Ich glaub mich knutscht ein Mörder - Sabrina Hafenscher - E-Book

Ich glaub mich knutscht ein Mörder E-Book

Sabrina Hafenscher

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  • Herausgeber: tredition
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Eigentlich will Lena mit ihrer besten Freundin nur ein paar entspannte Tage in Italien verbringen. Dann passiert das Unglaubliche: Ein Mord in der Ferienanlage, in der die beiden Frauen mit ihren Teenagern untergebracht sind. Doch wer ist der Mörder und hat der attraktive Mann, den Lena am Strand kennengelernt hat, vielleicht doch mehr zu verbergen als sie denkt?

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Seitenzahl: 445

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Buch

Eigentlich will Lena mit ihrer besten Freundin nur ein paar entspannte Tage in Italien verbringen. Dann passiert das Unglaubliche: ein Mord in der Ferienanlage, in der die beiden Frauen mit ihren Teenagern untergebracht sind. Doch wer ist der Mörder und hat der attraktive Mann, den Lena am Strand kennengelernt hat, vielleicht doch mehr zu verbergen als sie denkt?

Autorin

Sabrina Hafenscher wurde am 15. Juni 1985 geboren und ist damit ein waschechter, schizophren veranlagter Zwilling. Nachdem es dem klassischen Wiener Grantler noch nicht gelungen ist, sie aus der Hauptstadt zu vertreiben, lebt sie derzeit mit ihrem Sohn, ihrem Freund und ihrem Kater in einem Reihenhaus in Wien. Wenn sie gerade nicht wie aus dem Nichts zu tanzen und zu singen beginnt, dann nutzt sie die Zeit, um Feldforschung für ihre Romane zu betreiben und zu schreiben.

Sabrina Hafenscher

Ich glaub mich knutscht ein Mörder

Roman

1. Auflage

© 2023 Sabrina Hafenscher

Website: www.sabrinahafenscher.com

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Lektorat: Thomas Klobucsar

ISBN

Paperback

978-3-347-98209-3

e-Book

978-3-347-98210-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Besen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für meine Schwester Petra. Sie liebt Krimis jedweder Art und deshalb musste ich einen für sie schreiben.

Inhalt

Cover

Buch

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Nachwort

Ich glaub mich knutscht ein Mörder

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1

Nachwort

Ich glaub mich knutscht ein Mörder

Cover

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Kapitel 1

Oh nein … ich will nicht aufstehen!«, denke ich mir, als mich der Radiowecker mit dem Song Sound of Silence von Disturbed aus meinem wohlverdienten Schlaf reißt. Träge öffne ich meine Augen und stelle fest, dass es um vier Uhr morgens selbst der Sonne zu früh ist, um zu scheinen. Deshalb schließe ich meine Augen sofort wieder, um den Song zu Ende zu hören und mich dabei selbst zu bemitleiden.

Ich meine, wie verdammt nochmal bin ich auf die Idee gekommen, mich mit meiner besten Freundin einen Tag vor unserem Italien-Urlaub zu betrinken? Der Ausgang dieses Spektakels hätte selbst mir, die nicht unbedingt für ihre Besonnenheit bekannt ist, klar sein müssen. Gut, zu meiner Verteidigung halte ich fest, dass Patrizia und ich ursprünglich vorhatten, lediglich mit einem Aperol Spritz auf unseren heißersehnten Urlaub anzustoßen. Allerdings sind aus dem einen Getränk gefühlte zehn geworden. Bleibt nur zu hoffen, dass Patrizia nüchtern genug ist, um ihren PKW zu lenken, denn ich kann ihr die Last des Steuerns aufgrund meines Restalkoholspiegels mit Sicherheit nicht abnehmen.

Stöhnend wälze ich mich auf die unbesetzte Seite meines Doppelbettes, als sich der Verkehrsfunk mit einer Geisterfahrermeldung auf irgendeiner A zu Wort meldet.

Boahhh … Wen interessiert das? Ich will einfach bloß schlafen. Ich meine, nicht nur, dass mein Kopf hämmert, als wären in seinem Inneren mindestens zehn Handwerker zu Gange, hatte ich auch einen wirklich schönen Traum von … Ja, wovon eigentlich?

So ein Mist! Wieso verblassen Erinnerungen an angenehme Träume immer dann, wenn man gerade besonders erpicht darauf ist, diese abzurufen? Das ist ungefähr so, als würde jemand sorgfältig ein Stück Schokolade vor Ihnen platzieren, welches Sie niemals ergattern können, weil man Sie an einen Stuhl gefesselt hat, oder Sie kurz zuvor beschlossen haben, eine Diät durchzustehen.

Geschätzte zehn Minuten lang bemühe ich mich darum, wieder einzuschlafen, um in meinen Traum zurückzukehren. Allerdings gelingt mir mein Vorhaben schlichtweg nicht, weshalb ich mich ächzend auf den Rücken drehe und mein Mobiltelefon zur Hand nehme.

Ja, ich habe mein Handy auf dem Nachtkästchen liegen, aber nicht, wie der Rest der Welt, um keine Social-Media-Nachricht zu verpassen, sondern weil ich zu nächtlichen Panikattacken neige. Das liegt vermutlich daran, dass ich als Krimi-Autorin quasi tagtäglich mit fiktiven Verbrechen konfrontiert bin, die die Befürchtung in mir aufkommen lassen, eines davon könnte sich in der Realität zutragen. Und hey, so unwahrscheinlich ist das nicht. Die Medien sprechen diesbezüglich eine klare Sprache. Es gibt sie da draußen. Die menschlichen Haie und Tiger oder die menschlichen Tigerhaie. Wie auch immer man sie nennen mag, diese Tiere haben auf jeden Fall etwas gemeinsam: Sie lauern in der Tiefe auf ihre Opfer, um sich an ihnen satt zu fressen. Und nachdem ich nicht im Magen eines Hais, Tigers oder Tigerhais zu landen gedenke, habe ich zur Vorsicht mein Mobiltelefon auf dem Nachtkästchen liegen. So kann ich im Notfall die Polizei kontaktieren.

Semibegeistert öffne ich die Facebook-App, um zu sehen, ob sich etwas spektakulär Neues ereignet hat, und lege mein Smartphone nach ein paar Minuten verschwendeter Zeit ernüchtert zur Seite.

Es wäre mir wahrhaftig lieber, wenn ich an Stelle der Ernüchterung einen Zustand der Nüchternheit erreichen würde, aber ich fürchte, das wird innerhalb der nächsten zehn Minuten nicht passieren. Insofern kann ich auch sofort aufstehen.

Torkelnd hieve ich meinen vom Alkohol geschundenen Körper aus dem Bett und schlüpfe in meinen Morgenmantel. Unterdessen vernehme ich im unteren Stockwerk die tiefgewordene Stimme meines vierzehnjährigen Sohnes und frage mich, mit wem er spricht. Da ich schon seit vielen Jahren von seinem Vater getrennt lebe, befindet sich außer mir und Fynn keine weitere Person in diesem Haushalt.

Oh mein Gott! Vielleicht kann mein Sohn tote Menschen sehen!!! Ich wusste schon immer, dass er etwas Besonderes ist. Damit dürften jetzt auch seine mäßigen Schulleistungen erklärt sein. Ich meine, irgendwie muss das Universum ja für einen gerechten Ausgleich sorgen.

Sterbensmüde aber voller Euphorie über die neu entdeckte Fähigkeit meines pubertären Sprösslings verlasse ich mein Schlafzimmer im Dachgeschoss und werfe nach einem kurzen Klopfen einen Blick in das Kinderzimmer, wo mir sogleich eine giftgasähnliche Wolke des Gestanks entgegenströmt, sodass ich einen asthmaartigen Hustenanfall erleide.

Bist du deppert! Welchen Sinn haben die körpereigenen Hormone eigentlich, wenn sie dafür sorgen, dass Teenager einen derartig intensiv grauslichen Körpergeruch verströmen? Ich kann mich nämlich nicht daran erinnern, dass ich mich als pubertäres Mädchen mit meinen Freundinnen über den guten Schweißgeruch meiner testosterongesteuerten Altersgenossen ausgetauscht habe. Aber was weiß ich schon. Schließlich bin ich keine Expertin auf dem Gebiet. Womöglich führen die Mädchen heutzutage Dialoge alla:

»Hey, hast du den Fynn heute schon gerochen?«

»Nein, wieso denn?«

»Na der hat ein neues Parfum. Ist jetzt voll inn. Frischer Schweiß gepaart mit Käsefuß und ein klein wenig Altschweiß als geheime Zutat. Gibts jetzt in jedem Hollister.«

Mein Sohn nimmt meine Nahtoderfahrung aufgrund seines Körpergeruchs nicht wahr, da er mit Kopfhörern vor seiner Playstation sitzt und wie hypnotisiert in den Fernsehbildschirm starrt.

Gut, er kann also keine toten Menschen sehen. Irgendwie enttäuscht mich das jetzt schon. Ich meine, stellen sie sich mal den Ruhm vor, den er bei einem Auftritt in der Barbara-Karlich-Show hätte ernten können.

»Guten Morgen!«, bemühe ich mich darum, mir trotz der Kopfhörer und des hypnotisierten Blicks meines Kindes Gehör zu verschaffen. Mein Vorhaben ist allerdings von wenig Erfolg gekrönt, denn Fynn ignoriert meine körperliche Präsenz gänzlich und spricht stattdessen mit seinem Online-Spielkameraden im grammatikalisch nicht korrekten germanischen Deutsch.

»Was? Ne … ne … geht gar nich. Was? Ne … scheiße, bin müde. Mach ma weiter …«

Dezent genervt stemme ich meine Hände in die Hüften: »Fynn!? Hörst du mich?«

Nichts. Keine Reaktion. Mein Sohn befindet sich offenkundig in der Twilight Zone.

»Guten Morgen, Fynn!«, bemühe ich mich deshalb ein weiteres Mal darum, mir Gehör zu verschaffen, und fuchtle dabei mit den Armen vor dem Gesicht meines pubertären Sprösslings herum, sodass ihm nichts anderes übrigbleibt, als meine Anwesenheit in seiner alternativen Realität zu registrieren.

»Warte mal kurz, meine Mom is hier.«, erklärt er seinem Freund, drückt danach ein paar Tasten auf dem Controller und legt die Kopfhörer ab, um sich endlich mir zu widmen.

Ich wünschte, er wäre in Mathematik und Deutsch genauso versiert wie im Gamen.

»Ja, Mama!?«

»Guten Morgen Schatz! Sag, hast du schon gefrühstückt?«

»Ne, hab keinen Hunger.«

»Willst du nicht wenigstens einen Kakao trinken?«

»Ne, hab eh Toffifee gegessen und Eistee getrunken.«

Zu meiner Verteidigung halte ich fest, dass mein Kind offenbar die Ernährungsgewohnheiten seines Vaters geerbt hat. Gewiss sind es nicht meine, denn würde ich dieselben Gepflogenheiten teilen, dann würde mein Äußeres einem Walross gleichen. In manchen Bereichen ist das Leben wahrhaftig ungerecht, denn am Körper meines Sohnes macht sich der übermäßige Zuckerkonsum kaum bemerkbar. Hach … es wäre so schön, wenn ich noch einmal zurück in meine Teeniejahre kehren könnte.

»Wie du meinst.«, entgegne ich und füge hinzu: »Ich werd mich mal unter die Dusche schmeißen. Gehst du dich dann nach mir waschen?«

Fynn reißt entsetzt seine schmalen grünen Augen auf: »Aber ich war doch eh vorgestern in der Früh duschen.«

Ja, aber er riecht, als wäre er zuletzt vor einer Woche duschen gewesen. Wieso neigen Teenager bei der Erwähnung von Körperhygiene dazu, so zu tun, als würde ihnen ein Säurebad drohen?

»Du solltest eigentlich jeden Tag duschen gehen, Fynn, oder willst du etwa, dass sich die Mädels am Strand vor dir ekeln?«

Unberührt zuckt mein Kind mit den Schultern: »Im Urlaub bin ich ja eh jeden Tag im Wasser. Da ist das wurscht.«

Danach erklärt er die sich anbahnende Diskussion mit einem Aufsetzen seiner Kopfhörer als beendet und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich geschlagen zu geben.

Wie ferngesteuert lasse ich die stinkenden Gefilde meines Sohnes hinter mir, um mich ins Badezimmer im Erdgeschoß zu begeben. Doch bevor es mir möglich ist, mit meiner Waschung zu beginnen, stolpere ich in der Duschkabine über unsere französische Bulldogge Leonardo, die mir einen strafenden Blick zuwirft, jedoch keinerlei Anstalten macht, ihren Schlafplatz zu verlassen. Stattdessen lässt Leonardo seelenruhig seinen Kopf wieder auf den kalten Fliesenboden sinken, auf dem er die heißen Sommernächte zu verweilen pflegt.

»Boahhh … Leo. Jetzt komm schon. Geh raus! Ich will duschen.«, treibe ich das träge Tier an, doch dieses zuckt bloß ungeniert mit seinem linken Ohr und schließt dann demonstrativ seine großen Glubschaugen.

Okay, um hier für keine Missverständnisse zu sorgen: Ich bin ein tierliebender Mensch, aber in diesem Augenblick würde ich mein Haustier am liebsten mit einer Rakete zum Mond befördern. Das hätte für Leo zumindest den unschätzbaren Vorteil, dass es auf dem Mond mit Sicherheit auch im Sommer kühl ist.

Vorsichtig stupse ich unseren Hund mit meiner Fußspitze an, um ihn zum Verlassen der Duschkabine zu bewegen, aber nichts da. Er stellt sich weiterhin taub. Deshalb bücke ich mich genervt und hebe mein Haustier hoch, um es aus dem Badezimmer zu verfrachten.

Bist du deppert! Hat Leo etwa zugenommen, oder was!? Ich glaube, ich habe mir soeben den Rücken verrissen. Ab jetzt werden die Portionen meines Vierbeiners strickt rationiert, um keinen Bandscheibenvorfall oder eine Gebärmuttersenkung zu riskieren, wenn ich ihn trage.

Als ich Leo vor der Badezimmertür absetze, wirft er mir einen beleidigten Blick zu, ehe er in Richtung Küche davontrottet, wo er mit hoher Wahrscheinlichkeit auf seine Fütterung wartet. Indessen schlurfe ich wieder zurück ins Badezimmer, um mein Vorhaben endlich störungsfrei in die Tat umzusetzen.

Na ja … okay, ich gebe zu, fast störungsfrei, denn als sich der Duschvorhang auf für mich unerklärliche Art und Weise bewegt, gerate ich kurzzeitig in Panik, weil ich bereits das zweite Mal an diesem Morgen einen aufgebrachten Geist in diesem Haus vermute. Willkommen in meiner Welt! Womöglich wäre es ratsam mein bevorzugtes Genre zu überdenken, und anstelle von Kriminalgeschichten Liebesromane zu schreiben. Dann wäre ich mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu in der Lage, meine Nächte durchzuschlafen, ohne von Albträumen geplagt zu werden.

Nachdem ich meine Körperreinigung zufriedenstellend und ohne weitere Unterbrechungen beendet habe, erprobe ich meine Überredungskünste ein weiteres Mal an meinem Sohnemann. Leider scheitern diese an seiner beträchtlichen Standhaftigkeit.

»Ich dusch dann später!«, ruft mir Fynn über den Lärm der Playstation hinweg zu.

Offenbar spielt er jetzt im Singleplayermodus.

Alles klar. Ich werde Patrizia dazu auffordern, die Fenster im Auto zu öffnen, damit wir ob des Gestanks meines Sohnes keine Erstickungsanfälle erleiden. Es wäre doch schade, wenn wir unseren wohlverdienten Urlaub nicht antreten könnten, weil wir bei der Anreise versterben. Immerhin freuen Patrizia und ich uns schon auf den Italientrip, seit wir vor einem dreiviertel Jahr gemeinsam in meiner Küche unseren Urlaub gebucht und wohlgemerkt auch unsere Liegen reserviert haben. Jep, die Zeiten, in denen Sie sich am Strand bei dreißig Grad im Schatten mit einem Handtuch bewaffnet um eine Liege duellieren mussten, sind vorbei. Es lebe das Internet!

Ich schlurfe in die Küche, um den kurz vor dem Hungertod stehenden Leonardo zu füttern und mich selbst mit einer lebensrettenden Tasse Kaffee zu versorgen, mit der ich den Weg ins Schlafzimmer antrete. Indessen denke ich fieberhaft darüber nach, was ich noch alles einpacken muss. Ja, Sie haben richtig gelesen: Ich habe es bisher verabsäumt, meinen Koffer zu packen, weil ich nicht zu der besonders durchorganisierten und planvollen Sorte Mensch gehöre, sondern eher der Gattung Homo Chaos zuzuordnen bin, die alles auf den letzten Drücker zu erledigen pflegt. Unter diesen Voraussetzungen ist es erstaunlich, dass ich beim Planen der Morde für meine Romane auf keine Schwierigkeiten stoße. Womöglich bin ich der geborene Killer und sollte mein Geld eher mit Auftragsmorden, denn mit schreiben verdienen. Wenn das so weitergeht, dann fürchte ich mich derartig vor mir selbst, dass ich keine Nacht mehr mit mir allein verbringen will.

»Mamaaaaa!«, werde ich in meinem Gedankengang von Fynn unterbrochen, der sich mir urplötzlich in den Weg stellt wie eine eiserne Statue und mich vor Schreck zusammenzucken lässt, sodass ich einen Teil meines Kaffees über den Laminatboden verteile.

»Manno, Fynn. War das jetzt notwendig? Was gibt es denn so Wichtiges?«

»Hast du meine Sachen schon eingepackt?«

»Ähhhh … nein, ich dachte du hast das schon gemacht.«

»Nein, wieso sollte ich das machen?«

»Weil es deine Sachen sind, Kind. Sehe ich etwa aus wie deine Bedienstete?«

»Boahhh … alles muss ich selbst machen.«, murrt Fynn und knallt kurz darauf seinen Avengers-Trolley auf sein Bett, um danach seinen Kleiderschrank zu öffnen. Indessen wische ich den verschütteten Kaffee mit meinem Socken provisorisch weg und erklimme die Treppe ins Dachgeschoss, um mich nach einem ordentlichen Muntermachschluck an das Packen meines Koffers zu machen. Es dauert keine Viertelstunde bis mein Sohn unangekündigt im Schlafzimmer erscheint, um mir besorgt mitzuteilen: »Mama, ich hab keinen Platz mehr in meinem Koffer, aber ich hab noch nicht alles eingepackt.

Kannst du noch ein paar Sachen von mir in deinem Koffer verstauen?«

Verwundert hake ich nach: »Wie kann es sein, dass du keinen Platz mehr hast? Ich meine, dein Trolley ist genauso groß wie meiner und wenn selbst ich genügend Stauraum habe …« Das wurde noch nicht erwiesen, weil ich bisher keine Gelegenheit hatte, einen Schließversuch zu unternehmen. »… dann musst du erst recht genügend Platz haben.«

»Pfff … du kannst ja gern mitkommen und dich selbst davon überzeugen.«, schlägt mir mein Kind genervt vor und zieht dann von dannen. Ich folge ihm widerwillig und stelle nach einem Blick in seinen Trolley fest: »Fynn, da ist ja nur elektronisches Zeugs drinnen! Du hast kaum Kleidung eingepackt.«

Aber was weiß ich schon von den aktuellen Trends. Ich meine, womöglich wickeln sich Jugendliche neuerdings am Strand in Kabel ein, um sich von der Konsumgesellschaft abzuheben und ein Statement für den Naturschutz und Recycling zu setzen.

»Doch ich hab eh G'wand eingepackt.«, erklärt mir mein adoleszenter Sprössling mit in die Hüfte gestemmter Hand und beugt sich dann über sein offenstehendes Gepäckstück, um unter dem Kabelsalat ein paar Unterhosen und T-Shirts sowie Badehosen freizuschaufeln. »Was kann ich denn dafür, dass du mir nur so einen kleinen Koffer gekauft hast.«

»Fynn, das ist ein X-Large-Trolley.«

»Er ist trotzdem zu klein für mich.«

Ich verdrehe die Augen, unterlasse es allerdings, mich auf eine weitere Diskussion einzulassen, und schnappe mir stattdessen den Kleiderstapel, der auf Fynns Bett liegt, um diesen zu meinen Habseligkeiten zu stopfen.

Ich bin soeben dabei, das Gepäckstück zu verschließen, als sich meine beste Freundin und ihre Tochter mit einem Klingeln an der Eingangstür bemerkbar machen.

In Walking-Teen-Geschwindigkeit steigt mein Sohn die Treppen hinunter, um unseren Gefährten die Tür zu öffnen. Kurz darauf ertönt die fröhliche Stimme meiner besten Freundin.

»Hallo ihr zwei Hübschen! Seid ihr ausgeschlafen und fit für den Urlaub eures Lebens!?«

»Oh mein Gott! Kannst du nicht leiser reden? Mein Schädel dröhnt, als wäre in seinem Inneren eine Atombombe explodiert.«, begrüße ich Patrizia wenig charmant und bemühe mich darum, mein Gepäckstück über die Treppen ins Untergeschoss zu befördern.

»Sorry, aber ich freu mich einfach schon so darauf, mal wieder einen Urlaub ohne den Simon zu verbringen.«, entschuldigt sich meine beste Freundin und fällt mir dann freudestrahlend um den Hals, um auf meiner Wange einen Abdruck ihres dunklen Lippenstifts zu hinterlassen.

Simon ist Patrizias Mann und die beiden unternehmen kaum etwas ohneeinander, sodass sie mir zuweilen wie siamesische Zwillinge erscheinen. Ich gebe es nur ungern zu, aber sie stellen für mich den Inbegriff eines perfekten Paares dar und führen mir meine Einsamkeit damit immer wieder schmerzlich vor Augen.

Patrizias Tochter Anja bringt angesichts des gemeinsamen Urlaubes nicht annähernd dieselbe Euphorie auf, wie ihre Mutter.

»Geh Mama, der Papa ist doch eh voll cool.«, gibt die Vierzehnjährige mit einem Augenrollen von sich, ohne dabei von ihrem Handydisplay hochzusehen, woran vor allem Leonardo Anstoß nimmt, der mit ungeduldigem Blick vor der Teenagerin sitzen bleibt und schwanzwedelnd auf eine Streicheleinheit wartet.

»Aber dein Papa ist nicht annähernd so cool wie ich. Ich mein, wann haben wir beide das letzte Mal einen Urlaub allein gemacht? Das ist schon Ewigkeiten her.«, zeigt sich meine beste Freundin von der Aussage ihrer Tochter gänzlich unberührt und legt dabei den Arm um Anjas Schulter, um das hochgewachsene schlanke Mädchen zu seinem Missfallen an sich zu drücken.

Mein Patenkind streckt minderbegeistert den Daumen nach oben und wirft seiner Mutter bloß einen kurzen Seitenblick zu: »Jep, das liegt vor allem daran, dass der letzte Urlaub pandemiebedingt bereits eine Ewigkeit her ist.«

»Ach jetzt sei doch ein bisschen optimistisch, Anja.«, wendet Patzi ein und erntet damit einen vernichtenden Blick von ihrer Tochter.

»Das ist bei der Vorstellung, ganze zehn Tage mit seiner Mutter im Ausland abhängen zu müssen, wo es keinerlei Fluchtmöglichkeit gibt, wirklich schwer.«

Ich zwinkere meinem Patenkind zu: »Keine Sorge. Ich werde deine Mama einfach jeden Abend mit reichlich Cocktails abfüllen. Dann hast du den Rest des Urlaubs deine selige Ruhe.«

Anja sieht von ihrem Smartphone auf und entblößt bei einem breiten Grinsen ihre Zahnspange: »Was für ein perfider Plan, Tante Magdi.«

»Hast du denn überhaupt kein schlechtes Gewissen?«, fragt mich Patzi indessen und rammt mir dabei ihren Ellbogen in die Rippen, woraufhin ich unberührt mit den Schultern zucke.

»Nein, eigentlich nicht. Ich meine, immerhin hast du mich einmal auf einem Festival allein vor den Toiletten stehengelassen, um einem Mann hinterherzulaufen und auch wenn aus diesem dann später dein Ehemann geworden ist, muss mein Rachebedürfnis gestillt werden.«

»Indem du zulässt, dass meine minderjährige Tochter von einem italienischen Schönling bezirzt und geschwängert wird!?«, hakt meine Freundin nach.

»Keine Sorge, Mama. Meine Zukunftspläne sehen eh nicht vor, dass ich heirate und mich fortpflanze. Meine Seele gehört der Wissenschaft.«

»Kann ich irgendwie verstehen. Ich mein, Kinder werden definitiv überbewertet, vor allem seitdem man Kinderarbeit verboten hat.«, füge ich hinzu.

Empört über meine Äußerung wirft Fynn ein: »Aber du hast doch immer gesagt, dass ich ein Geschenk Gottes bin, Mama!?«

»Na dann hat Gott aber echt einen seltsamen Sinn für Humor.«, entgegnet Anja trocken.

»Bei mir hatte er wenigstens Sinn für Humor. Der ist ihm bei dir offensichtlich gänzlich abhandengekommen.«, kontert mein Sprössling mit vor der Brust verschränkten Armen.

»Yeahhh … frei nach dem Motto: Aus Spaß wurde Ernst. Ernst ist jetzt drei Jahre alt.«, werfe ich unbedacht ein und ernte dabei von den beiden Teenagern gleichermaßen ein genervtes Augenrollen.

Hey, wenigstens etwas, worin sie sich einig sind.

»Boahhh … du bist so peinlich, Mom.«, erklärt Fynn, woraufhin sich meine Freundin schulterzuckend an mich wendet.

»Warum sollte es dir auch besser gehen als mir.«

»Hey, deine wäscht sich wenigstens und du musst keinen Erstickungstod befürchten, wenn du das Refugium deines Kindes betrittst.«

»Jep, dafür ist die Anja quasi die Königin der passiven Aggression. Jedes Mal, wenn sie ein Funken Kritik zu streifen droht, verschwindet sie wutentbrannt in ihrem Zimmer und straft mich mit Schweigen. Bei ihrem Vater ist sie nicht so zickig.«

»Erstens bin ich nicht zickig, sondern lediglich emotionselastisch und zweitens ist der Papa einfach cooler als du.«, wendet Anja ungeniert ein.

Patrizia beugt sich zu mir hinüber und flüstert mir zu: »Der Meinung ist sie nur deshalb, weil sie ihren Vater im Gegensatz zu mir manipulieren kann. Ich bin nämlich viel zu schlau und durchschaue ihre Spielchen.«

»Weil du in deiner Jugend um so vieles besser warst. Ich mein, ich kann mich noch ur gut an die zahlreichen Beschwerden von deinem Bruder erinnern, weil dir dein Papa wieder mal etwas erlaubt hat, was er nie durfte.«

»Das hatte doch rein gar nichts mit Manipulation zu tun. Schließlich ist mein Bruder der Ältere. Die müssen immer zurückstecken.«, verteidigt sich Patzi und wirft dann einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Wir sollten übrigens dann bald los.«

»Wie ihr befehlt, Meisterin.«, antworte ich und klatsche dabei in Aufbruchstimmung in die Hände. »Fynn, holst du bitte deinen Koffer?«

»Boahhh … immer muss ich irgendetwas machen. Zimmer aufräumen, duschen, Zähne putzen … Das ist so anstrengend.«, motzt mein wenig motivierter Sprössling und erklimmt dabei die Stufen, um in seinem Zimmer zu verschwinden.

»Ja, wirklich, das Leben als Teenager ist unglaublich hart.«, stelle ich trocken fest und ernte dabei ein Lachen von Patzi.

Zehn Minuten später verlassen wir mit Leonardo an der Leine und den Gepäckstücken im Schlepptau unser Haus, um nach dem Verladen der Koffer mit großen Erwartungen in den langersehnten Urlaub aufzubrechen.

Kapitel 2

Mamaaaa, ich muss Lulu!«, erklingt Fynns Stimme auf der Rückbank nach dreieinhalbstündiger Fahrt mit dem Volvo, den Patrizia von ihrem mutigen Ehemann ausgeliehen hat.

Wenn sie schon einmal das Vergnügen beziehungsweise das unsagbare Pech hatten, mit Patrizia mitfahren zu müssen, wissen sie, wovon ich spreche. Meine Freundin ist in vielen Disziplinen außerordentlich talentiert. Im Autofahren ist sie es keinesfalls. Das liegt vor allem daran, dass sich ihre Konzentrationsfähigkeit im Minusbereich bewegt und sie sich deshalb selbst mit Freisprecheinrichtung nicht ausschließlich auf die Fahrbahn oder das Gespräch fokussieren kann. Aus diesem Grund habe ich mir in der Vergangenheit angewöhnt, sie beim Autofahren weder anzurufen noch anzusprechen, um ihre und auch meine Unversehrtheit zu gewährleisten und Missverständnisse epischen Ausmaßes zu vermeiden.

»Wieso bist du zu Hause nicht noch aufs Klo gegangen.«, stellt Anja eine berechtigte Frage und sieht dabei von ihrem Smartphone auf.

Mein Sohn zeigt sich wenig beeindruckt von dem genervten Unterton in der Stimme seiner Sitznachbarin und entgegnet mit provokant vorgerecktem Kinn: »Weil ich da noch nicht aufs Klo musste.«

Ehe mein Patenkind etwas erwidern kann, mische ich mich in das Gespräch ein: »Der Fynn muss immer dann besonders dringend auf die Toilette, wenn keine zur Verfügung steht, weißt du.«

Ich unterlasse es tunlichst, darauf hinzuweisen, dass sich meine Kolibri-Blase eine Viertelstunde vor Fynns zu Wort gemeldet hat und allmählich Alarmstufe rot schlägt. Die Welt braucht schließlich nur einen Sündenbock.

»Boahhh Mom, du tust immer so, als wäre ich noch ein kleines Kind. Kannst du mich bitte einmal wie einen Erwachsenen behandeln.«, erwidert mein Sprössling genervt.

»Das würde ich gerne tun, wenn du schon ein Erwachsener wärst.«

Anja lacht laut auf: »Ha ha … und vor allem, wenn du dich wie ein Erwachsener benehmen würdest. Aber was erwartet man sich von Jungs!? Ihr liegt in der Entwicklung halt um mindestens drei Jahre hinter uns.«

»Geh Mausilein, das kann man doch nicht so pauschal sagen.«, ermahnt Patzi ihre Tochter.

Gott sei Dank ist ihr Augenmerk noch konzentriert auf die mit Autos verstopfte Fahrbahn gerichtet.

»Wieso nicht? Es ist doch mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass Jungs entwicklungsbehindert sind.«, kontert Anja mit vor Schalk glänzenden Augen, woraufhin meine Freundin scharf die Luft einzieht und dabei das Lenkrad um wenige Millimeter verreißt, die aber ausreichen, um den PKW-Lenker auf der Nebenspur zu einer uncharmanten Geste zu verleiten.

»Anja, man darf doch nicht behindert sagen.«

»Na dann halt entwicklungsgehemmt. Ist das jetzt besser? Fühlst du dich mit diesem Wort wohler?«

Das wohlproportionierte Gesicht meiner Freundin entspannt sich unwillkürlich.

»Ja, schon besser. Es wär übrigens auch voll supi, wenn du in etwas freundlicherem Tonfall mit mir kommunizieren könntest.«

Stöhnen auf der Rückbank und kurz darauf die flehentliche Stimme meines Sohnes.

»Können wir dann bitte wo stehenbleiben, Tante Patzi?«

»Stehenzubleiben würde implizieren, dass wir fahren. Aber wie du vielleicht bemerkt hast, stehen wir mitten in einem Stau. Wobei die Betonung auf stehen liegt.«, entgegnet Anja genervt.

»Hat dir schon mal jemand gesagt, dass deine Klugscheißerei echt anstrengend ist?«, kontert Fynn.

»Meine Klugscheißerei wird nur von solchen Menschen als nervig empfunden, die zu dämlich sind, um selbst klugzuscheißern.«

»Geh Mausilein, du musst dich doch nicht bei allen Menschen unbeliebt machen.«, ruft meine beste Freundin ihre Tochter zur Raison und wendet sich dann meinem Sprössling zu, indem sie sich umdreht, sodass ich hastig nach dem Lenkrad greife und mich darum bemühe, das Auto in der Spur zu halten. Gott sei Dank stellt das bei dem kriechenden Tempo keine Herausforderung dar.

»Wir sind bald bei der Raststation Wörthersee und dann machen wir eine längere Pause, okay!?«

»Danke dir, Tante Patzi.«

»Geh bitte, kannst du beim nächsten Mal nicht einfach eine leere Flasche zum Pinkeln mitnehmen!?«, schlägt Anja vor. »Ich meine, wenn das so weitergeht, dann kommen wir in drei Jahren noch nicht in Italien an und dieser unsägliche Urlaub nimmt überhaupt kein Ende.«

»Wieso bist du denn derartig angepisst, weil ich nach dreieinhalb Stunden Fahrtzeit mal aufs Klo muss?«, fragt Fynn seine Sitznachbarin, doch an Anjas Stelle antwortet Patzi.

»Sie ist nicht genervt, weil du aufs Klo musst, sondern weil sie mit mir auf Urlaub fahren muss.«

»Tja, ist ja auch nicht großartig verwunderlich, dass man keine Lust hat, sich den ganzen Tag Gespräche über Make Up und Männer anzuhören. Natürlich würd ich stattdessen lieber mit meinen Freundinnen abhängen.«

»Und ich dachte, dass man irgendwann nicht mehr an Fantasiefreunde glaubt.«, erwidert mein Sohn schelmisch grinsend, woraufhin Anja empört die Arme vor der Brust verschränkt.

»Zu deiner Information: Ich brauche keine Fantasiefreunde, weil ich nämlich echte Freunde hab.«

Fynn kichert: »Jep, in deiner Fantasie hast du echte Freundinnen.«

Ehe ein Streit zwischen den Teenagern entbrennt, der einem Vergleich mit den Hungerspielen durchaus standgehalten hätte, mische ich mich ein: »Ich muss schon sagen, dass ich ein klein wenig enttäuscht von dir bin, Anja. Ich meine, deine Mutter und ich reden auch über andere Dinge als über Make Up und Männer.«

»Ha ha … ja, genau, über die Art der Tampons, die sie sich kaufen.«

Empört drehe ich mich um: »Willst du nicht wieder deine Kopfhörer aufsetzen, Fynn!?«

»Mahhh … endlich spricht mal jemand aus, was ich mir schon die ganze Zeit denke.«, fügt Anja applaudierend hinzu.

Mein pubertierender Nachwuchs stöhnt genervt auf: »Boahhh … Mom, jetzt sei doch nicht so uncool.«

»Wenn ich dir so zuhöre, schwöre ich der Männerwelt mein ganzes Leben lang ab.«, stellt mein Patenkind entschlossen fest.

Fynn holt soeben Luft, um seiner Sitznachbarin eine bissige Bemerkung entgegenzuschleudern, kommt jedoch nicht mehr dazu, weil er von Patrizia unterbrochen wird: »Ich glaub wir haben es gleich geschafft meine Lieben.«

Mit dem Kinn deutet meine beste Freundin auf eine sich nähernde Raststation und lenkt dann das Auto in einem Kamikaze-Manöver quer über die Nebenspur auf die Abfahrt zu. Der auf diese Weise geschnittene Lenker eines BMWs stimmt daraufhin ein wütendes Hupkonzert an.

»So ein blödes Arschloch!«, flucht Patrizia, während sie ihren PKW auf den Parkplatz rollen lässt. »Ich mein, so dramatisch war das nun auch wieder nicht.«

Ich zucke unbeholfen mit den Schultern, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich ihr die Wahrheit zumuten kann, entschließe mich dann aber dafür: »Na ja … er hätte in dich hineinkrachen können.«

»Aber geh. Ich hatte die Situation voll im Griff. Da war noch nie was.«

Ich bezweifle zwar, dass sie die Situation voll im Griff hatte, unterlasse es allerdings tunlichst, sie darauf hinzuweisen. Zum einen, weil ich nicht bereits auf der Anreise mit Patzi streiten will und zum anderen, weil sie meine Worte zwei Sekunden später ohnehin schon wieder vergessen hat. Das liegt bestimmt an ihrem Talent für die Verdrängung unangenehmer Tatsachen. Ich wünschte, ich könnte diese außergewöhnliche Fähigkeit von ihr erlernen.

Während Patrizia das Auto einparkt, gleitet mein Blick auf ein paar LKW-Fahrer, die lachend und rauchend vor ihren Lastkraftwagen stehen und dabei stolz ihre nackten riesigen Bierbäuche präsentieren.

»Dieses Selbstbewusstsein hätte ich auch gern.«, halte ich trocken fest, woraufhin meine Freundin mit den Schultern zuckt.

»Ich schätze das liegt an den männlichen Genen oder so. Die fühlen sich, selbst wenn sie vollkommen unattraktiv sind, noch schön.«

»Im Gegensatz zu uns Frauen. Ich meine, wir leiden ja beinahe alle an einer körperdysmorphen Störung und haben deshalb permanent etwas an uns auszusetzen.«, stimme ich Patrizia zu.

Mein Sohn lacht laut auf: »Oh ja … das kannst du laut sagen. Du fragst mich ständig, ob du eh nicht zu fett bist oder zu alt aussiehst.«

Patzi grinst: »Fynn, danke für diese wertvolle Information aus dem Nähkästchen.« Danach wendet sie sich an mich: »Und wenn ich noch einmal hör, dass du dich für zu fett hältst, knall ich dir glaub ich eine. Ich mein, was soll ich bitte sagen, wenn du dich als zu fett empfindest?«

Verständnislos starre ich meine beste Freundin an, die soeben den Motor abstellt.

»Du siehst doch eh klasse aus. Was hast du denn für ein Problem mit dir?«

»Boahhh … ihr seid sowas von nervig mit diesem ständigen Gerede über euer Gewicht und Aussehen.«, erklärt Anja augenrollend. »Frauen beschweren sich quasi permanent darüber, dass Männer sie auf ihr Äußeres reduzieren, aber soll ich euch was sagen!?«

»Nein, eigentlich musst du uns nichts sagen, aber darauf nimmst du ohnehin keine Rücksicht, also schieß los!«, entgegnet Fynn genervt und fügt dann hinzu: »Aber beeil dich bitte. Ich muss nämlich wirklich schon dringend pinkeln.«

Mein Patenkind ignoriert den Einwand ihres Altersgenossen zur Gänze und führt weiter aus: »Wir Frauen sind es selbst. Ich meine, wir reduzieren uns selbst auf unser Äußeres. Mama, du siehst super aus und der Papa hat auch noch nie etwas Gegenteiliges gesagt und trotzdem empfindest du dich als zu fett und du Tante Magdi siehst auch klasse aus und hast bestimmt noch von keinem Mann etwas Gegenteiliges gehört.«

»Mir ist das eigentlich wurscht.«, klärt uns mein adoleszenter Sprössling über sein Desinteresse auf und öffnet dann entschlossen die Autotür, um als Erster auszusteigen. »Ich muss aufs Klo. Ihr könnt euch in der Zwischenzeit weiter über euren Emanzenkram unterhalten. Solange du das nur bei der nächsten Sprechstunde in der Schule weglässt.«

»Was denn? Ich kann doch nichts dafür, dass deine Deutschprofessorin eine konservative blöde Kuh ist, die Mütter am liebsten ausschließlich vor den Herd stellen würde.«, verteidige ich mich, woraufhin sich mein Sohn noch einmal in das Auto beugt und mir über die Schulter streicht.

»Schon gut, Mom. Du solltest dich nicht so aufregen. Denk an deinen Blutdruck.«

Ich komme nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, da sich Fynn wohlwissentlich und ohne sich nach mir umzudrehen auf den Weg zur Toilette begibt.

»Pfff … Männer.«, höre ich Anja sagen, ehe sie aussteigt und ein Selfie von sich vor der Autobahn schießt, sodass mir nichts anderes übrigbleibt, als Patzi einen ratlosen Blick zuzuwerfen, der so viel sagt, wie: Was macht sie da bloß? Und weil Patrizia und ich seit unserer Volksschulzeit befreundet sind, versteht sie mich wortlos und antwortet mir: »Das ist eine Art Kunstprojekt, bei der sie sich an verschiedenen Orten fotografiert. Ich glaube, es geht darum, die Hässlichkeit der Welt der Schönheit gegenüberzustellen oder so.«

»Ah ja … dann sollte sie vielleicht auch ein Foto von den LKW-Fahrern machen.«, erkläre ich trocken und deute auf einen der beleibteren Männer, der sich soeben nach einem Kaffeebecher auf dem Asphalt bückt und dabei sein Bauarbeiterdekolletee gekonnt in Szene setzt.

»Ahhhhhh … ich brauche Alkohol. Dringend. Sonst verkrafte ich das alles nicht.«, stellt Patzi fest, als sie nach mir den Volvo verlässt und hinter sich die Autotür zuknallt.

»Boahhh Mama, du klingst schon wie die reinste Alkibraut.«, stellt Anja mit einem Augenrollen fest und verwickelt ihre Mutter mit ihrer Bemerkung in eine Diskussion über normalen und übertriebenen Alkoholkonsum, die in einer Begriffserklärung des Spiegeltrinkens mündet. Indessen steuere ich mit Leo an der Leine entschlossen auf die Raststätte zu, um meine Blase zu entleeren.

Kapitel 3

Nachdem ich den Toilettengang ohne grobe Zwischenfälle überlebt und mir wahrscheinlich eine seltene Infektion eingefangen habe, bei der sich meine Haut schmerzhaft vom Körper löst, stelle ich mich gemeinsam mit meinen Gefährten und bewaffnet mit einem Tablett bei der Essensausgabe an und warte … und warte … und warte … und warte … Indessen dringt der Geruch von paniertem Schnitzel und heißem Fett in meine Nase.

Manno, mein Magen fühlt sich allmählich so an, als wäre er von einem Maschinengewehr durchlöchert worden.

»Mamaaaaa, ich hab Hunger.«, spricht mir mein Kind aus der Seele.

»Pfff … Männer, echt.«, gibt Anja, die hinter Fynn in Aufstellung gegangen ist, von sich. »Ihr glaubt selbst als Halberwachsene noch, dass die einzige Verpflichtung eurer Muttis darin besteht, sich um eure Grundbedürfnisse zu kümmern. Wie kann man nur so unselbstständig sein? Ich mein, ich möcht ja nicht wissen, was du in der Steinzeit gemacht hättest? Stell dir mal vor, du müsstest jetzt ein Mammut erlegen. Dann würde dein Mittagessen noch länger brauchen, bis es in deinem Magen landet.«

Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen: »Ich glaub der Fynn wär in der Steinzeit verhungert. Zum einen, weil er keine Beeren oder sonstigen Früchte zu sich nimmt, die nicht aus Zucker und Gelatine bestehen und in eine Fruchtform gegossen wurden und zum anderen, weil er viel zu wehleidig ist, um jagen zu gehen. Wahrscheinlich würde sich Fynn über die mangelnde Sensibilität des Mammuts beschweren, wenn dieses ihn im Überlebenskampf schubst.«

»Ha ha ha Mom, wirklich sehr komisch. Aber falls du es genau wissen willst: Ich hätte das ganz einfach so gemacht, wie die Löwen. Ich hätte die Weibchen jagen lassen.«

So als wolle ihn unser Vierbeiner bestätigen, bellt Leonardo laut auf und veranlasst die Frau vor mir zu einem Nasenrümpfen.

»Siehst du, das ist wieder mal so typisch Mann. Immer lasst ihr uns die Care-Arbeit übernehmen. Aber falls es dir entgangen sein sollte, Fynn, wir leben nicht mehr in der Steinzeit.«, entgegnet Anja.

»Ja, Gott sei Dank. Da würden nämlich eure Damenrasierer nicht ausreichen, um eure Haarpracht zu bändigen.«, kontert mein Kind selbstbewusst, woraufhin ich ihm eine Kopfnuss verpasse.

Indessen wendet sich Patrizia mit blassem Gesicht und abgeschirmter Nase an mich: »Ich glaub, ich halte diesen Geruch nicht mehr aus. Mir wird schlecht.«

»Vielleicht hättest du gestern doch nicht so viel trinken sollen, Mama.«

»Geh bitte. Ich hab diesen Kantinengeruch noch nie so gut vertragen. Das weißt du doch.«, verteidigt sich Patzi vor ihrer Tochter und fragt mich schließlich: »Kannst du mir vielleicht einen Wurstsalat und einen Kornspitz mitnehmen? Ah ja … und als Nachspeise einen Kaiserschmarrn.«

Ich grinse: »Kommt noch irgendwer zum Mittagessen, von dem ich nichts weiß?«

Für einen Augenblick hält Patrizia geschockt inne: »Nein, wie kommst du denn auf die Idee?«

»Na weil die Menge an Essen für zwei Personen ausreichen würde.«, erkläre ich augenzwinkernd.

Meine Freundin zuckt entschuldigend mit den Schultern: »Du weißt doch, dass ich total unleidlich werde, wenn ich nicht regelmäßig etwas zu essen bekomme. Deshalb muss ich mir halt einfach ein Depot anlegen.«

»Tja, das erklärt, warum ich die Weihnachtskekse immer vor dir verstecken muss.«, wendet Anja ein.

»Geh Mausilein, du musst doch nicht alle meine Geheimnisse verraten.«

»Das tu ich eh nicht. Ich glaube, das würde auch niemand der hier Anwesenden verkraften beziehungsweise könnte es zu schweren Traumata führen, wenn sie alles wüssten.«

In diesem Moment wird Patzis Gesicht einen Ton blasser – falls das überhaupt möglich ist – und sie hält sich würgend die Hand vor den Mund.

»Okay, ich … puhhh … ich glaube ich geh mal auf die Toilette und such uns dann einen Platz.«

Ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hat, ist sie eine Staubwolke und lässt mich mit den beiden Teenies und dem Hund zurück.

»Ich glaub, deine Mama hat gestern doch ein bissi zu viel getrunken.«, halte ich fest, während mein Blick noch immer starr auf die langsam in der Ferne verschwindende Rückansicht meiner besten Freundin gerichtet ist.

»Keine Ahnung wie du auf die Idee kommst, Tante Magdi.«

Wir kommen nicht mehr dazu, das Thema näher zu erläutern, da unsere gesamte Aufmerksamkeit von der Frau vor Fynn und mir in Anspruch genommen wird, die hilflos vor der beleuchteten Speisetafel steht und den pickeligen Angestellten stotternd fragt: »Haben sie vielleicht auch etwas Vegetarisches in ihrem Menüplan? Aber nichts mit Käse. Von dem bekomme ich immer so furchtbare Blähungen.«

Wie spannend. Vielleicht kann sie das noch plastischer schildern, damit man sich ihren Verdauungstrakt besser vorzustellen vermag.

Der Angestellte zuckt hilflos mit den Schultern: »Na ja wir hätten Gemüse-Lasagne.«

»Hmmm …« Während die Fremde überlegt, sieht sie die Fotos auf dem Menüplan durch und entdeckt offenbar die angesprochene Speise, um festzuhalten: »Aber die ist mit Sauce, oder!?«

Ja, offenkundig ist das Teil mit Sauce, denn auf dem Foto ist Sauce abgebildet.

»Ja.«, antwortet der Angestellte geduldig.

»Hmmm … nein, dann nehm ich die lieber nicht. Da ist ja so oft Gluten drinnen und das vertrag ich so schlecht. Hmmmm …«

Wahrscheinlich bekommt sie von Gluten Durchfall.

Eine erdrückende Stille breitet sich aus, als die Frau angestrengt überlegt, was sie zu sich nehmen kann.

»Also … nun ja … gibt es noch etwas anderes Vegetarisches?«

»Nur gebackenen Emmentaler oder Kässpätzle.«, schlägt der Angestellte vor.

»Hmmm … das ist blöd. Nun ja … dann nehm ich einfach einen gemischten Salat. Aber bitte ohne Dressing.«

»Glaubst du, sie verträgt das Besteck?«, flüstere ich Fynn zu, der daraufhin seinen Mund zu einem breiten Grinsen verzieht.

Nachdem die unentschlossene Frau ihren Salat entgegengenommen hat und weitergezogen ist, gelingt es auch mir und meinen Gefährten, unsere Bestellungen aufzugeben, wobei ich bei meinem Sprössling einen viertägigen Marsch ohne Essen vermute. Andernfalls lässt sich seine Order, die aus einem Riesen-Wiener-Schnitzel mit Pommes frites, einer Sachertorte und einem Schoko-Muffin besteht, kaum erklären.

Die Euphorie über die geglückte Bestellung und Entgegennahme der wohlverdienten Speisen hält allerdings nicht lange an, denn an der Kasse bildet sich bereits der nächste Stau. Verursacht wird dieser von einer älteren Dame in einem grauen Trachtenkostüm, die ihre Speisen nicht nur mit ihrem gesamten Kleingeld bezahlt, sondern der Kassiererin nebenbei ihre Lebensgeschichte erzählt.

Boahhh … ich hab Hunger! Kann die Frau ihre Memoiren nicht einfach in einer Autobiografie festhalten, mit der dann Schüler einer Oberstufenklasse zwangsbeglückt werden!? Wen interessieren schon die Namen ihrer zwölf Katzen und deren Lieblingsschlafplätze?

»Mamaaaaa?«, werde ich von meinem Sprössling in meinen staatstragenden Gedanken unterbrochen. »Kann ich Eistee?«

»Was? Jemanden an den Kopf werfen, inhalieren, schnupfen, spritzen …?«, entgegne ich, woraufhin Anja kichert.

Fynn verdreht indessen genervt die Augen: »Na haben. Kann ich einen Eistee haben?«,

»Dann sag das doch genauso.«

Er stöhnt auf: »Jaaaa, eh.«

»Na nimm dir halt einen.«, erteile ich meinem Sohn die gewünschte Erlaubnis, woraufhin sich dieser daranmacht, ein riesiges leeres Glas zu befüllen. Er ist scheinbar nicht nur am Verhungern, sondern auch am Verdursten.

Gedankenversunken sehe ich Fynn dabei zu, wie er sein Trinkglas auf dem Tablett abstellt, und spüre plötzlich einen unsanften Rempler an meinem Oberarm. Empört sehe ich mich nach der Quelle der Störung um und stelle fest, dass es sich dabei um einen älteren Mann mit Pferdeschwanz und Hawaiihemd handelt, der sich an mir und meinen Gefährten vorbeidrängt, um sich in der Schlange vor mir einzureihen.

»Was für ein Arschloch!«, spricht mir Anja mit wütend zusammengekniffenen Augen aus der Seele. »Ich meine, wofür hält der sich eigentlich?«

»Du verstehst das einfach nicht, Anja. Der Mann stirbt wahrscheinlich jeden Moment einen qualvollen Hungertod, wenn er sein Gulasch nicht verzehren kann. Es ist quasi ein medizinischer Notfall.«

Anja und Fynn kichern und lenken damit die Aufmerksamkeit einer dürren rothaarigen Frau auf sich, die sich neben dem unsympathischen Fremdling eingefunden hat und uns einen entschuldigenden Blick zuwirft. Als ihr mutmaßlicher Ehegatte diesen registriert, beruhigt er sie mit den Worten: »Geh, tua da nix ån, Schatzl. Wir håbn doch eh scho lång gnua gwårt.«

»Ich glaube, beim Bestatter würde er das nicht sagen.«, werfe ich ein und achte dabei tunlichst auf die Lautstärke meiner Stimme. Indessen bestätigt Leonardo meinen Kommentar mit einem beherzten Bellen.

Eine Weile sehe ich der unentschlossenen Frau mit den Verdauungsproblemen wie paralysiert dabei zu, wie sie bezahlt. Allerdings werde ich aus meinem Zustand der Lähmung gerissen, als sich die rothaarige Frau vor uns mit musikalischer Untermalung ihres Gatten, der das Piepsgeräusch eines LKWs beim Rückwärtsgang nachahmt, an der Warteschlange vorbei und zurück zu der Besteckausgabe kämpft.

Unwillkürlich schüttle ich den Kopf: »Jetzt weiß ich wieder, warum ich manche Menschen in meinen Büchern sterben lasse.«

»Gewalt ist keine Lösung, Mom.«, belehrt mich mein Sprössling.

Wenn er sich da mal nicht irrt …

Eine unendliche Viertelstunde später, sind wir mit dem Begleichen der Rechnung an der Reihe und kurz danach, suche ich das Restaurant mit dem unruhig an der Leine zerrenden Leonardo nach meiner besten Freundin ab, kann Patzi aber nirgendwo ausfindig machen.

»Mamaaaa!? Die neue Staffel von The Boys ist wirklich cool gewesen, gell?«, bombardiert mich mein Sohnemann indessen in typischer Manier mit einer vollkommen unpassenden Frage.

»Fynn, das ist jetzt wirklich der gänzlich schlechteste Moment, um soetwas zu besprechen. Siehst du nicht, dass ich gestresst bin?«

»Mahhh … nie kann man mit dir reden.«, motzt mein Kind.

Doch, eigentlich gibt es unzählige Momente, in denen ich mich über Fynns aufmerksame Gesellschaft wirklich freuen würde. Wenn mein Hund allerdings gerade dabei ist, sich in Fifty-Shades-of-Grey-Manier mit der Leine zu strangulieren und ich ihn von seinem ungewollten Suizid nicht abhalten kann, weil ich damit beschäftigt bin, nach einem Geist zu suchen, will ich mich definitiv nicht über die neue Staffel von The Boys unterhalten. Da kann Soldier Boy noch so sexy sein.

»Da ist die Mama.«, dringt Anjas Stimme in meinen aufgewühlten Geist und meine Augen folgen ihrem Zeigefinger, der auf einen Tisch am Fenster deutet. Mittlerweile wirkt die Gesichtsfarbe meiner Freundin deutlich gesünder als vor ihrem plötzlichen Aufbruch. Aufgeregt winkt uns Patrizia zu.

»Hey, da seid ihr ja endlich. Ich hab schon gedacht, ich muss eine Vermisstenanzeige aufgeben, so lang wie ihr gebraucht habt.«, stellt Patzi fest, als ich das volle Tablett keuchend vor ihr abstelle und mein Hinterteil wenig elegant auf den Plastiksessel plumpsen lasse. Erst jetzt registriere ich minderbegeistert, dass sich am Nebentisch der unhöfliche Vordrängler mit seiner ihm Angetrauten eingefunden hat. Mit grantigem Gesichtsausdruck redet er auf die Frau in der quietschbunten Kleidung ein.

»Jetzt schau da des amoi ån. I man, wo kumm ma då hin, dass si solche Leit jetzt a no in der Öffentlichkeit zeigen. I man, aus dem Buam kånn ja nur a Homo werden und des Madl wird wåhrscheinlich a so a Kåmpflesben. I sågs da, des håb i scho befürchtet, åls di so vül Rechte kriagt håbn. I man … båld besteht unsere Welt nur mehr aus Homos.«

Nachdem er seine Hassrede einem adäquaten Ende zugeführt hat, verkündet der Mann lautstark: »I muass amoi aufs Heisl, göll Spatzl.« Danach entschwindet er wie angekündigt auf die Sanitäranlagen der Raststätte. Erstaunlicherweise scheint seine Begleitung nach seinem Verschwinden um mindestens drei Zentimeter zu wachsen. Mit freundlichem Lächeln wendet sie sich uns zu und zuckt entschuldigend mit den Schultern.

»Tut mir leid. Der Hermann kann manchmal ein bissi ruppig sein, aber in Wahrheit ist er ein ganz Lieber, auf den man sich immer verlassen kann. Ich hoffe sie nehmen das nicht zu ernst, was er da so von sich gibt. Ich für meinen Teil finds wirklich mutig, dass sie sich so offen zeigen. Man merkt richtig, wie wohlerzogen und brav ihre Kinder sind.« Sie seufzt, ehe sie mit ihrer süßlich lieblichen Stimme weiterspricht: »Ich wollt ja auch immer Kinder, aber der Hermann hat sich so gesträubt und irgendwann hab ich es dann aufgegeben, ihn darum zu bitten.«

»Das tut mir wirklich leid für sie. Obwohl ich sie trösten kann. Kinder sind echt nicht alles im Leben.«, erwidert Patzi.

Oh mein Gott, was tut sie denn da? Ich dachte, ich könnte die Frau mit ein paar bedeutungslosen »Ja's« und »Oh's« dazu bringen, das Gespräch zu beenden, aber stattdessen geht meine beste Freundin auf die Inhalte ein und das mit echtem und nicht bloß mit vorgetäuschtem Interesse. Was ist nur los mit ihr?

Die Frau zuckt mit den Schultern: »Ach ja … so schlimm ist es dann auch wieder nicht. Ich hab jetzt eine Ausbildung als Pädagogin angefangen.« Sie lacht laut auf. »Und das auch noch auf meine alten Tag. Können sie sich das vorstellen? Der Hermann macht sich dauernd über mich lustig, aber ich hab immer schon gern mit Menschen zusammengearbeitet. Dreißig Jahre war ich beim Arbeitsmarktservice.« Sie klatscht in die Hände. »Da hab ich auch den Hermann kennengelernt. Aber seit der Corona-Krise erfüllt mich das halt nimmer und da hab ich beschlossen, umzusteigen. Nachdem ich keine Kinder haben kann, warum sollt ich dann nicht mit Kindern arbeiten. Der Hermann versteht zwar nicht, warum ich das machen will, aber so sind’s halt die Männer.«

Oh mein Gott! Hoffentlich irrt sie sich und es sind nicht alle Männer so! Sonst sterbe ich einsam und allein.

»Ich bin übrigens die Beate.«, stellt sich die Frau schließlich vor und streckt mir und Patrizia die Hand zum Gruß entgegen.

»Ich bin die Patrizia und das ist meine Freundin die Magdalena und unsere Kinder der Fynn und die Anja.«

Nachdem sie uns der Reihe nach die Hände geschüttelt hat, klatscht Beate verzückt: »Mahhh … so liebe Kinder. Da können sich manche ein Scheibchen von ihnen abschneiden.«

»Då bin i wieder. I sågs da, Bea, die Heisln wåren a scho mål sauberer då. A Wåhnsinn.«, unterbricht uns der plötzlich in Erscheinung tretende Hermann. Augenblicklich schrumpft die zuvor noch so mitteilungsbedürftige Beate in sich zusammen.

»Åber i siach eh, dass da ned fad wurdn is.«

Er deutet mit dem Kinn in unsere Richtung, woraufhin sich Patrizia zu einem Kommentar bemüßigt fühlt.

»Sie haben wirklich eine sehr sympathische Frau.«

Seine kleinen blauen stechenden Augen mustern meine Freundin vollkommen ausdruckslos, ehe er sie emotionslos berichtigt: »Des is ned mei Frau. Des is mei Oide.«

Kapitel 4

Oh mein Gott! Ist die Klimaanlage in der Informationshütte des Happy Smurf Village etwa auf arktische Temperatur gestellt!? Ich kann mir nämlich beim besten Willen keine passendere Erklärung für die eiskalte Witterung vorstellen, die mich wünschen lässt, ich hätte meinen Skianzug anstelle meiner Bikini-Sammlung eingepackt.

Leonardo scheint es ähnlich wie mir zu ergehen. Mein Hund zittert trotz seines Fells wie Espenlaub.

»Das gibt es doch nicht!«, höre ich Patrizias wenig dezentes Organ in mein Ohr dringen. »Das da vorne ist doch dieser Unsympathler von der Raststation mit seiner Frau.«

Sie zeigt auf den Wutbürger und seine redewillige Gemahlin, die in geduckter Haltung neben ihrem Gatten steht und in ein Prospekt über den Wellnessbereich der Ferienanlage vertieft ist.

»Wenn du noch ein bissi lauter redest, gelingt es dir vielleicht, dass er es auch hört.«, ermahne ich Patzi und wende mich dann den Kindern zu, die ihre Umwelt kaum wahrnehmen, weil sie den Blick wie immer starr auf ihre Handydisplays gerichtet haben. »Wenn ihr wollt, könnt ihr uns eure Pässe geben und euch einstweilen auf das Sofa dort setzen.«

Die beiden sehen mich aus ihrem tranceartigen Zustand gerissen an und folgen dann meinem Blick zum Sofa im Wartebereich der Informationshütte des Happy Smurf Village.

»Okay.«, gibt mein Sohn nach einem Schulterzucken von sich, stellt dann seinen überdimensionalen Rucksack auf dem Fliesenboden ab, um eine Ewigkeit nach seinem Reisedokument zu kramen und im Anschluss an die erfolglose Suche festzuhalten: »Hast nicht du den Pass eingepackt?«

»Boahhh … Fynn, das darf doch nicht wahr sein. Ich hab ihn dir doch extra auf den Schreibtisch gelegt, damit du ihn einsteckst. Willst du mir jetzt etwa sagen, dass du deinen Pass vergessen hast?«