser und Futter neben dem Bett. Alles ist für den Flug morgen gerichtet und das Taxi bestellt, welches mich um vier hier abholen wird. Ich konnte den hilfsbereiten Rezeptionisten überreden, mir die Flugtickets auszudrucken. Den Zugang zu meinen privaten E-Mails habe ich zum Glück mit einem Passwort gesichert, das ich auswendig kenne.

Unvermittelt fällt mir wieder ein, was der Taxifahrer mir für eine Anekdote erzählt hat, und ein heftiges, tief sitzendes Gefühl der Angst breitet sich in mir aus. Ich will nicht zurück und direkt auf der Straße landen – aber ich habe innerhalb der gesetzten Frist keine Wohnung vor Ort finden können. Das ist heutzutage schier unmöglich, wenn man entsprechend ohne Festanstellung unterwegs ist, die die laufenden Kosten deckt.

Zwar habe ich versucht, meine alten Freunde aus der Uni zu überreden, mich bei ihnen unterkommen zu lassen, doch sie alle haben es abgelehnt. Die Ausreden waren überall gleich: die Katzen, die Unsicherheit, eigene Familie mit Hund.

Erneut überkommt mich die inzwischen vertraute Verzweiflung der letzten Monate. Ein blubbernder Laut entflieht meiner Kehle, der sich als Schluchzer herausstellt. Die Tränen, die ich den ganzen Tag hinweg in mich hineingefressen habe, fließen ungehindert über mein Gesicht und verschwinden unter mir im Kissen. Wieder und wieder drehen sich dieselben alten Fragen in meinen Gedanken im Kreis: Wie konnte das nur passieren? Wie konnte alles nur so schieflaufen? Warum haben mich meine Freunde im Stich gelassen? An welchem Zeitpunkt im Leben habe ich mich bloß falsch entschieden?

Ich kenne die Antworten auf diese Fragen nur zu gut, und ich verfluche mich auf ein Neues dafür, dass ich getan habe, was ich getan habe: Vor zwei Monaten habe ich meinen Vorgesetzten Daniel Henderson wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Nach sechs langen Jahren habe ich endlich den nötigen Mut und die Gelegenheit gefunden, diesen Schritt zu wagen. Und es ist mir direkt auf die Füße gefallen.

Die Gerüchte, die bereits einen Tag später durch die Flure gefunkt sind, besagten, dass ich Danny angegraben hätte, und das jahrelang – doch stets vergebens. Dass ich es war, die schließlich zu drastischeren Mitteln gegriffen und ihn mit mir im Kopierraum eingesperrt hätte, um ihn gefügig zu machen. Die Nachricht meiner Anzeige wurde dementsprechend mit Hohn aufgenommen, Ex-Kolleginnen und -Kollegen wandten sich von mir ab. In den Augen dieser Personengruppe war ich ein Flittchen, das sich hochgeschlafen hatte und mit der letzten ergatterten Position den Preis für ebenjenen Ruhm nicht mehr bezahlen wollte.

Ich wurde aus den Messenger-Gruppen geekelt und schlussendlich kam die vorabsehbare Kündigung, Grund: Stellenabbau in der Abteilung.

Aber damit nicht genug: Mein frisch Verlobter, Garreth Leicester, mit dem ich seit fünf Jahren zusammen war, hat sich am selben Tag von mir getrennt. Nach seinem Statement an jenem Abend bin ich allerdings zu dem Schluss gekommen, dass ich zumindest um ihn nicht zu weinen brauche.

Nichtsdestotrotz hatte ich durch Garreth einen weitläufigen Freundeskreis kennengelernt und diesen stetig erweitert. Gleichwohl war ab dem Abend der Trennung keiner von ihnen mehr zu erreichen. Meine so genannten Freunde haben mich allesamt fallen lassen. Weil ich mich getraut und die Wahrheit gesagt habe.

Die Ausländerbehörde und das lokale Arbeitsamt haben logischerweise mitbekommen, dass ich keine Arbeit mehr habe und mich wiederholt aufgefordert, mich arbeitslos zu melden. Ich habe mich allerdings mental nicht in der Lage gefühlt, unmittelbar in die Arbeitswelt zurückzukehren. Das Business, in dem ich mich beruflich bewege, ist hart, und die Menschen erinnern sich lange und gut an jeden einzelnen Skandal in der Branche. Aufgrund dessen habe ich mich krankschreiben lassen – ein Fakt, den die Beamten getrost ignoriert haben. Und jetzt stecke ich knietief in diesem ausweglosen Schlamassel fest.

Die exorbitante Abfindung, die mir mit meiner Kündigung überreicht wurde, reicht zwar locker noch etwas hin, doch eines fernen Tages wird auch dieser Quell versiegen…

Ich seufze frustriert auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht, obwohl das nichts bringt. Sie fließen weiter aus meinen Augenwinkeln hinab ins Kissen.

Zwölf Jahre hat es gedauert, mir ein Kartenhaus aufzubauen und es Leben zu nennen. Und innerhalb weniger Wochen ist es in sich zusammengebrochen.

Ein Gedanke flitzt durch mein Gehirn: Er würde mich nicht auslachen, wenn er wüsste, was passiert ist.

Sofort schüttele ich den Kopf, um den Irrsinn loszuwerden. Gleichwohl kommt mir eine Idee: Ich könnte ihn fragen, ob ich vorübergehend bei ihm wohnen darf. Zwar ist es mittlerweile über zwölf Jahre her, aber ich glaube nicht, dass er in all der Zeit zu einem Typ Mensch geworden ist, der sich binden und sesshaft werden will.

Instinktiv schrecke ich vor dieser Möglichkeit zurück. Bin ich wirklich so tief gesunken, dass ich die einzige Nummer anrufen werde, die ich selbst nach zwölf Jahren noch auswendig kenne? Obwohl ich mir geschworen habe, sie nie wieder zu wählen?

Die Antwort darauf ist ja. In meinem Kopf ist er die letzte Rettung, meine einzige Hoffnung.

Zögerlich studiere ich das Schnurtelefon, das auf dem Nachttisch steht. Weiß ich die Nummer wirklich noch auswendig, oder habe ich sie falsch in Erinnerung? Will ich das im Ernst machen? Es ist eine Menge passiert … und extrem viele Jahre sind vergangen, seitdem ich fortgegangen bin.

Mit einem frustrierten Grollen schnappe ich mir den Hörer und drücke die Tasten in solch rasantem Tempo, dass ich schlicht keine Zeit mehr für Zweifel habe. Es klingelt längst und ich halte den Atem an, meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.

»Wasis«, meldet er sich am anderen Ende mit verschlafener Stimme.

Auf der Stelle bereue ich es, diese eine Nummer gewählt zu haben. Ein immenser Stich fährt durch mein Herz und ich fasse mir fahrig in die Haare. Ungeachtet dessen habe ich keine andere Wahl, also antworte ich mit wackeliger Stimme: »Hey, Zayne.«

Die Leitung bleibt für mehrere Sekunden lang totenstill. Alles, was ich höre, ist ein zischendes Luftholen. Daraufhin, diesmal um einiges wacher: »Paige? Bist du das?«

Ein zittriges Lachen blubbert über meine Lippen und lautlose Tränen rinnen meine Wangen hinab. »Oh, Zayne, du bist es tatsächlich!«

Nahezu beleidigt erwidert er mit einem vorausgehenden Schnauben: »Warum sollte ich es nicht sein? Das ist schließlich meine Nummer.«

»Menschen wechseln ihre Telefonnummer ständig«, gebe ich mit erstickter Stimme zurück.

Er scheint meine momentane Gefühlslage zu begreifen, denn er stellt seine Blödeleien ein und fragt in scharfem Ton: »Was ist los, Naseweis?«

Der Schmerz, der mich bei diesem Kosenamen durchfährt, ist nahezu greifbar. Erinnerungen brodeln an den Kanten meines Bewusstseins, doch ich schiebe sie mit aller Kraft zurück in die Dunkelheit des Vergessens. Mehrmals schlucke ich, um die aufkommenden Schluchzer zu unterdrücken. »Ich komme nachhause. Darf ich bei dir wohnen, bis ich was Eigenes gefunden habe?«

»Klar darfst du. Wann kommst du an? Ich hol dich ab.«

Keine Worte hätten beschreiben können, wie dankbar ich ihm in diesem Moment bin. »Danke, Zayne. Du bist ein Lebensretter.«

»Das bin ich«, sagt er im Brustton der Überzeugung. Ich weiß, dass er auf ein Ereignis in unserer Vergangenheit anspielt. Ungeachtet dessen ich darf nicht in alte Erinnerungen zurück verfallen. Sie würden das Kartenhaus, das sich mein Leben nennt, bis zu den Grundpfeilern niederbrennen und das verrostete Gerüst darunter zum Vorschein bringen, das ich jederzeit zu verstecken versuche.

»Also, wann landest du? Du kommst doch mit dem Flugzeug, richtig?«, erkundigt er sich.

Ich räuspere mich. »Entschuldige. Ja, planmäßige Ankuft ist um acht Uhr morgen früh.«

»Ziemlich spontan.« Da stecken so viele unausgesprochene Fragen in dieser Aussage, aber ich werde sie nicht am Telefon beantworten, und das weiß er.

Da ich nicht reagiere, seufzt er letzten Endes resigniert und meint: »Okay, du kannst mir alles erzählen, sobald du zuhause bist. Wenn ich so früh raus muss, werde ich jetzt aber noch ein wenig schlafen, und du solltest auch eine Mütze Schlaf kriegen. Halt die Ohren steif, Naseweis.«

»Mhm«, ist alles, was ich rausbekomme, bevor ich auflege. Gleich darauf übermannen mich die Schluchzer und ich weine mich in den Schlaf – unendlich dankbar und doch voller Angst vor der Zukunft.

Sobald ich in die Empfangshalle trete, einen Gepäckwagen vor mich herschiebend, schrillt ein gellender Pfiff durch den Raum und ich – plus viele meiner Mitreisenden – drehe den Kopf in die Richtung, aus der er kam.

Zayne steht an einem Ende der Absperrung und grinst mir breit zu. Seine ozeanblauen Augen strahlen mir entgegen, die schwarze Mähne auf seinem Kopf ist mittlerweile einem Haarschnitt gewichen, der an den Seiten kurz und oben lang und gestylt ist. Trotz alledem trägt er immer noch Muscle-Shirt und Jogginghose, exakt wie früher. Seine Arme und sein Hals allerdings sind mit einigen Tattoos bedeckt.

Mein Körper geht automatisch auf ihn zu, während mein Gehirn weiterhin seinen Anblick verarbeitet. Ihn zu sehen ist ein enormer Schock für meine Gefühlswelt.

»Hey Paige.«

Bevor ich etwas erwidern kann, umarmt er mich ungestüm und zerquetscht mich dabei schier.

»Du bist kein Stück gewachsen«, fügt er halb lachend hinzu, derweil er zu meinem Gepäckwagen schlendert und in die Transportboxen lugt.

»Und wen haben wir hier?«, erkundigt er sich in einfühlsamem Ton.

Naseweiß schnuppert an dem Zeigefinger, den er ihr durch die Gitterstäbe hinhält und stößt ein anklagendes Mauzen aus. Ihre ebenfalls blauen Augen beobachten ihn, während sie sich an seinem Finger zu reiben beginnt.

Verspätet fällt mir ein, dass ich bislang nicht ein Wort gesagt habe. Eilig räuspere ich mich. »Sorry, ich habe vergessen, zu erwähnen, dass ich zwei Katzen habe.«

Zayne grinst mich an und schüttelt den Kopf. »Das ist kein Problem. Und jetzt komm – die Parkgebühren hier sind reiner Wucher. Je eher wir verschwinden, desto besser für die Finanzen.«

Entschieden greift er nach meinem Handgelenk und zieht mich mit sich, derweil er den Gepäckwagen mit der anderen vor sich her schiebt.

Mein Herzschlag beschleunigt sich, sobald er mich berührt, und es kribbelt überall, doch ich ignoriere es – oder versuche es zumindest. Stattdessen stolpere ich tollpatschig neben ihm her, bis ich mich seinen Schritten angepasst habe. Nachträglich winde ich mein Handgelenk aus seinem Griff.

Zayne steuert uns zielsicher durch die Halle zu den Aufzügen und anschließend ins Parkhaus, wo er mir seinen Schlüsselbund zuwirft und sagt: »Geh schon mal deine Sachen einladen, ja? Ich zahle noch kurz. Türkiser Hyundai Kona, sollte hier irgendwo rechts stehen.«

Ich nicke stumm und mache mich auf die Suche nach dem beschriebenen Auto. Wenige Parkplätze entfernt finde ich es. Das Teil sieht nagelneu aus. Stirnrunzelnd öffne ich die Verriegelung mit dem Schlüssel und verfrachte Naseweiß und Prollo auf die Rücksitze, wo ich sie festschnalle. Erst danach lade ich die eine der Kisten in den Kofferraum.

Wie kann er sich einen solchen Wagen leisten? Hat er inzwischen einen gut bezahlten Job?

»Ich mach das, Paige.«

Erschrocken zucke ich zusammen und lasse um Haaresbreite den zweiten Karton fallen. Zayne ist hinter mir aufgetaucht und nimmt mir das schwere Ding ab, als wöge es nichts. Mit einem strahlenden Lächeln nickt er in Richtung Seitentür. »Setz dich schon mal rein und ruh dich aus.«

Mein Gehirn scheint in einem trüben Sumpf zu stecken und die Impressionen durch einen distanzierten Filter abzugeben. Vielleicht bin ich auch auf irgendeine Art traumatisiert, wer weiß. Oder aber ich habe willentlich jegliche Überlegungen eingestellt, um nicht zu viel über Zayne Parollo nachzudenken, während ich in seiner Nähe bin. Denn alles an ihm erinnert mich schmerzhaft an eine Vergangenheit, die ich zu vergessen gehofft habe. An die ich mich erst hartnäckig geklammert und sie später in eine finstere Ecke meines Bewusstseins gepfeffert habe, um sie nie wieder anzurühren.

»Paige?« Seine Stimme ist sanft und voll von unterdrückter Sorge.

Ich kann ihn nicht ansehen. Stattdessen nicke ich stumm und gehe um den Wagen herum, öffne die Beifahrertür und setze mich hin. Hinter mir mauzen die Vierbeiner herzzerreißend, weswegen ich ihnen die Hände entgegen strecke, um zu signalisieren, dass ich da bin.

Die Kofferraumtür wird mit verblüffend sanftem Schwung geschlossen. Zayne kommt in mein Sichtfeld, als er einen Moment lang vor der Fahrertür stehen bleibt. Gleich darauf gleitet sein trainierter Körper geschmeidig in den Sitz, wo er den Schlüssel herumdreht, den ich zuvor in den Schlitz gesteckt habe. Er startet den Motor. Prompt erklingt die Titelmelodie von The Last Samurai und ich muss trotz meiner seltsam distanzierten Stimmung schmunzeln. »Hans Zimmer ist immer noch dein Lieblingsmusiker, nehme ich an?«

Er grinst und wirft mir einen knappen Seitenblick zu, bevor er sich aufs Fahren konzentriert. »Jupp, hat sich nichts geändert bei mir.«

Ich weiß, dass das irgendein Code für etwas Bestimmtes sein soll, aber ich bin zu weggetreten, um es zu begreifen. In meinem Kopf herrscht schummriger Nebel, den ich nicht zu durchbrechen vermag. Also halte ich mich an die hervorstechende Inkorrektheit seiner Aussage.

»Mhh, nicht ganz«, gebe ich mit einem winzigen Lächeln zurück. »Deine Haare sind anders. Und du hast jetzt Tattoos.«

Seltsame Tätowierungen noch dazu. Von hier aus erkenne ich die beiden auf dem rechten Arm: Auf seinem Oberarm prangt etwas, das aussieht wie ein farbig gestaltetes Bücherregal mit einem Ohrensessel davor und einem weißen Hasen darin, der eine Brille trägt, während er ein Buch liest. Das zweite Tattoo ist winzig. Es ist ein Satz, der sich entlang seines Unterarms zieht. Meine Augen inspizieren konzentriert die Buchstaben: »Wenn dein Morgen mein Jetzt wäre, es wäre genug.«

»Aus welchem Film hast du den Spruch?«, frage ich unvermittelt.

Seine blauen Augen mustern mich scharf, bevor er erwidert: »Du hast recht, es hat sich was verändert: Ich bin erwachsen geworden.«

Autsch. Ich verziehe das Gesicht zu einer Grimasse und sage nichts mehr. Zayne seufzt, fährt mit seinen Fingern durch die nachtschwarzen Haare und murmelt: »Sorry, ich – das sollte nicht so rauskommen.«

»Schon okay.«

Schweigend fahren wir aus dem Parkhaus und auf die Autobahn. Erst jetzt fällt mir ein, dass ich keine Ahnung habe, ob er inzwischen umgezogen ist – oder in einer Partnerschaft oder gar verheiratet. Gestern Abend bin ich schlichtweg davon ausgegangen, dass ein Charakter wie Zaynes sich nicht so schnell verbiegen würde. Dabei ist mir völlig klar, dass das Leben von Menschen sich nun mal verändert.

Mit einem plötzlichen Kloß im Hals frage ich: »Wohnst du immer noch auf dem Campus?«

Zayne schüttelt den Kopf, löst den Blick jedoch nicht von der Straße. »Nein, ich bin umgezogen, nachdem – na ja, vor langer Zeit. Aber es ist nicht weit zum Unigelände.«

»Freundin? Frau? Kinder?«, hake ich nach und studiere sorgsam die Schilder, die über unseren Köpfen vorbeiziehen und verschiedene Ortschaften anzeigen. Auf keinen Fall soll er die plötzliche Nervosität bemerken, welche sich bei diesen Fragen in Form eines Zitterns meines Körpers bemächtigt hat.

Er lacht lautlos in sich hinein. »Nein, Paige. Ich bin single, danke für die Erinnerung.«

Meine Brauen ziehen sich gedankenverloren zusammen. »Arbeitest du etwa immer noch auf dem Campus?«

»Natürlich«, erwidert er. »Das Pilotprojekt war ein voller Erfolg – und das Gehalt ist top.«

»Ach so«, erwidere ich kaum hörbar.

»Jepp, die haben ein Jahr nach deinem Abschluss angefangen, die Angestellten zu bezahlen. Zuerst war es nicht viel, aber es hat mich über Wasser gehalten. Und später, als jemand anders die Führung übernommen hat, lief es wie am Schnürchen. Das Projekt ist mittlerweile auch an weiteren Unis eingesetzt worden.«

»Wow, ein voller Erfolg.« Die Antwort ist dermaßen lahm, dass sie mich selbst irritiert. Zayne allerdings lacht erneut lautlos in sich hinein.

Mein Blick gleitet automatisch zu ihm hinüber und ich mustere ihn verstohlen. Die gerade Nase mit einem marginalen Buckel auf dem Rücken, geschwungene, sinnliche Lippen, das rechte Ohr voller schwarzer Ringpiercings und einem Dorn ganz oben an der Spitze: Das ist Zayne Parollo, wie ich ihn kannte. Diese Details hätte ich in sturzbesoffenem Zustand frei herunterleiern können, so sehr haben sie sich in mein Gedächtnis gebrannt. Sie sind mit einem Teil der Erinnerungen verwachsen, welche für immer verloren sind.

Meine Augen bleiben an seinem Gesicht hängen, das in den letzten zwölf Jahren kantiger geworden ist – und eine Spur härter. Von wegen, es hat sich nichts geändert… Dennoch zieht mein Herz, sich schmerzhaft zusammen, bevor es in schnellerem Rhythmus zu hämmern beginnt.

Es ist eindeutig – ich habe einen fatalen, sehr sehr großen Fehler begangen. Ich hätte Zayne nicht anrufen sollen. Die einzige Nummer, die ich zu jeder Tages- und Nachtzeit auswendig kenne, sogar wenn ich maßlos betrunken bin … ich hätte sie nicht wählen dürfen.

Zayne hält vor einem bescheidenen, Sandfarben gestrichenen Haus mit braunen Fensterläden. Die Hauptstraße haben wir vor wenigen hundert Metern hinter uns gelassen. Wir sind über einen schmalen Zufahrtsweg gezockelt, der Naseweiß und Prollo in helle Aufregung versetzt hat, weil sie pausenlos hin- und hergeschüttelt worden sind.

»Welche Etage?«, frage ich aus purer Gewohnheit, sobald wir stillstehen.

»Erst mal reicht das Erdgeschoss. Ich zeige dir den Rest des Hauses später«, erwidert er trocken und steigt aus.

Wie jetzt? Das ganze Gebäude gehört ihm? Mein Mund klappt auf und ich betrachte es eingehender. Es ist ein nettes, ortstypisches Reihenhaus der 60er-Jahre. Rund um das Objekt herum erheben sich Bäume und Büsche, und das Gelände ist fein säuberlich eingezäunt. Die Einfahrt hat ein Tor, das Zayne vorhin aufschieben musste.

Ein Klopfen an der Scheibe lässt mich hochschrecken.

»Kommst du?«, fragt er und hält gleich zwei meiner Kisten in den Armen, mit welchen er sich in diesem Augenblick zum Haus wendet. An der Tür lehnt er die Kartons gegen die Hausmauer und kramt den Schlüssel aus seiner Jogginghose.

Achtsam, als würde eine Traumblase platzen, wenn ich mich zu hastig bewege, steige ich aus dem Wagen. Zayne öffnet die Tür, sieht über die Schulter zurück zu mir und meint: »Ich bring die Sachen direkt hoch in dein Zimmer. Lass die beiden Racker erst raus, wenn alles drin ist, okay?«

»Okay«, krächze ich verspätet. Immer noch starre ich voller Unglauben auf das Anwesen. Wie konnte er solch eine Investition tätigen? Erst das Auto, jetzt dieses traumhafte Haus. Das letzte Mal– Nein! Ich schüttele heftig den Kopf und vertreibe die Gedanken, die in mir aufzukommen drohen.

Es sind zwölf Jahre vergangen, seitdem ich ihn gesehen habe. Jeder Mensch ändert sich. Selbst Zayne freaking Parollo.

Fest entschlossen, nicht mehr an die Tatsache zu denken, dass Zayne ein Haus gekauft hat, befreie ich Naseweiß und Prollo aus ihren Sicherheitsgurten.

Hinter mir höre ich, wie er wieder heraus kommt und die nächste Kiste mitnimmt. Woraufhin ich die Transportboxen hochhebe und ihm ins Haus folge.

Der Eingangsbereich ist durch eine zweite Tür abgetrennt, die momentan offen steht. Rasch ziehe ich die Schuhe aus und hänge meine Jacke an einen freien Haken. Hinterher trage ich die Boxen weiter ins Innere, voller Neugier auf Zaynes eigene vier Wände.

Zuerst blicke ich auf eine Treppe, die hinauf in den ersten Stock führt. Rechts davon öffnet sich der schmale Flur in ein großflächiges Wohnzimmer, das mit einer Sofalandschaft und einem gigantischen Fernseher ausgestattet ist. Ein paar Schritte weiter sehe ich nach links, erkenne einen Esstisch mitsamt Stühlen, und gleich daneben eine Küchenzeile in Schwarz-weiß.

Ich entscheide mich, die Katzen im Wohnzimmer frei zu lassen, sobald Zayne mir das Okay dafür gibt, und platziere die Boxen, sodass mich die Vierbeiner sehen.

»Die hier auch?« Er tritt in den Flur und hält eine kleine blaue Kiste in den Händen.

Ich schüttele den Kopf. »Das sind die Katzensachen«, kläre ich ihn auf und eile hinüber, um sie ihm abzunehmen.

Zayne verschwindet kurz, um die Haustür zu schließen und seine Schuhe auszuziehen.

»Hätte ich gewusst, dass du Haustiere mitbringst, hätte ich natürlich entsprechend vorgesorgt«, meldet er sich in entschuldigendem Ton.

»Red keinen Quatsch«, gebe ich zurück. »Das hat Zeit, ehrlich. Ich habe alles Wichtige bei mir.«

Ich zücke meinen eigenen Schlüsselbund und wähle den alten Fahrradschlüssel, den ich aus einem Grund bei mir trage: um Verpackungen aufzureißen. Behutsam steche ich in das vierlagige Klebeband, das ich vor der Abreise angebracht habe, und lasse die Zinken gleiten.

»Okay«, lenkt mich seine Stimme ab, »die Türen sind zu. Du kannst sie rauslassen.«

»Einen Moment noch.« Meine Hand wühlt in der Kiste und ich finde, was ich gesucht habe: die mobile Katzentoilette. Triumphierend drehe ich mich halb herum und sehe zu Zayne. »Wo darf ich die aufstellen?«

Er sieht mich ratlos an und fragt: »Wo stellt man das denn für gewöhnlich auf?«

»Irgendwo, wo Katzen in Ruhe ihr Geschäft machen können. Ich hatte meine immer im Bad stehen.«

Sein Kopf ruckt weiter in Richtung Flur hinunter. »Da hinten ist ein Bad. Das benutze ich nie, weil die Dusche ausschließlich eiskaltes Wasser rausbringt, egal, was ich austeste.«

»Perfekt«, erwidere ich, greife nach dem Gefrierbeutel mit dem letzten Rest Katzenstreu und mache mich auf den Weg ins Bad. Dort angekommen, inspiziere ich die Einrichtung und suche den geeigneten Ort für die Übergangstoilette. Da hier lediglich eine Dusche und ein Klo plus winzigem Waschbecken eingebaut wurden, stelle ich es kurzerhand neben die Dusche und fülle das Streu hinein. Danach lehne ich die Tür an und gehe zurück ins Wohnzimmer.

»Die Tür darf jetzt einfach nicht mehr zugemacht werden«, erkläre ich Zayne, der sich vor der zweiten Eingangstür mit der Schulter an die Wand lehnt, seine Arme vor der Brust verschränkt. Er nickt zum Verständnis, dann wandern seine Augen über die Transportboxen.

»Lässt du die armen Tiere jetzt bitte endlich raus?«, fragt er voller Mitgefühl.

»Ja.« Ich folge meinen Worten umgehend mit Taten und öffne den Verschluss der Boxen. Anschließend stelle ich die Kiste mit Spielsachen und dem letzten Rest Katzennahrung auf den Boden, wo ich nach den passenden Schüsselchen suche.

»Wie heißen sie eigentlich?«, will Zayne wissen.

Mein Körper erstarrt, meine Wangen werden heiß und ich hebe zögerlich den Blick, um ihn anzusehen. Doch er sieht nicht mich an, sondern die beiden Vierbeiner, die argwöhnisch durchs Wohnzimmer schleichen und alles beschnuppern.

»Ähm … Naseweiß und Prollo«, nuschle ich, so undeutlich ich kann.

Zaynes Augen weiten sich und sein Blick schnellt zu mir herüber. »Du hast ihnen unsere Namen gegeben?«, fragt er überrumpelt.

Ich senke hastig den Blick in die Spielzeugkiste. Mir ist überdeutlich bewusst, dass mein ganzer Kopf rot angelaufen sein muss, denn er brennt vor Hitze.

Er räuspert sich und geht um mich herum in die Küche. Dort angekommen, öffnet er den Kühlschrank und fragt: »Willst du noch etwas frühstücken oder schon mittagessen?«

Der Themenwechsel kommt wie gerufen, also werfe ich einen Blick auf die Wanduhr, die im Wohnzimmer neben dem Fernseher hängt und erwidere: »Mittagessen.«

»Sind Spagetti okay? Ich habe ausreichend Reste von gestern Abend für zwei Personen.«

Unbeabsichtigt muss ich lächeln. »Spagetti Parollo sind immer okay, Zayne.«

»Nonnas Pasta ist weiterhin ungeschlagen auf Platz eins der Möglichkeiten, nicht wahr? Ich hab’s dir ja gesagt – sie wird dein kulinarisches Leben verändern.«

Das hat er gesagt. Und es stimmt: Nonna Parollo hat mir Speisen beigebracht, die ich seither jede Woche mit voller Leidenschaft koche. Sie sind mir in Fleisch und Blut übergegangen und ich liebe ihre Gerichte immer noch.

»Wie geht es Nonna denn so?«, frage ich, derweil ich ihn dabei beobachte, wie er zwei gläserne Behälter voller Spagetti mit Gorgonzolasoße und getrockneten Tomaten aus dem Kühlschrank holt. Seine Schultern spannen sich und er starrt mit schlagartig bekümmerter Miene auf die Reste. »Sie ist vor acht Jahren gestorben.«

»Oh, nein!« Der Brocken in meinem Hals, der seit der Ankunft am Flughafen dort zu sitzen scheint, wuchs die ganze Zeit über ständig an, und mit dieser Offenbarung droht er zu platzen. Mit Mühe und Not kann ich die aufkommenden Tränen zurückhalten. »Das tut mir so leid«, füge ich mit erstickter Stimme hinzu.

»Muss es nicht«, entgegnet er und bringt ein müdes Lächeln zustande. »Sie wollte eine gewaltige Party, wenn sie stirbt, und die haben wir ihr gegeben. Du hättest uns sehen sollen: Wir lagen einander weinend und lachend zugleich in den Armen, während wir über die Bühne getanzt sind.«

Ein Lachen blubbert in meiner Kehle hoch und ich kann es nicht zurückhalten.

»Don war sicher superwütend«, sage ich, nachdem ich mich beruhigt habe.

»Aber sowas von«, entgegnet er und stellt die Behälter in den Ofen.

»Meinem Bruder sind sämtliche Sicherungen durchgebrannt vor Wut auf uns alle. Er hat sich strikt geweigert, die Familienpizza zu essen, die wir vorher zusammen gebacken haben.«

Ich versuche es wirklich – kämpfe darum, nicht in Tränen auszubrechen. Doch die Nachricht von Nonnas Tod gibt mir ehrlich gesagt den Rest. Sie ist die Großmutter gewesen, die ich mir immerfort gewünscht habe, und ich würde lügen, wenn ich sage, ich hätte sie nicht vermisst.

Erst merkt Zayne nichts von meinen Tränen. Er stellt die Zeit des Backofens auf eine Stunde ein und schließt die Tür. Doch dann dreht er sich zu mir um und entdeckt die Rinnsale auf meinen Wangen. Seine Augen weiten sich vor Sorge, als er zu mir eilt und sich vor mich hinkniet. »Was ist los?«

Meine Unterlippe zittert dermaßen, dass ich mich nicht traue, auch nur ein Wort zu sagen. Ich schüttele den Kopf und vergrabe das Gesicht in den Händen.

»Hey«, flüstert Zayne und berührt meine rechte Schulter mit seiner warmen Hand. »Naseweiß und Prollo sind komplett verwirrt, weil du weinst, Paige. Komm, schau mich an.«

Widerwillig hebe ich den Kopf und treffe auf seinen Blick. »War wohl ein bisschen viel, deine Reise.«

Keine Frage, sondern eine Feststellung. Zustimmend nicke ich und ziehe lautstark die Nase hoch. Sofort lässt Zayne von mir ab und macht ein gespielt angewidertes Gesicht.

»Igitt! Untersteh dich, das nochmal zu machen, während du hier wohnst, Naseweis. Hier.« Er erhebt sich und greift nach einer Packung Taschentücher auf dem Tisch, die er mir, ohne zu zögern zuwirft.

Einstweilen ich mir die Tränen trockne, studiert er mich eingehend und verschränkt erneut die Arme vor der Brust, wobei er sich mit der Hüfte am Esstisch anlehnt.

»Ich denke, wir brauchen einen neuen Spitznamen für dich, jetzt wo Naseweiß ja deine Katze ist«, bemerkt er mit einem Seitenblick auf die zarte, weiße Figur, die sich verschüchtert an meine rechte Seite drückt.

Das erinnert mich daran, dass ich das Essen der beiden vorbereiten wollte. Ich durchwühle stumm die Kiste und schütte eine Portion Trockenfutter in die Schalen, die ich anschließend neben der Küchenzeile hinstelle. Prollo stolziert direkt darauf zu, und ich hebe Naseweiß hoch, um sie dicht an seiner Flanke zu positionieren.

»Wo wir gerade dabei sind – da ist so einiges, was wir brauchen«, fügt Zayne seiner vorherigen Aussage hinzu. Er dreht sich um und prüft die Spagetti im Ofen. »Aber das hat noch Zeit bis heute Nachmittag.«

»Musst du denn nicht zur Arbeit?«, frage ich, urplötzlich aufgeschreckt durch einen kleinen Realitätsschub. Ein winziger Teil meines Gehirns staunt über die seltsame Art der Abgeschiedenheit, in der mein mentaler Status verweilt. Ich schiebe es auf Übermüdung und versuche, nicht mehr daran zu denken.

Zayne grinst mir zu und zwinkert, als er sagt: »Keine Sorge, Eron übernimmt für mich. Komm, ich zeige dir das Haus, bis das Essen fertig ist.«

Mit einem kurzen Blick vergewissere ich mich, dass meine Fellnasen einigermaßen gut aufgehoben sind, dann folge ich Zayne, der bereits die Stufen zur ersten Etage erklimmt. Oben angekommen, stehe ich auf einem hölzernen Absatz, der sich in Form einer Galerie auf beide Seiten erstreckt.

Er steht im Flur und deutet auf die Tür direkt rechts vom Treppenabsatz. »Das Bad ist da drin. Ich lege dir gleich neue Handtücher raus, falls du vor dem Essen duschen möchtest.«

Stumm deute ich ein Nicken an und sein Blick gleitet zur Tür gegenüber des Absatzes. »Das ist mein Arbeitszimmer. Zutritt erlaubt, aber nur, wenn du und deine Samtpfoten euch im Griff habt. Ich kann keine zerfetzten Unterlagen gebrauchen.«

Trotz der harschen Worte lächelt er. Seine Augen schimmern schelmisch. Ich grinse kurz zurück und er dreht sich um, um mich weiter den Flur hinab zu führen.

»Das hier ist dein Zimmer und dahinter, das letzte, ist meins. Und da hinten ist die Tür zum Dachboden, falls du irgendetwas dort verstauen willst. Sie ist momentan allerdings abgeschlossen…« Seine Stirn legt sich in grübelnde Falten. »Keine Ahnung, wo ich den Schlüssel hingelegt habe.«

Mit vor Aufregung hämmerndem Herzen trete ich in mein neues Zimmer. Die Tür besteht aus dunkelbraunem Holz, ebenso der Rahmen und die Abschlussleisten im Raum selbst. Das Mauerwerk ist mit einem filigranen, hellen Blumenmuster tapeziert und von der Decke hängt eine blumenförmige, grünstichige Lampe.

Die rechte Wand zieren massive Oxford-Bücherregale, und eine dazu passende Leiter lehnt am hinteren Ende. Direkt im Anschluss wurde ein enormes Bett aufgebaut und mittig scheint grelles Tageslicht durch ein ausladendes Fenster hinein, neben dem ein Schreibtisch mitsamt Stuhl steht. Der Kleiderschrank bildet den Abschluss, denn er ist links von der Tür positioniert.

Fasziniert drehe ich den Kopf von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Zayne interpretiert mein Schweigen falsch, denn er sagt: »Ist nicht jedermanns Geschmack, aber es erfüllt seinen Zweck.«

Ich drehe mich zu ihm um, und das erste Mal, seitdem ich ihn wiedergesehen habe, lächle ich strahlend. »Es ist wunderschön!«

Er errötet ein wenig und greift sich unbeholfen mit der Hand in den Nacken. Sein Blick wandert vom Mobiliar zu mir und zurück. »Du kannst hier alles so einrichten, wie du willst. Die Regale sind ja leer, also …«

Mein Lächeln versiegt auf der Stelle. Ich weiß, worauf er anspielt: Ich bin eine Leseratte, und Bücher sind meine Seelennahrung, meine Luft zum Atmen.

Betreten senke ich den Blick auf die drei Kartons, die vor dem Bett stehen. »Ich habe keine Bücher mehr außer den vieren in dieser Kiste. Und nicht das nötige Budget, um welche zu kaufen«, murmele ich mit glasigen Augen.

Zayne schnaubt und ich hebe verwirrt den Blick. Seine Augen blitzen, doch ich kann nicht bestimmen, ob es Wut ist, die darin flackert, oder irgendetwas anderes.

»Wo sind deine ganzen Sachen, Paige?«, fragt er mich mit bemüht beherrschter Stimme.

Ich schlucke schwer und weiche seinem Blick aus. Stattdessen mustere ich das Tattoo, das an seinem linken Oberarm prangt: ein aufgeschlagenes Buch, dessen Seiten vor Licht sanftmütig zu strahlen scheinen. Stirnrunzelnd fokussiere ich mich darauf und frage mich, was es wohl damit auf sich hat.

»Paige.« Zaynes Stimme ist eindeutig angepisst.

»Sie sind bei meinem Ex in London. Sofern er sie behalten hat.« Mein Gesicht verzieht sich bei diesen Worten.

Der lang unterdrückte Zorn gegenüber Garreth kocht urplötzlich wieder in mir hoch. Ich balle die Hände zu Fäusten und schaue Zayne in die Augen. »Dieser miese Penner hat alles an sich gerissen und mich auf die Straße gestellt, sobald er erfahren hat, dass ich meinen Chef angezeigt habe.«

Seine Augenbrauen schießen vor Überraschung in die Höhe. Er tritt zu mir und legt seine Hände auf meine Schultern, sieht mich dabei scharf an. »Keine Sorge, Naseweis. Wir werden deine Sachen hierherholen, das verspreche ich dir.«

Ich lache sarkastisch auf und erwidere: »Das würde ich zu gern sehen. Garreth ist Inhaber der Local Times London – ich habe mich nicht getraut, auch nur einen Piep zu sagen, sobald er mich fallengelassen hat – so einflussreich ist er.«

Für einen Moment habe ich das Gefühl, Zayne würde explodieren. Er hatte immer schon einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, und er hasst es, wenn jemandem Dinge weggenommen werden, die einem am Herzen liegen. Genau wie– Nein! Sofort fahre ich meine inneren Barrieren nach oben und lasse den Gedanken nicht zu, der sich anzuschleichen droht.

Er schließt die Augen, atmet einige Male tief durch und dreht sich schließlich weg. Beim Hinausgehen sagt er: »Ich lege dir die Handtücher ins Bad. Wenn das Essen fertig ist, rufe ich dich.« Dann ist er verschwunden.

Mit einem Mal senkt sich bodenlose Erschöpfung über mich und ich taumle zur Bettkante, wo ich mich niedersinken lasse und einfach nur sitzen bleibe.

Eigentlich müsste ich nach Naseweiß und Prollo sehen, sollte ihnen zeigen, wo das Katzenklo ist, allerdings schaffe ich es nicht, mich vom Bett zu erheben. Die Müdigkeit legt schwere Ketten um meinen Körper und zieht mich immer weiter hinab, bis ich mich seitlich auf die Matratze fallen lasse und im nächsten Moment einschlafe.

»Hey, kleines Mädchen!«

Entnervt verdrehe ich die Augen. Ich reagiere nicht auf den Ausruf, sondern beschleunige meine Schritte. Der breite Flur ist voll mit Studierenden und nicht wenige von ihnen gaffen zwischen mir und meinem Verfolger hin und her.

»Naseweis, warte!«

Eine Gruppe junger Frauen kichert hinter vorgehaltenen Händen und betrachtet mich mit abwertenden Blicken. Verständlich, wer will schon in aller Öffentlichkeit als Naseweis betitelt werden? Oder kleines Mädchen? Ich bin zwanzig Jahre alt, verdammt!

»Hey.« Diesmal kommt die Stimme von meiner rechten Seite und klingt gelinde außer Atem.

Mein Kopf ruckt herum. Sein Grinsen ist das erste, was ich wahrnehme und ich verenge instinktiv die Augen zu Schlitzen. Was gibt es da zu feixen? Aus irgendeinem Grund macht mich all die Aufmerksamkeit stinkwütend. Ich will einfach nur zurück in die Zeit, in der er mich nicht wahrgenommen hat – bevor er mich das erste Mal angesprochen hat.

»Hast du mich nicht rufen gehört, Naseweis?«, fragt er belustigt, während er locker mit den Fingern durch seine Wuschelhaare fährt und die Hände anschließend in der Jogginghose vergräbt. Seine Augen strahlen auf mich herab.

Diese vermaledeiten Augen lassen mein Herz höher schlagen, meine Magengegend knistern und verdrehen mir vollends den Verstand, seitdem er mich in der Bibliothek angesprochen hat. Das ist inzwischen zwei Tage her.

Ich verziehe abweisend den Mund. »Nein. Ich heiße Paige, nicht Naseweis oder kleines Mädchen«, gebe ich zurück und beschleunige meine Schritte noch weiter.

Zu meinem Erstaunen lacht er leise in sich hinein und erwidert: »Okay, Paige. Verrate mir mal, was du nachher vorhast?«

Ich verharre mitten im Schritt und starre ihn an. Er hingegen macht noch zwei, bevor er verdutzt über die Schulter sieht und zu mir zurückkehrt.

»Was soll das?«, zische ich unwirsch.

Seine Mundwinkel zucken amüsiert und die linke Augenbraue wandert in die Höhe. »Was? Darf ich dich nicht einmal fragen, was du später vorhast?«

Da meine Hände um einen Stapel Bücher geklammert sind, kann ich sie nicht in die Hüften stemmen, weshalb ich das Gewicht nach hinten verlagere, um ihn aufmerksam zu mustern. Seine Arme hängen locker hinab, abgesehen vom kleinen Finger seiner linken Hand. Dieser trommelt einen wilden Rhythmus auf seinen Oberschenkel.

Verunsichert werfe ich einen prüfenden Blick auf die umstehenden Gaffer – vorwiegend Personen des weiblichen Geschlechts–, um abzuwägen, ob er mich gerade verarscht. Aber niemand hält ein listiges Kichern zurück oder grinst überheblich. Die einzigen, die mir erboste Blicke zuwerfen, sind die Mitglieder des allseits bekannten Parollo-ist-ein-Gott-Fanclubs, die davon überzeugt sind, dass für Zayne keine Frau der Welt gut genug sein könnte.

Dass ich mit ihm spreche, wird ihre Reihen vermutlich dermaßen in Aufruhr versetzen, dass sie eine entsprechende Notfallsitzung abhalten werden.

Ich hoffe, ich lande nicht auf einem Scheiterhaufen irgendwo in einem ausgemusterten Bunker. Ein Schauder rieselt mir den Rücken hinab, und ich lenke mich von der gruseligen Fantasievorstellung ab, indem ich Parollo mit zusammengekniffenen Augen ins Visier nehme. »Was willst du?«

Ein teuflisch provokantes Lächeln formt sich auf seinen Lippen. Er kommt näher, viel zu nah, und beugt sich zu mir herab. »Dich«, raunt er, seine blauen Augen auf meine eigenen gerichtet.

Nun bin ich es, die die Brauen hochzieht. Ein ungläubiges Schnauben entweicht mir und ich gebe keck zurück: »Träum weiter, Parollo.«

Daraufhin trete ich einen Schritt zur Seite an ihm vorbei und marschiere den Flur entlang in Richtung meiner anstehenden Literaturlesung.

Zaynes Stimme schallt laut und deutlich durch die Gänge, als er mir hinterherruft: »Ich höre erst auf, zu träumen, wenn du mit mir ausgehst, Naseweis.«

Obwohl ich für alle um mich herum sichtbar den Kopf schüttele, kann ich das aufgedrehte Lächeln nicht verbergen, das sich bei seinen Worten auf meinem Gesicht abzeichnet.

Das zarte Stupsen eines Näschens weckt mich, und ich ziehe Prollo automatisch näher zu mir heran. Der Kater mauzt vorwurfsvoll und entschlüpft meiner Umarmung. Er lässt ein weiteres, lautstarkes Mauzen folgen und trampelt über meine Rippen. Bevor er die Blase erreicht, hebe ich ihn entschieden hoch und stelle ihn auf dem Boden ab, wo er mich mit großen Augen ansieht und lautlos mit dem Schwanz hin und her wedelt.

»Schon kapiert«, grummle ich verschlafen. Ich strecke meine Glieder und gähne ausgiebig, dann stehe ich auf und öffne die oberste Kiste, um Wechselklamotten herauszufischen.

Prollo unterstützt mich dabei, indem er Anstalten macht, in den Karton zu hüpfen. Im letzten Augenblick fange ich ihn ab und trage ihn kurzerhand mit mir ins Bad, derweil ich sanft mit ihm schimpfe. »Du kleiner Racker du – wo hast du deine Freundin gelassen, hm? Habt ihr denn keine Angst vor den neuen vier Wänden?«

Er mauzt und windet sich, und ich lasse ihn gehen, bevor ich die Tür schließe und mich staunend umsehe. Eine Badewanne, eine ebenerdige Dusche mit Glasverkleidung und zwei Waschbecken, daneben die Toilette und, an die vordere Wand geschmiegt, eine Waschmaschine. Alles piekfein und blitzblank.

Erneut schüttele ich den Kopf über Zaynes unverhohlenen Wohlstand. Allenfalls sollte ich ihn mal fragen, wie er das alles finanziert hat? Wie hoch der Kredit wohl gewesen sein mag?

In Gedanken versunken entledige ich mich meiner zerknitterten Klamotten und stelle mich unter die Dusche. Die Temperatur des Wassers erreicht rasch den Punkt »kochend heiß« – doch ich liebe das und nach kürzester Zeit lockern sich meine Muskeln. Andererseits kommen mit der Entspannung auch die Erlebnisse der letzten Wochen zurück, und ein eiskalter Schauer rinnt mir trotz der Hitze des Wassers den Rücken hinab.

Ich weiß, dass ich in den bisherigen Job als Agentin an den Nagel hängen muss, denn das Business ist hart und man kennt sich untereinander wie in einer gewaltigen, internationalen Familie. Da ich meinen Vorgesetzten angezeigt habe, bin ich raus aus dem Geschäft.

Ein sarkastischer Lacher rutscht über meine Lippen. Na klar, etwas Neues suchen – in einem Land, in dem man heutzutage bereits einen Bachelor fürs Kloputzen benötigt.

Die aufkommende Wut mischt sich mit dem seltsam distanzierten Kloß, der seit der Abreise in meinem Hals feststeckt. Und nach wenigen Sekunden verraucht die Wut und Tränen steigen mir in die Augen. Ich bin unendlich erleichtert darüber, dass ich bei Zayne wohnen kann, bis ich eine eigene Bleibe gefunden habe. Dass Naseweiß und Prollo weiterhin ein Dach über dem Kopf haben und ich nicht auf der Straße ende. Nichtsdestotrotz habe ich Angst – Angst vor der Zukunft, die mir mit einem Schlag genommen wurde, und die ich jetzt komplett neu definieren muss. Hinzu kommt die Tatsache, dass Zaynes Anwesenheit mich nicht so kaltlässt, wie ich angenommen hatte. Seine blauen Augen ruhen derart vertraut auf mir, dass ich mich– Stopp! Verzweifelt ramme ich den mentalen Riegel vor diesen Gedankengang und versuche, meinen Kopf leer zu fegen. Zum Glück stehe ich unter der Dusche, wo niemand meine Tränen sehen kann.

Im nächsten Augenblick klopft es an der Badezimmertür.

»Paige? Das Essen ist fertig«, meldet sich Zayne von der anderen Seite.

Ich schlucke heftig, um die unterdrückten Schluchzer zurück in meine Kehle zu stopfen, daraufhin krächze ich: »Okay! Bin gleich da!«

Hastig wasche ich mir die Haare, drehe das Wasser ab und stürze aus der Dusche, um mich abzutrocknen und anzuziehen.

Sobald ich die Tür aufmache, weht mir der Geruch der Spagetti entgegen. Mein Magen grummelt vor Begeisterung. Vergessen ist die trübselige Stimmung von eben, das Wasser läuft mir im Mund zusammen und ich nehme die Stufen mit Anlauf.

Zayne blickt überrascht auf, als ich die Treppen hinab stürme, dann lächelt er. »So hungrig?«, fragt er mit einem Augenzwinkern, während er Besteck neben die beiden vollen Teller drapiert.

Ohne zu antworten, setze ich mich auf den erstbesten Stuhl vor einen der Teller und schließe verzückt die Augen. Ich atme den Duft des Gerichts mit einem tiefen Atemzug durch die Nase ein. »Ahhh«, mache ich anschließend und öffne die Lider.

Zayne kann einen Lachanfall kaum noch unterdrücken und ich grinse ihm entgegen.

»Worauf wartest du?«, frage ich fieberhaft.

Er setzt sich hin und ich greife schnurstracks nach Löffel und Gabel, schlinge den ersten Bissen hinunter und stöhne verzückt auf, obwohl ich mir soeben gehörig die Zunge verbrannt habe.

»Zayne, das schmeckt himmlisch!«, bemerke ich, bereits wieder mit vollem Mund.

»Mhmm«, antwortet er mit hochgezogenen Augenbrauen. Im Gegensatz zu mir dreht er die Pasta vorbildlich auf.

Für ein paar Minuten ist es still zwischen uns. Lediglich das Klappern unserer Gabeln und Löffel ist zu hören. Der Heißhunger ist verschwunden und einem normalen Appetitgewichen. Dementsprechend kehren meine Tischmanieren zurück und ich genieße das Aufrollen und Kauen der Pasta.

Da fragt Zayne: »Hast du eine Idee, was du jetzt machen willst?«

Umgehend melden sich die Selbstzweifel. Doch ich beherrsche mich, schüttele sachte den Kopf und erwidere: »Bisher nicht. Ich kann nicht in meinem alten Job bleiben, ergo muss ich mir was Neues suchen.«

Um meine mangelnde Motivation zu untermauern, verziehe ich unwirsch das Gesicht.

»Na ja, du könntest bei uns mitmachen. Wir haben bald Monatsende, und jeden Monatsanfang starten Dutzende Neulinge, also wärst du nicht allein.«

Mein Mund verzieht sich – nicht aus Ablehnung, sondern aus einem anderen, tieferliegenden Grund, den ich dessen ungeachtet nicht mit Zayne teilen möchte.

Er sieht es und hakt nach: »Was? Was wäre so beschissen daran?«

»Nichts«, beeile ich mich, zu antworten. »Ich bin nur … nicht mehr in Form für …«

Mit komplett heißen Wangen breche ich mein Gestammel ab und senke den Blick wieder auf den Teller.

Aus heiterem Himmel liegen die langen Finger seiner rechten Hand auf meinem Arm und ich schaue auf, direkt in sein Gesicht und die dazugehörenden, strahlend blauen Augen.

»Es wird dich keiner wegen deines Körpers verurteilen«, sagt er mit fester Stimme. »Genauso wie niemand darüber urteilen wird, wieso du nicht mehr auf deinem Beruf arbeiten kannst. Das ist allein deine Sache, genau wie dein Körper.«

In meinem Hals bildet sich ein neuerlicher, dicker Klumpen und ich schlucke ein paarmal, um ihn wegzubekommen. Wenn Zayne wüsste, wie enorm ich derart aufbauende Worte brauche – gebraucht hätte, in diesen schrecklichen Wochen, Quatsch, Jahren.

»Wenn du früher oder später darüber reden willst … ich bin da«, fügt er kaum vernehmbar hinzu. Nun ist er es, der den Blick senkt. Die Hand auf meinem Arm verschwindet.

Doch bevor sich eine seltsame Stimmung zwischen uns ausbreitet, wechselt Zayne das Thema. »Sollen wir gleich einkaufen fahren?«

Er deutet mit der Gabel auf Naseweiß, die in diesem Moment auf einen freien Stuhl springt, das hellpinke Näschen mit dem weißen Fleck in die Luft gestreckt, um zu schnuppern. »Scheint so, als bräuchten deine Kids noch das ein oder andere.«

Ich schmunzle und streichle Naseweiß, meide jedoch Zaynes Strahleaugen. »Das wäre wirklich supernett von dir, danke.«

»In dem Fall ist es beschlossene Sache: Wir gehen für euch alle einkaufen.« Er strahlt einen Augenblick lang, aber dann fragt er plötzlich ernst: »Wo kauft man denn für Katzen ein?«

Die ehrliche Verwirrung auf seinem Gesicht reicht aus, um mich zum Lachen zu bringen.

Drei Tage sind vergangen, und Zayne besteht weiterhin darauf, dass ich mich als Campus-Kurier anmelden sollte. Seine Argumente sind valide und logisch: solides Einkommen, schnellere Aussicht auf eigene vier Wände. Trotzdem halte ich mich mit einer definitiven Zusage zurück. Dass ich insgeheim Angst davor habe, von Kolleginnen und Kollegen verurteilt, oder gar belächelt zu werden, will ich Zayne nicht offenbaren. Ganz zu schweigen von meinem jetzigen Aussehen…

An einem Punkt innerhalb der vergangenen sechs Jahre hatte ich die absurde Ansicht entwickelt, dass wenn ich an Gewicht zulegen würde, Danny eventuell nicht mehr an mir interessiert sein könnte. Ich habe über dreißig Kilo zugenommen, mich komplett gehen lassen, den gewohnheitsmäßigen Sport eingestellt und gegessen, worauf ich Lust hatte.

Diese Strategie ist in Bezug auf Danny in keinster Weise aufgegangen – sie hat lediglich die Örtlichkeiten und Möglichkeiten eingegrenzt, die er zur Verfügung hatte. Was mich wiederum in eine Abwärtsspirale des Selbsthasses getrieben hat, aus der ich seither nicht mehr zu entfliehen vermochte. Mein Gehirn weigert sich strikt oder trickst mich aus, wann immer ich einen neuerlichen Abnehmversuch starte.

Die Gewichtszunahme ist ein Verteidigungsmechanismus, den ich nicht länger nötig habe, an dessen Mauern ich mich allerdings bis zum heutigen Tag unterbewusst festklammere, weil sie mir das Gefühl geben, gegen mögliche Wiederholungen abgesichert zu sein.

Garreth hat meine Beine regelmäßig abfällig gemustert und gemeint, dass er mit Walbabies ins Bett ginge, wenn wir uns schlafengelegt haben. Es ist kaum drei Monate her, seitdem wir getrennt sind, dennoch verstehe ich immer weniger, warum ich überhaupt mit diesem Klappspaten von einem Mann zusammen gewesen bin.

Ich will mich nicht länger an das erinnern, was geschehen ist. Es schmerzt zu sehr, wenn ich daran denke, dass ich mich eine gefühlte Ewigkeit von Danny habe missbrauchen lassen. Aus diesem Grund lenke ich mich ab, indem ich mich bewusst auf das Hier und Jetzt konzentriere.

Zurzeit sitzen wir behaglich auf der Couch, Prollo und Naseweiß belegen die neu gekauften Katzendecken zu meiner Rechten, indes Zayne zu meiner Linken sitzt, die Füße auf einem Hocker vor sich abgelegt. Wir zappen durch verschiedene Filmmöglichkeiten, aber die Auswahl ist meiner Meinung nach nicht wirklich berauschend.

Abrupt wechselt Zayne den Streamingdienst und fragt: »Wie wäre es mit einem Klassiker?«

Argwöhnisch runzle ich die Stirn und werfe einen Seitenblick auf sein Profil. »Welchem Klassiker?«, hake ich nach.

Er grinst und findet den Film, den er sehen will: Gladiator. Ich nicke zustimmend. »Nicht schlecht.«

Sein Grinsen wird breiter und er wendet sich mir kurz zu. »Alles für die verrückte Katzen-Lady.«

»Ausgezeichnet«, kontere ich, während ich die Fingerkuppen aneinanderlege und ein intrigantes Lächeln auf mein Gesicht zaubere.

Zayne lacht lauthals und ich kann die Fassade nicht länger aufrecht erhalten – ich stimme mit ein.

»Ok, diese Runde gewinnst du, Naseweis«, meint er, als er sich schließlich beruhigt hat.

Mein Grinsen fällt erkennbar in sich zusammen. Zayne schiebt eine Augenbraue in die Höhe. »Was?«

Ich schüttele den Kopf und erwidere: »Nichts, alles okay. Lass uns den Film schauen.«

Zur Antwort stoppt er diesen jedoch und sieht mich abwartend an. Ich seufze und verwerfe die Hände. »Dieser Name weckt Erinnerungen, das ist alles«, gestehe ich im Endeffekt unwirsch.

Die zweite Braue gesellt sich zur Ersten und er nickt in Richtung meiner Katze. »Und weil du die so sehr vergessen willst, benennst du deinen Vierbeiner danach?«, kontert er trocken.

»Nein«, presse ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Bei ihr passt der Name.« Das stimmt: Naseweiß hat reinweißes Fell und ein Teil ihrer hellrosa Nase ist ebenfalls weiß.