How to Love A Villain (Chicago Love 1) - Leandra Seyfried - E-Book
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How to Love A Villain (Chicago Love 1) E-Book

Leandra Seyfried

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Beschreibung

**Kannst du dich von einem Very Bad Boy fernhalten – oder willst du es gar nicht?** Als Tochter des Bürgermeisters und Mitglied der Chicagoer High Society bewegt sich das Leben der 22-jährigen Devon in einem fest abgesteckten Rahmen. Lediglich ihr Verlobter Ian bringt mit seiner Position als Leiter des Gefängnisses einen düsteren Anstrich in ihr sonst so perfektes Dasein. Auch wenn er es gar nicht gern sieht, dass Devon für ihre Abschlussarbeit in Kriminologie gefährliche Strafgefangene aus seiner Anstalt befragt. Davon lässt sie sich jedoch nicht abbringen und interviewt sogar den verruchten und berüchtigten Tyler Fox – Sohn eines berühmten Gangbosses. Als sie schließlich selbst merkt, dass seine unfassbar charismatische Präsenz sie an ihre Grenzen bringt, ist es lange schon zu spät, um auszusteigen. Denn Tylers eindringliche Augen verfolgen sie bis in ihre schlaflosen Nächte hinein … »Leandra Seyfried hat mit How to Love a Villain ein grandioses Debüt geschrieben, bei dem alles stimmt: intensive Emotionen, Spannung, Tiefe, Knistern und Wendungen von der ersten bis zur letzten Seite. Ich brauche mehr von Devon & Tyler!« (Buchbloggerin Marie von @Mariesliteratur) Romantic Suspense mit einer Protagonistin, die selbst zum Bad Girl wird – elektrisierend und atemberaubend vor der Kulisse Chicagos! //Dies ist der erste Band der knisternden New Adult Romance »Chicago Love«. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- How to Love a Villain (Chicago Love 1) -- How to Keep a Villain (Chicago Love 2) -- How to Save a Villain (Chicago Love 3)//

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Seitenzahl: 525

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Leandra Seyfried

How to Love a Villain (Chicago Love 1)

**Kannst du dich von einem Very Bad Boy fernhalten – oder willst du es gar nicht?**Als Tochter des Bürgermeisters und Mitglied der Chicagoer High Society bewegt sich das Leben der 22-jährigen Devon in einem fest abgesteckten Rahmen. Lediglich ihr Verlobter Ian bringt mit seiner Position als Leiter des Gefängnisses einen düsteren Anstrich in ihr sonst so perfektes Dasein. Auch wenn er es gar nicht gern sieht, dass Devon für ihre Abschlussarbeit in Kriminologie gefährliche Strafgefangene aus seiner Anstalt befragt. Davon lässt sie sich jedoch nicht abbringen und interviewt sogar den verruchten und berüchtigten Tyler Fox – Sohn eines berühmten Gangbosses. Als sie schließlich selbst merkt, dass seine unfassbar charismatische Präsenz sie an ihre Grenzen bringt, ist es lange schon zu spät, um auszusteigen. Denn Tylers eindringliche Augen verfolgen sie bis in ihre schlaflosen Nächte hinein …

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Vita

Playlist

Danksagung

© Christian Franke

Leandra Seyfried wurde 1999 in Süddeutschland geboren und lebt heute in München, wo sie Medien- und Kommunikationsmanagement studierte. Zeitgleich zum Studium begann sie mit dem Schreiben ihres ersten Buches. Sie ist eine Optimistin, liebt das Lesen, Serien und Filme und lässt sich gern bei Städtereisen zu neuen Geschichten inspirieren.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Leandra Seyfried und das Impress-Team

Für Angelika.Für deine bunte Seele und bedingungslose Liebe.

Playlist

Glory – Bastille

Pulaski at Night – Andrew Bird

Falling – The Dawn of MAY

Female Robbery – The Neighbourhood

Take Control – Kodaline

The Dark – SYML

Fire on Fire – Sam Smith

I Can’t Go on Without You – KALEO

White Room – Cream

Ballad of Sir Frankie Crisp – George Harrison

Close Your Eyes – RHODES

Going to a Town – Rufus Wainwright

Sign of the Times – Harry Styles

I love you as certain dark things are to be loved, in secret, between the shadow and the soul. – Pablo Neruda

Kapitel 1

Als ich das Gefängnis betrat und mir der vertraute Geruch von Filterkaffee und Desinfektionsmittel entgegenschlug, atmete ich wie jedes Mal erleichtert auf. Polizisten liefen in der weitläufigen Eingangshalle umher, Türöffner summten und Besucher warteten darauf, dass sie hereingelassen wurden.

Anstatt mich am rechten Schalter anzustellen, reihte ich mich hinter einer Frau im beigen Trenchcoat am linken Schalter ein, der für Anwälte und Rechtsberater gedacht war.

Während ich wartete, streifte ich meinen Mantel ab. Nach den vielen Malen, die ich bereits durch die Sicherheitskontrolle gegangen war, wusste ich, dass Mäntel und Jacken in den Besucherräumen nicht gestattet waren. Keine zu enge und weite Kleidung, keine Ausschnitte, keine Handys. Die Liste an Dingen, die man nicht bei sich haben oder tun durfte, war lang. Doch das Einzige, was ich brauchte, waren mein Aufnahmegerät und mein Notizblock.

Hin und wieder warf ich verstohlene Blicke durch die Halle und hoffte inständig, dass ich Ian heute nicht begegnen würde. Innerhalb der nächsten sechzig Minuten musste ich mich nicht verstellen und niemand sein, der ich nicht war – vorausgesetzt, ich schaffte es in den Besucherraum, ohne ihm vorher über den Weg zu laufen.

Abwesend zupfte ich ein gelbes Herbstblatt von meinem dunkelgrünen Mantel, als mich die raue Stimme des Polizisten am Schalter aus den Gedanken riss. »Nächster.«

Ich hatte nicht gemerkt, dass die Frau vor mir bereits weitergegangen war. Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen trat ich vor die Glasscheibe und blickte in das Gesicht eines Mannes, den ich nie zuvor gesehen hatte. Er musterte mich mit gelangweiltem Blick durch das schusssichere Glas und rieb sich über den haarlosen Kopf. »Name?«, verlangte er zu wissen, seine Stimme durch das in die Scheibe eingelassene Mikrofon verzerrt.

»Devon Turner«, erwiderte ich. »Ich bin als wiederkehrende Besucherin für Patricia Reed eingetragen –«

»Falscher Schalter«, unterbrach er mich genervt und tippte fester als notwendig auf den laminierten Zettel, der von innen an das Glas geklebt war. »Nur für Anwälte und Rechtsberater. Steht hier so groß, dass alle es lesen können.« Der Blick aus seinen braunen Augen bohrte sich in meine und ich fühlte mich beinahe, als wäre ich eine Gefangene und keine Besucherin.

Ich atmete einmal kurz durch und versuchte trotz seiner Unfreundlichkeit ein Lächeln. »Ich bin jede Woche mehrmals hier, um Patricia Reed für meine Abschlussarbeit zu befragen.« Demonstrativ wedelte ich mit meinem Notizblock und dem Aufnahmegerät, als würde ihm das helfen zu verstehen.

Seine Miene blieb unverändert. »Und wenn Sie dort drinnen Al Capone persönlich befragen würden – rechts ist der offizielle Schalter für Besucher«, sagte er langsam, als hätte ich Schwierigkeiten, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen, ehe er sich wieder seinem Bildschirm zuwandte.

Ich blickte nach rechts. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich tatsächlich darüber nach, an jenen Schalter zu gehen, meine Daten aufs Neue anzugeben und eine halbe Stunde in der Schlange zu stehen. Doch meine Füße taten vom dreistündigen Balletttraining heute Morgen noch so weh, dass allein der Gedanke an das lange Warten das schmerzhafte Pochen verstärkte.

Ich räusperte mich. »Ich habe mich bereits vor sechs Wochen am rechten Schalter angemeldet«, erklärte ich in einem letzten verzweifelten Versuch und klemmte den Notizblock unter meinen Arm. »Mir wurde ausdrücklich gesagt, dass ich mich hier anstellen solle, weil –«

»Ich bitte Sie jetzt ein allerletztes Mal, sich an den anderen Schalter –« Doch auch er konnte seinen Satz nicht beenden.

»Tom, was soll das?«, unterbrach ihn eine mir vertraute Stimme und das Blut sackte in meine Beine. »Lass sie rein, sie gehört zu mir.«

Mist. So viel zu Hoffentlich begegne ich ihm heute nicht. Hätte ich mich doch bloß am rechten Schalter angestellt, dachte ich im selben Moment, als Ian hinter dem Polizisten auftauchte und den roten Knopf neben der Tastatur drückte.

Ich seufzte leise, was von dem lauten Geräusch des elektrischen Türöffners übertönt wurde. Ich legte den Notizblock, meinen Mantel und das Aufnahmegerät in eine Plastikschachtel und platzierte sie auf dem Band, ehe ich widerstrebend auf Ian zuging. Seine blonden Haare waren zur Seite gegelt, was seine ohnehin kantigen Kieferknochen noch eckiger aussehen ließ. Der Blick aus seinen kühlen blauen Augen war auf mich gerichtet und er nickte mir knapp zu.

Was für eine herzliche Begrüßung.

In seiner Uniform sah er größer aus als sonst, was ihm selbst deutlich bewusst war. »Er ist seit drei Tagen hier und führt sich jetzt schon auf, als hätte er etwas zu sagen«, meinte Ian, während ich durch die Tür trat, die sich automatisch hinter mir schloss. Er machte einen Schritt auf mich zu und hob seinen Arm.

Unwillkürlich zuckte ich zusammen.

Ian hielt inne und runzelte die Stirn. »Was ist los mit dir?«, fragte er und hielt den Körperscanner in die Höhe, den ich im ersten Augenblick nicht bemerkt hatte.

Moment. Ein Körperscanner? Um Himmels willen.

Ich hob eine Augenbraue und zeigte darauf. »Ist das dein Ernst?« Ich lachte nervös, bis mir aufging, dass er tatsächlich nicht scherzte. Mein Lachen verging so schnell, wie es gekommen war. »Du willst mich scannen?« Ich konnte die Fassungslosigkeit in meiner Stimme nicht verbergen.

Ian sah mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er mit mir eine Bank ausrauben wollte. »Du bist in einem Gefängnis und besuchst eine Insassin. Ich verstehe deine Frage nicht.«

Ich stieß ein ersticktes Lachen aus. »Denkst du, ich bin über Nacht zur Drogenschmugglerin geworden?«, fragte ich und hielt seinem Blick stand.

Keine Antwort.

Ich senkte meine Stimme. »Wir sind verlobt, Ian. Wir wohnen zusammen. Findest du das nicht ein bisschen unangebracht?«

Niemand, der uns beide zusammen sah, käme auf die Idee, dass wir verlobt waren und zusammenwohnten. Wahrscheinlich hätte man nicht einmal vermutet, dass wir einander kannten, was traurig genug war. Ehrlich gesagt, versuchte ich es selbst manchmal zu vergessen.

Statt einer Antwort drückte er demonstrativ auf den Knopf des Körperscanners, der kurz darauf mit einem wütenden Summen zum Leben erwachte, ehe er mich von meinen Schuhen aufwärts scannte. »Das ist ein Gefängnis, Devon. Ich weiß nicht, was du von mir erwartest.«

Ich seufzte innerlich. Er hatte recht. Warum überraschte mich das überhaupt?

Er fuhr mit dem Scanner an meinem Arm entlang und sah mir dabei ins Gesicht. »Wie lange musst du diese Interviews überhaupt noch machen?« Ich sah das Missfallen in seinen Augen aufblitzen. Er versuchte nicht einmal zu verstecken, wie wenig ihm meine Besuche behagten, doch ich hatte kein Bedürfnis, deshalb erneut mit ihm zu streiten.

Ian hatte seine Karriere als Polizist begonnen und sich ziemlich schnell zum Leiter des Gefängnisses hochgearbeitet. Mit fünfundzwanzig Jahren ein Gefängnis zu managen, war ungewöhnlich, doch es hatte sicher nicht wenig damit zu tun, dass seine Mutter die Chefin des Chicagoer Polizeipräsidiums war.

Als ich ihm vor zwei Monaten das erste Mal erzählt hatte, dass ich für die Abschlussarbeit meines Kriminologiestudiums einen Insassen befragen wollte, hatte er den ganzen Tag nicht mehr mit mir geredet. Ich konnte nachvollziehen, dass er als Polizist in Chicago genau wusste, wie Verbrecher waren, und mich vor der Realität des Gefängnisses in einer Weise beschützen wollte, doch er vergaß immer, dass ich ebenfalls wusste, wie Kriminelle tickten. Schließlich hatte ich das die letzten drei Jahre studiert.

Außerdem war uns beiden klar, dass er gern die Kontrolle hatte und ihm schlichtweg der Gedanke, dass ich einen Großteil meiner Zeit im Gefängnis verbrachte, nicht gefiel. Zu unvorhersehbar.

Ich hatte es dennoch getan. Was unsere ohnehin fragwürdige Beziehung nicht unbedingt verbessert hatte.

Natürlich war es naheliegend, dass ich einen Insassen im Metropolitan Correctional Center befragte, da Ian hier arbeitete und das Personal kannte. Dennoch hoffte ich jedes Mal, dass ich ihm dabei nicht begegnete – was an den meisten Tagen auch klappte.

Plötzlich hielt Ian inne und bedachte mich mit einem solch kühlen Blick, dass mir ein unangenehmer Schauer über den Rücken lief.

»Was?« Mein Herz klopfte schnell in meiner Brust. »Hast du die versteckten Drogen gefunden? Bin ich jetzt verhaftet?«, fragte ich scherzhaft, um meine Unsicherheit zu überspielen, und bereute es noch in dem Moment, als die Frage meinen Mund verließ.

Er ignorierte meine Bemerkung, ließ den Scanner sinken und wies auf meine linke Hand. »Du trägst ihn schon wieder nicht.«

Mist. Der blöde Ring.

Automatisch fuhr ich mit dem Daumen über die leere Stelle an meinem Ringfinger. Dann sah ich demonstrativ auf meine Hand und riss die Augen auf. »O Scheiße, sorry. Ich muss ihn zu Hause im Bad vergessen haben«, log ich. Dabei wusste ich ganz genau, wo er war. Er lag in der Schublade meines Nachttisches, wo der protzige und viel zu teure Ring von mir aus gern zu Staub zerfallen durfte.

Er verengte die Augen. Ob er wusste, dass ich log, konnte ich nicht sagen. »Das ist jetzt das zweite Mal diese Woche, Devon. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich vermuten, du willst ihn gar nicht tragen.« Ohne den Blick von mir abzuwenden, trat er an das Band und nahm meinen Mantel, den Notizblock und das Aufnahmegerät aus der Schachtel. »Denk übermorgen daran, ihn anzuziehen.«

Mein Magen zog sich zusammen. »Übermorgen?«, fragte ich verwundert und machte Platz für einen Polizisten, der begleitet von dem lauten Summen des Türöffners in den Gang schritt.

Ian nickte ihm knapp zu, ehe er seine eisblauen Augen wieder auf mich richtete. »Deine Geburtstagsfeier? Mia und Jason kommen?«, meinte er sichtlich genervt. »Sag mir nicht, du hast deinen eigenen Geburtstag vergessen.«

Ich schluckte schwer. Doch, das hatte ich tatsächlich. Vielleicht hatte ich es aber auch nur verdrängt. Allerdings wusste ich es besser, als mir meinen Unmut über die anstehende Feier anmerken zu lassen.

Ich schüttelte energisch den Kopf, wobei mir eine dunkle Strähne ins Gesicht fiel. »Nein, klar. Mein Geburtstag. Den habe ich natürlich nicht vergessen«, brachte ich mühsam hervor und hoffte, Ian sah mir nicht an, dass ich meinen Kopf am liebsten gegen die Wand geschlagen hätte. »Ich freue mich«, fügte ich hinzu, um ihn auch wirklich davon zu überzeugen. Faszinierend, wie gut ich darin geworden war, eine Lüge nach der anderen aufeinanderzustapeln. Ich wusste nicht, ob mich das beunruhigen oder beeindrucken sollte.

»Perfekt«, sagte er schlicht, drückte mir meine Sachen in die Hand und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Er roch nach dem Shampoo, das er seit Jahren jeden Tag benutzte. »Bis heute Abend.« Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand hinter einer der vielen Türen entlang des Gangs. Als kurz darauf sein tiefes Lachen von den Wänden widerhallte, fragte ich mich, warum der Kuss mein Herz nicht leichter, sondern schwerer gemacht hatte.

Wenn ich die Zeit hätte zurückdrehen können, um alles anders zu machen, hätte ich es getan. Ohne mit der Wimper zu zucken.

***

Den ganzen Weg von der Eingangshalle bis zum Besucherraum im achten Stock versuchte ich die Gedanken an Ian und meinen anstehenden Geburtstag zu verdrängen, was mir zugegebenermaßen nicht besonders gut gelang. Dass Ian mir meinen Besuch im Gefängnis verdorben hatte, brachte mein Blut zum Kochen. Es war eines der wenigen Dinge, die nur mir gehörten – was wollte er noch alles an sich reißen?

Im Vorzimmer angekommen wurde ich von einer Wärterin mit blondem Pferdeschwanz und freundlichem Gesicht zu einem Spind in der Nähe der Tür begleitet. So nah am Besucherraum und den Insassen durfte man keinen Schritt ohne Begleitung tun.

Während sie mich abtastete, fiel mein Blick auf ein blondes Mädchen. Ich schätzte sie auf mein Alter – Anfang zwanzig – und wie ich wurde sie gerade von einer Wärterin durchsucht. Als sich unsere Blicke trafen, starrte sie mit rot umrandeten Augen geradewegs durch mich hindurch, während sie ohne Pause ihre Hände knetete. Sie hatte Angst. Ein Gefühl, das alle spürten, die drauf und dran waren, einen Raum voller inhaftierter Schwerverbrecher zu betreten.

Alle außer mir. Angst war ein Gefühl, das ich zur Genüge kannte, doch der einzige Ort, an dem ich mich nie gefürchtet hatte, war dieser. Zugegeben hätte ich das allerdings nie – womöglich hielten mich die Menschen sonst noch für eine Psychopatin.

Ich bedankte mich bei der Wärterin und legte meinen Mantel in eines der Fächer. Daraufhin stopfte ich die zerknitterte Bahnfahrkarte und mein Handy in eine der Manteltaschen.

Vor der Tür mit dem kleinen quadratischen Fenster wartete ich schließlich, bis mir ein weiterer Wärter Zugang zum Raum gewährte. Während meiner ersten Wochen hatte ich jedes Mal eine Sonderberechtigung für einen Kugelschreiber beantragt, was mir aber nach einer Weile zu mühsam geworden war, da sie meist abgelehnt worden war. Der Wärter, der mir die Berechtigung verwehrt hatte, hatte erklärt, dass es zu gefährlich sei. »Insassen haben schon für weniger einen Mord begangen«, hatten seine genauen Worte gelautet.

Ein Polizist mit kurzen schwarzen Haaren brummte etwas Unverständliches in sein Funkgerät, ehe er den Türöffner betätigte und mir bedeutete, ihm in den Besucherraum zu folgen. Er brachte mich zu einem Tisch am Fenster, der einen Blick auf einen kleinen Teil der Skyline Chicagos bot. Von hier aus sah ich sogar die Spitze des Willis Towers.

Anstatt außerhalb der Stadt befand sich das MCC im Herzen Chicagos und unweit des berühmten Millennium Parks, in dem sich stets die meisten Touristen tummelten. Obwohl Chicago mit der außergewöhnlich hohen Mordrate zu einer der gefährlichsten Städte der USA gehörte, blieben die Besucher nicht aus. Im Gegenteil.

Ich legte das Aufnahmegerät und den Notizblock auf dem kalten Metall des am Boden festgeschraubten Tisches ab und sah mich im Raum um. Etwa die Hälfte aller Plätze war besetzt. An jedem Tisch saßen je ein Insasse im deutlich hervorstechenden orangefarbenen Overall sowie ein bis zwei Besucher. Die Atmosphäre im Raum war seltsam, da sie von Sitzplatz zu Sitzplatz variierte. Es fühlte sich beinahe an, als bildete jeder Tisch eine eigene Blase, die von der Außenwelt abgeschottet war. In manchen wurden wütende Blicke, Tränen, verzweifelte Worte oder Beleidigungen ausgetauscht. In anderen wurden Liebesgeständnisse geflüstert und Versprechen gegeben. Versprechen, die in wieder anderen Blasen gebrochen wurden.

Zwei Tische weiter entdeckte ich das Mädchen aus dem Vorraum. Sie saß einem tätowierten Mann gegenüber, der sein Gesicht in den Händen vergraben hatte. Seine Schultern bebten, während ihr leise eine Träne über die Wange lief. Schnell wandte ich meinen Blick ab, da die Situation zu persönlich war und ich mich beim Beobachten wie ein Eindringling fühlte.

Gerade als ich mich auf dem festgeschraubten Sitz niedergelassen hatte, summte der Türöffner auf der anderen Seite des Raumes. Im Rahmen erschien Patricia, dicht gefolgt von einem Wärter, der sie an ihren hinter ihrem Rücken mit Handschellen befestigten Händen zum Tisch führte.

Als Ian sich damals letzten Endes bereit erklärt hatte, mich einen Insassen für meine Abschlussarbeit befragen zu lassen, hatte er einige Tage damit verbracht, die richtige Person auszuwählen. Interessant genug, aber nicht zu gefährlich. Ein Insasse mit viel Erzählstoff, ohne mich dabei in Gefahr zu bringen. Dass es sich bei der ausgewählten Person um eine Frau handelte, war sicher auch kein Zufall.

Als Patricia mich sah, hellte sich ihr Gesicht auf. Der Wärter löste ihre Handschellen, woraufhin sie mir überschwänglich zuwinkte.

Sie war eine zweiunddreißigjährige weiße Frau und hatte ein freundliches Gesicht mit einem breiten Lächeln und einer ebenso breiten Zahnlücke.

»Devon!« Sie schloss mich fest in ihre Arme. »Ich bin so froh, dich zu sehen«, murmelte sie in meine langen dunkelbraunen Haare, die ich direkt nach dem Training aus dem strengen Haarknoten gelöst hatte.

»Das reicht jetzt«, mahnte der Wärter, der Patricia begleitet hatte und nun neben unserem Tisch stand, um sie wachsam im Auge zu behalten. Ein Händedruck, eine Umarmung oder ein Kuss am Anfang und am Ende jedes Besuchs waren erlaubt. Während des Treffens waren dafür sämtliche weiteren Berührungen verboten.

Widerstrebend löste ich mich aus der Umarmung und setzte mich ihr gegenüber an den Tisch. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Pat«, sagte ich. »Danke, dass du dir wieder Zeit für mich nimmst.«

Sie machte eine abwinkende Geste. »Ich bitte dich. Das ist das Highlight meines Tages.«

Meines auch, antwortete ich in Gedanken. »Wie war dein Wochenende?«, fragte ich stattdessen laut.

Sie tippte sich spielerisch mit dem Finger an die Lippe. »Lass mich nachdenken.« Schließlich schnaubte sie. »Ach ja, richtig! Es ist genau gar nichts passiert.«

Ich grinste schief. »Jetzt übertreibst du aber.«

»Es ist die Wahrheit! Ich kann dir alles über die stinkenden Duschen, die klebrige Lasagne oder den Gefängnisklatsch erzählen, aber das willst du doch gar nicht hören. Erzähl mir lieber von deinem Wochenende. Irgendetwas, das mir das Gefühl gibt, noch zu wissen, was da draußen abgeht.« Sie wies mit der Hand auf die Straße, die von unserem Tisch aus zu sehen war. Die Chicagoer Hochbahn fuhr gerade über die Gleise.

Ich rümpfte die Nase. »Ich war beim Training und habe an meiner Abschlussarbeit geschrieben. Mehr gibt es bei mir auch nicht zu erzählen.« Außer vielleicht, dass ich mich nach einer eigenen Wohnung umgesehen hatte, nur um die Seite wieder zu schließen und meinen Verlauf zu löschen. Aber das erwähnte ich natürlich nicht.

Sie schnalzte mit der Zunge. »Irgendetwas musst du mir geben, Dev.« Sie musterte mich eindringlich. »Wie geht es deinem Verlobten?«

Falsche Frage. Ich blickte auf meine Finger. »Gut«, war alles, was ich dazu sagen konnte.

Patricia und ich kannten uns noch nicht lange und dennoch war sie eine Freundin für mich geworden. Vielleicht meine einzige.

Wenn Ian gewusst hätte, wie gut ich mich mit ihr verstand, hätte er einen Herzinfarkt bekommen. Für ihn bestand die Welt aus Verbrechern und Unschuldigen. Mehr sah er in den Menschen nicht, was meiner Meinung nach lächerlich war. Menschen waren nicht schlecht, nur weil sie ein Verbrechen begangen hatten, und nicht gut, weil sie es nicht taten. Aus Erfahrung wusste ich genau, dass das vermeintlich Gute niemals so gut war, wie es schien. Wenn nicht sogar das Gegenteil der Fall war: Während das Gute zahlreiche Ecken hatte, in denen verborgene Schatten lauerten, war das Schlechte geradlinig und ehrlich.

Vielleicht war das der Grund, weshalb ich das Gefängnis mochte – weil Menschen wie Patricia nicht versuchten, ihre dunkle Seite zu verstecken. Anders als mein Vater und Ian, die zwar nicht verurteilt, aber unter keinen Umständen unschuldig waren. Denn wir alle besaßen eine dunkle Seite – ob wir es nun wollten oder nicht.

»Wie läuft es ansonsten bei dir, Pat?«, fragte ich eilig, bevor sie mir noch mehr Fragen über mein Leben stellte und ich die Fassade nicht länger aufrechterhalten konnte. »Gibt es was Neues?«

Sie stützte ihren Arm auf der Metallplatte des Tisches ab. Falls sie bemerkt hatte, wie ungern ich über mich redete, ließ sie es sich nicht anmerken. Das wusste sie bereits von den letzten Malen. »Meine Mom hat mich letzte Woche besucht«, verkündete sie, was meine Stimmung sofort aufhellte.

»Pat, das ist großartig!«, sagte ich. »Wie war es?«

Sie zuckte mit den Schultern und senkte ihren Blick. »Sie war reserviert, und als ich gefragt habe, ob ich meine Tochter endlich sehen darf, hat sie sofort abgeblockt. Sie wollte mir nicht einmal erzählen, wie es ihr geht, als könnte allein das Aussprechen ihres Namens im Gefängnis Unglück bringen. Hat nur noch gefehlt, dass sie sich jedes Mal bekreuzigt, wenn ich ihn nenne.« Sie rollte mit den Augen. »Aber es war ein Anfang. Ich denke, man kann von seiner Mutter nicht viel Mitgefühl erwarten, wenn man eine Bank ausgeraubt hat.« Ein schwaches Lächeln zeigte sich auf ihren Lippen.

Genau genommen hatte Patricia nie eine Bank ausgeraubt. Sie hatte den Fluchtwagen gefahren, während zwei ihrer Freunde die Tat begangen hatten. Als sie vom Auto aus gesehen hatte, dass ihre Komplizen verhaftet worden waren, bevor sie auch nur ihre Waffen hatten zücken können, war sie aufs Gaspedal getreten und geflüchtet.

Doch auch sie war nach einer zehnminütigen Verfolgungsjagd gestoppt und verhaftet worden. Bei dem Gedanken, dass sie noch fünf weitere Jahre hierbleiben musste, wurde mein Herz schwer.

»Egal«, sagte Patricia und pustete sich eine weißblonde Locke aus dem Gesicht. »Ich habe mich für das heutige Interview besonders schön gemacht – wie steht mir die Farbe?« Sie strich grinsend über den Stoff ihres orangefarbenen Overalls, als handelte es sich dabei um eine Seidenbluse.

»Hervorragend. Gut, dass du es ansprichst: Ich wollte dich noch fragen, wo man den kaufen kann«, erwiderte ich schmunzelnd.

Sie zwinkerte mir zu. »Ist ziemlich teurer Designerscheiß. Aber ich werde mal nicht so sein und ihn dir leihen.«

Ich lachte auf und das erste Mal in dieser Woche fühlte ich, wie sich meine Schultern lockerten. Ich war keine Verbrecherin, dennoch war das Gefängnis der einzige Ort, an dem ich mich nicht wie eine Hochstaplerin fühlte. Normal war das nicht.

Ich griff nach dem Aufnahmegerät, verharrte mit dem Finger über dem Knopf an der Seite und blickte ihr in die Augen. »Bereit, über die Vergangenheit zu reden, Pat?«

Sie zögerte einen kurzen Moment, nickte aber schließlich. Ich drückte den Knopf und wartete, bis das kleine Licht grün aufleuchtete. Dann legte ich das Gerät zwischen uns auf dem Tisch ab und begann mit meiner Befragung.

Kapitel 2

Die Türen der Bahn öffneten sich mit einem leisen Zischen, als ich eine Station vor der eigentlichen Haltestelle ausstieg, um den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Bunte Blätter knirschten unter meinen Sohlen, als ich eine der zahlreichen Brücken überquerte, die über den Chicago River führten. Zitternd zog ich den Mantel enger um meinen Körper. Kalter Wind blies durch den Wald aus Hochhäusern, obwohl der Himmel blau war und das Sonnenlicht auf dem Lake Michigan reflektierte. Er war der fünftgrößte See der Welt, weshalb ich am Horizont nichts als endlose Weite, Himmel und Wolken sah – wie am Meer.

Je näher ich dem fünfzig Stockwerke hohen Apartmenthaus kam, desto stärker spannte sich mein Körper an. Welch Ironie, dass Ian das MCC leitete, da sich unsere Wohnung anfühlte wie mein persönliches Gefängnis. Ich hatte es nicht besonders eilig, nach Hause zu kommen. Doch ganz gleich, wie lange ich den Spaziergang auch ausdehnte – er endete stets vor demselben Gebäude. Das Durchschnittseinkommen der Anwohner in dieser Umgebung war wesentlich höher als im Rest Chicagos und das ganze Haus repräsentierte das. Vom Concierge, der vor dem überdachten Eingang bereitstand, über die breite Treppe mit vergoldetem Geländer bis hin zur Rezeption aus Marmor.

Meine nassen Turnschuhe quietschten bei jedem Schritt auf dem polierten Boden der Eingangshalle. Im Aufzug drückte ich die Taste mit der Nummer siebenundvierzig, die durch meine Berührung weiß aufleuchtete, ehe sich die Türen schlossen.

Mein Vater hatte das Apartmenthaus vor zwanzig Jahren erworben, lange bevor er Bürgermeister Chicagos geworden war und während er noch als Anwalt gearbeitet hatte. Ich war hier aufgewachsen, dennoch fühlte ich mich so zugehörig wie ein matschiger Wanderschuh in einem Regal voll brandneuer Designer-High-Heels.

Bevor ich vor drei Jahren mit Ian in eine der Wohnungen auf der siebenundvierzigsten Etage gezogen war, hatte ich mit meinem Vater im Penthouse gewohnt. Doch weder die geräumigen Zimmer mit Aussicht auf den Lake Michigan noch die ausgewählten Designermöbel hatten aus mir die Tochter gemacht, die er gern gehabt hätte.

Am Ende des Ganges angekommen hielt ich die Schlüsselkarte an den Scanner der weißen Tür und betrat kurz darauf meine Wohnung. Die bodentiefen Fenster boten einen Blick auf die umliegenden Wolkenkratzer und einen Teil des Sees. Dominiert wurde der Raum von zwei beigen Couchen, die zum Kamin ausgerichtet waren. Links um die Ecke fand ich die offene Küche und den Esstisch aus Kirschholz, an dem acht Personen Platz hatten. Die Wohnung war mit dunklem Parkett, hohen Decken und einer geschmackvollen Einrichtung ausgestattet – und dennoch fühlte ich mich, als würde ich in einem Katalog und nicht in einem richtigen Zuhause wohnen.

Nachdem ich die Tasche und den Mantel am Eingang abgelegt hatte, ging ich in die Küche und stellte meine Lieblingstasse unter die Kaffeemaschine. Ich griff nach der durchsichtigen Dose und gab zwei Löffel Kakaopulver hinzu, ehe ich den Knopf drückte. Ian hasste es, wenn ich das tat. Seiner Meinung nach verdarb ich damit den wahren Geschmack des Kaffees, was auch immer das bedeuten sollte. Der warme Duft von Kaffee und Schokolade vermischte sich mit dem Geruch nach neuen Möbeln, der auch nach drei Jahren nicht verschwinden wollte. Ich rührte mein Getränk ein letztes Mal um und machte mich auf den Weg ins Wohnzimmer, als ich es plötzlich sah.

Mitten auf der Kücheninsel stand eine große weiße Schachtel.

O nein. Ich blieb stehen und schloss für einen Moment die Augen. Ich wusste genau, was das bedeutete, und am liebsten hätte ich einfach so getan, als hätte ich sie nicht gesehen. Dann hätte ich mich mit meinem Laptop auf die Couch setzen können, um an meiner Abschlussarbeit weiterzuschreiben. Aber dafür war es wohl zu spät. Ich hatte sie gesehen und es war zwecklos, mich dem, was nun kam, zu widersetzen. Mich ihm zu widersetzen.

Seufzend stellte ich die Tasse ab, wodurch ein bisschen Kaffee über den Rand schwappte, und hob den Deckel der Schachtel an. Auf zerknittertem Krepppapier lag ein buttergelber Zettel.

Heute Abend um neun, Spendengala im NewChicago Hotel.

Ich rieb mir mit der freien Hand über die Augen. So hatte ich mir meinen Abend nicht vorgestellt. Mein Vater erwartete mal wieder meine Anwesenheit auf einer seiner Spendengalas. Von den letzten Malen wusste ich bereits, dass ich in der Schachtel höchstwahrscheinlich ein Kleid finden würde. Ich wollte gar nicht wissen, welches der Sekretär meines Vaters dieses Mal ausgewählt hatte. Die Tatsache, dass er einen Schlüssel für die Wohnung besaß, war unheimlich genug.

Vorsichtig legte ich das knisternde Papier auf die Seite und strich dann über den hauchzarten Stoff des gewitterwolkengrauen Kleides. Gerade als ich es herausheben wollte, fiel mein Blick auf das Preisschild. Geräuschvoll sog ich die Luft ein und hielt in der Bewegung inne. Das konnte nicht sein Ernst sein. Das Kleid hatte zweitausend Dollar gekostet. Behutsam ließ ich es zurück in die Schachtel gleiten.

Früher hatte ich geglaubt, dass er mir jedes Mal ein Kleid schenkte, weil er wusste, wie sehr ich solche Events verabscheute. Dabei hatte er es nur noch schlimmer gemacht, da ich weder an teuren Designerkleidern interessiert war noch daran, dass er sich damit meine Zustimmung erkaufen wollte. Erst später war mir aufgegangen, dass er es nicht tat, um mich zu besänftigen, sondern um zu garantieren, dass ich elegant gekleidet war. Er wusste ganz genau, dass ich auf Materielles keinen Wert legte und mir niemals selbst ein solch teures Kleid zugelegt hätte, weshalb er meine Garderobe schlicht selbst in die Hand nahm. Ich war nie genug für ihn.

Und dennoch wusste ich bereits, dass ich heute Abend um neun im NewChicago Hotel sein würde. Weil er es erwartete. Und weil man sich Elliott Turner nicht widersetzte.

***

Meine Mutter war stets der festen Überzeugung gewesen, dass man jeder Situation etwas Positives abgewinnen konnte. So schwer es auch oft war, hielt ich mich Tag für Tag an dieser Aussage fest. Schließlich war es der einzige Ratschlag, den ich je von ihr bekommen würde. Allerdings hatte ich all meine Bemühungen in dem Moment über Bord geworfen, in dem ich die Gala betreten hatte.

Mein Vater und ich waren nicht gemeinsam gefahren, doch das war nichts Neues. Jedes Mal kam er über eine Stunde zu spät zu seiner eigenen Veranstaltung und ließ sich dann feiern wie der Präsident höchstpersönlich. Es war eine Spendengala, doch sein Ziel war nicht wirklich, Geld für Kinder in Simbabwe zu sammeln, sondern neue Wähler für seine Wiederwahl im Februar zu gewinnen. Das war das Einzige, was ihm am Herzen lag.

Und ich war seine Marionette.

Ich redete mit den Gästen, beantwortete Fragen zur Spendenorganisation – über die mein Vater nicht das Geringste wusste – und machte der Frau des Hotelmanagers ein Kompliment zu ihrem äußerst hässlichen und vor allem viel zu kurzen Kleid. Zusammengefasst: Ich tat all das, was man von mir erwartete. Es war wie ein Drehbuch, das ich vor langer Zeit auswendig gelernt hatte. Ich hatte jede Zeile, jede Geste verinnerlicht.

Und ich hasste es. Alles daran.

Jetzt stand ich mit einem Glas Champagner in der Hand an einem der Stehtische inmitten der Feier und wünschte mir sehnlichst, ich wäre woanders. Die gesamte obere Etage des Hotels war für die Spendengala umfunktioniert worden und stellte nun eine geschmackvolle Bühne für die geschmacklosen Lügen der perfekt gekleideten Chicagoer Elite dar. Hinter den Fenstern blinkten die Lichter der Großstadt – nicht als hätte es auch nur eine Person hier interessiert, was in der echten Welt vor sich ging.

Ich war auf einem dieser Events gewesen, als ich entschieden hatte, Kriminologie zu studieren. Denn hier, in der Welt des Scheins und des Perfektionismus, hatte mich das Böse angezogen wie ein Magnet. Ich hatte die Abgründe und die dunkelsten Seiten der Menschen kennenlernen wollen und war nicht enttäuscht worden. Verbrechen kannten keine Gesellschaftsschichten.

Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Dort hinten stand Lola Markovic – das wandelnde zwanzigjährige Klischee, das mit dem Finanzminister verlobt war, der seine verbliebenen Haare über die kahle Stelle an seinem Kopf gekämmt hatte. Ironischerweise stand direkt neben ihm Hank Trent, über den alle wussten, dass er Steuern in Millionenhöhe hinterzogen hatte. Und dennoch war er hier, während Patricia, die einen Fluchtwagen gefahren war, um ihr hungriges Kind ernähren zu können, noch für weitere fünf Jahre im Gefängnis bleiben musste. Bei dem Gedanken an die Ungerechtigkeit verspürte ich das plötzliche Bedürfnis, Hank Trent am Kragen zu packen und persönlich ins MCC zu schleifen, damit er den Platz mit Patricia tauschte.

Als mein Blick auf einen Spiegel fiel, aus dem mir mein eigenes blasses Gesicht entgegenblickte, zog ich die Nase kraus. Mit diesem bodenlangen Kleid unterschied ich mich kaum von den anderen Gästen. Beinahe hätte ich mich selbst nicht erkannt. Eilig wandte ich mich ab, da ich den Anblick nicht länger ertrug. Ich fühlte mich wie eine Hochstaplerin.

Wie lange muss ich heute Abend wohl bleiben? Gelangweilt beobachtete ich die Himbeere in meinem Glas, die zwischen den aufsteigenden Luftblasen fröhlich auf und ab hüpfte, als mich eine hohe Stimme aus den Gedanken riss.

»Devon, wie schön, dich hier zu sehen!«

Ich hob den Blick und es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, meine Mundwinkel zu einem Lächeln zu verziehen.

Vor mir standen Miranda Ling und Erin Sanchez. Wir waren in dieselbe Klasse gegangen und hatten uns bis zu dem Tag des Unfalls gut verstanden. Ich war ein ganz normales Mädchen gewesen. Doch als ich fünf Wochen nach dem Unglück zurückgekommen war, war alles anders gewesen. Ich war anders gewesen. Die Trauer hatte mich stiller gemacht und Erin und Miranda hatten sich, wie alle anderen, von mir abgewandt – während der Zeit, in der ich Unterstützung am meisten gebraucht hätte. Von da an war ich nur noch das Mädchen, das seine Mutter bei dem Unfall verloren hatte.

Dieses Mitleid hatte ich nicht ausgehalten. Damals hatte ich mir eingeredet, dass die Albträume und das Gefühl der Einsamkeit mit der Zeit verblassen würden, doch beides war bis heute geblieben.

»Hey«, erwiderte ich hölzern. Ich würde nicht lügen und sagen, dass ich mich ebenfalls freute, sie zu sehen.

Miranda legte eine diamantengeschmückte Hand auf meinen Arm. »Dein Kleid sieht umwerfend aus! Es ist so … Devon!« Das Kleid sieht aus, als würde es dich tragen und nicht andersrum, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Gespräche auf solchen Partys wurden ausschließlich über Subtext geführt. Über die Jahre hinweg lernte man, was einem die Menschen wirklich sagen wollten.

Ich schluckte. »Danke.« Ihr braucht nicht so tun, als würdet ihr euch mit mir verstehen, nur um euch mit meinem Vater gutzustellen.

Erin stellte ihr Glas ab. »Studierst du immer noch … Was war es noch gleich?«

Ich pustete mir eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Hochsteckfrisur gelöst hatte. »Kriminologie. Ich schreibe gerade meine Abschlussarbeit.«

Erins Lächeln glich einer Maske. »Wie schön! Um was geht es?« Es interessiert mich einen feuchten Dreck.

»Ich untersuche die unterschiedlichen Beweggründe, aus denen Menschen Verbrechen begehen, und befrage dafür eine Insassin im Gefängnis.« Vereinfacht gesagt.

Erin zog die Augenbrauen hoch. »Im Gefängnis? Du gehst da rein und befragst eine Insassin?« Dieses Mal gab es keinen Subtext – der Ekel stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Ein Lächeln zuckte an meinen Mundwinkeln. Aus irgendeinem Grund verschaffte mir ihr Entsetzen große Genugtuung. »Allerdings. Ich war heute dort.«

Miranda runzelte die Stirn. »Ist das nicht gefährlich? Und … dreckig? Wurde dir das Thema zugeteilt?«, fragte sie und versuchte offenbar nachzuvollziehen, warum jemand so etwas freiwillig tun sollte.

»Ich habe mir das Thema selbst ausgesucht.« Ich grinste innerlich. Wenn ich Erin und Miranda jetzt sagte, dass ich mich im Gefängnis wohler fühlte als hier, würden sie mich endgültig als abgedreht abstempeln.

In diesem Moment wurden die Gespräche im Raum leiser und die Aufmerksamkeit auf die breite Tür gelenkt, durch die mein Vater gerade den Raum betrat. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, begrüßte jeden einzelnen Gast mit Namen, tauschte Insiderwitze über gemeinsame Segeltörns aus und kam dann direkt auf mich zu, als hätte er genau gewusst, wo ich stehen würde.

Sein maßgefertigter Anzug passte farblich perfekt zu seinen grauen Augen. Eine Farbe, die man in seinen beinahe schwarzen Haaren vergeblich suchte. Früher hatte ich oft vor dem Spiegel gestanden und mir das Aussehen meiner Mutter gewünscht. Ihre leuchtenden moosgrünen Augen, die lockige blonde Mähne und ihr herzförmiges Gesicht. Leider sah ich für meinen Geschmack etwas zu sehr aus wie mein Vater: dunkelbraune glatte Haare, graue Augen und ein dominanter Kiefer. Doch während er stets alle Aufmerksamkeit auf sich zog, wurde ich meistens übersehen und ging in der Menge unter.

Es war ein Segen.

»Wie schön, euch drei wieder vereint zu sehen!«, sagte er zur Begrüßung und gab erst Erin, dann Miranda ein Küsschen auf die Wange, ehe er neben mich trat.

»Ich finde es so wunderbar, wie viel Geld Sie für die Elefanten in Somalia spenden!«, meinte Erin an meinen Vater gerichtet.

»Simbabwe«, korrigierte ich bitter. »Kinder in Simbabwe.« Ich trank einen Schluck Champagner.

Mein Vater warf mir einen kurzen Blick zu. »Es freut mich, dass es euch gefällt. Simbabwe ist eine Herzensangelegenheit.«

Ich presste die Lippen aufeinander, um nicht laut loszulachen. Miranda hingegen blinzelte lächelnd zu ihm hoch. Mir wurde schlecht. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine meiner Schulkameradinnen meinen Vater ansprang wie ein Eichhörnchen den nächsten Ast.

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass du und Lance euch verlobt habt?«, fragte mein Dad an Erin gerichtet. Ich stutzte. Woher zum Teufel wusste er solche Dinge?

Sie lächelte zuckersüß und streckte eilig ihre Hand aus, als hätte sie nur auf eine Gelegenheit gewartet, uns den massiven Ring unter die Nase zu halten. »Ist er nicht fantastisch?«

»Lance oder der Ring?«, erkundigte ich mich und hob eine Augenbraue.

Erin kicherte verlegen. »Lance natürlich.«

Natürlich. Ich trank mein Glas in einem Zug aus und zerbiss die fröhlich hüpfende Himbeere etwas fester als notwendig.

Mein Vater legte einen Arm um mich, und obwohl es von außen aussah wie eine liebevolle Geste, wusste ich, dass es eine Warnung war. Benimm dich.

»Wir haben selbst wundervolle Nachrichten zu verkünden«, sagte er grinsend und ich sah überrascht zu ihm hoch. »Devon und ihr Verlobter Ian Givins werden im Januar heiraten!«

Wie bitte?! Ich erstarrte und das Blut sackte mir in die Beine. Ich musste mich verhört haben.

»Herzlichen Glückwunsch, Devon!«, riefen Erin und Miranda wie aus einem Mund. Der Leiter des MCC? Guter Fang. Sie hat es nicht verdient.

Die ohnehin bröckelnde Fassade, die ich so mühsam versucht hatte aufrechtzuerhalten, stürzte ein und begrub mich unter ihren Trümmern. »Was zur Hölle?«, zischte ich meinen Dad an. Er lächelte Erin und Miranda entschuldigend zu, ehe er mich am Arm zu einem leeren Tisch am Fenster zog. Ich warf einen letzten Blick in ihre Richtung. Ohne Zweifel posaunten sie die Neuigkeit bereits in alle Welt.

Am Tisch angekommen riss ich mich los. »Das ist ein schlechter Scherz, oder?« Ich starrte ihn ungläubig an und mein Herz klopfte viel zu schnell in meiner Brust. »Du kannst doch nicht einfach entscheiden, wann Ian und ich heiraten! Ich glaube, du hast dich im Jahrhundert vertan –«

»Devon«, mahnte er und ich verstummte.

Sein Gesicht wurde hart. »Du reißt dich jetzt am Riemen. Du verhältst dich, als würde ich von dir verlangen, einen Fremden zu heiraten. Ich bin mir sicher, dass es einen guten Grund gibt, warum du dich mit ihm verlobt hast.«

Den gab es. Es war Angst. Doch davon und von dem Vorfall im letzten Jahr würde ich ihm bestimmt nichts erzählen. »Es ist trotzdem nicht deine Entscheidung, wann wir heiraten«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Mein Dad verengte die Augen und verstärkte den Griff um sein Whiskyglas. Plötzlich war ich wieder fünfzehn, unsicher und wohnte bei meinem Dad.

Er senkte die Stimme. »Ich dachte, du willst mich als meine Tochter im Wahlkampf unterstützen. Ians Mutter Henrietta ist der ausschlaggebende Faktor für den Sieg. Aber eines kann ich dir versichern.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf mich. »Wenn du Ian noch länger hinhältst, wird sie ungeduldig und mich nicht bei der Wahl unterstützen. Klar?«

Ich war sprachlos. Suchte nach Worten, wo es keine gab.

Ungerührt fuhr er fort. »Du wirst mich zu den Events begleiten und Ian im Januar heiraten. Oder willst du mich genauso im Stich lassen, wie deine Mutter es getan hat?«

Ich sog scharf die Luft ein. Geht’s noch? »Sie hat dich nicht im Stich gelassen, sie ist gestorben, Dad!«

»Ja«, erwiderte er unbeeindruckt. »Und beinahe hätte sie dich durch ihr verantwortungsloses Verhalten mit in den Tod gerissen.«

Ich schloss die Augen. Im Sommer vor sechzehn Jahren war meine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Mom, Dad und ich hatten gemeinsam im Penthouse gewohnt, als sie mich eines Nachts mit einem panischen Gesichtsausdruck geweckt hatte. Sie hatte mich in ihr Auto gesetzt und war losgefahren. Einfach so. Ohne Erklärung. Doch als wie aus dem Nichts ein Lastwagen aufgetaucht war und sie versucht hatte auszuweichen, war das Auto mit voller Wucht in das Brückengeländer über dem Chicago River gerast. Durch den Aufprall war es gebrochen, wodurch die vordere Seite des Wagens gefährlich schwankend über dem Fluss gehangen hatte. Der Fahrer des Lastwagens hatte mich gerade noch aus dem Kindersitz befreien können, ehe das Auto mitsamt meiner Mutter in den Fluss gestürzt war. Als sie den Wagen geborgen hatten, war sie bereits von der Strömung davongetragen worden. Man hatte sie nie gefunden.

Ich wusste nicht, warum sie so plötzlich mit mir hatte flüchten wollen, und würde es wahrscheinlich nie erfahren.

Nach dem Unfall war mein Vater so wütend auf sie gewesen, dass er innerhalb eines Tages all ihre Sachen aus dem Apartment geräumt und nie wieder ein Wort über sie verloren hatte. Als hätte es sie nie gegeben. Ob er wütend gewesen war, weil zuvor etwas zwischen ihnen vorgefallen war oder weil sie mich in Gefahr gebracht hatte, wusste ich nicht.

Was ich allerdings wusste, war, dass er stets Perfektion von mir erwartete und insgeheim panische Angst hatte, dass ich so wurde wie sie und mich gegen ihn auflehnte.

»Wenn du Ian endlich heiratest, hat das Vorteile für uns alle. Ich gewinne die Wahl, Henrietta und ich können einander bei unseren politischen Vorhaben unterstützen und du hast einen Mann an deiner Seite, der dir Sicherheit gibt«, fuhr er fort.

»Sicherheit?!«, platzte es lauter als beabsichtigt aus mir heraus. »Himmel, ich brauche keinen Mann, der mir verdammte Sicherheit gibt!«

Elliott schüttelte seufzend den Kopf, als hätte ich eine schlechte Note mit nach Hause gebracht. »Deine Mutter wäre enttäuscht von dir.«

Stille breitete sich zwischen uns aus wie ein giftiges Gas, das aus einer kaputten Leitung austrat.

Ich starrte auf einen der vielen Regentropfen und verfolgte, wie er die Scheibe hinunterglitt, bis er aus meinem Blickfeld verschwand. Irgendwie schaffte er es jedes Mal aufs Neue, mir innerhalb weniger Sekunden ein schlechtes Gewissen zu machen. Auf der einen Seite wollte ich mit ihm nichts zu tun haben, auf der anderen war er das letzte Familienmitglied, das mir noch blieb.

»Wir beginnen zeitnah mit den Vorbereitungen für die Hochzeit. Wenn ich mich nicht täusche, findet deine Ballettpremiere in wenigen Wochen statt?«

Mir wich das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht. Mein Vater hatte mir in meinen ganzen einundzwanzig Jahren, von denen ich bereits neunzehn Jahre lang Ballett tanzte, nicht einmal zugesehen. Weder als ich mit drei Jahren in dem Studio in River North meine erste Ballettstunde hatte noch als ich mit sechzehn schließlich ins Chicago Ballet aufgenommen worden war. Wenn ich nicht so schockiert gewesen wäre, hätte ich mich gewundert, dass er überhaupt wusste, wann meine Premiere stattfand.

»Warum?«

Er strich über sein Kinn. »Ian, sein Bruder, Henrietta und ich werden im Publikum sitzen und als Familie zusehen. Die Presse wird auch dort sein und Fotos davon machen, wie gut wir uns verstehen. Dann werde ich die Gunst des Abends nutzen, um eine Rede zu halten und die Hochzeit offiziell anzukündigen.«

Ich starrte ihn an. Ich war nicht einmal mehr wütend, lediglich schockiert. Er hatte seine Karriere schon immer über mich gestellt, doch seine Skrupellosigkeit erreichte mit dieser Aktion neue Höhen.

»Image, meine Liebe«, fuhr er fort. »Image ist alles.« Er stützte seinen Arm auf dem Tisch ab. »Ich zähle darauf, dass du mich nicht im Stich lässt.«

Er wollte sich bereits abwenden, da das Gespräch für ihn beendet war, als ich mich laut »Nein« sagen hörte. Langsam drehte er sich um und sah mich eindringlich an, wartete, bis ich einknickte. Ich hielt seinem eisernen Blick stand, obwohl ich mich am liebsten unter dem Tisch versteckt hätte. »Auf gar keinen Fall. Nein.« Angsterfüllt hielt ich den Atem an und wartete ab, was passieren würde. Denn Bürgermeister Turner war es nicht gewohnt, dass ihm jemand widersprach. Auch nicht seine eigene Tochter.

Entgegen meinen Erwartungen blieb Dad ruhig. Und aus irgendeinem Grund machte mir das noch mehr Angst als alles andere. »Devon«, sagte er lächelnd. »Wie denkst du, kann ich uns unseren Lebensstil ermöglichen?«, fragte er und zeigte durch den Raum.

Ich verengte die Augen. »Du weißt ganz genau, dass ich schon vor drei Jahren aus deinem Haus ausziehen wollte. Und du weißt auch, dass ich mit Ballett mein eigenes Geld verdiene. Das ist nicht unser Lebensstil, sondern deiner.«

Er lachte leise. »Ian weiß das mehr zu schätzen als du«, stellte er fest und schwenkte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas prüfend hin und her.

Am liebsten hätte ich ihm sein Whiskyglas aus der Hand gerissen und es gegen die Glasscheibe dieses blöden Hotels geworfen. Es stimmte. Dad und Ian verstanden sich so gut, dass ich mich häufig überflüssig fühlte. »Und trotzdem werde ich nicht heiraten, nur damit du wiedergewählt wirst.«

Dad nickte, als hätte er mit meinem Widerstand gerechnet. »Dann machen wir es anders«, sagte er und klang dabei so beiläufig, als würde er mich nach meinem Tag fragen. Was er nebenbei bemerkt nie tat. »Manche Menschen muss man eben zu ihrem Glück zwingen. Du hast ja keine Ahnung, wie viele Personen für die Möglichkeiten, die ich dir biete, töten würden.« Er trank einen großen Schluck seines Whiskys und verzog das Gesicht. »Das ist ja wirklich widerlich«, sagte er, setzte das Glas aber erneut an seine Lippen. Dann sah er wieder zu mir. »Deine Karriere als Ballerina und das Beenden deines Studiums liegen dir am Herzen, habe ich recht?«, fragte er. Als ich nichts erwiderte, fragte er erneut: »Habe ich recht?«

»Ja«, antwortete ich knapp, ohne ihm in die Augen zu sehen.

Seine Stimme war kalt. »Der Präsident der University of Chicago und der Manager des Chicago Ballet sind alte Bekannte von mir. Mehr sage ich dazu nicht. Wenn du Ian heiratest und mich beim Wahlkampf unterstützt, gibt es für dich nichts zu befürchten.«

Mein Herz setzte aus. Er erpresst mich, dachte ich panisch. Er hat die Macht, mir alles zu nehmen, was mir etwas bedeutet. Mit einem Schlag fühlte sich der Saal zu beengend und stickig an. Hilfe suchend blickte ich mich im Raum um, doch es gab kein freundliches Gesicht weit und breit. Zu meinem Entsetzen brannten nun auch noch meine Augen. Nicht weinen. Nicht vor Dad. Nicht weinen.

»Glaub mir, ich tue dir damit einen Gefallen. Ich würde alles tun, damit du nicht vom Weg abkommst und –«

»So endest wie Mom«, beendete ich den Satz bitter. »Ja, ich habe es verstanden.« Mein Herz krampfte sich zusammen und mein Blut rauschte durch meine Adern. Er dachte tatsächlich, dass er mir einen Gefallen tat. Vielleicht redete er es sich aber auch nur ein, um sein Verhalten zu rechtfertigen.

Eine einzelne Träne rollte meine Wange hinunter und ich wischte sie eilig fort, jedoch nicht, ohne dass Dad es bemerkte. Er schnaubte verächtlich und schmetterte sein leeres Whiskyglas mit einer solchen Wucht auf den Tisch, dass es einen Sprung bekam. Mehrere Köpfe schnellten in unsere Richtung. Ich fuhr zusammen.

»Du wirst tun, was ich dir sage. Sonst verlierst du nicht nur deine Karriere, sondern auch deinen Vater.« Er schloss den Knopf seines Jacketts und bedachte mich mit einem letzten Blick. »Du bist meine Tochter, Devon. Aber mach es mir bitte nicht so schwer, dich zu lieben.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ließ mich stehen. In dem Moment, in dem er außer Sichtweite war, begannen meine Tränen zu laufen. Es war mir egal, was die anderen dachten.

Mein Blick fiel auf das Glas mit dem Sprung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis es einen weiteren Riss bekäme. Und noch einen – bis es letztendlich zerbrechen würde.

Genau wie ich.

Kapitel 3

Vor lauter Verzweiflung die ganze Nacht nicht schlafen zu können, war eine Sache. Am Morgen darauf zum Balletttraining aufbrechen zu müssen, bevor die ersten Sonnenstrahlen den Lake Michigan berührten, eine völlig andere.

Ian hatte noch tief und fest geschlummert, als ich die Tür hinter mir zugezogen hatte. Da wir in der Innenstadt wohnten, konnte ich den Weg zum Ballettstudio zu Fuß gehen. Die Sonnenstrahlen wurden vom Morgentau reflektiert, wodurch die Grashalme auf den kleinen Grünflächen im Vorbeigehen glitzerten. Ich liebte es, der Stadt zuzusehen, wie sie erwachte. Supermärkte stellten ihre Waren aus, der Geruch von frischem Gebäck und Kaffee strömte durch die Straßen und Kaufhäuser öffneten ihre mit Lichterketten und Kürbissen geschmückten Türen.

Im zehnten Stock der Ballettakademie angekommen ließ ich meine Trainingstasche auf den Boden fallen. Erschöpft sackte ich auf der schmalen Holzbank zusammen und lehnte meinen Kopf an die Wand. Ich schielte auf den Becher in meiner Hand. Hatte mir der Barista aus Versehen entkoffeinierten Kaffee gegeben? Der Becher war inzwischen leer, doch genauso war es mein Antrieb.

Ich hatte wenig Hoffnung, dass mich das Training von meinen dunklen Gedanken ablenken würde. Die Drohung meines Vaters hatte ihre Spuren hinterlassen. Was blieb, waren ein Engegefühl in der Brust und die Frage, was schlimmer war: Ian im Januar zu heiraten oder mich den Konsequenzen zu stellen, wenn ich es nicht tat. Denn wenn ich eines über Dad wusste, dann war es, dass er keine leeren Drohungen kannte – nur Versprechen.

Es schmerzte mich, es zuzugeben, doch Ian zu heiraten, war meine einzige Option. Das geringste Übel, wenn man so wollte. Wenn ich es nicht tat, würde ich vollkommen allein dastehen, was mir solche Angst einjagte, dass mir übel wurde. Klar, es war äußerst fragwürdig, bei jemandem zu bleiben, den man nicht liebte, doch die Angst vor der Einsamkeit war größer. Außerdem stünde ich ohne meine Karriere als Ballerina und ohne einen Universitätsabschluss vor dem Nichts. Spätestens dann wäre mein Leben ohne Zweifel vorbei.

Ich schluckte schwer und zog die Ballettschuhe aus meiner Trainingstasche, während ich meinen Blick suchend durch den kleinen Raum gleiten ließ. Von Josie war noch keine Spur zu sehen. Die ersten Mädchen verließen bereits die Umkleide, um pünktlich zum Training zu erscheinen. Je näher die Premiere rückte, desto intensiver und anspruchsvoller wurden die Trainingseinheiten. Die wenigen Rollen in der alljährlichen Nussknacker-Vorstellung waren hart umkämpft. Man musste sich gegen Tänzerinnen und Tänzer aus der ganzen Welt durchsetzen, nur um dann im Training bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus gedrillt zu werden. Dennoch konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als genau wie Mom Primaballerina zu werden und ihr Erbe fortzuführen.

Und genau deshalb wurde Zuspätkommen nicht gern gesehen.

Gerade als ich mein Handy in die Hand nahm, um Josie eine Nachricht zu schreiben, tauchte ihr gehetztes Gesicht im Türrahmen auf. Sie murmelte einige Entschuldigungen, als sie sich an den anderen Tänzerinnen vorbeischlängelte, ehe sie mit ihrer für ihre kleine Statur viel zu großen Trainingstasche auf mich zukam.

»Sorry, Dev«, sagte sie außer Atem. Mehrere kleine Locken hatten sich aus ihrem Knoten gelöst. »Ich war schon an der Bahn, als ich umdrehen musste, weil ich meine Hausaufgaben auf dem Küchentisch vergessen hatte«, erklärte sie, während sie die Tasche mit einem dumpfen Geräusch auf der Bank aufkommen ließ.

Josie war erst zwölf und fuhr für ihren großen Traum, Ballerina zu sein, jeden Tag eine Stunde mit der Bahn aus den Außenbezirken Chicagos ins Zentrum. Nach dem Training musste sie direkt zur Schule und kam oft erst spätabends nach Hause.

»Wie war dein erstes Training als Engel gestern?«, fragte ich, während Josie eilig eine braune Strumpfhose in der Farbe ihrer Haut anzog.

»Es ist schwerer als gedacht, die Füße so zu bewegen, dass es unter dem langen Rock aussieht, als würde man schweben.« Sie zupfte wild an der Strumpfhose herum. »Aber ich bekomme es schon hin. Das Einzige, was mir ein bisschen Sorgen bereitet, ist die Schule.«

Ich hob eine Augenbraue. »Warum das?«

Sie seufzte tief. »Ich komme durch das Training mit den Hausaufgaben nicht mehr hinterher.«

Ich nickte. »Das kenne ich gut, Josie. Aber man schafft viel mehr, als man sich zutraut.« Sie sah nicht überzeugt aus. »Außerdem bist du doch gut in der Schule?«

Sie setzte sich unter das Fenster, von dem aus man auf die hohen Gebäude auf der anderen Straßenseite blicken konnte. »Eher durchschnittlich.« Sie zog eine Grimasse. »Und durch das Training verpasse ich viele Unterrichtsstunden.«

»Du kannst nächstes Jahr eine Pause einlegen und dich auf die Schule konzentrieren«, schlug ich vor, wusste aber bereits, dass das keine Option war. Für keine dieser Tänzerinnen.

Josie zog ihre etwas ausgefransten Ballettschuhe aus ihrer Tasche und band sie, als das letzte Mädchen den Raum verließ und wir schließlich allein waren. »Ich würde viel zu weit zurückfallen und meine Fortschritte wären umsonst gewesen.«

»Bevor ich’s vergesse«, sagte ich und durchwühlte meine Tasche. Als ich das knisternde Plastik der Verpackung spürte, zog ich sie hervor und warf sie Josie zu. »Für diese Woche.«

Josie fing die Ballettschuhe mit beiden Händen und sah dann aus großen braunen Augen zu mir hoch. »Devon, du … du musst nicht jedes Mal …«

Lächelnd legte ich einen Finger an meine Lippen und streckte ihr meine Hand hin, um sie auf die Füße zu ziehen.

Josie und ich hatten uns letztes Jahr im Training kennengelernt. Als ich während der Pause in die Umkleide gekommen war, um meine Wasserflasche aufzufüllen, hatte ich sie mit Tränen in den Augen auf dem kalten Boden sitzend entdeckt. Vergeblich hatte sie versucht, ihre bereits auseinanderfallenden Pointe-Schuhe zusammenzunähen.

Ballerinen mussten sich selbst um ihre Schuhe kümmern, die je nach Intensität des Trainings durch den Verschleiß zwei- bis dreimal im Monat ausgewechselt werden mussten. Mit der Zeit konnte das ins Geld gehen. Es war üblich, dass Tänzerinnen ihre Schuhe umnähten oder ein abgerissenes Band wieder daran befestigten. Als Josie jedoch beim nächsten Training immer noch dieselben kaputten Schuhe getragen hatte, war mir bewusst geworden, dass sie es sich schlichtweg nicht leisten konnte, sie zu wechseln.

Also hatte ich ihren Namen in Erfahrung gebracht und in dem Laden, der mit dem Chicago Ballet zusammenarbeitete, nicht nur meine, sondern auch ihre Schuhe abgeholt. Wieder im Training hatte ich die neuen Schuhe in einer Pause unbemerkt in ihre Tasche gesteckt, da ich nicht gewollt hatte, dass es jemand mitbekam und ihr die Situation womöglich unangenehm wurde. Doch irgendwie musste sie es erfahren haben, da sie mir nach dem Training wortlos um den Hals gefallen war.

Ich hatte Josie gerade auf die Füße gezogen, als die Tür des Umkleideraumes geöffnet wurde. Vor uns stand Sara, eine Ballerina, die ich noch aus den Zeiten meiner Ballettausbildung kannte. Sie lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte genervt die Arme vor der Brust. Ihre roten Haare waren so perfekt zu einem Knoten nach hinten gebunden, dass kein Haar dort war, wo es nicht hingehörte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Frisur auch dann noch halten würde, wenn sie den Haargummi rausnahm. »Miss Petrowa will anfangen und ich soll dich holen.«

Natürlich musste sie es sein, die uns das mitteilte. »Wir kommen«, erwiderte ich und schnappte mir meine Wasserflasche.

Sara rollte mit den Augen. »Turner braucht natürlich mal wieder eine verdammte Extraeinladung.«