Hotspots - Christiane Engelhardt - E-Book

Hotspots E-Book

Christiane Engelhardt

4,8

Beschreibung

Hotspots erzählt in zehn Geschichten von Menschen zwischen Orient und Okzident, die trotz erschütternder und einschneidender Ereignisse ihr Leben nicht aufgeben. Auf unterhaltsame und einfühlsame Art bearbeitet die Autorin Christiane Engelhardt Themen aus ihrem Praxisalltag als Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie. Es geht um Depression, traumatische Trauer und psychische Erkrankung bei interkulturellen Problemen, nach Migration und Flucht, Mobbing und sexuellem Missbrauch. Damit greift die Autorin Themen auf, wie sie durch die Flüchtlingswelle 2015 mit ihrer multiplen Problematik und die laufende Debatte zu sexuellen Übergriffen aktueller nicht sein könnten. Die Autorin zieht Parallelen zwischen den aus der Geologie stammenden Begriff der Heißen Flecken, die bei der Entstehung von Hotspots-Vulkanen eine Rolle spielen und hochsensiblen Punkten im menschlichen Gehirn, die nach ihrer Ansicht Ursprungsorte für impulsive psychische Reaktionen sein können. Indem sie wahre Begebenheiten und tiefgründiges Fachwissen in narrativ gelungene Geschichten verpackt, nimmt die Autorin die Schwere und gibt diesen ernsten Themen eine handhabbare Leichtigkeit. Hotspots ist somit kein Fachbuch, sondern vermittelt, wie durch verständnisvolle Gespräche mit Empathie, Liebe und wechselseitigem Respekt Probleme gemeinsam gelöst werden können; wie Verzweiflung und Eskalation gemildert werden, so dass Hoffnung und Vertrauen in neue Wege entstehen. Es ist ein Manifest zur Lebensbejahung trotz und gerade im Umgang mit schwierigen Erfahrungen und dem vieldeutigen Leid in unserer Mitte.

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Inhalt

Einleitung

Der iranische Esel Hadi

Das gelbe Taxi 007

Die sprechende Haarspange

Die glückliche Rose Sengül

Die Hebamme im Jemen

Begrenzung

Der gemobbte Arzt

Die Türkin Handan

Conny und der Jakobsweg

Wohn-/Essbereiche 2016

Einleitung

Hotspots steckt voller Fachwissen einer langjährig in Klinik und eigener Praxis tätigen Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie. Es ist aber kein Sachbuch.

In zehn berührenden Geschichten geht es um Menschen, die trotz erschütternder und einschneidender Ereignisse ihr Leben nicht aufgeben, sondern es mit viel Energie meistern. Wie schaffen sie das? Liegt es an ihrer Spiritualität? Ist es ihre Fähigkeit zur Selbstheilung, ihre Resilienz? Allzu oft bleiben ihre Leistungen im Alltag unbeachtet und es fehlt die Anerkennung.

In diesem Buch bekommen diese Menschen ein Forum. Es sind Christen, Muslime und Buddhisten, die den Leser nach Deutschland, Österreich, Spanien, Tibet, Jemen und in den Iran führen. Es werden Themen aus dem Praxisalltag, wie etwa Depression, traumatische Trauer, sexueller Missbrauch, psychische Erkrankungen bei interkulturellen Problemen nach Migration und Flucht oder Mobbing bearbeitet. Zum Schutz lebender Personen sind die Geschichten verfremdet und in narrativer Form geschrieben.

Die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 mit ihren vielfältigen Problemen wurde für die Autorin zum Auslöser für dieses Buch. Angesichts der verstärkten Flüchtlingsströme kommt es bei den Europäern zu einer verschärften Wahrnehmung der sich ständig ändernden Umwelt, der Begrenztheit von Ressourcen, aber auch der Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten im Umgang mit den neuen Herausforderungen und Krisen.

Die Konflikte im Großen in der Weltpolitik, im Kleinen in der zwischenmenschlichen Beziehung und in der Psyche des einzelnen fordern neue Lösungen. Die Autorin stellt in den Geschichten immer wieder Bezüge zu geschichtlichen Ereignissen oder zu gesellschaftspolitischen Fragestellungen her. Inhaltlich im Vordergrund steht das mehrdeutige Thema vom Leid in unserer Mitte und wie im Umgang mit diesem Leid individuelle Durchbrüche zu neuem Lebensmut und sogar unbändiger Lebensfreude gefunden werden können.

Dabei richtet sich der Blick in den Geschichten immer wieder sowohl auf Hilfesuchende, als auch Hilfeleistende. Jeder kann zum Protagonisten werden, in eine Krise geraten und wieder herausfinden. Das führt dazu, dass die im Alltag häufig starre Wahrnehmung von unterschiedlichen Gruppen, den „Helfern“ und „Geholfenen“, den „Therapeuten“ und „Klienten“, den „Gesunden“ und „Kranken“ aufgelöst wird.

Der ursprüngliche Begriff Hotspots kommt aus der Geologie: Durch Verschiebung von Erdschichten kann es zur Bildung von „heißen Flecken“, also Zentren erhöhter Spannung kommen. In der Folge kommt es zur Entstehung von Hotspot-Vulkanen.

Die Autorin zieht Parallelen zwischen diesen besonderen Zentren und hochsensiblen Punkten im menschlichen Gehirn, die nach ihrer Ansicht Ursprungsorte für impulsive und zerstörerische psychische Reaktionen sein können. Angestaute Konflikte, gespeicherte traumatische Erfahrungen verbunden mit Angst- und Überforderungsgefühlen, arbeiten im Gehirn vergleichbar einem brodelnden Hotspot-Vulkan.

Neben der Frage, warum es gerade in diesem Moment und an diesem Ort zu einem Durchbruch von Affekten und zu einer Eskalation im psychischen Erleben kommt, geht es Christiane Engelhardt um einen wichtigeren Aspekt. In verständnisvollen Gesprächen können mit Empathie, Liebe und wechselseitigem Respekt Probleme gemeinsam gelöst werden. Verzweiflung und Eskalation werden verhindert, sodass Hoffnung und Vertrauen in neue Wege entstehen können.

Barbara Schrader

Gruppenanalytikerin / Supervisorin

Der iranische Esel Hadi

„Du dummer Esel“, sagen Menschen oft als Schimpfwort, denn viele Leute durften noch nicht erleben, wie wundervoll Esel sein können. Der Esel Hadi war ein wunderbarer und sehr gefühlvoller Vierbeiner. Hadi war der Esel des Brotbäckers Yusuf aus der kleinen iranischen Stadt Maku.

Der schon ziemlich alte Esel wurde von seinem Besitzer immer anständig behandelt, bekam sein tägliches Futter und wurde niemals geschlagen. Hadi war gern bei Yusuf und seiner Familie. Tauchte ein vertrauter Mensch in seinem Stall auf, spitzte er seine großen Ohren und sein Blick wirkte so neugierig und zugewandt, als ob sich der Esel in die Stimmung seines Gegenübers einfühlen wollte.

Ganz besonders liebte er die beiden Töchter seines Herrn. Die Ältere war zehn Jahre alt und hieß Jasmin. Die Jüngere war acht Jahre alt und besaß den schönen Namen Farsaneh, was Glück bedeutet. Der Esel hatte die beiden hübschen Mädchen mit ihren dunklen, lockigen Haaren von Geburt an aufwachsen sehen. Er liebte es, wenn sie in seinen alten staubigen Stall hüpften, um ihn durch die Gatterstäbe hindurch mit ihren zarten Kinderhänden am Kopf zu streicheln. Und wenn einmal eines der Kinder traurig war, kam es ganz still in den Stall, um sich beim alten Hadi ein bisschen Trost zu holen. Er stupste es mit seiner haarigen Nase an, als ob er sagen wollte: „Komm, nimm es nicht zu schwer, bald wird alles wieder gut.“ Dann lief das Mädchen wieder munter auf die Straße zum gemeinsamen Spiel mit den Nachbarskindern.

Das Geld war spärlich und der Vater musste hart arbeiten, um die Familie zu ernähren. Die Kinder hatten nur wenige Spielsachen. So trafen sie sich am liebsten auf der staubigen Straße zum Ball- oder Versteckspiel. Wenn der Esel das vergnügte Rufen und Juchzen der ausgelassenen Kinder in seinem Stall hörte, wäre er allzu gerne mit lautem „Iah-Iah!“ nach draußen in die Freiheit gerannt.

Eines Tages hörte der Esel, wie die beiden Mädchen laut weinend in den Vorgarten rannten und nach ihrer Mutter Korsheed riefen. Er spürte an ihrem Schreien, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Seine langen Ohren richteten sich auf und vernahmen die beruhigenden Worte der Mutter: „Meine Süßen, kommt her! Hier seid ihr sicher. Ich bin ja da und hab euch lieb!“

Hadi reckte seinen Hals immer weiter nach oben, bis er durch das schmale, offene Stallfenster blicken konnte. Er erkannte die Mutter, die ungläubig auf einen gelben Zettel in ihren zittrigen Händen starrte, diesen langsam zerknüllte und dann zu Boden fallen ließ. Der Esel hielt die angestrengte Haltung nicht mehr aus, sackte in sich zusammen und ließ den Kopf hängen. Das konnten keine guten Nachrichten auf dem Zettel sein.

Kurz darauf fuhr ein knatternder Wagen die Straße entlang, auf dessen verrostetem Fahrerhaus ein Lautsprecher montiert war. Ein Mann in Uniform schrie mit rotem Kopf erregt in sein Mikrofon: „Heute haben wir ein Exempel statuiert! Das Blut der Täter soll die Straßen rot färben! Das soll eine Warnung für die Bewohner dieses verruchten Viertels sein! Eine Warnung an die Ungläubigen, die sich nicht zum Islam bekennen wollen! So wird es allen ergehen, die sich staats- und religionsfeindlich verhalten. Allah ist groß!“

Der alte Bäcker kam ganz erschrocken aus seinem Laden gelaufen, um seiner Frau und den beiden verstörten Töchtern zur Seite zu stehen. Jasmin stammelte: „Mama, da war ganz viel Blut überall. Und, da-da lagen Hände. Und, und da waren Füße, die waren abgeschnitten. Der eine Mann war ganz tot.“

Der Vater streichelte der aufgewühlten Tochter über ihren Kopf. Er ahnte, dass etwas Schlimmes auf die Familie zukommen würde.

Seit diesem Ereignis lastete etwas sehr Schweres auf der Stadt Maku, auf den Straßen, hinter den Fenstern der Häuser und vor allem auf den Kindern. Sie hatten das erste Mal in ihrem Leben etwas Schreckliches gesehen, was nicht für Kinderaugen bestimmt war. Die Bilder der blutigen Leichenteile blieben von diesem Tag an in den Erinnerungen der Mädchen eingebrannt. Nie wieder verließen die an diesem Vormittag auf sie einbrechenden Bilder ihre Seelen.

Was taten diese Erwachsenen da auf der Straße bloß? Zum einen mussten sie erkennen, dass nicht alle Erwachsenen gut waren, sondern dass man sich vor manchen fürchten musste. Zum anderen hatten sie niemals zuvor die Eltern so verunsichert und ängstlich erlebt. Die Mädchen waren verwirrt. Welchen Erwachsenen konnten sie noch vertrauen? Wer würde sie beschützen, wenn selbst die Großen so viel Angst hatten? Die kindliche Unbekümmertheit und das Urgefühl von Sicherheit wurden jäh zerbrochen. Der Esel fraß weiter seinen Hafer, aber auch er spürte eine eigenartige Veränderung bei den Eltern. Sie wirkten so belastet. Die beiden sahen nicht mehr so froh und unbekümmert aus wie früher, wenn sie den Esel fütterten oder wenn der Vater mit ihm zum Markt ritt, um seine leckeren, weichen Fladenbrote zu verkaufen. Auch in den Straßen von Maku spürte Hadi eine eisige Stimmung. Bislang war diese Stadt so wundervoll gewesen, mit den vergnügt herumwuselnden Menschen, den lebhaften Farben, den grünen Zitrusbäumen und der milden Sonne, deren warme Strahlen auf die weißen Häuserwände fielen.

Nun aber fühlte sich der Esel unwohl. Die meisten Männer liefen sehr geschäftig herum, so als ob sie nicht angesprochen werden wollten, die Frauen verhüllten ihre Gesichter unter Tüchern oder Schleiern. Zuvor hatte man an ihren offenen Gesichtern erkennen können, ob sie lachten oder sprachen. Jetzt sah er nur ihre Augen oder ein kleines Gitter aus Spitzenstoff. Der Esel wusste nicht, ob ein Mensch es mit ihm gut meinte, freundlich auf ihn zukam oder ob er sich ihm verärgert oder wütend näherte, ob die Frauen unter dem Schleier ihn mochten oder gar nicht an einem grauen Esel interessiert waren.

All das verunsicherte den einfühlsamen Hadi. Es waren Menschen, die keine Gefühle zeigten. Er wusste die Stimmungen der Menschen nicht mehr einzuordnen. Er war erst wieder vollkommen glücklich, wenn er zu Hause endlich wieder in die Gesichter seiner vertrauten Familienmitglieder blicken konnte. Das tat ihm gut, denn bei ihnen konnte er noch am besten erkennen, welche Stimmung herrschte und es gab ihm Sicherheit in seinem Esel-Alltag. In den folgenden Monaten wurde es in Maku und dem Rest des Landes immer schwieriger für die christlichen Familien. Sie wurden nicht nur angefeindet, sondern waren von Verfolgung und Gefängnishaft bedroht. Yusuf und Korsheed fühlten sich nicht mehr sicher und hatten große Angst um die Zukunft ihrer Töchter.

Hadi sah Jasmin, Farsaneh und ihre Eltern sonntags nicht mehr in ihren hübschen weißen Kleidern in den Gottesdienst gehen. Er bemerkte, dass die ganze Familie selten das Haus verließ und die Töchter weniger mit den Nachbarskindern spielten. Wagten sie sich doch auf die Straße, beobachtete die Mutter sie mit sorgenvollen Blicken aus dem Küchenfenster. Dieser Anblick kam dem Esel seltsam vor, denn eigentlich waren die Mädchen doch inzwischen alt genug, um alleine zu spielen. Hadi vermisste die Lebendigkeit in der Straße und fühlte sich besonders am Abend einsam, wenn bei Einbruch der Dämmerung die Menschen in ihren Häusern verschwanden und Fenster und Türen geschlossen wurden. Die Stille war ihm unheimlich und er erschrak manchmal vor seinem eigenen lauten „Iah!“

Ungefähr drei Monate nach dem schrecklichen Vorfall, Jasmin war inzwischen elf und Farsaneh neun Jahre alt, kam für Hadi ganz überraschend Yusuf in den Stall. Er brachte ein besonders gutes Futter im alten Blecheimer mit. Neben dem leckeren Brot vom Vortag, gab es kleine Apfelstücke, Rüben und sogar einen saftigen Granatapfel, den Hadi stets mit der Schale fraß. Yusuf kraulte Hadi liebevoll in den kleinen weißen Locken auf der Esel-Stirn und tätschelte seinen staubigen Hals. Dann warf er schwungvoll eine rote Decke über Hadis knochigen Rücken und darauf hob er zwei große gewebte, braunschwarze Taschen, die rechts und links am Rücken herabhingen. Zuletzt zurrte er alles mit einem Riemen unter Hadis Bauch fest. Nachdem der Esel seinen Futtereimer geleert hatte, führte Yusuf ihn am Lederhalfter aus dem Stall. „Es scheint wohl ein längerer Ausritt geplant zu sein“, dachte Hadi, während er noch auf einem harten Stück Fladenbrot kaute. Er kannte die längeren Ausritte mit seinem Herrn, wenn dieser mit ihm zum iranischen Grenzort Bazargan ritt, um ein paar Geschäfte mit seinem türkischen Freund Mehmet zu machen. Hadi döste währenddessen meist draußen vor sich hin. Längst kannte Hadi den staubigen Hin- und Rückweg von Maku nach Bazargan in- und auswendig.

Dann kam die Mutter mit Farsaneh und Jasmin aus dem Haus. Die Kinder waren warm angezogen, mit Wolljacken, langen Hosen und festem Schuhwerk. Der Mutter rannen die Tränen über ihre blassen Wangen. Sie umschlang die beiden mit ihren Armen, als ob sie die Töchter nie wieder loslassen wollte. Die beiden Kinder wirkten wie in Trance und ließen alles über sich ergehen. Irgendwann zog Yusuf der Mutter die älteste Tochter aus den Armen, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und hob Jasmin mit einem kräftigen Schwung auf den mit Gepäck gepolsterten Eselrücken.

Jasmin rückte sich auf der roten Decke zwischen den Webtaschen und einem Jutesack zurecht und mit einem weiteren Schwung saß Farsaneh vor ihr. Der Vater griff hastig nach den Zügeln, als wollte er die ganze Szene so schnell wie möglich beenden. Hadi wurde zum Tor herausgeführt. Bevor er auf die staubige Straße einbog, drehte er sich kurz um und sah die verzweifelte Mutter am Gatter stehen. Er konnte nur ahnen, wie die Tränen unter ihrem Schleier über ihr Gesicht rannen und wie sie sich auf die Lippen biss, damit sie nicht laut schreien musste. Farsaneh schrie immer wieder verzweifelt „Mama! Mama!“, als sie merkte, dass es kein Zurück geben würde. Jasmin drehte sich um, winkte der Mutter tapfer zu und ließ ihren Tränen dabei freien Lauf.

Die Tücher waren so um die Köpfe geschlungen, dass man nur noch die traurigen braunen Augen der Mädchen sehen konnte. Die Tränen der beiden sammelten sich in dem hellblauen Stoff und bildeten dunkle Ränder. Jasmin umschlang mit ihren Armen die Taille der jüngeren, schreienden Schwester und hielt sie ganz fest, als wolle sie sich dabei selber Halt und Trost geben.

Hadi wunderte sich über all das, denn eigentlich machten die Ausritte den Mädchen doch viel Spaß. Es trübte seine Freude darüber, endlich mal wieder aus seinem Stall zu sein. Er bemühte sich, seine Hufe so sanft wie möglich aufzusetzen und konnte nach einigen Metern bemerken, dass sich die beiden Kinder auf seinem Rücken durch sein regelmäßiges Schaukeln zunehmend beruhigten.

Gleichzeitig spürte er, wie mit jedem Meter Wegstrecke dem Vater die Hand am Halfter schwerer und schwerer wurde. „Ist er etwa jetzt schon müde?“, fragte sich der Esel. Immer wieder ertappte er seinen Herrn, wie dieser seinen Kopf verneinend hin und her schüttelte. Er atmete schwer und manchmal seufzte er, als ob nicht der Esel, sondern er selbst die schwere Last tragen müsse. Pausenlos wischte er sich den Schweiß mit der flachen Hand aus dem Gesicht.

Oder waren es Tränen, die die Mädchen nicht sehen sollten? Während diese traurige Gruppe so langsam aus der Stadt trottete, wiederholte Yusuf immer wieder seine mahnenden Worte an die Mädchen: „Steigt nicht vom Esel ab! Lasst Euch von niemandem ansprechen! Reitet einfach immer weiter! Der Esel kennt den Weg. Geht über die Grenze zu meinem Freund Mehmet. Ihr erkennt ihn an einem roten Hemd. Er hat einen schwarzen Bart und wartet hinter der Stange, die sich öffnen wird, wenn ihr den Männern an der Grenze eure Papiere gezeigt habt.“

Oh Gott, die Papiere! Wo hatte Jasmin sie hingesteckt? Sie müssten doch in dem Lederbeutel sein, den sie sich eigentlich um den Hals hatte hängen sollen! Doch da hing er nicht. Also nochmals absteigen und das Gepäck in den Satteltaschen durchsuchen. Yusuf fluchte, die Papiere waren nicht aufzufinden.

Also wieder aufsteigen und den ganzen Weg zurück. Dem Esel war es ganz recht, denn die Sonne schien schon kräftig, und der ganze Ausritt erschien ihm sowieso seltsam und fremd. So trotteten sie Richtung Heimat und Yusuf zog sein Taschentuch heraus, um sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Just in diesem Moment fiel der Lederbeutel aus seiner Hosentasche auf den staubigen Weg. Alle waren erleichtert, aber es war auch endgültig klar, dass der Ritt zur türkischen Grenze weitergehen musste. Nun gab es wirklich kein Zurück.

Yusuf verfiel wieder in seine ständigen Ermahnungen: „Sagt keinem, was ihr vorhabt! Ihr geht für drei Tage auf Besuch zu Mehmet, wenn die Grenzer euch fragen. Er wird schon bereitstehen und euch zuwinken. Mehmet ist ein guter Mann. Er wird euch in seiner Familie aufnehmen und dann nach Istanbul bringen, wo ihr mit einem Flugzeug gemeinsam mit meiner Cousine Alma nach Deutschland fliegen werdet. Sie ist eine nette Frau und kennt sich gut in Berlin aus.“

Der Esel merkte, dass alles irgendwie anders ablief als sonst. Es war nicht wie früher, wenn er zum Tauschhandel mit seinem Herrn an die Grenze trabte.

Er hatte noch nie erlebt, dass sein Herr unterwegs so viel sprach. Eigentlich redete er sonst überhaupt sehr wenig und wenn, waren es eher Befehle, die er austeilte. Der Esel spürte Unruhe, Anspannung und irgendwie verkrampfte sich sein Hals. Doch er bemühte sich, für die Mädchen wieder ein gleichmäßiges Wiegen durch einen gemächlichen, behutsamen Schritt zu erzeugen. „Du dummer, störrischer Esel!“ – dieses uralte Schimpfwort traf weiß Gott nicht auf Hadi zu. Im Weitertragen fragt er sich: „Wie geht es wohl weiter, wenn wir das Ziel erreicht haben?“

Ihm schien ungewiss, ob er am Abend wieder in seinen vertrauten Stall zurückkommen würde. Yusuf war schließlich im Begriff sich zu verabschieden, das spürte Hadi. Der Weg bis zur Grenze würde für den Vater zu Fuß sehr weit werden und auf seinem Rücken war nur für die Mädchen Platz.

Der kluge Vater wusste, dass ein Auftauchen mit seinen zwei Töchtern an der Grenze zu auffällig für die bewaffneten Grenzer wäre. Hadi trottete weiter, dachte darüber nach, dass sein Herr gut daran täte, rasch zu seiner verzweifelten Frau zurückzukehren, damit es dieser nicht das Herz zerriss. Immer kraftvoller fühlte sich der Esel bei dem Gedanken, dass Yusuf ihm zumutete, den Weg bis zur Grenze auch alleine zu finden und ihm für diesen Ritt die wertvollste Last anzuvertrauen. Schließlich war er Hadi „der Führende“ und wollte seinem Namen gerecht werden.

Von Istanbul und Flugzeug und Deutschland und Berlin verstand der Esel nichts. Nach ungefähr drei Kilometern war es dann soweit. Der Vater drückte den beiden Mädchen nochmals die Hand, überließ Jasmin die Zügel und gab dem Esel einen festen Klaps auf sein Hinterteil, sodass dieser vor Schreck etwas schneller los trabte. Winkend stand der Vater noch eine Weile da, bis er sie langsam in Richtung der Berge verschwinden sah.

Da der Esel so schnell angeritten war, mussten sich die Mädchen gut festhalten und konnten sich gar nicht mehr zum Vater umdrehen. Hadi wusste, dass er jetzt die volle Verantwortung für die Reise trug. Da es inzwischen so spät geworden war, würde es bis zum Sonnenuntergang dauern und mühsam werden. Die beiden Kinder waren traurig und schwiegen anfangs. Nach einer Weile fragte Farsaneh mit jammernder Stimme: „Sehen wir Mama und Papa wieder? Sind sie jetzt für immer weg?“ Geduldig antwortete Jasmin mit: „Ja, natürlich sehen wir sie wieder“, aber sicher war sie sich dabei nicht.

Schließlich nervte Jasmin die immer gleiche Frage ihrer kleinen Schwester und so begann sie, aufmunternd von der Türkei zu erzählen. Sie hatte einmal ihren Vater auf einem Besuch bei Mehmet begleiten dürfen und ein wenig freute sie sich auf den lustigen Mann, der immer so leckeres, süßes Gebäck aus Teig und Honig auf den Tisch stellte, wenn es Tee gab. Schließlich sang sie ihrer Schwester etwas vor. Das half wohl beiden, die Traurigkeit über den schlimmen Abschied von den Eltern etwas zu vergessen.

Der Ritt zog sich lange hin und Hadi spürte, wie die tapferen Reiterinnen immer müder wurden. Zwischenzeitlich schlief die kleine Schwester trotz ihrer Angst ein. Die Ältere hielt sich krampfhaft wach, denn sie fürchtete, dass Farsaneh im Schlaf vom Esel fallen könnte. Auch für den Esel war es eine mühsame Tour bis zum Grenzort und dann nochmals zwei Kilometer weiter bergab bis zum Schlagbaum. Er durfte doch nicht ausruhen, denn er hatte eine teure, lebende Fracht zu tragen und er wollte Yusuf und seine Frau nicht enttäuschen.

Seine unglaubliche Trittsicherheit und Ausdauer brachte sie schließlich zur Grenze, die von uniformierten Grenzbeamten mit ihren beängstigenden Gewehren streng bewacht wurde. Die Grenzer waren aber unerwartet freundlich und schmunzelten, als Mehmet in seinem roten Hemd nach den Mädchen rief. Die beiden waren so erleichtert, als sie der Freund ihres Vaters endlich vom Eselrücken herunterhob und sie ihre Beine wieder spürten. Ganz steif und tollpatschig liefen sie hinter Mehmet her, der ihren Esel am Halfter bis zu einem völlig verrosteten dunkelgrünen PKW führte, der so geparkt war, dass er von den iranischen Grenzern nicht mehr gesehen werden konnte.

Nachdem er Hadi aus einem großen Jutesack etwas zu Fressen gegeben hatte, holte Mehmet einen Eimer und füllte dem Esel ein paar Liter Wasser ein. Hadi, der eine riesige Wegstrecke geschafft hatte, stellte sich in das dämmrige Dunkel hinter dem Auto, senkte seinen Kopf, öffnete leicht sein Maul und entlastete ein Hinterbein, um ein wenig vor sich hin zu dösen.

Mehmet brachte für sich und die Kinder, die vor lauter Aufregung ihren Hunger ganz vergessen hatten, Fladenbrot, frische Früchte und Orangensaft in einem großen Korb aus dem Auto. Er legte eine zerknitterte Plastiktüte auf die Motorhaube und stellte das mitgebrachte Essen darauf. Als sie zu Ende gegessen hatten, setzte Mehmet die Mädchen auf den Rücksitz des Autos, schlug die Türen zu und verstaute das Gepäck im Kofferraum. Hadis Rücken fühlte sich so leicht an und irgendwie fehlte ihm seine geliebte Kinderlast. Dieses rostige alte Blechding, was die beiden Mädchen jetzt wohl forttragen würde, interessierte ihn bei seiner Müdigkeit nicht mehr.

Als er so dastand und das grüne Auto im Halbdunkel aus dem Augenwinkel wahrnahm, zerrte Mehmet plötzlich an Hadis Halfter und führte ihn über einen kleinen Hügel. Von dort aus konnte Hadi die Grenzstation und das grüne Auto nicht mehr erkennen. Stattdessen breitete sich vor ihm eine Landschaft mit hohen Bergspitzen aus, die sich schwarz vor dem leicht geröteten Himmel der untergehenden Sonne am Horizont abhoben. Mehmet ließ das Halfter los und gab dem Esel einen kräftigen Klaps, wie der es von Yusuf schon kannte und feuerte ihn an, durch die bergige Landschaft zurück zu traben.

Obwohl es inzwischen schon recht dunkel geworden war und Esel bei solch harschen Befehlen ganz gerne störrisch stehenbleiben, trottete Hadi langsam den gleichen Weg zurück, den er gekommen war. Wie alle Esel konnte er sich im Dunkeln gut orientieren. Er konnte Umrisse von Steinen oder Felsen und den Verlauf des Weges erahnen und setzte seine Schritte so sicher wie am Tag. Aber etwas Angst vor Wölfen hatte er schon, als er so ganz alleine in dieser langen Nacht durch die einsame Berglandschaft nach Hause laufen musste.

So liebevoll wie am folgenden Tag war Hadi noch nie in seinem staubigen Stall empfangen und versorgt worden. Yusuf und seine Frau kamen mit einem strahlenden Lachen herein, umschlangen den knochigen, staubigen Hals und tätschelten Hadis struppiges Fell. Hadi konnte sich endlich ausruhen. „Wie wunderbar ist es, zu Hause anzukommen, Vertrautes zu sehen, zu riechen, zu hören, einen Stall zu haben, etwas zu fressen, Wärme und Liebe zu spüren“, dachte Hadi.

Der gute alte Hadi konnte natürlich nicht ahnen, wie viele Autos es inzwischen schon auf der Welt gab, die die Esel fast ganz ersetzt hatten. Der Iran war bei dieser Entwicklung keine Ausnahme, Hadi war einer der letzten Esel in Maku.

Er konnte auch nicht wissen, dass seine Besitzer vier Jahre später ebenfalls in einer solchen Blechkiste nach Deutschland flüchten würden, um dort überglücklich ihre beiden Töchter Jasmin und Farsaneh wiederzusehen, sie in die Arme zu schließen und sich ein neues Zuhause in Remagen am Rhein einzurichten. Für das Schicksal dieser iranischen Familie galt der Satz: „Manchmal muss man in großer Not das Liebste im Leben loslassen, um in einer ausweglosen Situation – so Gott will – wieder Hoffnung für ein neues Leben zu finden.“

Für den Esel Hadi gab es lebenslang nur eine Heimat: seinen vertrauten Stall in Maku. In diesem starb der treue Esel zwei Jahre nach der Flucht von Farsaneh und Jasmin, die er leider niemals wiedersah.

Das gelbe Taxi 007

Wenn sich in der quirligen, verkehrsreichen deutschen Hauptstadt Berlin jemand ein Taxi bestellte, musste er wegen des hohen Kundenandrangs oft lange warten. Kam nach der ärgerlichen Wartezeit das gelbe Taxi 007, hatte er Glück und konnte die wunderbare, sehr attraktive Taxifahrerin Ashana erleben: Diese strahlende junge Frau, die sich mit ihren langen Beinen in hautengen Jeans geschmeidig aus dem Taxi herauswand und rasch zur Haustüre eilte. Um das Namensschild ihres nächsten Fahrgastes am Hauseingang besser lesen zu können, warf sie mit einer hektischen Halsdrehung ihre wundervollen, dunklen Locken nach hinten und drückte dann intensiv den Klingelknopf. Bei dieser Szenerie vergaß der Wartende allen Ärger und freute sich auf die Fahrt zu seinem Ziel.

Herr Schmitz aus der Handjeristrasse 21 in Berlin-Friedenau sollte der nächste Fahrgast sein. Ein adretter Fünfziger mit graumeliertem Haar, bekleidet mit einem dunkelblauen Anzug, den weißen Regenmantel locker auf dem Arm, trat aus dem Hausflur. Er verstaute seinen silbergrauen Rollkoffer im Kofferraum und setzte sich auf die Mitte der Rückbank. Etwas barsch nannte er sein Ziel. „Zum Flughafen Tegel, bitte!“ Zügig startete das Taxi. Nach den ersten Minuten unangenehmer Stille versuchte Herr Schmitz ein humorvolles Gespräch mit Ashana zu beginnen.

„Sie haben aber ein hübsches Taxi! Oder gehört es James Bond?“ Ashana lächelte ein wenig und beobachtete den Fahrgast im Rückspiegel, während dieser weiter fragte: „Was sagt eigentlich der Wetterbericht?“

Obwohl diese hübsche Frau zunächst sehr zurückhaltend mit kurzen Antworten reagierte, betörte sie den Fahrgast mit ihrer aparten Ausstrahlung und auch die Atmosphäre im Taxi 007 war etwas sehr Spezielles. Die vorderen Fußräume im Auto waren mit einem kleinen echten Perserteppich ausgelegt, was im Gegensatz zu den muffigen Gummifußmatten, die man gewöhnlich in Autos vorfindet, sofort ein Gefühl von Tausendundeiner Nacht erzeugte. Bei jeder leichten Erschütterung klingelten mehrere kleine goldene Glöckchen an Ashanas Schlüsselbund im Zündschloss. Es war etwas Heiteres, Unbeschwertes im Innenraum des Wagens, was außen durch das frische, sonnige Gelb der Autofarbe verstärkt wurde. Dieser Gesamteindruck mag manchen Fahrgast an südlichwarme Länder mit duftenden gelben Zitronenbäumen erinnert haben.

Auch Herr Schmitz sinnierte in Gedanken Goethes Gedicht: „Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?“ Er bekam Lust auf Urlaub und dachte darüber nach, dass er mit dieser Frau gerne eine längere Fahrt durch Berlins Straßen unternehmen würde, wenn da nicht dieses tickende Taxameter am Armaturenbrett gnadenlos die zu zahlenden Euros anzeigte. Die sehr widersprüchlichen Eindrücke von vornehmer Distanz einerseits und der Herstellung einer verführerischen Nähe andererseits verwirrten den Fahrgast in diesem gemütlichen Taxi. Erst auf die Frage nach ihrer Herkunft wurde der Geschäftsmann Herr Schmitz von einer ausführlicheren Antwort der Fahrerin überrascht. „Ich komme aus dem nordwestlichen Iran und floh mit meiner Schwester im Alter von fünfzehn Jahren über die Türkei nach Deutschland. Das ist aber lange her. Heute fühle ich mich schon fast als Berlinerin.“ Herr Schmitz zeigte weiter Interesse. Er fixierte die großen, dunklen Augen dieser hübschen Frau im Rückspiegel, während er weitere Fragen stellte.

Ashana nahm immer mehr Abstand von ihrem einstudierten Small-Talk-Stil und so begann ein unerwartet offenes Gespräch zwischen ihr und diesem fremden Mann, worüber sie selbst erstaunt war. Sie erzählte vom Aufnahmelager in Norddeutschland, wo Ashana mit ihrer Schwester zunächst untergebracht worden war, um zwei Monate später nach Berlin in die Etagenwohnung einer befreundeten Familie des Vaters zu ziehen. Die Eltern der beiden Schwestern mussten unter schwierigen politischen und materiellen Bedingungen mit vier jüngeren Geschwistern in ihrem Dorf Miraki im Iran ausharren. Für die Töchter blieb es ungewiss, ob die restlichen Familienmitglieder in die Bundesrepublik nachziehen und sie sich überhaupt jemals wiedersehen würden.

Ashana war abgelenkt durch das Sprechen, konzentrierte sich nicht mehr auf den Verkehr und die vielen Ampeln. Obwohl Herr Schmitz gar keine Fragen mehr stellte, hatte er unerwartet ein Ventil geöffnet, denn die Sätze sprudelten ungefiltert aus Ashanas Mund heraus. „Die Anfangszeit war sehr schwer für uns beide. Wir sprachen kein Deutsch und die deutsche Art zu leben war uns völlig fremd. Noch nie waren wir vor unserer Flucht verreist. Schon gar nicht ins Ausland. Manchmal haben wir in einem Restaurant zufällig einen Film aus Europa gesehen. Bei uns waren sie verboten, diese aufreizenden Filme, mit unverhüllten Frauengesichtern. Mann und Frau durften sich nicht in der Öffentlichkeit küssen. Bei uns gab es keine Männer mit Whiskygläsern in der Hand oder Frauen in knappen Bikinis am Pool. All das war tabu. Wir sagen im Iran haram. Das heißt sündhaft.“

Herr Schmitz war fast peinlich berührt über das hemmungslose Sprechen dieser Frau. Schließlich wollte er doch nur zum Flughafen und nicht das Flüchtlingsschicksal einer Iranerin hören. Ashana wiederum war erstaunt und irritiert, dass sie diesem fremden Mann so offen ihre Geschichte erzählte, wie einem guten Freund.

Plötzlich stoppte sie das Taxi abrupt am Straßenrand einer Grünanlage. Das Taxameter stand still. Ashana sagte nur: „Bitte einen kleinen Moment.“ Dann sprang sie hektisch aus dem Auto, schlug die Türe hinter sich zu und verschwand hinter einem dicken Baumstamm. Fast hätte sie dabei einen Radfahrer übersehen, der gerade noch ausweichen konnte und sie dann im Weiterfahren mit hochrotem Kopf beschimpfte, „Pass uff, du Trulla! Haste keene Augen im Kopp, wa?“

Es war Ashana egal. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn. „Oh Mann, ist mir schlecht. Ich kotze gleich.“ Sie musste heftig würgen und übergab sich mehrfach. Aus dem Augenwinkel heraus konnte sie erkennen, wie Herr Schmitz ungeduldig auf seine Uhr blickte und etwas vor sich hin murmelte. Ashana war immer noch elend zumute. „Hoffentlich stürzt mein Kreislauf nicht ab“, schoss es ihr durch den Kopf. Ein Tag ohne Einnahmen wäre ein Desaster. Was war nur los, dass dieser Mann sie so einengte? Woher kamen plötzlich diese Übelkeit und dieses Ekelempfinden?