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Eine Freundschaft, die für die Ewigkeit bestimmt ist. Ein Ball, der alles verändert. Und ein Kuss, der zur Zerreißprobe wird … Seit frühester Kindheit sind Nora und Henry die besten Freunde. Gemeinsam stellen sie sich jedem Problem und gelten trotz ihrer Unterschiede als Dream-Team. Wenn Nora seine Hilfe benötigt, ist Henry für sie da – bis es auf dem Homecoming Ball zu einem Kuss kommt, der ihre Welt auf den Kopf stellt. Nora ist sich sicher: Sie will die Freundschaft zu Henry nicht verlieren. Doch gegen ihr Gefühlschaos ist sie nicht gewappnet …
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Isabell Walery
Homecoming Kiss
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 Isabell Walery, Friedrichstraße 35, 46145 Oberhausen
Lektorat: Klaudia Szabo (www.wortverzierer.de)
Korrektorat: Cara Rogaschewski (www.wortverzierer.de)
Cover: Alexander Kopainski (www.kopainski.com)
Satz: Emily Bähr (www.emilybaehr.de)
Dieses Buch ist auch als Taschenbuch erhältlich.
Für Anni,
weil du, du bist.
Verschlafen blinzle ich, während mein Blick auf den Wecker fällt. Noch einmal drehe ich mich um und kuschle mich tiefer in meine Decke. »Sieben Uhr«, murmle ich und meine Lider schließen sich wie von selbst. Genüsslich gähne ich, strecke meine Arme und ziehe die Beine an.
In meinem Kopf beginnt es zu rattern, ehe ich fluchend aus dem Bett springe und dabei die Laken herunterziehe, die auf dem Boden landen.
»Verdammte Scheiße, Mom?« Ich höre das gewohnte Rumpeln und kurz darauf wird die Tür zu meinem Zimmer aufgerissen. Meine Mutter sieht genauso aus, wie ich mich fühle. Ihre roten Haare stehen wild von ihrem Kopf ab und bestätigen, dass sie ebenfalls gerade aus dem Bett gefallen ist.
»Die übliche Routine?«, fragt sie, aber bevor ich nicken kann, verschwindet sie schon. Abrupt renne ich ins Badezimmer und muss mir einmal mehr eingestehen, dass Mom und ich ein eingespieltes Team sind, denn Verschlafen gehört zu unserer Tagesordnung.
Nach einer kurzen, kalten Dusche zum Wachwerden, ziehe ich, ohne zu zögern, die schwarze Hose von gestern an, ein Tanktop und Chucks in derselben Farbe.
Meine braunen Haare binde ich zu einem hohen Zopf und zupfe ein paar Strähnen heraus. Anschließend umrahme ich die Augen mit Kajal und steche mir in der Hektik dabei fast eines aus.
»Nichts geht über einen aufgespießten Augapfel am Morgen«, murmle ich, füge noch ein wenig Eyeliner hinzu und tusche mir schließlich die Wimpern.
Atemlos schlüpfe ich aus dem Bad und begegne meiner Mutter, die mir einen Coffee-To-Go-Becher und eine Brotdose entgegenhält. Im Vorbeigehen nehme ich ihr beides ab und poltere die Treppe hinab. Das braune Gold kippe ich runter und lasse die Lunchbox in meinem Jutebeutel verschwinden.
»Viel Spaß, Schatz«, höre ich noch, stürze zur Tür hinaus und bin nahe daran, in Henry hineinzustolpern. Seine dunklen Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab und aus seinen braunen Augen spricht Belustigung. Er sieht ebenso wenig überrascht wie ich darüber aus, dass ich mal wieder spät dran bin. Geschickt weiche ich ihm um Haaresbreite aus und greife nach seiner warmen Hand, in die meine so gut hineinpasst.
»Los, komm.« Meine Stimme klingt atemlos und ungestüm, während ich ihn hinter mir her zur Bushaltestelle schleife.
»Du wirkst etwas gehetzt«, neckt er mich in seinem ruhigen Tonfall. Auf seinen Lippen erscheint ein breites Grinsen. Mühelos holt Henry zu mir auf.
»Wenn ich genügend Luft bekäme, hättest du nicht viel zu lachen«, drohe ich ihm gespielt, doch meine Stimme ist nicht mehr als ein schwaches, heiseres Flüstern.
Ich werfe einen Blick zur Seite, bleibe an Henrys Gesicht hängen, an seinen markanten Wangenknochen, der geraden Nase, und stolpere prompt über meine eigenen Füße. Der Boden kommt näher und ich wappne mich für den Aufprall. Ein kleiner Schrei entfährt mir, doch Henry packt mich mit beiden Händen an der Taille und stellt mich wieder auf die Füße. Dankbar werfe ich ihm einen Blick zu. Seine braunen Haare fallen ihm beim Laufen in Strähnen ins Gesicht und seine Lippen ziert immer noch ein ausgelassenes Grinsen.
»Wenigstens einer von uns hat Spaß«, kommentiere ich atemlos und wende meine Aufmerksamkeit wieder unserem Weg zu.
Als der Bus in Sichtweite kommt, renne ich und nun ist es Henry, der mich hinter sich her schleift. Mein gehetzter Atem geht stoßweise, meine Lunge brennt und ich glaube, dass sie im nächsten Moment zu zerbersten droht.
»Wer auch immer da oben ist und mir zuhört«, bete ich. »Lass uns gefälligst diesen verflixten Bus bekommen. Ich schwöre, dass ich danach Sport treiben werde.«
Ich versuche, mich von Henry zu lösen, aber seine Finger verschränkt er nur fester mit meinen. Geschickt springt er in das Fahrzeug und ich stolpere hinterher, bevor sich die Türen schließen. Mir steht der Schweiß auf der Stirn und ich hoffe, dass mein Deo an diesem Tag nicht versagt. An mein Make-up will ich gar nicht erst denken.
Schwer stütze ich mich auf meine Beine.
»Du schwörst, dass du Sport treiben wirst?« Henrys Worte gehen in ein leichtes Lachen über.
»Dieser Wer-auch-immer-da-ist wird wissen, dass das gelogen war.«
»Du musst deutlich früher aufstehen.« Gespielt tadelnd richtet er die Worte an mich. Er weiß, dass ich das nicht tun werde, und ich weiß es ebenso. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass wir dieses Gespräch führen. »Demnächst versuche ich, dich zu wecken.«
In diesem Moment wünsche ich, dass ich eine passende ironische Antwort darauf geben könnte, aber dafür muss ich erst einmal zu Atem kommen. Sein Gesicht erscheint in meinem Blickfeld. Behutsam packt er mich bei den Schultern und richtet mich auf, sodass ich ihn ansehen muss. Der Bus setzt sich ruckelnd in Bewegung, bringt mich für einen Moment aus dem Gleichgewicht. Ich taste nach einer Stange, an der ich Halt finde. Gemeinsam rutschen wir in eine freie Bank weiter hinten im Bus.
Ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. Mit seinen blauen Iriden schaut er mich belustigt an.
»Hier.« Er hält mir eine Flasche hin und ich verziehe angeekelt das Gesicht, als mir das Etikett ins Auge fällt. Bevor ich Wasser mit Kohlensäure trinke, sterbe ich lieber. Ich sehe mich schon in Gestalt einer vertrockneten Leiche neben ihm sitzen.
»Nor«, sagt er leise, aber bestimmt, und reißt mich damit aus meinen Tagträumereien. »Du solltest unbedingt was trinken. Dein Schädel ist ganz rot.«
»Was?«, keuche ich erschrocken, krame im selben Moment mein Smartphone aus der Hosentasche und öffne die Kamera-App, um bestätigt zu sehen, was ich befürchtet habe. Ich habe nicht nur die Farbe einer überreifen Tomate angenommen, mir ist außerdem das komplette Make-up verschmiert und meine braunen Haare stehen in alle Richtungen ab. Seufzend lasse ich den Kopf hängen.
Spätestens jetzt ist die Verwandtschaft zu meiner Mutter nicht mehr zu leugnen. In etwa genauso hat sie heute Morgen ausgesehen, als sie aus dem Bett gekrochen ist.
Vorsichtig versuche ich das verschmierte Make-up um meine Augen zu entfernen, aber ich mache es nur schlimmer und habe hinterher schwarze Schatten unter den Lidern. Oje! Waschbär lässt grüßen.
»Komm her.« Henry hebt mit zwei Fingern sanft meinen Kopf an. Der Blick aus meinen braunen Augen verhakt sich mit seinem, aber er unterbricht den Kontakt sofort. In Gedanken streicht er eine Strähne aus meiner Stirn, die sich aus meinem Zopf gelöst hat. Das hat er schon lange nicht mehr getan und ich habe die zärtliche Geste vermisst, die mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagt. Meine Gedanken reisen unwillkürlich zum letzten Sommer, bevor Aidan und ich ein Paar geworden sind und diese kleinen Zärtlichkeiten abrupt aufgehört haben. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, den ich schwer herunterschlucke.
Konzentriert wischt er mit einem Taschentuch unter meinen Lidern entlang. Dabei streckt er an einem Mundwinkel die Zunge ein Stück heraus und bringt mich zum Grinsen. Seit wir klein waren, macht er das, wenn er sich auf etwas fokussiert und nichts falsch machen will.
Nach wenigen Minuten beendet er sein Treiben. »So, geschafft« meint er und grinst mich zufrieden an. Ich zücke erneut mein Handy und sehe nach. Tatsächlich bin ich nicht länger ein Pandabär. Erleichtert atme ich aus.
»Danke«, hauche ich noch immer außer Atem. Verdammt, ich muss wirklich Sport machen.
»Gern geschehen.« Henry lächelt liebevoll. Freundschaftlich knuffe ich ihn in die Seite.
»Und wie ist dein Tag so gelaufen, bevor ich wie ein Wirbelwind aus dem Haus gestürmt bin?«, frage ich ihn und kann mir mittlerweile ebenfalls nicht mehr das Grinsen verkneifen.
»Wie immer eigentlich. Ich bin morgens früh aufgestanden und laufen gegangen.«
»Das habe ich schon öfter gesagt, aber ich muss es noch einmal erwähnen: Du weißt, dass es nicht normal ist, jeden Tag vor der Schule aufzustehen und erst einmal eine Runde Sport zu machen?«
»Für dich vielleicht nicht. Aber deshalb bin ich auch nicht derjenige, der rot wie eine Tomate im Bus sitzt, weil er hundert Meter sprinten musste.«
Ich strecke ihm gespielt beleidigt die Zunge raus und verschränke die Arme vor der Brust.
Als der Bus anhält, schlage ich mir im Sitzen beinahe den Kopf an dem hohen Sitz vor mir an, aber Henry hält mich an den Schultern zurück. Verdammt, das ist nicht mein Tag. Trotzdem lächle ich ihn an und kann es kaum erwarten, aus dem Bus zu kommen.
Tief sauge ich die frische Luft in meine Lungen und erblicke auch schon das verschmitzte Grinsen, in das ich mich verliebt habe. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.
Vorsichtig sehe ich mich um und achte darauf, dass kein Lehrer vor der Schule Aufsicht hat, weil sie bei öffentlicher Knutscherei wirklich streng sind. Dann nehme ich Anlauf, um mich in Aidans Arme zu werfen. Er umschlingt mich, presst mich an seine Brust und wirbelt mich im Kreis herum. Ich verkneife mir einen kurzen Aufschrei und schmiege mein Gesicht in seine Halsbeuge. Mit einer Hand streichelt er über meinen Kopf und für einen Augenblick schließe ich die Augen. Ich verliere mich in dem Moment, bis ich grob auf dem Boden abgesetzt werde. Hart treffen meine Füße auf den Gehweg und ich gerate verblüfft ins Straucheln, werde aber von meinem Freund aufgefangen.
»Hey, du Tollpatsch.« Er lacht über mich. Ich zucke mit den Schultern und probiere mich an einem schiefen Grinsen. Noch einmal drückt er mich an sich, sein Atem kitzelt auf meiner Haut und trotz der kalifornischen Hitze bekomme ich eine Gänsehaut.
»Sucht euch ein Zimmer.«
Als ich die Stimme meiner besten Freundin Rebecca neben mir höre, löse ich mich langsam von meinem Freund. Unter meinen Fingerspitzen, die noch an seiner Brust liegen, spüre ich sein leises Lachen mehr, als dass ich es höre.
Sie nimmt Anlauf und wirft sich an meinen Hals. »Oh mein Gott, freust du dich auch schon so sehr auf heute Abend? Ich kann es kaum erwarten«, kreischt sie mir ins Ohr. Sie hüpft dabei auf und ab, erwürgt mich fast. Überall ist lockiges erdbeerblondes Haar. In meinen Augen, vor der Nase und dem Mund. Als ob ich geradewegs in einen haarigen Dschungel geplumpst bin.
»Becks«, krächze ich, schaffe es, ihre Arme von mir zu lösen, und ergehe damit knapp dem Erstickungstod. Schwer atmend und ein wenig theatralisch, stütze ich mich mit den Armen auf meinen Beinen ab.
»Hättest du nicht versuchen können, keinen Anschlag auf mich zu verüben?« füge ich hinzu, als ich wieder genug Luft bekomme.
»Holde Maid. Nehmt diesen Kaffee als Zeichen meiner tiefen Liebe zu Euch«, echot Rebecca und verbeugt sich tief vor mir. Wie aus dem Nichts zaubert sie einen Coffee-To-Go-Becher aus ihrer Handtasche hervor, den ich ihr dankbar abnehme. Argwöhnisch betrachte ich ihn und frage mich, wie es sein kann, dass nichts ausgelaufen ist.
Im Licht der Sonne glitzern die kleinen braunen Sprenkel in ihren Augen golden.
»Sehr wohl, edler Ritter. Ich werde Euch niemals vergessen, dass Ihr mich mit diesem edlen Gebräu versorgt habt.« Nach ein paar Schlucken schenke ich meiner besten Freundin ein Lächeln.
»Da du jetzt tief in meiner Schuld stehst, kannst du die Toiletten mit mir aufsuchen.« Rebecca hakt sich bei mir unter und zieht mich ganz selbstverständlich mit in das Gebäude. Vorbei an den Blumenkästen und den zwei mickrigen Bäumen. Ich werfe Henry und meinem Freund einen entschuldigenden Blick zu.
Die Flure der Ocean View High School sind um diese Uhrzeit, bis die Schulglocke läutet, leer. Nur vereinzelt laufen Schüler durch die Gänge, die noch etwas vor dem Unterricht zu erledigen haben.
»Henry und Aidan sehen wieder so hinreißend aus.«
Ich werfe Rebecca ein Schmunzeln von der Seite zu. »Hinreißend?«, frage ich ein wenig irritiert.
»Okay, du hast recht. Sie sehen wahnsinnig heiß aus.«
Lachend schüttle ich den Kopf. »Wenn wir uns nicht schon Ewigkeiten kennen würden und du nicht jeden Tag von den beiden schwärmen würdest, würde ich dich ja fragen, ob ich dir ein Date mit Henry organisieren soll.« Ich grinse vor mich hin, während meine beste Freundin abwinkt.
»Ach, ich fürchte Henry ist eher der Typ für was Festes und Aidan leider in einer Beziehung.« Affektiert legt sie eine Hand auf die Stirn und wirft den Kopf zurück. Dabei schwingen ihre offenen Haare nach hinten und lassen sie wie einen Filmstar aussehen. »Allerdings ist das nur ein Grund und kein Hindernis«, fügt sie hinzu und zwinkert. Ein schiefes Grinsen legt sich auf ihre herzförmig geschwungenen Lippen. Neckisch knuffe ich sie in die Seite.
»Du bist heute wieder besonders frech«, erwidere ich und lache. Ich kenne sie und ihren komischen Humor schon eine Ewigkeit. Sozusagen seit dem Sandkasten.
»Selbst schuld, dass du mit mir befreundet bist«, trällert sie fröhlich und zwinkert mir zu.
»Leider habe ich keine Ahnung, wie das passieren konnte.« Auf meine Lippen legt sich ein schiefes Grinsen.
»Eins zu null für dich«, kommentiert sie und winkt mit einer Hand ab.
Wäre ich nicht bei Rebecca untergehakt, hätte ich beinahe die Tür zum Mädchenklo verpasst und wäre einfach weitergelaufen. Ich stolpere hinter ihr in den Raum, während sie schon in einer Kabine verschwindet. Schnell schaue ich nach, ob ich etwas von meinem Kaffee verschwendet habe, aber zu meiner Verblüffung ist nichts auf den Deckel gelaufen. Erleichtert atme ich aus.
»Nor, du siehst grauenvoll aus.« Meine beste Freundin kommt aus ihrer Kabine, wäscht sich die Hände und richtet sich nach dem Abtrocknen die Haare.
»Vielen Dank«, erwidere ich und drehe mich ebenfalls zu den Spiegeln über den Waschbecken um. Tatsächlich hat sich mein Anblick nicht gebessert. Meine braunen Haare stehen noch kraus zu Berge, als ob ich eine schlecht gestylte Bellatrix Lestrange-Perücke tragen würde, aber zumindest bin ich kein Waschbär mehr. Meinen Becher stelle ich auf den Rand des Waschbeckens und kontrolliere noch einmal, ob er richtig steht. Schließlich brauche ich mein Lebenselixier, um den Tag zu überstehen.
Mit den Händen versuche ich meine Haare zu glätten – vergeblich – bis ich ein belustigtes Schnauben höre, das ich nur allzu genau kenne. Hinter mir kommt aus einer Kabine die Person, die ich am wenigsten sehen möchte und begibt sich an das Waschbecken direkt neben mir, um sich die Hände zu waschen.
»Du kannst dir das sparen. Vogelscheuchen bleiben hässlich, egal wie sehr sie versuchen, das zu ändern.« Kayla, Cheer-Captain und die größte Zicke der Schule, lacht gekünstelt. Ich balle die Hände zu Fäusten, aber bevor ich antworte, eilt Rebecca mir zur Hilfe.
»Wo sind deine kleinen Klone, Kayla? Ich wusste nicht, dass du ohne sie überleben kannst.« Mit gestrafften Schultern baut sich meine beste Freundin zwischen mir und dieser Bitch auf. Trotzdem ist sie mit ihrer geringen Größe einen ganzen Kopf kleiner, doch ich weiß, dass ihr Gesichtsausdruck jeden noch so riesigen Kerl in die Flucht schlägt.
Das Gesicht der blonden Furie verändert sich zu einer teuflischen Grimasse, doch es verfehlt seine Wirkung. Rebecca lässt sich nicht einschüchtern. Sie starrt meine Erzfeindin aus Kindheitstagen in Grund und Boden.
»Verschwinde, Kayla«, zischt meine BFF sie mit einem drohenden Ton an.
»Ich wollte sowieso gehen.« Sie wendet sich ab und macht eine wegwerfende Handbewegung. Ihre platinblond gefärbten Haare wippen im Takt ihrer Schritte. Aber bevor sie das Mädchenklo verlässt, dreht sie sich noch einmal um.
»Rebecca, wir haben für heute Nachmittag ein zusätzliches Training vereinbart. Falls du nicht kommst, brauchst du in diesem Jahr gar nicht mehr bei den Cheerleadern zu erscheinen.« Damit macht sie kehrt und lässt uns allein.
Am liebsten würde ich sie erwürgen. Meine Hände sind weiterhin zu Fäusten geballt und ich starre auf die Tür.
»Beruhige dich.« Rebecca legt ihre Hände auf meine Schultern. Ein paar Mal atme ich hörbar ein und aus.
»Regt dich das gar nicht auf?«, frage ich sie völlig außer mir.
»Klar, aber ich kann nicht viel machen. Sie ist nun mal Captain des Teams. Wenn ich Cheerleaderin bleiben möchte, muss ich während des Trainings nach ihrer Pfeife tanzen.«
Ich sehe meine Freundin entschuldigend an und schließe sie kurzerhand in die Arme.
»Es tut mir so leid«, murmle ich. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. »Sie ist eine totale Katastrophe und ich wünschte, ich könnte dir helfen.« Rebecca leidet darunter, dass Kayla Cheer-Captain geworden ist, nachdem die Letzte ans College gewechselt ist. Wir lösen uns voneinander.
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragt sie stattdessen.
»Geht schon. Ich will meinen Tag nur nicht mit ihr beginnen. Sie bereitet mir Kopfschmerzen.« Mit einer Hand greife ich an meine Stirn und reibe darüber. Tatsächlich merke ich einen dumpfen Schmerz dahinter. »Lass uns zurückgehen. Die Jungs warten bestimmt schon auf uns.« Damit will ich mich von ihr abwenden.
»Warte. So kannst du es ihr nicht zeigen. Wir knallen ihr dein hübsches Aussehen direkt vor die Füße. Und dann brüllen wir ›In your Face, bitch!‹.« Unweigerlich muss ich lachen und wehre mich nicht gegen Rebeccas Werk. Sie kramt mit einer Hand in ihrer Handtasche und fördert ihr kleines Schminktäschchen hervor. Es folgen ein paar Pinsel und saubere Wattestäbchen.
Innerhalb weniger Minuten habe ich einen Lidstrich und rosafarbenen Lipgloss, der nach Erdbeeren schmeckt, auf den Lippen. Trotz meiner Empörung hat sie meine Haare geöffnet und nun fallen mir die Strähnen lose über die Schultern.
»Jetzt bist du eine Prinzessin.« Rebecca begutachtet ihr Werk noch einmal und umrundet mich.
»Klar, ich bin die Emo-Prinzessin, bei der sich jeder fragt, wie sie es geschafft hat, mit dem Captain des Football-Teams zusammenzukommen«, entgegne ich ironisch und verschränke die Arme.
»Komm jetzt.« Sie nimmt mich erneut an die Hand und zieht mich aus dem Mädchenklo. »Mit Sicherheit hat sich das alles gelohnt und Mister Ich-Bin-Mega-Heiß-Und-Captain-Des-Football-Teams …« Mit den Händen zeichnet sie Anführungszeichen in die Luft. »… wird dich mit den Augen ausziehen, weil er es liebt, wenn du ein bisschen mädchenhaft aussiehst. Spätestens dann sollte die ganze Schule wissen, was er an dir findet.«
»Genau das ist es, was ich in meinem Leben erreichen will«, ergänze ich sarkastisch. »Ich habe nie etwas anderes gewollt, als für einen Kerl hübsch zu sein.«
»Sprach die Feministin in dir.« Rebecca grinst mich frech an.
»Ja, genau.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und ziehe die Stirn kraus.
»Auch Feministinnen können sich für ihren Mann schön machen«, flötet sie und hat mich damit in eine Ecke gedrängt. Leider weiß Becks, dass sie gewonnen hat.
»In Ordnung, du hast ja recht. Aber meinst du nicht, dass alle auf der Schule verstanden haben sollten, dass Aidan und ich ein Paar sind? Immerhin haben wir letzte Woche Einjähriges gefeiert«, erwidere ich ein wenig geknickt, während ich hinter ihr herlaufe.
»Bei den Dumpfbacken an dieser Schule?« Meine beste Freundin schnaubt verächtlich, ehe sie abrupt stehenbleibt.
»Du kannst da nicht lang.« Sie geht ein paar Schritte rückwärts, dreht sich zu mir und schlägt dann eine andere Richtung ein.
Wie ein störrisches Pferd bleibe ich stehen und zwinge damit auch sie, an dieser Stelle zu verweilen. Ohne dass wir weiterreden, will ich in die Richtung, in der ich Henry und Aidan vermute, aber sie hält mich zurück.
»Verdammt, Becks.«
Erneut packt sie mich an den Schultern und sieht mich ernst an. Warum hält mich eigentlich heute jeder fest? Erst Henry und nun auch meine BFF. Alle verhalten sich seltsam.
»Geh nicht dahin. Ich will nicht, dass du das siehst und sie dir wehtut.« Eindringlich sieht sie mir in die Augen.
Egal was dort geschieht, jetzt will ich es umso mehr wissen, denn mit sie kann nur eine gemeint sein. Meine Neugierde siegt. Vorsichtig nehme ich Rebeccas Hände von mir und wende mich ab. Ich gehe aus dem Schulgebäude, nur um im Schein der brennenden Sonne Kayla zu sehen, die wild beim Sprechen gestikuliert und immer wieder wie beiläufig Aidan berührt.
Zu allem Übel scheint es ihn nicht zu stören. Stattdessen lächelt er sie freundlich an und streift ihren Arm.
Ihre Klone hängen an der Seite von Henry, der nicht begeistert aussieht. Er verzieht den Mund zu einer geraden Linie, während die Mädels nicht verstehen, dass er sie nicht leiden kann.
Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals, aber ich kann mich nicht von der Szene abwenden, die sich vor mir abspielt. Mein Herz klopft mir bis zum Hals.
Rebecca drückt meine Hand und ich bin ihr unendlich dankbar dafür, dass sie meine beste Freundin ist und mich unterstützt. Unschlüssig bleibe ich wie angewurzelt stehen. Ich weiß nicht wohin mit mir und meinen Gefühlen.
»Ich hasse sie. Ich hasse sie. Ich hasse sie«, murmle ich.
Henry bemerkt mich zuerst. Für einen Augenblick hellen sich seine Gesichtszüge auf und unsere Blicke verhaken sich ineinander, genau wie heute Morgen. Nach einem Wimpernschlag ist es vorbei und er verzieht den Mund, als ich von ihm zu seinem besten Freund Aidan und wieder zurück sehe. Verständnis spiegelt sich auf seinem Gesicht und der gleiche Schmerz, den auch ich fühle.
Das Blut rauscht in meinen Ohren, während ich auf die kleine Gruppe zugehe. Ich versuche einen klaren Gedanken zu fassen, aber in meinem Kopf herrscht Chaos. Ich bin zwischen meinen eigenen Gedanken und Gefühlen gefangen und könnte schwören, dass sie mir die Luft abschnüren.
Mein Herz zieht sich weiter zusammen, als ich Aidan mit Kayla lachen sehe und er nichts tut, um sie von sich zu schieben. Stattdessen legt er seinen Arm um ihre Schultern, als wären sie ein Pärchen. Zitternd ziehe ich die Luft zwischen die Zähne. Die Hände habe ich längst zu Fäusten geballt. Obwohl es immer wieder dasselbe mit ihr ist, schockt mich der Anblick. Vor allem Aidans Umgang mit ihr. Jedes Mal zerreißt es mein Herz ein kleines Stückchen weiter, weil er eigentlich wissen muss, wie ich empfinde.
Das Klingeln der Schulglocke reißt mich aus den düsteren Gedanken und macht mir klar, dass ich nicht allzu viele Möglichkeiten habe. Ich bin hin und her gerissen, einfach zu gehen oder Kayla die Leviten zu lesen. Meine Entscheidung fällt schneller, als ich es erwartet habe, denn für Letzteres fehlt mir die Kraft.
Ich rufe meiner besten Freundin »Bye« zu, ehe ich mich in den nicht enden wollenden Strom von Schülern mische. Statt mich auf die Konfrontation einzulassen, habe ich die Flucht gewählt. Fantastisch. Was ist aus dem Feminismus geworden, den ich auf der Damentoilette noch in mir getragen habe?
Ohne großartig darüber nachzudenken, begebe ich mich zu meinem Spind und hoffe, niemandem über den Weg zu laufen. Ich halte mich daran fest, dass in wenigen Stunden Wochenende sein wird und ich dann weder den Cheer-Captain noch das Football-Team ertragen muss. Vielleicht kann ich mit Aidan reden, wenn die in mir brodelnde Wut verraucht ist.
Ich freue mich auf Ruhe und Frieden, bevor die Homecoming-Woche beginnt und ich genötigt bin, meinen Schulspirit zu zeigen.
Yippie.
Das Augenverdrehen bei dem Gedanken daran kann ich mir nicht verkneifen. In meinem bisherigen Leben auf der High School finde ich immer noch nichts befremdlicher als dieses übermütige Getue und diese Heuchelei, dass wir einander alle lieben.
Ich bleibe mitten im Gang stehen, als ich Rebecca sehe, die an meinen Spind gelehnt dasteht. Die Arme hat sie vor der Brust verschränkt und sie sieht mich mit einer erhobenen Augenbraue an. Ihre Lippen sind geschürzt und mir muss deutlich ins Gesicht geschrieben stehen, dass ich keine Ahnung habe, wie sie da hingekommen ist. Ich schwöre, sie hat Superkräfte, schließlich bin ich sicher, dass ich sie hinter mir gelassen habe. Garantiert befinden sich in diesem Gebäude Geheimgänge und sie weiß davon.
Sollte ich in diesem Leben mein Mathebuch haben wollen, habe ich keine andere Wahl, als zu ihr zu gehen. Kurz überlege ich, wie viel Ärger ich wohl von unserem Lehrer bekomme, wenn ich es hierlasse und damit meiner besten Freundin aus dem Weg gehe. Schnell schüttle ich den Kopf. Unser Lehrer ist das größere Übel.
Dennoch habe ich keine große Lust, mit ihr darüber zu reden. Zu sehr schmerzt das Bild, das sich in meine Erinnerung gebrannt hat, und Rebeccas Mitleid macht es nicht besser. Stattdessen fürchte ich, dass mein kleines Herz einen weiteren Knacks erleidet, wenn ich die Szene noch einmal mit ihr durchlebe und ausdiskutiere.
Ich bemühe mich um einen neutralen Ausdruck, der bröckelt, je näher ich ihr komme. Sie hat diesen Ich-weiß-genau-was-du-denkst-Blick aufgesetzt, der mich erschaudern lässt. Gruselig, dass dieses BFF-Telepathie-Ding zwischen uns funktioniert.
»Das war eine ganz linke Nummer«, beginnt sie, als ich in Hörweite gelange, und schürzt die Lippen. »Früher oder später musst du ohnehin mit mir reden. Wir sind in der verdammten Schule. Außerdem haben wir dieses …« Sie macht eine komische Handbewegung über ihrem Kopf und ich weiß leider zu genau, was sie zeigen will. Sie kennt mich so lange und viel zu gut. Sie weiß, was in meinem Kopf vorgeht, und ich, was in ihrem.
»Du hast ja recht«, gebe ich kleinlaut zu und strecke die Arme an ihr vorbei, um an meinen Spind zu gelangen. Natürlich bewegt sie sich keinen Millimeter. Erst nach und nach, als sie merkt, dass ich genauso stur bin und nicht nachgebe, macht sie mir Platz und ich verstecke den Kopf hinter der offenen Schranktür. Ich tue so, als würde ich etwas suchen, um unserem Gespräch ein bisschen länger aus dem Weg zu gehen. Ihre Hand schnellt an mir vorbei und zieht das gesuchte Objekt – mein Mathebuch – an der Metallwand entlang heraus. Sie hat mich durchschaut. Verflixte Verbindung.
Nachdem ich meinen Kopf herausziehe, werfe ich ihr vorsichtig einen entschuldigenden Blick zu. Röte steigt mir in die Wangen und ich fächle mir mit den Händen Luft zu.
»Ach, Nor. Natürlich verzeihe ich dir, dass du mir aus dem Weg gehst«, beginnt sie gespielt arrogant und wirft theatralisch das Haar über ihre Schulter. Ihre Lippen verzieht sie zu einem belustigten Lächeln. Schief grinse ich, aber es erreicht nicht meine Augen. Ihre Witze sind lieb gemeint, sollen mich ablenken, nur klappt es in diesem Moment semi-gut. »Aber du kannst mir nicht einfach ausweichen. Außerdem bin ich immer in deinen Gedanken.« Sie zieht mich an sich und drückt mich fest. Ich schlinge ebenfalls meine Arme um ihren schlanken Körper und bette meinen Kopf an ihre Schulter. Für einen Moment schließe ich die Augen und der dicke Kloß, den ich eben schon verspürt habe, ist wieder in meinem Hals. Unter meinen Lidern beginnt es verdächtig zu brennen und ein Beben geht durch meinen Körper.
»Süße.« Mit einer Hand streichelt sie über mein Haar. »Das war wirklich scheiße und eigentlich sollte ich Aidan in den Hintern treten, dafür dass er dich immer wieder so verletzt. Dennoch solltest du ihm das sagen und nicht ich. Versteh mich nicht falsch, ich will ihn nicht in Schutz nehmen, aber er denkt häufig nicht richtig nach. Vor allem, da er mit Kayla befreundet ist.«
Bevor ich antworten kann, dringt eine Stimme zu mir, die ich gerade absolut nicht hören möchte. »Genau, Nora. Wärst du nicht rausgekommen und hättest diesen dramatischen Abgang hingelegt, wäre Aidan nun dein Ex-Freund«, flötet Kayla in einem gehässigen Singsang. Ihre beiden Klone fangen hämisch zu lachen an. In mir bringen diese Worte das Fass zum Überlaufen. Mit geballten Fäusten wende ich mich ihr zu. Die Wut in mir ist aufs Neue entbrannt.
»So ein Arsch ist Aidan nicht. Jetzt verzieh dich, du widerspenstiges, hässliches Stück Unkraut.«
Wieder lachen sie höhnisch. Alle drei.
Drohend trete ich einen Schritt an das Trio heran.
»Kayla, ich schwöre dir, wenn du nicht sofort verschwindest, reiße ich deine Extensions raus und ein abgebrochener Nagel ist dann dein kleinstes Problem!«
Ich kann mit ansehen, wie das dreckige Grinsen aus ihrer Miene gleitet. Statt abzuwarten, was sie dazu zu sagen hat, nutze ich ihre Sprachlosigkeit. »Vielleicht wärst du charmanter, wenn du öfter mal dein Gehirn einsetzt.«
»Und vielleicht würde Aidan sich nicht so sehr an mir erfreuen, wenn du dich mal mehr herrichten würdest.«
»Ich bezweifle, dass Aidan sich lange von deinem hübschen Aussehen blenden lässt, denn dein Charakter ist hässlicher als ein Yeti.«
»Das werden wir ja noch sehen«, zischt sie. »Die Herausforderung nehme ich an.« Ihr Gesicht ziert ein gehässiges Grinsen. Sie macht auf dem Absatz kehrt, und erst als sie hinter der nächsten Ecke verschwindet, weicht die Anspannung aus meinem Körper. »Verdammter Mist«, murmle ich, weil ich ihr genug Angriffsfläche geboten habe. Mit den Händen reibe ich über mein Gesicht, als ich das Prusten meiner besten Freundin vernehme.
»Du hässliches Stück Unkraut«, wiederholt sie meine Worte.
»Was hätte ich denn sagen sollen?«
»Wie wäre es mit einer ordentlichen Beleidigung?« Rebecca stehen Tränen in ihren blauen Augen.
»Du weißt, dass das nicht geht.«
»Stimmt. Du bist viel zu verklemmt. Bis heute verstehe ich nicht, dass du wirklich mal mit ihr befreundet warst.« Ich möchte etwas erwidern, aber das zweite Klingeln beendet unser Gespräch. Meine beste Freundin reißt die Augen auf.
»Oh fuck«, keucht sie und ich zucke bei diesem Wort zusammen. »Mrs. Spencer wird mich umbringen«, murmelt sie. Ohne einen Gruß zum Abschied rennt sie los durch die immer leerer werdenden Flure.
Ich sollte es ihr gleichtun. »Du warst auch mal mit ihr befreundet!«, rufe ich ihr hinterher, aber sie reagiert nicht.
Wie angewurzelt bleibe ich stehen, bis ich die Letzte Schülerin bin, die nicht in ihrem Klassenzimmer verschwunden ist. Mein Herz klopft hart in meiner Brust und ich spüre das Zittern meiner Hände. Die Wut ist nicht verklungen und ich fürchte, dass es dauern wird, bis das der Fall ist.
In meinen Ohren rauscht das Blut und kurz überlege ich, die Mathestunde zu schwänzen, aber die Erziehung meiner Mom verbietet mir das. Mit Sicherheit würde sie mich umbringen, wenn sie davon erführe. Obwohl ich nicht bereit bin, Aidan zu begegnen, habe ich keine andere Wahl.
Seufzend und mit hängenden Schultern begebe ich mich in mein Schicksal. Mathe – mein ewiger Feind.
***
Vor dem Klassenraum stehe ich mir die Füße platt. Ich tänzle von einem Bein aufs andere und verfluche unseren Lehrer, weil er mich fürs Zuspätkommen draußen stehen lässt. Immerhin muss ich weder zur Direktorin, nachsitzen, noch wird meine Mom angerufen.
Als ich hineindarf, bleibe ich einen Augenblick im Türrahmen stehen und sehe auf meinen freien Platz neben Henry. Ermutigend lächelt er mir zu. In seinen Augen liegt eine stumme Frage, die ich nicht bereit bin zu beantworten.
»Hast du vor, noch länger dort stehenzubleiben, Nora? Oder möchtest du uns die Aufgabe vorrechnen?« Unser Mathelehrer beäugt mich mit einem missbilligenden Blick über seine Brille hinweg und zieht eine Augenbraue hoch. Er faucht mich an, als ich den Mund öffne. »Setz dich endlich auf deinen Platz, ansonsten schicke ich dich unverzüglich zur Direktorin.« Leises Gelächter und Gemurmel sind zu hören. Mein Mund klappt automatisch zu und mit eingezogenem Kopf setze ich mich auf den freien Stuhl.
Sachte packe ich meine Sachen aus und starre geradeaus, in dem Versuch, mich auf Vektoren zu konzentrieren und auf die Frage, wie mich das in meinem zukünftigen Leben weiterbringen soll. Die monotone Stimme unseres Lehrers gibt mir den letzten Rest und bald schweifen mein Blick und meine Gedanken davon.
Immer wieder spielt sich der gesamte Morgen vor meinem inneren Auge ab, aber statt an Kayla und Aidan hängenzubleiben, sind da Henrys dunkle, warme Iriden. Er blickt mich an, als wäre ich ein Schatz. Irritiert schüttle ich den Kopf, kann selbst kaum glauben, was sich in meinen Gedanken abspielt, aber mein Problem scheint sich weit von mir zu entfernen und schon bald spüre ich eine Ruhe, die sich auf meinen gesamten Körper überträgt.
Nur schwer halte ich mich davon ab, meine Lider zu schließen und die nächsten Minuten in einer willkommenen Dämmerung zu verbringen. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich die Idee.
Henry schiebt mir ein kleines, gefaltetes Zettelchen zu, das ich schwer ignorieren kann. Es ist von Aidan und ich spiele tatsächlich mit dem Gedanken, es zu lesen. Dennoch lege ich es zurück auf seinen Tisch und widme meine Aufmerksamkeit der Tafel. Momentan will ich die Atempause nicht gegen die dunklen Gefühle in meinem Inneren eintauschen. Mein Herz braucht ein bisschen Zeit zum Heilen, auch wenn es nur diese eine Stunde ist.
Ein wenig tut mir mein Freund leid, da er wegen Kaylas Geschmacklosigkeit leidet. Ich bin mir sicher, dass er sich nichts dabei gedacht hat, aber mein Herz fühlt sich verraten. Genau genommen fühlt es sich an, als hätte er darauf herumgetrampelt.
Und es vorher in Fetzen gerissen.
Eifersucht ist kacke.
Trotzdem ist da dieses Flüstern, das mir immer wieder weismacht, dass Aidan sich extra so verhält. Schließlich hat er mich und Kayla oft streiten sehen und sein gesunder Menschenverstand müsste ihm mitteilen, dass er Scheiße baut.
Eigentlich.
Einen Stoßseufzer kann ich nicht unterdrücken.
Mit einem Bleistift schreibt Henry auf meinen Tisch und hält den Blick dabei auf unseren Lehrer gerichtet.
Alles in Ordnung?
Was ist das denn für eine beschissene Frage?
Deine Antwort hört sich in meinem Kopf sehr kratzbürstig an.
Sorry. Ich bin gerade nicht so gut gelaunt. Habe heute mehr von Kayla gesehen, als mir lieb ist.
Ich werfe ihm einen entschuldigenden Blick zu und radiere unsere Konversation von meinem Tisch. Dennoch hält ihn das nicht davon ab, wieder draufzuschreiben.
Du könntest mit ihm reden. Er wird dich verstehen und kann Kayla vielleicht ein wenig auf Abstand halten. Wenn du es so lässt, weiß er nicht, was er falsch gemacht hat. Gib ihm wenigstens die Chance.
Ich hasse es, dass du so oft recht hast.
Ich werfe ihm einen Blick zu. Er grinst mich überlegen an und ich ziehe einen Flunsch.
Aidan ist mein bester Freund und du bist meine Nachbarin. Bringt das schnell hinter euch und vertragt euch. Sieh ihn dir doch an. Er sieht aus wie Ernie ohne seinen Bert.
Ich lehne mich kurz ein bisschen vor, um Aidan zu sehen. Tatsächlich schaut er leicht bedröppelt und ahnungslos zur Tafel. Ob das an Mathe liegt oder daran, dass ich ihn mit Ignoranz strafe, kann ich nicht genau sagen. Er hat nichts gemein mit dem selbstsicheren Footballstar, den ich sonst kenne.
Schließlich lasse ich mich zurückfallen und knibble nachdenklich an meinen Nägeln. Es scheint ihm wirklich zuzusetzen.
Mein Blick fällt auf den Tisch und ich kritzle eine Antwort neben Henrys.
Und mit mir bist du nicht befreundet?
Mir versetzt meine eigene Frage einen Stich und ich fürchte mich vor der Antwort. Mich wundert es, dass ich so empfinde, schließlich steht er jeden Morgen vor meiner Tür und holt mich ab. Dennoch ist da etwas, das Angst davor hat, dass ich ihm nicht so wichtig bin wie Aidan.
Am liebsten würde ich die Worte schnell wieder wegradieren, aber es ist zu spät. Nur wenig später habe ich eine ziemlich lange Erklärung auf meinem Tisch stehen.
Natürlich. Mich wundert, dass du das gerade gefragt hast. Als Freundin liebe ich dich – wollte ich noch sagen.
Irritiert halte ich inne. Hat er das wirklich gerade geschrieben? Als Freundin … Ich schüttle den Kopf und lese weiter.