Hüter des Verfalls - Christian Witt - E-Book

Hüter des Verfalls E-Book

Christian Witt

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Beschreibung

Sie leben an "Lost Places", an dunklen, einsamen Orten und in den vergessenen Winkeln und Nischen unserer Zivilisation und sie warten auf den Tag, an dem sie die Schatten verlassen können... Wir Menschen halten uns für die Herren dieses Planeten, aber was wäre, wenn sich hinter den Hochglanzfassaden unserer modernen Welt bereits die Fäulnis ausgebreitet hätte? Was wäre, wenn sie kurz davor stünde, zu uns durchzubrechen? Und was wäre, wenn diese Fäulnis ein Gesicht hätte? In vierzehn Geschichten gehen wir diesen Fragen auf den Grund und holen Antworten ans Tageslicht, die mehr bereithalten als nur ein bisschen Übelkeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 703

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Danksagung

Zuallererst ganz großen Dank an Yvonne, die mit mir seit Jahren tapfer dem Verfall trotzt und mir wieder sehr mit dem Cover geholfen hat, an meine Eltern für ihre Liebe und Unterstützung und natürlich auch an Joana, Sammy und die anderen Vierbeiner in meinem Leben.

Nicht vergessen werden sollen auch Marconiac, Horrorcocktail, RookieNightmare, Smaragdrot und die restliche Community des Deutschen Creepypasta Wikis, die mich mit ihrem Feedback zum Schreiben dieses Buch motiviert haben, an CreepyStory und weitere talentierte Menschen für ihre Vertonungen und alle Freunde, Weggefährten und lieben Seelen, die hier nicht ausdrücklich erwähnt worden sind. Mögt ihr alle noch lange unverfallen bleiben.

Weitere Geschichten zum Gruseln findet ihr auf:

www.angstkreis-creepypasta.de

“I felt a strange delight in causing my decay.“

Robert Browning

“Decline is also a form of voluptuousness, just like growth. Autumn is just as sensual as springtime. There is as much greatness in dying as in procreation.”

Iwan Goll

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog: Es gibt keine Zeit

Die Einladung

Visite

Die Fabrik

Romantik

Der Fleck

Bandprobe

Bahnhof

Die Wohnung im Hochhaus

Recherchen

Wasser

Traumverloren

Liminal Spaces

Aussteiger

Mold

Vorwort

Schimmel, Fäulnis, Verfall. Es gibt kaum etwas, dass wir so sehr meiden wie diese Dinge. Das hat natürlich ganz handfeste Gründe, denn die Gifte, die bei diesen Prozessen entstehen, machen uns krank, was für sich genommen schon fast etwas Poetisches hat. Es ist beinah so, als ob der Verfall an sich ansteckend wäre. Als ob seine geisterhaften Hände nach allem Lebendigen greifen, das die Dummheit besitzt in seine Nähe zu gelangen. Diese Bedrohung ist unsichtbar. Genauso unsichtbar wie Viren und Radioaktivität. Wir sehen die Wirkung nicht sofort und doch wissen wir, dass sie sich irgendwann zeigen wird.

Doch womöglich ist es nicht nur die Angst vor gesundheitlichen Schäden, die dafür sorgt, dass wir verschimmeltes Obst mit spitzen Fingern anfassen, feuchte Kellerräume meiden und stets mit prüfendem Blick auf das Verfallsdatum unseres Joghurts stieren. Vielleicht erinnert es uns vielmehr an unsere eigene Endlichkeit. Denn irgendwann, das ahnen wir, werden auch wir selbst als unappetitliche Haufen zerfallenden Gewebes und rätselhafter chemischer und biologischer Prozesse enden.

Schlimmer noch: Im Grunde haben die verhängnisvollen Kettenreaktionen, die uns letztlich in diesen Zustand überführen werden längst eingesetzt. Wir alle sind tickende, biologische Zeitbomben, Baby!

Kein Wunder also, dass wir uns nicht damit konfrontieren wollen. Und doch sind diese Kräfte existent und unfassbar mächtig. Was läge also näher, als ihnen ein Gesicht zu verleihen?

Kein Schönes natürlich. Aber eines, in dem wir eines der erschreckendsten Tatsachen unseres Lebens wiedererkennen:

Unsere unausweichliche Zukunft.

Prolog: Es gibt keine Zeit

Prolog: Es gibt keine Zeit

Denke einmal darüber nach. Der Stuhl oder die Couch, auf der du gerade sitzt, werden eines Tages verfault und von Schimmel überzogen sein.

Dein Schreibtisch wird geborsten und fleckig an den verfaulten Wänden deines verfallenen Zimmers lehnen. Die Tapeten werden gleich lepröser Haut in Streifen herabhängen und den Blick auf brüchiges feuchtes Mauerwerk freigeben. Dein hübsches und sauberes Badezimmer wird sich in einen abstoßenden Tempel der Fäulnis und des Moders verwandelt haben. Schimmel, Dreck und Staub werden sich über Waschbecken, Spiegel, Dusche und Wasserhähne ausgebreitet haben, aus denen vor langer Zeit das letzte stinkende Wasser getropft ist.

Und in inmitten von all dem werden SIE die Herschafft übernehmen. Die fahlgesichtigen Geister der Vergangenheit. Die Hüter des Verfalls. Groteske Gestalten mit langen Armen, schuppiger fahler Haut und lippenlosen, kleinen Mündern. Erfüllt von Hass auf das Leben und der Freude am Vergehen werden sie umherstreifen.

Sie werden pelzige verfaulte Speisen aus deinem vermoderten Kühlschrank kosten, werden ihre übel riechenden Körper auf den Überresten deiner Möbel zur Ruhe betten. Sie werden gierig in gesprungene Fenster und zersplitterte Spiegel blicken und nach dem geringsten Anzeichen von Leben Ausschau halten, um es zu ersticken und ihm den süßlichen Kuss der Fäulnis zu schenken.

Das alles wird passieren. In siebzig Jahren. Oder in hundert. Lange nach deiner Zeit. Warum also sollte es dich kümmern?

Nun. Du magst es vielleicht nicht wissen, aber der beruhigende Schild der Zeit, hinter dem du dich versteckst, ist nur eine Illusion. Alle Existenzen, alle Dimensionen existieren genau in diesem Moment.

Alle Zustände. Alle Räume. Alle Kreaturen.

Und manchmal ... manchmal können sie dich sehen...

Die Einladung

Die Einladung

-1-

Es war schon ein wenig unwirklich, nach so langer Zeit in die Heimat zurückzukehren. Allerdings war die einjährige Auszeit in Australien dringend nötig gewesen. Der Stress der letzten Jahre hatte sich mehr und mehr in mir aufgestaut, bis ich das Gefühl bekommen hatte, in einem undurchdringlichen Alltagskäfig gefangen zu sein, aus dem es so gut wie kein Entrinnen mehr gab. Ich hatte einfach die Reißleine ziehen müssen, um nicht vollends den Verstand zu verlieren. So gut mir aber die lange Erholungsphase auch getan hatte, so froh war ich nun, wieder in mein gutes altes Haus zurückzukehren.

Wie ich erfreut feststellte, hatte sich meine Schwester während meiner Abwesenheit wie versprochen aufmerksam und zuverlässig um mein Haus gekümmert. Schon von außen glänzte es wie frisch gebaut in der nachmittäglichen Frühsommersonne und auch innen war alles blitzblank und ordentlich. Sogar noch viel ordentlicher und aufgeräumter als vor meiner Abreise. Zufrieden räumte ich mein Reisegepäck aus und schlüpfte in meine Wohlfühlklamotten. Danach rief ich meine Schwester an, dankte ihr für die Pflege meines Hauses und versprach, sie zum Dank bald zum Essen einzuladen. Dann wollte ich mich eigentlich ins Bett legen. Immerhin war die Reise sehr anstrengend gewesen. Allerdings entschied ich mich nach kurzer Überlegung doch dafür, eine Runde um den Block zu drehen und wieder ein wenig Heimatluft zu schnuppern.

Schon als ich auf die Straße hinaustrat, bemerkte ich eine deutliche Veränderung. In den fast zwanzig Jahren, in denen ich hier gewohnt hatte – und nach Berichten von alteingesessenen Nachbarn auch schon weit davor - stand schräg gegenüber ein altes und verfallenes Haus, das aus unerfindlichen Gründen nie abgerissen worden war. Es sah wirklich schäbig und gruselig aus und stellte einen solchen Schandfleck für unsere ansonsten hübsche Nachbarschaft dar, dass die Grundstückspreise allein durch den Anblick dieser schäbigen Ruine deutlich in den Keller gegangen waren. Auch wenn ich natürlich davon profitierte - anderenfalls hätte ich mir das Haus damals nicht leisten können - so hatte mir die Bruchbude besonders nachts immer ein sehr ungutes Gefühl gegeben und ich hatte stets einen weiten Bogen darum gemacht.

Nun aber, gab es dieses Haus nicht mehr. Stattdessen stand dort ein schickes, weiß gestrichenes Anwesen, das erst vor Kurzem fertigstellt worden sein konnte. Neugierig ging ich auf die andere Straßenseite, um mir das Gebäude genauer anzusehen. Tatsächlich - stilvolle Vorhänge, eine saubere, intakte Tür, ein frisch gemähter Rasen, sogar Blumenkästen an den Fensterbänken. Kein Zweifel: Das Haus war wieder bewohnt und garantiert erst vor Kurzem neu errichtet worden, auch wenn es von seiner Grundform her überraschende Ähnlichkeit mit der alten Bruchbude aufwies, die zuvor hier gestanden hatte.

Als ich mich noch gedankenversunken über diese überraschende Entwicklung wunderte, öffnete sich die Tür und ein gepflegter Mann, der wie ich Anfang vierzig zu sein schien, trat hinaus. Um nicht als Stalker missverstanden zu werden, wollte ich mich reflexartig abwenden, aber da hatte er mich schon entdeckt. "Wohnen Sie im Haus dort drüben?", fragte er unvermittelt und zeigte dabei auf mein Zuhause.

"Ja, genau. Das ist mein Haus", antwortete ich ein wenig überrumpelt. Sofort machte sich ein warmes Lächeln auf dem Gesicht des Fremden breit. Er ging auf mich zu und bot mir seine Hand an. "Schneider. Timo Schneider. Ich und meine Frau sind neu in der Nachbarschaft".

Ich ergriff seine Hand, die sich rau und ein wenig feucht anfühlte. Er hatte einen sehr festen Händedruck. Fast schmerzhaft, um genau zu sein."Freut mich, Sie kennenzulernen.", antwortete ich, "Mein Name ist Christoph Manner. Ich bin auch gerade erst zurückgekommen. Schön, hier neue Gesichter zu sehen." Der Mann nickte und grinste noch breiter. Und auch wenn sein Lächeln fast schon comichaft war, so wirkte er zugleich doch sehr sympathisch.

"Meine Frau Hannah und ich bereiten gerade das Abendessen vor. Wollen Sie vielleicht heute Abend vorbeikommen? Dann könnten wir uns näher kennenlernen?", bot er an.

Das überraschte mich ein wenig. Die meisten meiner Nachbarn waren bislang eher zurückhaltend gewesen und schätzten ihre Privatsphäre und eigentlich war es auch nicht meine Art, mich so schnell mit Wildfremden anzufreunden. Aber der Mann strahlte etwas wirklich Angenehmes aus und so sagte ich zu. "Gerne. Wann soll ich vorbeikommen?". Der Mann, Timo, sah auf seine schwarze Armbanduhr. "Würde Ihnen 20 Uhr passen?". Ich nickte, verabschiedete mich freundlich und kehrte in meine Wohnung zurück, um noch ein wenig zu schlafen.

Als der Wecker meines Smartphones klingelte, fühlte ich mich seltsamerweise ausgeruht und frisch, auch wenn ich nur ungefähr vier Stunden geschlafen hatte. Voller Neugier auf meine neuen Nachbarn machte ich mich auf den Weg und klingelte an der nagelneuen Tür. Hannah, Timos Frau, öffnete mir und präsentierte mir ein strahlendes Lächeln, welches gut zu dem ihres Mannes passte. Sie trug ein rotes Abendkleid und lockige, mittellange, braune Haare. Sie war recht gut aussehend und mir ebenfalls äußerst sympathisch. Sie bat mich, einzutreten, und machte eine einladende Geste. Ich folgte ihrer Einladung.

Innen war es stilvoll eingerichtet. Viele helle Cremetöne, helles Holz und ein großes, weißes Sofa. Der ebenfalls weiße, großzügige Esstisch war mit vielerlei Speisen gedeckt, die schon mehr nach einem Buffet als nach einem einfachen Abendessen aussahen. Es gab Wildbraten, eine Obstplatte, Kartoffelgratin, einen Salat und viele weitere Köstlichkeiten. Und es duftete verführerisch, auch wenn ich gleichzeitig einen leicht modrigen Geruch wahrnahm, der so gar nicht zu den leckeren Speisen passen wollte. Ich tat das als Einbildung ab und setzte mich zu den beiden an den Tisch. Nachdem wir mit einem irgendwie exotisch schmeckenden, trockenen Weißwein auf gute Nachbarschaft angestoßen hatten, begannen wir mit Small Talk und ich erfuhr so einiges aus dem Leben der Schneiders. Timo war wohl ein selbstständiger Unternehmensberater, Hannah die Filialleiterin einer Bank in der Nachbarstadt. Sie hatten sich das Geld für den Hauskauf lange zusammengespart und genauso lange nach einem passenden Grundstück gesucht, bis sie auf die alte Ruine gestoßen waren. Seltsamerweise beharrten die beiden darauf, dass sie sie renoviert und nicht einfach abgerissen und ein neues Haus gebaut hatten. Das überraschte mich.

Ich hätte nicht gedacht, dass das bei der alten Ruine überhaupt möglich gewesen wäre. Während die beiden mir von ihrem Leben erzählten, langte ich beim Essen ordentlich zu. Es schmeckte wirklich hervorragend, allerdings auch anders, als ich es bei vergleichbaren Speisen bisher gekostet hatte.

Als ich die beiden nach den Zutaten fragte, verwiesen sie auf exotische Gewürze und ein Familienrezept. Ich dachte nicht weiter darüber nach und genoss es einfach.

So vergingen die Stunden mit Gesprächen, gutem Essen und viel Wein; und ehe ich mich versah, war es bereits drei Uhr nachts. Da ich morgen meine gewohnten Jogging-Runden plante und mir zudem ein wenig unwohl war – was wohl am wenigen Schlaf und dem Alkohol liegen mochte -, verabschiedete ich mich und versprach, bald wieder vorbeizukommen. Als ich zu Hause ankam, hatte sich mein Unwohlsein in eine ausgewachsene Übelkeit verwandelt und ich war kurz davor, mich zu übergeben. Da ich darauf aber so gar keine Lust hatte, schluckte ich Magentabletten, trank viel Wasser und kämpfte die Übelkeit erfolgreich nieder. Irgendwann schlief ich ein.

-2-

Als ich wieder erwachte, war es bereits später Nachmittag und ich hatte meine übliche Jogging-Zeit eindeutig verschlafen. Immerhin ging es mir etwas besser, auch wenn ich einen pelzigen Geschmack auf der Zunge hatte. Ich trank ein Glas Wasser, aber der Geschmack blieb, begleitet von leichten Kopfschmerzen. Ich nahm mir fürs Erste vor, nicht mehr so viel zu trinken, und blickte auf mein Handy. Meine Schwester hatte bereits dreimal angerufen. Trotzdem hatte ich keine Motivation zurückzurufen. Ohnehin fühlte ich mich lustlos. Das Einzige, was etwas Vorfreude in mir auslöste, war die Aussicht auf ein weiteres Abendessen mit den Schneiders bereits in wenigen Stunden. Wir hatten uns für heute Abend erneut verabredet. Diesmal durfte ich aber nicht so viel trinken. Immerhin würde ich übermorgen bereits wieder im Büro sein müssen und wollte mich nicht daran gewöhnen. Warum ich mich so auf den Abend freute, wusste ich nicht. Vielleicht spielte neben der angenehmen Gespräche und des interessanten Essens auch Hannah eine Rolle, die mir irgendwie gefiel, auch wenn ich mich natürlich schuldig fühlte. Immerhin war sie verheiratet.

-3-

Als es endlich zwanzig Uhr war, stand ich wieder vor der Tür und Hannah öffnete. Ihre grünen Augen blickten mich freundlich an und irgendwas anderes schien auch noch in ihrem Blick zu wohnen. War es Begehren? Ich verscheuchte den Gedanken und begab mich an den Esstisch. Diesmal gab es Lachs, Mousse au chocolat, Linsencurry und viele weitere interessante Speisen, die erneut aufregend und ungewohnt schmeckten. Allerdings nahm ich auch wieder diesen seltsamen, faulen Geruch war. Als ich meinen Mut zusammennahm und die beiden darauf ansprach, erklärte Timo mir, dass sie gelegentlich Probleme mit den Abwasserleitungen hatten. Ein Klempner würde sich aber bald darum kümmern. Diesmal verzichtete ich komplett auf den Alkohol und konzentrierte mich nur aufs Essen und die Gespräche. Dennoch wurde mir erneut übel. Ob ich mir einen Magen-Darm-Virus eingefangen hatte? Ich entschuldigte mich und ging ins Badezimmer. Auch hier fand ich weiße Fließen und eine stilvolle Einrichtung vor. Mehr interessierte mich aber die Toilette, wo ich – so peinlich mir das auch war – sicher zehn Minuten mit Durchfall verbrachte.

Als ich es endlich wagen konnte, stand ich auf und wusch meine Hände. Seltsamerweise hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sauberer wurden. Egal, wie viel Wasser und Seife ich auch benutzte. Als ich schließlich zurückkehrte, saß nur noch Hannah am Tisch. Sie erklärte mir, dass Timo spontan zu einem Kunden müsse, ich aber natürlich gerne noch aufessen könne. Trotz meiner Übelkeit tat ich genau das. Immerhin wollte ich nicht unhöflich sein und Hannahs Augen trösteten mich ein wenig über meine Bauchschmerzen hinweg. Sie schien mein Interesse inzwischen bemerkt zu haben und kam näher. Immer näher. Irgendwann berührte ihr Mund meinen und sie küsste mich intensiv. Ihre Zunge schmeckte nach einer seltsamen Mischung aus Mundwasser und schlechten Zähnen, auch wenn ihre Zähne eigentlich makellos waren. Vielleicht hatte sie irgendeine Magenkrankheit. Trotzdem genoss ich ihre Küsse und konnte nicht genug davon kriegen. Ehe ich mich versah, lag ich mit ihr auf der weißen Couch und erkundete ihren Körper. Der Rest der Nacht versank im Rausch.

-4-

Ich wusste nicht, wie ich nach Hause gekommen war. Aber ich fühlte mich noch schlechter als den Tag zuvor. Diesmal wollte ich mich übergeben. Aber ich konnte es einfach nicht. Selbst als ich mir den Finger in den Hals steckte. Es half einfach nichts. Elend und schwach verbrachte ich den Tag im Bett, bis es erneut zwanzig Uhr wurde. Trotz meiner Schuldgefühle machte sich wieder Vorfreude in mir breit. Als ich zur üblichen Zeit in das Haus der Schneiders trat, erklärten die beiden mir geradeheraus, dass sie miteinander über die letzte Nacht geredet hatten und sie kein Problem damit hätten. Timo meinte, dass er es sogar gut fände, dass ich mich so gut mit Hannah verstehe. Auch wenn ich es kaum glauben konnte und mir das ganze etwas unangenehm war, so freute ich mich natürlich sehr über diesen amourösen Freibrief und verbrachte einen weiteren schönen Abend mit den beiden und ihrem guten Essen.

So gingen die Tage dahin. Ich aß, redete und liebte Hannah in der Nacht und verbrachte die Tage elend und krank. Das Joggen gab ich vollends auf. Ich meldete mich nicht mehr bei meiner Schwester und dass ich eigentlich einen Job hatte, vergaß ich schlicht. Ich hätte ihnen ohnehin nicht mehr antreten können.

Der Durchfall und die Übelkeit wurden immer schlimmer. Außerdem nahm ich extrem zu und nahm ein immer unvorteilhafteres und ungepflegtes Äußeres an. Aber solange es Hannah nicht zu stören schien, war es für mich auch in Ordnung. Alles was zählte, waren die Abende mit den beiden. Irgendwann klingelte meine Schwester dann doch an meiner Tür und war von meiner Veränderung so schockiert, dass sie mich regelrecht zum Arzt schleifte. Der stellte Schimmel in meiner Lunge und eine chronische, entzündliche Magen-Darm-Erkrankung bei mir fest. Ich musste meiner Schwester versprechen, mein Haus auf Schimmel durchsuchen zu lassen. Ich tat es aber nicht. Warum sollte ich irgendwelche Leute in meinem Haus herumwühlen lassen und dabei unnötig Geld verbrennen, wenn ich die Zeit auch mit Timo und Hannah verbringen konnte? Ich konnte mir ohnehin nicht vorstellen, dass man etwas finden würde. Immerhin war mein Haus doch sauber, auch wenn ich natürlich zugeben musste, dass ich das Putzen und Aufräumen in letzter Zeit ebenfalls vernachlässigt hatte. Statt mich jedoch gedanklich weiterhin mit solch unerfreulichen Dingen wie Schimmel oder Hausarbeit zu beschäftigen, konzentrierte ich mich lieber voll und ganz auf meine Besuche bei den Schneiders.

-5-

Mit der Zeit änderte sich mein Äußeres auch wieder. Ich verlor massiv an Gewicht, bis ich geradezu hager wurde. Und das, obwohl ich nach wie vor jeden Abend ordentlich zulangte. Auch verlor ich nach und nach meine Haare und stellte mit der Zeit fest, dass meine Lippen immer dünner und rissiger wurden. Ich dachte mir jedoch nichts dabei. Ich freute mich einfach nur weiterhin auf jeden einzelnen Abend mit diesen besonderen Menschen. So ging es weiter. Wochen. Monate. Der Kontakt zu meiner Schwester riss endgültig ab. Und ich war froh darüber. Ich brauchte sie nicht. Ich brauchte niemanden. Ich hatte Hannah und Timo. Eines Abends, ich hatte den Tag mit schmerzenden Fingerknochen verbracht und festgestellt, dass sich nun auch mein Zahnfleisch aufzulösen begann, ging ich wie gewohnt zum Haus der beiden hinüber. Doch etwas war eigenartig. Das schöne, frisch renovierte Haus, das ich inzwischen besser kannte als mein eigenes, existierte nicht mehr. Stattdessen war dort wieder jene Ruine zu sehen, die ich seit Jahren kannte. Verwirrt schritt ich auf die Tür des verfallenen Gebäudes zu und klopfte gegen das morsche Holz. Sofort öffnete mir eine dürre, haarlose Gestalt mit lippenlosem, dünnem Mund, viel zu langen Fingern und wunderschönen grünen Augen.

Es war Hannah – das wusste ich genau. Sie führte mich durch das modrige Wohnzimmer zum vergammelten, gesplitterten Tisch, auf dem sich schimmlige Köstlichkeiten türmten, die gräulich, weißlich und grünlich auf zerbrochenen Tellern lagen. Maden, Fliegenlarven und pelziger Schimmel bildeten eine appetitliche Melange auf dem halb zersplitterten Geschirr und ließen mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Hungrig und von ungeduldiger Vorfreude erfüllt, setzte ich mich auf einen fleckigen Stuhl und griff beherzt zu, wie ich es all die vielen Monate über bereits getan hatte. Dazu trank ich das braune, brackige Wasser und roch Hannahs süßliches Aroma und die allgegenwärtige Fäulnis dieses wundersamen Ortes und fühlte mich unendlich wohl. Als mir Hannah beim Essen mit spröder und schriller Stimme anbot, bei ihnen einzuziehen, stimmte ich euphorisch zu. Ich war zu Hause. Nun endlich war ich wirklich zu Hause.

Visite

Visite

Donnerstag, 03. Oktober 2013 18:40

Yeah! Der Urlaub ist genehmigt. Ich bin total aufgeregt. Am Montag wollen Tina und ich unsere Lost-Places-Tour quer durch Deutschland starten. Ich habe mir dafür extra einen neuen Fotoapparat gekauft. Hohe Auflösung, viel Speicherplatz, wenn auch leider nicht gerade günstig. Aber ich bin mir sicher, dass es sich lohnen wird. Zudem werde ich mit meinem Handy dieses kleine Reisetagebuch führen.

Samstag, 05. Oktober 2013 15:01

Nun haben wir auch die Route festgelegt. Es ist wirklich alles dabei: Eine alte Kirche, einige verfallene Herrenhäuser, einige Spukhäuser, verschiedene Industriegebäude und zum Aufwärmen ein altes Krankenhaus nur zwei Stunden Fahrt von hier entfernt. Vielleicht bleibt ja Zeit für ein paar Doktorspiele ...

Sonntag, 06. Oktober 2013 21:12

Die Sachen sind soweit gepackt. Das Auto ist vollgetankt und die Akkus sind aufgeladen. Für die nächsten zwei Wochen heißt es "Tschüss, Büro!" und "Hallo, Abenteuer!". Eine Website für die Bilder habe ich mir auch gesichert. Da werden sicher feine Motive entstehen.

Montag, 07. Oktober 2013 10:33

Der Wagen ist startklar und das Abenteuer kann beginnen. Tina hat auch noch ihre alte Videokamera eingepackt. Wahrscheinlich keine schlechte Idee. So kommt die Atmosphäre bestimmt noch besser rüber. Wenn ich doch nicht so verdammt müde wäre. Aber ich war die Nacht über einfach zu aufgeregt, um einzuschlafen. Tina meinte sogar, ich hätte Schiss. Als wenn ich mich vor ein paar verfallenen Mauern fürchten würde.

Montag, 07. Oktober 2013 13:43

Von wegen zwei Stunden. So wenig, wie es auf der Autobahn vorangegangen war, hätte auch sie ein Lost Place sein können. Wäre auf jedenfalls ein interessanter Anblick: Eine ganze Autobahn voll leerer und verfallener Fahrzeuge, die wie eine stählerne, erlegte Schlange vor sich hin rosten ... Wahrscheinlich erleben wir das auch noch, wenn es mit dem weltweiten Benzinverbrauch so weiter geht.

Jedenfalls sind wir jetzt endlich da. Von Weitem sehe ich schon das Gebäude. Zwar sieht es im Sonnenlicht nicht wirklich beängstigend aus, aber bevor wir hineingehen, wollten wir ja sowieso noch bis zur Dämmerung warten. Jetzt erst mal ankommen, einen Happen essen und das Gelände erkunden.

Montag, 07. Oktober 2013 15:08

Boah, bin ich satt. Und müde. Verdammtes Fresskoma. Jetzt sollten wir uns lieber auf den Weg machen. Sonst schlafe ich noch mitten im Gras ein.

Montag, 07. Oktober 2013 16:59

Heftig, wie verwildert das hier ist. Ich wusste ja, dass der Weg zur Klinik anstrengend sein würde und das wir nicht einfach mal so eben vor dem Gelände parken können. Aber dass ich mir schon Schrammen und Schnitte einfange, bevor wir überhaupt das Gebäude betreten, hätte ich nicht erwartet. Zum Glück hat Tina vorsichtshalber den Verbandskasten samt Desinfektionsmittel eingepackt. Bei diesen alten Ruinen und dem ganzen Rost und Schmutz weiß man ja nie.

Montag, 07. Oktober 2013 18:57

Endlich sind wir am Gebäude angekommen. Pünktlich zum Sonnenuntergang. Aus der Nähe und in dem rötlichen Licht sieht das gleich mehr nach einer Horrorklinik aus. Die Fassade ist voller Risse, die Fenster sind schmutzig, einige auch gesprungen und selbst die Eingangstür hängt schief in den Angeln. Eigentlich dürften wir gar nicht hier sein, wenn man all den Warnschildern glauben schenken darf. "Betreten verboten", "Einsturzgefährdet", "Bla. Bla. Bla.". Jedenfalls versicherungstechnisch ein echter Albtraum. Aber wer nicht mal was wagt, ist eh schon tot.

Montag, 07. Oktober 2013 19:13

Es hat ein wenig gedauert. Aber wir haben endlich ein Loch im Sperrzaun gefunden, der die Klinik umgibt. Nun kann es wirklich losgehen. Soweit ich weiß, hat die Klinik bereits Ende der 60er Jahre zugemacht. Es gab einen Haufen Skandale wegen schlechter Hygienebedingungen, verpfuschter Operationen und sogar Berichte von Misshandlungen von Patienten. Sicher keine Klinik, in der man gerne liegen würde. Für uns und unsere Reise ist sie aber ideal.

Montag, 07. Oktober 2013 19:34

Wenn Tina nicht so schlau gewesen wäre auch noch einen kleinen Werkzeugkasten mitzuschleppen, wäre es das wohl gleich wieder gewesen mit dem Krankenhausbesuch. Aber mit etwas Geduld hat sich uns auch die widerspenstige Eingangstür geöffnet. Zeit für die Visite.

Montag, 07. Oktober 2013 19:37

Krass! Der Laden ist heftiger, als ich es erwartet hatte. Verbogene, verroste Betten in den Gängen. Zerkratze Tapeten mit irgendwelchen Kennzeichnungen. Sogar einen alten Tropf habe ich schon gesehen. Und das alles im Schein der Taschenlampen, da es draußen schon stockfinster ist. Zum Glück hat unsere Kamera einen guten Blitz.

Montag, 07. Oktober 2013 19:51

So langsam wird mir echt mulmig. Das werde ich aber gegenüber Tina nicht zugeben. Außerdem muss man hier höllisch aufpassen, wo man hintritt. Der Auszug schien nicht sehr geordnet vonstattengegangen zu sein. Operationsbesteck, Arztkittel, kaputte Schränke, zerbrochene Flaschen. Der Boden ist ein wahres Minenfeld. Hoffentlich verletzen wir uns nicht noch mehr.

Montag, 07. Oktober 2013 20:11

Wenn man vom Teufel spricht. Wir haben gerade die Kinderklinik verlassen - all diese kleinen, leeren Betten. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was hier an schlimmen Dingen passiert ist. Jedenfalls ist Tina an der Türschwelle prompt gestolpert und in einem Haufen Scherben und alter Spritzen gelandet. Ich hoffe nur, dass sie sich dabei keine Blutvergiftung oder sonst was geholt hat. Wer weiß, was da alles an Keimen oder Chemikalien dran war.

Montag, 07. Oktober 2013 20:13

So eine Scheiße. Der Verbandskasten ist weg. Wie konnte ich ihn nur verlieren? Ich war mir so sicher ihn eingesteckt zu haben. Und ihn in der Dunkelheit zu finden ist wohl aussichtslos. Scheiße. Scheiße. Scheiße! Was, wenn Tina was passiert?

Wir haben versucht, über unsere Handys einen Notarzt zu erreichen, aber wir haben absolut keinen Empfang hier. Vielleicht sollten wir mal in das Vorratslager der Klinik schauen. Desinfektionsmittel sollte ja eigentlich nicht schlecht werden. Immerhin bestehen sie doch hauptsächlich aus Alkohol. Irgendwo hatte ich doch diesen Lageplan gesehen.

Montag, 07. Oktober 2013 20:37

Zum Glück habe ich den Plan wiederfinden können. Das Vorratslager ist auch nicht allzu weit weg. Gott sei Dank! Tinas Verletzungen bluten nicht stark, aber sie tun sehr weh und sehen bereits jetzt entzündet aus. Und das bereits nach so kurzer Zeit. Wie kann das überhaupt möglich sein? Wir müssen uns unbedingt beeilen.

Montag, 07. Oktober 2013 20:46

Mist. Der Gang ist versperrt. Überall sind Decken, Matratzen, Betten, Schränke, Geräte und anderer Kram wie zu einer Barrikade aufgeschichtet. Über die gesamte Breite und Höhe des Flurs. Wer tut so was? Außerdem ist alles schwarz überzogen. Es stinkt erbärmlich nach Schimmel. Ekelhaft. Trotzdem müssen wir da irgendwie durchkommen.

Montag, 07. Oktober 2013 20:49

Wir haben in der Nähe zwei Äxte gefunden. Sie sind nicht im allerbesten Zustand, aber trotzdem sollte es damit gehen. Montag, 07. Oktober 2013 20:55

Überall Schimmel. Wir wirbeln ihn auf, atmen ihn ein, sind nur noch am Husten. Das kann nicht gesund sein. Immerhin scheint die Barrikade nachzugeben. Wir werden es schaffen.

Montag, 07. Oktober 2013 21:31

Wir sind durch! Aber wir selbst und unsere Kleidung sind voller Sporen. Außerdem habe ich mich an irgendetwas Rostigem geschnitten. Aber immerhin sind wir jetzt im Vorratslager. Irgendwo hier muss etwas sein, das uns hilft. Desinfektionsmittel. Vielleicht auch Antibiotika. Wenn hier nicht nur so elend viele Flaschen und Tablettenpackungen gelagert worden wären. Das kann dauern.

Montag, 07. Oktober 2013 21:53

Tina hat etwas gefunden. Das Desinfektionsmittel ist zwar alt und staubig, aber es sollte noch brauchbar sein. Die Antibiotika dagegen ... Abgelaufen November 1971. Was für eine blöde Idee! Wir hätten in ein Krankenhaus fahren sollen. Und das werden wir jetzt auch tun. Allerdings hat Tina inzwischen schwarze Adern rund um ihre Wunden. Uns läuft die Zeit davon und noch immer haben wir kein Netz.

Montag, 07. Oktober 2013 22:03

Wir haben entschieden, die Antibiotika dennoch auszuprobieren. Tina geht es beschissen und auch meine Wunde sieht nicht gut aus. Ich glaube nicht, dass wir die Zeit haben uns bis ins Krankenhaus durchzuschlagen. Ehrlich gesagt weiß ich gerade nicht einmal, wie wir hier wieder rausfinden sollen.

Montag, 07. Oktober 2013 22:07

Die Tabletten schmecken sehr bitter und wir haben nur wenig Wasser übrig. Die Packungsbeilage lesen wir lieber erst gar nicht. Ohnehin sind wir so furchtbar müde.

Montag, 07. Oktober 2013 22:21

Wir müssen weiter. Müssen ins Krankenhaus. Müssen unbedingt ...

Montag, 07. Oktober 2013 23:53

Wo zum Teufel bin ich hier? Und wo ist Tina? Das ist ganz bestimmt nicht mehr das Vorratslager. Ich bin nackt. Unter mir ein weiches Bett. Feucht. Es stinkt modrig. Ich will aufstehen, kann es aber nicht. So schwach.

Dienstag, 08. Oktober 2013 01:26

Bin wohl eingeschlafen. Irgendetwas ist anders. Ein scharfer, ekelhafter Geschmack. Irgendetwas Raues und Pelziges. Ist das Schimmel? Ich spüre einen Löffel unter meiner Zunge. Ich will ihn wegschieben. Kann es nicht. Irgendwas blockiert ihn. Hält ihn fest. Ein Arm. Ein schuppiger dünner Arm. Und dahinter eine Stimme. Eine sanfte und freundliche Stimme: "Gut so. Iss auf. Iss alles auf!". Ich will ausspucken. Ich will schreien. Keine Kraft. Kann nur schlucken. Und schlafen.

Dienstag, 08. Oktober 2013 02:59

Mir geht es so elend. Mein Bauch schmerzt. Und nun auch noch dieses grelle Licht. Dafür kann ich sie sehen. Die Gestalt, der die Hand und die Stimme gehörten. Wäre ich nicht so erschöpft, würde ich schreien und vor Angst den Verstand verlieren. Aber so kann ich sie nur beobachten. Sie trägt eine Schwesterntracht. Sie hat keine Haare, ist unglaublich dünn und ihr winziger Mund lächelt mich an. Ihre Haut ist Grau und schuppig. Und sie stinkt nach Fäulnis. Fast so schlimm wie ich. Meine Schrammen haben sich entzündet. Und auch mein Bett riecht grauenhaft. Es muss ebenfalls vergammelt sein. So wie alles hier. So wie auch ich bald, wenn ich hierbleibe.

Das Denken fällt mir schwer. Ich muss mich konzentrieren. Ich muss hier raus. Ich will hier nicht verrecken! Ich fokussiere mich auf die Umgebung. Die Schwester ist nicht allein. Neben ihr steht ein weiteres Wesen. Es trägt einen Arztkittel und bückt sich gerade über ein anderes Bett. Mir kommt ein übler Verdacht.

Doch ehe ich genau darüber nachdenken kann, geht die Schwester auf mich zu und packt mich. Ihr Atem ist kaum zu ertragen. Ich will mich wehren, aber ihre dünnen Hände halten mich fest wie Schraubstöcke. Mit einem matschigen Geräusch löse ich mich von der fauligen Matratze. Sie schleift mich über den schmutzigen Boden zum anderen Bett.

Dort sehe ich Tina. In ihren Armen stecken Schläuche. In ihren Mund wurde eine Magensonde eingeführt. Durch die Schläuche fließt eine brackige braungrüne Brühe direkt in den Körper der Frau, die ich mehr liebe als mein eigenes Leben. Ich kann Stücke von Schimmel darin erkennen. Meine Tina. Was tun sie ihr an? Ich würde es so gerne stoppen. Aber ich kann ja kaum stehen.

Dafür kann ich beobachten. Ich sehe, dass sie ihr ihren Bauch aufschneiden. Ich sehe, wie sie Schutt, Maden, Staub, Schimmel und Unrat in sie hineinstopfen und ihr Verbände aus fauliger Tapete anlegen. Ich sehe, wie sie sich in dem vermoderten Bett vor Schmerzen aufbäumt. Es ist mehr, als ich ertragen kann. Ich werde endlich ohnmächtig.

Dienstag, 08. Oktober 2013 04:11

Meine Lider zucken. Ich höre eine Stimme. Es klingt fast wie Tina. Ist es Tina? War das alles nur ein mieser Traum? Ja! Das muss so sein! Wir haben die blöde Lost-Places-Tour abgesagt und werden stattdessen gleich im hellen Tageslicht am Frühstückstisch sitzen. Tina wird mich liebevoll wecken. Es wird Aufbackbrötchen und die bittere Orangenmarmelade geben, die ich so sehr mag. Das Radio wird laufen oder irgendwelche Cartoons im Fernsehen. Und dann werden wir ...

"Stefan!", reißt mich eine Stimme aus meinen Wunschträumen, die nach Tina klingt, aber doch völlig anders ist. Schrill und hoch. Irgendwie fremd. Widerwillig öffne ich die Augen. Und wünsche mir, ich hätte es nicht getan.

Vor mir steht tatsächlich Tina. Aber sie hat sich völlig verändert. Ihr dichtes braunes Haar ist grau geworden. Und bis auf wenige Strähnen, die wie zerstörte Spinnweben von ihrem Kopf baumeln, ist es ihr ausgefallen. Ihre Haut ist trocken und rissig. Sie hat massiv an Gewicht verloren und ihre ehemals deutlich sichtbaren Brüste sind flacher Haut gewichen. Sie beugt sich über mich und verbreitet einen grauenhaften Gestank. Sie will mich küssen, aber ich will es nicht. Ganz bestimmt nicht!

Das hier ist nicht mehr Tina. Meine Tina ist tot. Ich drehe den Kopf in Richtung der fauligen Matratze. Es ist immerhin besser als sich dem Anblick ihrer dünnen Lippen zu stellen.

Tina - oder was auch immer sie jetzt ist - gibt einen enttäuschten Laut von sich. Sie dreht meinen Kopf gewaltsam in ihre Richtung. Ihre Haut fühlt sich dabei wie trockenes Pergament an. Ihre Augen blicken mich traurig an. Augen, die noch immer Tinas Augen sind. Es zerreißt mich innerlich. "Liebst du mich nicht mehr?", fragt sie. Was soll ich darauf antworten?

Sie gibt sich die Antwort selbst. "Du wirst mich wieder lieben. Wenn Doktor Schmitt und Frau Schulz mit ihrer Behandlung Erfolg haben, wirst du mich wieder lieben. Hilf ihnen, Stefan! Bitte! Lass es einfach geschehen. Kämpfe nicht dagegen an!"

Die Behandlung ... Ja. Sie hatte recht. Sie haben sie verwandelt. In eine von ihnen verwandelt. Mit Schimmel, Moder und Fäulnis. Mit mir haben sie es ebenfalls versucht. Aber ich bin nach wie vor ein Mensch. Elend, krank, voller Entzündungen und Schmutz. Aber trotzdem ein Mensch. Und das werde ich auch bleiben.

Mit letzter Kraft rolle ich mich aus dem Bett und versuche verzweifelt wegzukriechen. "Nein!", krächzt Tina. "Tut ihm nicht weh!". Erst begreife ich nicht, was sie meint. Bis Doktor Schmitt wie aus dem Nichts auftaucht und mich packt. Sein Griff ist fest wie Stahl. Fast im gleichen Moment kommt Frau Schulz dazu und bricht mir ohne jede Anstrengung die Beine. Die Schmerzen sind mörderisch. Wie eine Puppe trägt mich dieses grauenhafte Zerrbild einer Krankenschwester in mein vergammeltes Bett zurück. Meine gebrochenen Beine baumeln unkontrolliert in der Luft und reihen sich in die zahllosen eitrigen Entzündungen, Nekrosen und sonstige Schäden ein, die meinen geschundenen Körper bereits verunstalten. Ich habe nun endgültig aufgegeben. Ich werde hierbleiben. In diesem Krankenhaus. In diesem Haus, das Menschen krank macht.

Dienstag, 08. Oktober 2013 04:21

Durch meinen Schleier aus Schmerzen, beginnendem Fieber und Resignation höre ich erneut die Stimme des Tina-Dinges. "Es wird alles gut. Sie werden dich heilen". Oh ja, dachte ich, alles wird gut werden. Aber nicht durch ihre Heilung.

Nein, ich werde sterben. Und das ist in Ordnung. Es bedeutet Erlösung. Und Frieden. So leicht würden sie aber nicht aufgeben. Doktor Schulz zieht bereits eine neue Spritze mit fauliger Flüssigkeit auf.

Freitag, 11. Oktober 2013 09:01

Ich bin noch immer ich. Sie haben alles versucht. Unaussprechliche Dinge. Doch nun sind sie gegangen. Auch das Tina-Ding habe ich lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie haben mich aufgegeben. Endlich habe ich Ruhe. Mein Handy haben sie mir hiergelassen. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht wollen sie meinen Todeskampf studieren oder sich einen Spaß daraus machen. Letztlich spielt es keine Rolle. Viel werde ich ohnehin nicht mehr sagen können. Mein Hals schmerzt bei jedem Wort und ich spüre schon, wie mein Körper aufgibt.

Immerhin ein Gedanke tröstet mich in meinen letzten Augenblicken. Irgendwo in einer anderen Wirklichkeit sitzen ein glücklicherer Stefan und eine glücklichere Tina am Frühstückstisch, essen bittere Orangenmarmelade, schauen Cartoons und halten ihre Hände. Ich wünsche ihnen Glück!

Die Fabrik

Die Fabrik

-1-

Mit äußerster Anstrengung stemmte ich das rostige Tor auf, das die seit Langem stillgelegte Fabrik von der Außenwelt abschnitt. Ohne die hochwertige Brechstange, die ich mir im Baumarkt gekauft hatte, wäre es mir sicher nicht gelungen, sie aufzubekommen. So aber lag die alte Werkshalle schutzlos vor mir wie die Organe in einem geöffneten Brustkorb. Als ich in die riesige Halle eindrang, kam ich mir vor wie ein Archäologe, der ein altes Pharaonengrab gefunden hatte und der nun die heilige Stille dieser Grabstätte störte. Meine Schritte hallten donnernd auf dem schmutzigen Boden wieder. Mir schlug ein scharfer Duft nach Schmierfett und altem Eisen entgegen. Durch die milchigen Fenster des verfallenen Gebäudes strömte das Nachmittagslicht hinein und malte lange Lichtbahnen auf den Boden. Jahrzehnte alter Staub tanzte wirbelnd in der Luft. Was für ein erhabener Anblick.

Sofort zückte ich meine Kamera und schoss ein paar Bilder. Ich war froh, dass ich diesen Ort für mein Abenteuer gewählt hatte. Langsam schritt ich an den alten Maschinen vorbei. An Warnsymbolen, Instruktionen und Fließbändern. Erst als ich am Büro der Fabrikverwaltung ankam, machte ich Halt. Irgendwo von dort hatte ich ein Geräusch gehört. Ein lautes Rascheln. So als hätte dort jemand hektisch in den Akten gewühlt. Aber wer sollte das sein? Irgendjemand von der Stadt, der über den Abriss dieser Fabrikruine entschied? Ein Journalist, der etwas recherchieren wollte? Ein anderer Verrückter wie ich?

Aber die Tür war doch geschlossen gewesen. Gab es einen anderen Eingang, den ich übersehen hatte? Etwas beunruhigt trat ich aus der Halle in das kleine Büro. Dort gab es einen fleckigen braunen Schreibtisch, einen beigefarbenen Chefsessel aus Leder, der auch schon bessere Zeiten gesehen, einen Kalender von 1981 und angerostete metallene Regale voller Aktenordner. Sonst aber gab es dort nichts. Zumindest war dort keine Person zu sehen und auch keine Ratte, keine Katze oder sonst irgendein streunendes Tier. Wirklich seltsam. Akribisch suchte ich das Büro nochmals ab und fand immerhin zwei bemerkenswerte Dinge. Das erste war ein Aktenordner, der halb aus einem Regal hervorragte. Beim flüchtigen Durchblättern erkannte ich, dass es sich um eine Liste der Mitarbeiter der Fabrik handelte. Mir fiel wieder dieser Zeitungsbericht über vermisste Personen ein, den ich vor Kurzem gelesen hatte.

Bereits vor knapp vierunddreißig Jahren - also kurz vor Schließung der alten Konservenfabrik - waren dort mehrere Mitarbeiter als vermisst gemeldet worden und seitdem nie wieder aufgetaucht. Zu dem Zeitpunkt war die Fabrik bereits alt und marode gewesen. Unfälle hatten sich gehäuft und man hatte sogar die Fabrikleitung beschuldigt, etwas mit dem Verschwinden der Arbeiter zu tun zu haben. Beweisen konnte das allerdings niemand. Und die Fabrikbesitzer beteuerten natürlich ihre Unschuld.

Der Artikel berichtete auch davon, dass kürzlich weitere Menschen in der Nähe der stillgelegten Fabrik verschwunden waren. Ein Zusammenhang zwischen diesen Vorfällen konnte - schon allein wegen des großen zeitlichen Abstands - nicht hergestellt werden.

So sehr mich der verschobene Ordner beunruhigte; die zweite Entdeckung, die ich machte, tat es noch viel mehr. Hinter dem Schreibtisch, direkt neben einem der Regale klaffte ein großes, unregelmäßiges Loch in der Wand. Und davor waren Fußspuren. Frische Fußabdrücke von schweren Arbeiterstiefeln. Es brauchte nicht besonders viel Fantasie, um einen Zusammenhang zu dem seltsamen Geräusch herzustellen. Offensichtlich hielt sich irgendjemand hier versteckt. Doch wer sollte das sein? Flüchtige Kriminelle? Verzweifelte Obdachlose? Aber welches Interesse hätten die an der Personalliste der Fabrik? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Ich begab mich auf alle viere und zwängte mich durch das Loch. Immerhin war ich doch auf der Suche nach Abenteuern.

Ich musste mich ziemlich klein machen, um durch das Loch hindurch zu kommen. Immerhin folgte dahinter ein etwas breiterer Gang. Trotzdem musste ich immer noch auf allen vieren hindurchkriechen. Das war nicht gerade einfach. Zum einen, weil der Gang abschüssig war. Zum anderen, weil ich in einer Hand die Brechstange und in der anderen mein Smartphone hielt, um die allgegenwärtige Dunkelheit zu vertreiben. Die Luft im Gang war stickig und feucht. Ab und an tropfte mir von der Decke Wasser auf den Kopf. Ich hoffte zumindest, dass es Wasser war. Außerdem nahm ich einen leicht modrigen Geruch wahr, der sich mit jedem Schritt ein kleines Bisschen verschärfte. Mir wurde schwindelig und auch leicht übel. Aber an Umkehr war schon aus rein praktischen Gründen nicht zu denken: Der Gang war viel zu eng, um sich darin umzudrehen. Jetzt musste ich da durch. Also kroch ich weiter durch den Gang, der immer abschüssiger wurde. Ich musste bereits tief unter der Erde sein. Außerdem musste ich mich zunehmend konzentrieren, um nicht unkontrolliert nach unten zu rutschen. Einmal wäre es mir dennoch fast passiert. Ich hatte mich dermaßen erschreckt, als plötzlich eine fette Kakerlake vor mir auftauchte, dass ich den Halt verloren hatte. Doch zum Glück verkeilte sich meine Brechstange in dem engen Gang. So blieb ich unversehrt, was man von der matschigen Kakerlake an meiner Hose nicht behaupten konnte.

Ohnehin sah - und spürte - ich immer mehr Ungeziefer. Kakerlaken, Spinnen, Maden und sogar Ratten. Es war fast, als wären diese Tiere vor irgendetwas auf der Flucht. Zudem wurde der Gestank immer intensiver.

Irgendwann sah ich weit vor mir ein rötliches Licht. Und ich hörte laute Geräusche. Es klang fast nach ... Nein, das war unmöglich!

Und doch: Es klang tatsächlich nach Maschinengeräuschen. Dort unten kreischte, klackte, ratterte und polterte es mechanisch und je länger ich dem lauschte, umso deutlicher wurden in meinem Kopf die Bilder von Fließbändern und verschwitzten Arbeitern. Kein Zweifel: Tief im Leib der alten Fabrik war der Betrieb wieder aufgenommen worden. Doch zu welchem Zweck? Und warum stank es hier so sehr nach Verwesung? Ich hatte wohl keine andere Wahl als es herauszufinden.

Dennoch fiel mir inzwischen jeder Schritt schwerer, als der vorangehende und ich hielt es nicht mehr für eine besonders gute Idee hier hinabgestiegen zu sein. Das Ganze wurde mir langsam wirklich unheimlich. Als ich endlich das Ende des Tunnels erreichte, sah ich, dass mich mein Gefühl nicht getrügt hatte.

Was ich nun vor mir sah, war unheimlich. Vorsichtig ausgedrückt. Ich sah eine weitere riesige Fabrikhalle. Doch diese war nicht tot und leer wie die oben. Hier bewegten sich riesige Fließbänder voller Konservendosen. Hier gingen Dutzende Arbeiter ihrer Routine nach. Und doch handelte es sich hierbei nicht um eine gewöhnliche Fabrik. Die Arbeiter darin waren nämlich nicht menschlich.

Gut, manche von ihnen waren es vielleicht. Mehr oder weniger. Auch wenn sie leichenblass waren, mit riesigen dunklen Augenringen und ausgemergelten Gesichtern. Wieder andere hatten kaum noch Haare, wenige Zähne und waren ungewöhnlich groß. Die Schlimmsten aber waren regelrechte Monster. Sie waren extrem dünn, hatten unnatürlich lange Arme, winzige Münder ohne Lippen und voller scharfer Zähne. Ihre Haut war gräulich und ihre Hände wie Klauen geformt. Sie - das Begriff ich sofort - waren die Aufseher dieser höllischen Fabrik. Ich wollte angesichts dieser Schrecken sofort umkehren, aber da wehte mir ein solch ekelhafter Duft in die Nase, dass ich mich heftig übergab.

Die Wesen bemerkten mich natürlich sofort.

Noch während ich mein Mittagessen auf dem ohnehin schon schmutzigen Boden verteilte, kam einer von den Aufsehern auf mich zu. Trotz meines Zustands schaffte ich es noch meine Brechstange mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, auf seinen dünnen grauen Arm hinabsausen zu lassen. Doch es kümmerte ihn nicht. Er packte mich einfach mit seinen unglaublich kräftigen, dünnen Fingern. Ich schrie, ich trat um mich, ich schlug immer wieder mit der schweren Brechstange auf ihn ein. Aber er blieb völlig unbeeindruckt und schleifte mich einfach mit sich. Schnell sah ich die Sinnlosigkeit meines Tuns ein. Zwar hatten ein paar der menschenähnlicheren Arbeiter die Köpfe gehoben und gelegentlich sah ich in ihren Augen so etwas wie Mitleid. Vor allem aber wohnten darin Angst und Resignation. Niemand unternahm etwas, um mir zu helfen. So gab ich meinen sinnlosen Widerstand auf und verlegte mich aufs aufmerksame Beobachten. Vielleicht würde ich ja eine Möglichkeit zur Flucht entdecken. Doch alles was ich sah, war nur ein endloser Strom von Konserven. Kidneybohnen, Mais, Erbsen, Pilze, geschälte Tomaten, Kichererbsen, Suppen und viele weitere Lebensmittel. Sie wurden hier anscheinend befüllt und verschlossen. Doch zu welchem Zweck? Was wollten diese Kreaturen mit all den Konserven anfangen? Sie essen?

Der Aufseher schleifte mich gnadenlos auf einen dunklen Gang am Ende der Fabrikhalle zu. Das Letzte, was ich von ihr noch sah, war eine Maschine, die eine seltsame graugrüne Brühe in jede der Dosen füllte. Ich wusste zwar nicht, was das alles sollte, aber ich hatte ein sehr ungutes Gefühl dabei. Dann verschwanden die Halle und ihr rötliches Licht hinter mir und mich umgab nur noch Dunkelheit.

-2-

Es dauerte nicht allzu lange, bis ich mich in grellem kalten Neonlicht wiederfand. Es schien von der Decke einer Zelle herab, die vielleicht fünf Quadratmeter breit war und in der es durchdringend nach Schimmel roch. Der Putz an ihren Wänden war abgebröckelt und sie waren mit pelzigen, schwarzen Flecken übersät. Leider sah die Zelle aber trotz ihres Zustands sehr stabil aus, was nicht zuletzt an der rostigen, aber massiven Eisentür lag, mit der sie ausgestattet war. Außerdem war ich hier nicht allein. Neben mir saß ein älterer Mann. Er hatte nur noch wenige strähnige Haare, ein müdes, runzliges Gesicht und schuppige, trockene Haut. Seine Lippen sahen aus, als würden sie langsam von seinem Gesicht wegblättern.

"Herzlich willkommen!", begrüßte er mich mit rauer Stimme. Er lächelte. Oder er versuchte es zumindest. Dabei platzten seine dünnen Lippen auf und ein kleiner Blutfaden lief - vermischt mit schaumigem Speichel - an ihnen herunter. Der Mann ekelte mich an. Und doch war er wohl der Einzige, der mir mehr über all das hier erzählen könnte. "Wo bin ich hier? Was ist das für ein Ort?", fragte ich ihn. Er sah mich mit funkelnden Augen an. "Natürlich eine Fabrik.", sagte er lakonisch. "Doch sie stellt nicht nur Konserven her. Sie produziert auch Veränderung." Jedes Mal, wenn der Mann den Mund öffnete, kroch ein so abartiger Gestank daraus hervor, dass ich wünschte, er würde ihn für immer schließen. Dennoch musste ich mehr erfahren. "Veränderung?", fragte ich ihn deshalb verwirrt. Der Mann lächelte zynisch. "Ist dir die Maschine aufgefallen, die die Zusätze in die Dosen füllt?" Natürlich erinnerte ich mich an die gräuliche Brühe. Ich nickte. "Nun. Das ist Schimmel. Schimmel und Fäulnis. Sie füllen es in die Dosen. Und die Dosen bringen die Veränderung." Jetzt erst begriff ich. Er wollte mir erklären, dass diese Konserven die Mitarbeiter in Monster verwandelten. Ein abscheulicher Gedanke. Aber wie sollte das funktionieren? Schimmel konnte Menschen krank machen oder auch töten. Aber sie so verwandeln? Ich stellte die Frage laut. Er schüttelte amüsiert den hageren Kopf. Sein dünnes Haar peitschte um seinen Schädel. "Ihr da oben glaubt wirklich, alles zu wissen, was? Aber so war ich ja auch, damals, vor … ich weiß es nicht mehr … Jedenfalls ist es natürlich kein gewöhnlicher Schimmel. Er enthält ihre Essenz. Ihre Macht!" Er wirkte bei seinen Schilderungen beinah euphorisch. Ich hingegen war nur völlig verwirrt. "Wer sind sie?", fragte ich ihn.

Der Mann hielt kurz inne und sprach dann mit dramatischer Stimme: "Die Hüter des Verfalls. Götter der Verwesung. Kaiser des Niedergangs. Sie sind unsere Zukunft. Unsere einzige Zukunft!". Bei seinen Worten wurde mir ganz anders. "Die Zukunft von uns? Von den Menschen in dieser Fabrik?". Er lachte laut auf. Fetzen von Haut und Schorf lösten sich von seinen Lippen. "Nein, du Idiot. Die Zukunft der ganzen verfluchten Menschheit!"

Dann erzählte er mir die ganze Geschichte in grausamen und klaren Worten. Die Konserven waren nicht nur für die Arbeiter gedacht. Die Hüter des Verfalls lieferten sie an Supermarktketten, Einzelhändler, Discounter, Restaurants, Feinkostläden und Großhändler. Denn sie konnten sich leicht als Menschen tarnen, wenn sie nur wollten. Niemand sah dann einen Unterschied. Höchstens einen seltsamen Geruch, der schnell als Einbildung abgetan wurde. Es gab Tausende solcher Fabriken. In Europa, Asien, Afrika, Amerika. Auf der ganzen verdammten Welt. Und es wurden auch nicht nur die Konserven verseucht. Auch Fertiggerichte und viele Getränke erhielten die gleiche Behandlung. Meinen Einwand, dass die Menschen doch am Aussehen, am Geschmack und am Geruch erkennen würde, dass buchstäblich etwas faul war, wischte er einfach weg. Wozu gab es Aromen, Duftstoffe und Farbstoffe? Die Menschen nahmen doch sowieso nur wahr, was sie wahrnehmen wollten. Und sie waren gierig auf schnelles Essen. Sie wollten immer mehr davon. Und so bekamen sie es. Auch für meinen zweiten Einwand, dass man die Veränderung der Menschen doch nach all der Zeit längst bemerkt hätte, hatte er nur ein müdes Lächeln übrig. Aus diesem Grund erklärte er mir, würde man den Menschen da draußen nur sehr kleine Dosen verabreichen. Sie sollten nicht zu früh gewarnt werden durch zu extreme Verwandlungen und Veränderungen. Aber die Zeichen waren dennoch bereits allgegenwärtig. Essstörungen, Magen-Darm Erkrankungen, Haarausfall, Hautkrankheiten, Allergien, Depressionen, Schizophrenie, emotionale Abstumpfung, Verdummung und steigende Aggressionen. Allein das politische und soziale Verhalten der Menschen beweise doch schon die Effektivität ihrer "Ernährung". Das alles waren Zeichen eines Transformationsprozesses, der sich bei jedem Menschen etwas anders bemerkbar machte.

Nach diesen Ausführungen schwieg mein Zellengenosse und ließ mich mit meinen Gedanken allein.

Irgendwann, nach vielen Stunden in denen ich still die beunruhigende Anwesenheit meines Zellengenossen und die Aussichtslosigkeit meiner Situation erduldet hatte, brachte eines der Wesen uns Essen. Es handelte sich um einige Konserven, die mein Zellengenosse sofort mit hastiger Gier und großem Appetit verspeiste. Nun, da ich die Wahrheit kannte, wollte ich mich erst weigern zu essen. Aber welchen Sinn hätte das?

Ich würde nur mein unvermeidliches Schicksal hinauszögern. Ein Schicksal, das mich bald mit Sicherheit treffen würde. Ein Schicksal, das auch euch da draußen ereilen wird, früher oder später. Denn wir alle hatten bereits Tausende Male von ihrer Essenz gekostet. Und wer das häufig genug getan hatte, für den gab es kein Zurück mehr. Also langte ich zu. Die Bohnen waren köstlich.

Romantik

Romantik

Liebes Tagebuch,

Daniela geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Doch leider ist das Gefühl nicht so schön, wie es dieser Satz vermuten lässt. Klar, natürlich fasziniert mich diese Frau. Das würde jedem Mann so gehen. Sie ist nun einmal etwas ganz besonders. Aber sie lieben? Nein, lieben tue ich sie nicht. Wir sind einfach zu verschieden.

Haltet mich nicht für oberflächlich. Aber eine Frau mit grauer Haut? Fast ohne Haare? Ohne Brüste? Ohne Lippen? Dafür mit messerscharfen Zähnen? Nun: Das erfordert schon einen speziellen Geschmack.

Und dann ihr Atem. Er riecht so unglaublich streng. Würde ich ihr Blumen schenken, so würden sie davon sicher verwelken. Nicht, dass ich ihr das vorwerfe. Das liegt an ihrer Diät. Sie hat diese Vorliebe für Verdorbenes und Schimmliges. Da würde doch gewiss jeder so riechen.

Sicher hat sie ihre Qualitäten. Und sie hat viel Erfahrung. Immerhin ist sie ja auch schon sehr alt. Auch hat sie wirklich schöne Augen. Ja, die sind wirklich eindrucksvoll. Und stark ist sie auch. Und schnell. So verdammt schnell.

Beinah hätte sie mich eingeholt, damals bei unserem ersten zufälligen Treffen auf dem alten Schrottplatz, wo sie sich mir zu erkennen gegeben hatte. Fast hätte ihre Hand mich berührt in dieser Nacht, hätte ich nicht noch den letzten Zug bekommen. Vielleicht wäre unsere Geschichte dann ganz anders verlaufen.

Trotzdem, so einsam ich auch bin; ich kann sie einfach nicht lieben. Auch wenn sie mich so sehr zu lieben scheint. So sehr, dass es mir Angst macht. In ihr brennt eine Leidenschaft, die meine Albträume befeuert und meine Seele erzittern lässt.

Sie sucht mich. Sie möchte unbedingt zu mir. An jedem Tag. In jeder Nacht. Wo immer ich gerade auch bin. Es ist bereits mein dritter Umzug. Hier in Berlin sollte ich doch endlich sicher sein. Endlich durchatmen können, wenn ich schon niemanden von ihr und ihrer erstickenden Liebe erzählen kann, ohne dass man mich für verrückt hält. Ich habe ja sogar meinen Namen ändern lassen. Ich sollte von nun an wirklich Ruhe haben. Zu mir finden können. Sie vergessen können.

Doch was war das? Was habe ich gesehen, dort am Fenster? Waren das graue Haarsträhnen? Waren da blaue Augen? Sie kann mich nicht gefunden haben. Es darf ihr einfach nicht gelungen sein! Es klopft an der Tür. Die Post ist es nicht. Es ist elf Uhr nachts. Die Nachbarn sind weggefahren. Sie muss es sein. Was soll ich jetzt tun? Aus dem Fenster springen? Zum Auto rennen? Aber sie ist so verdammt schnell. Wieder klopft es. Unglaublich laut. Holz splittert. Die Tür wird nicht halten.

Es gibt keinen Ausweg für mich. Ich muss mich ihr stellen. Meinem Schicksal. Meinem unausweichlichen Schicksal. Erneut ein Krachen. Sie kommt. Ich höre Schritte.

Oh nein! Das Tagebuch! Ich muss es vernichten. Sie darf es nicht finden. Sie wird es lesen. Und wütend werden. So wütend. Ich muss es zerstören. Ich muss ...

Sebastian, Sebastian. Warum nur hast du es nicht verstanden? Wie groß unsere Liebe war? Wie wichtig sie war. Für dich. Für mich. Für uns.

Meine Freunde hatten es mir gesagt. Sie meinten, dass wir nicht zusammenpassen würden. Dass du nicht bereit wärst. Aber ich habe ihnen nie geglaubt. Nun aber hast du ihnen letztlich recht gegeben. Du dummer Idiot! Ich hasse Dich dafür. Und doch werde ich mich für immer in Liebe an Dich erinnern.

Dein Körper kann nun endlich ungestört verrotten. Ich habe ihm Frieden gebracht. Deinem unruhigen Leib. Doch deiner Seele schenke ich einen sanft gehauchten Kuss.

Wo immer sie jetzt auch ist.

In Liebe

Deine Daniela

Der Fleck

Der Fleck

-1-

Schwarz und hässlich grinste der Schimmelfleck an der oberen linken Ecke meines Wohnzimmers auf mich hinab. Ich hatte absolut keinen Schimmer, wie er dort hingekommen war. Ich wusste nur, dass mit Schimmel und ganz besonders mit schwarzem Schimmel nicht zu spaßen war. Also hatte ich mir das aggressivste Reinigungsmittel und den stärksten Schimmelentferner besorgt, den ich finden konnte, und würde dem Störenfried damit zu Leibe rücken. Ich öffnete alle Fenster, setzte meine Schutzmaske auf und kletterte auf die Leiter. Sofort begann ich den schwarzen Fleck großzügig mit dem Mittel einzudecken. Ich arbeitete sehr gründlich, da ich sichergehen wollte auch keine einzige Stelle übersehen zu haben.

Nun hieß es erst einmal abwarten. Ich kletterte wieder von der Leiter herunter, ließ die Fenster geöffnet, um die Gase des Schimmelentferners entweichen zu lassen, und ging dann erst mal in die Küche, um mir mein Abendessen zuzubereiten.

Während ich darauf wartete, dass meine Suppe endlich fertig wurde, fiel mein Blick auf das Spülbecken. Darin stapelte sich das dreckige und eingetrocknete Geschirr plötzlich fast bis zur Decke. Wie konnte das sein? Ich hatte doch vor ein paar Stunden erst gespült. Oder etwa nicht?

War ich wirklich so überarbeitet, dass ich meiner Erinnerung selbst bei so grundlegenden Dingen nicht mehr trauen konnte?

Aber egal. So konnte das jedenfalls nicht bleiben. Ich schnappte mir also meine Spülbürste und eine Flasche Spülmittel und legte los. Dabei stanken die Beläge auf den Tellern strenger als ich es erwartet hatte. Zudem waren sie nur sehr schwer zu entfernen und das, obwohl ich eigentlich erst gestern Abend gekocht hatte und in den Tagen zuvor nichts gegessen hatte, was sonderlich hartnäckige Verschmutzungen hinterlassen könnte. Jedenfalls war ich ganz schön geschafft, als ich mich endlich durch das Geschirr gearbeitet hatte. Und meine Spülbürste würde ich wohl bald wegschmeißen können, so dreckig und zerrupft wie sie nun war.

Jetzt aber endlich Feierabend. Ich verließ die Küche, legte mich auf mein Bett und schaltete den Fernseher ein, den ich im Schlafzimmer angebracht hatte. Elektrosmog hin oder her – es war einfach praktisch, wenn man mal so richtig abhängen wollte. Wie jetzt zum Beispiel.

Während ich so durch die Programme zappte und auf etwas wartete, dass mir gefiel, schweifte mein Blick durch das Schlafzimmer und blieb schnell an dem großen, matschigen Fleck hängen, der sich dort in der linken unteren Zimmerecke gebildet hatte. Er war fast so groß wie ein Fußball, von dunkelbrauner Farbe und bereits von Stockflecken umgeben. Außerdem tropfte von dort Wasser auf den inzwischen bereits ziemlich aufgeweichten Boden.

Was für ein Mist! Was war nur mit dieser Bude los? Erst der Schimmel im Wohnzimmer und nun auch noch ein Wasserschaden. Ich würde mal ein ernstes Wort mit meinem Vermieter reden müssen. Immerhin bezahlte ich wirklich zu viel für diese Bruchbude, um über solche baulichen Mängel einfach hinweg zu sehen.

Unwillig erhob ich mich von meinem Bett und holte das Reinigungsmittel aus dem Wohnzimmer. Dabei warf ich einen Blick auf den Fleck. War er etwa gewachsen? Das konnte ja eigentlich unmöglich sein. Ich schob diesen Eindruck auf meine gereizten Nerven und ging kopfschüttelnd ins Schlafzimmer zurück.

-2-

Als ich mich mit Lappen und Reinigungsmittel in der Hand vor dem hässlichen Fleck niederkniete, bemerkte ich etwas Seltsames. Irgendetwas ragte daraus hervor. Erst hielt ich es für irgendeine Unebenheit an der Wand, die ich bisher übersehen hatte. Als ich die spitzen, grauen Objekte jedoch genauer in Augenschein nahm, bemerkte ich, dass es sich dabei nicht um irgendwelche Unebenheiten, sondern um mehre dürre, hässliche Finger handelte. Finger, die sich noch dazu bewegten.

Vor Schreck fiel mir der Putzlappen aus der Hand und knisternde Wellen eiskalter Angst überfluteten mein Hormonsystem.

Völlig paralysiert beobachtete ich, wie sich die langen, umher tastenden Leichenfinger aus dem hässlichen, stinkenden Fleck heraus in meine Wohnung schoben.

Erst als den Fingern eine bleiche Hand und der Hand ein widerlicher, dürrer Unterarm folgte, gewann ich die Kontrolle über mein Denken und Handeln zurück. Da ich gerade nichts Besseres in Reichweite hatte, um mich zu verteidigen, besprühte ich den Arm mit dem aggressiven Reinigungsmittel. Zwar hätte ich lieber ein Messer oder eine Axt geholt, aber irgendwie ahnte ich, dass das Ding dem die Hand und der Arm gehörten bald in meiner Wohnung sein würde, wenn ich nicht sehr schnell handelte. Und ich wollte dieses Wesen ganz bestimmt nicht kennenlernen.

Doch auch wenn ich mir vom Einsatz des Reinigungsmittels nicht viel erhoffte, so hatte ich doch Erfolg. Auf der Hand bildeten sich hässliche, dicke Blasen und von jenseits meiner Hauswand ertönte ein schriller, unmenschlicher Schrei. Ich ließ Sprühstoß um Sprühstoß folgen und langsam aber sicher zog sich die Hand zurück. Erst als auch die bleichen Fingerspitzen wieder in der Wand verschwunden waren, erlaubte ich mir, durchzuatmen. Was zum Teufel war das gewesen? Auch wenn ich auf diese Frage keine Antwort wusste, so sagte mir ein unbestimmtes Gefühl, dass es etwas mit diesem Fleck zu tun hatte. Immerhin war die Kreatur ja genau dadurch eingetreten.

Also tat ich wie geplant mein Bestes um, den Fleck zu entfernen, was mir sogar einigermaßen gelang, auch wenn es mich während meiner Arbeit vor Ekel schüttelte. Anschließend stellte ich noch meine Kommode vor die Stelle, an der der Fleck jetzt nur noch schwach zu erkennen war, auch wenn ich nicht glaubte, dass dieses Wesen sich dadurch lange aufhalten lassen würde.

Überhaupt rechnete ich jeden Moment damit, dass sich das verstörende Ereignis wiederholen würde. Bewaffnet mit dem Reinigungsmittel kniete ich vor der Kommode, lauschte gebannt auf jedes noch so leise Geräusch und hielt angestrengt nach jeder noch so kleinen Bewegung Ausschau. Ich fragte mich schon, ob ich überhaupt je wieder etwas anderes würde tun können, als ich ein schnaubendes Geräusch aus dem Wohnzimmer hörte. Angst stach wie eine spitze, eiskalte Nadel in mein Herz und pures Adrenalin ließ mich sofort ins Wohnzimmer rennen. Was ich dort sah, war noch viel Schlimmer als das letzte Erlebnis:

Der Schimmelfleck aus dem Wohnzimmer hatte sich wirklich weiter ausgebreitet und war nun gut einen halben Meter breit. Aus seiner Mitte ragte bereits der hässliche Kopf eines lippenlosen Wesens mit strähnigen grauen Haaren hervor, welches sich schnaubend vorwärts schob. Geistesgegenwärtig holte ich die Leiter, die zum Glück noch immer in der Nähe stand. Trotzdem konnte ich bereits den dünnen Hals des Wesens sehen, als ich endlich mit dem Putzmittel auf der Leiter stand. „Lass mich rein. Dieses Haus gehört uns!“, brummte das Wesen mit dunkler Stimme.

Meine Antwort bestand aus konzentriertem Reiniger, den ich der Kreatur direkt in die Augen sprühte. Zwar bekam dabei auch ich etwas von der reizenden Substanz in die Augen, aber angesichts der Bedrohung vor mir fiel der daraus resultierende Schmerz kaum ins Gewicht. Immerhin schien der Reiniger auch hier, wie schon zuvor bei dem monströsen Arm, seine Wirkung nicht zu verfehlen. Doch auch wenn das Wesen offenbar große Schmerzen litt, versuchte es nach wie vor mit aller Kraft in mein Haus zu gelangen und ließ sich nicht einfach kampflos zurückdrängen. Also nahm ich meine bloße Faust zur Hilfe und prügelte mit der Kraft der Verzweiflung auf die trockene, fahle Haut der Kreatur ein. Zusammen mit dem konstanten Einsatz des Reinigers, schaffte ich es so letztlich doch, das Vieh zurückzudrängen.

Sofort begann ich auch diesen Fleck wie im Wahn wegzuputzen und erst als ich beinah keine Kraft mehr in meinen Armen und meinem ganzen Körper hatte, und schon drohte vor Erschöpfung von der Leiter zu kippen, stellte ich meine Bemühungen ein. Ich hatte in meinem Reinigungswahn nicht nur den Schimmel, sondern gleich die ganze Tapete entfernt, aber das war mir gerade herzlich egal.

Eines hatte ich begriffen: Diese Wesen konnten nur durch Schmutz und Dreck in mein Haus gelangen. Das Problem dabei war leider, dass sie diesen Schmutz anscheinend immer wieder aus dem Nichts heraus erzeugen konnten.

Als wäre das allein nicht beunruhigend genug, warf ich zum Ersten mal einen näheren Blick auf meine linke Hand. Das Wesen hatte mich gebissen. Ich sah eindeutig die Spuren scharfer Zähne, die sich tief in das Fleisch gegraben und blutige Wunden hinterlassen hatten.

Sofort rannte ich zu meinem Medizinschrank. Der Alkohol brannte zwar in der Wunde, aber ich hoffte sehr, dass er alles abtöten würde, was die Kreatur dort hinterlassen hatte. Sicher war ich mir da leider nicht. Wie sollte ich das auch sein? Ich hatte nie zuvor mit solch einem Wesen zu tun gehabt und seine Existenz bis vor Kurzem nicht einmal für möglich gehalten. Als ich die Wunde ausreichend desinfiziert hatte, legte ich einen straffen Verband um meine Hand und begab mich wieder ins Wohnzimmer.