Hornblower auf der » Hotspur « - C. S. Forester - E-Book
SONDERANGEBOT

Hornblower auf der » Hotspur « E-Book

C. S. Forester

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Klassiker unter den Seefahrerepen: Horatio Hornblowers drittes Abenteuer. Frisch verheiratet muss Commander Hornblower schon wieder auf See, um an Bord der ›Hotspur‹ die Blockade des Hafens von Brest zu sichern. Unter Lebensgefahr begibt er sich hinter feindliche Linien um das Durchbrechen eines spanischen Konvois zu verhindern und so Napoleons Schlachtpläne noch einmal zu durchkreuzen. Der dritte Band der berühmten Romanserie um Horatio Hornblower, einem Meilenstein der maritimen Literatur, ist ein großes Seeabenteuer und ein Lesevergnügen, das bereits Generationen von Lesern begeistert hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 628

Veröffentlichungsjahr: 2012

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cecil Scott Forester

Hornblower auf der »Hotspur«

Horatio Hornblower Band 3

Aus dem Englischen von Eugen von Beulwitz

Mit Illustrationen von Samuel H. Bryant

Fischer e-books

1HORNBLOWERS HOCHZEIT

»Bitte, sprechen Sie mir nach«, sagte der Priester: »Ich, Horatio, nehme dich, Maria Ellen …«

In diesem Augenblick machte sich Hornblower klar, daß die letzten Sekunden gekommen waren, einen Schritt zu widerrufen, den er nur zu deutlich als unüberlegt empfand. Er selbst gab zwar gewiß einen guten Ehemann ab, aber Maria war eben doch nicht die richtige Frau für ihn. Wenn er nicht von allen guten Geistern verlassen war, dann machte er jetzt dieser Feier kurzerhand ein Ende. Er brauchte ja nur zu sagen, er trete von seinem Entschluß zurück, dann konnte er dem Altar, dem Priester und Maria den Rücken kehren und als freier Mann aus der Kirche schreiten.

»… zu meiner angetrauten Ehefrau …« Wie ein Automat wiederholte er weiter, was ihm der Priester vorsprach. An seiner Seite stand Maria in dem weißen Brautkleid, das ihr so gar nicht stand. Sie schmolz vor Glück, sie verzehrte sich förmlich in ihrer Liebe zu ihm, einer Liebe, die er, ach, so wenig zu erwidern wußte. Nein, er brachte es nicht übers Herz, ihr einen so grausamen Schlag zu versetzen. Sie bebte neben ihm am ganzen Körper, er merkte es deutlich, aber dieses Zittern entsprang nicht der Angst, denn ihr Vertrauen zu ihm war felsenfest und unerschütterlich. Er hätte es nicht über sich gebracht, dieses Vertrauen zu enttäuschen, so wenig, wie es ihm in den Sinn gekommen wäre, seine Ernennung zum Kommandanten der Hotspur abzulehnen.

»Und verspreche dir unverbrüchliche Treue«, wiederholte Hornblower. ›Jetzt ist es geschehen‹, sagte er sich. Offenbar waren das die entscheidenden Worte, die der Hochzeitsfeier gesetzlich bindende Kraft verliehen. Er hatte sein Versprechen gegeben und konnte nun nicht mehr zurück. Seltsamerweise schien ihm diese Erkenntnis ein wenig leichter zu ertragen, als er sich sagte, daß sich sein Geschick ja nicht erst in diesem Augenblick, sondern schon vor einer Woche entschieden hatte, als ihm Maria schluchzend in die Arme sank und mit stammelnden Worten ihre Liebe gestand. Da hatte ihm sein weiches Herz verboten, sie einfach auszulachen, er hatte es aber auch – ob aus Schwäche oder aus Anstand? – nicht über sich gebracht, ihre willenlose Hingabe nur zu mißbrauchen, um sie dann schnöde sitzenzulassen. Nein, er hatte sie angehört, er hatte ihre Küsse zärtlich und liebevoll erwidert, und alles Weitere mußte sich unvermeidlich daraus ergeben: das weiße Brautkleid, die Hochzeitsfeier hier in der Kirche des hl. Thomas Becket und, was er kommen sah – daß er die Liebesgier dieser Frau nur zu bald nicht mehr ertrug.

Bush stand mit dem Ring bereit, Hornblower streifte ihn auf Marias Finger, dann sprach der Geistliche die abschließenden Worte.

»Ich verkünde hiermit, daß ihr nun Mann und Frau seid«, sagte er und erteilte ihnen den feierlichen Segen.

Fünf Sekunden hörte man keinen Laut, dann brach Maria das Schweigen.

»O Horry!« sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. Hornblower gab sich alle Mühe, ihr einen freundlich lächelnden Blick zu schenken und war ängstlich darauf bedacht zu verbergen, was ihm erst kürzlich klargeworden war: daß er den Kosenamen Horry noch weniger leiden konnte als seinen richtigen Namen Horatio.

»Dies ist der glücklichste Tag meines Lebens«, sagte er. Wenn schon etwas geschah, dann geschah es am besten gründlich, also fuhr er im gleichen Sinne fort: »Ich wüßte keinen, der schöner gewesen wäre.«

Es tat förmlich weh, das selige Lächeln zu sehen, mit dem sie ihm für seine ritterlichen Worte dankte. Jetzt tastete sie auch mit der anderen Hand zaghaft nach seiner Schulter, was offenbar hieß, daß sie augenblicks hier vor dem Altar einen Kuß von ihm begehrte. Hier im Gotteshaus schien ihm dieses Unterfangen recht ungewöhnlich und kaum am Platz, in seiner Unkenntnis fürchtete er, bei frommen Gläubigen Ärgernis zu erregen, aber wieder gab es kein Zurück, und so beugte er sich denn nieder und küßte die weichen Lippen, die sie ihm begehrend darbot.

»Sie müssen jetzt im Kirchenbuch unterzeichnen«, flüsterte der Geistliche voll Ungeduld und schritt ihnen voran zur Sakristei. Dort schrieben sie ihre Namen in das Buch.

»So, jetzt darf ich meinem Schwiegersohn wohl auch einen Kuß geben«, verkündete Mrs. Mason mit erhobener Stimme. Gesagt, getan. Sie schloß Hornblower in ihre kräftigen Arme und drückte ihm einen festen Kuß auf die Wange. Dieser meinte, es sei wohl nicht zu vermeiden, daß einem die Schwiegermutter so greulich war. Zum Glück kam ihm jetzt Bush zu Hilfe. Der sonst so ernste Mann streckte ihm lächelnd die Hände entgegen und beglückwünschte ihn mit herzlichen Worten.

»Vielen, vielen Dank«, sagte Hornblower. »Dank auch für Ihre treuen Dienste.«

Bush geriet darüber sichtlich in Verlegenheit, er wehrte Hornblowers Dank mit einer Geste ab, als wollte er lästige Fliegen verjagen. Und doch war er auch jetzt bei allem, was mit dieser Hochzeit zusammenhing, wieder seine starke und unentbehrliche Stütze gewesen, nicht anders als beim Seeklarmachen seiner Hotspur.

»Beim Frühstück bin ich wieder zur Stelle, Sir.« Mit diesen Worten zog er sich aus der Sakristei zurück und hinterließ eine fühlbare Lücke.

»Ich hatte darauf gerechnet, daß mir Mr. Bush zum Auszug aus der Kirche den Arm bieten würde«, bemerkte Mrs. Mason nicht ohne Schärfe.

Es sah Bush so gar nicht gleich, die Versammelten auf diese Art einfach im Stich zu lassen, jedenfalls hatte er sich im Trubel der letzten Tage von einer ganz anderen Seite gezeigt.

»Macht nichts«, sagte die Pfarrersfrau, »wenn es Ihnen recht ist, gehen wir beide zusammen, mein Mann kommt dann einfach hinter uns her.«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mrs. Clive«, antwortete Mrs. Mason in einem Ton, der deutlich verriet, daß sie mit dieser Lösung keineswegs einverstanden war. »Nun, dann kann sich das junge Paar ja auf den Weg machen.«

Geschäftig ordnete Mrs. Mason den kleinen Zug. Hornblower fühlte, wie Maria ihre Hand unter seinen Arm schob, er brachte es nicht übers Herz, ihren leisen Druck unerwidert zu lassen, und preßte sie an seine Rippen, wofür sie ihm mit einem Lächeln dankte. Mrs. Mason gab ihm von hinten einen leichten Schubs, und er machte sich auf den Weg zurück in die Kirche, wo ihn brausender Orgelklang begrüßte. Eine halbe Krone für den Organisten und einen Schilling für den Blasebalgtreter hatte Mrs. Mason für diese Ovation aufgewandt. Hornblower dachte unwillkürlich, daß es eine bessere Verwendung für dieses Geld gegeben hätte, und daran knüpfte sich für ihn zwangsläufig die Frage, wie man denn an diesem ekelhaften Lärm Gefallen finden konnte. So kam es, daß er mit Maria am Arm das Kirchenschiff schon fast durchschritten hatte, bis er wieder in die Wirklichkeit zurückfand.

»Die Matrosen sind alle weg«, flüsterte ihm Maria in weinerlichem Tone zu, »die Kirche ist fast leer.«

In der Tat sah man in den Kirchenstühlen nur noch zwei, drei Menschen, offenbar Neugierige, die nichts Besseres zu tun hatten. Die wenigen Hochzeitsgäste waren zur Unterschrift mit in die Sakristei gezogen, die fünfzig Matrosen aber, die Bush von der Hotspur an Land gebracht hatte – alles Leute, von denen er wußte, daß sie nicht desertierten –, diese fünfzig Mann waren weg, spurlos verschwunden. Etwas enttäuscht mußte sich Hornblower eingestehen, daß Bush eben doch nicht wußte, was sich gehörte.

»Das soll uns gleich sein«, sagte er und suchte krampfhaft nach einem Wort des Trostes für Maria. »Solche Kleinigkeiten können uns doch den Hochzeitstag nicht verderben.«

Seltsamerweise war es für ihn fast schmerzlich festzustellen, wie fügsam Maria auf seine Worte ansprach, wie ihr zögernder Gang auf dem Wege durch die leere Kirche plötzlich fester und sicherer wurde. Heller Sonnenschein erwartete sie draußen vor der westlichen Pforte, und Hornblower suchte sogleich wieder nach ein paar angemessenen, lieben Worten.

»Glücklich die Braut, die die Sonne bescheint«, sagte er. Jetzt traten sie aus der Dämmerung des Gotteshauses hinaus in die strahlende Sonne, da waren plötzlich alle Schatten verflogen, und die Welt zeigte ihnen wieder ein freundliches Gesicht. Bush hatte sie also nicht enttäuscht, er zeigte sich ganz im Gegenteil wieder einmal von seiner besten Seite.

Hornblower hörte ein scharfes Kommando und den Lärm klirrenden Stahls. Vom Kirchentor bis zur Straße hinab erstreckte sich ein doppeltes Spalier der fünfzig Matrosen, unter deren gekreuzten Entermessern das junge Paar hindurchschreiten sollte.

»Oh, wie schön!« rief Maria in kindlichem Entzücken. Das feierliche Schauspiel hatte überdies noch eine Menge Menschen angelockt, die neugierig die Hälse reckten, um einen Blick auf den Kapitän und seine junge Frau zu werfen. Gewohnheitsmäßig musterte Hornblower erst das eine, dann das andere Glied der Matrosen mit kritischem Blick. Die Männer trugen alle die neuen blauweißkarierten Hemden, die er erst unlängst für die ›Schlappkiste‹ der Hotspur angeschafft hatte, ihre weißen Leinenhosen waren wohl meist abgetragen, aber sauber gewaschen und lang und weit genug, um etwa schlechtes Schuhwerk zu verdecken. Kurzum, die Männer machten einen guten Eindruck.

Wo die Allee gekreuzter Entermesser zu Ende war, stand Bush neben einer unbespannten Postkalesche. Hornblower wußte zunächst nicht, was er davon halten sollte, aber zum Fragen war keine Zeit, darum führte er Maria ohne Zögern darauf zu. Bush half ihr galant beim Einsteigen, und Hornblower nahm neben ihr Platz. Jetzt endlich fand er Zeit, seinen Zweispitz unter dem Arm hervorzuziehen und aufzusetzen. Er hatte gehört, wie die Entermesser mit kurzem Ruck in die Scheiden gestoßen wurden, gleich darauf kam die Ehrenwache in klapperndem Laufschritt herbeigeeilt. Dort, wo an der Kutsche sonst die Pferdestränge saßen, waren zwei mit Pfeifenton sauber geweißte Zugleinen festgemacht. Die fünfzig Mann bemächtigten sich dieser aufgeschossenen Leinen und liefen sie aus, fünfundzwanzig die rechte und fünfundzwanzig die linke. Jetzt wandte sich Bush an Hornblower:

»Bitte lösen Sie die Bremsen, Sir. Ja, diesen Griff, Sir.«

Hornblower folgte seinem Wunsch. Bush kehrte ihm wieder den Rücken und stieß einen unterdrückten Ruf aus. Die Matrosen legten sich erst langsam, dann immer schneller ins Zeug und fielen zuletzt in einen gleichmäßigen Trab, die Kutsche ratterte lärmend über das Kopfsteinpflaster, die Zuschauer schwenkten ihre Hüte und riefen hurra!

»O Horry! Liebster«, stieß Maria hervor, »wie schön das ist! Ich hätte nie gedacht, daß ich so glücklich sein kann.«

Voll Übermut, wie er Seeleute an Land so leicht packt, schwenkten die Männer an den Zugleinen um die Straßenecke in die High Street ein und jagten in wilder Eile auf das ›George‹ zu. Beim Einbiegen wurde Maria heftig gegen ihren Mann geschleudert und schloß ihn in angstvoller Verzückung in die Arme. Als sie am Ziel anlangten, bestand natürlich Gefahr, daß der weiterrollende Wagen in die Matrosen hineinfuhr. Hornblower machte sich das blitzschnell klar, im gleichen Augenblick riß er sich von Maria los und griff nach dem Hebel der Bremse. Dann saß er für eine Weile unschlüssig auf seinem Platz, er wußte nicht, was nun weiter geschehen sollte. Eigentlich hätte es sich gehört, daß ein Hochzeitspaar vor dem Gasthaus festlich empfangen wurde, der Wirt und seine Frau, der Stiefelputzer, der Hausknecht, der Kellner und die Mädchen pflegten sich bei solchen Gelegenheiten vor der Tür zu versammeln – aber heute, bei ihm war kein Mensch da. Er mußte ohne Unterstützung von seinem Sitz herunterspringen und allein Maria beim Aussteigen helfen.

»Vielen Dank, Leute«, rief er zum Abschied den Matrosen zu, und diese erwiderten seinen Gruß, indem sie ihre Fingerknöchel an die Stirnen führten und unbeholfene Glückwünsche murmelten.

Jetzt erschien Bush an der Straßenecke und kam auf sie zugeeilt. Hornblower brauchte sich also nicht mehr um die Männer zu kümmern und konnte Maria – leider bar aller Feierlichkeit – in das Gasthaus führen.

Hier trat endlich der Wirt in Erscheinung. Mit einer Serviette über dem Arm kam er angerannt, seine Frau folgte ihm auf dem Fuß.

»Willkommen, Sir, willkommen meine Gnädige. Darf ich die Herrschaften bitten …«

Bei diesen Worten riß er die Tür zum Frühstückszimmer auf, wo auf schneeweißem Tischtuch zum Hochzeitsmahl gedeckt war.

»Der Admiral kam erst vor fünf Minuten an, wir bitten daher unsere Säumnis zu entschuldigen, Sir.«

»Der Admiral? Wer ist es denn?«

»Seine Exzellenz, Admiral Sir William Cornwallis, Sir, der Befehlshaber der Kanalflotte. Sein Kutscher erzählte, der Krieg stünde unmittelbar bevor.«

Für Hornblower war das längst eine ausgemachte Sache. Vor einigen Tagen schon hatte er den Erlaß des Königs an das Parlament gelesen, auch die Preßkommandos auf den Straßen waren ihm nicht entgangen. Er selbst hatte seine Ernennung zum Kommandanten der Hotspur erhalten und daraufhin – wie ihm jetzt wieder einfiel – Maria Hals über Kopf die Heirat versprochen. Bonapartes ruchloses Vorgehen drüben auf dem Festland bedeutete zwangsläufig …

»Ein Glas Wein, meine Gnädige? Ein Glas Wein, Sir?«

Hornblower sah Marias Blick fragend auf sich gerichtet. Sie wagte es nicht, die Einladung anzunehmen oder abzulehnen, ehe sie wußte, wie sich ihr Mann dazu stellte.

»Wir wollen lieber warten, bis alles versammelt ist«, sagte Hornblower. »Da, man kommt …« Schwere Schritte auf dem Gang verrieten, daß Bush eingetroffen war.

»In zwei Minuten sind alle Gäste da«, verkündete dieser.

»Es war ein hübscher Einfall von Ihnen, die Männer vor den Wagen zu spannen«, sagte Hornblower und legte sich blitzschnell zurecht, was man als liebevoller junger Ehemann wohl noch hinzufügen konnte. Schließlich schob er seine Hand unter Marias Arm und fuhr fort: »Mrs. Hornblower sagte, Sie hätten ihre eine große Freude bereitet.«

Marias verzücktes Kichern verriet ihm deutlich, wie schön sie es fand, daß er sie so unerwartet bei ihrem neuen Namen nannte. Genau das war seine Absicht gewesen.

»Mrs. Hornblower«, sagte Bush mit feierlicher Miene, »ich erlaube mir, Ihnen meine ergebensten Wünsche zum Ausdruck zu bringen.« Dann wandte er sich an Hornblower:

»Wenn Sie gestatten, Sir, gehe ich jetzt wieder an Bord.«

»Wie, jetzt schon?« fragte Maria.

»Die Pflicht ruft, gnädige Frau, leider«, gab ihr Bush zur Antwort und wandte sich dann gleich wieder an Hornblower: »Ich nehme die Mannschaften mit, Sir, es könnte immerhin sein, daß die Proviantleichter längsseit kommen.«

»Ja, Sie haben recht, Mr. Bush«, sagte Hornblower, »obwohl ich Sie ungern misse. Bitte halten Sie mich über alles unterrichtet.«

»Aye aye, Sir«, sagte Bush und war im nächsten Augenblick verschwunden.

Jetzt strömten die anderen Hochzeitsgäste herein, und alle Bedenken über den Verlauf des Festes waren wie weggeblasen, als Mrs. Mason die Gäste an ihre Plätze wies und das Hochzeitsfrühstück in Gang brachte. Die Pfropfen knallten, die ersten Trinksprüche wurden ausgebracht. Jetzt galt es, den Hochzeitskuchen anzuschneiden, und Mrs. Mason bestand darauf, daß Maria den ersten Schnitt mit Hornblowers Säbel führte. Sie war nämlich überzeugt, daß ihre Tochter damit dem Beispiel der Seeoffiziersbräute aus der besten Londoner Gesellschaft folgte. Hornblower war dessen keineswegs so sicher, galt doch für ihn seit einem Jahrzehnt das ungeschriebene Gesetz, daß man unter Deck oder unter einem Dach nicht blankzog. Aber seine schüchternen Einwände fanden kein Gehör. Maria faßte den Säbel mit beiden Händen und schnitt damit unter allgemeinem Beifall in den Kuchen. Hornblower zügelte mühsam seine Ungeduld, bis er die Waffe endlich wieder an sich nehmen durfte, und wischte dann mit rascher Hand den Zuckerguß von der Klinge. Voll Ingrimm stellte er sich dabei die Frage, wie den Leuten hier wohl zumute wäre, wenn sie wüßten, daß er in gleicher Weise schon einmal Menschenblut davon abgewischt hatte. Noch war er nicht fertig, als der Wirt zu ihm trat und heiser flüsternd sagte:

»Verzeihung, Sir, darf ich stören?«

»Ja, was gibt’s?«

»Eine Empfehlung von Seiner Exzellenz. Er läßt Ihnen bestellen, daß er sich freuen würde, wenn Sie ihm bei gegebener Gelegenheit Ihre Aufwartung machten.«

Hornblower stand mit dem Säbel in der Hand und sah drein, als ob er nicht recht verstanden hätte.

»Der Admiral, Sir. Er logiert im Vorderzimmer im ersten Stock, wir nennen es das Admiralszimmer.«

»Sie meinen doch Sir William?«

»Gewiß, Sir.«

»Gut. Bestellen Sie ihm meine ergebensten Empfehlungen und – nein, es ist besser, ich gehe gleich zu ihm. Besten Dank.«

»Ich danke auch, Sir. Und nichts für ungut wegen der Störung.«

Hornblower schob seinen Säbel mit einem Ruck in die Scheide und warf einen Blick auf die Hochzeitsgesellschaft. Aller Augen waren auf das Serviermädchen gerichtet, die mit den Schnitten des Hochzeitskuchens geschäftig von Gast zu Gast eilte. Auf ihn schien im Augenblick niemand zu achten. Da hakte er seinen Säbel ein, zog die Halsbinde zurecht, griff rasch nach dem Hut und verschwand geräuschlos aus dem Saal.

Als er im ersten Stock an die Tür des vorderen Zimmers klopfte, antwortete eine wohlbekannte tiefe Stimme sogleich mit einem kräftigen: »Herein.« Das Zimmer war so groß, daß das mächtige Himmelbett am anderen Ende ganz unscheinbar wirkte, so fern und klein wie der Sekretär, der dort am Fenster an seinem Schreibtisch saß. Cornwallis stand in der Mitte des Raums, offenbar war er gerade beim Diktat und sah sich nun plötzlich unterbrochen.

»Ach sieh da, Hornblower. Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Sir.«

»Wann trafen wir uns doch das letzte Mal? War das nicht die dumme Geschichte mit dem irischen Aufrührer? Eine üble Angelegenheit! Ich weiß noch, wir mußten den Kerl hängen.«

»Jawohl, Sir.« Cornwallis, ›Billy Blue‹ genannt, hatte sich in den vier Jahren, die seitdem vergangen waren, nicht viel verändert. Er war der gleiche schwere, kraftvolle Mann geblieben, der mit unbeirrbarer Ruhe allen Nöten und Schwierigkeiten Trotz bot.

»Bitte, nehmen Sie Platz. Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?«

»Danke nein, Sir.«

»Das dachte ich mir, Sie kommen ja gerade vom Feiern. Verzeihen Sie, daß ich Ihr Hochzeitsfest unterbrochen habe, aber ich kann ja nichts dafür, der wahre Schuldige ist Boney.«

»Gewiß, Sir.« Hornblower sagte sich wohl, daß hier eine beredtere Antwort am Platz gewesen wäre, aber es fiel ihm beim besten Willen nichts anderes ein.

»Ich fasse mich so kurz wie möglich, damit Sie bald wieder zu Ihren Gästen kommen. Sie wissen doch, daß ich zum Chef der Kanalflotte ernannt worden bin?«

»Jawohl, Sir.«

»Ist Ihnen bekannt, daß mir damit auch die Hotspur untersteht?«

»Das nehme ich an, Sir, bekannt war es mir noch nicht.«

»Die dahin lautende Verfügung der Admiralität habe ich im Wagen mitgebracht, Sie werden sie an Bord vorfinden.«

»Jawohl, Sir.«

»Ist die Hotspur seeklar?«

»Nein, Sir.« Nur keine Ausflüchte. Hier galt allein die Wahrheit, alles andere war sinnlos.

»Wie lange brauchen Sie noch?«

»Zwei Tage, Sir. Wenn sich die Anlieferung der Munition verzögert, entsprechend länger.«

Cornwallis durchbohrte ihn förmlich mit dem Blick, aber Hornblower sah ihm ohne Scheu in die Augen. Er hatte sich wahrhaftig nichts vorzuwerfen, vor neun Tagen hatte die Hotspur noch außer Dienst und abgetakelt in der Werft gelegen.

»Ist sie gedockt und kalfatert?«

»Jawohl, Sir.«

»Ist sie voll bemannt?«

»Jawohl, Sir. Ich habe eine gute Besatzung, die Auslese der gepreßten Leute.«

»Ist das Schiff getakelt?«

»Jawohl, Sir.«

»Sind die Rahen aufgebracht?«

»Jawohl, Sir.«

»Sind die Offiziere vollzählig an Bord?«

»Jawohl, Sir, ein Leutnant und vier Steuermannsmaate.«

»Sie brauchen für drei Monate Proviant und Wasser.«

»Der Stauraum faßt bei vollen Rationen Proviant für hundertelf Tage. Die Küferei liefert heute nachmittag die Wasserfässer. Bis heute abend habe ich alle Vorräte an Bord.«

»Haben Sie das Schiff schon aus der Werft verholt?«

»Jawohl, Sir. Es liegt im Spithead vor Anker.«

»Sie haben Ihre Sache gut gemacht.«

Hätte Hornblower diese Worte gleichgültig zur Kenntnis nehmen sollen? Nein, solche Heuchelei brachte er nicht über sich. Wenn Cornwallis so etwas sagte, dann war das keine simple Anerkennung, sondern hohes, von Herzen kommendes Lob.

»Danke, Sir.«

»Was fehlt Ihnen also jetzt noch?«

»Die Ausrüstung für das Bootsmannshellegatt, Sir: Tauwerk, Segeltuch, Reservespieren.«

»Die Werft wird zur Zeit nicht so leicht zu bewegen sein, sich von diesen Dingen zu trennen. Nun, ich werde ein Wort mit den Leuten reden. Außerdem brauchen Sie noch Ihre Munition, so sagten Sie doch, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir. Das Artillerieressort erwartet eine Lieferung von Neunpfünder-Kugeln. Im Augenblick sind hier keine zu haben.«

Vor zehn Minuten noch hatte Hornblower eifrig nach Worten gesucht, um seiner Maria Liebes zu sagen, jetzt galt es wieder, jedes Wort zu wägen, weil er Cornwallis eine genaue, ehrliche Meldung erstatten wollte.

»Auch darum will ich mich kümmern«, sagte Cornwallis.

»Ich werde dafür sorgen, daß Sie übermorgen auslaufen können, wenn es der Wind erlaubt. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Jawohl, Sir.«

»Und nun zu Ihrem Auftrag. Sie bekommen Ihren Operationsbefehl noch heute schriftlich zugestellt, aber ich will Ihnen lieber gleich sagen, was er enthält, damit Sie Fragen stellen können, wenn Ihnen etwas nicht klar sein sollte. Der Krieg steht unmittelbar bevor. Er ist zwar noch nicht erklärt, aber wir möchten nicht, daß uns Boney zuvorkommt.«

»Jawohl, Sir.«

»Ich werde Brest blockieren, sobald ich mit der Flotte in See gehen kann, Sie sollen vor uns dorthin auslaufen.«

»Jawohl, Sir.«

»Sie müssen aber alles vermeiden, was zu einem vorzeitigen Ausbruch der Feindseligkeiten führen könnte. Liefern Sie Boney auf keinen Fall einen Vorwand dazu!«

»Ich verstehe, Sir.«

»Ist der Krieg erst erklärt, dann können Sie natürlich handeln, wie es die Lage erfordert. Bis dahin dürfen Sie nur beobachten. Halten Sie ein wachsames Auge auf Brest. Dringen Sie so weit in die Einfahrt vor, wie es möglich ist, ohne daß Sie Feuer auf sich ziehen. Zählen Sie die Kriegsschiffe, die dort liegen, stellen Sie fest, welcher Art und Größe sie sind. Wie viele davon haben die Rahen aufgebracht, wie viele sind noch außer Dienst? Ich möchte wissen, was für Schiffe schon auf Reede liegen und wie viele im Begriff sind, seeklar zu machen.«

»Jawohl, Sir.«

»Boney hat im vorigen Jahr seine besten Schiffe und Besatzungen nach Westindien entsandt, er wird es noch schwerer haben als wir, seine Flotte zu bemannen. Sobald ich vor Brest eintreffe, möchte ich das alles von Ihnen gemeldet haben. Noch eins: wie tief geht die Hotspur?«

»Bei voller Ausrüstung ist Ihr Tiefgang achtern dreizehn Fuß, Sir.«

»Dann haben Sie ja im Goulet reichlich Raum zum Manövrieren. Ich brauche Ihnen wohl nicht eigens zu sagen, daß Sie Ihr Schiff nicht auf Grund setzen sollen.«

»Nein, Sir.«

»Aber eines lassen Sie sich dennoch gesagt sein: Es gibt blindes, törichtes Draufgängertum, und es gibt kühlen, berechnenden Wagemut. Treffen Sie hierin nur immer die rechte Wahl, und ich werde Ihnen in allem Ungemach zur Seite stehen, das Ihnen aus Ihrem Handeln erwachsen könnte.«

Die großen blauen Augen des Admirals begegneten dem festen Blick der braunen Augen des Kapitäns. Was Cornwallis da eben gesagt hatte, und mehr noch, was unausgesprochen geblieben war, gab Hornblower mächtig zu denken. Cornwallis hatte ihm seinen Beistand versprochen, aber das Gegenstück dazu, die Drohung für den Fall seines Versagens, war unterblieben. Wollte der Admiral damit seinen Worten eine größere Wirkung verleihen, oder handelte es sich gar nur um einen billigen Trick, ihm, dem Untergebenen gegenüber? Nein, beides war ausgeschlossen. Was Cornwallis gesagt hatte, war ganz und gar der Ausdruck seiner Wesensart. Offenbar war er ein Mann, der seine Untergebenen nicht nur antrieb, sondern wirklich führte. Das war höchst bemerkenswert.

Hornblower fuhr erschrocken zusammen. Er hatte seinen Oberkommandierenden sekundenlang hemmungslos angestarrt, während ihm das alles durch den Kopf ging. Das war wohl recht taktlos von ihm gewesen.

»Ich habe alles verstanden, Sir«, sagte er. Nun erhob sich Corwallis von seinem Stuhl.

»In See treffen wir uns also wieder. Noch einmal: unterlassen Sie alles, was zu Feindseligkeiten führen könnte, ehe der Krieg erklärt ist.« Er sagte das lächelnd, und dieses Lächeln verriet ihn vollends als Mann der Tat. Hornblower entnahm daraus, daß er den bevorstehenden Kampfhandlungen schon voll Ungeduld entgegensah. Dieser Mann suchte bestimmt nicht nach Gründen oder Ausreden, um eine fällige Entscheidung hinauszuschieben. Plötzlich zog Cornwallis die schon ausgestreckte Hand wieder zurück.

»Mein Gott!« rief er. »Ich habe ja ganz vergessen, daß heute Ihr Hochzeitstag ist.«

»Jawohl, Sir.«

»Sie sind erst heute morgen getraut worden?«

»Vor einer Stunde, Sir.«

»Ich habe Sie also von Ihrer Hochzeitstafel weggeholt?«

»Jawohl, Sir.« Es wäre geschmacklos gewesen, dem Admiral mit abgedroschenem Schwulst zu kommen und etwa zu sagen: ›Für König und Vaterland‹ oder ›Zuerst die Pflicht, dann das Vergnügen‹.

»Ihre junge Frau wird darüber recht traurig sein.«

›Vor allem die Schwiegermutter‹, dachte Hornblower, aber auch das mußte er schicklicherweise für sich behalten. Er begnügte sich damit zu sagen: »Ich werde das schon wieder in Ordnung bringen, Sir.«

»Es wäre wohl eher an mir, das zu tun«, gab Cornwallis zur Antwort. »Wie wäre es, wenn ich mich bei Ihrer Feier einfände, um auf das Wohl Ihrer Frau zu trinken?«

»Das wäre ausnehmend gütig von Ihnen, Sir.«

Wenn es etwas gab, das ihm bei Mrs. Mason Vergebung für seine Ungezogenheit erwirken konnte, dann war es das Erscheinen Seiner Exzellenz des Admirals Sir William Cornwallis K. B. an der festlichen Hochzeitstafel.

»Also gut. Wenn Sie sicher sind, daß ich nicht unerwünscht bin, komme ich gleich mit. Hatchett, meinen Säbel. Wo ist mein Hut?«

Als Hornblower wieder in der Tür des Frühstückszimmers erschien, wollte ihn Mrs. Mason sofort mit einem Schwall bitterer Vorwürfe empfangen, aber die Worte erstarben ihr auf den Lippen, als sie bemerkte, welch bedeutendem Gast er den Vortritt ließ. Sie sah die glitzernden Epauletten und das breite rote Band mit dem Stern, das Cornwallis als taktvoller Mann zu dieser feierlichen Gelegenheit angelegt hatte. Hornblower übernahm die Vorstellung.

»Viel Glück und langes Leben«, sagte Cornwallis und beugte sich über Marias Hand. »Das wünsche ich der jungen Frau eines der tüchtigsten Offiziere unserer Königlichen Marine.«

Maria konnte nur nicken, die goldglitzernde, prunkvolle Erscheinung des Admirals raubte ihr einfach die Sprache.

»Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir William«, sagte Mrs. Mason.

Der Pfarrer und seine Frau sowie die anderen Gäste – alles Nachbarn Mrs. Masons – waren schon hell begeistert, daß sie mit einem Mann im selben Zimmer weilen durften, der Grafensohn, Ritter des Bath-Ordens und Flottenchef in einer Person war, und wußten vollends nicht mehr, wie ihnen geschah, als er sich jetzt gar persönlich an sie wandte.

»Ein Glas Wein, Sir?« fragte Hornblower.

»Mit Vergnügen.«

Cornwallis ergriff das gereichte Glas und blickte um sich. Wie nicht anders zu erwarten, richtete er das Wort am Ende an Mrs. Mason.

»Wurde denn schon ein Trinkspruch auf das Wohl des jungen Paares ausgebracht?«

»Nein, Sir«, antwortete Mrs. Mason trunken vor Glück.

»Erlauben Sie mir also, daß ich das Wort ergreife? Ja? Meine Damen und Herren, bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen und schließen Sie sich den Wünschen an, die ich dem jungen Paar an diesem ihrem Hochzeitstag darbringen möchte. Kummer und Sorge bleibe den beiden erspart, ihr Leben lang sei ihnen Gesundheit und Wohlergehen beschert. Die Frau möge sich bei dem Gedanken glücklich schätzen, daß ihr Mann für König und Vaterland seine Pflicht tut, den Mann aber möge die Treue seiner Frau in seiner eigenen Pflichttreue bestärken. Geben wir unserer Hoffnung Ausdruck, daß aus diesem Lebensbund eine ganze Schar Knaben hervorgehen möge, die eines Tages dem väterlichen Beispiel folgend des Königs Rock tragen werden, und eine Schar Mädchen, denen es bestimmt ist eine neue Jugend zur Welt zu bringen. Ich trinke auf das Wohl der Neuvermählten, sie leben hoch!«

Unter Hochrufen hob man die Gläser und trank den beiden zu; aller Blicke hingen an Maria, die mit glühenden Wangen und niedergeschlagenen Augen auf ihrem Platz saß. Gleich darauf ließ die Aufmerksamkeit von ihr ab und wandte sich Hornblower zu, der sich eben erhob. Ehe Cornwallis noch halb zu Ende war, hatte er schon gemerkt, daß der Admiral nur wiederholte, was er bei Hochzeiten seiner Offiziere wohl schon Dutzende Male zum besten gegeben hatte. Warte nur, ich will’s dir schon zeigen, dachte er und verzog den Mund zu einem Grinsen, als er dem Blick des Admirals begegnete. Er wollte ihm mit gleicher Münze heimzahlen, Cornwallis sollte eine Antwort erhalten, die er gewiß auch schon ein paar Dutzend Male gehört hatte.

»Sir William, meine Damen und Herren, im Namen meiner lieben Frau« – dabei griff er nach Marias Hand – »und für meine eigene Person kann ich nur meinen Dank für die schönen Worte zum Ausdruck bringen, die wir soeben gehört haben.«

Als das Gelächter erstarb – Hornblower hatte vorausgesehen, daß die Leute lachen würden, wenn er Maria ›seine Frau‹ nannte, obwohl er selbst dabei nichts zu lachen fand –, als, wie gesagt, die Lacher endlich verstummten, blickte Cornwallis nach seiner Uhr. Daraufhin beeilte sich Hornblower, ihm für sein Erscheinen zu danken, und begleitete ihn dann zur Tür. Als sie draußen waren, drehte sich Cornwallis um und gab ihm mit seiner großen Hand einen Klaps auf die Brust.

»Ich will meinen Befehl für Sie ergänzen«, sagte er. Hornblower merkte genau, daß das freundliche Lächeln des Admirals von einem forschenden Blick begleitet war.

»Sir?«

»Sie bekommen hiermit Erlaubnis, heute und morgen an Land zu schlafen.«

Hornblower öffnete den Mund zu einer Antwort, aber seine Lippen blieben stumm. Zum erstenmal im Leben ließ ihn seine Geistesgegenwart im Stich. Was er gehört hatte, machte ihm so viel zu schaffen, daß die Sprache darüber zu kurz kam.

»Daran haben Sie wohl nicht gedacht?« sagte Cornwallis grinsend. »Die Hotspur gehört jetzt zur Kanalflotte, ihr Kommandant muß bestimmungsgemäß an Bord schlafen, es sei denn, er würde ausdrücklich davon befreit. Das ist hiermit geschehen.«

»Gehorsamsten Dank, Sir«, sagte Hornblower, der endlich seine Sprache wiedergefunden hatte.

»Vielleicht vergehen ein paar Jahre, bis Sie wieder einmal an Land schlafen können. Wenn Boney Ernst macht, könnte es sogar noch länger dauern.«

»Es sieht ganz so aus, Sir.«

»Nun, auf Wiedersehen in drei Wochen vor Ouessant. Bis dahin alles Gute!«

Als Cornwallis schon eine ganze Weile gegangen war, stand Hornblower noch immer tief in Gedanken vor der halb offenen Tür zum Frühstückszimmer und trat von einem Bein auf das andere, eine Art der Bewegung, die dem Aufund Abschreiten an Deck noch am nächsten kam. Daß es Krieg gab, daran hatte er nie gezweifelt, denn Bonaparte gab auf keinen Fall freiwillig auf, was er einmal in Händen hatte. Aber bis zu diesem Augenblick hatte er sich dennoch leichtfertigerweise eingebildet, daß man ihn nicht in See schicken werde, ehe der Krieg formell erklärt war, also frühestens in etwa zwei bis drei Wochen, nach dem Scheitern der letzten Verhandlungen. Offenbar hatte er sich darin gründlich geirrt, und darum haderte er jetzt mit sich selbst.

Denn bei näherem Zusehen sprach ja wirklich eine Menge dafür, daß man ihn, gerade ihn, sobald wie möglich aus dem Hafen jagte. Er hatte eine gute Besatzung an Bord – die erste Ernte der Preßkommandos – er konnte als erster seeklar sein, sein Schiff war klein und fiel als Machtfaktor nicht ins Gewicht, es hatte wenig Tiefgang und eignete sich daher vortrefflich für die Aufgabe, die ihm Cornwallis zugedacht hattte. Das alles wußte er und hatte doch keinen Schluß daraus gezogen.

Dies war die erste bittere Pille, die es für ihn zu schlucken gab. Als nächstes galt es herauszufinden, warum ihm dieser böse Denkfehler unterlaufen war. Die Antwort lag auf der Hand, aber – und das war nun erst recht arg – er scheute sich, ihr ins Auge zu sehen. Es gab keine Zweifel: nur um Marias willen hatte er sich so in die Irre führen lassen. Er wollte ihr auf keinen Fall Kummer bereiten, darum hatte er sich versagt, klar ins Auge zu fassen, was für ihn in der Luft lag. Statt dessen hatte er gedankenlos in den Tag hineingelebt, immer in der vagen Hoffnung, daß ihm ein glückliches Geschick vielleicht doch eine Trennung von seiner Maria ersparen könnte.

Als ihm dies klargeworden war, gab er sich plötzlich einen Ruck. Wie, ein glückliches Geschick sollte das sein? Aufgelegter Unsinn! Er war Kommandant eines guten Schiffes, er stand damit in vorderster Linie! Gab es eine bessere Gelegenheit, Ruhm zu ernten, sich auszuzeichnen? Dies, nur dies war sein glückliches Geschick – nicht auszudenken, wenn man ihn dazu verurteilt hätte, im Hafen zu bleiben! Kampf, Pflichterfüllung und der Einsatz von Ehre und Leben, schon die Erwartung dessen, was ihm bevorstand, jagte ihm wieder jene Schauer der Erregung durch die Glieder, deren er sich aus früheren Tagen so deutlich entsann. Gewiß, es ging ihm um den Ruhm, aber im Augenblick lag ihm noch mehr daran zu wissen, daß mit ihm selbst wieder alles im Lot war. Er hatte zu sich gefunden und sah die Dinge wieder in der richtigen Ordnung. In erster Linie war und blieb er Seeoffizier, der Ehemann mußte sich mit dem zweiten Platz abfinden und füllte selbst diesen schlecht aus.

Das war alles schön und gut, aber was half es ihm am Ende?

Die Trennung, der Augenblick, da er sich Marias Armen entwinden mußte, rückte unerbittlich näher.

Es ging nicht an, daß er noch länger hier auf dem Gang vor dem Frühstückszimmer herumstand. Trotz seines aufgewühlten Gemütszustandes mußte er unverzüglich wieder zu der Gesellschaft stoßen. Entschlossen trat er ein und zog die Tür leise hinter sich ins Schloß.

»Das wird sich im Naval Chronicle gut ausnehmen«, sagte Mrs. Mason, »›Flottenchef trinkt mit herzlichen Worten auf das Wohl des jungen Paares‹. Aber schau, Horatio, einige deiner Gäste haben leere Teller.«

Hornblower war noch im Begriff, seinen Pflichten als Gastgeber schlecht und recht nachzukommen, da sah er am anderen Ende des Zimmers von neuem das sorgenvolle Gesicht des Wirtes auftauchen. Erst ein zweiter Blick verriet ihm, was den Mann abermals hergeführt hatte.

Er brachte Hewitt, Hornblowers neuen Bootssteurer. Der war nämlich so klein, daß man ihn vom anderen Ende des Zimmers her nicht ohne weiteres bemerkte. Was ihm an Länge fehlte, machte er durch um so größere Breite wett, vor allem aber zierte sein Gesicht ein glänzend gewichster schwarzer Schnurrbart, wie er zur Zeit in den Mannschaftsdecks Mode war. Mit dem Strohhut in der Hand kam er wiegenden Schrittes durch das Zimmer, hob grüßend die Knöchel zur Stirn und reichte Hornblower eine Nachricht. Die Adresse stammte von Bushs Hand, sie lautete sehr korrekt, wenn auch für derzeitige Begriffe etwas altmodisch: Seiner Hochwohlgeboren Herrn Horatio Hornblower, Commander und Kommandant. Während er die wenigen Zeilen las, versank die ganze Gesellschaft in ein für seine Begriffe nicht eben taktvolles Schweigen.

›Seiner Majestät Korvette Hotspur, den 2. April 1803

Sir, ich höre eben von der Werft, daß der erste der Leichter längsseit kommen kann. Den Werftarbeitern sind keine Überstunden in Aussicht gestellt, die Arbeit wird also bei Dunkelwerden eingestellt. Ich stelle gehorsamst anheim, mir die Aufsicht bei der Übernahme der Vorräte zu übertragen, falls Sie noch nicht gewillt sind, selbst an Bord zu kommen.

Ihr gehorsamer Diener Wm. Bush‹

»Liegt das Boot am Hard?« fragte Hornblower den Mann.

»Jawohl, Sir.«

»Gut, ich komme in fünf Minuten.«

»Aye aye, Sir.«

»O Horry«, sagte Maria mit einem Unterton, der sich wie leiser Vorwurf anhörte – nein, Vorwurf war das nicht, es war reine Enttäuschung.

»Ach Liebling«, begann Hornblower und wollte schon zitieren: ›Wenn du wüßtest, wie mein Herz dir schlägt …‹ aber er gab diese Absicht sogleich wieder auf. Die Verse paßten nicht hierher, sie paßten vor allem nicht auf seine Frau.

»Jetzt gehst du wieder auf das Schiff … immer das Schiff«, seufzte Maria.

»Ja, es muß sein.«

Er konnte nicht an Land bleiben, wenn es zu tun gab. Wenn man die Leute richtig in Schwung brachte, mußte es gelingen, heute die Hälfte der Vorräte überzunehmen und morgen den Rest zu schaffen. Entsprach das Artillerieressort dem Drängen des Admirals, so kamen auch Pulver und Kugeln an Bord. Dann konnte er schon übermorgen bei Hellwerden auslaufen.

»Heute abend bin ich ja wieder bei dir«, sagte er und zwang sich zu einem wehmütigen Lächeln, er mußte sich Gewalt antun, für einen Augenblick zu vergessen, daß ihm das große Abenteuer winkte, daß ihm der Weg zu Ruhm und Ehren offenstand.

»Ich finde immer wieder zu dir zurück, Liebling«, sagte er. Er legte ihr die Hände auf die Schultern und gab ihr einen schmatzenden Kuß, den die Hochzeitsgesellschaft mit lautem Beifall bedachte. Auf diese Art bekam der Abschied eine heitere Note, das allgemeine Gelächter gab ihm eine Art Deckung, als er sich rasch davonmachte. Während er zum Hard hinuntereilte, verknäulten sich in seinem armen Kopf zwei Vorstellungen wie die beiden Schlangen eines Aeskulapstabs – dort seine Maria, die ihre ganze Liebesglut an ihn verschwenden wollte, und hier er selbst, der Kommandant eines Kriegsschiffs, das schon übermorgen in See ging.

2ABSCHIED

Irgendwer mußte schon eine ganze Weile an der Schlafzimmertür geklopft haben. Hornblower meinte wohl, etwas zu hören, aber das Geräusch reichte nicht hin, seine Schlaftrunkenheit zu verjagen. Doch nun öffnete sich leise knarrend die Tür, Maria fuhr hoch und klammerte sich in panischer Angst an ihm fest, so daß auch er im Augenblick hellwach war. Durch die dicken Bettvorhänge drang ein schwacher Lichtschimmer herein, die eichenen Dielen des Zimmers knarrten unter einem schlürfenden Schritt, und eine weibliche Fistelstimme sagte:

»Acht Glasen, Sir, acht Glasen.«

Die Vorhänge öffneten sich einen Zoll breit, sie ließen etwas mehr Licht herein, und Maria packte sofort noch fester zu. Erst als Hornblower endlich seine Sprache gefunden hatte, schlossen sich die Vorhänge wieder.

»Danke, ich bin wach.«

»Ich zünde Ihnen die Kerzen an«, piepste die Stimme, die Schritte schlürften hier- und dorthin durchs Zimmer, und durch die Vorhänge drang etwas mehr Licht herein.

»Wie ist der Wind? Ich meine aus welcher Richtung kommt er?« fragte Hornblower. Er war jetzt so weit wach, daß er fühlte, wie sich seine Muskeln spannten und wie sein Herz rascher schlug, als er sich Rechenschaft gab, was dieser Morgen für ihn bedeutete.

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Sir«, piepste die Stimme wieder. »Ich verstehe mich nicht auf die Kompaßstriche, und außer mir ist noch niemand wach.«

Hornblower knurrte ärgerlich, weil man ihm die Antwort schuldig blieb, an der ihm so viel gelegen war, und warf gedankenlos das Federbett zurück, um aufzuspringen und selbst nach der Windrichtung zu schauen. Aber Maria hielt ihn fest umklammert und zeigte ihm auf diese Art, daß er nicht so mir nichts, dir nichts aus dem Bett springen und davonrennen konnte. Nein, da gab es ein strenges Ritual, das keine Kürzung zuließ; seine Ungeduld mußte er eben solange zügeln. So wandte er sich denn zu ihr und küßte sie; sie erwiderte seine Küsse voll Leidenschaft und doch anders als sonst. Er fühlte etwas Nasses auf seiner Wange – eine Träne, es sollte die einzige bleiben, die sie vergoß, da sie sich eisern in die Gewalt nahm. Seine nicht gerade leidenschaftliche Umarmung gewann allmählich an Wärme.

»Jetzt heißt es Abschied nehmen, Liebling«, flüsterte Maria, »ja, Liebster, ich weiß, du mußt fort. Aber ich, aber ich … ich kann mir nicht vorstellen, wie ich ohne dich leben soll. Du bist ja mein ein und alles, du bist …«

Hornblower fühlte, wie ihn eine Woge warmer Zärtlichkeit mit sich fortriß, zugleich aber flüsterte ihm die leise Stimme seines Gewissens recht häßliche Dinge ins Ohr. So viel Liebe hätte ja nicht einmal der vollkommenste Mann auf Erden verdient. Wenn Maria erführe, wie es wirklich um ihn stand, dann stürzte ihre ganze Welt in Trümmer, dann kehrte sie ihm gewiß verzweifelt den Rücken. Nein, davon durfte er ihr nichts verraten, es wäre der grausamste Schlag, den er ihr zufügen konnte.

Aber siehe da, während er sich mit diesen Vorstellungen herumschlug, weckte ihre Glut auch in ihm immer neue Wogen zärtlichen Gefühls. Er küßte sie auf die Wangen und suchte ihre weichen, begehrenden Lippen. Plötzlich spürte er, wie sie ihm wehrte, wie sie sich mit Bedacht seinen Liebkosungen entzog.

»Genug, mein Liebling, genug. Nein, ich darf dich nicht hier festhalten. Du wärst mir gewiß böse, jetzt nicht, aber später bestimmt. Du mein ein und alles, komm, sag mir jetzt Lebewohl. Sag, daß du mich liebst, daß du mich immer lieben wirst. Leb wohl, mein Herzensschatz! Nur eines versprichst du mir noch: daß du ab und zu an mich denkst, so wie ich unaufhörlich an dich denke.«

Hornblower sagte, was sie hören wollte, und traf in seiner weichen Stimmung auch genau den richtigen Ton, Maria gab ihm noch einen heißen Kuß, dann riß sie sich von ihm los und warf sich zur Wand herum, wo sie mit dem Gesicht nach unten liegen blieb. Hornblower lag noch eine Weile still, er mußte sich mit aller Kraft gegen seine Gefühle wappnen, ehe er den Entschluß fand, sich zu erheben. Jetzt hörte er Maria wieder sprechen, ihre Stimme war vom Kopfkissen halb erstickt, aber auch so war deutlich zu merken, wie sie sich mit Gewalt zu kühler Sachlichkeit zwang.

»Dein frisches Hemd liegt auf dem Stuhl, Liebling, und die zweitbesten Schuhe stehen am Kamin.«

Hornblower schwang sich aus dem Bett und schlug den Vorhang zur Seite. Hier im Schlafzimmer war es entschieden kühler als in dem von Vorhängen umschlossenen Himmelbett. Jetzt ging wieder die Tür, er hatte gerade noch Zeit, sein Nachthemd vor sich zu halten, als das alte Zimmermädchen den Kopf hereinsteckte. Hornblowers schamhaftes Benehmen entlockte ihr ein lustiges Gekicher in den höchsten Tönen.

»Der Hausknecht sagt, es sei schwacher Südwind, Sir.«

»Besten Dank.«

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß.

»Kannst du denn Südwind brauchen, Liebling?« fragte Maria, immer noch hinter dem Vorhang versteckt.

»Mag sein«, sagte Hornblower. »Es wird sich zeigen.«

Unterdessen eilte er zum Waschtisch und rückte die Kerzen zurecht, daß ihr Schein auf sein Gesicht fiel.

Jetzt, Ende März, war leichter Südwind bestimmt nicht von Dauer. Er mochte krimpen oder ausschießen, auf jeden Fall aber frischte er mit Hellwerden auf. Wenn die Hotspur so gut segelte, wie er annahm, dann kam er bestimmt damit vom Foreland frei und verschaffte sich auf diese Art so viel Seeraum, daß er die weitere Entwicklung der Wetterlage mit Ruhe abwarten konnte. Aber wie dem auch war, Zeitvergeudung konnte man sich in der Navy nicht leisten, darum ging Hornblower jetzt in aller Eile ans Werk. Er fuhr sich mit dem Rasiermesser kratzend über die Wangen und sah dabei im Spiegel immer wieder das flüchtige Bild Marias, die sich beim Ankleiden hinter ihm im Zimmer umherbewegte. Jetzt füllte er das Becken mit kaltem Wasser, um sich zu waschen. Als er fertig war, fühlte er sich köstlich frisch und fuhr sogleich mit den gewohnten raschen Bewegungen in sein Hemd.

»Mein Gott, du bist ja schon fast fertig«, rief Maria ganz bestürzt. Hornblower hörte ihre Schuhe über die eichenen Dielen klappern, sie zog sich in aller Eile eine frische Morgenhaube über das Haar und war offenkundig bestrebt, so rasch wie möglich fertig zu werden, auch wenn sie dabei der Eleganz einiges schuldig blieb.

»Ich laufe eben rasch hinunter und schaue nach, ob dein Frühstück fertig ist«, sagte sie und war auf und davon, ehe er noch ein Wort des Einspruchs über die Lippen brachte.

Sorgfältig und mit geübten Händen faltete er seine Halsbinde und schlüpfte dann in den Rock. Er warf einen Blick auf die Uhr und steckte sie in die Tasche, als letztes zog er seine Schuhe an. Das Waschzeug rollte er in die dazu bestimmte Tasche und verschnürte deren Bänder. Das Hemd von gestern, das Nachthemd und die Morgenjacke stopfte er in den bereitliegenden Segeltuchbeutel, die Tasche mit dem Waschzeug kam obenauf. Mit einem letzten Rundblick im Zimmer überzeugte er sich, daß er nichts vergessen hatte, dabei mußte er allerdings jetzt genauer achtgeben, als er es von früher her gewohnt war, weil hier und dort noch Marias Sachen verstreut lagen. Bebend vor innerer Erregung riß er die Fenstervorhänge auf und warf einen Blick nach draußen – die Morgendämmerung kündigte sich noch mit keinem Zeichen an. Den Segeltuchbeutel in der Hand, stieg er die Treppe hinunter und betrat das Frühstückszimmer. Hier roch es nach abgestandenem Essen; eine Öllampe, die von der Decke herabhing, verbreitete dämmriges Licht. Maria kam von der Tür gegenüber zu ihm herein.

»Hier ist für dich gedeckt, Liebling«, sagte sie, »dein Frühstück kommt sofort.«

Sie rückte den Stuhl zurecht, auf den er sich setzen sollte.

»Ich setze mich erst nach dir«, sagte Hornblower. Er fand es einfach geschmacklos, sich von Maria bedienen zu lassen.

»Aber das geht doch nicht«, sagte Maria, »ich muß ja für dein Frühstück sorgen – außer der alten Frau ist noch kein Mensch auf.«

Sie drückte ihn auf den Stuhl. Hornblower fühlte, wie sie ihn auf den Kopf küßte und wie ihre Wange flüchtig die seine streifte, aber ehe er sie noch mit einem raschen Griff nach rückwärts zu fassen vermochte, war sie schon wieder verschwunden. In seinem Ohr klang ein Geräusch nach, das er als Mittelding zwischen Schnauben und Schluchzen empfand. Als sich die Tür zur Küche auftat, drang warmer Speisenduft herein. In einer Pfanne brutzelte anscheinend Fett, und Maria hatte offenbar mit der Alten Wichtiges zu reden. Dann kam sie wieder herein, ihr rascher Schritt verriet, daß ihr der Teller, den sie trug, zu heiß war. Vor seinem Platz ließ sie ihn so hastig los, daß er hart auf den Tisch knallte, auf ihm lag, noch immer leise zischend, ein gewaltiges Rumpsteak.

»Laß dir’s schmecken, Liebling«, sagte sie und setzte ihm alle möglichen Zutaten vor, während Hornblower immer noch entgeistert auf das riesige Steak sah.

»Ich habe es dir gestern eigens ausgesucht«, sagte sie stolz.

»Als du auf dem Schiff warst, ging ich zum Metzger.«

»Auf dem Schiff!« Hornblower gab es einen Stich, wenn er so etwas hörte, und noch dazu aus dem Munde einer Seeoffiziersfrau. Konnte sie nicht sagen ›an Bord‹, wie sie es von ihm hörte? Und jetzt mitten in der Nacht setzte sie ihm ausgerechnet ein Steak vor, wo er doch für Steaks so wenig übrig hatte und obendrein so aufgeregt war, daß er ohnedies kaum einen Bissen hinunterbrachte. Mein Gott, wie sollte das werden, wenn er diesmal heil zurückkam und wenn ihn ein unvorstellbares Schicksal etwa gar für alle Zukunft an Haus und Familie fesselte? Da wurde ihm bestimmt auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ein solches Steak vorgesetzt. Diese Vorstellung gab ihm den Rest, er wußte schon im voraus, daß er keinen Bissen hinunterbrachte – und doch durfte er Maria nicht verletzen.

»Wo ist denn das deine?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.

»Das meine?« fragte Maria zurück. »Ich bekomme kein Steak.«

Offenbar kam sie gar nicht auf den Gedanken, daß einer Frau das gleiche Essen zustehen könnte wie ihrem Mann. Da sah sich Hornblower um und rief: »Hallo, Küche! Bringen Sie rasch einen zweiten Teller – aber heiß muß er sein.«

»Nicht doch, Liebling, nicht doch!« wehrte ihm Maria ganz aufgeregt. Aber Hornblower war schon aufgesprungen und nötigte sie, neben ihm Platz zu nehmen.

»Bleib sitzen«, sagte er. »Keine Widerrede. Ich dulde keine Meuterei in meiner Familie. – Ah, danke!«

Da war der zweite Teller. Hornblower schnitt das Steak mitten durch und gab Maria das größere Stück.

»Aber Liebling …«

»Ich habe schon einmal gesagt, daß ich mit Meuterern nicht verhandle«, schnauzte Hornblower im Spaß, als stünde er einem aufsässigen Matrosen gegenüber.

»Ach, Horry, Liebster, du bist zu gut für mich, viel zu gut.«

Im nächsten Augenblick schlug sie mit verzweifelter Geste die Hände vors Gesicht. Hornblower fürchtete schon, sie würde vollends zusammenbrechen, aber sie ließ alsbald die Hände wieder sinken und steifte mit einem energischen Ruck ihren Rücken. Man sah deutlich, daß sie ihre Gefühle mit wahrem Heldenmut zu meistern suchte. Hornblower wurde warm ums Herz, er griff nach ihrer Hand, die sie ihm willig überließ, und schloß sie mit einem liebkosenden Druck.

»So, und jetzt möchte ich dich ordentlich essen sehen«, sagte er immer noch in scherzhaft polterndem Ton, der dennoch seine herzlichen Gefühle verriet. Maria griff zu Messer und Gabel, und Hornblower folgte ihrem Beispiel. Er zwang sich, ein paar Bissen zu essen, und fetzte den Rest so auseinander, daß man nicht merkte, wieviel er übriggelassen hatte. Dann nahm er einen Schluck aus seinem Bierkrug – er mochte nun eimal kein Bier zum Frühstück, nicht einmal, wenn es so dünn war wie dieses. Aber die Alte hatte eben wahrscheinlich nicht an die Teebüchse herangekonnt. Jetzt hörte man Geklapper vor den Fenstern. Der Hausknecht öffnete eben die Läden, schattenhaft tauchte kurz sein Gesicht hinter den Scheiben auf, aber draußen war es noch immer stockdunkel. Hornblower warf einen Blick auf seine Uhr, es war zehn Minuten vor fünf. Um fünf Uhr hatte er sein Boot an den Sally Port bestellt. Maria war seinen Bewegungen gefolgt und starrte ihn ganz entgeistert an. Ihre Lippen bebten, in ihren Augen schimmerte es feucht, aber sie behielt sich eisern in der Gewalt.

»Ich hole meinen Mantel«, sagte sie leise und eilte fluchtartig aus dem Zimmer. Bald darauf war sie wieder da, ihr grauer Mantel hüllte sie vom Kopf bis zu den Füßen ein, die Kapuze überschattete ihr Gesicht. Auf dem Arm trug sie Hornblowers Überrock.

»Sie verlassen uns, Sir«, piepste die Alte, die soeben das Zimmer betreten hatte.

»Ja«, sagte Hornblower, »Madame wird die Rechnung bezahlen, wenn sie zurückkommt.« Er holte eine halbe Krone aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.

»Verbindlichsten Dank, Sir. Eine gute Reise, und Prisengelder die Menge!« Ihr Singsang verriet Hornblower, daß sie diesen Abschiedsgruß offenbar schon Hunderten von Seeoffizieren geboten hatte, wenn sie das ›George‹ verließen, um in See zu gehen. Ihre Erinnerungen reichten gewiß bis Hawke und Boscawen zurück.

Er knöpfte den Mantel zu und griff nach seinem Sack. »Ich werde zusehen«, bemerkte er fürsorglich, »daß uns der Hausknecht mit einer Laterne begleitet, damit er dich nachher zurückbringen kann.«

»Ach nein, Liebster, bitte nicht. Der Weg ist ja so kurz, und ich kenne jeden Schritt.«

Es verhielt sich in der Tat so, wie sie sagte, darum bestand er nicht weiter auf seinem Willen.

Sie traten in die schneidend kalte Nachtluft hinaus, es war so finster, daß sie trotz der miserablen Beleuchtung im Frühstückszimmer eine ganze Weile brauchten, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Hornblower gab sich darüber Rechenschaft, daß sich sein Aufbruch bestimmt nicht so sang- und klanglos abgespielt hätte, wenn er ein Admiral oder wenigstens ein hochverdienter Kommandant gewesen wäre. Dann wären gewiß der Wirt und die Wirtin aus dem Bett gekrochen, um ihm feierlich Lebewohl zu sagen.

Sie bogen um die Ecke und gingen den steilen Weg hinab, der zum Sally Port führte. Erst in diesem Augenblick wurde ihm wieder mit aller Deutlichkeit bewußt, daß es in den Krieg, an den Feind ging. Die Sorge um Maria hatte diesen Gedanken bis jetzt fast ganz zu verdrängen vermocht, nun aber überfiel er ihn aufs neue mit solcher Gewalt, daß er vor Erregung immerzu schlucken mußte.

»Liebster«, sagte Maria, »ich habe noch ein kleines Geschenk für dich.«

Sie holte etwas aus ihrer Manteltasche und drückte es ihm in die Hand.

»Nur Handschuhe, Schatz, aber ich habe meine ganze Liebe hineingearbeitet. In der kurzen Zeit konnte ich ja nichts Besseres schaffen. Am liebsten hätte ich dir etwas gestickt – etwas sehr Schönes, das deiner wert gewesen wäre. An den Handschuhen hier habe ich gearbeitet … jede freie Minute, seit … seit …«

Ihre Stimme versagte, aber sie riß sich wieder zusammen, und es gelang ihr nochmals, dem drohenden Zusammenbruch zu entgehen.

»Jedesmal, wenn ich sie trage, werden meine Gedanken bei dir sein«, sagte Hornblower. Trotz der Behinderung durch den Sack, den er trug, gelang es ihm hineinzuschlüpfen. Die Handschuhe waren aus dicker, warmer Wolle und hatten getrennte Daumen und Zeigefinger.

»Sie passen großartig. Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit, mein Liebling.«

Jetzt näherten sie sich schon dem Hard, dieses gräßliche Theater nahm also Gott sei Dank bald ein Ende.

»Du hast doch die siebzehn Pfund sicher in Verwahrung?« fragte Hornblower ganz unnötigerweise.

»Ja, danke, Liebster, aber sag, ist denn das nicht zuviel für mich?«

»Du kannst jeden Monat mein halbes Gehalt abheben«, fuhr er unbeirrt durch ihren Einwurf in sachlichem Tone fort, um sich ja keine Gemütsbewegung anmerken zu lassen. In dem gleichen bewußt kalten Tone sagte er dann weiter: »Jetzt heißt es allen Ernstes Abschied nehmen, meine Herzallerliebste.«

Er hatte sich richtig zwingen müssen, dieses ungewohnte Kosewort zu gebrauchen.

Der Wasserstand am Hard war hoch, es lief die letzte Flut, was er übrigens schon bei Erteilung seines Seeklarbefehls in Rechnung gestellt hatte, weil ihm daran lag, die jetzt einsetzende Ebbe in ihrer ganzen Dauer für seine Zwecke zu nutzen.

»Liebling!« seufzte Maria und blickte unter ihrer Kapuze tiefgerührt zu ihm auf.

Er küßte sie. Unten am Wasser hörte man das vertraute Geklapper eingenommener Riemen auf hölzernen Duchten und dann das Gemurmel männlicher Stimmen, als die Bootsbesatzung die beiden Schattengestalten auf dem Hard entdeckte. Maria hörte diese Laute ebenso deutlich wie Hornblower und entzog ihm hastig ihre kalten Lippen, die sie ihm eben noch so durstig dargeboten hatte.

»Leb wohl, mein Engel.«

Mehr hatte man sich nicht zu sagen, mehr gab es nicht zu tun. Eine kurze Episode seines Lebens war damit zu Ende. Er kehrte seiner Maria und dem Frieden einer bürgerlichen Ehe den Rücken, sein Schicksal und seine Zukunft waren der Krieg.

3KURS OUESSANT

»Stauwasser, Sir«, meldete Bush, »in zehn Minuten setzt die Ebbe ein. Anker ist kurzstag, Sir.«

»Danke, Mr. Bush.« Der Nachthimmel hatte sich schon so weit erhellt, daß die Gestalt Bushs deutlichere Umrisse zeigte. An seiner Seite stand Prowse, der diensttuende Steuermann, ein Obersteuermannsmaat mit Befugnis zur Ausübung des Steuermannsdienstes. Eben war er unaufdringlich bemüht, Hornblowers Aufmerksamkeit von Bush auf sich zu lenken. Prowse war durch Befehl der Admiralität mit der Aufgabe betraut, ›das Schiff nach Anweisung des Kommandanten zu navigieren und von Hafen zu Hafen zu führen‹. Aber Hornblower fiel es natürlich nicht ein, seinen anderen Offizieren zu verwehren, daß sie ihr Können übten und bewiesen, ganz im Gegenteil, daran war ihm sogar besonders gelegen. Im übrigen war es möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß Prowse mit seinen dreißig Jahren Borddienstzeit den Ehrgeiz entwickelte, seinen jungen, unerfahrenen Kommandanten zu überspielen und die Führung des Schiffes an sich zu reißen.

»Mr. Bush«, sagte Hornblower, »bitte lichten Sie Anker. Bringen Sie das Schiff auf einen Kurs, der gut frei vom Foreland führt.«

»Aye aye, Sir.«

Hornblower beobachtete gespannt, wie Bush sich verhielt, und war zugleich ängstlich darauf bedacht, daß dieser nichts davon merkte. Bush nahm noch einmal einen Rundblick, er schätzte den leichten Wind und die Richtung des eben einsetzenden Ebbstromes.

»Klar bei Spill!« befahl er. »Klar bei Vorsegelsfallen! Heiß die Vorsegel! Rahgäste enter auf! Marssegel los!«

Hornblower merkte sofort, daß er sich auf Bushs Seemannschaft ganz und gar verlassen konnte. Er sah jetzt ein, daß seine Bedenken überflüssig gewesen waren, aber sein Eindruck von dem Mann war immerhin schon volle zwei Jahre alt und hatte in dieser langen Zeit vielleicht an Berechtigung eingebüßt. Bush gab seine Befehle in wohlüberlegten, dem Fortgang des Manövers entsprechenden Zeitabständen. Als der Anker aus dem Grund gebrochen war, nahm die Hotspur zunächst Fahrt über den Achtersteven auf. Sogleich wurde das Ruder hart gelegt, und die Backsgäste holten die Vorsegel back, so daß der Bug aus dem Wind kam. Im rechten Augenblick ließ Bush die Schoten dichtholen und die Rahen an den Wind brassen. Es war eine Freude zu erleben, wie weich und empfindsam die Hotspur jetzt auf den leichten Luftzug ansprach. Sie legte sich kaum ein paar Grad über und nahm sofort Fahrt auf. Wie sie so dahinglitt und willig dem leisesten Druck des Ruders gehorchte, glich sie in der Tat einem köstlichen, von zauberhaftem Leben erfüllten Geschöpf. Es war nicht nötig, Bush für dieses einfache Manöver des Ankerlichtens mit Worten der Anerkennung zu bedenken. Hornblower gab sich also für eine Weile ganz dem Genuß hin, wieder einmal in See zu sein, während die Besatzung eifrig dabei war, erst die Bram- und dann die Untersegel zu setzen. Plötzlich schoß ihm ein Gedanke durch den Kopf.

»Mr. Prowse, bitte geben Sie mir doch einen Augenblick Ihr Glas.«

Er setzte den schweren Kieker ans Auge und richtete ihn backbord achteraus. Noch war es nicht ganz Tag, über dem Wasser lag der übliche Dunstschleier, die Hotspur hatte ihren Ankerplatz schon über eine halbe Meile hinter sich gelassen. Dennoch unterschied er den winzigen, einsamen grauen Fleck am Wasser dort drüben auf dem Hard. Vielleicht – es sah fast so aus – flatterte da etwas Weißes. Maria winkte wohl mit dem Taschentuch, aber bestimmt konnte er das nicht behaupten, wahrscheinlich hatte er sich doch getäuscht. So blieb denn nur der einsame graue Fleck. Hornblower faßte ihn noch einmal ins Auge, dann zwang er sich, den Kieker abzusetzen, er war sehr schwer, und seine Hände zitterten ein wenig, so daß das Bild unscharf wurde. Es geschah ihm heute zum erstenmal im Leben, daß er beim Inseegehen einen Menschen zurückließ, der an seinem Schicksal Anteil nahm.

»Danke, Mr. Prowse«, sagte er in ungewollt barschem Ton und gab ihm den Kieker zurück.

Er mußte jetzt unbedingt an etwas anderes denken, er mußte schnell etwas finden, das ihn ganz in Anspruch nahm. Glücklicherweise ist ein Kommandant, dessen Schiff gerade in See geht, nie in Verlegenheit um Gesprächsstoff.

»Hören Sie, Mr. Prowse«, sagte er mit einem Blick auf das Kielwasser und dann auf die Segel, »der Wind ist fürs erste stetig. Geben Sie mir jetzt den Kurs nach Ouessant.«

»Ouessant, Sir?« Prowse hatte ein langes, kummervolles Maultiergesicht und war eine ganze Weile damit befaßt, diese Neuigkeit zu verarbeiten, ohne dabei eine Miene zu verziehen.

»Haben Sie nicht gehört, was ich eben sagte?« sagte Hornblower gereizt, weil ihm das Gehaben dieses Mannes auf die Nerven ging.

»Jawohl, Sir«, bestätigte Prowse eiligst. »Ouessant, Sir, aye aye, Sir.«

Die Überraschung, die dieses Wort auslöste, war natürlich zu verstehen. Außer Hornblower wußte ja kein Mensch um den Befehl, der die Hotspur in See schickte, kein Mensch konnte ja ahnen, welchen Platz in der weiten Welt sie ansteuern sollte. Die Erwähnung Ouessants engte die ungemessene Zahl von Möglichkeiten wenigstens um einiges ein. Die Nordsee und die Ostsee schieden aus, ebenso Irland und der St.-Lorenz-Strom jenseits des Atlantik. Aber Westindien, das Kap der Guten Hoffnung oder das Mittelmeer kamen nach wie vor in Frage, denn Ouessant war der Ausgangspunkt für jedes dieser Ziele.

»Mr. Bush!« rief Hornblower.

»Sir!«

»Ich bin einverstanden, wenn Sie die Freiwache wegtreten und Frühstück ausgeben lassen.«

»Aye aye, Sir.«

»Wer ist Wachhabender Offizier?«

»Mr. Cargill, Sir.«

»Gut, dann kann er jetzt übernehmen.«

Hornblower sah sich um, es war alles in bester Ordnung, die Hotspur lag voll und bei und steuerte in den Kanal hinaus. Und doch war diesmal nicht alles so wie sonst, das ganze Geschehen hatte für ihn einen seltsam ungewöhnlichen Zug. Endlich kam ihm die Erleuchtung, woran das lag: er ging heute zum erstenmal in Friedenszeit mit einem Schiff in See. Zehn Jahre hatte er in der Navy gedient, ohne daß er dies auch nur ein einziges Mal erlebte. Bisher war es noch immer so gewesen, daß sein Schiff neben den Tücken der See sofort andere Gefahren zu gewärtigen hatte, wenn es den Hafen verließ. Auf jeder seiner früheren Reisen hatte man damit rechnen müssen, daß plötzlich ein Gegner an der Kimm erschien und binnen Stundenfrist Schiff und Besatzung in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickte. Und der gefährlichste Abschnitt einer jeden Reise war noch immer ihr Beginn gewesen, wenn man mit einer neuen Besatzung, die noch nicht einmal richtig eingeteilt, geschweige denn eingetrimmt war, zum erstenmal in See ging. Grade wenn man am wenigsten darauf gerüstet war, fügte es ein böses Schicksal allzu leicht, daß man einem Gegner in die Arme lief.

Heute liefen sie nun ohne alle diese Sorgen aus. Das war ein ganz ungewöhnliches Erlebnis, etwas Neues – so neu wie es war, Maria an Land zurückzulassen. Er versuchte, diesen Gedanken von sich abzuschütteln, und hätte ihn am liebsten achteraus entschwinden sehen, wie die Boje, die da eben an Steuerbord vorüberglitt. So war es ihm denn nur willkommen, als Prowse mit einem Zettel in der Hand auf ihn zutrat und erst nach dem Kommandowimpel, dann nach der Kimm sah, um abzuschätzen, wie sich das Wetter entwickeln würde.

»Der Kurs nach Ouessant ist Südwest zu West ein halb West, Sir«, sagte er. »Wenn wir an der Boje über Stag gehen, können wir das mit dichten Schoten anliegen.«

»Danke, Mr. Prowse, schreiben Sie den Kurs auf die Tafel.«

»Aye aye, Sir.«

Prowse freute sich über dieses Zeichen des Vertrauens, er ahnte natürlich nicht, daß Hornblower schon gestern zu demselben Ergebnis gekommen war, als er sich am Nachmittag durch den Kopf gehen ließ, was er tags darauf zu veranlassen hatte. Eine wäßrige Morgensonne warf eben ihre ersten Strahlen auf die grünen Höhen der Insel Wight.

»Dort ist die Boje, Sir«, sagte Prowse.

»Danke. Mr. Cargill, gehen Sie bitte über Stag.«

»Aye aye, Sir.«

Hornblower zog sich nach achtern zurück. Er wollte nicht nur beobachten, wie Cargill manövrierte, sondern auch, wie sich die Hotspur dabei benahm. Man mußte ja damit rechnen, daß es zu Feindseligkeiten kam, dann aber hingen Gedeih oder Verderb, Freiheit oder Gefangenschaft nicht nur möglicherweise, sondern höchstwahrscheinlich davon ab, wie die Hotspur durch den Wind ging, ob sie überhaupt ein ›handiges‹ Schiff war oder nicht.