3,99 €
Eine Begegnung, die ihre Welt verändert. Ein Kuss, der die Zeit stillstehen lässt. Und ein Geständnis, das über die Zukunft ihres Herzens entscheidet ... Die Highschool abschließen und ihr Studium weit weg von ihren Eltern beginnen: Das ist alles, was sich Rebecca wünscht. Als schwarzes Schaf ist jeder Tag ein fortwährender Kampf gegen die Erwartungen ihrer Familie. Da kann sie weiteres Chaos in ihrem Leben nicht gebrauchen. Als sie Zac kennenlernt, der ihr mühelos den Kopf verdreht und ebenfalls in New York studieren wird, scheint ihr Traum von der Zukunft perfekt. Doch die große Liebe ist selten so perfekt, wie sie auf den ersten Blick scheint - und Rebecca muss lernen, wann es sich lohnt, um sie zu kämpfen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
Isabell Walery
Promnight Kiss
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.dnb.de abrufbar.
© 2021 Isabell Walery, Friedrichstraße 35, 46145 Oberhausen
Lektorat: Klaudia Szabo (www.wortverzierer.de)
Korrektorat: Cara Rogaschewski (www.wortverzierer.de)
Cover: Alexander Kopainski (www.kopainski.com)
Satz: Emily Bähr (www.emilybaehr.de)
Dieses Buch ist auch als Taschenbuch erhältlich.
Für meine große Schwester Linda, die mit mir durch dick und dünn geht.
Irgendwann wirst du dein eigenes Buch veröffentlichen.
Ich glaube fest daran.
Ich glaube an dich.
Schwer seufze ich, als ich vor meiner Haustür stehe. Mein Zuhause. Oder nicht. Zumindest fühlt es sich nicht so an, während ich den Schlüssel ins Schloss stecke, um dann doch in der Bewegung innezuhalten.
Bereits hier höre ich die Stimme meiner Mutter. Möglicherweise ist das aber auch nur eine Erinnerung an jeden Tag meines bisherigen Lebens. Die Stunden in der Schule habe ich sie vergessen können, obwohl sie immer wie ein Geist über mir zu schweben scheint oder als würde sie mir wie mein eigener Schatten folgen. Ich kann sie nie ganz ausblenden.
Nun fürchte ich mich davor, nur einen Fuß weit in dieses Haus zu treten. Vielleicht, aber nur vielleicht, kann ich in mein Zimmer schleichen, ohne dass sie es merkt. Auf einen Versuch muss und werde ich es ankommen lassen.
Ganz langsam drehe ich den Schlüssel und das Knacken der Tür hört sich in meinen Ohren viel zu laut an. Als würde ich die Tür mit einem Vorschlaghammer bearbeiten und nicht als wolle ich mir mit meinen Ninja-Skills Zutritt verschaffen. Vorsichtig lasse ich sie aufschwingen und horche, bevor ich einen Schritt hineinwage.
»Rebecca?«, ertönt die Stimme meiner Mom.
Ertappt zucke ich zusammen und verkneife mir den lauten Fluch, der in meiner Kehle emporsteigt und sich seinen Weg nach draußen suchen will. Natürlich hat sie mich gehört – wie sollte es anders sein? Sie macht Sheldon Cooper aus der Serie The Big Bang Theory Konkurrenz. Und genau wie seinem Mitbewohner, ist mir in letzter Zeit das Glück nicht sonderlich hold, was unauffälliges Schleichen angeht.
Genervt rolle ich mit den Augen, schließe die Tür geräuschvoll hinter mir und lasse die Tasche auf den Boden fallen. Immerhin weiß sie schon, dass ich da bin, also kann ich auch Lärm machen. Mir ist klar, dass sie das verabscheut. Genau deshalb tue ich es immer wieder.
»Ja?«, rufe ich und kann nicht verhindern, dass dabei ein gereizter Ton mitschwingt. Aber eigentlich kann es mir auch egal sein. Was sie mir zu sagen hat, wird mich ohnehin auf die Palme bringen. Da kann es nicht schaden, wenn ich ihr schon einmal zeige, dass ich nicht gut aufgelegt bin.
Langsamer als sonst folge ich den Geräuschen in die Küche, die sie akribisch auf Hochglanz putzt. Eine Angewohnheit, die sie trotz angestellter Reinigungsfrau immer wieder auslebt. Es riecht unangenehm und beißend nach Reinigungsmitteln, die mit ihren Dämpfen bestimmt die ein oder andere Gehirnzelle ausradieren. Augenblicklich sendet meine Nase das Signal Schnell weg! an mein Gehirn, doch ich bleibe, wo ich bin.
Kurz sieht sie auf, als ich nur noch eine Armlänge von ihr entfernt stehe, und rümpft die Nase, kaum dass sie mein Outfit bemerkt. Sie begutachtet mich einmal von Kopf bis Fuß und bleibt an meinem weißen Crop Top hängen, das aus einem blusenähnlichen Stoff besteht und zu dem ich den passenden Rock trage. Beides ein Geschenk von Hobbyschneiderin und bester Freundin Nora. Als sie mir das Teil präsentiert hat, habe ich mich schockverliebt und konnte gar nicht erwarten, dass es fertig wird. Sehr zum Leidwesen meiner Mom, aber das macht es für mich nur noch besser. All das, was ihr nicht gefällt, ist das Richtige für mich.
»Was kann ich für dich tun, Mom?«, stelle ich mich dumm, obwohl ich die Antwort bereits zu kennen glaube. Dennoch möchte ich wenigstens für einen Moment so tun, als würden wir ein vollkommen normales Mutter-Tochter-Gespräch führen. Eines mit viel Gelächter und nicht voll passiv-aggressivem Verhalten. Aber ich fürchte, dass das vergebens ist.
Sie schenkt mir noch einen Seitenblick, ehe sie die Spüle auf Hochglanz schrubbt. Wenn sie so weitermacht, ist irgendwann keine Spüle mehr über. In meiner Vorstellung ist dort ein schwarzes Loch, das für meine Mutter ein Schandfleck in ihrem sonst so makellosen Haus ist. Unwillkürlich schleicht sich ein Lächeln auf meine Lippen. Doch es erlischt schnell wieder, als ich sie seufzen höre.
Oh, oh. Das ist die Ruhe vor dem Sturm.
»Wo, zum Teufel, hast du dich heute wieder herumgetrieben?« Sie spuckt die Worte fast aus und weg ist meine Traumvorstellung. Ich traue mich ohnehin nicht zu hoffen, dass sie irgendwann wahr wird. Aber Träumen ist das, was mir in diesem Haus noch geblieben ist.
»Das habe ich dir doch gesagt«, erwidere ich und möchte am liebsten in meinem Zimmer verschwinden und erst wieder herauskommen, wenn ich sicher sein kann, dass sie sich bereits schlafen gelegt hat. »Nach der Schule war ich mit Nora und Henry am Strand, um das Wochenende einzuläuten.«
»Und was ist mit deinen Prüfungsvorbereitungen?«
Resigniert lasse ich die Schultern sinken. Natürlich kann es nur um ein Thema gehen. Wie konnte ich so dumm sein, etwas anderes zu erwarten, wenn es doch die letzten achtzehn Jahre meines Lebens nur darum ging, dass ich immer besser werde? Gehöre ich nicht zu den Besten, bin ich eine Schande für die Familie.
»Ich bin so gut wie durch damit, für alle Arbeiten zu lernen«, erwidere ich und lüge nicht einmal. In den letzten Wochen habe ich rangeklotzt, damit ich am Ende des Sommers dieses Haus für eine Weile verlassen und auf eigenen Füßen stehen kann. Für mich ist Durchfallen keine Option, denn die Columbia wird mir bestimmt nicht noch eine Chance geben. Abgesehen davon brauche ich auch nicht wiederzukommen, wenn ich in der Schule versage, aber das ist ein anderes Thema, dem ich mich nicht stellen werde. Dazu wird es nicht kommen und ich werde den Zeitpunkt selbst wählen, an dem ich meine Eltern auf Nimmerwiedersehen verlasse.
»Ist das so?« Sie hält inne, wendet sich ganz mir zu und zieht eine fein säuberlich gezupfte Augenbraue hoch.
»Ja«, antworte ich einsilbig und merke, dass Mom Mühe hat, sich zu beherrschen. Einsilbigkeit hasst sie genauso sehr wie das Knallen von Türen. Am liebsten würde ich triumphierend grinsen, möchte aber nicht riskieren, bis zum Ende des Schuljahres Hausarrest aufgebrummt zu bekommen. Ich werde sie nur ein bisschen ärgern, bis ich den Bogen beinahe überspannt habe.
»Dann lern noch mal.«
»Wie bitte?« Überrascht blinzle ich sie an. Ich komme nicht umhin mich zu fragen, ob ich mich gerade verhört habe oder meine Fantasien mit mir durchgegangen sind. Möglicherweise war das eine Fata Morgana oder eine Verschiebung des Raum-Zeit-Kontinuums, das mich einen Blick in eine Parallelwelt hat werfen lassen. Alternativ könnte ich schwer gestürzt sein und mir den Kopf angeschlagen haben. All das ist wahrscheinlicher und ich lege meine ganze Hoffnung auf Letzteres.
»Du hast richtig gehört. Du kannst die Thematiken vertiefen, wenn du glaubst, dass du schon durch bist.« Sie reckt das Kinn empor und macht mir damit überdeutlich, dass sich die vergangenen Sekunden nicht nur in meinem Kopf abgespielt haben. Mom meint ernst, was sie von sich gegeben hat.
»Aber …«
»Nichts aber«, unterbricht sie mich. »Deine Schwestern haben auch noch bis kurz vor den Prüfungen die Nasen in die Bücher gesteckt und ich lasse nicht zu, dass du alles vermasselst.«
Da ist es wieder. Das leidige Thema, dem ich mich stellen muss. Bei drei erfolgreichen Schwestern hatte ich es nicht leicht. Die breite Bevölkerung glaubt, dass es das Nesthäkchen am einfachsten hat, aber ich bin das beste Beispiel dafür, dass dem nicht so ist. Achtzehn Jahre lang war ich nie gut genug und das wird sich auch nicht ändern, wenn ich mich reinknie.
»Ich vermassle gar nichts!«, antworte ich und kann nicht verhindern, dass ich lauter werde. Wütend balle ich die Hände zu Fäusten und bereue, dass ich das Gespräch nicht sofort abgebrochen habe, obwohl der Ausgang doch so unausweichlich war.
»Es gibt keinen Grund zu schreien.«
»Mom …«
»Nimm dir ein Beispiel an Charlotte.« Ich verstumme, als meine Mutter meine älteste Schwester erwähnt, die in Harvard Jura studiert. Natürlich. Ihr Lieblingskind zuerst und dann die anderen. Das Kind, das eine hohe Karriere vor sich hat, wenn es sein Ziel verfolgt, eines Tages am Obersten Gerichtshof zu arbeiten. Nun wird eine Tochter nach der anderen genannt werden. Jede einzelne, wenn ich keine Möglichkeit finde, das hier und jetzt zu beenden. »Sie hat in ihrer Schullaufbahn jedes Jahr alles gegeben, und sieh dir an, wo sie nun ist.«
»Ja, Mom.« Widerrede ist zwecklos, also stimme ich einfach zu, damit sie zufrieden ist. In meiner Resignation ist das der einfachste Weg und bringt mich näher daran, dem Gespräch zu entkommen, bevor sie richtig loslegt. Vielleicht kann ich dann in mein Zimmer verschwinden und nicht mehr herauskommen, bis ich mit unserem Kater joggen gehe. »Ich werde mich direkt in mein Zimmer begeben und mich an die Aufgaben machen, die du mir netterweise besorgt hast.« Ein Lächeln, das sich unsagbar falsch anfühlt, macht sich auf meinen Lippen breit. Wenn es einen Gott gibt, sorgt er dafür, dass sie die triefende Ironie in meinen Worten überhört und mich gehen lässt.
Mom legt den Kopf schief und mustert mich mit gerunzelter Stirn. Es fühlt sich an, als versuche sie, mich mit ihrem Blick zu erdolchen oder zumindest auch das letzte Quäntchen Wahrheit aus mir herauszupressen.
Verdammt, fluche ich innerlich. Ich fürchte, dass ich in meine Worte eine Spur zu viel Ironie gelegt habe und das die nächste Standpauke nach sich ziehen wird. Langsam atme ich ein und halte die Luft an, während ich darauf warte, dass meine Mutter loswettert.
»Schön«, antwortet sie jedoch und ich ziehe die Brauen empor, statt gleich die Flucht anzutreten. Ich kann nicht fassen, dass sie mich einfach gehen lässt. »Ist etwas?«, fragt sie und ich wende mich wortlos ab, bevor meiner Mom doch noch ein paar Dinge einfallen, die ihr an mir nicht gefallen. Je nachdem, wie viel Zeit man ihr gibt, findet sie einiges.
In meinem Zimmer lasse ich mich stöhnend auf das weiche Bett fallen und fahre mit den Fingern über den kuscheligen Bezug. Was gerade geschehen ist, ist eigentlich der normale Alltag, zumindest, was meine Familie angeht, dennoch wundere ich mich jedes Mal aufs Neue. Es ist, als würden meine Eltern eine Checkliste abarbeiten:
Aufstehen
Frühstück
Arbeit
Kindern einreden, dass sie nie gut genug sind
Hinter den letzten Punkt kann meine Mutter definitiv einen Haken setzen, und damit ist ihre To-Do-Liste für heute fertig. Morgen geht es dann à la Und täglich grüßt das Murmeltier von vorn los, und da meine drei Schwestern aus dem Haus sind und das Weite gesucht haben, bleibt lediglich meine Wenigkeit, die mit besonderer Intensität bearbeitet wird.
»Gut, dann wollen wir sie doch noch ein wenig mehr enttäuschen«, murmle ich und rapple mich auf, um meiner besten Freundin zu schreiben, statt die Aufgaben zu erledigen. Ein kurzer Blick auf mein Smartphone lässt mich innehalten. Nora hat mir eine Nachricht gesendet, die ich sofort beantworte.
Nora ~ 20:01 Uhr
Hast du es schon getan?
Rebecca ~ 20:03 Uhr
Kannst du Gedanken lesen oder so?
Nora ~ 20:03 Uhr
Also hast du? Oh Gott. Was hat sie gesagt? Wie hat sie reagiert? Ist sie vollkommen ausgeflippt, oder was ist passiert?
Ich seufze, als ich die vielen Fragen sehe. Scheinbar klappt das mit dem Gedankenlesen zwischen uns doch nicht so gut, wie ich dachte. Oder ihre ›Antenne‹ ist falsch ausgerichtet.
Rebecca ~ 20:05 Uhr
Nein. Eigentlich habe ich dir nur schreiben wollen. Mom weiß noch nichts davon, und wenn es nach mir geht, erfährt sie vorerst auch nichts.
Nora ~ 20:07 Uhr
Vielleicht solltest du es ihr mal erzählen. Klar, sie mag Phil, aber was soll’s? Solange sie sich nicht ausgemalt hat, wie die Hochzeitsglocken läuten, ist doch nichts dabei. Ihr habt Schluss gemacht, daran gibt es nichts zu rütteln. Und wenn du mit deiner Mom darüber geredet hast, musst du mir unbedingt berichten.
Rebecca ~ 20:09 Uhr
Da wird es nicht sonderlich viel zu erzählen geben. Mom wird mir eine Standpauke halten, dass er das einzig Richtige ist, was ich in meinem Leben erreicht habe, und vielleicht findet sie einen Weg, ihn zu kontaktieren, und versucht, alles ins Lot zu bringen. Immerhin hatte er für sie Schwiegersohnpotenzial. Dass unsere Geschichte abgeschlossen und es an der Zeit für etwas Neues ist, wird nicht zählen.
Nora ~ 20:08 Uhr
Das hast du wirklich süß geschrieben. Wie in einem Film. Es ist auch ein bisschen kitschig, wenn ich ehrlich bin.
Rebecca ~ 20:09 Uhr
Danke für nichts.
Nora ~ 20:11 Uhr
Okay, du hast gewonnen. Ich bleibe zumindest für einen Moment ernst. Du hast nichts zu verlieren. Geht es denn noch schlimmer als jetzt? Und wenn ja, bedenk doch einfach, dass du in einigen Wochen nicht mehr da bist.
In dem einen Punkt muss ich meiner besten Freundin recht geben. Der andere erinnert mich allerdings daran, dass sie nicht mehr an meiner Seite sein wird. Krampfhaft zieht sich etwas in mir zusammen und treibt mir die Tränen in die Augen. Vor einiger Zeit habe ich gegoogelt, wie weit Boston von New York entfernt ist. Per Luftlinie sind es genau 305,84 Kilometer, die uns voneinander trennen werden. Eine viel zu weite Strecke, um sie mal eben für einen Besuch zu überbrücken.
Wenn sie mich jetzt sehen könnte, wüsste sie mit Sicherheit, was in mir vorgeht, und ich bin dankbar, dass das nicht der Fall ist. Jedes Mal, wenn wir darüber geredet haben, war uns danach nach Heulen zumute und wir haben einen weiteren Becher Cookie-Dough-Eiscreme gekillt.
Es reicht, dass ich das verräterische Brennen in meinen Augen spüre. Normalerweise erzähle ich ihr alles, aber jetzt werde ich schweigen, weil das besser für uns beide ist.
Tief atme ich durch, als das Handy, das ich immer noch in einer Hand halte, vibriert und ich eine Nachricht meiner besten Freundin auf dem Display aufploppen sehe. Es ist bereits zehn Minuten her, seit sie das letzte Mal geschrieben hat, und sie wartet bestimmt auf eine Nachricht. So wie ich sie kenne, gibt sie sich ohne Antwort nicht zufrieden.
Nora ~ 20:21 Uhr
Glaub nicht, dass ich nicht weiß, was dir durch den Kopf geht.
Rebecca ~ 20:21 Uhr
Gut, ich zweifle nie wieder an deinen telepathischen Fähigkeiten, aber du sollst wissen, dass ich es furchtbar finde, wenn du meine Gedanken liest.
Nora ~ 20:23 Uhr
Das hättest du dir vorher überlegen müssen. Da du meine beste Freundin geworden bist, gibt es kein Zurück mehr.
Damit bringt sie mich tatsächlich zum Lächeln. Egal, was zu Hause los ist, auf sie kann ich immer zählen. Nora ist mein Fels in der Brandung. Sie ist standhaft wie ein einsamer Leuchtturm inmitten eines Sturms und leitet mich mit ihrem Licht immer wieder in einen sicheren Hafen. Manchmal kann ich das Glück gar nicht fassen, dass wir einander haben, aber bei der ganzen Scheiße, die zu Hause passiert, muss es einen Ausgleich geben.
Rebecca ~ 20:26 Uhr
Ich hab dich lieb, du doofe Kuh.
Nora ~ 20:26 Uhr
Fast habe ich dir abgenommen, dass du deine kitschige Seite wiedergefunden hast, aber du hast mich eines Besseren belehrt.
Rebecca ~ 20:28 Uhr
Muss ausgerechnet die sagen, die jeden Teeniefilm auswendig mitsprechen kann.
Nora ~ 20:29 Uhr
Pah, so was lasse ich mir von niemandem sagen, der mich dazu gezwungen hat, sie zu gucken, weil sie Angst vor Horrorfilmen hat.
Verdammt, damit hat mich meine beste Freundin und ich schmunzle. Nur zu gut erinnere ich mich an den Abend, als ich kurz vor dem Homecoming Ball bei ihr war und mich eine Szene aus einem Horrorfilm zum Fürchten gebracht hat. Damals hat sie mich tierisch dafür ausgelacht, aber ich bereue meine Reaktion nicht. Natürlich hätte ich auch umschalten können, aber ich wollte weder Soundeffekte noch ähnliches aufschnappen, und da war Flüchten nun mal leichter.
Rebecca ~ 20:30 Uhr
Emojis reichen nicht dafür aus, dir zu zeigen, was ich empfinde. Außerdem gehe ich jetzt laufen, du unsportliche doofe Kuh.
Bevor ich mein Handy zur Seite lege, schicke ich ihr noch schnell ein Selfie, auf dem ich ihr die Zunge rausstrecke.
»Komm, Stiefel«, sage ich zu dem orange-weißen Fellball, der es sich auf dem cremefarbenen Kratzbaum in meinem Zimmer bequem gemacht hat. Müde blinzelt er mich aus dem einen Auge an, das er noch hat, mustert mich kurz von oben bis unten, als überlege er, ob ich Lust habe, ihm Fresschen zu geben. Dann wendet er sich wieder ab. Scheinbar hat Herr Kater beschlossen, dass ich in meiner Sportkleidung nicht danach aussehe.
»Stiefel.« Nun klinge ich etwas ernster. Auf der Höhe seines Kopfes wedle ich mit der Leine und dem Geschirr herum, doch er regt sich nicht. Im Ignorieren ist er große Klasse, aber ich lasse mich nicht von ihm vorführen. Ich kann mindestens genauso nervig wie er sein, wenn er etwas will und sich in den Kopf gesetzt hat, es zu bekommen.
»Miau«, quittiert er und hört sich reichlich verärgert an, weil ich ihn in seiner königlichen Ruhe störe. Verstohlen sehe ich mich um, horche, ob meine Familie in der Nähe ist, und als ich sicher bin, dass niemand zuhört, gehe ich die wenigen Schritte mit meinen Laufschuhen durch den Raum. Mom würde mich umbringen, wenn sie erfährt, dass ich mit Schuhen durch das Haus laufe. Es passt ihr gar nicht, dass ich sie in meinem Zimmer lagere, aber genauso wenig behagt es ihr, wenn ich sie nahe der Haustür im Flur stehen lassen. Solange ich keine Spuren hinterlasse, akzeptiert Mom es.
»Wenn du jetzt ganz lieb bist, gibt es später eine leckere Nascherei. Mom muss nichts davon erfahren«, flüstere ich in Stiefels flauschiges Ohr mit den abstehenden langen Haaren, und kraule seinen Nacken. Wäre er nicht orange, würde ich glatt sagen, dass er das Aussehen eines Luchses hat.
Der Kater streckt sich genüsslich und schnurrt laut. Ein sicheres Zeichen dafür, dass ich ihn gleich so weit habe.
»Außerdem wird Mom nicht glücklich sein, uns hier zu sehen, also lass uns einen Abflug machen, bevor das böse für uns endet.« Obwohl meine Eltern den Kater akzeptieren, den ich vor Jahren angeschleppt habe, sind sie nicht gut auf ihn zu sprechen. Und er nicht auf sie. Gelinde gesagt hasst er vor allem meine Mutter, und manchmal kann ich es ihm nicht verübeln. Ihr Blick, wenn sie ihn sieht, spricht Bände.
Mein Monolog scheint ihn aufhorchen zu lassen, also beschließe ich, einfach weiterzuplappern, bis er nachgibt.
»Vielleicht können wir uns danach auf meinem Bett zusammenkuscheln und gemeinsam eine Serie gucken. Dabei werde ich dich kraulen, bis wir einschlafen. Und die Tür schließe ich ab, damit weder Mom noch Dad hereinkommen.«
Stiefel gähnt, öffnet sein Auge und steht endlich auf, sodass ich ihm das Geschirr anlegen kann.
Draußen kassiere ich wie immer reichlich verwirrte Blicke, als die Menschen, die uns entgegenkommen, realisieren, dass ich mit einem Kater und nicht mit einem besonders kleinen Hund joggen gehe, der tapsig neben mir herläuft. Erst als wir an der Stelle am Strand vorbeikommen, an der ich heute mit meinen Freunden war, werde ich langsamer und beschließe, mir den Sonnenuntergang anzusehen. Die Serie muss warten.
Etwas erschöpft und mit klopfendem Herzen laufe ich über den Sand, auf der Suche nach einem geeigneten Plätzchen. Im Endeffekt ist jedoch überall nur Sand, sodass ich mich im Schneidersitz auf den Boden sinken lasse. Stiefel miaut wenig begeistert und scheint seine Entscheidung zu bereuen, während ich eher glaube, dass er sich im Katzenklohimmel befindet, ohne es zu merken.
»Na komm«, sage ich und klopfe auf meinen Schoß, als er keine Anstalten macht, sich zu setzen. In Zeitlupe platziert er sich auf meinen Beinen. Ein-, zweimal ändert er noch die Position, bis er sich zufrieden zusammenrollt.
»Du bist ein komischer Kauz«, murmle ich und kraule ihn zwischen den Ohren. Kurz stupse ich seine rosa Nase an, als ich ein Lachen hinter mir vernehme. Eines, das mir einen angenehmen Schauer über den Rücken laufen lässt.
Irritiert drehe ich mich um und erkenne einen Jungen, den ich glaube, schon einmal gesehen zu haben. Er sieht mich direkt an, sein Lachen gilt mir.
Zac, forme ich tonlos mit den Lippen und blinzle überrascht. Ich kenne ihn wirklich, kann aber nicht zuordnen, woher. Auf meiner Schule ist er jedenfalls nicht. In Gedanken gehe ich meine Mitschüler in meinen Kursen durch, doch er taucht nicht auf.
»Du nennst deine Katze einen ›komischen Kauz‹, während du mit ihr redest?«
»Kater«, berichtige ich ihn statt einer Antwort.
»Wie bitte?«, fragt er und ihm ist die Verwirrung deutlich ins Gesicht geschrieben. Er zieht die dichten dunklen Brauen zusammen, legt den Kopf schief und mustert mich aus eisblauen Augen. Dabei fallen ihm ein paar dunkle Strähnen in die Stirn und ich muss mir selbst gestehen, dass er wirklich attraktiv ist. Mein Herz macht einen Hüpfer und ich wende mich ab.
Was, zur Hölle, war das? Meine wirren Gefühle müssen echt zur Ordnung gerufen werden.
»Er ist ein Kater«, erkläre ich und deute auf den Fellball, der keine Anstalten macht, den Kopf zu heben. Unfreundliches Tier.
Einen Moment verfällt Zac in eine kaum merkliche Starre und sieht dann irgendwie verloren aus. »Darf ich mich setzen?«
»Klar«, rutscht es mir heraus, ohne dass ich groß darüber nachdenke. Am liebsten würde ich mir mit der Hand vor den Kopf schlagen. Immerhin kenne ich den Kerl nicht einmal richtig und er kommt mir nur vage bekannt vor. Ist das schon der perfekte Einstieg für einen Thriller oder kann ich einem potenziellen Serientäter entkommen? Andererseits ist das ein freies Land und ich kann ihm wohl kaum verbieten, sich an einem öffentlichen Strand hinzusetzen, wo er es für richtig hält. Auch, wenn das genau neben mir ist.
Noch bevor meine Überlegungen zu einem Ende kommen, lässt Zac sich dicht neben mir in den Sand sinken und streckt die Beine von sich. Sein Arm streift meinen und sein Blick schweift von mir bis zum Meer und bleibt am Horizont hängen. Er wirkt nachdenklich und sagt kein Wort. Wieso hat er sich überhaupt zu mir gesetzt, wenn er nur schweigt? Mit den Worten komischer Kauz könnte ich ihn genauso gut betiteln wie meinen Kater.
Ich atme die kühle Brise ein, und obwohl es noch warm ist, fröstle ich. Damit ich etwas zu tun habe, kraule ich meinen Stubentiger weiter. Er bedankt sich mit einem Schnurren, das seinen ganzen Körper vibrieren lässt. Nervös sehe ich von Stiefel zu Zac und zurück, als er meinen Blick erwidert. Die Stille zwischen uns dehnt sich aus und nur das Brechen der Wellen am Strand durchdringt sie.
»Und was machst du hier?«, frage ich, um das unangenehme Gefühl loszuwerden. Das Kribbeln, das mich unruhig macht und mir Mühe bereitet, stillzusitzen.
»Nach was sieht es denn aus?« Er deutet auf sich und erst jetzt bemerke ich, dass er ebenfalls Sportkleidung trägt. Das einfache, schwarze Shirt spannt über seinem muskulösen Oberkörper und unter der kurzen Hose kommen starke Waden zum Vorschein. Ein wenig zu lang bleibe ich an seinen Oberarmen, den sehnigen Muskeln hängen und frage mich unwillkürlich, ob er eine bestimmte Sportart ausübt. Mit dem breiten Kreuz könnte er Schwimmer sein oder Footballspieler.
Bei diesem Gedanken macht sich etwas in mir breit, das ich nicht benennen kann. Das muss er sein. Ein Footballspieler einer anderen Schule.
Als ich mich davon losreiße und wieder in sein Gesicht sehe, grinst er wissend. Röte steigt mir in die Wangen und ich wende mich beschämt ab. Verdammt, habe ich ihn wirklich so offensichtlich angeschmachtet? Die Wirkung, die er auf mich hat, ist kolossal und gleichzeitig niederschmetternd. Hallo? Erde an Hirn, oder besser gesagt an Libido?
Jetzt schaffe ich es nicht einmal, seinem Blick standzuhalten. Stattdessen starre ich auf die heranrollenden Wellen, die von Zeit zu Zeit stärker werden und immer wieder Sand davontragen. Ich schließe für einen Moment die Lider und stelle mir vor, wie er in den Tiefen des Ozeans verschwindet.
Leicht zucke ich zusammen, als Zac sich räuspert. Tatsächlich habe ich ihn vergessen. Nur ganz kurz.
Schwer schlucke ich, ehe ich den Mut habe, ihn anzusehen. Verdammt, Rebecca, schelte ich mich innerlich. Erst vor wenigen Wochen hast du mit deinem Freund Schluss gemacht, der meilenweit weggezogen ist, nur um deine neugewonnene Freiheit gegen den nächstbesten Kerl einzutauschen? Schäm dich! Das war nicht geplant, dennoch muss ich lächeln. Trotz oder gerade wegen der Gefühle und Gedanken, die mich verfolgen und verwirren.
Mit Sicherheit würde er Reißaus nehmen, wenn er wüsste, was sich in meinem Inneren abspielt und dass er der Grund dafür ist. Kurz blitzt der Roadrunner in meinen Gedanken auf und das Lächeln auf meinen Lippen wird zu einem waschechten, breiten Grinsen. Ganz automatisch ziehen sich meine Mundwinkel höher und ich kann nichts dagegen tun. Statt der charakteristischen blauen Federn und eines Schnabels, hat der Roadrunner in meiner Vorstellung Zacs Kopf. Spätestens als das typische ›Mep Mep‹ in meinen Ohren klingelt, fange ich schallend an zu lachen.
Der Junge neben mir blinzelt verwirrt und ich kann nur erahnen, was in ihm vorgeht. Vielleicht überlegt er, wie er mich loswird oder ob ich eine Irre bin, die ihn bis nach Hause verfolgt. Die Rädchen, die in ihm arbeiten, kann ich fast rauchen sehen.
»Was ist so lustig?«, überrascht er mich mit seiner Frage. Dabei hätte ich schwören können, dass er kurz davor war, das Weite zu suchen.
»Kennst du den Roadrunner?«, antworte ich mit einer Gegenfrage und sehe ihm in die eisblauen Augen mit den grauen Sprenkeln. Mir kommt der Gedanke, dass ein Schneesturm in ihnen tobt, und ich frage mich, wie sie aussehen, wenn die Sonne den Himmel nicht mehr erhellt und die tiefschwarze Nacht Einzug hält. Für den Bruchteil einer Sekunde runzelt er die Stirn, bis sich sein Gesicht erhellt.
»Den aus den Looney Tunes?« In seiner Stimme ist nicht einmal ein Anzeichen von Argwohn. Er klingt interessiert, als möchte er wirklich erfahren, was ich denke.
»Genau den.«
Nun zieht er eine dunkle Augenbraue in die Höhe. »Was ist mit dem?«
Ich entschließe mich, ihm genauer zu erklären, was ich gedacht habe. Entweder habe ich danach meine Ruhe und bin wieder allein mit Stiefel, den ich immer noch kraule, oder Zac hat tatsächlich Interesse. »Auf die Gefahr hin, dass ich dich ziemlich erschrecke, weil es unglaublich schräg klingt«, beginne ich und zwinkere ihm zu. Eine Geste, die ihn grinsen lässt. »Ich habe einen inneren Monolog geführt und bin mir sicher, dass du verschwinden würdest, wenn du wüsstest, was ich denke.«
»Sorry, aber ich muss nachhaken. Wenn du dir sicher bist, warum erzählst du mir davon?«
»Zum einen hast du gefragt und zum anderen glaube ich, dass ich dir das erzählen muss.« Die letzten Worte rutschen mir so raus und dafür würde ich mich am liebsten selbst ohrfeigen. Ich glaube, dass ich ihm das erzählen muss? Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich richtig ticke, sonst würde ich einem wildfremden Kerl nicht so was sagen. »Jedenfalls ist meine Fantasie mit mir durchgegangen und letztlich hatte der Roadrunner deinen Kopf.«
Als ich realisiere, was für dummes Zeug ich von mir gebe, steigt mir die Röte in die Wangen. Ich hatte zwar erwartet, dass ich ihn damit in die Flucht schlage, aber nachdem ich es ausgesprochen habe, hört es sich ziemlich irre an. Auf einmal finde ich das gar nicht mehr so witzig. Ich spüre die Hitze in meinem ganzen Gesicht und glühe mit der untergehenden Sonne um die Wette. Vielleicht habe ich Glück und er glaubt, dass der Sonnenuntergang mein Gesicht färbt.
Himmel, wo ist das Loch, in dem ich versinken kann? Ich wäre extrem dankbar, wenn es sich jetzt unter mir auftut und mich ein für alle Mal verschluckt.
Als ich mich endlich wieder dazu durchringen kann, ihn anzusehen, entblößt er eine Reihe weißer Zähne. Verwundert lege ich den Kopf schief.
»Das ist witzig«, behauptet er und nun bin ich es, die irritiert die Stirn runzelt.
»Okay. Scheinbar bist du merkwürdig.«
»Sagt die, die sich meinen Kopf auf dem Körper einer Comicfigur vorstellt.«
Mit einer Faust knuffe ich ihn in den Arm. Es ist das erste Mal, dass ich ihn berühre, und ein Kribbeln breitet sich auf meiner Hand aus. Ich habe schon gesehen, dass er muskulöse Oberarme hat, aber spätestens jetzt bin ich mir sicher, dass er mich mühelos hochheben könnte. »Touché. Gut gespielt.«
»Danke.«
Einen Moment lang schweigen wir und sehen uns nur an. Ich erwische mich dabei, wie ich wieder an den Sprenkeln in seinen Augen hängen bleibe. Noch immer würde ich sie als Schneesturm beschreiben und unwillkürlich frage ich mich, ob sein Innerstes genauso wild wie ein Sturm ist.
Stiefel beschwert sich laut miauend. Erst jetzt bemerke ich, dass ich in meiner Bewegung innegehalten habe. Zac streckt den Arm aus, um den Kater zwischen den Ohren zu kraulen. Obwohl er dabei nicht mich berührt, hat das Ganze etwas Intimes. Ich muss schlucken.
Mein Kater richtet sich auf, bis er mir die Schnauze mit den langen weißen Schnurrhaaren ins Gesicht drücken kann. »Miau«, haucht er mir mit seinem Katzenfutteratem entgegen. Meine Augen beginnen zu brennen, und bevor ich würge, weil ich darauf nicht vorbereitet war, wende ich mich von ihm ab. Manchmal kann er wirklich ein Arschlochkater sein.
»Wir gehen gleich nach Hause«, erwidere ich und sehe Zac entschuldigend an.
»Miau«, antwortet Stiefel, als habe er mich verstanden, und klingt dabei leicht verärgert.
»Du musst dich ein wenig gedulden. Ich bin noch längst nicht bereit zu gehen.«
»Miau.« Stiefel bohrt die Krallen in mein Bein und ich ziehe zischend die Luft ein.
»Verdammt!«, fluche ich und scheuche den orangeroten Fellball weg. »Blödes Vieh«, wettere ich. »Den gemütlichen Fernsehabend kannst du dir abschminken.« Ich fixiere ihn verärgert, aber er scheint sich wenig daraus zu machen. Er leckt sich die weißen Pfoten, denen er seinen Namen verdankt, und ignoriert mich geflissentlich. Mein Blick fällt wieder auf Zac, der mich neugierig mustert. Verlegen senke ich die Lider und streiche mir eine verirrte rote Locke aus dem Gesicht.
»Gehst du mit mir aus?«
»Wie bitte?« Selbst für meine Verhältnisse klingt meine Stimme viel zu hoch. »Ich meine …«, versuche ich zu erklären. »… wir kennen uns gar nicht. Ich bin immer noch erstaunt, dass du mich nicht als völlig verrückt abgestempelt hast.«
»Du erinnerst dich wirklich nicht an mich.« Das ist eine Feststellung und keine Frage. Meine ich, da Enttäuschung in seinem Gesicht zu lesen?
»Wir kennen uns?«, frage ich reichlich geistreich, obwohl ich schon das Gefühl hatte, dass ich ihn gesehen habe, und könnte mich selbst dafür schütteln, dass mir nichts Besseres einfällt. Leider ist mir noch dazu die Verblüffung deutlich anzuhören.
»Ist egal.« Er zuckt mit den Schultern und springt mit einem Satz auf. Mit den Händen klopft er sich den Sand von den Shorts. Mein Blick klebt an seinen durchtrainierten Waden und plötzlich bin ich mir ziemlich sicher, dass er kein Schwimmer ist. Er muss einfach Footballspieler sein. Ich habe Mühe, dem Drang, mir Luft zuzufächeln, nicht nachzugeben.
Ohne ein weiteres Wort macht Zac Anstalten, zu gehen. Ebenso flink wie er bin ich auf den Füßen und halte ihn zurück. Ganz automatisch umschließt er meine Hand mit seiner. Als gehöre sie in seine.
»Warte«, fordere ich und meine Stimme klingt wesentlich selbstbewusster, als ich mich fühle. Schon wieder ist da dieses schiefe Grinsen auf seinen Lippen, das ich unglaublich heiß finde. Er regt etwas in mir an, das ich seit Monaten nicht mehr gespürt, aber vermisst habe. Etwas, das Phil mir bis zuletzt nicht geben konnte.
Mit einem Mal fühlt sich mein Mund so trocken wie eine Wüste an und ich fürchte, dass ich in seiner Gegenwart sprachlos geworden bin. Kein Ton kommt über meine Lippen, aber vielleicht liegt das daran, dass ich keine Ahnung habe, was ich sagen will.
»Verrat es mir«, bringe ich stotternd hervor. Was ist mit mir los? Gibt es eine Chance, das abzuschalten? Möglicherweise hilft es, wenn ich meinen Kopf gegen etwas Hartes hämmere.
»Vielleicht findest du es einfach selbst heraus«, erwidert er und ein verschwörerisches Funkeln liegt in seinen Augen. Während andere ihn dafür verteufeln würden, muss ich gestehen, dass ich ihn anziehender denn je finde.
Er lässt meine Hand los und zieht einen Stift aus seiner Hosentasche. Kurz frage ich mich, wer um alles in der Welt einen Stift mit sich herumträgt, aber der Gedanke verliert sich im Nichts, als er auf meine Handinnenfläche schreibt.
Der Kugelschreiber kratzt ein wenig schmerzhaft über meine Haut, doch ich ziehe sie nicht weg. Viel zu fasziniert bin ich davon, wie er konzentriert die Brauen zusammenzieht. Schon wieder spüre ich, dass ich nicht fähig bin, auch nur eine Silbe zu formen. Erst recht nicht mehrere, die am Ende einen vollständigen Satz ergeben.
Er wendet sich von mir ab, als er fertig ist, und lässt mich los. Ohne sich noch einmal umzudrehen, geht er mit großen Schritten davon und fängt kurze Zeit später an zu joggen. Bis ich ihn nicht mehr sehen kann, schaue ich ihm hinterher. Erst dann blicke ich auf das Gekritzel.
Seine Nummer. Und sein Name. Zac. Schwer schlucke ich und blicke noch einmal in die Richtung, als könne er jeden Moment wieder auftauchen. Aus diesem merkwürdigen Wissen darum, dass wir uns schon einmal, vielleicht sogar öfter begegnet sind, ist Gewissheit geworden, dennoch weiß ich nicht, warum ich mir gerade seinen Namen eingeprägt habe.
Erneut schaue ich auf meine Hand hinab. Er hat tatsächlich seine Nummer draufgeschrieben. Mein Herz macht einen Hüpfer, während sich in meinem Bauch ein Gefühl ausbreitet, das ich nicht deuten kann. Als fliege ich in einer kleinen Cessna, in der man jedes Luftloch spürt und sich suchend nach etwas umschaut, das einen rettet. Nur glaube ich, dass selbst ein Fallschirm mir keine große Hilfe ist.
»Miau!« Das grantige Geräusch meines Katers holt mich zurück aus meiner Starre.
»Ist ja gut«, antworte ich und nehme ihn auf den Arm. Wahrscheinlich kommen wir schneller nach Hause, wenn ich ihn trage. Und schnell muss es gehen, denn ich kann es kaum erwarten, Nora anzurufen. Ich muss sie unbedingt fragen, was sie denkt.
***
»Geh ran. Geh ran. Geh ran«, flehe ich flüsternd am Telefon. Mittlerweile hat Zac es in jeden Gedankengang geschafft. Zu Hause habe ich gleich seine Nummer eingespeichert und bin dann erst duschen gegangen. Ich liebe es, lang zu duschen, doch während ich das tue, habe ich vor allem Zeit nachzudenken. So auch heute, und nun bin ich kribbelig und aufgeregt. Keine gute Kombination.
Es ist bereits nach zehn, und wie ich meine Freunde kenne, liegen sie nebeneinander auf dem Dach vor Noras Fenster und sehen sich die Sterne an.
»Was willst du?«, fragt meine beste Freundin unfreundlich, als sie endlich rangeht, und hört sich reichlich verschlafen an. »Wehe, es ist niemand verletzt. Ohne einen triftigen Grund kannst du mich nicht einfach aus dem Bett klingeln.«
»Du hast schon geschlafen?«
»Ja. Henry auch. Beziehungsweise hast du den nicht aus dem Bett geklingelt.«
»Na, immerhin einer von euch bekommt seinen Schönheitsschlaf«, antworte ich spöttisch. Säße sie jetzt vor mir, würde ich ihr die Zunge herausstrecken. Verdient hätte sie es, allerdings würde sie mir mit Sicherheit Rache schwören.
»Sei lieb. Ansonsten lege ich auf und lasse dich mit deinem Problem allein«, droht sie mir gespielt. Das habe ich zweifellos verdient.
»Okay, okay. Du hast gewonnen. Ich bin das liebste Mädchen der Welt.«
»Gott, nein. Dann müsste ich fragen, wer du bist und was du mit meiner besten Freundin gemacht hast.«
»Haha«, antworte ich mit ironischem Unterton. »Das war total lustig.«
»Okay, hör auf mich zu veralbern. Was ist los, dass du mich zu dieser unchristlichen Stunde weckst?« Im Hintergrund höre ich es rumpeln, während ich mich auf meinem grauen Boxspringbett ausstrecke und an die weiße Decke starre. Ich versuche, ihr in kurzen Sätzen zu erläutern, was geschehen ist, nachdem sie und ihr Freund mich zu Hause abgesetzt haben.
»Du hast es wirklich getan?«, fragt sie, als ich geendet habe.
»Was genau meinst du?«
Nora stöhnt. Sie denkt bestimmt, dass ich sie veralbere, aber dem ist nicht so. Immerhin habe ich heute einiges getan, daher kann ihre Frage auf alles abzielen.
»Du hast ihn angerufen und triffst dich nun mit ihm?« Unglaube klingt in ihrer Stimme mit und ich verziehe verärgert den Mund. Ob sie mir in den letzten Minuten überhaupt zugehört hat?
»Nein, das habe ich nicht.«
»Sorry, dass ich nachfrage«, wehrt sie sich gegen meinen ruppigen Ton.
»Tut mir leid«, antworte ich nachsichtig. »Nein, ich habe ihn nicht angerufen. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, was ich überhaupt tun will.«
»Erzähl mir, wie es dir geht«, sagt sie sanft, nachdem wir eine Weile geschwiegen haben.
»Gut«, antworte ich und es ist die Wahrheit. »Wirklich gut, und ich glaube, dass Zac nicht ganz unschuldig daran ist. Er gibt mir das Gefühl, dass ich begehrt bin. Etwas, das ich mit Phil verloren habe.«
»Tust du mir einen Gefallen?«
»Alles«, antworte ich selbstbewusst. Für meine beste Freundin tue ich alles, schließlich ist sie meine Familie. Mein Halt.
»Sei ein bisschen vorsichtig, was ihn angeht. Du hast ihn heute kennengelernt und ihr habt euch nur kurz unterhalten.«
»Nor, es ist alles in Ordnung. Wie du gesagt hast – wir haben uns nur unterhalten. Das heißt nicht, dass ich sofort mit ihm ins Bett springe.«
»Rebecca, schreib ihm von mir aus und sieh, wohin es führt, aber ich bitte dich, vertrau ihm nicht sofort.«
»Ich schwöre es dir«, hauche ich besänftigt, bin aber in Wirklichkeit wenig überzeugt.
»Ich habe dich lieb.«
»Ich dich auch. Und jetzt geh wieder zu deinem Freund.«
»Okay. Schreib nicht zu lang mit Zac.« Noch bevor ich etwas erwidern kann, legt sie auf.
Es dauert noch ein paar Minuten, bis ich mich dazu durchringe, ihm zu schreiben. Eigentlich bin ich immer noch nicht überzeugt, dass es das Richtige ist, aber ich werde es nicht herausfinden, wenn ich es nicht versuche. Mit zittrigen Fingern tippe ich eine Nachricht und lösche sie wieder. Ein einfaches ›Hey‹ reicht nicht aus. Etwas Witziges fällt mir nicht ein, stattdessen nur Standardfloskeln.
Rebecca ~ 22:58 Uhr
Wehe, das ist nicht deine richtige Nummer.
Mein Handy werfe ich auf das Bett. Ganz bestimmt werde ich nicht warten, bis er mir zurückschreibt. Umso erstaunter bin ich, als es fast augenblicklich vibriert. Kurz beiße ich mir auf die Lippe und nehme es dann zur Hand.
Zac ~ 22:59 Uhr
Nein, ich habe keinen Grund, dir die falsche Nummer zu geben. Immerhin möchte ich noch mit dir ausgehen. ;)
Rebecca ~ 22:59 Uhr
Du gehst aber ran.