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I'm a Man - oder: von der Suche nach der Liebe. Harry, 19, ist auf der Suche nach einer festen Freundin. Nach einigen vergeblichen Versuchen in der Disco seiner Heimatstadt findet er seine große Liebe in Sabrina. Ihre Sehnsucht nach Freiheit, das Engagement der beiden gegen ein geplantes Atomkraftwerk und die eskalierenden Konfrontationen von Staat und Kernkraftgegnern stellen die Beziehung der beiden auf eine harte Probe. Was ist stärker, der Freiheitswille und die Selbstbestimmung oder ihre Liebe?Anfang der 1970er Jahre in der bayerischen Provinz. Die Auswirkungen der 1968er Revolte hinterlassen auch hier langsam ihre Spuren. Doch man träumt auch von der High-Society: den Darstellern werden aufgrund ihres Aussehens die Namen bekannter Schauspieler- und SängerInnen verliehen. Aus der Disco-Welt der Kleinstadt führt die Geschichte über München bis nach New York und wieder zurück. Einige der besten Songs* aus den 1960/70ern, von der Spencer Davis Group bis zu Johnny Cash, lassen diese Zeitreise besonders lebendig wirken. *nicht als Audio-Datei enthalten!
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Seitenzahl: 228
Veröffentlichungsjahr: 2019
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I’m a Man
Von der Suche nach der Liebe
Roman
Hubert Schönwetter
Dies ist ein Roman!
Inhalt
PROLOG
Vorspann
Land of 1000 dances
Die Augen links
Night train blues
Träumerei
Hello, goodbye, I love you
Es war einmal in Amerika
Harlem Abenteuer
Central Park
Home sweet home
Love me do
Billard um halb Zehn
Unversöhnlich
What now my love?
Showdown
Come on
Die wichtigsten Mitwirkenden
... hat Ähnlichkeit mit …
Ich, Harry|Harrison Ford
Sabrina|Debbie Harry von Blondie
Clarki, Freund|Clark Gable, etwas dicker
Andy, Diskjockey 1|Andy Warhol
Bronso, Diskjockey 2|Charles Bronson
Marlene, Bardame|Marlene Dietrich
Herr Eberwein, Disco Manager|Tom Jones
Bonnie, Bedienung|Bonnie Tyler
Sharon|Sharon Tate
Sarah|Sarah Jessica Parker, etwas fester
France, Frau von Diskjockey 2|France Gall
Kathi|Katherine Heigl
Nicole|Nicole Kidman
Drud|unbeschreiblich hässlich
Diana|Diana Ross
Anita|Anita Ekberg
Sophie|Sophie Marceau
Musik in diversen Szenen
I’m a man, Spencer Davis Group
Time is tight, Booker T and the MGs
Born to be wild, Steppenwolf
Bad moon rising, CCR
Sugar sugar, Archies
Lay lady lay, Bob Dylan
Monday monday, Mamas & Papas
I got you babe, Sonny & Cher
Cotton fields, Beach Boys
Can’t find my way home, Steve Winwood, Eric Clapton
Green green grass of home, Tom Jones
Don’t you love me anymore, Joe Cocker
Barbier von Sevilla, Arie des Figaro
Chain reaction, Diana Ross
Aquarius, 5th Dimension
Nobody knows you when you‘re ..., Spencer Davis Group
It‘s all over now baby blue, Them, Van Morrison
Sloop John B., Beach Boys
Bridge over troubled water, Roberta Flack
Always on my mind, Elvis
The tide is high, Blondie
She used to love me a lot, Johnny Cash
PROLOG
Im Alter von sechs Jahren war ich wahnsinnig stolz auf mein allererstes richtiges Fahrrad. Es war zwar gebraucht, aber mein eigenes. Es hatte einen dunkelgrauen, sehr massiven Rahmen mit silbernem Lenker, sogar Licht mit Dynamo und eine ganz wundervoll läutende Klingel. Meine Eltern hatten es vom Fahrrad-Händler unten in der Bergstraße gekauft.
Im Haus war kein Platz für das Fahrrad, aber im Garten, der an einem Hang unterhalb des Stadtturms lag, befand sich ein Schuppen, in dem man es gut aufbewahren konnte. Ich konnte es kaum erwarten, das Fahrrad auszuprobieren. Mein Bruder sollte auf mich aufpassen, aber er war noch im Haus, während ich schon das Fahrrad aus dem Garten schob. Draußen gab es eine steile Treppe hinauf zum Weg, der entlang der Stadtmauer zum Stadtturm führte und dann weiter in eine Straße mündete. Ich packte den Lenker fest mit beiden Händen und versuchte, das Fahrrad die Treppen hinauf zu schleppen. „Boah!! Verdammt schwer, dieses Radl!“ Ich steckte zwischen zwei Treppen fest, schaffte es einfach nicht mehr weiter. Noch dazu hatte ich zu kämpfen, dass mich das Fahrrad nicht die Treppen wieder hinunter zog. Ich rief nach meinem Bruder – keine Antwort. Ich fing an, zu schwitzen und mein Kopf war bestimmt feuerrot. Ich merkte, dass ich es nicht mehr lange durchhalten würde und von meinem Bruder nichts zu sehen!
Da kam von unten ein Mädchen, das ein paar Jahre älter war als ich, ich hatte sie noch nie hier gesehen. Seltsam war es schon, da diese Treppe zum Turm so eine Art Geheimtipp war, eigentlich nur Eingeweihten bekannt. Die Fremde ging an mir halb vorbei, drehte sich abrupt zu mir um, kam auf mich zu, sehr nahe, starrte mich mit ihren dicken Brillengläsern und weit aufgerissenen Augen an. Ich erschrak, konnte aber wegen meinem Fahrrad nicht ausweichen. Von ihr ging ein äußerst seltsamer, sehr unangenehmer Geruch aus, ein Gemenge aus Asche, Teer und Verwesung, mir wurde richtig übel. Sie fragte, ob sie mir helfen könne. Ich hatte zwar Bedenken, mir von einem Mädchen helfen zu lassen, sah aber auch keinen anderen Ausweg.
Sie sagte: „Aber dann musst du mich einmal damit fahren lassen.“
Damit war ich nicht einverstanden. Da ging sie die Treppen weiter hinauf. Auf halbem Weg rief ich ihr hinterher „also gut, aber nur bis zum Turm!“ Das lies ich mir von ihr noch einmal ausdrücklich bestätigen. Sie übernahm die Lenker und ich schob zusätzlich von hinten an, so dass wir schnell oben angekommen waren.
Geradewegs schwang sie sich auf mein Rad und radelte los. Ich rief ihr hinterher „aber langsam.“ Das schien bei ihr das Gegenteil zu bewirken, immer stärker trat sie in die Pedale. Sie erreichte den Stadtturm. Ich schrie „halt, halt, stehen bleiben!“
Doch sie radelte einfach weiter, schon war die Straße erreicht und von da an ging es bergab, steil bergab. Ich hatte keine Chance, sie einzuholen. Nochmals schrie ich ihr hinterher, ohne Erfolg. Dann hörte ich meinen Bruder hinter mir rufen „was ist passiert, was hast du gemacht?“
„Sie hat mein Fahrrad gestohlen!“ stieß ich heulend hervor. Wir liefen hinterher, die Straße hinunter. Meine Knie wurden immer weicher, mein Gewissen immer schlechter. Die Eltern hatten so viel Geld für das Fahrrad ausgegeben, und nun war es weg, gestohlen! Und ich war schuld!
Endlich waren wir am Ende der Straße angekommen, aber keine Spur von dem Mädchen. Wir suchten noch einmal genauer die Umgebung ab – da sahen wir das Rad im Graben liegen, total verbeult, das Vorderrad hatte einen großen Achter, das Glas der Lampe zerbrochen. Mein Gott, mein schönes neues Fahrrad war kaputt, ohne dass ich es jemals gefahren hatte! Wir schleppten es den ganzen langen Weg zurück. Das fremde Mädchen blieb verschwunden, ihr hässliches Aussehen und ihren schrecklichen Geruch habe ich aber nie vergessen.
Damals habe ich nicht gesehen, dass das fremde Mädchen nur wenige Meter weiter im selben Graben lag, schmerzverzerrt, jedoch keinen Laut von sich gebend. Sie hatte sich einen komplizierten Beinbruch zugezogen, der nie wieder vollständig heilen sollte.
Vorspann
Aus dem Blaupunkt Autoradio dröhnte dieser unverwechselbare, rhythmische Keybord-Sound der Spencer Davis Group mit I‘m a man. Damit fühlte ich mich wie der King of the Road am Steuer des BMW 2002 Automatik. Es war meine erste Fahrstunde, und das mit einem BMW! Der Fahrlehrer, Herr Scheuerer, war ein korpulenter, immer finster dreinblickender Mann, der nur dann etwas von sich gab, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Neben mir auf dem Beifahrersitz hatte er mich aber schon ermahnt, nicht den Blinkerhebel mit dem Licht zu verwechseln, was mir allerdings andauernd passierte, da ich vorher schon mit dem VW Käfer meines Vaters das Fahren geübt hatte – aber beim BMW der Blinker auf der anderen Seite des Lenkrads war.
Am Marktplatz hatte ich mir auch schon einen tadelnden Blick geholt, als ich mit quietschenden Reifen anfuhr. Es ist aber tatsächlich nicht einfach, auf Kopfsteinpflaster mit 100 PS anständig anzufahren. Traditionell war die erste Fahrstunde eine Überlandfahrt, so fuhr ich nun durch die kurvigen, hügeligen Landstraßen der bewaldeten Umgebung. Herr Scheuerer neben mir dachte wohl, diese Zeit zu einem entspannten Schläfchen nutzen zu können. Es war wenig Verkehr und ich genoss das Steuern dieses schönen Wagens durch die abwechslungsreiche Landschaft. Da mich dieser Sound aus dem Autoradio mit seinem Da ra dam, da ra dam immer euphorischer werden ließ, drückte ich das Gaspedal etwas mehr durch. Leider folgten gerade jetzt mehrere enge Links- und Rechtskurven kurz nacheinander. Leicht pfeifende Reifen waren schon wieder zu hören. Dann kam auch noch eine nach außen abhängende Kuppe. Das war dann auch für den BMW zu viel, so dass wir auf die linke Straßenseite gerieten und ich größte Mühe hatte, das Auto überhaupt auf der Straße zu halten. Es gelang mir gerade noch. Dieses Manöver hatte Herrn Scheuerers Schlaf abrupt beendet, sein Kopf war fast auf meinem Schoß gelandet. In dem Augenblick kam uns ein Fahrzeug entgegen. Wäre das ein paar Sekunden vorher geschehen, wären wir wohl frontal zusammengestoßen. Herr Scheuerer meinte nur: „Weißt jetzt, was du falsch gemacht hast?“ Ich schluckte, konnte nur wortlos nicken. Zitternd und kraftlos behandelte ich das Gaspedal für den Rest der Fahrt wie ein rohes Ei. Ich dachte darüber nach, wie wenige Sekunden darüber entscheiden können, ob ein Unglück passiert und man vielleicht sogar stirbt oder ein langes Leben hat. Zufall oder Schicksal?
Den Führerschein habe ich ein paar Wochen später anstandslos bekommen, obwohl ich bei der Prüfung wieder mit quietschenden Reifen angefahren bin. Ich musste nicht einmal einparken. Na ja, ich hätte damit auch keine Probleme gehabt, so wie die meisten anderen Fahrschüler. Ein paar Abbiegemanöver in der Innenstadt und eine kurze Fahrt auf der Landstraße genügten dem Prüfer offenbar. Endlich hatte auch ich den Führerschein, dann würde ich nun auch die Mädchen von der Disco heimbringen können und nicht mehr auf Freunde angewiesen sein – diese Situationen waren immer sehr umständlich gewesen. Fehlte nur noch ein Auto.
Land of 1000 dances
Die Ranch war keine Farm im Mittleren Westen, sondern eine Disco in der Mittleren Oberpfalz, was geografisch einen Unterschied bedeutet. Vermutlich wurde sie Ranch genannt, da das Grundstück am Rande der Stadt rundum mit rustikalen Holzplanken eingezäunt war. Man erwartete förmlich eine galoppierende Mustangherde. Stattdessen wurde die Ranch regelmäßig von einer röhrenden, knatternden Heerschar von Käfern, Kadetts, 12Ms und R4s heimgesucht.
Die Ranch hatte drei Tanzflächen in verschiedenen Räumen. Der Diskjockey des Hauptraums hieß Andy, nach Andy Warhol, denn er war praktisch seine identische Kopie. Nicht künstlerisch – wobei er selbst dabei natürlich anderer Meinung war. Er hatte das gleiche fahle Gesicht, das wahrscheinlich nie Sonnenlicht an sich ließ, einen strohblonden Bubikopf mit extrem dunkler Sonnenbrille. Bei dem gedämpften Licht in der Ranch sah er wahrscheinlich so gut wie gar nichts und niemanden. Wenn man ihn um einen Musikwunsch bat, sagte er nur „später, wenn es ins Programm passt.“ Es passte aber so gut wie nie.
Im Nebenraum legte der Nachwuchs-Jockey auf, wobei dieser aber fast noch älter wirkte als Andy mit seinen dreiviertellangen, fettigen Haaren, Fünftagebart plus dünnem Schnurrbart mit heruntergezogenen Enden und seinen immer streng dreinblickenden schwarzen Augen war er eher eine schlechte, schmalbrüstige Kopie von Charles Bronson, deshalb nannte man ihn Bronso.
Der dritte Raum war eher etwas für Pärchen, mit einer Art von Separees.Hier lief meistens Schmusemusik vom Plattenspieler.
Es gab noch eine kleine Bar, die am Wochenende ab 22 Uhr geöffnet wurde. Die Bardame, Marlene – sie hieß wirklich so – sah aus wie Marlene Dietrich in ihren besten Jahren, und sie bewegte sich auch genauso, unheimlich distinguiert, elegant und nahezu makellos schön und sehr zurückhaltend. Deshalb war ich auch immer mindestens ein Mal am Abend an der Bar. Einmal lächelte sie mich sogar an.
Gemanagt wurde die Ranch von Herrn und Frau Eberwein, wobei die Hauptbeschäftigung der Frau das Zählen der Geldscheine war. Gleich danach widmete sie sich der Kontrolle ihres Mannes. Herr Eberwein war ein wirklich netter Mann. Immer kümmerte er sich ganz besonders um Clarki und mich – wir waren ja auch Stammgäste – aber auch die anderen Gäste konnten sich nie über schlechten Service beschweren. Normalerweise trank Herr Eberwein keinen Alkohol. Aber wenn, dann ließ er es richtig krachen. Wenn er das nötige Quantum intus hatte, schnappte er sich ein Mikrofon und veranstaltete eine große Tom Jones Karaoke-Show. Er hatte auch eine fatale Ähnlichkeit ihm, nicht nur im Aussehen, sondern in seinen ganzen Bewegungen. Die Tanzfläche war ihm nicht groß genug, er sprang von Tisch zu Tisch und unterhielt die Gäste mit seinem schauspielerischen Talent. Die Ranch brummte. Super Musik, prima zum Tanzen und die Gäste waren gut gemischt, selten feste Paare, ein paar Cliquen und auch ein paar Einzelne oder welche zu zweit. Leute, die sich amüsieren wollten und hier konnten Sie es.
Es gab eine Bedienung, die regelmäßig am Wochenende da war: Heike. Sie hatte eine Frisur wie Bonnie Tyler, nur die Haarfarbe war etwas dunkler, weshalb sie von den meisten auch immer Bonnie gerufen wurde. Die anderen Bedienungen wechselten häufiger.
Viele der Gäste kamen regelmäßig, wie z.B. Sarah. Ein etwas größeres Mädchen mit langen schwarzen Haaren, einem etwas robusteren, aber nicht unattraktivem Körper. Ihr Gesicht, na ja. Sie war offen und ehrlich, ein Kumpeltyp und konnte ganz gut tanzen, weshalb ich sie auch regelmäßig aufforderte. Für Clarki war sie etwas zu groß, wie er meinte.
Dann war da Sharon, genannt nach der amerikanischen Schauspielerin und dem Model Sharon Tate. Sie war das absolut schönste Mädchen weit und breit, vom Äußeren her nahe an der Perfektion. Die Wörter nett, sympathisch oder wenigstens Lächeln kannte sie leider nicht. Sie brachte überhaupt null Emotionen mit, sprach auch fast kein Wort, eine sterile Schönheit. Meistens saß sie nahe an der Tanzfläche und starrte ins Leere. Wenn jemand mit ihr tanzen wollte, gelang das nur, wenn es ein schneller Tanz war, den man auseinander tanzen musste. Kam danach ein langsamer, ließ sie die Partner einfach auf der Tanzfläche stehen und suchte sofort ihren Platz auf. Nur einmal sah ich sie, mit einem bekannten Sohn eines Arztes, der mindestens doppelt so alt war wie sie und schon eine halbe Glatze hatte, der Rest der Haare war dafür doppelt so lang wie normal, da tanzte sie mit ihm eng umschlungen zu dem Lied Je t‘aime, moi non plus von Jane Birkin – dem Sex-Song schlechthin – und was die beiden da auf der Tanzfläche öffentlich trieben, das gehörte wirklich in das Reich der Pornografie. Nach diesem Abend habe ich sie nicht wieder gesehen. Von der echten Sharon Tate hatte man leider schon im August 1969 die schreckliche Nachricht von ihrer brutalen Ermordung gehört.
France nannte ich ein kleines Mädchen mit langen blonden Haaren, das oft alleine an einem kleinen Tisch der Nebendisco saß. Sie ähnelte der französischen Sängerin France Gall und blickte immer sehr träumerisch ins Nichts.
Selten kam auch die Säge mit seiner Freundin Elisabeth. Sie war die ältere Schwester eines meiner Freunde. Die Säge belaberte Elisabeth ununterbrochen, schaute dabei aber immer anderen Mädchen hinterher. Ein Glas Limo reichte ihm für den ganzen Abend. Ich forderte seine Elisabeth jedes Mal zum Tanzen auf, weil ich wusste, dass sie gerne tanzt, aber immer meinte er, dass er nicht möchte, dass ich mit ihr tanze. Dabei bewegte sie sich immer sehr weiblich, nicht provozierend, sondern einfach ganz natürlich weich. Jahre später haben sie geheiratet und drei Kinder bekommen.
Manuel war ein südeuropäisch aussehender Junge aus meiner Parallelklasse, der die Mädchen reihenweise abschleppte. Er war auch ein sehr guter Fußballspieler. Meistens sahen wir ihn stundenlang in einer Ecke rumknutschen, diesen Abend mit einem sehr hübschen, kurzhaarigen Mädchen, das bei der Sparkasse arbeitete.
Dort arbeitete auch Christine. Sie war zwei Jahre älter als ich. An und für sich kein Drama, aber wenn man die unterschiedliche Entwicklung der Geschlechter gerade in diesem Alter bedenkt, war ich ihr hoffnungslos unterlegen, auch wenn sie mich das nicht so merken ließ. Wir konnten uns immer sehr gut unterhalten, und ich wollte mehr, aber sie ließ sich nicht darauf ein.
Ein Typ, vor dem alle zumindest Respekt hatten, war Richie. Er passte überhaupt nicht zum Rest des Publikums. Wenn er durch die Disco stürmte, räumte er jeden mit einer einfachen Handbewegung beiseite. Er starrte immer alle sehr direkt an, wie wenn er sagen wollte „was willst du? Komm her und ich geb dir eine aufs Maul!“ Gott sei Dank war er meistens in einer Kaschemme in der Innenstadt, von der man hörte, dass dort der halbe Abschaum der Stadt verkehrte, und nicht in der Ranch.
Gisela, die sehr viel ältere Schwester von Clarki, war die einzige, die ihm Paroli bieten konnte. Gegen ihr Mundwerk und ihre Argumente kam niemand an. Sie hatte eine tolle Figur, feuerrote Haare und ihr Ruf in der Stadt war etwas zweifelhaft. Aber ich glaube, da war nichts dran. Ich verstand mich sehr gut mit ihr. Sie respektierte mich und ich spürte, dass sie mich auch mochte – aber nur als Freund ihres Bruders. Leider war sie nur selten in der Ranch, und wenn, dann verschwand Clarki schnell, er fühlte sich von ihr immer unterdrückt. Später heiratete sie einen GI und ging nach Amerika.
Die offizielle Eröffnung des Tanzabends läutete immer die Melodie Time is tight von Booker T. & the M.G.‘s ein. Alle warteten schon sehnsüchtig, dass dieser Sound erklang, da dada da, daram. Dann konnte es endlich losgehen. Da am Anfang die Tanzfläche noch nicht so voll war, versuchte ich, gleich jemanden zum Tanzen zu finden. Ich hatte mich schon nach einer geeigneten Partnerin umgesehen, war aber noch nicht fündig geworden. Andy hatte gerade Born to be wild von Steppenwolf aufgelegt. Das wollte ich nicht versäumen und ich machte mich auf eine schnelle Erkundungsrunde durch den Saal. Von hinten erblickte ich eine Blondine mit langen, glatten Haaren und beeilte mich, sie auf die Schulter zu tippen und gleich zu fragen, ob sie tanzen möchte. Sie drehte ihren Kopf zu mir. Fassungslos starrte ich in ihr Gesicht, ein Gesicht mit Bart. In Erwartung eines wunderschönen blonden Engels war die Enttäuschung unsagbar groß – ich hatte einen Mann zum Tanz aufgefordert. Das Blut schoss mir in den Kopf, mir wurde heiß wie es im Death Valley sein musste, stammelte eine Entschuldigung und suchte das Weite, so schnell wie möglich raus aus der Ranch!
So einen Reinfall hatte ich noch nicht erlebt. Solch glatte, lange Haare bei einem Mann! Die Beatles mit ihren Pilzköpfen sahen dagegen ja wie brave Schulburschen aus. Das sollte man verbieten! Sieht man ja, wie das enden kann. Draußen auf dem Parkplatz lief ich auf und ab und versuchte, mich zu beruhigen und meine Gedanken zu ordnen. Also, schau dir in Zukunft bitte die Menschen genau von vorne an, bevor du sie ansprichst, mein Junge! Ich atmete nochmals tief durch und ging wieder auf meinen Platz bei Clarki. Den ganzen Abend bemühte ich mich, den Langhaarigen zu ignorieren, aber irgendwie kam es mir vor, dass heute besonders viele blonde Mädchen in der Disco waren. Langsam normalisierte sich die Lage. Die Archies sangen Sugar Sugar, ich fragte Elisabeth, ob sie mit mir tanzen wolle, die Säge erteilte mir wie immer eine Abfuhr („aber warte, ich krieg sie schon noch einmal!“) und ich kreiste weiter im Viereck (nicht im Rund) des Tanzraumes. War wieder nichts.
Also zog ich weiter in die Nebendisco, wo France wie gewohnt einsam an ihrem Tischchen saß. Ich hatte mich schon länger gefragt, was bei ihr nicht stimmte, aber sie sah immer so lieb aus, deshalb forschte ich nicht weiter nach. Ich hatte sie noch nie zum Tanzen geholt. Das machte ich jetzt zu Lay, lady, lay von Bob Dylan. Sie fühlte sich sehr zart und zerbrechlich an in meinen Armen und folgte meinen Tanzschritten ganz leicht und mit sehr viel Einfühlung. Ich bemerkte, wie uns Bronso mit seinen Blicken verfolgte. Also wollte ich ein bisschen weiter zum Rand tanzen.
Da meinte France „bitte, bleiben wir hier auf der Tanzfläche, hier ist doch genügend Platz.“
Ich entgegnete ihr „ich wollte nur etwas unbeobachteter sein.“
France: „Ist schon OK. Bleiben wir hier.“ Nach einer kurzen Pause: „Mein Mann möchte mich immer sehen. Sonst darf ich nicht mehr hierher mitkommen.“
„Dein Mann? Wo ist er denn?“
Sie nickte mit ihrem Kopf nach drüben „da oben, am Mischpult.“
Ich wusste, wer da saß, musste aber trotzdem zu ihm hinschauen „Bronso ist dein Mann?“ entfuhr es mir.
„Bronso? Er heißt doch nicht so!“
„Entschuldige, mir ist das nur so rausgerutscht.“
Sie sah mich komisch und zweifelnd an.
„Wie alt bist du denn?“ fragte ich sie.
„Siebzehn.“ (ich dachte an den Song Siebzehn Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir … – auch wenn ich mit Udo Jürgens sonst nicht viel anfangen konnte)
„Und dein Mann? Wie alt ist der?“
„Warum willst du das wissen?“ fragte sie mich.
Sollte ich ihr sagen, dass ich ihn für annähernd doppelt so alt hielt und dass ich fand, dass sie überhaupt nicht zusammen passten, besser nicht!
„Ach, nur so, egal.“
Bob Dylan sang das Ende vom Lied und France hatte anscheinend genug von mir. Mir reichte es auch, dass mich Bronsos Blicke immer noch verfolgten, als ich schon auf dem Weg aus dem Raum war. Also das!
Ich setzte mich zu Clarki, schnaufte durch und nahm einen großen Schluck vom Weißbier, in der Oberpfalz sagte man Weizen dazu. Übrigens war dieses Getränk zu dieser Zeit noch nicht sehr verbreitet. Als ich einmal in Österreich war, kannten sie es dort nicht einmal.
Andy spielte nun eine Reihe von langsameren Songs, gerade Monday, Monday, so good to me von den Mamas and the Papas – ein schon seltsamer Name für eine Band. Aber schön gesungen. Neben Elisabeth saß nun auch ein hübsches Mädchen aus ihrem Nachbarhaus, Kathi. Sie hatte blaue Augen und mittellange, dunkelblonde Haare, die am Ende neckisch hochdrapiert waren. Sah nett aus. Ich kannte sie flüchtig vom Sehen, deshalb holte ich sie gleich zum Tanzen. Die Säge guckte nur blöd aus der Wäsche.
„Hallo Kathi, wie gehts? Bist du öfter hier?“
„Eigentlich nicht. Elisabeth hatte mich gefragt, ob ich mitkommen möchte, deswegen bin ich nun da. Aber schön hier. Und gute Musik.“
„Ja, nicht wahr. Aber auch schön, dass wir uns hier getroffen haben. Du tanzt sehr gut.“
„Danke, eigentlich bin ich früher mit meinem Freund oft auf die Dorfwirtschaften zum Tanzen gefahren. Da war die Musik aber nicht so wie hier.“
„Ja, ich war auch ein paar Mal auf so einem Dorftanz, aber das ist nicht so wirklich meine Welt – und wo ist dein Freund heute?“
Sie zögerte etwas. „Ist vorbei. Aus und vorbei.“
Ich empfand darüber kein Mitleid, muss ich ehrlich sagen. Da bot sich eine wirkliche Chance für mich, und Kathi war attraktiv und ganz nett.
„Dann vergiss ihn einfach schnell. Lass uns Spaß haben heute, Kathi.“
Sie lächelte mich an und ich spürte, dass auch sie mich mochte.
Sonny & Cher sangen I got you babe und nun ging alles sehr schnell. Wir tanzten sehr eng, spürten uns intensiv, küssten uns lange und gefühlvoll, während wir tanzten. Dabei vergaßen wir alles andere um uns herum. Nach dem Song gingen wir raus auf den Parkplatz, hielten uns an den Händen und beobachteten verliebt den Mondschein, richtig romantisch war es. Wir schlenderten wieder hinein und wechselten unsere Plätze, gingen gemeinsam an einen kleinen Tisch im Separee-Raum. Wir tauschten viele kleine Zärtlichkeiten aus, Zeitgefühl kannten wir nicht mehr.
Plötzlich stand Elisabeth vor uns, nervös sagte sie „komm Kathi, Erwin möchte jetzt gehen. Er drängt schon. Bitte komm schnell!“
Ich sagte zu Kathi, ich hätte sie auch sehr gerne heimgebracht, aber mein Auto sei noch in Arbeit. Wieder einmal versaute mir das fehlende Auto alles! Weil sie den Freund von Elisabeth nicht verärgern wollte, verabschiedete sie sich rasch von mir. Vorher verabredeten wir uns für morgen zum Tennis, das sie anscheinend öfter spielte. Ich hatte bisher nur wenige Male gespielt, dementsprechend schlecht war ich darin, aber das wollte ich nicht öffentlich zugeben. Flüchtig gaben wir uns einen Abschiedskuss, Elisabeth drehte sich im Gehen noch einmal zu mir um und blickte mich mit einem etwas strafenden Blick an, ich lächelte zurück.
Clarki war der anerkannte King bei Jive und Rock&Roll. So gut wie er konnte keiner tanzen. Wenn es sein musste, fast den ganzen Abend. Sein Jacket zog er nie aus, selbst wenn er schon in seinem eigenen Schweiß ertrank. Ich war beim Jive bestenfalls die Nummer zwei, aber Clarki hatte heute seinen großzügigen Tag – vielleicht deshalb, weil heute seine Schwester Gisela nicht aufgekreuzt war – und er wollte mir Nachhilfeunterricht beim Jive geben. Nur, zwei Männer Arm in Arm tanzend? Wo und wie sollten wir das machen? Besonders nach meiner heutigen Erfahrung mit dem blonden Bärtigen! Wir sagten Tom Jones alias Eberwein, dass wir in wenigen Minuten wieder da seien und fuhren schnell in Clarkis Exoten, einem VW 1600 TL Fließheck, in den nahen Waldparkplatz an der kleinen Quelle. Akribisch kontrollierten wir, dass wir wirklich alleine waren und suchten nach einem nicht einsehbaren kleinen Platz. Dann zeigte er mir, worauf es ankommt. Er war sehr streng und passte genau auf, ob ich die richtige Schritte machte und die Tempi einhielt, wobei das ohne Musik auf einige Schwierigkeit stieß, aber schließlich waren wir beide einigermaßen zufrieden und brausten wieder zurück zur Ranch.
Für den Jive hatte Clarki meistens die gleiche Partnerin, Bettina. Sie passte zu Clarki und sie tanzten auch sehr gut zusammen, aber ich fand nichts Gutes an ihr. Weder ihr Aussehen noch ihre Sympathie. Unterhalten konnte ich mich auch so gut wie gar nicht mit ihr. Da lief Sarah an unserem Tisch vorbei und ich fing sie gleich ein, da die Beach Boys Cotton Fields sangen, das war nicht allzu schnell und ein sehr melodischer Jive. Nach einigen ersten schweren Schritten war ich drin und konnte gleich meine von Clarki neu gelernten Tricks mit einbauen. Wenn in der Ranch jemand besonders gut tanzte, verließen die anderen Paare die Tanzfläche und schauten aufmerksam zu, manchmal gab es sogar Szenenapplaus. Clarki war überraschenderweise schon beim letzten Rock&Roll vorher ausgestiegen. Anscheinend gab es ein paar Unstimmigkeiten mit Bettina. Nun waren wir das einzige tanzende Paar – und tatsächlich – hatten wir harmonisch und technisch anspruchsvoll getanzt, so dass wir sogar Beifall bekamen. Ganz stolz führte ich Sarah zurück an ihren Platz.
Clarki gratulierte mir zu meinem gelungenen Jive. Neidisch war er nicht, denn er wußte, dass er normalerweise der Bessere ist. Und sein Unterricht war ein voller Erfolg gewesen. Aber er war nicht mehr so gut drauf, Bettina hatte ihn schon verlassen und er wollte auch gehen. Sonst sind wir oft zusammen gegangen, aber ich war noch voller Energie – so ein ereignisreicher Abend – deshalb wollte ich noch bleiben.
Lange dauerte es allerdings nicht und die Ranch leerte sich relativ schnell. Es ergab sich keine weitere Gelegenheit mehr zum Tanzen, die meisten Mädchen waren zu diesem späten Zeitpunkt in mehr oder minder festen Händen, aber ich ich hatte doch ein zufriedenes Gefühl über einen schönen Abend. Frau Eberwein stand an der Kasse und ging ihrer Lieblingsbeschäftigung nach, wobei sie zwischendurch immer wieder nach ihrem Mann lugte. Bonnie kassierte die letzten Tische ab und kam am Ende zu mir.
„Na, Harry, so kenne ich dich gar nicht. Sonst bist du doch auch nicht bis zum bitteren Ende da.“
Ich wollte etwas Nettes sagen. „So haben wir endlich einmal mehr Zeit für uns, liebe Bonnie.“
Sie blickte mir tief in die Augen. Und ich wusste, das wird ein Nachspiel haben!
„Ach, du willst mich bestimmt nur bezirzen, damit ich bei deiner Rechnung durcheinander komme.“ Sie setzte sich zu mir, holte ihren Notizzettel aus der Tasche und rechnete sehr langsam zusammen.
„Du bist auch schon etwas müde heute. Kein Wunder. Solange auf den Beinen, die laute Musik und die ganzen nervenden Gäste!“ sagte ich.
Sie sah mich wieder lange an. „Ja, jetzt brauche ich Erholung. Schlafen kann ich auch nicht gleich nach der Arbeit.“
Das war schon als kleine Aufforderung zu verstehen. Ich weiß nicht, woran es lag, aber auf einmal erschien mir Bonnie als besonders begehrenswert. Ich hatte sie immer als ein ruhiges, ausgeglichenes Mädchen gesehen, aber als Bedienung gehörte sie eigentlich nicht zum Beuteschema.
Ich fragte sie „hast du noch etwas vor? Willst du noch wo hingehen?“
„Ach, ich weiß nicht. Ich glaube, das wäre mir doch zu anstrengend, dann komme ich gar nicht mehr ins Bett. Und du? Du scheinst ja heute noch ganz aktiv zu sein. Getanzt hast du auch sehr schön.“
„Danke, heute war es wieder sehr gut hier. Jetzt weiß ich auch nicht, was ich anfangen soll. Mein Taxi ist auch schon weg.“
„Dein Taxi? Ach, du meinst Clarki. Ihr seid ja immer zu zweit unterwegs. Wo wohnst du denn, ist es weit?“