Honky Tonk Pirates - Zurück in der Hölle - Joachim Masannek - E-Book

Honky Tonk Pirates - Zurück in der Hölle E-Book

Joachim Masannek

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Beschreibung

Höllenhund Will, Jo, Moses und Honky Tonk Hannah leben ein wildes und aufregendes Piratenleben. Stets auf der Suche nach den kostbarsten Schätzen stoßen sie eines Tages auf den Ring der Witwe Chen, der ein fantastisches Geheimnis bewahrt: Er macht seinen Besitzer unbesiegbar und zum besten Piraten der Welt! Doch kaum sind die Freunde im Besitz des Ringes, macht sich Hannah mit dem kostbaren Teil aus dem Staub und es beginnt eine gnadenlose Jagd, die die Pirates bis nach Berlin führt. Dort treffen sie auf gute Freunde, aber vor allem: auf alte Feinde. Und plötzlich befinden sich alle in gefährlicher Nähe zum Galgen ...

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Seitenzahl: 262

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Joachim Masannek

HONKY TONK PIRATES

Zurück in der Hölle

Impressum

cbj ist der Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform

1. Auflage 2011

© 2011 cbj, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagabbildung und Innenillustrationen: Susann Bieling

Umschlaggestaltung: Hilden Design, München

Ku · Herstellung RF

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-04562-3

www.cbj-verlag.de

TEIL EINS

Der Ring der Witwe Chen

Die chinesische Rotzfahne

ie Tage, Wochen und Monate flogen vorbei wie lachende Möwen, wie Wind, der durchs Haar fährt oder wie die Schwärme der fliegenden Fische, die von Delfinen gejagt, die Rümpfe des Rochens umspielten.

Will hatte keine Worte, um sein Glück zu beschreiben, und deshalb erfand er mit seinen Freunden zusammen das Flaschenpost-Tagebuch. Jeden Abend trafen sie sich in der riesigen Hängematte aus weicher Alpacawolle, die sich an Deck des Seeräuberkatamarans zwischen den beiden Hauptmasten spannte, und schrieben gemeinsam den Brief, der der Welt davon berichten sollte, was absolute Freiheit bedeutete: wie es sich anfühlte, wenn man wie Höllenhund Will, Honky Tonk Hannah, Regentropfen Jo und Moses Kahiki Chevalier du Soleil zu den besten Piraten gehörte, die die sieben Meere befuhren.

Diese Briefe, die sie in kunstvoll bemalten Flaschen ins Meer hinauswarfen, erzählten von den Abenteuern, die sie erlebten, wenn sie den Horizont hinter sich ließen. Wenn sie den Schatzkarten folgten, die Hannah tief unten im Bauch des Fliegenden Rochens aus der kreisrunden Kammer holte, und wenn sie die sagenhaften Orte betraten, zu denen diese Schatzkarten sie führten.

Sie erzählten von der Perle von Kumejima, die die Nacht zum Tag machen kann, und die sie im Westen von Okinawa im ostchinesischen Meer aus einem Tempel raubten.

Sie erzählten vom Sandkorn aus dem Golf von Guinea, das vor Santo Antonio an Afrikas Küste auf einer Sandbank vergraben lag. Doch dort hausten wagenradgroße Krabben, die Scheren besaßen, mit denen sie mühelos die Stämme von Palmen kappen konnten.

Sie erzählten von aztekischem Gold aus Cayos de Dios, vom schwarzen Drachenkopf des letzen Wikingerkönigs, von Kriegern, die fliegen konnten wie fliegende Hunde, und natürlich erzählten sie auch die Geschichte über die Rose der Aweiku:

Von einem in Möwenscheiße getauchten Schiff; vom Kampf gegen den Kraken im Bermudadreieck; vom Fliegenden Rochen und wie Hannah ihn fand; von Blind Black Soul Whistle; vom Schwarzen Baron; von einem Kanonenrennboot made by Jo; vom Tanz mit den Schwärmern im Quecksilbermeer und natürlich immer wieder vom verheißenen Land: vom vergessenen Volk, seinem Geheimnis und wie beides zusammen mit Aweiku für immer ins Reich der Träume verschwand.

Wunderwindwirbliger Augenblick! Und an den Tagen, an denen gar nichts passierte, an denen der Rochen in der Windstille schlief, streckte sich Hannah auf dem schneeweichen Tuch der Hängematte. Sie schloss ihre Augen und während ihre Fingerspitzen heimlich Wills Fingerspitzen berührten, erzählte sie eine Geschichte von früher.

Sie erzählte, was sie in der Zeit erlebt hatte, bevor ihre Freunde sie kannten. Sie erzählte von ihrer Geburt am Stadtrand von Marseille auf einer schäbigen Barke. Sie erzählte, wie sie als fünfjährige Waise die Meisterdiebin von Lissabon war; wie sie als Junge verkleidet bei einer japanischen Schmiedin – der einzigen japanischen Schmiedin, die es je gegeben hatte – das Handwerk erlernte, Samuraischwerter zu schmieden, und wie sie an der Seite des berühmtesten Piraten von Shanghai direkt in die Hölle fuhr, um dort einen Pakt mit dem Teufel zu schließen.

»Und dieser Pakt«, versicherte Hannah, »beschützt mich vor allen Gefahren der Welt. Er würde mich selbst vor dem Galgen retten.« Sie grinste verwegen. »Verfuchst! Falls ich jemals dort landen sollte. Und deswegen habe ich heute entschieden, keine neue Karte aus der Kammer zu holen. Nein, ich zeige euch etwas anderes.«

Sie griff in die Hosentasche, zog einen dreckigen Stofffetzen heraus und hielt ihn mit zwei Fingern hoch in die Luft.

»Das sieht nicht nur aus wie ein Taschentuch.« Sie rümpfte die Nase. »Es ist auch eins und zwar ein benutztes.« Sie würgte, als müsste sie sich gleich übergeben. »Das ist die Rotzfahne der Witwe Chen. Ich meine, die Einzige, die sie besaß. Und diejenigen, die sie kannten, haben behauptet, dass sie sie niemals gewaschen hat. Niemals. Igitt. Doch die Alte war schlau. Sie war schlauer als schlau, denn das Ding war so ranzig, dass selbst der gerissene Blind Black Soul Whistle es nicht anfassen wollte, als er die Witwe in Old Nassau erstach.«

Sie musterte das dreckige Tuch und steckte den Zeigefinger durch eines der Löcher.

»Aber manchmal ist Ekel ja der Weg zum Glück. Ich meine, nur weil Whistle das Taschentuch eklig fand, hab ich es nach über 40 Jahren gefunden. Und als ich mich überwunden hab, um es wie jetzt hier zu glätten …« Sie strich das Tuch glatt, was Jo widerlich fand. »… als ich die alten vertrockneten Popel, so wie das einer ist mit dem Daumennagel aus den Stofffalten gekratzt habe, konnte ich die Schrift endlich lesen.«

»Das Ende der Welt!«, raunte Will ehrfurchtsvoll und nahm das Tuch wie ein kostbares Stück Seide entgegen. Hannah kniete sich neben ihn und er spürte, wie ihre Schulter die seine berührte.

»Ich bin Pirat. Ich meine, ich und du, wir sind Piraten. Doch das …«, raunte Hannah, »… das macht uns zu mehr. Das macht uns zu den allerbesten Piraten der Welt.«

Sie drehte das Tuch, sodass auch Will die Geheimschrift erkannte. »Ich hab monatelang versucht, diese Schrift zu entziffern. Ich hab dabei alle Hüte getragen, die ich jemals besaß. Doch das hat nicht geholfen. Da hab ich die Schuhe gewechselt und meine Kleider … Verfuchst, ich hab gar nicht gewusst, wie viele ich besitze. Doch ich hab es geschafft. Will, das hier ist ein chinesisches Rätsel und der, der es löst, kommt ans Ende der Welt. Er findet den letzten Horizont. Den, der alles umschließt. Doch wenn wir die Prüfung dieses Rätsels bestehen, wenn wir die besten Piraten werden, die es je gab, öffnet sich dieser Horizont, ja … ja-mahn und dann …«

»… dann …«, strahlte Will sie erwartungsvoll an.

»… dann …«, strahlte Hannah zurück, »liegt die Freiheit vor unseren Füßen wie dieses himmelhellblaue Meer.«

Sie schaute in seine himmelhellblauen Augen und dann suchten sie beide die Blicke der anderen. Doch Jos große kugelrunde Augen verengten sich skeptisch. Und in den grünen Augen von Moses blitzten Warnungen wie Nordlichter.

»Ich rede von Freiheit!«, beschwor Hannah ihn. »Freiheit …«

»Ja, ja, ich weiß«, fiel ihr Moses zweifelnd ins Wort. »Aber ich bin mir nicht sicher, was du unter Freiheit verstehst.«

»Und ich«, warf Jo trotzig ein, »ich möchte gern wissen, was mit uns passiert, wenn wir das Rätsel nicht lösen können.«

»Oh!«, stöhnte Hannah und dann war es still.

Sie spielte verlegen mit dem Taschentuch, kratzte einen Popel aus einer Falte heraus und schielte ratlos zu Will.

»Verfuchst«, fluchte sie. »Das will er nicht wissen.« Sie nahm Jo ins Visier. »Weißt du, mein kleiner Freund, das will keiner wissen. Selbst ich will das nicht wissen! Und weißt du warum? Weil es mir nicht gefällt. Nein, von Gefallen kann da nicht die Rede sein.« Sie versuchte ein Lachen. »Also, stimmen wir ab. Wer ist dafür, dass wir das Rätsel hier lösen?«

Sie hob ihre Hand und schaute zu Will. Der zögerte kurz und folgte dann ihrem Beispiel. »Das hab ich gewusst. Und jetzt zu dir, Moses, dem die Freiheit einmal so wichtig war, dass er bereit war, für sie zu sterben.«

»Ich?«, fragte Moses ganz ruhig und gelassen. »Tja, ich denke, dass wir schon viel zu viel Freiheit besitzen.«

»Und ich bin dagegen.« Jo kreuzte die Arme trotzig vor seiner Brust. »Ich will nichts erleben, was mir nicht gefällt.«

»Dann steht’s zwei zu zwei.« Hannahs Miene verfinsterte sich – aber nur kurz, denn jetzt hob sie den Blick zu den Rahen und Masten, in denen ihre Piratencrew stand.

»Tanja? Theres? Tabea, Tujana? Tule und Teh?«, rief sie die Triple Twins. »Auf welcher Seite stehen meine Mädchen?«

Da hoben die Piratinnen ohne zu zögern die Hände, und als wär das das Zeichen, auf das der Wind gewartet hatte, frischte er auf. Die offenen Haare der Mädchen wehten um ihre Schultern, die weißen Hemden bauschten sich über den bunten Aladinhosen und Will sprang begeistert aus der Hängematte.

»Ja-mahn!«, rief er. »Auf, ans Ende der Welt!«

Am Ende der Welt

urz darauf brach der Sturm ohne Vorwarnung los. Die spiegelglatte Südsee spaltete sich wie einstmals das Rote Meer und während sich gebirgshohe Wellen zu beiden Seiten des Rochens auftürmten, zog es den stolzen Katamaran durch eine abgrundtiefe Schlucht bis auf den zerklüfteten Meeresboden hinab.

Will versagte die Stimme. Er sah nur die zuckenden Blitze, die um ihn herum in die Wände aus Wasser einschlugen. Er hörte den Donner, mit dem sich die Sturmwolken ineinander verkeilten. Er hörte Jos Schreie.

»Will! Das wirst du bereuen!«

Und er hörte das begeisterte Lachen von Hannah.

»Ja-mahn! Verfuchst! Das kenne ich, hört ihr! Hier war ich schon mal. Ja, hier sind wir richtig!«

Will sah, wie sie auf die Brücke sprang. Dort ergriff sie das Steuer und band sich mit einer Hand daran fest. Mit der anderen fing sie den Dreispitz, der ihr vom Kopf fliegen wollte, und dabei rief sie noch ihre Befehle zu den Twins in den Rahen hinauf.

»Runter mit euch! Raus aus den Masten! Haltet und bindet euch irgendwo fest!«

Will spürte den Regen, der ihm ins Gesicht peitschte. Er hob seinen Blick und dann musste er sehen, wie die gebirgshohen Wasserwände Risse bekamen. Sie stürzten ein. Jo schrie ihm noch einmal eine Drohung zu und dann war es still.

Die Stille dauerte eine Ewigkeit und Will konnte nicht sagen, ob sie aus Sekunden oder Jahren bestand. Auf jeden Fall fror er, als er erwachte. Er schlang seine Arme um den nackten Oberkörper und versuchte seine Füße wie eine Schildkröte in die eisesstarren Hosenbeine zu ziehen. Er konnte nichts anderes denken, als dass er fror. Und er spürte auch nicht die Berührung durch die behandschuhten Hände, die ihn vorsichtig packten und herumdrehen wollten.

Es war immer noch still. So still wie es kalt war, doch als Will das Lächeln in ihren Augen erkannte, wurde ihm warm.

»Herzlich willkommen am Ende der Welt«, lächelte Honky Tonk Hannah. Ihr Gesicht schien so weich und so warm unter der flauschigen, aus dem Fell eines Silberfuchses gefertigten Husarenmütze und um ihre Schultern wehte ein dickes Wolfscape im eisigen Wind.

»Du warst schon mal hier?«, fragte Will, als er begann, sich zu erinnern. »Aber warum? Und wann ist das gewesen?«

»Ach«, murmelte Hannah und wickelte ihn in ein Bärenfell. »Das ist eine fürchterlich lange Geschichte. Die erzähl ich dir irgendwann, wenn wir das hinter uns haben.«

»Und ich wette, dass du sie niemals zu hören bekommst«, hüstelte Moses Kahiki. Der Chevalier du Soleil saß vor einem in einem Eisenkessel lodernden Feuer und versuchte vergeblich, die Schmerzen in seinen wieder auftauenden Händen und Füßen zu ignorieren.

»Das ist auch gut so«, schimpfte der kleine Jo. »Ich will sie nämlich gar nicht hören.«

Will drehte sich um und entdeckte den kraushaarigen Kopf seines afrikanischen Freundes, der als dessen einziges Körperteil aus einer dampfenden Fasssauna ragte.

»Es gibt nur einen einzigen Grund, aus dem Honky Tonk Hannah jemals zu einem Ort zurückgekehrt ist. Und den kennen wir alle: Als sie zum ersten Mal da war, muss irgendetwas fürchterlich schiefgelaufen sein. Und wenn ich daran denke, wie die Witwe Chen in Old Nassau im Turm der Chinesen zwischen all den Skeletten und Kanonen aufgespießt stand, dann will ich mir einfach nicht vorstellen, was dieses Irgendetwas gewesen sein könnte.«

»Uh-huh-uh-ahhh!«, lachte die junge Piratin und rieb Wills Füße mit warmem Walrossfett ein. »Unserem Jo scheint es schon wieder prächtig zu gehen. Und weißt du, warum? Hier ist es für jeden Regentropfen zu kalt. Es kann ihm also keiner auf die Nase platschen.«

Sie grinste den Jungen im Saunafass an und dann wandte sie sich wieder an Will.

»Was meinst du?«, fragte sie ihn mit diesem verschwörerisch leuchtenden und hinterlistigen Blick, dem Will nicht widerstehen konnte. »Kannst du schon laufen? Bist du wieder okay?«

Sie hüllte seine Füße in zwei wolkenweiche Biberfelle. »Ich würde dir nämlich sehr gern etwas zeigen.«

Sie half ihm auf und dann führte sie Will zum Bug des Fliegenden Rochens, den die Triple Twins, die wie Hannah in pelzige Uniformen gekleidet waren, durch ein Meer aus Eisschollen lenkten. Eisberge türmten sich vor ihnen auf, und als Tanja das Steuer des Rochens drehte, glitt dieser langsam zwischen ihnen hindurch.

»Sieh doch!«, raunte Hannah. »Das ist das Ende der Welt. Der gefrorene Horizont.«

Will stockte der Atem. Vor ihm wuchs eine Eiswand bis in die Wolken hinauf. Sie reichte, so weit wie man sehen konnte, nach Backbord und Steuerbord und verwandelte die Eisberge um sie herum in winzige Hügelchen, den Fliegenden Rochen in eine Nussschale, und sie, die Honky Tonk Pirates, in kaum sichtbare Flöhe. So klein und winzig fühlte sich Will.

Doch Hannah dachte an etwas anderes.

»Ist die nicht riesig?«, raunte sie und ihre Augen leuchteten dabei wie Sterne. »Und willst du nicht wissen, was sie verbirgt? Welch grenzenlose Freiheit? Welch unfassbaren Traum? Ist es nicht das, wofür wir leben, und wofür du Aweiku verlassen hasst? Den kleinen Engel, das schöne Biest, die biestige Kriegerin?« Sie brummte verächtlich und immer noch eifersüchtig: »Hast du ihr nicht gesagt, dass du Träume wahr werden lassen willst, um die Welt zu befreien? Und findest du nicht, dass diese Wand vor uns genau zu diesen Träumen gehört?«

Sie schaute ihn an und als sie das Leuchten in seinen Augen bemerkte, das Leuchten aus Ungeduld, Neugier und Mut, grinste sie frech und zufrieden.

»Ich hab es gewusst! Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.« Sie kramte das Taschentuch aus ihrem Cape. »Und weißt du, der Rest ist ein Kinderspiel. Wir müssen nur da hinein: in diese putzige Höhle.«

Sie stieß mit dem Finger in eines der Löcher im Taschentuch, auf dem Will jetzt eine Abbildung der Eiswand erkannte. Doch als er den Blick wieder vom Bild zurück zum vereisten Horizont wandte, konnte er kein Loch und keine Öffnung erkennen. Deshalb blickte er fragend zu Hannah und die deutete verlegen mit dem Finger nach oben.

»Es ist etwas höher. Du kannst es erst sehen, wenn wir über den Wolken sind.«

»Über den Wolken?«, fragte Will und hob eine Braue.

»Ja, ja, den Wolken«, erwiderte Hannah beleidigt. »Aber der Rest ist ein Kinderspiel.«

»Das glaub ich dir gern«, maulte Jo aus der Sauna. »Denn weil es ein Kinderspiel ist, bist du auch schon zum zweiten Mal hier.«

Drei Stunden später hingen sie alle, in Pelzmützen und -mäntel gehüllt in der Wand. Nur Tule und Teh, die beiden kleinsten der Triple Twins waren an Bord des Rochens geblieben und Jo hätte sich zu gerne zu ihnen gesellt. Er war doch sogar noch zwei Jahre jünger! Aber Hannah und Will hatten ihm das nicht erlaubt. Oder besser gesagt, sie hatten ihm beide auf ihre absolut unfaire Art ein schlechtes Gewissen gemacht, mit dem er nicht leben wollte.

»Jo, aber natürlich kannst du hier auf dem Rochen bleiben und warten«, hatte Will gesagt und …

»… Wir werden uns hüten, dich zu etwas zu zwingen«, hatte Hannah hinzugefügt.

»Aber denk doch mal nach«, hatte Will ihm gesagt und dabei seinen Arm um Jos Schulter gelegt. »Stell dir mal vor, Aweiku wäre da oben irgendwo zwischen den Wolken und sie sähe uns zu …«

»Sie sähe uns zu«, flüsterte Hannah vielsagend, »wie wir die Eiswand erklettern. Wie wir die Höhle betreten, um das Rätsel zu lösen.«

»Und wie wir Gefahren trotzen, die keine wären, wenn wir die Antworten wüssten.« Will packte Jos Kopf und drehte ihn so, dass sein kleiner Freund ihn anschauen musste. »Aber diese Antworten weißt nur du. Du bist das Genie.«

»Aber du bist nicht bei uns«, sagte Hannah. Sie drehte Jos Kopf auf ihre Seite zurück. »Du bist hier auf dem Schiff. Du kannst uns nicht helfen …«

»… Du lässt uns im Stich und wir werden scheitern. Vor Aweikus Augen, denn sie ist da oben. Das hat sie gesagt und …«

»… dort wird sie Zeuge«, lächelte Hannah wie eine hinterlistige giftige Schlange, »wie ganz allein deinetwegen die Eiswand stehen bleibt.«

»Ja«, seufzte Will. »Wie das Böse gewinnt. Wie Hannah, Moses, Tanja, Theres, Tabea, Tujana und ich im ewigen Eis gefangen werden und du …«

»… der das alles hätte verhindern können, segelst auf dem Rochen auf und davon.« Hannah schüttelte tadelnd den Kopf. »Willst du das wirklich Jo, oder willst du zusammen mit uns den Horizont einreißen, damit sich die Freiheit vor Aweikus Augen wie eine Sturmflut über alles ergießt.«

Tja, was blieb Jo da noch anderes übrig? Deshalb hing er jetzt in der Eiswand und kletterte an den schlüpfrigen Haken, die Hannah über ihm ins Eis schlug, in eine Schwindel erregende Höhe, in die er sich noch nicht einmal hinaufgetraut hätte, wenn er ein Adler gewesen wäre. Aber es ging immer noch höher, bis in die Wolken, und dort sah Jo nichts mehr außer dem rosa Wasserdampf, der von der untergehenden Sonne beschienen wurde. Jo musste selbst die Haken ertasten, die nur eine Handbreit vor ihm in der Eiswand steckten. Dann wurde es Nacht und dann war da nichts. Nichts. Nur ein Loch und in das zogen ihn jetzt Arme hinein. Wills Arme. Ja, Jo konnte ihn riechen. Doch sehen konnte er nichts. Es war hier stockfinster.

»Wir haben’s geschafft«, stöhnte Jo erschöpft und erleichtert. »Wir sind endlich oben.«

Er wollte schon in die Höhle laufen, doch Hannah hielt ihn sofort zurück.

»Nein«, sagte sie. »Wir sind mittendrin. Und wenn du nicht aufpasst, kommst du nie wieder raus. Tujana!«

Das Mädchen entfachte die Fackel, die es am Gürtel getragen hatte, und im nächsten Moment sah Jo schon das dunkle, baumdicke Loch, das sich nur wenige Zentimeter vor seinen Füßen auftat.

»Heiliger Jesus«, flüsterte er, doch als das Licht der Fackel nur einen Atemzug später den Raum erhellte, der groß wie eine Kathedrale war, nahm er die anderen Löcher wahr. Sie durchsiebten den Boden, die Wände und Decke der Höhle und bildeten ganz offensichtlich Eingänge zu einer Unzahl von Tunneln, die in die Tiefe der Eiswand führten.

Jo begriff langsam, was seine Aufgabe war.

»Nein«, murmelte er. »Nein. Das meinst du nicht wirklich.«

»Doch«, seufzte Hannah. »Du hast es erraten. Du wirst uns jetzt sagen, welcher der richtige ist.«

»Der richtige was?«, stammelte Jo verdattert.

»Der richtige Tunnel, der uns zu der Schatztruhe führt.« Sie blitzte ihn an. »Willst du mich etwa verladen? Willst du mir erzählen, dass das deine erste Schatzsuche ist?«

»Nein.« Jo schüttelte energisch den Kopf. »Aber das letzte Mal, als ich das getan habe, sind wir in einen Berg von überaus giftigen Skorpionen gefallen.«

»Stimmt«, nickte Hannah, packte sich Tujanas Fackel und balancierte vorsichtig über die schmalen Stege zwischen den Löchern. »Das hast du fantastisch gemacht. Denn unter den Skorpionen befand sich das Gold der Azteken.« Sie schielte neugierig in einen der Gänge und strich mit den Fingern über den Tunnelrand. »Nun, hier ist es offensichtlich zu kalt für Skorpione.« Sie grinste ihn an. »Also, schieß los! Knack das Rätsel der alten Chinesin.«

»… der grausamen Chen«, fiel ihr Moses ins Wort und blies sich seine Rastalocken trotzig aus dem Gesicht.

»Genau«, zischte Hannah, »Kahiki hat recht. Chen war mal sehr grausam. Ja, sie war es, kapiert.« Sie klopfte sich mit der Fingerspitze gegen die Schläfe. »Doch jetzt ist sie tot. Mumientot. Also, wovor sollen wir uns noch fürchten?«

»Vor dem, was dich damals vertrieben hat«, konterte Moses und Jo gab ihm recht.

»Und wofür du jetzt unsere Hilfe brauchst.«

Sie nahmen Hannah jetzt ins Visier: Alle, Moses, Jo, Will und selbst die vier Twins wollten jetzt wissen, was das gewesen war, und Hannah ging wieder einmal im Kreis. Sie riss sich die Fuchsfellmütze vom Kopf und schüttelte ihre Mähne. Sie zerbiss sich die Unterlippe und fluchte stumm vor sich hin.

»Nein!«, sagte sie. »Nein, da irrt ihr euch, ehrlich. Das wollt ihr nicht wissen … Aber wenn unser kleiner Jo das Rätsel hier löst. Wenn er sich für das richtige Loch und den richtigen Tunnel entscheidet, dann werdet ihr es auch niemals erfahren.« Sie lächelte verlegen und erleichtert zugleich und dann hörten sie alle das Schaben: das Kratzen und Fauchen um sich herum. »Aber wenn er das nicht tut, wenn er sich verfuchstnochmal weiter so ziert, dann sind sie gleich da.«

»Wer?«, japste der Kleine. »Wer ist gleich da?«

»Das ist nicht die richtige Frage!« Sie lief auf ihn zu und spannte das alte Taschentuch zwischen den Händen. »Die richtige Frage lautet: Welches ist das richtige Loch? Loch, hörst du, Loch! Das ist das Einzige, was uns jetzt interessiert. Denn es ist auch das Einzige, was uns noch rettet. Also denk nach!«

Aber Jo konnte nicht denken. Das Schaben und Kratzen und Fauchen kaum näher. Es mischte sich mit einem schrecklichen Knirschen. Als wenn man mit einem Messer an einem Porzellanteller sägt. Nein, als wenn tausend sehr scharfe Messer an tausend Porzellantellern sägten.

Da riss Will Hannah das Tuch aus der Hand. »Jo!«, rief er hastig. »Ich seh einen Pudding.« Er drehte das Taschentuch in seiner Hand. »Einen riesigen Pudding. Nein, es ist ein ganz fetter Bauch. Es ist der Bauch von diesem Dingsda aus Indien.«

»Buddha?«, fragte Moses. »Na klar, er meint Buddha.«

»Nein«, widersprach Jo. »Er meint seinen Bauch.« Er packte das Taschentuch und lief in die Höhle. Das Kratzen und Knirschen wurde zum Kreischen. »Denn mit dem Bauch, da kann man nicht denken. Der Bauch, der weiß Sachen, die man nicht weiß. Und mein Bauch weiß schon jetzt, zu wem dieses Knirschen gehört. Ich seh ihre Schnäbel. Sie sind putzig und süß. Doch darin stecken Zähne.« Er hielt sich die Ohren zu, so laut war das Kreischen inzwischen geworden. »Und sie sind überall. In jedem der Gänge! … Nein, nur nicht in dem!«

Er zeigte auf einen und rannte los.

»Seht ihr das Loch da!« Er sprang über die nächsten drei Löcher hinweg und fiel in das vierte.

»Will!«, rief Jo, »Will! Da müssen wir rein.«

Und Will spürte das Eis. In staubfeinen Kristallen rieselte es aus den Öffnungen, die über ihm in der Höhlendecke klafften.

»Aber Eis ist doch Wasser!

Und als er das dachte, erlosch die Fackel auch schon.

»Los!«, rief er. »Los!«

Dann rannten sie alle. Sie rannten und sprangen und während sie durch die Finsternis flogen, während sie hörten, wie dem Eisstaub Körper folgten, Körper, die aus den Gängen rutschten, hofften sie alle – Will, Moses, Hannah und die vier Twins –, dass sie das richtige Loch erwischen würden. In das tauchten sie ein und dann sausten sie durch den eisigen Tunnel in korkenzieherartig verdrehten Bahnen hinab in die Tiefe des Horizonts. Des letzten Horizonts, den es noch gab.

»Heiliger Flitzfliegenschiss!«, schrie Will vor Schreck, drehte sich rutschend einmal um die eigene Achse und raste rücklings in einen senkrechten Gang. Hinter und über ihm schrie Honky Tonk Hannah, dann kreischten die Twins und als Letzter stieß Moses einen Angstseufzer aus.

»Ja-mahn!«, rief Will. »Wir sind noch alle zusammen.«

»Und wir sterben zusammen!«, schrie Jo unter ihm.

Doch Will lachte vor Freude: »Oh, Jo, du bist da! Hey, Moses und Hannah! Habt ihr das gehört? Jo ist da vor uns und er wird mit uns sterben. Das heißt, wir sind alle im richtigen Tunnel!«

Er lachte und rutschte und dann schien das Ende plötzlich erreicht. Er fiel nicht mehr senkrecht. Der Tunnel aus Eis beschrieb einen Bogen und fing seinen Sturz wie mit Samthandschuhen ab. Danach rutschte Will aufwärts, verlor deutlich an Fahrt, und als er schon fürchtete, gleich liegen zu bleiben, plumpste er über eine geschwungene Schwelle in etwas, das weich war wie eine Wolke und von dem er sich wünschte, dass es aus dicken Schneeflocken bestand.

V.S.E.Z.V.A.G.s und andere Monster

och wo kamen diese Schneeflocken hier unten her? Will konnte nichts sehen, so finster war es, und weit oben, am Eingang des Ganges, in den sie hineingesprungen waren, hörten sie das schnatternde Kreischen und Fauchen der Wesen, die sich jetzt offensichtlich darüber berieten, ob sie sie weiter verfolgen sollten. Aber warum? Warum kamen sie nicht einfach zu ihnen herunter? Was gab es hier unten, wovor sie sich fürchteten? Was war dieses weiche Zeug, in dem sie hier lagen?

Will und Jo hatten plötzlich denselben Gedanken. Sie dachten beide an die Skorpione.

»Will!«, warnte Jo und Will rief flüsternd nach Hannah. »Wir brauchen hier Licht. Habt ihr noch die Fackel?«

»Unsere Fackeln sind nass!«, antworteten Tabea und Tanja.

»Tujana! Theres?«, fragte Will hoffnungsvoll.

»Nein, wir haben unsere Fackeln im Tunnel verloren.«

»Heiliger Jesus!«, stöhnte Jo entsetzt. »Ich glaube, hier lebt was. Will, der Boden bewegt sich.«

»Oh mein Gott! Ja!« Hannah war zornig. »Und es tritt dir gleich in deinen Po! Denn das, was sich da unter deinem kleinen Hintern bewegt, ist mein Bein, auf das du gefallen bist.«

»Und was ist mit mir?«, fragte Will erschrocken. »Mein Hintern sitzt auch auf etwas, das sich bewegt.«

»Oh!«, stutzte Hannah. »Das ist etwas anderes. Das sollten wir uns besser mal genauer ansehen.« Sie kramte in ihren Taschen herum. »Ich hab da nämlich Geschichten gehört. Geschichten über … Uh, ich will’s euch nicht sagen: Aber habt ihr schon mal was über die V.S.E.Z.A.V.G.s in der Antarktis gehört?«

»Über was?«, erschrak Jo. »Was ist das: Antarktis?«

»Oh, das ist der Südpol!«, erklärte ihm Moses mit Galgenhumor. »Da ist es nur kalt. Doch wenn ich Hannah richtig verstehe, bedeutet V.S. bei ihr, wenn es am Anfang steht, immer so was wie ›vorsintflutlich‹. Ja, und V.A.G. heißt ganz schlicht und ganz einfach …«

»… von außergewöhnlicher Größe.« Will würgte am Kloß, der ihm im Hals steckte. »Und was heißt E.Z.?«

»Das ist doch ganz einfach«, spottete Hannah und fischte nach etwas, das sich im hintersten Winkel ihrer Hosentasche befand. »E.Z. steht für ›Eiszecke‹. Die sollen hier leben und sind im Grunde genommen ganz bescheidene Biester. Sie kommen über fünf Jahre ohne Nahrung aus. Doch wenn sich mal jemand zu ihnen verirrt, kriegen sie natürlich urplötzlich Hunger und saugen dich aus, bis sie, die selber so leicht wie Schneeflocken sind, die Größe eines Kaninchens erreichen. Tja, obwohl sie natürlich nicht so kuschelig sind.«

Jo und Will gefror das Blut in den Adern und sie sahen die wundersam weichen Flocken, in denen sie lagen, plötzlich mit ganz anderen Augen. Das heißt: Sie sahen ja gar nichts, außer in ihrer Vorstellungskraft und die formte jetzt immer schrecklichere Bilder über die …

»… vorsintflutlichen Eiszecken von außergewöhnlicher Größe.« Das flüsterte Jo mit heiserer Stimme und er schrie entsetzt auf, als es unvermittelt hell wurde. »Hannah!«, rief Jo und dann: »Will! Ich will sie nicht sehen!«

Da lachte die junge Piratin ihn aus.

»Du glaubst mir auch alles. Oh, armer Jo. Dabei hat dir dein Bauch doch was ganz anderes gesagt.«

Jo starrte verdattert in das blendende Licht, das über ihrer Handfläche schwebte.

»Die Perle von Kumejima!«, hörte er Will neben sich raunen. »Du hast sie dabei. Mein Gott, was für ein Zufall.«

»Nein«, erwiderte Hannah. »Da irrst du dich, Will. Das kann man definitiv nicht als Zufall bezeichnen. Wir haben die Perle nur für diese Höhle geholt. Für diesen Moment. Damit wir das hier erleben. Denn das war von Anfang an mein Plan. Dafür hab ich mein Leben gelebt, den Tod riskiert und mich mit dem Teufel verbündet.«

Sie deutete nach vorn und als Will ihrer Bewegung ganz langsam folgte, zögernd und ahnungsvoll, sah er die Schneeflocken, die den Boden bedeckten und ihm bis zu den Hüf- ten reichten. Ja, es waren wirklich Schneekristalle. Die V.S.E.Z.V.A.G.s gab es nicht. Und dann sah er die Statue aus milchweißem Eis. Es war die Statue einer sehr schönen Frau. Einer jungen Chinesin, die so schön war wie Hannah.

»Nein«, raunte Will. »Das kann sie nicht sein.«

»Doch«, sagte Hannah. »Oder gefällt sie dir nicht?«

»Wie bitte, was?«, stammelte der verdatterte Junge. »Sie ist wunderschön.«

»Noch schöner als ich?«, fragte sie neugierig, listig. »Jetzt sag schon. Gib’s zu. Du findest sie schöner.« Sie sprang hinter die Statue und musterte Will.

Der kam auf sie zu. »Aber ich hab sie gesehen. Im Turm von Old Nassau. Da war sie so schrecklich und fürchterlich …«

»… tot. Ja, da war sie tot. Doch hier war sie’s nicht. Als man diese Statue von ihr gemacht hat, da war Chen jung. Jung, lebendig und, ja, sie war schön. Du kannst es ruhig sagen. Sie war schöner als ich.«

Will stand vor der Statue des jungen Mädchens, das einmal zur Witwe Chen werden sollte, und hörte sich wie einen Fremden sprechen. »Ja«, hauchte er. »Aber wie ist das möglich?«

»Na, wie wohl?«, raunte Hannah geheimnisvoll. »Wie macht man aus einer hässlichen Kuh einen Schwan? Natürlich durch Fake, Magie, Betrug, Zauberei. Ich spreche vom Ring da an ihrem Finger. Dem Ring an der Hand, die sie dir entgegenstreckt.«

Erst jetzt bemerkte Will das Schmuckstück aus Jade, Eisen und Silber.

»Er ist ihr Geheimnis. Das Geheimnis von Chen und ihrer Schönheit. Er macht sie zum besten Piraten der Welt. Und jetzt stell dir vor, dass ich den Ring trage, Will! Was er mit mir macht. Wie schön ich dann werde.«

Will starrte sie an.

»Oder mit dir«, fuhr Hannah fort. »Er macht dich zum besten Piraten der Welt. Davon hast du doch immer geträumt.«

»Ja«, hauchte Will und seine Augen hingen an Hannah. Er hatte sich auf der Stelle in sie verliebt. Damals, in Old Nassau, als er sie zum ersten Mal traf. O ja, doch das war sein größtes Geheimnis. Denn Hannah war damals schon 18 gewesen und er erst 14. Er war noch ein Kind. Doch jetzt hatte sich alles geändert. Jetzt war er anderthalb Weltumseglungen älter. Sie hatten 17 Schätze geraubt, 13 Schiffe gekapert und einen König gestürzt. Jetzt war er bestimmt schon mindestens … Ach, was sollten die Zahlen? Verfuchst! Er war älter geworden. Er hatte sie eingeholt. Ja, zumindest gefühlt war er so alt wie sie. Jedenfalls beinahe. Doch mit dem Ring an der Hand, oh, mit diesem Ring wäre er mit Sicherheit noch einmal älter …

»Warum zögerst du?«, hörte er Hannah amüsiert fragen und dann sah er das passende Lächeln dazu: die Sterne, die tief im Bernsteingold ihrer Augen für ihn explodierten. »Nimm dir den Ring, bevor ich ihn mir nehme.«

Sie grinste ihn an, doch Will, der den Finger der Eisskulptur fast schon berührte, zögerte plötzlich.

»Ach ja, und warum?«, fragte er skeptisch. »Warum soll ich das tun?«

»Weil ich dir damit zeige, dass ich dir vertraue. Dass du mir vertrauen kannst«, antwortetet Hannah verschwörerisch.

Doch in diesem Moment fiel ein gefrorener Regentropfen auf Jos schwarze Nase.

»Und was ist der Haken?«, fragte Will nach. »Was passiert, wenn ich es tue?«

Er berührte den Ring.

»Oh!«, murmelte Hannah. »Oh, dann passiert nichts. Dann kommen nur die, oh, ich meine, die O.P.s. Und die gibt es wirklich. Die D.R.Z.R.O.P.s genauer gesagt. Das sind diese Viecher, die diese Gänge hier graben, und die warten da oben am Ausgang auf uns.«

Jo bekam Angst und schielte nach oben. »D.R.Z.R.? Was heißt das denn schon wieder?«

»Ich hab keine Ahnung!« Moses suchte den Blick von Tanja, Theres und den beiden anderen Twins. Die zeigten die Zähne und schnappten nach ihm.

»Oh heiliger Jesus!«, flüsterte Jo. »Hannah, wer ist das?«

»Oh, dieser ›wer‹ sind ganz viele und du hast sie gehört, als wir die Höhle betreten haben. Das Knirschen, Fauchen, Krächzen und Schaben. Das waren ihre D.R.Z.R.s. Die doppelten Revolverzahnreihen in ihren Orka-Pinguin-Schnäbeln.«

»Verfuchst!«, fluchte Will. »Und wie willst du diesen Orka-Pinguin-Revolverzahnreihenschnäbeln entkommen?«

»Du meinst doppelte Revolverzahnreihenschnäbel!«, berichtigte ihn Hannah, kramte in ihrer Tasche herum und holte ein kleines Kästchen heraus.