Ich bin ein Mann, holt mich hier raus - Christian Gottwalt - E-Book

Ich bin ein Mann, holt mich hier raus E-Book

Christian Gottwalt

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Beschreibung

Ein erschütternder Blick in die Modewelt und die Abgründe der weiblichen Seele, schonungslos offen und hinreißend komisch!

Sein neuer Job bei einem Frauenmagazin stellt Christian Gottwalt vor unvorhersehbare Schwierigkeiten: Sicher, die Namen seiner 33 reizenden Kolleginnen wird er sich bald merken können, bei Redaktionskonferenzen zu so intimen Themen wie Brazilian Waxing bleibt er inzwischen relativ entspannt, und vielleicht kann er irgendwann sogar die Paddington von Chloé von einer Kelly Bag unterscheiden. Aber auf der Behandlungsliege einer Kosmetikerin, bei seiner ersten Gesichtsmaske, packt ihn eine schreckliche Gewissheit: Er reift zur Frau.

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Seitenzahl: 332

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Inhaltsverzeichnis
 
Das Buch
Der Autor
Vorbemerkung
 
1 Alles ist weiß
2 Wie alles begann
 
Copyright
Das Buch
Seinen neuen Job beim Frauenmagazin ItGirl hat sich Markus Bauer anders vorgestellt: Er kann sich die Namen seiner 35 reizenden Kolleginnen nicht merken, bekommt bei intimen Themen wie Brasilian Waxing rote Ohren und muss lernen, in welcher Reihenfolge man Wachs, Spray, Schaum, Festiger und Conditioner ins handtuchtrockene Haar gibt. Umgeben von La Mer-Cremes, Kelly-Bags und Louboutin-Schuhen stürzt er in eine Identitätskrise: Reift er langsam zur Frau? Eine Frage, auf die nicht mal seine beste Freundin eine Antwort weiß …
Der Autor
Christian Gottwalt, 1968 in Mellrichstadt in Unterfranken geboren, studierte Volkswirtschaft in Würzburg und absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München. Er arbeitete zehn Jahre lang als Redakteur beim Süddeutsche Zeitung Magazin, wo er sich um schräge Geschichten, die Überschriften und die Wortspiel-Kolumne »Gemischtes Doppel« kümmerte. Danach war er zwei Jahre lang Textchef beim Frauenmagazin Instyle. Heute lebt er als freier Journalist in München.
Vorbemerkung
Ich werde gefragt, was an diesem Buch wahr ist, im Sinne von: tatsächlich passiert. Nun, wenn man das aufschreibt, was man selbst erlebt hat, ist das inspizierte Realität. Wenn man etwas erlebt, nur um es aufzuschreiben, ist es inszenierte Realität. Und wenn man etwas aufschreibt, nur damit man es demnächst erleben wird, ist das induzierte Realität. Das Erste ist das Leben, das Zweite das Theater und das Dritte Hokuspokus. Also: Alle Szenen sind echt, alle Geschichten erdacht.
C.G.
 
Oder mit den Worten der Juristen (nach dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2007, Fall »Esra«):
Dieses Buch erhebt keinen Faktizitätsanspruch. Es basiert zwar zum Teil auf zwangsläufigen Rahmenbedingungen der Medienbranche und verwendet das dort übliche Personaltableau. Diese Urbilder werden jedoch durch künstlerische Gestaltung des Stoffs und dessen Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus dieses Kunstwerks gegenüber den Abbildern so stark verselbstständigt, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert ist.
Hier findet ein Spiel des Autors mit der Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Der Autor lässt bewusst Grenzen verschwimmen. Die literarisch verständigen Leser, und nur solche werden dieses Buch in Händen halten, vermögen ohne weiteres zu erkennen, dass sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen erschöpft, sondern dass er eine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene besitzt. In diese gilt es einzutauchen.
1 Alles ist weiß
Alles ist weiß. Die Bodenkacheln, das Resopal der Wände, die Verschalung der Decke. Ich sitze auf dem Klo und konzentriere mich auf meinen Atem. Am Fluss des Atems kann man ja so viel ablesen: Manchmal strömt er gemächlich und ruhig wie der Rhein, manchmal rauscht er wild wie die Isar bei Hochwasser. Im Moment erinnert er an einen Sturzbach, der im Gebirge zu Tale fällt. Aber das wird schon wieder.
Leider ist die Kabine viel zu eng, um ordentlich zu meditieren. Auf dem Klodeckel kann man nicht vernünftig sitzen, weil eine Schraube fehlt. Der Schneidersitz scheidet also aus. Macht aber nichts. Ich stelle beide Füße parallel auf den Boden, achte darauf, dass Ober- und Unterschenkel einen rechten Winkel bilden und versuche, den Rücken gerade zu halten. Die Arme leicht angewinkelt, die Handrücken auf den Knien. Drei Finger bleiben ausgestreckt, Daumen und Zeigefinger bilden einen Kreis. Das soll die Energie im Körper halten, sagen die Yogis. Aber da braucht man nicht dran glauben, wichtig ist nur, dass man drauf achtet, wie alles am Körper so liegt und steht und sitzt.
Bis zum Flur sind es drei geschlossene Türen, die beinahe alle Geräusche von draußen abfangen. In die Kabine dringt nur das leise Surren einer Klimaanlage und das dezente Plätschern von Wasser. Mit geschlossenen Augen und ein wenig Fantasie klingt es wie bei einem dieser schicken Brunnen in den Wellnessbereichen teurer Hotels. Einer der beiden Pinkelpötte ist kaputt. Er gluckert leise vor sich hin, bei Tag und bei Nacht. Wie schön.
Wäre ich ein Schriftsteller, könnte ich vielleicht das Gefühl der Ruhe, das jetzt einsetzt, so beschreiben, dass man es als Leser nachempfinden kann. Doch ich bin keiner, ich bin bloß ein Journalist, genau genommen ein Exjournalist, denn wenn mich heute jemand fragt, was ich denn beruflich so mache, antworte ich ihm, dass ich Werbetexte im Bereich Kosmetik schreibe. Eine Kollegin, die Dinge ganz gut auf den Punkt bringen kann, formulierte einmal: Du betreibst Textkosmetik an Kosmetiktexten. Ich finde, das trifft es ziemlich genau.
Die Idee, mich manchmal aufs Herrenklo zu verkriechen, kam mir vor einigen Wochen. Ich saß gerade in der Kabine und blätterte im Stern herum, da flog plötzlich die Tür auf. Jemand rannte durch den Raum, stürmte in die Nachbarkabine und atmete schwer. Dann ein Stöhnen und ein Schimpfen, aber so genuschelt, dass es nicht zu verstehen war. Der Klodeckel wurde nach unten geklappt und mit einem Ächzen stieg jemand auf ihn drauf. Dann wurde es ruhig. Die Person in der Nachbarkabine hielt ihren Atem an. Ich ebenso. Ich traute mich nicht mal mehr, umzublättern. Draußen, vor der äußersten Tür, wurde es laut. Schritte waren zu hören und Schreie auf dem Flur.
»Luzius! Luuuz-jus! Verdammt, wo ist der jetzt schon wieder hin?« Die Stimme, die da rief, war die von Victoria, meiner Chefin. Sie suchte ihren fünfjährigen Sohn, und ihrem Tonfall war zu entnehmen: Das war keines der üblichen Versteckspiele, bei denen die Mutter so tut, als wüsste sie nicht, wo ihr Kind steckt. Das war Ernst. Irgendwann öffnete Vicky die äußere Tür der Herrentoilette einen Spalt und rief »Luzius« in den Vorraum. Dann, nach hinten gewandt:
»Penelope, ist er etwa da drin?«
In diesem Augenblick wurde mir klar: Vicky traute sich nicht herein! Keinen Schritt, nicht einmal in einem mütterlichen Notfall wie diesem! Und Penelope, ihr peruanisches Kindermädchen, konnte sie auch nicht hineinschicken. Nicht in die Herrentoilette! Überhaupt konnte sie niemanden schicken, denn der einzige Mann, der sich außer mir normalerweise noch auf dem ganzen Stockwerk befand, war gerade in Urlaub. Genau da begriff ich, dass ich als Mann auf der Herrentoilette sicher war vor all den Frauen da draußen. Absolut sicher. Die Herrentoilette der Redaktion eines Frauenmagazins ist für Männer eine Art Schutzzone. Und diese Erkenntnis verdanke ich einem vorlauten, frechen Fünfjährigen.
Mit geschlossenen Augen falle ich fünf Minuten lang ins Nichts.
Die Gedanken werden leiser. Ich bin dabei, alles zu vergessen. Vor allem die Welt hinter den drei Türen. Die kann nämlich ganz schön anstrengend sein.
 
»Darf ich dich quälen?« Carlotta betritt mein Büro, in der Hand einen Aschenbecher und eine Schachtel Zigaretten.
»Aber natürlich darfst du das.«
Carlotta sagt das nur im Spaß, das mit dem Quälen. Schließlich ist sie meine beste Freundin in der Redaktion. Ich kenne sie schon seit fast zehn Jahren. Sie gibt mir Halt, wenn es mal wieder allzu turbulent wird. Und gerade ist es turboturbulent.
»Ich war eben auf dem Klo und habe Atemübungen gemacht.«
Carlotta geht nicht darauf ein, anscheinend findet sie das nicht weiter merkwürdig. Um die Absurdität der Aussage noch zu unterstreichen, hänge ich mich kopfüber auf meinen Bürostuhl. Die Rückenlehne des Sessels unter die Knie geklemmt, den Kopf nach unten baumelnd. Alles steht Kopf, auch Carlotta. Auch das scheint sie völlig normal zu finden. Kommentarlos zieht sie an ihrer Zigarette. »Magst du keine?«
In dieser hängenden Haltung bemerke ich zum ersten Mal, auf was für einem blöden Sessel ich den ganzen Tag lang sitze. Ein klassischer Chefsessel aus schwarzem Leder, das an den Armstützen schon ein wenig abgeschubbert ist. An der Unterseite hängt eine Plastikabdeckung nutzlos herab. Immer, wenn ich aufstehe, macht es Klackeradack. An dem Plastikding liegt das also. Was für ein dummer Sessel! Alle anderen sitzen auf orangefarbenen Stoffstühlen. Die sehen zwar nach Ikea aus, aber lieber nach Ikea als nach Chef. Ich hätte gerne einen anderen Stuhl. Aber um ihn loszuwerden, müsste man einen Investitionsantrag stellen. Ach, lassen wir das.
»Es ist ganz normal, dass man hier verrückt wird«, sagt Carlotta.
»Meinst du?«, frage ich und setze mich wieder vernünftig hin.
»Alle hier sind verrückt.«
Ach ja, irgendwie beruhigen zwei Minuten Gespräch mit Carlotta nachhaltiger als zehn Minuten Meditation.
 
Der Tag heute geht aber auch an die Substanz. Ein Mittwoch, zwei Tage vor Redaktionsschluss. Weil so viel zu tun war, ging ich heute schon um acht ins Büro, eineinhalb Stunden früher als sonst. Ich hatte mir fest vorgenommen, zwei Beauty-Geschichten zu redigieren, strandete aber bei einer kleinen Recherche im Internet auf einer Seite namens »Simpsonize Me«, auf der man eine Simpsons-Figur nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann. Mit vielen Haaren oder mit wenig Haaren. Mann oder Frau. Mit Glupschaugen oder mit stechendem Blick. Viel Überbiss oder nicht so viel. Blassgelb oder Zitronengelb oder Eidottergelb. Mit Brille oder ohne. Jedenfalls, nachdem ich eine Figur entworfen hatte, die Vicky verdächtig ähnelte, war es beinahe zehn. Verdammt, die Texte! Schnell redigiere ich zwei Partyseiten, zwei Trendseiten und ein bisschen Beauty weg.
 
Unterdessen ruft Paula an, eine unserer freien Redakteurinnen. Während ich mit ihr spreche, kommt Katja mit den Look-Seiten. »Hast du heute Zeit für die Bildunterschriften?«
Ach, Katja.
Ich schiebe Katja schon seit zwei Tagen vor mir her. Ist eigentlich nicht viel, die zehn Look-Seiten. Drei Zeilen pro Seite, nur mal kurz drübergucken, damit sich nichts doppelt, nicht mal eine halbe Stunde Arbeit.
»Ja, Katja, versprochen, heute machen wir das.«
Aber vorher muss ich noch eine Trendseite fertig machen, auf der es um Justin Timberlake und seine verschiedenen Partnerinnen geht. Der Mann hat tatsächlich einen Faible für den Partnerlook. Auf einem Bild steht er neben einer Blondine im bodenlangen Jeanskleid und trägt einen verwaschenen Jeansanzug, ein hellblaues Jeanshemd und einen Jeanshut. Ein groteskes Outfit. Also noch ein Anruf bei Paula: »Sag mal, wer ist denn die Jeans-Frau neben Timberlake? Ach was, das ist Britney Spears? Wahnsinn, die zwei, oder? Ich würde ja drunter schreiben: Die beiden haben bestimmt auch Handtücher mit ›Sie‹ und ›Er‹ im Bad hängen. Machen wir das? Ich find’s lustig! Na, super.«
Dann noch eine kurze Nachfrage bei Carlotta: »Wieso liegt bei der Pfeiffer denn L.A. unten im Talkessel? Ich denke, die wohnt gar nicht in L.A.«
»Du musst schon genau lesen. Das mit der Aussicht bezog sich nicht auf ihre Wohnung, sondern auf die Location des Fotoshootings.«
»Oh, sorry, mein Fehler. Aber sonst ist alles okay.« Ich pfeffere die Pfeiffer raus. Mit »Michelle, ma belle« als Überschrift. Ab damit in die Schlussredaktion.
Fünf Minuten später ist Vicky am Telefon. Ihr ist »Michelle, ma belle« zu fremdsprachig.
»Das verstehen nicht alle.«
»Okay, dann denk ich mir was Neues aus.«
Kaum hat Vicky aufgelegt, kommt Cora rein, um auf die Tube zu drücken.
»Warum arbeitest du nicht?«
»Aber ich arbeite doch, ehrlich!«
»Du hast nichts ausgecheckt.«
Ich mache einen Doppelklick mit der Maus.
»So. Jetzt hab ich was ausgecheckt.«
Cora guckt entnervt. Sie war heute schon zum zweiten Mal da, und dabei ist es noch nicht mal elf. Katja kommt auch schon zum zweiten Mal mit den Look-Seiten. Es plagt mich das schlechte Gewissen. »Jetzt machen wir das«, rufe ich, »jetzt, gleich, sofort.« Doch dann ruft Elke an: »Sofort zur Titelzeilenkonferenz.«
»Aber die war doch erst für drei geplant.«
»Gloria hat sonst keine Zeit mehr, drüberzugucken.«
Gloria ist die Oberchefin.
»Und was wird aus meinem Mittagessen …?«
Elke hat schon wieder aufgelegt.
»Sorry, Katja, ich muss los, die blöden Titelzeilen machen.«
Wie ich diese Konferenzen hasse! Das ist nichts Besonderes: Alle hassen diese Konferenzen. Aber ich habe dort immer einen gro ßen Auftritt, und große Auftritte meide ich wie die Pest. Ich muss vor versammelter Runde alle Geschichten des Heftes vorlesen. Die Titelgeschichte, die Interviews, die Porträts und den Cosmetic-Check. Am schlimmsten ist der Cosmetic-Check. Wenn die Schauspielerin in dem Interview sagt, dass sie Wasser trinke, um schön zu bleiben, dann explodiert Vicky. Leider hatte ich keine Zeit, zu gucken, ob das mit dem Wasser diesmal drinsteht. Wurscht, Risiko. Nach dem Vorlesen werden die Zeilen auf dem Cover getextet. Zum Glück haben die Kolleginnen auch keine Zeit, alle strengen sich an, die Konferenz möglichst schnell hinter sich zu bringen. Niemand reißt Witze. Und das mit dem Wasser kam zum Glück auch nicht vor.
Nach der Konferenz trommle ich meine acht Autorinnen zusammen. Wir wollen gemeinsam zum Mittagessen gehen, ins Da Capo, den besten der vier Italiener am Platz. Eigentlich wollte ich über die Zusammenarbeit zwischen Textredaktion und Textchef reden. Es gab da in letzter Zeit Konflikte, besonders mit der Beauty. Doch beim Mittagessen dreht sich alles nur um ein Thema: Vicky hat einen neuen Freund: Felix!
»Unseren Felix?«
»Unglaublich!«
»Vielleicht hat sie dann endlich mal bessere Laune«, meint Babsi.
»Neulich hat sie mir einen Text durchgestrichen und ›Igitt!‹ drunter gekrakelt«, erzählt Carlotta, »was soll man da noch machen?«
»Igitt ist die Höchststrafe«, pflichte ich ihr bei.
»Du brauchst mehr Kompetenzen«, sagt Hannelore.
»Du musst auch mal was abzeichnen dürfen«, findet Magdalena.
»Ich bin zu schwach, mir fehlt da das Standing.«
»Das musst du dir erkämpfen.«
Ach je, erkämpfen. Das mache ich gar nicht gerne. Und dann auch noch ausgerechnet gegen Vicky. Ein leichtes Zittern fährt durch meinen Körper.
Ich lenke ab: »Habt ihr gestern den Filmpreis gesehen?«
Fast alle nicken.
»Die Ferres, die Zicke.«
»Ja, die Ferres.«
Vicky sitzt drei Tische weiter und redet mit einem Mann. Das war gar niemandem aufgefallen.
»Schaut mal, da hinten sitzt Vicky«, sage ich.
Noch ein Ablenkungsmanöver.
»Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Hoffentlich haben wir nicht zu laut gesprochen.«
»Wer ist der Mann?«
»Der Konzernsprecher.«
»Aha.«
»Jetzt wollten wir über dich reden und haben die ganze Zeit über Vicky gequatscht«, sagt Mathilda.
»Das hast du gut zusammengefasst«, sage ich, winke dem Kellner und lasse die Rechnung kommen. Auf dem Weg zurück ins Büro reden die Frauen über Frauensachen.
»Wahnsinn, deine Haare heute«, sagt Mathilda.
Ingrid fühlt sich geschmeichelt: »Ich hab die Nachtpflege von Shiseido drin.«
»Immer noch? Muss man die nicht ausspülen?«
»Nein, die kann man drin lassen. Fühl mal, ganz weich. Und der Glanz erst!«
»Und kein Gegrissel nach dem Aufwachen?«
»Gegrissel hab ich eh nicht.«
 
Zurück im Büro. »Katja, jetzt können wir!« Doch schon wieder lenkt ein Telefonat ab. Schon wieder Vicky.
»Ingrid war gerade da«, sagt Vicky.
»Okay.«
Jedenfalls habe Ingrid wieder mal nicht gewusst, dass ich an ihrer Geschichte herumredigiert habe.
»Du musst mehr mit den Redakteurinnen reden«, fordert Vicky.
»Aber das tue ich doch!«
Langsam aber sicher werde ich wahnsinnig. Saß ich nicht gerade mit allen beim Mittagessen und habe versucht, mit den Mädels zu reden? Hat Vicky das denn nicht gesehen? Es droht eine längere Diskussion, und Katja will schon wieder rausgehen. Ich bedeute ihr, sie solle sitzen bleiben. Irgendwie gelingt es mir, mich um eine Diskussion herumzumogeln und Vicky abzuwimmeln. Kaum habe ich aufgelegt, ruft Frau Waller aus der Schlussredaktion an: Vicky gefalle »Michelle, ma belle« nicht.
»Weiß ich schon. Dann schreiben wir halt ›Pfeiffe mit drei F‹.«
»Gut.«
»Katja, ich geh nur ganz kurz aufs Klo, dann können wir die Looks machen.«
Im Klo ist das Urinal jetzt vollständig im Eimer. Das dezente Plätschern hat sich in einen wahren Sturzbach verwandelt. Schade, mit dem Meditationsrauschen ist es jetzt wohl vorbei. Ich muss Elke anrufen.
»Elke, könntest du vielleicht der Hausverwaltung Bescheid geben, dass das Urinal hängt und in einer Tour rauscht. Wenn wir nichts unternehmen, wird Herr Draub arm.«
Herr Draub ist der Verleger.
»Was hast du denn jetzt schon wieder gemacht?«
»Nichts! Ich bin nicht schuld!«
»Vielleicht aus Langeweile dran rumgespielt?«
Elke beschimpft mich immer.
»Ganz normal gedrückt. Glaub mir!«
»Jaja …«
»Du, Elke, ich muss Schluss machen, die Ingrid ist auf der anderen Leitung.«
Ingrid möchte mir mitteilen, dass sie überhaupt nichts zu tun hatte mit dem Stress bei der Vicky und dass sie auch schockiert ist, dass Vicky jetzt plötzlich so einen Aufstand wegen der Beauty macht, und dass sie nicht zu ihr gegangen sei, um sich zu beschweren, dass ich zu viel an dem Text gemacht hätte oder so. Ja, ja, schon gut, Ingrid, entgegne ich, das hätte ich auch gar nicht angenommen.
Elke ruft wieder an. Ich soll sofort zu Vicky kommen. Auweh. Wenn ich persönlich bei Vicky erscheinen muss, ist es meist ernst. Also schicke ich Katja und die Looks wieder weg. Schon wieder. Ich zucke entschuldigend mit den Achseln und gehe zu Vicky. Es dreht sich um eine der Trendseiten. Orlando Bloom und Kurt Russel tragen seit neuestem einen Oberlippenbart, einen klassischen Pornobalken. Das sind die News. »Mach mal die Tür zu«, sagt Vicky. Oh je, nicht schon wieder. »Du kannst doch nicht durchgehen lassen, dass da steht, die zwei sähen aus wie fränkische Fußballtrainer.«
»Vicky, das hab ich nicht durchgehen lassen, das hab ich selbst geschrieben.«
Interessanterweise findet Vicky, »fränkische Fußballtrainer« sei keine Beleidigung der beiden Hollywoodstars, sondern eine Beleidigung für die Fußballer, und fürchtet Leserbriefe aus Franken.
»Mit fränkischen Fußballtrainern kenne ich mich zufällig aus. Mein Bruder ist nämlich einer.«
Vicky ist gereizt, ich bin gestresst. Es kommt, wie es kommen muss. Wir schreien uns beinahe an. Wegen Oberlippenbärten. Ich atme dreimal durch und versuche die Situation mit mehreren »Ja, du hast Recht« zu entschärfen. Außerdem kann ich ohnehin nicht gewinnen, das muss ich mir immer wieder sagen. Sie ist die Chefin. Also zurück an den Arbeitsplatz, auf dass schlecht rasierte fränkische Fußballlehrer keinen dicken Hals bekommen, wenn sie unser Heft lesen. Alles zurück auf Anfang.
 
Also wieder brav in mein Büro. Cora hat einen Ausdruck auf meinen Schreibtisch gelegt. Mit viel Schwung hat Victoria die Geschichte mit Timberlake und Spears durchgestrichen. Offenbar mochte sie den Witz mit den ER- und SIE-Handtüchern nicht. »Keine versteckte Kritik an den Stars!!!«, hatte sie dazugekrakelt. Mann, hat die heute gute Laune!
Während ich die Meldung neu formuliere, platzt Hannelore rein, die Leiterin des Beauty-Ressorts. Bestimmt will sie über das Problem mit Ingrid und Vicky reden. »Es ist unglaublich!«
»Ach, Hannelore, so schlimm ist es doch gar nicht.«
»Gucci bringt ein neues Männer-Parfüm. Sie haben dafür einen absoluten Top-Star verpflichtet!« Gucci wolle zwar partout noch nicht sagen, wen, da würden jetzt auch ihre Kontakte nicht helfen. Aber sie bleibe dran.
»Hannelore, wenn das nichts für meine Männerseite ist!«
Leider muss ich Hannelore abwürgen, weil die Schlussredaktion schon wieder anruft.
»Das vorhin mit der Pfeiffer, ›Pfeiffe mit drei F‹, also, als Überschrift, das haben Sie aber nicht ernst gemeint, oder?«
»Nein, natürlich nicht!«
Obwohl ich als Textchef mit niemandem so eng zusammenarbeite wie mit den beiden Damen aus der Schlussredaktion, pflege ich mit ihnen übrigens immer noch das »Sie«. Irgendwie hat das was.
»Und was schreiben wir jetzt dahin?«
Ich schüttle die Überschrift »Michelle, du Fabelwesen« aus dem Ärmel. Na ja, nun wirklich kein Glanzstück.
Und wieder steht Cora in der Tür.
»Schneller geht nicht, Cora!«
»Schon okay, es geht um die Claire Danes. Schickst du die nach USA? Sonst unterschreibt Vicky das nicht.«
Claire Danes, das ist wieder so ein Cosmetic Check. Wir hatten kürzlich ein wenig Unruhe in Hollywood ausgelöst, weil Wentworth Miller, ein Fernsehstar aus einer Gefängnisserie, die hierzulande bei RTL läuft, in unserem Heft sagte, dass er keinesfalls schwul sei. Allein die Frage hat das amerikanische Mutterblatt alarmiert. Seither ist Vicky etwas angespannt und möchte, dass jeder Interviewer seinen Text noch einmal gegenliest und unterschreibt, sonst zeichnet sie wiederum die Seiten nicht ab.
Vicky ruft an.
Ich denke an weiße Klowände und atme kurz durch, bevor ich abhebe.
»Hast du die Claire Danes zum Autor geschickt?«
Vicky klingt ernsthaft besorgt. Dieser Anruf ist ein Hilferuf. Unglaublich: Vier Gespräche, vier Stimmungen. Einmal chefmä ßig bestimmend. Einmal die totale Panik. Einmal gut gelaunt. Einmal hilfesuchend. Vier Emotionen innerhalb eines Nachmittags, alle völlig konträr und unabhängig voneinander - so eine Gefühlsachterbahn gibt es wirklich nur bei Vicky. Ich versuche, sie zu beruhigen.
»Die Claire Danes habe ich gerade nach L.A. geschickt. Der Springer wird sich bestimmt gleich melden.« Springer ist unser Hollywood-Korrespondent.
Katja taucht mal wieder auf. Sie lächelt. Nicht schlecht, nach so einem Tag. »Jetzt machen wir die Look-Seiten. Ich leg den Hörer daneben.« Endlich mal eine halbe Stunde Ruhe. Wir sind gerade fertig, da ruft meine Freundin Nina an. Sie sitzt gerade in der Badewanne. Sie sitzt oft in der Badewanne, wenn sie mich anruft. Schade, dass sich die Bildtelefone noch nicht richtig durchgesetzt haben.
»Nina, was gibt’s?«
»Du musst unbedingt mitkommen nach Berlin. Wir fahren am Wochenende.«
»Ach, Schatz, wie gerne wäre ich dabei, aber du weißt doch, ich muss noch sparen.«
»Ach, Menno.«
»Du, sehen wir uns nochmal vor Berlin?«
»Donnerstag?«
»Donnerstag ist super. Ich koche uns was. Und du erzählst mir lustige Geschichten.«
Auf dem Handy, das lautlos gestellt war, habe ich sieben Anrufe in Abwesenheit. Ach so, und bei meiner Mutter wollte ich mich ja auch noch melden. Und die Männer-Beauty-Seite hab ich wieder nicht geschafft. Aber ich kann nicht mehr, irgendwann siegt die Müdigkeit. Als ich mich durch die Tür im Erdgeschoss drehe, ist es acht Uhr. Das waren jetzt zwölf Stunden Ballaballa. Drau ßen plätschert der Regen. So dezent wie das Ding im Klo, als es noch nicht ganz kaputt war.
2 Wie alles begann
Das Telefon läutet heute schon zum dritten Mal, dabei ist es noch nicht einmal elf.
»Willst du nicht mal rangehen?«, fragt Marco.
»Ich kann nicht«, sage ich, »mir ist schlecht.«
»Ja, meinst du mir nicht?«
Ich nehme das feuchte Tuch ab, das ich mir zur Kühlung der Schläfen übers Gesicht gelegt hatte und richte mich vorsichtig auf. Zu den Kopfschmerzen und dem flauen Gefühl im Magen addiert sich nun noch ein wenig Schwindel.
»Es geht nicht«, sage ich und lege mich wieder hin.
Ungemein praktisch, so ein Feldbett im Büro. Was bin ich dankbar.
Das Telefon läutet schon wieder.
»Te-le-fon«, singt Marco.
»Geh halt ran, wenn’s dich nervt.«
Marco sagt nichts mehr. Stattdessen höre ich das Klappern seiner Tastatur. Offenbar ist Marco mal wieder in der Scherbenwelt als Nachtelfen-Schurke unterwegs und kämpft mit seiner Druidenarmee gegen Horden von Orks, Untoten und Trollen. Da kann er natürlich unmöglich ans Telefon. Ich quäle mich hoch, schiebe mich an meinen Schreibtisch und greife zum Hörer.
»Ja?«
Nick ist dran, unser aktueller Praktikant. Er teilt mit, dass ein neuer Praktikant vor ihm steht.
»Ick kann nick.«
Unter Restalkohol kommen mir immer die blödesten Wortspiele.
»Führ du ihn halt rum.«
Nick sagt, dass er alleine am Empfang sitze, dort keinesfalls wegkönne, dass er auch ansonsten niemanden erreiche und dass ja au ßerdem wohl ich für die Praktikanten zuständig sei, oder etwa nicht?
»Nick, in meinem Zustand kann ich unmöglich einen neuen Praktikanten rumführen.«
»Hach je«, sagt Nick, »dann koch ich ihm halt erstmal einen Kaffee.«
»Brav«, sage ich und lege auf.
Auf Nick ist einfach Verlass. Guter Typ: Dreadlocks, Ziegenbart, lustige Klamotten. Samstags spielt er irgendwo Platten. Stilrichtung - klar - Reggae. Aber auch ein bisschen Dancehall und Ska. Und Nick ist ein total lieber Kerl: Hat Sozpäd studiert und kümmert sich ehrenamtlich um schwer erziehbare Kinder.
»Was gibt’s?«, fragt Marco. Er befindet sich in einem deutlich besseren Zustand als ich, obwohl er gestern viel mehr Wodka getrunken hat.
»Neuer Praktikant«, sage ich und lege mich wieder hin.
»Krabbeln lassen!«, brüllt Marco und freut sich wie ein kleiner Junge.
Warum geht’s dem nur so gut und mir so schlecht? Normalerweise wäre ich ja sofort dabei. Krabbeln lassen ist nämlich unser kleines Begrüßungsritual für neue Praktikanten. Marco und ich sind das Dreamteam am Tischkicker. Neue Praktikanten dürfen zusammen mit einem Hiwi gegen uns antreten, drei Mal Sechs zu Null, Zack, Zack, Zack, und dann müssen sie unter dem Tisch durchkriechen. So sind die Regeln. Spätestens dann ist dem Praktikanten klar, wer hier der Chef im Laden ist.
Aber ich kann jetzt nicht kickern.
Und schon gar keinen Journalistenschüler rumführen. Die sind dann immer so ehrfürchtig. Bewundern die Auszeichnungen, die im Treppenhaus hängen. Unser Magazin gilt als eines der besten des Landes. Als das schönste Magazin Europas. Haben wir sogar schriftlich. Und dazu noch lustig, gewitzt und kreativ. Eine wöchentliche Wundertüte. Wir haben keine Leser, wir haben Fans. Und wir sind arrogant genug, sie uns vom Leib zu halten. Besonders, wenn sie als Journalistenschüler verkleidet daherkommen. Außerdem erinnern sie mich immer an meine eigene Ehrfurcht, mit der ich vor zehn Jahren die Redaktion betrat. Als Journalistenschüler und Fan. Die vielen großen Namen! Die Legenden des Journalismus! Und ich durfte dabei sein. Heute ertrage ich das nicht mehr.
»Was machst du jetzt mit dem Praktikanten?«, fragt Marco.
»Nix«, antworte ich und lege wieder mein Tuch übers Gesicht.
Inzwischen geht es auf zwölf zu.
»Komm, wir holen uns’ne Ochsensemmel. Danach geht’s uns besser«, sagt Marco.
»Ist schon Mittag? Ich kann nicht. Ich bin zum Essen verabredet.«
»Mit wem denn?«
»Mit Victoria Schneider.«
»Kenne ich die?«
Marco reagiert immer leicht eifersüchtig, sobald ich einen Frauennamen fallenlasse. Dabei ist er derjenige von uns beiden, der den Schlag bei den Frauen hat. Wenn wir abends ausgehen, bestellt er das Damenprogramm. Ich selbst bin viel zu schüchtern für so was. Bei ihm dagegen ist immer was los.
»Nein, die kennst du nicht. Das war vor deiner Zeit.«
Vicky kenne ich tatsächlich schon ewig. Ich hatte gerade erst bei diesem schicken Magazin als freier Mitarbeiter angefangen und war noch im Besitz all meiner Ehrfurcht. Mein damaliger Chefredakteur gab mir Vickys Telefonnummer. Sie leitete bei dem Boulevard- und Societymagazin Illustrierte das Ressort Lifestyle und faxte mir allwöchentlich Listen, die ich nur rudimentär begriff. Auf den Listen stand stichpunktartig, was gerade angesagt war in Sachen Mode, Marken, Kosmetik und Design. Die Faxe halfen mir, eine kleine Lifestyle-Rubrik zu bestücken. Aus dem beruflichen Kontakt entwickelte sich schnell ein privater, wir trafen uns abends und unsere Freundeskreise vermischten sich zusehends. Irgendwann verlor ich Vicky aus den Augen. Sie habe ein Kind bekommen, hörte ich irgendwann mal, und das war dann alles.
 
»Ich hatte mal was mit Vicky«, sage ich.
»Soso«, sagt Marco und bringt eine Druidenarmee in Angriffsstellung.
»Ist aber bestimmt schon zehn Jahre her«, lege ich nach.
»Lass mich raten: Wie üblich hast du die Sache beendet.«
»Keine Ahnung«, sage ich und muss zugeben: Das ist ganz klar gelogen. Vicky hatte damals Schluss gemacht mit unserer vierwöchigen Affäre.
»Also hat sie Schluss gemacht«, folgert Marco.
»Am Telefon«, sage ich.
»War’s schlimm?«
Na ja, sage ich, ich sei damals Vicky nicht wirklich nahegekommen, irgendwie war sie zu weit weg für mich gewesen, schon immer ein High-Society-Girl eben, eine Nummer zu groß für ein Landei wie mich.
»Aha«, sagt Marco und erteilt seiner Armee den Angriffsbefehl.
»Sonderbar war eigentlich nur das letzte Telefonat, das ich mit ihr geführt habe.«
»Erzähl«, sagt Marco.
»Sie rief an und sagte, das sei ja nicht so schick, mein Aftershave bei ihr im Bad stehen zu lassen.«
»Scheiße«, sagt Marco. Offenbar musste er gerade empfindliche Verluste hinnehmen.
»Jedenfalls dachte ich zunächst, dass manche Frauen das halt nicht wollen, dass man so Knall auf Fall bei ihnen einzieht, die sind da empfindlich und brauchen einfach eine Weile ihre Privatsphäre, und wenn man da seine Sachen im Bad stehen lässt, und sei es auch nur ein Aftershave, dann ist das in ihren Augen ja quasi wie Einziehen. Ich meine, ich hätte auch gleich eine Umzugskiste mit meinen CDs im Wohnzimmer stehen lassen können, oder meine Ski im Flur, oder was weiß ich. Jedenfalls: Sachen im Badezimmer zu lassen, das ist schon ein ganz deutliches Signal: Ich bin da und gehe nicht mehr weg. Aber dann wurde mir klar: Darum ging es gar nicht.«
»Nein?« Marco wendet zum ersten Mal den Blick von seinem Computerspiel: »Worum denn dann?«
»Es war das Aftershave. Die Marke. Sie störte, dass es von Nivea war. Sie sagte: Du kannst doch keine Niveaprodukte in mein Bad stellen.«
»Das verstehe ich nicht«, sagt Marco.
»Ja, das ging mir zunächst ganz genauso. Also: Sie hat mir den Laufpass gegeben, weil ich ein billiges Aftershave benutze.«
»Das ist ja interessant.«
»Ich hab das damals anders gesehen. Aber egal, das ist nun wirklich kein Stachel, der tief sitzt.«
»Nein?«
»Nein, wirklich nicht. Du, Marco, ich muss los.«
 
Vicky und ich erreichen die Tagesbar gleichzeitig. Sie ist nicht zu übersehen. Auf der Nase eine gigantische Sonnenbrille, in der Armbeuge eine Handtasche, in der man auch den Wocheneinkauf einer Kleinfamilie verstauen könnte, am Ohr ein goldenes Telefon. Vicky stakst auf beeindruckend hohen Absätzen heran. Genauso habe ich sie in Erinnerung.
»Du, ich muss Schluss machen«, ruft sie ins Telefon.
Genau: Schluss machen, denke ich mir. Victoria wählt den Tisch ganz links in der Ecke und tut dabei ein bisschen konspirativ. Sie vergewissert sich, dass unter den anderen Gästen der Tagesbar kein Bekannter sitzt und umarmt mich. Ein Küsschen links, eines rechts.
»Wie schön, dich mal wieder zu sehen!«
»Ich freue mich auch.«
»Ist das lange her!«
»Und wie. Du hast jetzt ein Kind?«
»Luzius ist schon fünf.«
»Hei, wie die Zeit vergeht. Und der Vater?«
»Der sieht ihn alle zwei Wochen.«
»Also nicht mehr zusammen.«
»Das war so ein Hedgefondsmanager, das ging nicht auf Dauer.«
»Ach je.«
»Ach ja.«
Wir plaudern ein wenig über den Zustand der deutschen Zeitschriftenlandschaft im Allgemeinen und über meinen Arbeitgeber im Besonderen.
»Unser Magazin wird zunehmend schlechter. Wir haben jetzt Mode, Fernreisen, Möbel, Uhren, Schmuck, Design. Die ganze Konsumkacke macht sich auch bei uns immer mehr breit. Ich bin mal als Kulturjournalist angetreten. Streiche Kultur, setze Konsum ein.«
Beim Wort »Konsumkacke« hat Vicky ganz leicht gezuckt.
»Diese ewige Lifestyle-Pest«, lege ich nach. Schon wieder dieses Zucken.
»Und mit meinem Chef verstehe ich mich auch nicht mehr. Ich komme da nicht weiter. Ich kann machen, was ich will.«
Vicky wird hellhörig.
»Du, ich will gar nicht lange um den heißen Brei reden«, sagt sie. »Ich brauche einen Textchef.«
»Echt?«
»Ja, mein alter hat gekündigt, und die Stelle wird frei.«
»Und jetzt möchtest du wissen, ob ich jemanden kenne, den ich dir vorschlagen kann.«
»Nein.«
»Du willst mich doch nicht etwa abwerben?«
»Doch.«
Ich muss erstmal schlucken. Ich hatte ja mit allem gerechnet, nur nicht damit.
Doch Vicky ist nicht zu bremsen. Sie schwärmt mir von ihrer Redaktion vor. Da seien ja nur hübsche Frauen, allesamt von ihr selbst höchstpersönlich gecastet, dreißig Frauen und alle so sexy und so nett. Ich könnte, wenn ich wollte, da als Textchef quasi der Hahn im Korb sein und, ach, wie sie mich kenne, würde mir das schon gefallen, die Mädels seien ja nicht nur schön, sondern auch unfassbar nett, ich könne mich schon mal darauf gefasst machen, dass sie mich mit Selbstgebackenem und all diesen Dingen verwöhnen würden, das könnte für mich ein kleines Paradies auf Erden werden. Und habe sie eigentlich schon erwähnt, dass die alle wahnsinnig gut aussehen?
»Ach«, schloss Vicky ihren Vortrag, »die würden dich lieben.«
Außerdem sei das Magazin wahnsinnig erfolgreich, im Modebusiness komme man daran nicht mehr vorbei, da sei das Blatt Meinungsführer, spiele absolut in der Bundesliga.
»Bundesliga«, wiederhole ich.
Ich muss mich einen Augenblick fassen.
»Du willst mich zu einem Frauenmagazin holen?«
Verlagsgruppe Random House
 
 
 
 
 
 
Lektorat: Rasha Khayat, Hamburg
 
 
 
Originalausgabe 7/2009
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in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagfoto: Joachim Baldauf
eISBN : 978-3-641-03537-4
 
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