Copyright © 2023 Sophie Maria Christine Ivanka
The characters and events portrayed in this book are fictitious. Any similarity to real persons, living or dead, is coincidental and not intended by the author. No part of this book may be reproduced, or stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording, or otherwise, without express written permission of the publisher. Devi Letalis neither uses nor supports the use of AI in arts All illustrations by Devi Letalis
Contents
Copyright
Trigger, Playlist und mehr Infos
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Trigger, Playlist und mehr Infos
Wenn du mehr über die Charaktere und ihre Geschichten erfahren möchtest, die in den Inferno’s Forbidden Archives festgehalten sind, findest du sie in:
• How to Steal a Demon’s Heart and Get Away with It• How to Start a Demonic Cult and Get Away with It
• How to Slay a Demon Lord and get away with it
Kurzroman:
How to Ruin a Demon’s Holidays and get away with it
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Prolog
Die wenigsten Menschen sind sich bewusst, dass die Zerstreuung, die einem gegönnt wird, wenn man eine relevante Stelle am Hof der Dämonen innehat, oft rar gesät ist. Doch gerade hier sehnt man sich nach Ablenkung, nach Erheiterung und vor allem nach Geschichten, die einen die tagtägliche Tristesse vergessen lassen.
Natürlich beobachten wir in dieser Sphäre viele Schicksale, zeichnen sie auch auf, wenn sie es denn wert sind, festgehalten zu werden. Die Archive, in denen sich solche Erzählungen aneinanderreihen, Kodex an Kodex, Band an Band, dicht beschrieben in schnörkeligen, manchmal nicht leicht zu entziffernden Handschriften, wie sie heute nicht mehr jeder zu lesen vermag, sind gut gefüllt. Manchmal stößt der ein oder andere junge Dämon bei einem seiner langen Dienste im Palast auf eines dieser verschriftlichten Schicksale. Und manch einer traut sich, an mich heranzutreten, meine Notizen in den Händen, und flüstert nervös die Namen, die sehr gezielt dem Vergessen ausgesetzt wurden.
Mir jedoch kommen diese Namen vor wie alte Bekannte, denn ich habe viel Zeit, viele lange Nächte in ihrer Gesellschaft verbracht. Ich habe ihre Legende höchstpersönlich festgehalten. Eine Legende, so außergewöhnlich, so amüsant und bereichernd und doch von großer Relevanz für das eng gewobene Konstrukt, das unsere infernale Gesellschaft ausmacht.
Die Personen, deren Geschichte ich hier erzähle, sind geplagte Wesen und trotzdem bewundere ich die Art, wie sie mit ihrem Schicksal umgehen – mit Humor nämlich, mit Zusammenhalt und einem faszinierenden Talent, schlechte Entscheidungen zu treffen. Doch wie öde wäre auch eine Erzählung, die nur stabile, konfliktfreie und völlig vernünftige Protagonisten behandelt?
Und genau deswegen gemahne ich jeden jungen Dämon, der über dieses Buch stolpert, hiermit zur Vorsicht. Unsere Hierarchie ist von strengen Regeln geprägt und durchaus bekannt dafür, manchmal etwas grausam zu denen zu sein, die sich über diese hinwegsetzen.
Jenen jedoch, die dieses Werk im Archiv finden und bereit sind, sich voll und ganz darauf einzulassen, werden sich mit Sicherheit nicht nur gut unterhalten finden, sondern auch das ein oder andere über relevante Namen aus unserer nahen als auch der fernen Vergangenheit erfahren.
Die Namen, über die niemand mehr zu sprechen wagt.
Auf dass meiner nicht zu jenen zählen mag:
Devi Letalis
Kapitel 1
Der Regen hatte tagelang unbarmherzig auf die Stadt herabgeprasselt, fast so, als wolle er sie von all den Geschehnissen, die sie verseuchten und ihre Bewohner in Angst und Schrecken versetzten, reinwaschen. Erst kürzlich hatten sich die Unwetter zurückgezogen, doch trotzdem schienen die engen Gassen nicht weniger düster. Die tief stehende Herbstsonne, der nur noch wenige Stunden bis zu ihrem Untergang gegönnt waren, mühte sich, die aschenen Wolken zu durchdringen und selbst, wenn es ihr zeitweise gelang, so reichte ihre Kraft nicht, das düstere Zwielicht, das vorherrschte, zu brechen und die engen Gassen zu erleuchten. Keine Menschenseele befand sich auf den Straßen. Die Dunkelheit schien die Oberhand gewonnen und die Helligkeit bis auf einzelne kleine Flecken verdrängt zu haben, an denen sie verängstigt wartete, bis das Licht der Straßenlaternen die Schatten in die Flucht schlug.
Inmitten des heruntergekommenen Straßenlabyrinths befand sich ein schäbiger, hoher Betonklotz, der seine besten Tage schon hinter sich hatte und der ärmeren Bevölkerung ein günstiges, wenn auch nicht unbedingt gemütliches Obdach bot. Der vergilbte, mit Graffitis besprühte, ehemals wohl weiße Putz, blätterte von der Wand ab, weshalb diese mehr und mehr vom kahlen, leblosen Beton darunter preisgab. Es war eines mehrerer Hochhäuser in diesem Teil der Stadt, die sich gemeinsam darum mühten, die umliegenden Gassen wie unergründliche Schluchten wirken zu lassen.
Eine Gestalt, welche in schwindelerregender Höhe am Rande des Daches hockte, hob sich in der vorherrschenden Düsternis kaum davon ab.
Der lange Mantel verbarg ihre Erscheinung beinahe vollkommen vor zufälligen Blicken, doch in einem leichten Luftzug wehte silbrig-weißes Haar. Unbewegt verharrte der hochgewachsene Mann am Rande des Abgrundes und wartete ungeduldig ab. Hin und wieder streckte er sich und schien ein gelangweiltes Gähnen zu unterdrücken. Endlich jedoch bewegte er den Kopf kaum merklich, ganz so, als suche er etwas zwischen den Reihen der Häuser, die von seiner Position aus gut zu überblicken waren. Er richtete sich langsam auf, spannte sich zum Sprung, ehe er sich mit einem unmenschlich weiten Satz vom Dach katapultierte.
Elegant landete er auf dem Asphalt und richtete sich auf, während er routiniert noch in derselben Bewegung seine Waffe zog. Sein Opfer stieß bei seinem Anblick einen schrillen, kratzigen Laut aus, der in den Ohren schmerzte. Es dauerte kaum einen Lidschlag, ehe dieses leblos vor ihm zu Boden sank.
Sein heutiger Auftrag war kaum der Rede wert, wie er mit einem missmutigen Schnauben feststellen musste. Die Langeweile des Alltags ließ ihn sich nach einem ernstzunehmenden Gegner sehnen, doch am Ende siegte dann doch sein in Ausnahmefällen aufflammendes Verantwortungsbewusstsein. Die kleinen Fische mochten ihn vielleicht tödlich langweilen, doch sie zahlten immerhin die Miete.
Seine Stiefelspitze tippte den reglosen Körper an, der vor ihm auf dem Boden lag, und kaum hatte er es getan, setzte der Verwesungsprozess ein und wenige Momente später erinnerte nur noch ein Häufchen Asche an das Ziel seines Auftrags.
Er ließ das frische Blut von seiner Klinge abperlen, als leise Musik aus den unergründlichen Tiefen seines Mantels ertönte. Er verstaute das gewaltige Schwert, ehe er seine Taschen abtastete und nach seinem Telefon suchte. Der andere Teil seines Lebens verlangte nach ihm.
Mit einem enervierten Laut zog er es hervor und hob ab.
„Ich bin bei der Arbeit. Ich hab’ Ihnen schon so oft gesagt, dass Sie mich nur in absoluten Notfällen stören können“, beschwerte er sich, verstummte aber, als er die Panik in der Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm.
„Er hat was?“, erkundigte er sich ungläubig.
„Es tut mir leid, aber du wirst wieder Schule wechseln müssen, Damien.“ Dante lehnte sich auf der Couch zurück, legte beide Füße auf dem Tisch vor sich ab und öffnete eine Dose mit Limonade, um einen tiefen Schluck zu nehmen.
Sein Sohn wich seinem Blick aus und er wusste, dass es sinnlos war, ihm Vorwürfe zu machen. Er fühlte sich auch so schon unwohl genug in seiner Haut.
„Aber es war nicht meine Schuld, Dad“, erwiderte der Junge kleinlaut.
Dante seufzte leise. Damien schien wirklich ein schlechtes Gewissen zu haben. Das machte es ihm noch schwerer.
„Ich weiß, aber ich kann es nicht ändern. Du kennst das Risiko.“
Damien nickte langsam.
„Sie dürfen nicht erfahren, was wir sind“, fuhr er fort, nachdem er noch einen Schluck getrunken hatte. Vor einigen Jahren wäre es ihm noch gleichgültig gewesen, wenn Menschen dämmerte, dass er sich grundlegend von ihnen unterschied. Doch damals hatte er nur Verantwortung für sich selbst getragen und in seinem beruflichen Metier hatte ein gewisser Ruf durchaus seinen Vorteil. Und nur weil er selbst ohne relevante soziale Kontakte und in einem zwielichtigen Umfeld aufgewachsen war, bedeutete das nicht, dass sein Sohn das auch musste.
Damien starrte das Sandwich auf dem Teller vor sich bloß finster an. „Aber es ist nicht fair.“
Dante lehnte sich vor und stützte seine Unterarme auf den Knien ab. „Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?“
Damien schüttelte nur bestimmt den Kopf.
Dante ließ ein leises Seufzen verlauten. Die Probleme seines Sohns zu lösen, war fast anspruchsvoller als sein Job. „In Ordnung. Ich hab’ heute nicht viel Zeit. Ich werde morgen in deiner Schule anrufen.“
Er erhob sich und ergriff seinen Mantel, den er neben sich über die Couch geworfen hatte. Während er hineinschlüpfte, warf er Damien einen kritischen Blick zu. Er erkannte sich selbst so sehr in ihm wieder und sah nichts von seiner Mutter in ihm. Wie schnell seine Entwicklung vor sich ging und wie reif Damien für seine acht Jahre war, wie häufig seine Fähigkeiten ihn in Schwierigkeiten brachten, bewies ihm ausreichend, dass seine eigene Genetik eigentlich die seiner Mutter überwog.
„Wenn du aufgegessen hast, mach deine Hausaufgaben.“
Dante nahm sein Langschwert von der Halterung an der Wand und maß die Klinge. Irgendwann würde er Damien den kontrollierten Umgang damit beibringen müssen. Doch noch war es nicht so weit, noch war er zu jung. Bis jetzt hatten sich seine Lektionen kaum auf mehr bezogen, als was zum Überleben notwendig gewesen war. Andererseits hatte er selbst in seinem Alter bereits angefangen, die Führung diverser Waffen zu erlernen. Natürlich nicht so motiviert wie sein Bruder, der immer ihrer Mutter nachgeeifert hatte, doch trotzdem …
„Es wird sicher spät. Warte nicht auf mich“, bemerkte er, ehe er sich zur Tür wandte. „Und vergiss nicht, gründlich abzusperren.“
Die Bar war in schummriges Zwielicht gehüllt und der gekonnt inszenierte Bass des Classic Rock Songs, der gerade lief, erschwerte alle Unterhaltungen. Dante saß an seinem Stammplatz an der Theke und nippte an seinem Gin Tonic.
Der Tag war ungewöhnlich ertragreich gewesen. Ob das etwas zu bedeuten hatte? Natürlich war es gut für ihn, dass so viele Aufträge hereinkamen, doch ihre Häufung war mit Sicherheit schlecht für andere. Etwas geschah und er konnte es wie einen unangenehmen Pesthauch fühlen.
Gedankenverloren betrachtete er das Eis in seinem Glas und drehte es gedankenverloren in den Händen. Er hatte den Rest seiner Bezahlung nach getaner Arbeit eingeholt und war nach kurzem Blick auf die Uhr in seiner Stammkneipe eingekehrt. Eventuell wartete hier ja noch ein weiterer Auftrag auf ihn.
Dantes berufliche Tätigkeit fokussierte sich häufig auf spätere Stunden, was es nicht unbedingt einfacher machte, seinen väterlichen Pflichten nachzukommen. Damien schlief mit Sicherheit schon längst und seine nächtlichen Geschäfte vertrugen sich nicht gut mit einem herkömmlichen Tagesablauf. Nachts war er ein anderer Mensch – nun, beinahe jedenfalls.
Er nahm einen weiteren Schluck von seinem Drink und deutete dem Barkeeper, ihm einen weiteren zu bringen.
„Wieso das finstere Gesicht, Dante?“, erkundigte sich dieser, als er noch ein Glas vor ihm abstellte. „Du schreckst noch die Damenwelt ab“, fügte er dann mit einem Grinsen hinzu. Dante ließ ein flüchtiges Lächeln bei seinen Worten zu.
„Was verstehst du schon von der Damenwelt, James? Und hast du mich schonmal angesehen? Nichts auf der Welt könnte sie von mir fernhalten und schon gar nicht dieses Gesicht“, antwortete er mit scherzhaftem Ernst. „Du lässt mich doch heute anschreiben, nicht?“, erkundigte er sich dann mit gespielter Verlegenheit.
Der Barkeeper musterte ihn resigniert und seufzte dann. „Bist du nicht gerade von einem Job gekommen?“
Dante zuckte mit den Schultern. „Ich habe meine Gründe, das musst du mir glauben.“ Zum Beispiel, dass es eine Menge Geld kostete, ein Kind großzuziehen, doch diesen Gedanken behielt er für sich. Es war besser, wenn nicht zu viele Menschen von seinem anderen Leben Bescheid wussten und er wusste nicht, wer mithörte.
„Nun gut, mach dir keine Sorgen. Es hat sich bereits jemand darum gekümmert.“
Dante blickte irritiert auf.
„Die Damenwelt, derer du dich nicht erretten kannst“, erklärte James dann mit Spott in der Stimme und deutete hinter Dante. „Aber denk daran, dass du morgen hier mit Noah verabredet bist. Eine Klientin hat spezifisch nach dir gefragt.“
Er ergriff Dantes leeres Glas und wandte sich mit einem schiefen Grinsen ab, als sich eine Frau zu ihm an die Theke setzte.
„Hi.“ Sie hatte ihre Stimme erhoben, um die Musik zu übertönen. Dante wandte sich ihr mit einem einnehmenden Lächeln zu.
Er war der klassischen Annäherungsversuche eigentlich müde und fand es sehr erfrischend, wenn jemand geradeheraus mit seinen Anliegen war. Smalltalk war einfach nicht sein Ding. Deswegen beantwortete er ihre Frage nach seinem Beruf gar nicht erst, sondern lachte nur. Wenn sie in diese Bar gekommen war, musste ihr bewusst sein, in welchem Umfeld er sich herumtrieb, auch wenn das exakte Fachgebiet seiner Arbeit ihn von den anderen hier unterschied.
Es sei denn, sie war nur aus Versehen hier herein gestolpert, wie eine gewisse andere Frau, die er vor einigen Jahren kennengelernt hatte. Das war so lange her, dass es ihm vorkam, als wäre es ein anderes Leben gewesen. Und auf gewisse Art stimmte das auch.
Doch was auch immer die Beweggründe seines Gegenübers waren, sich in dieser etwas zwielichtigen Gegend aufzuhalten, sie interessierten ihn eigentlich nicht. Nachdem klar war, dass heute keine weiteren Dienste mehr von ihm verlangt wurden, wollte er nur noch etwas abschalten und sich vergnügen. Und das sagte er ihr auch offen.
Die Sonne ging langsam auf und hüllte die Stadt in ihren warmen Schein. Der nahende Winter zeichnete sich bereits ab und es wurde empfindlich kühl in der Nacht. Die Tage wurden kürzer und die verlängerte Dunkelheit tat etwas mit der Stadt. Das Gefühl der Spannung war beinahe greifbar.
Damien warf einen Blick aus dem Küchenfenster und realisierte, dass Raureif auf dem Grasstreifen vor dem Haus lag. Er war nicht sehr kälteempfindlich, doch er konnte klamme Feuchtigkeit auf der Kleidung nicht leiden. Sobald dieser jedoch verdampft war, war die Luft sicher angenehm frisch und fühlte sich sauber an.
Beiläufig huschte sein Blick über die Symbole, die das Fensterbrett zierten, ehe er fortfuhr, sein Frühstück vorzubereiten. Sein Vater war erst vor kurzem nach Hause gekommen, und obwohl er sich bemüht hatte, lautlos ins Haus zu schleichen, war das seiner Begleitung nicht ganz so gut gelungen. Damien war sich sicher, dass er noch schlafen würde und entschied sich dazu, ihm auch ein Sandwich zu richten.
Er packte sein eigenes in seinen Rucksack, ehe er nach kurzem Zögern noch einen Apfel hinzufügte. Er warf einen Blick auf die Uhr, leerte sein Glas Orangensaft und ergriff seine Jacke, die er über einen Sessel in der Küche gehängt hatte, um hineinzuschlüpfen. Er schulterte seinen Rucksack und beeilte sich zur Tür. Damit rechnend, dass sein Vater auch noch schlief, wenn er zurückkehrte, sicherte er den Eingang nicht extra ab. Niemand würde bei ihnen einbrechen, solange Dante da war. Keiner würde sich das trauen.
Der Weg zu seiner Schule war nicht weit. Unter anderen Umständen hätte er sein Fahrrad genommen, doch er hatte noch Zeit und er genoss seinen morgendlichen Spaziergang, wenn sich die Luft so frisch anfühlte. Als wäre die Stadt nicht so verpestet von all diesen …
Ein Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah über die Schulter zurück, konnte aber niemanden erkennen.
Vielleicht war es eine streunende Katze gewesen. Davon gab es in dieser Gegend einige. Dante sagte, es lag daran, dass sich unter ihnen langsam herumsprach, dass er manchmal Futter für sie auf die Veranda stellte. Doch sie taten ihm leid, so ohne richtiges Zuhause, und es war nicht ihre Schuld, dass keiner sie wollte.
Er schritt schneller aus, während seine Gedanken zu dem Geschehen des gestrigen Tages abdrifteten. Es war nicht das erste und vermutlich nicht das letzte Mal gewesen, dass er in Schwierigkeiten gekommen war. Und er hatte nicht gelogen. Es war nicht seine Schuld gewesen. Trotzdem hoffte er, dass Dante verhindern konnte, dass er die Schule wechseln musste. Es war überall dasselbe und es spielte keine Rolle, wo genau sie ihn schikanierten, weil er sich von ihnen unterschied. Dabei wussten sie gar nicht, wie sehr.
Gedankenverloren strich er sein silbernes Haar aus dem Gesicht. Das Geräusch hinter ihm wiederholte sich und diesmal glaubte er, einen Schatten davonhuschen gesehen zu haben. Er passierte eine dunkle, schmale Seitengasse und blieb kurz stehen, um zu versuchen, die Dunkelheit dahinter mit Blicken zu durchdringen. Ein Schaben und Kratzen darin alarmierte ihn zusätzlich, doch er konnte nichts erkennen.
Er beschleunigte seine Schritte abermals. Seine Hände schlossen sich fest um die Träger seines Rucksacks. Es gab keinen Grund, Angst zu haben. Sie würden ihn hier nicht finden, nicht so nah bei ihrem Haus – dafür hatten sie eigentlich gesorgt. Und trotzdem machte sich langsam ein beklemmendes Gefühl in ihm breit. Das Kratzen über Stein wurde lauter. Es verfolgte ihn. Er sah nur kurz über die Schulter zurück und erkannte, dass sich das Licht auf etwas brach. Einer Klinge vielleicht? Es hielt sich in den Schatten verborgen und machte es ihm schwer, Einzelheiten zu erkennen, doch es kam näher.
Was auch immer es war, es hatte es auf ihn abgesehen. Dessen war er sich sicher.
Damien rannte los. Er zog einen kleinen Gegenstand, den er in einem geheimen Fach in einem der Träger seines Rucksacks verstaut hatte, hervor und umfasste ihn fest mit einer Hand. Die Haare auf seinen Armen stellten sich auf, als er das Nahen seines Verfolgers wahrnahm. Etwas in ihm schien auf die Gegenwart, auf die Nähe davon zu reagieren.
Er warf einen weiteren Blick zurück und erkannte lange, spitze Zähne, von denen Geifer tropfte. Es spielte keine Rolle, wie schnell er lief. Das Wesen hatte sich auf alle viere heruntergelassen und es war einfach schneller als er. Er konnte nun beinahe den fauligen Atem seines Verfolgers im Nacken fühlen. Er drehte sich um und warf die kleine Phiole direkt vor die klauenbewehrten Pranken des Wesens. Der Effekt war sogar dramatischer, als er es sich ausgemalt hatte. Es ging in einer Stichflamme auf, ehe es mit einem lauten Kreischen zu Boden fiel und unter Qualen verendete.
Damien wartete einen Augenblick, bis es aufhörte zu zucken, ehe er langsam an den reglosen Körper herantrat. Sein Herz schien in seiner Brust zerspringen zu wollen, doch er beruhigte sich schnell, nun, da die Gefahr gebannt war. Mit der Spitze seines Sneakers berührte er den leblosen Leib seines Verfolgers, der sich daraufhin in einer schmierigen, grauen Substanz auflöste. Angewidert trat Damien von den Überresten, die den rissigen Asphalt besudelten, zurück.
Er sah sich prüfend um. Niemand hatte ihn gesehen. Außer ihm befand sich zu dieser frühen Stunde keine Menschenseele auf der Straße, was ihn auch nicht überraschen sollte. Diese Gegend war nicht unbedingt dafür bekannt, viele Familien zu beherbergen. Sein Vater hatte ihm mal erzählt, dass es früher ein sehr belebtes Viertel gewesen war, doch das hatte sich geändert, seit es mit dieser Stadt zunehmend bergab ging. Inzwischen lebten in dieser Gegend nur noch Taugenichtse, wie sie in Dantes Metier unterwegs waren. Und diese arbeiteten eben zum Großteil nachts.
Doch vor diesen Menschen hatte Damien nichts zu befürchten. Mit ihnen kam er zurecht. Sie wussten, wer er war und würden sich nicht mit seinem Vater anlegen. Er war eher erleichtert, dass niemand gesehen hatte, was eben vor sich gegangen war, denn das hätte nur unangenehme Fragen aufgebracht.
Damien wollte sich soeben umwenden, um seinen Weg fortzusetzen, als ein beunruhigendes Geräusch hinter ihm erklang. Ein leises, gutturales Knurren, das langsam lauter wurde. Sein Atem stockte, als ihm bewusst wurde, dass es aus mehr als einer Kehle drang. Und er hatte seinen einzigen Fluch bereits eingesetzt.
Langsam setzte er sich in Bewegung. Er hatte die irrationale Hoffnung, dass sie ihm nicht folgen würden, solange er nicht loslief. Er hatte das an einem Nachmittag, an dem er alleine zu Hause gewesen war, in einer Naturdokumentation gesehen. Dass Wölfe einen erst verfolgten, wenn man weglief, weil man sich damit als Beute zu erkennen gab. Oder waren es Bären gewesen? Oder Tiger? Aber galt das auch für niedere Kriecher? Er wusste es nicht. Er war noch nie so vielen auf einmal begegnet. Sein Atem ging flach und sein Herz schlug schmerzhaft in seiner Brust, als er versuchte, Ruhe zu bewahren. Der Weg zurück zum Haus waren nur ein paar hundert Schritte, doch er würde niemals so weit kommen, ohne dass sie ihn in der Luft zerfetzten.
Damien passierte die dunkle Gasse, an der er kurz zuvor vorbeigekommen war, und fühlte einen Zug am Ärmel. Er verlor beinahe das Gleichgewicht, als ihn etwas zwischen die eng stehenden Häuser zerrte und mit einer unmenschlich schnellen Bewegung an ihm vorbeihuschte. Nur kurz erhaschte er einen Blick auf dunkles Haar, das unter einer tief ins Gesicht gezogenen Kapuze hervorquoll, ehe die vermummte Gestalt sich den Wesen entgegenstellte.
„Lauf!“ Die Stimme einer Frau. „Ich kann sie nicht lange aufhalten.“
Damien zögerte einen Moment. Er konnte die Fremde nicht alleine gegen die Kriecher antreten lassen. Einer alleine war vielleicht kaum der Rede wert, doch es waren zu viele. Aber was konnte er selbst schon ausrichten? Er war nicht wie sein Vater.
„Lauf, Damien!“, forderte sie ihn abermals auf, dieses Mal lauter. Und die Dringlichkeit ihrer Worte und vor allem der Klang seines Namens zerrissen seine Zweifel und ließen ihn schnell die Flucht ergreifen.
Die modrigen Ziegel und zerbrochenen Fenster der Häuser rechts und links schienen nur so an ihm vorbeizurasen.
Am Ende der Gasse angekommen, bremste er sich hart ein, um nicht mit der gegenüberliegenden Mauer zu kollidieren, und wandte sich nach Links. Das Adrenalin tobte in seinen Adern und er konnte fühlen, wie etwas in ihm darauf ansprach, den Nervenkitzel nahezu genoss. Trotz der Todesangst fühlte er sich beinahe gut.
Mit weit ausholenden Schritten dauerte es nur wenige Augenblicke, ehe er die Mauer, die ihr Grundstück einschloss, erreichte und mit einem eleganten Satz überwand, ohne überhaupt darüber nachzudenken.
Er hatte keine Kontrolle mehr über seine Kräfte. Seine zitternden Finger umschlossen den Türknauf und er sprengte die Haustür kurzerhand aus dem Schloss. Er stieß sie so hart auf, dass sie hinter ihm von selbst wieder zufiel und stürmte die Stiegen hoch zum Schlafzimmer seines Vaters. In seiner Panik vergaß er alle Regeln, die Dante eigentlich aufgestellt hatte, und riss einfach die Tür auf.
„Dad!“, brüllte er. „Sie sind hier!“ Damien wandte sich eilig ab, als er registrierte, dass sein Vater nicht alleine war. Dieser angelte nach seiner Hose.
„Dein Zimmer, du kennst das Prozedere“, wies er ihn an, während er sich eilig anzog, ehe er seine weibliche Gesellschaft bestimmt dazu aufforderte, den Raum nicht zu verlassen und sich ruhig zu verhalten, bis er zurück war.
Dantes Verhalten alarmierte sie und ihre Nervosität steigerte sich noch, als er einen Schrank öffnete, um seine Glock19 Roland Special und ein Schwert hervorzuholen, das beinahe so groß war wie sie selbst.
Seine neue Bekanntschaft beeilte sich, ihre Kleidung überzustreifen und war aus dem Haus gestürmt, ehe Dante eine weitere Warnung aussprechen konnte. Nun gut, es war ihre eigene Verantwortung. Er hatte sie darauf hingewiesen, dass es sicherer für sie wäre, hierzubleiben, anstatt dort hinauszugehen, wo Dämonen die Straßen unsicher machten.
Mit einem schnellen Blick versicherte er sich, dass wenigstens Damien seine Anweisungen befolgt und sich in seinem Zimmer eingesperrt hatte. Er konnte hören, wie der Junge etwas in das Holz der Türe ritzte und konnte den Anflug eines Lächelns nicht zurückhalten. Sein Interesse an all diesem okkulten Kram war etwas, das sie wirklich nicht teilten, doch es handelte sich durchaus um einen nützlichen Wissensbereich und eine ganz gute Option der Verteidigung für seinen Sohn.
Er schulterte sein Schwert, ehe er gelassen die Stufen hinunterschritt. Mit einem Stirnrunzeln betrachtete er das Schloss, das Damien aus der Eingangstür gerissen hatte. Kein Wunder, dass der Junge Probleme in der Schule verursachte, dachte er mit einem Seufzen. Aber er hätte sich in seinem Alter wohl selbst kaum besser angestellt, hätte er jemals die Möglichkeit gehabt, wie ein normales Kind zur Schule zu gehen.
Er schüttelte den Gedanken ab und fokussierte sich auf sein Umfeld. Die Gegenwart der Kriecher lag wie ein Pesthauch in der Luft. Er wandte sich in die Richtung, in der er ihre Anwesenheit wahrnehmen konnte. Leiser Ärger machte sich in ihm breit, als er feststellte, wie viele der Kreaturen in ihre Welt übergetreten waren. Wie gut, dass die Gegend zu dieser frühen Stunde wie ausgestorben war, sonst hätte es wohl noch mehr Tote gegeben und die Gerüchte, die wegen überaus grausamer Morde bereits die Runde machten, enervierten ihn jetzt schon seit Wochen. Das Letzte, was er brauchte, waren noch mehr davon.
Sein routinierter Blick huschte über den vernachlässigten Asphalt, aus dem sich stellenweise kleine Ansammlungen aus Grün drängten. Hier war mehr als ein Kriecher verendet. Was war geschehen? Er hatte durchaus Vertrauen in Damiens Fähigkeiten, doch glaubte er nicht, dass dieser mit mehr als ein, vielleicht zwei der Wesen fertig geworden wäre. Und trotzdem konnte er fühlen, dass sich noch mehr in der Nähe befanden. Seine Schritte führten ihn zu einem verlassenen Gebäude. Es gab viele davon in der näheren Umgebung. Heruntergekommene, alte Ziegelbauten aus Zeiten, in denen diese Gegend vielleicht noch etwas Hoffnung gehabt hatte. Die vergitterten Fenster waren zerbrochen, das massive Holz des Eingangstores wies tiefe Risse auf und der Lack blätterte großflächig ab. Das Geräusch, als er es mit dem Fuß aufstieß, war ohrenbetäubend. Doch es spielte keine Rolle, seine Anwesenheit zu verbergen. Sie wussten bereits, dass er hier war.
Ihre schleifenden, unregelmäßigen Spuren zeichneten sich klar im Staub, der den Boden bedeckte, ab. Dantes Schritte führten ihn zwischen meterhohen Säulen hindurch, die die Decke des alten Fabrikgebäudes abstützten, wobei sie dumpf von den Wänden widerhallten.
Am Ende der Halle gab es nur zwei Wege. Eine Stiege hoch ins obere Stockwerk, während er sich sicher war, dass die schwere Türe, die daneben in die Wand eingelassen war, in den Keller führte und er musste nicht einmal die Krallenabdrücke auf dem Boden verfolgen, um zu wissen, wo sie sich aufhielten.
Die rostigen Scharniere quietschten protestierend, als er die Türe trotz ihres beachtlichen Gewichts mühelos aufzog. Der Gestank, der ihm entgegenschlug, war charakteristisch für ihre Spezies und er wusste sofort, um welche Art von niedrigem Dämon es sich handeln musste. Es waren Kreaturen von animalischem Intellekt, getrieben von Hunger und angezogen von Kraft. Sie jagten normalerweise alleine, außer ihr Nest befand sich in unmittelbarer Nähe. Und der Intensität des Geruchs nach zu urteilen, war dieser Keller, wo sie sich niedergelassen hatten. Es war kein Wunder, dass Damien ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Er musste ein Leuchtfeuer für sie darstellen. Doch wieso hatten sie sich ausgerechnet diesen Ort ausgesucht? Normalerweise würden niedere Dämonen es meiden, zu nahe an ihm zu nisten, denn sie spürten seine Anwesenheit ebenso instinktiv, wie er ihre. Selbst, wenn sie in Damien leichte Beute vermuteten, so wussten sie, was er, Dante, war und dass er eine Gefahr für ihre Art darstellte. Dieses Verhalten war mehr als nur ungewöhnlich. Es sei denn, etwas verdrängte sie aus ihrem gewohnten Umfeld, etwas, das ein stärkerer Jäger war, als sie es waren. Das in der Nahrungskette weiter oben stand.
Seine Pistole war gegen sie kaum von Nutzen. Er zog sein Schwert und rollte mit den Schultern. Nun gut, das Problem wäre in ein paar Momenten getilgt, auch wenn er es normalerweise bevorzugte, wenn die Beseitigung solcher Kreaturen wenigstens ein paar Tage seine Lebenshaltungskosten deckte.
„Gut, dann geht die Runde heute eben auf mich“, murmelte er.
Damien kniete vor einem Stück Pergament auf dem Boden und kopierte mit Kreide die Sigillen direkt auf die dunklen, abgenutzten Holzdielen. Diese antike Seite war eines seiner stolzesten Besitztümer. Es war ein Geschenk gewesen, das sein Vater ihm kürzlich von einem seiner Abenteuer mitgebracht hatte, da er wusste, wie sehr er sich für die alten Künste interessierte. Es handelte sich um einen archaischen Schutzzauber, so viel hatte Damien aus der fremdartigen Schrift entziffern können, doch er hatte noch nicht die Gelegenheit gehabt, ihn auszuprobieren.
Er ließ sich nur kurz von seiner Arbeit abhalten, als er die Rückkehr seines Vaters bemerkte. Hastig entsperrte er die verstärkte Tür und löste die massiven Riegel daran.
Der Dämonenjäger lehnte sich in den Türrahmen und betrachtete sein Werk mit verschränkten Armen. „Weißt du, andere Kinder in deinem Alter können noch nicht mal fließend lesen.“
„Andere Kinder sind auch langweilig“, antwortete Damien ernst und entlockte seinem Vater damit ein leises Lachen.
Sein Wissensdurst lag wohl in der Familie, auch wenn er Dante eher ausgelassen hatte. Er dachte nicht oft an ihn, doch sein Bruder hatte sich stets dadurch ausgezeichnet.
„Vielleicht ist es auch ein angeborenes Talent“, bemerkte Dante. Und vermutlich noch einer der Gründe, wieso es Damien so schwerfiel, Freunde in seinem Alter zu finden. „Ich habe sie jedenfalls bis auf den letzten ausgelöscht. Trotzdem denke ich, es ist besser, du bleibst die nächsten Tage zu Hause, nur um sicherzugehen.“ Er maß Damiens Zimmer mit einem flüchtigen Blick. Es war vollgestopft mit okkultem Kram und Literatur, und überall lagen seine Notizen. Es sah nicht aus, als wäre viel davon Teil seiner Schularbeiten. Wenigstens wusste der Junge, sich sinnvoll zu beschäftigen. „Das wäre nach gestern deinem Lehrer vermutlich ohnehin lieber.“ Und vielleicht überzeugte bis dahin ja irgendein Schulpsychologe die anderen Kinder, dass Damien nicht in der Lage war, einen Klassenkollegen drei Meter weit gegen die nächste Wand zu befördern und sie sich das alles in ihrer Aufregung bloß eingebildet hatten.
Damien nickte resigniert. Er ging eigentlich gerne zur Schule, doch er verstand, wieso es wohl besser war, sich ein paar Tage zurückzuziehen. In ihrem eigenen Haus, das so stark abgesichert war, dass es beinahe einer Festung glich, hatte er nichts zu befürchten. Doch sein Vater wirkte trotzdem beunruhigt. Er war auch noch nie zuvor so nah und von so vielen Dämonen angegriffen worden.
„Was für einen Fluch hast du eingesetzt, um gleich so viele von ihnen zu vernichten?“, erkundigte Dante sich nach kurzem Schweigen.
Damien hatte in der ganzen Aufregung die Gestalt, die ihm geholfen hatte, völlig vergessen. „Dad, da war eine Frau!“, begann er aufgeregt, unterbrach sich dann jedoch selbst, um noch einmal über die genauen Umstände des Angriffes nachzudenken. „Ich glaube zumindest, dass es eine Frau war. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Sie trug eine Kapuze und einen Schal.“ Und wenn er genauer darüber nachdachte, sogar Handschuhe. Jeder Zentimeter ihrer Haut war bedeckt gewesen. „Ich habe nur einen von ihnen getötet. Sie hat den Rest aufgehalten und gesagt, ich soll weglaufen.“
Dante seufzte leise. War diese Stadt einfach überfüllt von mysteriösen Gestalten? Andererseits bot er selbst für Außenstehende vermutlich kein anderes Bild. „Damien, das hast du gut gemacht. Aber sei vorsichtig, wenn du nicht weißt, wer sie ist und vor allem, was sie ist.“
Damien nickte bloß stumm. Trotzdem. Die Frau hatte ihm vermutlich das Leben gerettet. „Sie wusste aber, wer ich bin. Sie kannte meinen Namen.“
„Umso schlimmer“, ächzte Dante. Seine Gedanken rasten. Um wen konnte es sich bei der Unbekannten nur handeln? Und in welcher Absicht hatte sie eingegriffen?
Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf Damiens Schreibtisch stand. Ein klobiges, altes Ding, das er von irgendeinem Flohmarkt angeschleppt hatte. Seine Spekulationen mussten warten. Ihm blieben nur noch wenige Stunden bis zu seiner Verabredung mit Noah. „Oh, ich sollte mich noch etwas hinhauen, bevor ich losmuss.“
Noah war so ziemlich der unpünktlichste Mensch, den er kannte, weswegen er sich auch nicht beeilte, zurück zur Bar zu kommen. Und als er dort ankam, war er froh darüber, dass er nicht mehr Zeit totschlagen musste, bis sein Informant endlich auftauchte. Die abenteuerliche Geschichte davon, wie er schwer bewaffnet seine Eroberung der letzten Nacht aus seinem Haus befördert hatte, hatte bereits rasant die Runde gemacht. Und es mangelte nicht an spannenden Theorien und epischen, neuen Ergänzungen.
Ihm selbst war das dumme Gerede natürlich reichlich egal. Im Gegenteil. Ein exzentrischer, mysteriöser Ruf hatte durchaus seinen Vorteil in seinem Arbeitsfeld, doch könnte er zukünftige sexuelle Abenteuer erschweren.
James winkte ihn direkt durch in einen der Hinterräume und brachte ihm sogleich ein Getränk. „Ich dachte mir, den könntest du brauchen“, bemerkte er mit einem Grinsen. „Und wieder ein ehrenhaftes Abzeichen auf der Weste deines zweifelhaften Charakters.“
„Sie hätte auch nicht ganz so übertreiben müssen.“ Dante lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Es waren nur ein paar kleine Fische, nicht als hätte sie den verdammten Teufel persönlich gesehen.“
James lachte bei seinen Worten leise auf. „Hat sie nicht? So wie es sich anhörte, war sie sogar mit ihm im Bett.“
„Sehr witzig“, bemerkte Dante trocken. Sie wusste ja nicht, wie nah sie der Wahrheit damit eigentlich kam. Wenigstens schien sie Damiens Existenz nicht an die große Glocke gehängt zu haben.
„Aber jetzt im Ernst, Dante. Häuft es sich? Denn im schlimmsten Fall muss ich dich dann als Bodyguard anheuern.“
James und er kannten sich bald fünfzehn Jahre und er war einer der wenigen Menschen in seinem Umfeld, die wussten, was für Jobs er wirklich erledigte – abgesehen von Noah natürlich. Und trotzdem kannte keiner von beiden die ganze Geschichte seiner Abstammung, genauso wie er sich für ihre nicht interessierte. Sie waren kaum mehr als drei eingebildete, halbwüchsige Waisen gewesen, die sich mehr schlecht als recht durchschlugen, als sie sich kennengelernt hatten. Ohne die fürsorgliche und manchmal strenge Hilfe einer Ärztin, die ebenfalls im Untergrund arbeitete, wären sie möglicherweise schon lange bei einem der dubiosen Geschäfte, in die sie manchmal verwickelt waren, getötet worden. Nun, zumindest James und Noah, denn es war verdammt schwer, Dante umzubringen.
James war nur ein paar Jahre älter als er, gerade mal Anfang dreißig, und hatte sich durchaus einen gewissen Namen erarbeitet. Und wenn man eine Bar in einer Gegend wie dieser übernahm und dann auch noch Dante nicht nur zu den Stammgästen, sondern auch zu seinen engeren Freunden zählte, musste man sich früher oder später auf die eine oder andere übernatürliche Überraschung gefasst machen. Das Unglück schien ihn einfach zu verfolgen.
James war ihm nicht böse deswegen, er war es nie gewesen. Im Gegenteil war er erleichtert, dass es mehr im Leben gab, als man auf den ersten Blick sah, und es wurde in Dantes Umfeld wenigstens nie langweilig.
„Du weißt, dass du einer der Ersten bist, dessen Ableben ich verhindern würde, James. In wessen Kneipe könnte ich denn sonst kostenlos trinken?“, antwortete Dante mit einem Grinsen.
James' Augenbraue wanderte ein Stück seine Stirn hoch.
Noah unterbrach mit seinem Auftauchen ihre freundschaftliche Auseinandersetzung. Unaufgefordert zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich mit einem Ächzen darauf fallen. „Ich sag’ es euch, deine Jobs bringen mich noch ins Grab.“
Dante maß ihn kritisch, ehe er einen vielsagenden Blick mit James austauschte. Dieser zuckte nur mit den Schultern und ließ sie alleine zurück. „Hör auf, dich zu beschweren, du schneidest doch ganz gut mit. Vor allem dafür, dass ich die ganze Arbeit habe.“
Noah zog ein Kuvert aus seiner Jacke hervor und knallte es vor Dante auf den Tisch. „Deine Anzahlung.“
„Keine Fotos, keine Akte? Wo sind die Informationen zum Ziel?“ Ihm gefielen die Voraussetzungen für diesen Job schon jetzt nicht.
„Unsere Klientin ist sehr verschwiegen. Entsprechend hat sie auch absolute Diskretion von uns gefordert.“
Dante ließ ein leises Seufzen entfahren. „Wenn du mir jetzt sagst, dass ich den verflossenen Liebhaber von irgendeiner exzentrischen Großerbin umlegen soll, dann gehe ich. Hast du keinen anderen Job für mich?“
„Natürlich. Immerhin bin ich ein Profi. Es geht darum, ein untotes Schaf aufzuspüren und zu erledigen.“ Er wurde von Dantes ungeduldigem Schnauben unterbrochen.
„Ich hab’ in meinem Leben schon viel seltsame Dinge gesehen, aber ich sag’ dir, da verarscht dich jemand nach Strich und Faden.“
„Und das Ganze zahlt nicht mal so viel, wie du James nach einem Abend hier für die Getränke schuldig bist. Also mach nicht so ein Gesicht.“ Noah warf ihm ein schiefes Grinsen zu. „Und wirf lieber einen Blick in das Kuvert.“
Dante streckte die Hand danach aus und nahm es an sich. Es war unerwartet schwer. Er öffnete den Umschlag, sah aber erst hinein, nachdem Noah ihn abermals mit einem Handzeichen dazu aufgefordert hatte.
„Was zur Hölle?“, entfuhr es ihm.
„Es ist echt, ich habe es überprüfen lassen. Deswegen war ich so spät dran.“ Noah grinste. Zusätzlich zu einer Unmenge an Scheinen befand sich darin alt aussehender, schwerer Schmuck.
„Und du bist dir sicher, dass es sich nicht um eine exzentrische, eifersüchtige Alte handelt?“, fragte Dante misstrauisch.
Noah schüttelte bestimmt den Kopf. „Sie war … speziell, so viel kann ich dir sagen. Ich habe selten eine so extravagante Frau gesehen.“
Dante war bis eben gar nicht bewusst gewesen, dass das Wort ‚extravagant‘ überhaupt Teil von Noahs Vokabular war.
„So jemanden siehst du nicht einmal im Fernsehen.“ Seltsam nur, dass er sich nicht im Genauen an ihr Gesicht erinnern konnte. Er wusste nur, dass es einnehmend schön gewesen war.
„Schon verstanden, du bist scharf auf unsere Klientin.“ Dante wedelte ungeduldig mit der Hand. „Hör auf, meine Zeit zu verschwenden und gib mir endlich die Details, damit ich es hinter mich bringen kann.“
Noah wirkte unruhig und suchte nach den richtigen Worten.
„Oh nein.“ Dante machte sicherheitshalber einen Schluck von seinem Gin Tonic.
„Es geht um ein Vampirpärchen, das sich in der Nähe niedergelassen hat“, rückte Noah schließlich damit heraus.
Dante verschluckte sich beinahe. „Verdammte Vampire? Nein, Noah, nein. Erdgebundene Dämonen sind nicht mein Metier. Die sind nicht mal das Schießpulver wert. Sollen sich doch irgendwelche verfluchten Vampirjäger darum kümmern. Die sind doch sicher nicht alle ausgestorben, oder?“
„Unsere Klientin zahlt nochmal das doppelte bei erfolgreichem Abschluss“, wandte Noah eilig ein. Sowenig es Dante gefiel, die Bezahlung war definitiv ein Argument. Vor allem für einen Job, der ihm so leicht von der Hand ging, wie dieser. „Ach verdammt. Manchmal hasse ich dich.“
Kapitel 2
Eine junge Frau lief gehetzt durch die dunklen Gassen. Immer wieder stürzte sie und richtete sich hastig wieder auf. Ihr Atem ging schnell, sie schien schon lange zu laufen. Die Blicke, die sie immer wieder über die Schulter zurückwarf, wirkten vollkommen verängstigt. Hohles Hufgetrappel hallte in den engen Gassen wider und rief entsetzliche Bilder vor dem inneren Auge hervor. Das Ross des Todes mochte wohl so klingen.
Die Frau lief weiter, ungeachtet der Schmerzen in ihren aufgeschlagenen Knien, von denen Blut ihre Unterschenkel herablief. Die kleine Gestalt, die sie verfolgte, verhielt einen Moment und schien das Gesicht in den Wind zu recken – beinahe, als nähme sie ihre Witterung auf. Ein leiser Schrei entfuhr der Frau und sie lief noch schneller.
Dante fragte sich, ob ihre Klientin mit der Stadt so gut vertraut war, wie Noah annahm, denn ihre Wegbeschreibung schien ihm etwas … ungewöhnlich. Sie hatte ihm zwar eine detaillierte Darstellung der Unterkunft der Vampire abgeliefert, doch waren diese aus einem sehr seltsamen Gesichtspunkt geschildert worden. Sie beschrieb kleine, unwichtige Einzelheiten, die seinen Weg dorthin begleiteten, die ihm unter anderen Umständen gar nicht ins Auge gestochen wären. Die Dämmerung war bereits angebrochen, als er sich aufgemacht hatte, seine Ziele zu finden, und die Schatten zwischen dem engen Gassenwerk wurden mit jeder Minute länger. Gut, dass dieser ganze Unsinn, der über Vampire verbreitet wurde, zu einem Großteil der Fantasie einiger einfallsreicher Menschen entsprang. Es spielte keine wirkliche Rolle, zu welcher Zeit er sie aufsuchte – sie folgten keinem, dem Tageslicht angepassten Schlafrhythmus. Obwohl nachts ihre Sinne und ihre Fähigkeiten erheblich gestärkt waren, stellten Vampire für ihn keine relevanten Gegner dar und wenn er sie nach Sonnenuntergang antraf, würden sie ihm hoffentlich zumindest ein bisschen Unterhaltung bieten. Er sah sich so selten einem Kontrahenten gegenüber, der ihn wirklich forderte. Und alles war besser als eine vergebliche Jagd nach einem imaginären Zombieschaf, obwohl es nicht die erste Großstadtlegende wäre, der er den Garaus machte.
Als Dante sich ihrem Nest näherte, war er nur mehr am Rande auf die Beschreibung ihrer Klientin angewiesen. Nun, da er wusste, worauf er es abgesehen hatte, konnte er sie beinahe so stark wahrnehmen wie den Unterschlupf der Kriecher diesen Morgen. Und je näher er ihnen kam, umso stärker wurde das Gefühl. Er machte sich nicht mal die Mühe, seine Anwesenheit zu verschleiern – sie würden ihm ohnehin nicht entkommen können.
Ein rostiges, schmiedeeisernes Tor begrenzte den kleinen Garten, der das alte Gebäude einschloss. Dante hob den Blick. Er konnte Bewegung in einem der spärlich beleuchteten Fenster ausmachen. Konnten sie ihn ebenso deutlich wahrnehmen, wie er sie, nun, da er ihnen so nah war? Oder galt das nicht für erdgebundene Dämonen, wie Vampire es waren?
Er machte sich nicht die Mühe, das Tor zu öffnen – es hätte unnötigen Lärm verursachen und eventuelle Zeugen alarmieren können – und setzte einfach über den Zaun hinweg. Das Haus dahinter hatte auch schon bessere Zeiten gesehen, wie er feststellte. Es erinnerte ihn ein wenig an seine eigene Behausung.
Zu seiner eigenen Überraschung war die Eingangstüre nicht verschlossen und ließ sich lautlos öffnen. Seiner Körperhaltung war nicht anzumerken, dass er routiniert seine Umgebung sondierte. Er wirkte nicht im Geringsten angespannt. Schwere Vorhänge verhängten die Fenster im unteren Stock, um das schwache Sonnenlicht, das die Straßen davor noch erhellte, auszusperren. Lautlos und mit traumwandlerischer Sicherheit bewegte er sich durch die dunklen Zimmer. Er kontrollierte sie schnell auf eventuelle Gegner, wandte sich dann aber den Stufen zum oberen Stockwerk zu, in dem er die Bewegung hinter einem der Fenster wahrgenommen hatte.
Ein sachter Lichtschein drang aus einem der Zimmer und erhellte den Gang davor ausreichend, sodass Dante die restlichen, davon abzweigenden Türen beinahe taghell wahrnehmen konnte. Er konnte leise Musik aus dem Raum vor sich hören. Eine zarte Stimme summte bei der Melodie mit.
Eine Gestalt stand am Fenster, das zum Garten hinausführte. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt und war gründlich vermummt, um sich vor den letzten Strahlen der Sonne zu schützen. Trotzdem kam ihm etwas an ihr seltsam vertraut vor.
Er war nicht der Typ, um jemanden hinterrücks feige zu ermorden, nicht mal ein dämonisches Wesen. Er räusperte sich, woraufhin sich das Geschöpf langsam zu ihm umwandte. Dante wusste, dass es sich bei dem Pärchen um einen Mann und eine Frau handelte. Von der Statur und der Stimme her zu urteilen, handelte es sich bei der verhüllten Gestalt vor ihm um zweitere.
Sie machte eine herausfordernde Geste in seine Richtung. Das Licht der Kerzen spiegelte sich in den Gläsern der Sonnenbrille, die sie unter ihrer Kapuze trug. Ein Schal verhüllte den Rest ihres Gesichtes. Ihre Erscheinung erinnerte ihn an Damiens Erzählung von seiner mysteriösen Retterin. War sie diejenige, die ihm die Flucht ermöglicht hatte? Und woher kannte sie seinen Namen?
Sie zögerte keinen weiteren Moment, ihn zu attackieren. Ihre Bewegungen waren übermenschlich schnell, doch sie hatte Dante nicht viel entgegenzusetzen. Sie war unbewaffnet und er schätzte, dass sie für einen Vampir noch recht jung war und ihre Kräfte sich nicht voll entfaltet hatten.
Und er war mit Sicherheit der erfahrenere Kämpfer. Er schlug ihre Faust mit dem Unterarm zur Seite und ließ sie an sich vorbei stolpern. Er ergriff sie kurzerhand am Schal und zog ihn herunter. Langes, dunkles Haar quoll unter dem Stoff hervor.
„Wieso hast du Damien geholfen?“ Er blockte ihre nächste Attacke, die auf sein Gesicht zielte, ab und packte ihre Hand. Er drückte unbarmherzig zu und zwang sie in die Knie. „Das warst doch du, nicht?“
Sie ächzte leise vor Schmerz. „Los, bring es zu Ende.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Eine Stimme, die er seit so langer Zeit nicht mehr gehört hatte. Er zerrte die Kapuze von ihrem Kopf und lockerte seinen Griff.
Mit ihrer freien Hand zog sie die Sonnenbrille von ihrem Gesicht.
Der Ausdruck um Dantes Mund wurde hart. „Wieso?“, fragte er schlicht. Sie senkte den Kopf, hielt seinem Blick nicht stand.
„Sie hätten ihn getötet.“ Sie klang heiser, als drängte sie ihre Tränen zurück.
Er ließ sie vollends los und machte ein paar Schritte von ihr zurück. „Und nun interessierst du dich plötzlich dafür?“ Ein leises Lachen drang aus seiner Kehle. „Ich hielt dich für tot! Was zur Hölle ist passiert? Wo warst du all die Jahre?“
Mit zitternden Händen faltete sie die Bügel der Sonnenbrille und bettete sie auf ihren Schoß, ehe sie zu ihm aufsah. Ihre Augen waren blass, ganz anders als früher. Aber war sie überhaupt die Frau, die er gekannt hatte?
„Es tut mir leid“, antwortete sie tonlos.
„Was tut dir leid? Dass dein Sohn denkt, seine Mutter wäre tot? Davon, dass ich ihn seit Jahren alleine aufziehe, will ich gar nicht anfangen.“
Es war schwer gewesen und sicher nicht das Leben, das er sich vorgestellt hatte. Noch mehr, wenn die Frau, mit der er ein ungeplantes Kind hatte, nicht lange nach der Geburt von Dämonen getötet wurde. Und nun fand er auf diese Art heraus, dass sie die ganze Zeit über am Leben war und sich nicht die Mühe gemacht hatte, sie davon in Kenntnis zu setzen.
„Du hast ihn zurückgelassen. Was gibt dir das Recht, dich jetzt plötzlich einzumischen?“ Er ließ ein verzweifeltes Geräusch verlauten. „Wenn er es herausgefunden hätte, was hätte das mit ihm gemacht? Soll er denken, du hättest ihn nicht gewollt und deswegen einfach bei mir ausgesetzt? Seinem Dämonen jagenden, trinkenden, überforderten und unfähigen Vater.“ Er fluchte leise und wandte sich von ihr ab, um aus dem Fenster zu blicken. Seine Finger gruben tiefe Furchen in das morsche Holz des Fensterbretts, als er um Fassung rang.
„Dämonen jagend … Ja, exakt, das ist der Punkt.“ Sie erhob sich langsam, wobei sie sich noch weiter von ihm entfernte. „Du hättest jedes Recht mich zu töten, aber denk ja nicht, dass Damien mir egal wäre, dass ihr mir egal wäret. Es schmerzt mich, Dante. Ich bin eines der Wesen, das du verabscheust. Ich wollte dir so nicht unter die Augen treten.“ Sie wagte nicht, ihn anzusehen.
Er schnaubte wütend auf. „Bist du völlig wahnsinnig, Ceres?“ Seine Gedanken rasten. Damiens Mutter war am Leben. Eine Frau, die sein Sohn nie kennengelernt hatte und die, wie es aussah, jetzt ein verfluchter Vampir war. „Was zur Hölle!“ Er rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und lachte abermals. „Wieso, Ceres? Wie kommst du darauf? Wieso sollte ich dich töten?“ Seine Stimme klang bitter.
„Weil ich nun ein Dämon bin“, antwortete sie leise.
„Und wie sollte ich das Damien dann beibringen? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?“
Sie legte ihre Sonnenbrille auf einer Kommode ab, nachdem sie sich mit einem schnellen Blick davon versichert hatte, dass das Abendlicht, das ihr so in den Augen schmerzte, bereits Vergangenheit war. „Aber ist das nicht, wieso du hier bist? Um mich umzubringen, weil ich mich ihm zu erkennen gegeben habe?“
Dante wandte sich um und betrachtete sie irritiert. „Bis gerade eben habe ich nicht einmal gewusst, dass du nicht irgendwo unter der Erde liegst, so wie es sich für Tote eigentlich gehört.“ Er schüttelte den Kopf, als er sich ihr mit langsamen, gemessenen Schritten näherte. „Nein, das hier war nur ein Zufall. Ein Auftrag.“ Den er nun nicht erfüllen konnte. Wie sollte er Noah das bloß erklären? Er musste schleunigst seine Gedanken sortieren.
Dante nahm sich die Zeit, sie näher zu mustern. All diese kleinen Veränderungen, die porzellanartige Beschaffenheit ihrer Haut, die leichte Rötung ihrer Wangen, die ihm verriet, dass sie sich vor nicht allzu langer Zeit genährt hatte, die unnatürliche Blässe ihrer Iriden, als wären ihre Augen die einer Toten.
Ceres legte den Kopf schief und starrte an ihm vorbei. Sie schien etwas zu lauschen, das nur sie vernehmen konnte. Ihr Blick füllte sich plötzlich mit Panik.
„Dante, du musst gehen“, forderte sie ihn auf.
„Aber ich war noch nicht fertig!“, protestierte er, als sie ihn am Arm ergriff und näher Richtung Fenster zog. „Ich will wissen, was in jener Nacht geschehen ist!“
Sie öffnete es mit einer hektischen Bewegung. „Und das ist auch dein gutes Recht. Aber nicht heute.“
Sie deutete nach draußen. „Du musst gehen, jetzt. Ich meine es ernst.“
„Aber wegen Damien!“ Sie ignorierte seinen Protest und verpasste ihm einen Stoß zwischen die Schulterblätter. „Darf ich wenigstens die Stiegen benutzen?“
Ihre Stimme hatte einen gehetzten, panischen Unterton angenommen: „ER kommt zurück. Geh jetzt, bevor es zu spät ist.“
Dante zog eine Augenbraue hoch. „Er? Meinst du deinen Partner? Wieso sollte ich wegen eines Vampirs einfach so den Schwanz einziehen?“
Sie schüttelte den Kopf. Der Ausdruck der Nervosität auf ihrem Gesicht alarmierte ihn. „Du verstehst nicht. Du weißt nicht, wie er ist. Bitte. Ich will keine Schwierigkeiten.“
Es lag Dante ganz und gar nicht, sich nun einfach zurückzuziehen und das Thema ungeklärt zu lassen. Doch er kannte sie zumindest gut genug, um zu wissen, dass sie nicht bereit war, ihr Gespräch jetzt weiterzuführen. Er zog sich durch die knappe Öffnung des Fensters.
„Halt dich von Damien fern, bis wir das geklärt haben. Und vor allem, halt ihn von Damien fern“, wies er sie eindringlich an, ehe er mit einem behänden Satz in der Wiese vor dem Haus landete und das Grundstück ihr zuliebe verließ.
Leises Donnergrollen in der Ferne kündete vom Nahen eines weiteren Wolkenbruchs. Dante zog die Schultern hoch und steckte die Hände tief in die Taschen seines Mantels, als ihm der Wind schneidend ins Gesicht fuhr und die Schöße des Mantels wie dunkle Schwingen hinter ihm aufsteigen ließ. Dumpf hallten die Schritte seiner schweren Stiefel durch die Gassen.
Er wusste nicht, wie er Damien beibringen sollte, dass seine Mutter noch lebte. Oder sollte er ihm überhaupt Bescheid sagen? Es war immerhin seine Mutter, er konnte sie ihm eigentlich nicht vorenthalten. Und was war mit diesem suspekten Vampir, wegen dessen Ceres ihn so übereilt auf die Straße gesetzt hatte? Er konnte ihn jetzt schon nicht leiden. Nicht, weil er eifersüchtig auf Ceres neuen Partner war – so ernst oder eng war sein Verhältnis zu ihr nie gewesen. Ohne die Schwangerschaft wäre es zwischen ihnen vermutlich nie zu mehr als ein paar unterhaltsamen Abenden gekommen. Nein, er konnte Ceres’ mysteriösen „Er“ nicht ausstehen, weil er den Blick in ihren Augen gesehen, die Panik gespürt hatte, die sie seinetwegen ausstrahlte. Was für ein unheimlicher Kerl.
Er seufzte bei dem Gedanken, dass er Noah noch erklären musste, wieso er seinen Auftrag nicht erfüllt hatte und ihnen damit ein ganzer Haufen Geld durch die Lappen gehen würde. Doch vielleicht hatte er doch noch eine Chance, zumindest eine Hälfte des Vampirpärchens auszuschalten. Er grinste bei dem Gedanken. Er sehnte sich nach einem Drink. Wenn er darüber nachdachte, konnte er es Noah genauso gut noch heute gestehen und sich dabei gleich noch ein wenig volllaufen lassen. Es war seiner Meinung nach durchaus legitim, nach dem Schock, den er soeben erlebt hatte. Er schlug grob die Richtung von James Bar ein.
Gedankenverloren rieb er sich über das Kinn, als ein Schrei die Stille zerriss. Eine junge Frau taumelte um die Hausecke und rempelte ihn dabei an. „Bitte, hilf mir … es ist direkt hinter mir.“
Der Wind trug einen ungewöhnlichen Geruch heran – der sachte, jedoch unverkennbare Duft von Apfel und Zimt.
„Um Himmels willen!“, entfuhr es der Frau, als ein kleines Schäfchen um die Ecke lief, wobei es den Eindruck erweckte, als würden seine Gliedmaßen sich ohne sein Zutun und ohne jegliche Ordnung bewegen und als wäre es nur eine Frage von Sekunden, ehe die Beine sich verhedderten und es stürzte.
Abrupt hielt es an, blickte sich aus blutunterlaufenen, gebrochenen Augen um und blökte das hohle Blöken eines Zombieschafes.
„Nein, echt jetzt!“, entfuhr es dem Dämonenjäger. Er hatte nicht zuletzt wegen seiner ungewöhnlichen Einkommensquelle bereits so einige merkwürdige Dinge erlebt, aber trotz allem war die Existenz eines untoten Schafes mehr, als er akzeptieren konnte. Blut troff aus dem Maul des Tieres, während der Ausdruck auf seinem stumpfsinnigen Gesicht völlige Zufriedenheit ausstrahlte.
Das Opfer, das es sich auserwählt hatte, ergriff zu seinem Leidwesen eilig die Flucht und sein Fokus legte sich auf ein potenzielles, neues Abendessen, das ihm in Form des Dämonenjägers gegenüberstand.
Dante seufzte und strich sich sein silbernes Haar zurück. „Eigentlich hatte ich heute schon Feierabend.“ Er zuckte mit den Schultern und zog seine Glock19, die er bis jetzt unter dem Mantel verborgen getragen hatte, um dem Schaf ein Ende zu bereiten.
Dieses blickte ihn bloß aus seinen gebrochenen Augen an, während seine Kiefer weiterhin ein Stück Fleisch bearbeiteten, das es Gott weiß aus wem gebissen hatte. Seine ehemals flauschige Wolle war blutverkrustet und stellenweise löste sie sich samt Haut von seinem Fleisch.
Erste Regentropfen trafen mit einem leisen Klopfen auf den rissigen Asphalt. Dante hob den Kopf, um zum wolkenverhangenen Himmel aufzublicken.
Das hatte ihm noch gefehlt.
Das Schaf drehte sich um und verschwand so schnell, dass er gar keine Zeit fand, zu reagieren. Nun, das war etwas, dem man eigentlich auf den Grund gehen sollte, aber genau genommen hatte er bei der angebotenen Bezahlung keine Lust, sich darum zu kümmern. Nicht nach dem, was gerade vorgefallen war. Er war nicht in der Stimmung und ein paar Getränke warteten auf ihn.
In einer Sackgasse kroch silberner Nebel über den Boden, als wäre er ein eigenständiges Lebewesen. Schlangenartig zog er sich über das Pflaster, um dann an der Wand hochzuklettern und eine junge Frau freizugeben.
Ein Obdachloser, der unter einem leeren Karton Zuflucht gesucht und das Schauspiel beobachtet hatte, zog sich eilig tiefer in die Schatten zurück, als ihr prüfender Blick ihn streifte. Das ganze Schauspiel ihres Auftauchens war vollkommen unnötig, aber sie fand Gefallen daran, eventuelle Beobachter, die eigentlich immer zugegen waren, wenn sie es auf die passende Dramatik anlegte, damit einzuschüchtern.
Beinahe augenblicklich hatte der schwere Regen ihre Kleider durchdrungen. Sie verdrehte genervt die Augen, ehe sie das nasse Haar zurückstrich, das an ihrem Hals klebte. Innerlich ärgerte sie sich, denn da der Boden beinahe vollkommen mit Regenwasser bedeckt war, wurde der Effekt ihrer Absätze auf dem Pflaster beinahe vollkommen ruiniert.
Aufrecht, als würde sie die Last des Wassers, das auf sie herabtrommelte, gar nicht berühren, trat sie aus der Gasse. Das Geräusch von leisem Hufgetrappel näherte sich ihr und der Duft von frisch gebackenem Apfelstrudel konnte selbst vom schweren Regen nicht völlig unterjocht werden.
Die Frau bewegte sich in die Richtung, aus der sich ihr das Zombieschaf zu nähern schien, wobei sie eine Selbstgefälligkeit ausstrahlte, als wären die Straßen, durch die sie sich bewegte, sowie alle eventuell darin befindlichen Lebewesen ihr Eigentum.
Das Schaf tapste in den Lichtkegel einer Straßenlaterne, sodass seine ganze untote Wesenheit im besten Licht erschien.
„Wie siehst du nur aus?“, entfuhr es ihr entsetzt. Sie trat an das Schaf heran und beugte sich zu ihm herab, um seinen Kopf zu kraulen, während dieses weiterhin mit zufriedenem Gesichtsausdruck kaute. „Puschel, was habe ich dir zum Verspeisen von Menschen gesagt?“ Natürlich wartete sie nicht wirklich auf eine Antwort von dem Zombieschaf, aber mit den Jahrhunderten wurde man eben etwas eigen. „Du musst aufpassen, was du isst. Sieh dir mal deine Wolle an, die hat auch schon mal besser ausgesehen.“ Als würde Puschel sich ernsthaft für ihr Aussehen interessieren. Jedoch ließ sie normalerweise das Gerede ihrer Herrin über sich ergehen. Aus langer Zeit gründlicher Beobachtung wusste Puschel, dass sie sehr ungemütlich werden konnte, wenn man sie verärgerte.
„Määääähhh!“, erklang Puschels düsteres Blöken, was so viel hieß wie: „Man muss sich doch irgendwie amüsieren. Und ich bin ein Zombieschaf – allzu viele Möglichkeiten bleiben mir also nicht.“
Das Schaf blickte zu seiner Herrin auf, als diese sich umwandte und prüfend die Umgebung maß. Eine Anwesenheit war stark wahrnehmbar, nicht sehr weit entfernt und ausgesprochen beachtlich. Und genau in der Richtung, aus der Puschel gekommen war. Ein süffisantes Grinsen verzog ihre Lippen für einen Moment.
„Hast du einen neuen Freund gefunden, meine Süße?“, erkundigte sie sich beim Schaf. Nun, das war etwas, worum sie sich später kümmern müsste, denn nun war es an der Zeit für sie, auf die Jagd zu gehen, um ihren Plan zu vollenden. Puschel trabte treu hinter ihr her, als sie in der Dunkelheit verschwand.
Kapitel 3
Als Dante in der Bar ankam, war Noah nicht auffindbar. James beantwortete seinen suchenden Blick, dass er vor wenigen Minuten gegangen war, aber bald zurückkäme. Immerhin wollte er mit Dante noch auf ihre fette Beute anstoßen. Der Dämonenjäger ließ ein verlegenes Grinsen aufblitzen, als er das vernahm. Da würde Noah wohl noch eine Enttäuschung erleben.
James ließ ihn nicht lange auf ein Getränk warten, obwohl die Bar gut gefüllt war – der Vorteil davon, mit dem Besitzer befreundet zu sein.
Dante lehnte sich an die Theke und nippte an seinem Drink, während sein Blick durch den Raum glitt. Der stampfende Bass der Musik, die vielen Gäste, die in Gespräche versunken beieinandersaßen. Wie so oft fühlte er sich, als stünde er nur am Rande, als Beobachter dieser Menschen und ihrer gewöhnlichen Leben. Sie würden nie wissen, was in den Schatten lauerte und ihre bedeutungslose und vor allem kurze Existenz bedrohen konnte. Dieses Wissen war etwas, das ihn immer von ihnen trennen würde. Das und natürlich seine Vergangenheit. Ein bitteres Lächeln huschte bei dem Gedanken über seine attraktiven Züge.
Da saßen sie, gingen ihren normalen abendlichen Aktivitäten nach, tranken, flirteten, lachten und er war gerade erst von einem Job zurückgekehrt, der den Tod zweier Vampire hätte bedeuten sollen. Manchmal kam ihm die Kluft, die ihn von den Menschen trennte, unüberwindbar vor.
Und er war es, der die meiste Zeit zwischen ihnen und dem sicheren und sehr grausamen Tod durch dämonische Jäger stand, und sie nahmen ihn hier nicht einmal wahr. Keiner beachtete ihn, obwohl er keine unauffällige Person war. Hochgewachsen, das unpigmentierte Haar, das das rötliche Flackern der Lichtanlage reflektierte, der dunkle Mantel, der bis über seine Knie reichte.
Ob sie fühlen konnten, was ihn von ihnen unterschied?
James und Noah hatten es sehr früh erkannt, aber als sie sich kennengelernt hatten, war es etwas anderes gewesen. Er hatte damals noch nicht gelernt, wie er seinen dämonischen Teil vor ihnen verschleiern konnte. Oh, sie waren so verdammt jung gewesen, so unerfahren.
Er lachte leise, ehe er noch einen Schluck nahm und weiter die Gäste der Bar beobachtete. Sogar die kleinen Nischen, die James in die Wände eingelassen hatte, damit seine Besucher das Gefühl von etwas Privatsphäre bekamen, waren gut gefüllt.
Dantes Blick strich über die Menschen, die so völlig in ihrer Sphäre versunken zu sein schienen, und dann traf er den einer Frau. Sie saß in einer der Nischen und beobachtete ihn. Nach einem Moment schenkte sie ihm ein einnehmendes Lächeln und hielt den Blickkontakt zu ihm aufrecht, während sie sich näher zu ihrer Begleitung, die neben ihr saß, beugte, als diese ihr etwas ins Ohr flüstern wollte – nun, vermutlich sehr laut flüstern, immerhin war es in dem Raum ziemlich laut. Doch die Art und Weise, wie sie es tat: Als würde sie ein Geheimnis mit ihr teilen, das, gemessen an dem anzüglichen Lächeln der Frau, die ihn immer noch beobachtete, eindeutig anstößig war. Sie legte ihre Hand auf den Oberschenkel ihrer Begleitung und schob sie langsam höher, bis sie unter dem Saum ihres kurzen Rockes verschwand.
Sie musste wissen, dass er es aus seiner Position an der Theke sehen konnte, was nur bedeutete, dass sie es darauf anlegte. Er schnaubte, nahm mit einem sachten Kopfschütteln einen weiteren Schluck und unterdrückte ein breites Grinsen.
Die Frau überschlug ihre Beine, wobei der hohe Schlitz ihres Kleides mehr von ihrem Oberschenkel preisgab. Sie stützte ihre freie Hand auf dem Tisch vor sich ab und bettete ihr Kinn auf ihren Handrücken, während sie ihm mit einem leichten Schmunzeln und einer Kopfbewegung deutete, zu ihnen zu kommen.
Er zögerte einen Moment. Nicht, weil er nicht neugierig oder dazu bereit gewesen wäre, sondern weil er gelernt hatte, auf seine Instinkte zu hören. Die dunkelhaarige Begleitung der Frau vergrub gerade ihr Gesicht an ihrem Hals. Diese schloss genüsslich die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Ihm fiel auf, wie sie ihr Gewicht leicht verschob, als sie ihre Schenkel eng aneinanderpresste.
Nun gut, was hatte er schon zu verlieren?
Er leerte sein Glas in einem Zug und stellte es auf der Theke ab, bevor er einen Blick mit James austauschte, der realisiert hatte, was vor sich ging und ihm mit einem Grinsen ein frisches Getränk reichte. „Aber bitte, diesmal ohne neue Gerüchte“, scherzte er.
Dante verdrehte gespielt entnervt die Augen, ehe er sich umwandte und sich zwischen den Tischen hindurch zu der Nische vorarbeitete.