Humpelstilzchen - Ursula Wohlfahrt - E-Book

Humpelstilzchen E-Book

Ursula Wohlfahrt

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Beschreibung

Der Kunstprofessor August Ogüst hat überaus kostbaren Schmuck von seiner verstorbenen ersten Frau geerbt. Während er mit Freunden und angesehenen Bürgern seiner Heimatstadt seinen 60. Geburtstag feiert, werden die wertvollen Juwelen gestohlen und August Ogüst gerät in Bedrängnis.

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Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2022

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in memoriam Inge

Der Erlös dieses Buches ist für das HILFSWERK EIFEL bestimmt.

Inhaltsverzeichnis

Mittwoch, 3. September

Donnerstag, 4. September

Freitag, 5. September

Samstag, 6. September

Sonntag, 7. September

Montag, 8. September

Dienstag, 9. September

Samstag, 20. September

Mittwoch, 3. September

„So einen heißen und trockenen Sommer hatten wir noch nie“, überlegte August.

Im Juli hatten wir schon eine Woche lang Temperaturen um die 40 Grad. Jetzt, Anfang September, ist es wieder so heiß. Seit Tagen hing eine Hitzeglocke über der Stadt, die Menschen, Tieren und Pflanzen das Leben schwer machte. Die gestressten Bäume hatten ihre welken Blätter schon abgeworfen, viele Bäume waren vertrocknet.

Die Natur sah schon ganz herbstlich aus. Wie Mitte Oktober. Es war aber erst September, Mittwoch der dritte September.

August war auf dem Weg zur letzten Probe bei seinem Freund Peter. Sie probten schon seit drei Wochen für den Auftritt am Samstag.

Peter wohnte in der Nähe von August, der kürzeste Weg führte durch den Stadtpark.

August liebte den Park mit den alten Bäumen und den mannshohen Rhododendronbüschen.

In der Mitte des Parks lag ein Teich, der zu einem kleinen Tümpel geschrumpft war. Einige Enten und zwei Schwäne zogen dort ihre Runden. Ein paar Teichhühner versteckten sich in dem halbvertrockneten Schilf am Ufer.

Blumenrabatte umsäumten die großen Rasenflächen an den Eingängen zum Park. Der Rasen hatte große braune Stellen, die Blüten kümmerten vor sich hin und hatten großen Durst.

August vertrug die Hitze nicht gut. Er legte eine Verschnaufpause ein und setzte sich auf die Bank unter der alten Kastanie, die er so liebte.

Sie hatte den Sommer erstaunlich gut überstanden. Sein Blick fiel auf sein Lieblingsbeet. Dort dominierte die Farbe Blau.

Blau liebte er besonders.

Der hell - und dunkelblaue Rittersporn blühte nur noch spärlich zwischen den weißen Rosen und den Vanilleblumen, die ihre Kraft zum Duften verloren hatten. Der Frauenmantel hing müde um sie herum.

Kinder hatten ihren Spaß daran, mit ihren Schuhen das trockene Laub auf der Erde zu durchpflügen. Es raschelte dann so schön.

August vermisste den Duft des Sommers und erinnerte sich an seine Kindheit.

Im Garten seiner Großeltern erschnupperte er zu jeder Jahreszeit andere Gerüche:

Im Winter überlagerte der zarte Duft des Schneeballs den Geruch des Schnees.

Im Frühjahr sog er den Duft des Flieders und der Maiglöckchen ein, im Sommer berauschte er sich an dem Duft der gelben Kletterrose, deren Namen er vergessen hatte, deren Duft er aber unter tausend Düften wiedererkennen würde.

Am liebsten aber hatte er den unscheinbaren Nachtphlox.

In der blauen Stunde, wenn die Sonne gerade untergegangen war, hatte er oft alleine auf der Terrasse gesessen und sich von dem bonbon süßen Duft der kleinen weißen Blüten betören lassen.

Der Herbst hatte seine eigenen Gerüche: rosafarbener und weißer Phlox verabschiedete den Sommer mit Honigduft. Die Strohblumen rochen nach Maggi. Das Laub auf dem Boden ließ bei Nässe mit Modergeruch die Vergänglichkeit aller Dinge erahnen.

Erinnerungen beiseite!

Er musste zur Probe. Das Üben hatte sich gelohnt, nicht nur die beiden Freunde waren mit dem Ergebnis zufrieden.

„Schade, dass man deine Stimme nicht öfter hören kann. Du hättest Opernsänger werden sollen, August, und nicht Kunstprofessor“, lobte Peters Frau Paula den Gesang.

„Gefallen dir meine Bilder nicht?“

„So war das nicht gemeint, August“, beeilte sie sich zu sagen. „Deine Bilder finde ich gut. Aber du singst auch wunderbar. Ich könnte dir stundenlang zuhören. Tatjana ist doch bestimmt auch begeistert von deiner Stimme.“

„Zuhause singe ich nicht mehr. Nur noch im Auto. Mein Chauffeur ist ein geduldiger Zuhörer.“

Mit dem üblichen Sherry amontillado beendeten Peter und August die Probe.

„Wenn es Samstag auch so klappt wie heute, können wir beide stolz sein. Prost!“

Bei dem heißen Wetter war der Schluck Sherry keine gute Idee.

Auf dem Rückweg bemerkte August eine Schläfrigkeit, gegen die er mit einem Eis ankämpfen wollte.

Direkt neben dem Eingang zum Park lag eine Eisdiele, nein DIE Eisdiele überhaupt. Mit dem leckersten Eis in der Stadt. Bellini verstand sein Handwerk.

August schaute sich nach einem freien Tisch unter einem Sonnenschirm um, doch dort waren alle Tische besetzt.

Am Rand der Terrasse saßen drei Freundinnen seiner Frau und winkten ihm zu. Aber er hatte nicht die geringste Lust, sich zu ihnen zu setzen und nickte ihnen nur einen kurzen Gruß zu.

Die Warteschlange an der Eisausgabe war lang, dennoch schloss er sich ihr an.

Ein kleiner Junge neben ihm, er mochte vier Jahre alt sein, lutschte an seinem Eis und schaute abwechselnd auf die Litfaßsäule und auf ihn.

Immer und immer wieder.

„Bist du das auf dem Bild?“ fragte der Kleine schließlich.

August nickte.

Dann zupfte der Junge August am Hosenbein und bat ihn:

„Kannst du mir mal vorlesen, was auf dem Bild steht? Ich kann noch nicht lesen. “

August schmunzelte.

„Samstag, 6. September, 20 Uhr in der Stadthalle

Verleihung des Ruhrlandtalers an August Ogüst“.

Der Kleine sah August verständnislos an, doch bevor er dem Kind erklären konnte, was das bedeutete, zog seine Mutter es mit den Worten “Du sollst doch nicht immer fremde Leute ansprechen!“ unsanft zur Seite.

August überlegte nicht lange, welche Eissorte er aus dem riesigen Angebot nehmen sollte und entschied sich für Pistazie-Malaga-Salzkaramel.

Das machte 3 Euro.

Er bezahlte mit einem Fünf-Euro-Schein.

Das Wechselgeld ließ er liegen, weil er nur zwei Hände hatte, die eine für das Eis, die andere für seinen Gehstock. Genüsslich lutschte er an dem Eis und setzte seinen Weg nach Hause fort.

Die Freundinnen seiner Frau schauten ihm nach. “Naja, der Jüngste ist er auch nicht mehr“, urteilte die Superblonde und nippte an ihrem Cappuccino.

„Wenn er nur nicht so humpeln würde und etwas größer wäre. Tatti ist fast einen Kopf größer als er“, meinte ihre Nachbarin.

Die Freundin mit den knallroten Lippen nickte zustimmend.

„Obwohl er keine gute Figur abgibt, hat er doch das gewisse Etwas. Erfolgreich ist er auch. Eine richtig gute Partie. Ich verstehe gar nicht, warum Tatti ihn verlassen will.“

Die Superblonde starrte sie fassungslos an.

„Was sagst du?“ Ihr fiel fast die Tasse aus der Hand

„Ja, Tatti hat es mir selbst gesagt. Sie hat einen Lover, der soll wahnsinnig gut aussehen und sooo lieb sein.“

„Ich fass es nicht!!“

Die Blonde war entsetzt.

„So dumm kann Tatti doch nicht sein. Sie kann doch nicht den sicheren Ehehafen so mir nichts dir nichts verlassen. Morgen habe ich einen Termin bei ihr, da werde ich ihr auf den Zahn fühlen. Nee, das glaub ich nicht!“

Gut, dass August die Unterhaltung nicht hören konnte.

Bis zum Haus der Familie Ogüst war es nicht mehr weit.

Zur Straße hin war sein Haus durch einen hohen Zaun vor fremden Blicken geschützt. Der Zaun wirkte wie eine Hecke, denn er war mit unterschiedlichen Sträuchern so durchwachsen, dass man das Metallgeflecht nicht mehr sehen konnte. Der Zaun zum Nachbargrundstück hin war nicht ganz so hoch und hatte ein kleines Tor, das niemals abgeschlossen war.

Früher waren die beiden Grundstücke durch eine hohe Mauer getrennt. Als diese brüchig wurde, einigten sich die Familien Ogüst und Hartmann auf eine weniger strenge Abtrennung, denn sie waren gute Nachbarn.

August Ogüst war ein gern gesehener Gast bei Hartmanns, die nun schon in der vierten Generation eine Gaststätte betrieben.

Das einst beliebte Gartenlokal hatte sich im Laufe der Jahre zu einem Feinschmeckerrestaurant entwickelt. Heinrich der Vierte (alle erstgeborenen Söhne wurden Heinrich genannt) hatte es mit einem außergewöhnlich delikaten Gemüseeintopf zu einem Stern im Guide Michelin gebracht. Voller Stolz nannte er das Gericht „Topf Heinrich der Vierte“. Obwohl es ein fleischloses Gericht war, wurde es der Renner - oder gerade deswegen.

Ein weiteres Highlight auf des Speisekarte war ein raffiniert abgeschmecktes Hühnerfrikassee, das Heinrich der Vierte nach einer Rezeptur von August Ogüst kreiert hatte. August war sehr stolz darauf, dass dieses Gericht unter dem Namen „Ogüsts Hühnchen“ auf der Speisenkarte des Hauses Hartmann einen Platz gefunden hatte.

Hartmanns Haus war ein wuchtiges Gebäude mit dicken Bruchsteinmauern, die Villa der Ogüsts hingegen war im Stil eines englischen Landhauses gebaut mit mehreren Erkern und einem ausladenden Walmdach.

Ein moderner Wintergarten aus Glas und Stahl erstreckte sich über die ganze Südfront. August hatte ihn vor vielen Jahren als Atelier für seine erste Frau bauen lassen Der Anbau war zwar neutral, aber er passte dennoch nicht zum Haus. Heute hatte seine zweite Frau im rechten Teil des Wintergartens ihren Schönheitssalon.

Vor fünf Jahren hatte August die hübsche Kosmetikerin Tatjana kennengelernt.

Sie war Verkäuferin in der Drogerie, in der er immer sein Rasierwasser kaufte. Ihre aquamarinblauen Augen hatten ihn sofort fasziniert und ihn zu einem neuen Gemälde inspiriert. Ein Aquamarinblau sollte die vorherrschende Farbe werden und ein wässriges Grün die Komplementärfarbe.

Nach kurzer Zeit hatte er sein neues Werk vollendet und stellte es seiner Angebeteten vor.

„Ich habe deine blauen Augen gemalt.“

Tatjana war angenehm überrascht. Sie hatte ihm doch nie Modell gesessen und er hatte auch nie ein Foto von ihr bekommen. Wie konnte er da ihre Augen malen?

Noch überraschter war sie, als er das Bild enthüllte.

„Nun, wie gefällt es dir, meine Liebe?“

Tatjana war entsetzt, sie sah nur blaue und grüne Kleckse.

Wie hässlich, dachte sie und sagte schließlich:

„Die Farben sind sehr schön. Man muss das Bild nur mit dem Herzen sehen.“

„Mit dem Herzen sehen“, das hatte sie irgendwo mal gelesen.

„Das hast du schön gedeutet“, hatte August ihre Kritik gelobt und sie dankbar geküsst.

Tatjana war dem altväterlichen Charme von August schnell verfallen. Darüber hinaus war sie sehr stolz darauf, dass ein so angesehener Professor und Künstler ihr den Hof machte und um ihre Hand anhielt. Sie heirateten schon einige Monate nach dem ersten Kennenlernen.

Ohne lange Diskussionen buchte August eine Karibik-Kreuzfahrt für ihre Hochzeitsreise und erfüllte Tatjana damit einen lang gehegten Wunsch. Sie wollte immer schon mal an weißen Palmenstränden baden und in tropischen Gewässern tauchen.

August hätte lieber nördlichere Länder besucht, weil er kühlere Regionen bevorzugte.

Immerhin konnte er auf Curaçao eine Likörfabrik besichtigen und seinen geliebten blue Curaçao direkt beim Hersteller kaufen.

Tatjana genoss das gesellschaftliche Leben an Bord in vollen Zügen. Bei den Landgängen suchte sie sich die abenteuerlichsten Ausflüge und Tauchkurse aus, während August mit anderen älteren Passagieren Städte und Land auf bequeme Art mit dem Bus erkundete.

Der letzte Abend der Traumreise war ein besonderer. Zum festlichen Abschiedsessen hatte der Kapitän die Hochzeitsreisenden an seinen Tisch gebeten: ein junges Paar aus Mecklenburg Vorpommern, ein rüstiges Goldhochzeitspaar aus dem Schwabenland und August und Tatjana. Des Weiteren dinierten am Kapitänstisch der Bruder des Kapitäns mit seiner Frau und deren Sohn Karl-Friedrich, der gerade promoviert hatte und sich jetzt „Dr. dent.“ nennen durfte.

August fühlte sich in dieser Runde sehr wohl.

Nach dem Essen gaben die Schwaben ein paar lustige Episoden aus ihrem langen Eheleben zum Besten.

August erzählte auf seine geistreiche und humorvolle Art von seinen Kunstreisen, die ihn in viele Länder und auf alle Kontinente geführt hatten.

Die jungen Leute zog es auf die Tanzfläche. Das frisch vermählte Paar bewegte sich eng umschlungen und verliebt zur Musik.

„Darf ich Ihre Frau zu einem Tänzchen entführen, Herr Professor?“ Mit einer leichten Verbeugung bat der Zahnarzt um Zustimmung.

August nickte wohlwollend.

Mit einer ebenfalls leichten Verbeugung forderte der junge Mann Tatjana dann auf, reichte ihr den Arm und führte sie zum Tanz.

Früher war August ein guter Tänzer.

Er musste immer noch schmunzeln, wenn er an den Jux-Ball der Kunstakademie dachte, auf dem er für seine Can-Can-Einlage nicht nur viel Applaus, sondern auch den ersten Preis bekommen hatte.

Seit dem Autounfall war es mit der Tanzerei vorbei.

Er schaute seiner Frau zu, die sich an den jungen Zahnarzt schmiegte und sich glücklich lächelnd mit ihm im Rhythmus eines langsamen Walzers wiegte.

„Etwas mehr Abstand könnte nicht schaden“, dachte August. „Wenn ich doch noch einmal so verliebt mit ihr tanzen könnte.“

Wehmütig wiegte er sich im Walzertakt mit.

August gähnte. Es ging auf Mitternacht zu, er ging sonst immer nach den Nachrichten um Viertel nach zehn zu Bett.

Die Schwaben verabschiedeten sich gerade von ihren Tischgenossen, als Tatjana mit dem Zahnarzt wieder zu August an den Tisch zurückkam.

„Lass uns auch gehen“, bat August seine Frau, „ich bin müde.“

„Ach August, die Kapelle spielt gleich extra für uns einen Tango, so lange können wir noch bleiben, nicht wahr?“

August war davon nicht begeistert.

„Gönne mir und Karl-Friedrich doch noch den letzten Tanz, Humpelstilzchen“, bettelte Tajana.

Hum-pel-stilz-chen hatte sie gesagt.

August war zutiefst verletzt.

Humpelstilzchen war nicht unachtsam daher gesagt, es war eine Wortschöpfung, die viel verriet.

Mitleid? Verachtung?

August hätte sich von seiner frisch angetrauten Frau mehr Taktgefühl gewünscht.

Humpelstilzchen war sicherlich nicht böse gemeint, aber es stimmte ihn sehr nachdenklich.

Doch er war nicht nachtragend und verwirklichte bald nach der Hochzeit einen weiteren Traum von Tatjana: Er richtete ihr ein Beauty-Studio ein.

Tatjana war ihm dafür sehr dankbar, denn ein eigenes Schönheitsinstitut hätte sie sich nie leisten können, schon gar nicht in einem der vornehmsten Viertel der Stadt.

Als Frau des bekannten Professors Ogüst genoss Tatjana sofort höheres Ansehen. Zuvor war sie nur die nette kleine Kosmetikerin von Douglas.

Es hatte sich bei den Damen der „besseren“ Gesellschaft schnell herumgesprochen, dass sie einen guten Geschmack hatte und hervorragende Arbeit leistete. Mancher Dame mit schon sehr reifer Haut, verlieh Tatjana dank teurer Cremes und Farben wieder ein jugendliches Aussehen.

Tatjana fand Gefallen daran, dass August ihr ein bequemes luxuriöses Leben ermöglichte. Sie mochte ihn deswegen, aber sie liebte ihn nicht genug, um seinen Herzenswunsch zu erfüllen:

August wäre gerne Vater geworden.

Sie wollte aber auf keinen Fall ein Kind bekommen, weil sie befürchtete, dass eine Schwangerschaft ihrer Figur abträglich sein könnte.

Außerdem hasste sie kleine Kinder, und die Verantwortung für so kleine Wesen wollte sie nicht übernehmen. Ihr Mann war schließlich 30 Jahre älter als sie. Wegen seiner Beschwerden würde er vielleicht nur noch 10 oder 20 Jahre leben, dann wäre sie mit 40 oder 50 Witwe.

Manchmal wünschte sie sich einen jungen, attraktiven Mann.

Aber welcher junge Mann könnte ihr wie August so ein unbeschwertes Leben bieten?

*****

Neben der Ogüstschen Villa lag das „Kutscherhaus“, mit Stall und Remise, die heute als Garage dienten. Es war wie das Wohnhaus der Familie Ogüst im englischen Stil gebaut.

Das Garagentor war weit geöffnet, sodass man all die Edelkarossen sehen konnte, die sich in der Farbfolge des Regenbogens nebeneinander reihten:

ein knallroter Ferrari, ein orangefarbener Pontiac CTO, ein gelber Alfa Romeo, ein grüner Cadillac Fleetwood; der Platz für blau war leer, denn der blaue Maybach wurde gerade vor der Garage poliert; danach sah man den indigofarbenen Chevrolet Camaro und den violetten BMW V8.

Jede Farbe war einem bestimmten Wochentag zugeordnet. Professor Ogüst hielt sich strikt an die Reihenfolge. Nur zu besonderen Anlässen wich er von der gewohnten Routine ab.

Im Kutscherhaus wohnte seit 20 Jahren die Familie Woller mit ihrem Sohn Michael.

Dieter Woller war Chauffeur, Hausmeister und Gärtner, kurzum ein Mann für alles.

Martha Woller versorgte den Haushalt der Familie Ogüst. Als gute Köchin, war sie ein Segen für August, der ein großer Feinschmecker war!!

Frau Ogüst hatte weder Zeit noch Lust zum Kochen. Außerdem hatte sie es nie gelernt.

Der 16jährige Michael war schon fast ein Familienmitglied bei Ogüsts. Der alte Herr hatte einen Narren an ihm gefressen und liebte ihn wie ein eigenes Kind.

Als August durch die Toreinfahrt kam, verabschiedete sich Michael gerade von seinem Freund Klaus Hartmann aus dem Nachbarhaus.

Herr Woller polierte den blauen Maybach.

August bemerkte sofort, dass es seinem Fahrer nicht gut ging.

„Mensch, Dieter, wie siehst du denn aus?“

Er hielt seine Hand an Dieters Stirn.

Dieter schob sie energisch zur Seite und nuschelte etwas Unverständliches.

„Du hast ja Fieber“, stellte Herr Ogüst fest.

„Ach, halb so schlimm. Ich bin doch gleich fertig.“

„Komm, lass es gut sein, leg dich hin und kurier dich erst mal aus. Michael kann den Rest machen, nicht wahr, 13-9-3-8-1?“