Wisch & Depp - Sabrina Hafenscher - E-Book

Wisch & Depp E-Book

Sabrina Hafenscher

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Beschreibung

Die lebenslustige Kolumnistin Ella gerät in Panik als sie erfährt, dass ihre jüngere Schwester vor ihr heiraten wird. Als Langzeitsingle liegt nicht nur eine Beziehung, sondern auch die eigene Hochzeit in weiter Ferne. Doch das Schicksal scheint Ella gewogen, denn sie soll für die Frauenzeitschrift, für die sie arbeitet, einen Artikel über Online-Dating schreiben. Warum also den Auftrag nicht gleich dazu nutzen, eine Begleitung für die Hochzeit aufzutreiben? Aber bei den ganzen Deppen, die sich im Netz herumtreiben, gestaltet sich das Unterfangen schwieriger als gedacht. Und wer weiß, vielleicht ist die große Liebe dann doch nur eine Kollision im echten Leben entfernt ...

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Buch

Die lebenslustige Kolumnistin Ella gerät in Panik, als sie erfährt, dass ihre jüngere Schwester vor ihr heiraten wird. Als Langzeitsingle liegt nicht nur die eigene Hochzeit, sondern auch eine Beziehung in weiter Ferne. Doch das Schicksal scheint Ella gewogen, denn sie soll für die Frauenzeitschrift, für die sie arbeitet, einen Artikel über Online-Dating schreiben. Warum also den Auftrag nicht gleich dazu nutzen, eine Begleitung für die Hochzeit aufzutreiben? Aber bei den ganzen Deppen, die sich im Netz herumtreiben, gestaltet sich das Unterfangen schwieriger als gedacht. Und wer weiß, vielleicht ist die große Liebe dann doch nur eine Kollision im echten Leben entfernt …

Autorin

Sabrina Hafenscher wurde am 15. Juni 1985 geboren und ist damit ein waschechter schizophren veranlagter Zwilling. Nachdem es dem klassischen Wiener Grantler noch nicht gelungen ist, sie aus der Hauptstadt zu vertreiben, lebt sie derzeit mit ihrem Sohn in einem Reihenhaus in Wien.

Neben ihrer Studien des Menschen in seiner natürlichen Umgebung nimmt sie natürlich auch hin und wieder ihre mütterlichen Pflichten wahr.

Für meine Mama, die mir gelernt hat, niemals aufzugeben, ganz gleich wie furchtbar die Lage auch gerade erscheinen mag. Ich hab dich lieb!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Epilog

Prolog

Oh mein Gott! Was war denn das? Das ist ja schlimmer, als auf einem Heavy-Metall-Konzert unmittelbar neben einem Lautsprecher zu stehen. Ich meine, es ist ja nicht gerade so, als würde es mir leichtfallen, in einer fremden Wohnung neben einem Mann einzuschlafen, den ich am Vorabend in einem Club kennengelernt habe. Und dann gelingt endlich das Unmögliche, was per se für eine glorreiche Zukunft an der Seite dieses Y-Chromosomträgers spricht und ich werde, kaum dass ich die Augen geschlossen habe, vom donnergleichen Schnarchen meines Verehrers aus dem Traumland gerissen.

Das war’s also. Hubert ist doch nicht der Richtige. Ja, schon klar, das hätte ich mir denken können, als er mich mit den Worten zu mir oder zu dir aufgerissen hat. Aber was kann ich denn dafür, dass ich während des sonderklasseverdächtigen Besäufnisses mit meinen Freundinnen in diesen attraktiven Mann gelaufen bin und seiner Schönheit nicht widerstehen konnte!? Es war eben Schicksal! Wenn das keine gute Entschuldigung für mein lasterhaftes Verhalten ist, was dann? Davon abgesehen schleppe ich meinen Single-Status mittlerweile seit so vielen Jahren mit mir herum, dass man es mir kaum verübeln kann, wenn ich mindestens einmal im Quartal die Bestätigung des testosterongesteuerten Geschlechts suche. Und jetzt mal ehrlich: Falls Huberts Schnarchen nicht zum Zerbersten meines Trommelfells führt, dann kann doch nicht zur Gänze ausgeschlossen werden, dass wir eines Tages den Bund der Ehe eingehen. Natürlich müsste man während der Hochzeitsrede in Anwesenheit der minderjährigen Gäste das unbedeutende Quartalssexdetail auslassen.

So vorsichtig wie bei einem Spaziergang über ein Tretminenfeld, schließe ich meine Augen, um einen Einschlafversuch zu starten, als genau in diesem Moment ein weiteres donnergleiches Schnarchen ertönt.

Boahhh, wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich davon ausgehen, dass die Erde gebebt hat. Gut, wer weiß, womöglich schlägt Mutter Natur nun endgültig zurück und vernichtet mit einem flammenden Inferno die gesamte Menschheit. Insofern bin ich wirklich enttäuscht von den dilettantischen Berechnungen der Maya. Schließlich ist das Jahr zweitausendzwölf schon lange vorbei.

Ein weiteres Mal ertönt ein erderschütterndes Schnarchen aus dem Rachen meines Bettgefährten, dem eine plötzliche Stille folgt.

So eine Scheiße!!!! Hoffentlich ist er jetzt nicht erstickt.

Ich richte meinen Oberkörper auf und beuge mich behutsam über Hubert.

Puhh … nochmal Glück gehabt. Er atmet. Aber angesichts des Gestanks, der seinem Mund entströmt, bin ich mir nicht sicher, ob er vergiftet wurde.

Memo an mich: Hubert vor etwaiger Hochzeit unauffällig ein Tic Tac zustecken.

Keuchend lege ich mich wieder hin, schließe die Augen und wie auf Kommando ertönt auf der anderen Seite des Doppelbettes erneut ein Schnarchen. Diesmal hält Hubert konstant seine Frequenz, sodass ich genervt ein Kissen auf meinem Kopf platziere.

So ein Mist. Die bombenähnlichen Töne lassen sich nicht dämpfen und mein Aggressionspotenzial steigt soeben exponentiell an. Dummerweise kann ich dem Hubert nur schwerlich vorschlagen, er möge an einem anderen Ort dem Erstickungstod anheimfallen. Deshalb wälze ich mich langsam zur Seite, strecke meine Hand aus und stupse meinen Verehrer zaghaft an, um ihm vorsichtig zuzuflüstern: »Du schnarchst.«

Schnarchen als Antwort, gefolgt von einem Grunzen und dann wieder Schnarchen.

Boahhh … ich fühle mich, als würde ich neben einem brunftigen Bären liegen. Oh mein Gott, womöglich wurde Hubert ja von einem Werwolf im Beisein eines Braunbären gebissen und in wenigen Sekunden transformiert er sich im Licht des Vollmondes in so einen Werwolfbären. Das war ja wieder mal klar. Von all den Männern, die sich gestern im Club herumgetrieben haben, habe ich ausgerechnet den erwischt, der mit einem Werwolfbärenfluch belegt wurde.

Wie sieht eigentlich so ein Werwolfbär aus?

Gurgelndes, unheimliches Schnarchen vonseiten meines verfluchten Bettgefährten als Antwort.

Scheiße, ich glaube, er verwandelt sich gleich. Ob ich meine Hand ein weiteres Mal gefahrlos nach ihm ausstrecken kann? Wer weiß, vielleicht beißt er dann zu und überträgt den Fluch damit auf mich. Und ich will definitiv kein Werwolfbärenweibchen sein. Die sind bestimmt total hässlich und dieses ständige Rasieren ...

Mein Liebhaber schnarcht ein letztes Mal laut auf und begibt sich in die stabile Seitenlage, sodass sein Atem nicht mehr wie eine explodierende Atombombe klingt. Ich wende mich indessen von Hubert ab, um einen Blick auf mein Smartphone zu werfen.

Drei Uhr morgens. So ein Mist! Jetzt bin ich total wach und kann nicht mehr einschlafen. Aber ich muss schlafen, sonst schwellen meine Augen über Nacht auf Schlauchbootgröße an. Und wenn das passiert, dann konfrontiert mich meine Mutter beim sonntäglichen Familienbesuch mit einer halbstündigen Standpauke über den Raubbau an meinem Körper. Als wäre es nicht genug, dass ich mich vor ihr permanent für meinen mehrjährigen Singlestatus rechtfertigen muss.

Okay, Gabriella. Es wird Zeit, dass du aufhörst, herumzujammern, und etwas gegen die natürliche Verunstaltung deines Gesichts unternimmst, damit du die gestrenge Musterung deiner Mutter bestehst. Vielleicht klappt es ja mit diesem Autogenen Training.

Ich drehe mich auf den Rücken, lege meine Hände zusammengefaltet auf den Bauch und schließe die Augen, um tief ein- und auszuatmen. Ein, aus, ein, aus … aus … ein ein … aus ein … ein ein ein ein ein ein ein ein … aus aus aus aus aus aus …

Scheiße, irgendetwas stimmt mit meiner Atmung nicht. Womöglich habe ich einen Herzfehler, den bisher niemand in meiner Familie erkannt hat und in dieser Nacht werde ich aufgrund der mangelnden Aufmerksamkeit meiner Verwandten sterben.

Okay. Konzentrier dich, Gabriella! Du wolltest doch schlafen. Also wo bist du vorhin stehengeblieben? Genau, bei der Atmung.

Nochmal tief ein- und ausatmen. Ein, aus, ein, aus … Alles klar. Diesmal funktioniert es gar nicht so schlecht. Dann weiter zum nächsten Schritt.

Was ist eigentlich der nächste Schritt beim korrekten Autogenen Training? Ist zuerst das Sonnengeflecht gekommen oder der Herzschlag, oder war da nicht noch irgendetwas mit Warm- und Schwerwerden? Als würde ich schwerer werden wollen. Wie viel wiege ich eigentlich im Moment? Angesichts meiner unregelmäßigen Nahrungsmittelzufuhr, die ich meinem unsteten Job zu verdanken habe, wage ich es kaum, mich auf die Waage zu stellen.

Memo an mich: künftig mindestens dreimal in der Woche den Zumba-Kurs besuchen, um Hubert nicht in die Flucht zu treiben, wenn er mich nackt sieht.

Manno, ich habe schon wieder den Faden verloren. Aber wie soll dieses dämliche Autogene Training zur Entspannung beitragen, wenn man ständig mit der Frage nach der richtigen Atmung und dem richtigen Herzschlag beschäftigt ist? Das kann doch nicht funktionieren.

Trotzdem setze ich meinen Versuch mit der Vorstellung fort, dass mir warm wird und ich mich schwer fühle.

Sodala, was kommt als Nächstes? Genau: das Herz. Wie soll das jetzt schlagen? Kräftig und gleichmäßig!? Stark und gleichmäßig!? Wham … Mein Brustkorb fühlt sich an, als würde er jeden Moment bersten. Vielleicht sollte das Herz doch schwach schlagen!? Andererseits steht dann zu befürchten, dass es stehenbleibt, oder!? Egal … ich lasse das Herz einfach aus und gehe zum Sonnengeflecht über. Ui … mein Darm entspannt sich und …

Super!!! Jetzt habe ich gefurzt. War ja klar und Hubert dreht sich in genau diesem Augenblick wieder auf den Rücken. Wahrscheinlich hat er mich gehört und jetzt jeden Respekt vor mir verloren und das alles nur, weil ich Autogenes Training gemacht habe. Scheißdrecks Sonnengeflecht. Wer braucht das schon?

Ich überspringe den Schritt, um das Entfleuchen weiterer Darmwinde zu verhindern, und gehe zum Hirn über, das gut durchblutet sein soll.

Wenn mein Hirn gut durchblutet ist, führt das doch eher zu einer Anregung des Denkprozesses ... Egal, ich stelle mir vor, wie es noch besser durchblutet ist … Next Step: Entspannung. Das klappt schon besser. Wow … Ich spüre, wie sich meine Glieder entspannen und meine Augenlider immer schwerer werden. Müüüüüüüde …

»Argggggghhhhhhhhh …«, ertönt es aus dem Mund meines Bettgefährten und lässt mich aus dem eben begonnenen Schlaf aufschrecken.

Wunderbar. Jetzt muss ich nochmal von vorne beginnen.

Kapitel 1

Scheeeeeeeiße«, fluche ich lauthals und setze mich wie von der Tarantel gestochen auf, nachdem ich einen Blick auf mein Smartphone geworfen und festgestellt habe, dass es halb sieben ist und mir nur eineinhalb Stunden Zeit bleiben, um die Verabredung mit meiner Mutter einzuhalten.

Womit soll ich denn zuerst beginnen? Mit den Haaren, mit dem Schminken, mit dem Anziehen!? Hiiiiilfe!!! Ich komme zu spät!!!!

Hektisch schlage ich die Decke zur Seite und lasse meine nackten Beine aus dem Bett baumeln, um mich planlos im Schlafzimmer umzusehen. Indessen schnarcht der dunkelhaarige Hubert mit der Prince-Charming-Föhnwelle laut auf und öffnet gelassen die Augen, um sich erst einmal genüsslich zu strecken, bevor er das Wort an mich richtet.

»Was ist denn los, Gabriella? Das ist doch dein Name, oder?«

Ich starre in das wie in Stein gemeißelte Gesicht meines Bettgefährten, der sich in der Zwischenzeit erhoben und an das mit Stoff bezogene Kopfteil des Boxspringbettes gelehnt hat: »Oh … Ähhhh … ja sorry. Weißt du, meine Aufmerksamkeit bewegt sich größtenteils im Minusbereich. Vor allem wenn ich gerade gestresst bin. Nimm mir das also bitte nicht übel, aber ich muss jetzt echt weitertun.«

Föhnwellen-Hubert ignoriert meine Worte der Anspannung und erklärt mir mit leuchtenden Augen: »Du, aber zum Thema Konzentrationsfähigkeit hab ich wirklich einen Haufen Bücher hier. Also wenn du willst, kann ich dir gern dabei helfen, deine Aufmerksamkeit auf ein Maximum zu erhöhen. Ich hab damit meine Effizienz super gesteigert und auch du kannst das schaffen. Glaub mir. Jeder schafft das. Das Potenzial eines Menschen ist nahezu unerschöpflich.«

Nein, ich kann mit Sicherheit sagen, dass sein Potenzial nicht unerschöpflich ist.

»Hmmm … ja, das klingt echt nach wahnsinnig viel Spaß … Aber ich bin jetzt nicht so der planvolle, erfolgsorientierte Typ.«, antworte ich und bemühe mich dabei um ein natürliches Lächeln.

»Geh, du musst nur deinen inneren Schweinehund überwinden. Alles nur eine Frage des Willens.«

Ja, und ich will eben nicht.

»Das klingt echt interessant, aber um ehrlich zu sein, will ich im Moment nicht mehr erreichen, als rechtzeitig zur Verabredung mit meiner Mutter zu kommen, weil sie mich sonst killt.«, entgegne ich und erhebe mich dann rasch vom Bett.

Verdammt. Wo ist mein roter Spitzen-BH?

Föhnwellen-Prince-Charming wirft einen Blick auf seine Apple Watch und fragt mich dann mit ungläubiger Miene: »Du bist am Sonntag um halb sieben in der Früh mit deiner Mutter verabredet!? Du könntest dir wirklich eine bessere Ausrede für deine Flucht einfallen lassen.«

»Ich flüchte wirklich nicht. Ich hab meiner Mama nur versprochen, dass ich heut mit ihr den Gottesdienst besuche. Das ist alles.«, antworte ich und wühle mich dabei auf der Suche nach meinem Büstenhalter durch das Bettzeug.

Hubert wirkt dezent irritiert: »Deine Mutter glaubt noch an Gott?«

»Ja, meine Familie ist vom Land. Da ist das normal.«, entgegne ich und atme erleichtert auf, als ich den Bügel meines BHs ertaste.

»Also ich weiß nicht. Ich mein, Gott ist doch nur ein Gedankenkonstrukt der Menschen. Glaubst du etwa auch noch an Gott?«

Wenn er so weiterspricht, gelingt es ihm, dass ich mir heute noch wünsche, er sei ein Gedankenkonstrukt der Menschen.

»Keine Ahnung. Ich glaub irgendwie schon an mehr als das, was wir erklären können. Sonst müsste ich ja auch damit aufhören, an die Liebe zu glauben. Die lässt sich auch nicht wirklich erklären. Zumindest wenn man sich manche Zeitgenossen ansieht.«, erwidere ich, während ich mich verzweifelt damit abmühe, die Häkchen meines Büstenhalters zu verschließen.

Föhnwellen Hubert zuckt verständnislos mit den Schultern: »Na ja … es ist ja wissenschaftlich erwiesen, dass die Liebe nichts anderes, als die Abfolge von chemischen Prozessen im Gehirn ist.«

»Ja, das klingt auch wirklich wahnsinnig romantisch. Mit diesem Spruch erobert man Frauenherzen bestimmt im Sturm.«, wende ich ein und sammele dabei meine auf dem Parkettboden verstreuten Kleidungsstücke auf. »Weißt du, nichts für ungut, aber ich will die Liebe nicht als etwas Technisches betrachten. Das zerstört irgendwie die ganze Magie.«

»Ach das ist ja süß. Glaubst du denn auch noch an sowas wie Elfen, Zwerge oder Trolle?«, erwidert Hubert lachend und verschränkt dabei die Arme vor der Brust.

Würde ich nicht an Trolle glauben, dann müsste ich auch an seiner Existenz zweifeln. Blöder präpotenter Arsch!

»Ähhhh ... Nein.«, antworte ich.

»Puhhh ... da bin ich aber beruhigt. Allmählich bist du mir nämlich ein klein wenig unheimlich geworden.«, verlautbart Hubert.

Moment mal: Ich bin ihm unheimlich geworden!? Ich meine, würde er sein Schnarchen in der Nacht hören, dann verstünde er mit Gewissheit die Ironie seiner Worte.

»Weißt du, genau die Menschen, die die Verantwortung lieber auf eine höhere Macht schieben, als sie selbst in die Hand zu nehmen, sind daran schuld, dass die Menschheit nie weiterkommen wird, als bis zu einer bestimmten Grenze. Der Glaube macht den Menschen träge ...«

So eine Scheiße! War der gestern schon so drauf, oder hat mich mein illuminierter Zustand daran gehindert, die Wahrheit zu erkennen? Ich dachte stets, ich sei intelligent genug, um Selbstoptimierer alla Hubert zu meiden, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht.

»Na ja ... ich finde, dass der Glaube den Menschen eher demütig macht. Und das schafft ja gerade in Zeiten, in denen der Narzissmus zunimmt, ein gutes Gegengewicht.«, entgegne ich und schlüpfe dabei in mein schwarzes Kleid.

»Ja, aber diese Demut ist eine faule Ausrede für mangelnden Tatendrang. Ich meine, ausruhen kann man sich doch auch im Tod. Bis dahin gibt es immer etwas, an dem man arbeiten kann.« Hubert hält einen Moment inne, um mich zu mustern. »Bei dir könnte man eigentlich auch das ein oder andere optimieren. Dann wärst du eine wahre Schönheit.«

WHAT THE FUCK!? Was will er denn an mir verändern?

Ehe er seine Feststellung erläutert wird Föhnwellen-Huberts Blick eindringlicher und er legt seine rechte Hand unter das Kinn.

»Eine kleine Fettabsaugung würde dir sicher nicht schaden. Und das ist auch ein echt minimaler Eingriff, der deine Beine und deinen Po aber wesentlich attraktiver gestalten würde. Vor allem jetzt, wenn dann der Sommer kommt. Vielleicht kann man das ja auch an deinen Oberarmen machen und na ja … dein Busen wär schon schöner, wenn er größer wäre. Dann hätt ich ein bisschen mehr zum Angreifen. Mit ein bissi Silikon kann man das ratz fatz bewerkstelligen. Da merkt man kaum einen Unterschied. Nur an deinem Gesicht würde ich nichts verändern.« Er hält einen Moment inne: »Obwohl … wenn man genau hinsieht, dann ist dein linkes Auge eine Spur größer als das rechte und mit einer Lasertherapie könnte man vielleicht auch deine Sommersprossen aufhellen …«

Okay, jetzt fühle ich mich echt miserabel.

»… aber ich kenn da einen richtig guten Chirurgen, der kann vielleicht dein Augenlid ein wenig anheben und eine Fettabsaugung machen. Die Brüste und die Sommersprossen müssen ja nicht sofort sein.«

Na das ist aber entgegenkommend ...

Sprachlos starre ich Föhnwellen-Hubert an, ehe ich um Höflichkeit bemüht entgegne: »Ähhhh … ja … du … Ähhhm … das ist wirklich lieb von dir, aber eigentlich, na ja, hmmm … eigentlich hab ich für sowas kein Geld. Sorry. Außerdem bin ich grundsätzlich eh zufrieden mit mir.«

Zumindest dachte ich das bis zum heutigen Tag.

Föhnfrisur-Hubert wedelt mit der Hand: »Ach wegen dem Geld musst du dir keine Sorgen machen. Das kann ich ja übernehmen und du arbeitest das dann eben auf andere Art und Weise ab.«

Er zwinkert mir verschwörerisch zu.

»Ähhhh … ich glaub, das kann ich nun wirklich nicht annehmen.«

»Geh Gabriella, jetzt sträub dich doch nicht so. Für mich sind die Operationskosten doch nur Peanuts. Mach dir keinen Kopf und außerdem hab ich dann ja was davon, wenn ich vor meinen Kumpels mit dir angeben kann.«

Nur leider hab ich dann nichts, womit ich vor meinen Mädels angeben könnte, weil dieser Hubert die emotionale Reife eines Steins besitzt.

»Ich überlegs mir noch.«, vertröste ich ihn und setze mich auf das Bett, um meine gemusterte Strumpfhose über die Beine zu ziehen, als mich die Berührung der kleinen Hände meines Bettgefährten so zusammenzucken lässt, dass meine Strümpfe unwillkürlich reißen.

So ein verfluchter Kackmist!!! Vielleicht sollte er hinsichtlich seiner Schrumpfschaufeln einen kosmetischen Eingriff in Erwägung ziehen, damit seine Berührungen nicht jenen eines gruseligen Hillbillys gleichkämen.

»Geh, wieso ziehst du dich schon an? Ich dachte, wir könnten noch ein bissi Spaß haben.«, verlautbart Hubert seine Enttäuschung.

Zuhören ist offensichtlich nicht seine Stärke, weswegen ich ihm den Grund für meinen verfrühten Aufbruch ein weiteres Mal erkläre.

»Das geht leider nicht. Ich brauch nämlich mindestens eine halbe Stunde zu meiner Mama und bin eh viel zu spät dran.«

»Geh komm, Gabriella. Jetzt sei doch nicht so. Wir haben doch so viel Spaß gehabt gestern.«, quengelt mein Bettgefährte ungeniert weiter. »Ich brauch ja eh nicht lange. Ein kleiner Quickie wird sich doch noch ausgehen.«

»Ähhhh ... nein.«, erwidere ich kurz und bündig und streife seine Hände behutsam von meinen Hüften, um aufzustehen und mich im schlecht ausgeleuchteten Wandspiegel des Schlafzimmers zu betrachten.

So eine Scheiße. Ich sehe aus wie ein Junkie, der sich soeben den goldenen Schuss verpassen wollte. Mein langes Haar hängt schlaff, fett und leblos vom Kopf, mein Augen-Make-up ist komplett verwischt und was ist das bitteschön auf meinen Lippen? Ich habe gestern doch keinen Rotwein getrunken. Vorsichtig berühre ich meine Unterlippe mit den Fingerspitzen. Aua, das tut weh. Was ist das? Ein blauer Fleck oder was!? Oh mein Gott! Jetzt fällt es mir wieder ein. Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bei diesen Saugküssen von Hubert passiert. Seine mangelnde Sensibilität zieht sich also durch sämtliche Bereiche seines Lebens. Wie konnte ich das bloß übersehen und diesen Widerling als meinen Ehegatten in Erwägung ziehen? Manno, ich könnte vor Enttäuschung auf der Stelle losheulen.

»Also wenn ich dir so zuschau, bin ich echt froh, dass ich ein Mann bin.«

»Warum?«, frage ich ahnungslos.

»Na ja … weißt du, mit Männern und Frauen ist das ungefähr so, wie in der Tierwelt. Die Männchen sind schon bunt, die Weibchen müssen sich erst bunt bemalen.«, erläutert Hubert seinen seelischen Status, sodass ich für einen kurzen Augenblick nicht anders kann, als ihn schweigend und mit offenem Mund anzustarren, ehe ich sage: »Ähhhh … ha ha ha … ja.«

»Wie dem auch sei. Ich werd jetzt mal unter die Dusche springen.«, erklärt mir mein Bettgefährte, nachdem er sich von seiner Schlafstatt gelöst und mir einen Klaps auf den Hintern verpasst hat. Im Türrahmen bleibt er stehen, um mir mit hochgezogenen Augenbrauen vorzuschlagen: »Letzte Chance: Willst du mit unter die Dusche?«

»Ähhhh ... Nein, danke. Ich muss echt weitermachen.«

»Wie du meinst. Aber du wirst es noch bereuen.«

»Das glaube ich eher nicht.«

Ich sehe Föhnwellen-Prince-Charming dabei zu, wie er von der Dunkelheit des fensterlosen Vorzimmers verschluckt wird und warte, bis das Rauschen des Wassers hinter der geschlossenen Badezimmertür ertönt, ehe ich die Renovierungsarbeiten an meinem Gesicht aufnehme. Vorsichtig entferne ich mit einem Wattestäbchen aus meiner Kosmetiktasche die überschüssigen Reste meiner Wimperntusche. Dieses Unterfangen erweist sich jedoch als nahezu unmöglich, weil der wasserfeste Mascara selbst mit dem Augen-Make-up-Entferner, der speziell von Spezialisten für wasserfeste Wimperntusche entwickelt wurde, nicht wegzubekommen ist. Offenbar ist zur vollständigen Beseitigung desselben Desinfektionsmittel in Kombination mit Antibiotika notwendig.

Scheiße, scheiße, scheiße. Das dauert viel zu lange und meine Wimpern liegen überhaupt nicht in der Form, die ich mir für sie ausgedacht habe. Deshalb packe ich nochmal ein wenig Tusche drauf und …

Super. Jetzt habe ich einen schwarzen Strich knapp unterhalb der Augenbrauen. Wie sieht denn das aus? Ich meine, so kann ich mich unmöglich in der Öffentlichkeit blicken lassen, weshalb ich ein weiteres Mal auf den Augen-Make-up-Entferner der Experten zurückgreife, der nicht wesentlich besser als vorhin funktioniert, sodass mir das Augenlid von der übermäßigen Reibung schmerzt.

Als ich gerade dabei bin, einen ausgeklügelten Plan zu entwickeln, mit dessen Hilfe ich einen schweren körperlichen Schaden durch Verwendung von Augen-Make-up-Entferner nachweisen könnte, klingt das Rauschen der Dusche abrupt ab. Hastig packe ich meine Habseligkeiten zusammen und schlüpfe in meine schwarzen Stiefeletten, die ich am Vorabend in der Hitze des Gefechts unachtsam im Vorzimmer abgestellt habe. Während ich nach meiner Lederjacke greife, öffnet Föhnfrisur-Hubert wie eine Horrorgestalt in einem Splatterfilm die Tür zum Badezimmer und lehnt sich dann splitterfasernackt an den Türrahmen, um seine Augenbrauen ein weiteres Mal bedeutungsschwanger nach oben zu ziehen.

»Kann ich dich nicht doch noch zu einem kleinen Blowjob unter der Dusche überreden?«

Stumm starre ich Hubert an, so als könne der Stillstand irgendetwas an seiner Aussage ändern, doch der schlechte Witz des Universums will schlichtweg nicht verpuffen.

»Ähhhh … ich … ähhhh … ich darf die Mama nicht versetzen.«, erkläre ich stotternd.

Hubert wirkt eindeutig enttäuscht und wackelt dann ein weiteres Mal mit den Hüften, sodass sein Gemächt an ihm wogt wie eine ziemlich schlaffe Liane.

»Sicher!? Sieh ihn dir doch an.«

Nein, ich will ihn nicht ansehen! Oh mein Gott! Ich glaube, ich bekomme keine Luft mehr!

»Du, ich … ich … ich muss jetzt los.«, erkläre ich Hubert und ziehe mir meine Jacke über. »Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.«

Nein, diesen Mann werde ich nie wiedersehen! Niiiiieeee wieder!!!

Kapitel 2

Mit klopfendem Herzen bezahle ich die horrende Taxirechnung, verabschiede mich dann eilig von dem Fahrer und stürze auf die kleine Dorfkirche zu, um vor dem schweren Tor abrupt stehenzubleiben.

Okay, Gabriella. Du schaffst das! Atme einmal tief durch und dann trete deinen Walk of Shame in Würde an.

Ich schlucke einmal ordentlich und öffne dann mit zittrigen Händen das Kirchentor. Der Geruch von Moder dringt mir in die Nase, als ich einen Fuß in das Innere der heiligen Hallen setze, sodass ich mein Geruchsorgan mit der Hand abschirme.

What the Fuck? Was ist denn das? Auf meinem rechten Handrücken prangt noch immer der deutlich sichtbare Stempel des Clubs, in dem ich gestern Abend mit meinen Freundinnen war. So eine Scheiße! Wie sieht denn das aus?

Hastig spucke ich mir in die linke Handfläche, um die Rückstände des schwarzen Stempels mit meinem Speichel zu entfernen, bleibe jedoch erfolglos. Kacke! Und als ich den Kopf hebe, um mich in dem Gotteshaus nach meiner Mama umzusehen, bemerke ich, dass ich von der gefühlten gesamten Kirchengemeinde inklusive des mittlerweile schweigenden Pfarrers angestarrt werde, als wäre ich Maria Magdalena höchstpersönlich.

Gut, angesichts der letzten Nacht ist die Möglichkeit, eine Reinkarnation von Jesus’ mutmaßlicher Geliebter zu sein, gar nicht so unwahrscheinlich. Andererseits kann ich mir trotz der perfekten Föhnwelle meines nächtlichen Liebhabers nur schwerlich vorstellen, dass Hubert der wiedergeborene Messias ist. Ich meine, zum einen hätte sich mein Date eine Menge Geld erspart, wenn er das Trinkwasser des Clubs in Wein verwandelt hätte und zum anderen glaube ich nicht, dass unser Messias dazu neigte, die Frauen in Jerusalem mit dem Anblick seines Gemächts zu belästigen. Also gut, Hubert ist nicht Jesus.

»Yeahhh!«, rufe ich geistesabwesend in die Stille der Kirche hinein, woraufhin ein empörtes Raunen durch die Reihen der Gläubigen strömt.

Mit glühend heißem Gesicht starre ich auf meine zerrissene gemusterte Strumpfhose, die mich aussehen lässt, wie die Hure Babylons und kämpfe mich beschämt am Mittelgang vorwärts. Dabei hebe ich immer wieder verstohlen den Kopf, um nach meiner Mutter Ausschau zu halten, während der Pfarrer am Altar irgendetwas über die Hölle und die Bestrafung der menschlichen Sünder predigt. Höchstwahrscheinlich war ich ihm soeben eine wertvolle Inspirationsquelle.

Ich recke den Hals über die Köpfe der mittlerweile wieder konzentriert auf die Predigt gerichteten Kirchengemeinde hinweg und … Ah … da ist meine Mama ja und wie immer lauscht sie den Worten des Pfarrers mit andächtigem Dauerlächeln.

So unauffällig wie möglich zwänge ich mich an den Knien der Gläubigen in der Bankreihe meiner ehemals Erziehungsberechtigten vorbei, entschuldige mich dabei immer wieder flüsternd und nehme dann neben dem Muttertier Platz.

»Hallo!«, raune ich ihr zu, woraufhin sie mir mit auf die Lippen gelegtem Zeigefinger bedeutet, dass ich still sein soll und dann rasch wieder den Kopf abwendet, um dem Gottesdienst zu folgen.

Wunderbar. Am liebsten würde sie wohl behaupten, ich sei adoptiert worden. Hmmm … wer weiß, womöglich sind mein Zwillingsbruder und ich ja die Kinder eines kolumbianischen Drogendealers und wurden deshalb ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Das würde erklären, warum Patrick und ich die Einzigen in der Familie sind, die so etwas wie ein Coolness-Gen besitzen.

»Es hätt mi a wirklich g‘wundert, wenn du amoi pünktlich g’wesen wärst.«, wendet sich das Motheranimal im Flüsterton an mich.

»Tut mir leid, Mama. Ich hab heut so ungefähr den beschissensten Morgen in diesem beschissenen Jahr gehabt.«

»Geh Gabi, muasst du immer so schimpfen? Wånn des da Herrgott hört.«

»Ja, ja. Dann komm ich bestimmt in die Hölle.«

Aber ich könnte es schlimmer treffen, als im Orkus Party zu machen. Ich meine, die Unterwelt ist mit Sicherheit eine Disco, in der DJ Lucifer höchstpersönlich auflegt und sich die unangepassten Ketzer mit Bechern voller Alkohol auf der Tanzfläche räkeln. Im Himmel ist es indessen mit hoher Wahrscheinlichkeit furchtbar langweilig, weil die Heiligen nichts anderes zu tun haben, als gemeinsam mit geschlechtsneutralen Engeln begleitet von Harfenmusik bei Tee und Gebäck über das gute Wetter zu sprechen. Bei diesen Aussichten bin ich lieber eine Sünderin.

Trotz aller Bemühungen, es dem Rest der Kirchengemeinde nachzutun und dem Pfarrer andächtig zu lauschen, gelingt es mir nicht, so etwas wie Interesse an dieser klerikalen Veranstaltung aufzubringen. Deshalb rutsche ich unruhig auf der eisigen Sitzgelegenheit hin und her.

Manno. Mein Hintern schmerzt und meine Augenlider werden immer schwerer. Wieso bloß tue ich mir das an? Ich meine, wenn die Kirche wenigstens ein architektonisches Meisterwerk der Renaissance wäre, müsste ich mich jetzt nicht innerlich auf eine Stunde Langeweile vorbereiten und könnte mir stattdessen eine wilde Romanze über eine verheiratete Fürstentochter ausmalen, die sich an einem verregneten Tag mit dem mittellosen Pfarrer – der der heimliche Sohn des Fürsten mit der Magd und damit der Halbbruder der Hauptprotagonistin ist – am Altar paart.

Memo an mich: Unbedingt einen Artikel über Liebe in der Renaissance schreiben. Da waren Männer noch echte Männer und Dramen noch echte Dramen.

»Vater unser, der du bist im Himmel. Geheiligt werde dein Name …«, singen die Gottesdienstler, wobei die Geschlechtsgenossin hinter mir in diesem Leben mit Sicherheit keine steile Karriere mehr in The Voice of Germany hinlegen wird. Offen bleibt die Frage, ob die steigende Frequenz ihres Organs zum baldigen Bersten der Kirchenfenster führt. Das hätte zumindest den Vorteil eines möglichen Temperaturanstiegs in diesem geistlichen Kühlhaus.

Also gut. Ich muss auf jeden Fall konstruktiv bleiben, um diesen Gottesdienst zu überstehen. Vielleicht wird die Kälte erträglicher, wenn ich mich auf meine Hände setze. Ich werfe einen verstohlenen Blick auf meine Mama und als ich sicher bin, dass sie mich nicht registriert, schiebe ich meine Hände unter meinen Po. Jep, das ist wesentlich besser.

Um Konzentration bemüht, lausche ich dem Ende des populärsten Bibelsongs aller Zeiten und frage mich dabei, warum das Gebet Vater unser heißt!? Schließlich lässt sich doch nicht zur Gänze ausschließen, dass Gott ein männlich-weibliches-inter-transsexuelles Queerwesen ist. Zumindest hoffe ich das, denn die Vorstellung, dass ich als pubertierendes Teenie-Mädchen während der Erkundung des eigenen Körpers von einem alten Sack im Himmel, der angeblich alles sieht, beobachtet wurde, ist zutiefst verstörend. Würg … Kein Wunder, dass ich eine derartig ramponierte Libido habe. Ich meine, muss sich denn Gott nicht an eine Datenschutzgrundverordnung halten!?

Möglichst unauffällig ziehe ich meine taub gewordenen Hände unter meinem Hinterteil hervor und schüttle sie einmal kräftig. Dummerweise erwische ich dabei meine Mama.

»Aua … Såg Gabi, wås måchst du då?«

»Tut mir leid.«, entgegne ich, während der Pfarrer eine weitere klerikale Hymne anstimmt.

Manno, ist das öde. Kein Wunder, dass die christliche Glaubensgemeinschaft immer so steif und angespannt wirkt. Ich meine, wer hat bitteschön den Marketingplan der Kirche entworfen? Es kann doch keiner ernsthaft davon ausgehen, dass dieses Gesuddere auch nur irgendeinen Gott auf dieser Welt anlockt.

Ein plötzliches Vibrieren meines Smartphones lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken.

Nein, Gabi, du siehst nicht nach, wer dir geschrieben hat. Weißt du nicht mehr, du wolltest doch Interesse an diesem ganzen sakralen Zirkus vortäuschen. Aber es ist so schwierig!!!!

Ich werfe einen verstohlenen Blick auf mein Motheranimal. Okay, die Luft ist rein. Sie ist beschäftigt.

Vorsichtig öffne ich den Reißverschluss meiner Handtasche und greife nach meinem Handy, um die erhaltenen WhatsApp-Mitteilungen anzuklicken.

Hubert: Hiiiiii

Hubert: Dankeeeeee

Er steht offensichtlich auf die Mehrfachnennung von Buchstaben. Aber immerhin bedankt er sich. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht überlege ich mir meinen Vorsatz mit dem »nie wieder sehen« noch einmal. Schließlich hat doch jeder Mensch eine zweite Chance verdient, oder etwa nicht!?

Ich drehe meinen Kopf nochmal zur Seite, um mich zu vergewissern, dass ich nicht ins Visier meiner Mama geraten bin, aber die hängt nach wie vor gebannt an den Lippen des Pfarrers. Deshalb tippe ich hastig eine Nachricht ab.

Ich: Wofür denn das »Danke«?

Hubert: Nacht

Hubert: Hast du noch hubsche Fotos fur mich

Mein nächtlicher Liebhaber kennt also auch keine Satzzeichen und Umlaute.

Hubert: Ich trink grad Champagner zum Fruhstuck

Hubert: Hatte Lust

Ehe ich antworte, warte ich einen Augenblick ab, um mich zu vergewissern, dass keine weitere wertvolle Auskunft über die alternative Realität meines One-Nights-Stands eintrifft ... Nope. Sein geistiger Erguss hat einen natürlichen Tod erlitten.

Ich: Schön, ich würd auch gern einen Champagner trinken. Dann wäre der Gottesdienst sicher leichter zu ertragen … Munch Emoji und Tröpfchen Emoji.

Hubert: He he

Hubert: Wieso

Hubert: Frag mich was geiles

Hubert: Bin grad voll horny

Hubert: Und frreu mich dich wiederzusehen

Hubert: Habe mich gerade geil befriedigt.

Ahhhhhh … ich will diese Bilder nicht in meinem Kopf haben. Würg, Kotz, Speib.

Hubert: Magst was sehen

Unwillkürlich taucht das Bild der schlaffen Liane wieder in meinem Kopf auf.

Ich: Nein, ich glaube eher nicht. Ich bin ein großes Mädchen und weiß, wie das aussieht.

Hubert: Okay

Hubert: Gefällt es dir?

Ich habe keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, was er damit meint, denn eine Sekunde später erscheint ein Foto von seinem steifen Penis auf meinem Bildschirm, sodass ich erschrocken zusammenzucke. Und als wäre das nicht genug der Peinlichkeit, dreht sich in genau diesem Augenblick das Motheranimal zu mir hinüber und schnappt einmal heftig nach Luft, als sie das Foto auf meinem Handy entdeckt.

So eine Scheiße!!! Ich will im Erdboden versinken!!!

Kapitel 3

Das ist echt wieder typisch du.«, stellt mein Zwillingsbruder mit einem breiten Grinsen im Gesicht fest und macht einen großen Schluck von seinem vollen Bierkrug, während wir gemeinsam mit unserer kleinen Schwester und ihrem Freund im Esszimmer meiner Eltern auf das Mittagessen warten.

»Schön, dass dich das so amüsiert, König Hipsterbart. Du warst ja nicht derjenige, der neben dem Muttertier ein Dickpic bekommen hat.«, lege ich mit neu erworbenem Kampfgeist dar, was nach dem gemeinsamen Rückweg an ein Wunder grenzt. Meine Mama hat den Vorfall mit dem Foto nämlich den gesamten Spaziergang über totgeschwiegen, und mich stattdessen permanent auf die schicken Vorgärten der peripheren Bevölkerung im Speckgürtel Wiens aufmerksam gemacht.

»Also ich hätte dem Typen allein zu Provokationszwecken ein Foto von meiner Blüte der Lust geschickt.«, wirft meine kleine Schwester Nicole mit überzeugter Stimme ein und streichelt mir dann zum Trost über die Schulter, ehe sie ihre Idee erläutert: »Dann hätte er wenigstens mal gespürt, wie sich das anfühlt und es sich beim nächsten Mal womöglich anders überlegt. So ein Schwein.«

Nachdem Patrick seinen Labrador-Mischling unter dem Esstisch mit einem Stück Brot gefüttert hat, wendet er sich lachend unserem idealistischen Küken zu: »Als würde das viel bringen.«

»Wieso sollte das nichts bringen?«, fragt Nicky und zuckt dabei hilflos mit den schmalen Schultern.

»Geh Mausmädi, du bist aber schon noch ein bissi naiv, oder!? Ich mein, wenn du sowas bei einem Kerl machst, dann freut der sich wahrscheinlich noch drüber und schickt dir ein Emoji mit Herzchenaugen zurück.«, mischt sich Alexander, der Lebensabschnittspartner meiner Schwester, ein und beendet damit die Einspeisung seiner täglichen Kalorienzufuhr in den internen Speicher seines Smartphones.

Nicole kneift ihre braunen Rehaugen herausfordernd zusammen: »Aha!? Und woher willst du das bitte wissen? Hast du denn so viel Erfahrung mit Dickpics, oder was!?«

»Überhaupt nicht, Mausmädi.«, antwortet ihr Alexander gelassen. »Aber ich bin ein Mann und ich weiß nunmal wie wir ticken und glaub mir, für uns Männer ist es absolut nicht schlimm, ein Foto von einer Vulva zu bekommen. Uns macht das eher noch scharf, weißt.«

»Sowieso.«, stimmt ihm mein Bruder zu. »Aber du Gabi, wenn du noch jemanden zum Heiraten suchst, dann könntest du es mal mit dieser Taktik versuchen. Wäre durchaus denkbar, dass das zum Erfolg führt.«

»Ha ha ha ... du bist ja ein richtiger Komiker heute, Pat. Ich meine, als wäre es mein einziger und wahrer Traum, mit einem vollkommen gestörten Typen liiert zu sein. Wenn ich das wollen würde, dann würde ich als Therapeutin arbeiten und nicht als Journalistin.«

»Wieso ist der Mann eigentlich zwangsläufig gestört, nur weil er dir ein Dickpic geschickt hat? Vielleicht dachte er, du stehst darauf und wollte dich ein wenig anheizen.«

»Wieso verdammt nochmal, verteidigst du diesen Föhnwellen-Hubert? Sollte es dir nicht ein Anliegen sein, deine geliebte Zwillingsschwester zu beschützen und sie nicht an Typen mit gestörter Libido auszuliefern!?«

»Find ich eigentlich auch, Pat. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, einer vollkommen fremden Frau unaufgefordert ein Foto von seinem Babymacher zukommen zu lassen. In manchen Ländern ist sowas strafbar.«, unterstützt mich meine Schwester.

Okay, es könnte sein, dass ich in meiner Geschichte das ein oder andere unbedeutende Detail ausgelassen habe. Zum Beispiel jenes, dass ich bei Föhnwellen-Prince-Charming übernachtet habe. Aber das tut doch überhaupt nichts zur Sache.

Mein Bruder prustet lauthals los und sorgt dafür, dass sein Hund erschrocken zusammenzuckt: »Na ja ... aber ganz ehrlich. So wie unsere liebe Schwester angezogen ist, darf sie sich echt nicht wundern, wenn sie an so primitive Primaten gerät.«

»Das ist wieder mal so typisch Mann. Sofort wird alles umgedreht und der Frau die Schuld an euren inakzeptablen Verhaltensweisen zugeschoben.«, kontert Nicky leidenschaftlich und tippt dabei zur Unterstreichung ihrer Aussage mit ihren rot lackierten Fingernägeln auf den mit Plastik überzogenen Mahagoni-Tisch meiner Eltern. »Ich meine, nicht nur, dass sich die Gabi sexuell belästigen lassen musste, ist es jetzt auch noch sie, die sich für das üble Verhalten dieses Widerlings rechtfertigen muss.« Sie schüttelt ihren Kopf und ihre blonden Stirnfransen fallen ihr dabei leicht in die Augen, sodass sie sie mit ihren rot bemalten Lippen wegpustet. »Echt, Patrick!«

Nein, Ella, du sagst jetzt lieber nichts. Lass sie in dem Glauben, dass du keinerlei sexuellen Kontakt zu Föhnwellen-Hubert hattest. Das spielt absolut keine Rolle in dieser Debatte.

»Ja, aber Mausmädi, ganz ehrlich: Unsere Kleidung wird eben heutzutage auch als Ausdruck der Persönlichkeit verstanden und das, was deine Schwester zum Ausdruck bringt, na ja ... was soll ich dazu noch sagen ... es wirkt halt so, als würde sie auf Sex stehen. Auf richtig dreckigen, schmutzigen Sex.«, erläutert Alexander seine Meinung, woraufhin ich in die Hände klatsche: »Bravo, Alex. Du hast soeben die gesamte akademische Welt mit deiner Erkenntnis verändert. Bist du stolz auf deine persönlichen Forschungsergebnisse?«

Der Lebensabschnittspartner meiner Schwester verdreht die Augen: »Ach was ... jetzt tu nicht so, Gabi. Du bist doch eine intelligente Frau und weißt genau, wovon ich rede.«

»Also Bärlibär, ich finde, die Gabi schaut ganz normal aus.«

Mein Bruder grinst: »Sag Nicky, wann warst du denn das letzte Mal beim Augenarzt? Könnte an der Zeit sein, wieder mal eine Kontrolle durchführen zu lassen.«

Unsanft boxe ich Patrick mit dem Ellenbogen in die Rippen: »Manchmal kannst du so ein Orsch sein.«

»Gut so, Gabi. Lass es raus!«, ermutigt mich meine Schwester mit einfühlsamem Blick und streicht mir dabei ein weiteres Mal liebevoll über die Schulter, sodass ich mich allmählich wie das Haustier meines Bruders fühle. »Ich finde das, was dir passiert ist, wirklich schlimm und du hast mein volles Mitgefühl. Soetwas darf man einfach nicht mehr bagatellisieren. Ich meine, das ist sexuelle Belästigung und ihr führt euch auf, als hätte der Typ nur einen Kleinjungenstreich gespielt.«

Genau, auch wenn ich mit dem Kerl geschlafen habe, schließt das nicht aus, dass mich seine Penisbilder verstören. Ich meine, schließlich war es in der Nacht dunkel.

Patrick verschränkt seine muskulösen Arme vor der Brust und seine grünen Augen glänzen vor Schalk.

»Ach komm schon, Nicky. Du bist echt die krasseste Spaßbremse, die mir je untergekommen ist. Ich meine, was ist denn an einem Dickpic so schlimm!? Ihr wisst doch beide, wie das Teil aussieht. Also wo liegt da euer Problem?«

»Tja ... soetwas muss man sich von Männern ständig anhören. Ihr lauft ja auch nicht auf der Straße herum und zieht euch plötzlich die Hosen herunter, nur weil das eh schon jeder gesehen hat. Also wie kommt ihr dann auf die Idee, dass wir ein Bild von eurem besten Teil so interessant finden könnten!?«

»Siehst du, Nicky, du bist das beste Beispiel dafür, dass ihr Frauen noch immer unter einem Penisneid leidet.«

»Wie kommst du auf die absurde Idee, wir wären es euch neidig, dass ihr eure Eingeweide nach außen tragt?«, hake ich bei meinem Zwillingsbruder nach, der daraufhin mit seinen Schultern zuckt.

»Spielt ja auch keine Rolle, warum manche auf Dickpics so überreagieren wie ihr. Aber ich versichere euch, dass es genug Frauen gibt, bei denen das gut ankommt.«, kontert Patrick und erwirbt damit die volle Aufmerksamkeit von Nicoles Lebensabschnittspartner.

»Was!? Na ... Geh schleich di.«

»Bärlibär, wie redest du!?«

»Na ja ... ich mein ... ähhhh ...«, stottert Alex um den heißen Brei herum.

»Und du sag jetzt nicht, dass du das schon mal gemacht hast.«, wendet sich Nicole unserem Bruder zu.

»Ja, hab ich. Na und!?«

»Wähhh ... Patrick, ich bin echt enttäuscht von dir.«

»Ernsthaft!? Ich meine, du kennst mich noch aus dem Mutterleib.«, hält König Hipsterbart fest, während ihn Alex fasziniert anstarrt.

»Aber wie hast du die Tussis dann auch noch rumgekriegt, Oida?«, fragt er meinen Bruder schließlich.

»Bärlibär! Kannst du statt Tussis nicht einfach Frauen sagen? Ich meine, das ist die total entwertende Sprache.«

Genervt und möglichst unauffällig verdreht Alexander die Augen.

»Na ja ... es gibt eben gar nicht so wenig Frauen, die auf sowas stehen.«, antwortet Patrick indessen.

Meine Schwester verzieht das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen: »Was für ein Blödsinn. Wahrscheinlich suchst du dir nur irgendwelche jungen Mädels mit Vaterkomplex aus, die kein Selbstwertgefühl haben und glauben, sie müssen sich das gefallen lassen, um einen Mann abzubekommen. Das ist selbst für dich ein Tiefpunkt, Patrick.«

»Was für ein Schwachsinn. Diese Frauen haben wahrscheinlich mehr Selbstbewusstsein als du, weil sie sich vor dem Anblick eines Dödels nicht fürchten. Und das wiederum ist mit ein Grund, warum ich mir nie so eine Emanze wie dich aufreißen würde.«

»Das glaub ich dir eh gern.«, erwidert Nicole. »Eine Frau, die auch nur halbwegs bei geistiger Gesundheit ist, würd sich soetwas auch niemals gefallen lassen.«

»Ja klar, weil du die einzige und wahre Frau auf diesem Planeten bist, die das Frausein verstanden hat. Es darf keine andere geben, neben dir.«

»Okay, also wenn wir noch lange über König Hipsterbarts Sexualleben reden, dann laufe ich Gefahr, die kommenden Nächte schwitzend in meinem Bett aufzuwachen, weil mich Albträume geplagt haben oder aber der Gedanke setzt sich in meinem Kopf so fest, dass ich einem Hirntumor erliege.«, erkläre ich trocken.

»Und ich dachte immer, du seiest ein großes Mädchen und kannst mit solchen Dingen beziehungsweise Dödeln ...« Patrick unterbricht sich, um lautstark über seinen geschmacklosen Witz zu lachen. »... bestens umgehen.«

»Boahhh ... Pat, du bist so ein Sexist, wirklich. Ich schäme mich dafür, dich meinen Bruder zu nennen.«, stellt Nicole genervt fest.

»Geh Mausmädi, jetzt sei doch nicht so gemein zu deinem Bruder. Es ist doch vollkommen in Ordnung, wenn die Frauen das okay finden.«

»Ja, aber die Frauen finden das nur okay, weil sie glauben, es okay finden zu müssen.«, erwidert Nicky im Brustton der Überzeugung. »Oder hättest du mir etwa auch gern ein Bild von deinem Lustspeer geschickt!? Ich meine, ist dir eigentlich klar, dass das Versenden solcher Dickpics ein Versuch des Mannes ist, die Frau zu dominieren!?«

»Na ja ... also eigentlich will ich niemanden damit beherrschen.«, erläutert Patrick, woraufhin ich laut auflache.

»Gut, das kann man sich bei dir auch nur schwerlich vorstellen. Ich meine, du kannst ja nicht einmal deinen Hund ordnungsgemäß erziehen.«

»Ha ha ha ... sehr komisch, Gabi, wirklich. Der Buddy ist eben ein sehr sensibles Tier und den darf man nicht so behandeln, wie die anderen Hunde am Abrichteplatz.« Er beugt sich unter den Tisch und kurz darauf taucht der dunkle, hechelnde Kopf seines Haustieres auf. »Gell, Buddy, du bist ein ganz lieber und brauchst keine strenge Erziehung.«

Empört stemmt Nicky eine Hand in die Hüfte: »Aber wir Frauen schon, oder was!?«

Patrick grinst: »Bei dir ist sowieso jede Erziehung vergebene Mühe. Ein Maulkorb könnte vielleicht noch helfen.«

Meine kleine Schwester kneift die Augen zusammen: »Für dich sind Frauen wirklich nur Objekte, mit denen man Spaß haben kann.«

»Ja eh. Aber was soll daran so falsch sein, wenn das beide Seiten so sehen? Ich meine für die Frauen bin ich doch auch nur ein Objekt zum Spaß haben.«

Ich lache: »Das denkst du, aber es lässt sich nicht zur Gänze ausschließen, dass die meisten von deinen Mädels einfach nur zu arm sind, um sich einen Vibrator leisten zu können.«

Mein Bruder kommt nicht mehr dazu, zu antworten, da ihm meine Schwester ins Wort fällt: »Der Theorie kann ich etwas abgewinnen. Davon abgesehen, wünscht du dir nicht auch mal eine Frau und Kinder?«

Patrick tippt sich an die Stirn: »Schau ich irgendwie gestört aus, oder was!? Nie und nimmer. Die Monogamie ist doch nur eine Erfindung der konservativen Gesellschaft, um den Menschen unter dem Deckmantel der Liebe in ein Korsett zu zwingen. Dabei ist das vollkommen unnatürlich.«

»Meine Rede.«, stimmt ihm Alex zu, wobei ihm erst zwei Sekunden später bewusstwird, was er soeben von sich gegeben hat, weil ihm seine Freundin unterm Tisch einen Tritt auf das Schienbein verpasst.

»Das ist aber schön, dass du mir das jetzt erst mitteilst.«

»Aber so hab ich das ja gar nicht gemeint, Mausmädi.«

»Achso!? Wie hast du es denn dann gemeint?«, hakt Nicky nach.

»Na ja ... ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass es für die menschliche Natur eben schwer ist, sich dauerhaft zu binden.«

»Was für ein Blödsinn. Früher waren die Menschen ja auch ein Leben lang verheiratet.«, erwidert meine kleine Schwester.

»Schon, aber früher sind die Menschen auch mit vierzig gestorben.«, kontere ich.

»Davon abgesehen, ist Monogamie sowieso nur eine Zwangsverpflichtung, die uns von Minderwertigkeitskomplexlern auferlegt wurde. Ich meine, genaugenommen hat doch kein Mensch das Recht, mich zur Treue zu nötigen. Das ist total übergriffig.«

»Jetzt wirds aber schon ein klein wenig absurd, Pat. Die Bedingungen für eine Beziehung werden ja nicht nur von einer Person festgelegt. Man muss sich eben ordnungsgemäß darüber austauschen, was man will und was man bereit ist, in Kauf zu nehmen.«, erläutert Nicole. »Eine Beziehung ist eben wie ein mündlich vereinbarter Vertrag zwischen zwei Klienten.«

»Das klingt wirklich total romantisch.«, wende ich ein.

»Na ja ... besser als man bekommt Dickpics von minderbemittelten Kerlen zugeschickt.«, entgegnet Nicky.

In diesem Augenblick schwingt die Westerntür, die in die Küche führt, auf und meine Mutter betritt mit einer dampfenden Suppenschüssel in den Händen und ihrem klassischen Dauergrinsen im Gesicht das Esszimmer: »Wås is denn des, a Dickpic?«

Die MS Niveau ist ein U-Boot! Schade, dass ich mich nicht in ihr befinde, denn dann könnte ich jetzt ganz leicht abtauchen.

»Na ja ... das ist ein Foto von einem ... ähhhh ...«

»Penis. Es ist ein Foto von einem Penis.«, vervollständigt mein Zwillingsbruder den Satz und verdreht danach genervt die Augen: »Manno, Nicky, du bist echt so ein Nerd.«

Während unser Motheranimal mit eingefrorenem Lächeln die Schüssel auf dem Tisch platziert, um sich danach die Hände an der geblümten Schürze abzuwischen, wendet sich meine Schwester mit vor Scham und Wut geröteten Backen an ihren kichernden Lebensabschnittspartner.

»Findest du etwa auch, dass ich ein Nerd bin!?«

Augenblicklich verstummt Alex: »Nein. Ich ... Mausmädi ...«

Abrupt schneidet sie ihm mit einer heftigen Geste das Wort ab: »Nein, sei still. Ich will gar nix mehr hören. Ab heute kannst du mit meiner Hand sprechen.«

»Geh, Nicky, du derfst ned immer so streng mit deinem Freund sein.«, versucht Muttern meine Schwester zu beschwichtigen und streicht ihr dabei über den blonden, kurz geschnittenen Haarschopf.

»Siehst du und genau deshalb ist es in der heutigen Zeit noch möglich, dass Frauen wie die Gabi belästigt werden. Weil wir die Männer immer in Schutz nehmen und untereinander absolut keine Loyalität kennen.«

»Können wir nicht endlich das Thema wechseln? Bitte.«, gebe ich gequält von mir.

»Schau, Nicky, man kånn hålt den Männern a ned ån ållem die Schuld geben, waßt.«

»Also findest du es okay, dass ein fremder Typ deiner Tochter ein Bild von seinem ... ähhh ... Liebesknochen geschickt hat.«

Meine Mutter zuckt mit den Schultern: »Na jå ... i bin zwår ned glücklich drüber, åber wenn’s deiner Schwester g’fållt, dånn miass ma des eben respektieren.«

»What the Fuck, Mama!? Was hältst du denn von mir?!«, kann ich nicht mehr an mich halten.

»Dei Språch, Gabi. I bitt di. Red ned immer so schirch. Ka Wunder, dass du no immer ned verheirat’ bist. I man, du muasst di schon a weng weiblicher verhålten, wonnst in dem Leben no an Månn wüllst, Kind.«

»So ein Blödsinn, Mama. Zum einen, ist eine Frau auch dann vollständig, wenn sie keinen Mann hat und zum anderen, dürfen Frauen genauso fluchen wie Männer. Was soll daran bitte unweiblich sein?«, verteidigt mich meine Schwester leidenschaftlich.

»Is scho guat. I såg eh scho nix mehr. Åber i fråg mi scho, warum du solche Halodris so ansprechend find'st, Gabi!? I man, glaubst du denn ernsthåft, dass du mit dem a Zukunft håst!?«

»Nein, wie kommst du denn auf die absurde Idee, Mama. Weder gefällt mir das, wenn ich solche Fotos bekomme, noch will ich eine ernsthafte Beziehung mit dem Typen.«

»Na jå ... åber wenn dir des ned g’fållt, wie kummt der Månn dånn dazua, dir so a Büld zu schicken?«

»Keine Ahnung. Am besten du fragst deinen Sohn.«, mischt sich meine kleine Schwester ein und verschränkt dabei süffisant grinsend ihre Arme vor der Brust.

»Wås soll des haßen?«, hakt meine Mutter nach und wendet sich dann dem männlichen Erben des Hauses zu. »Patrick!? Schickst du a solche Bülder ån junge Madln?« Sie schüttelt den Kopf. »Mah ... denkts es eigentlich a amål ån eichere Mutter. I hätt no so gern klane Enkerln. Nur wonn ihr ålle so weitermåchts, dånn wird des in dem Leben nix mehr.«

»Als wäre es das einzig Wahre, sich zu vermehren.«, wirft mein Bruder ein. »Ich mein, angesichts des Klimawandels grenzt es heutzutage sowieso an ein Verbrechen, wenn man Kinder in die Welt setzt, die den Planeten dann weiter verschmutzen können.«

»Eh, da ist es viel besser, wenn unsere Generation ungestört mit der Verschwendung von Ressourcen weitermachen kann. Weil das Problem natürlich die Kinder und nicht die Erwachsenen verursachen.«

»Weil du schon so viele Kinder in die Welt gesetzt hast, Gabi.«

»Was denn? Ich arbeite ja daran.«

»Jå, des merk i. I man, waßt, i wüll mi jå ned in dei Leben einmischen.«

Wunderbar. Immer wenn die Mama das sagt, tut sie genau das. Sie mischt sich in mein Leben ein.

»Åber, so wie du des angehst, wird des mit den Kindern nix mehr.«

»Was kann ich denn dafür, dass ich von einem Idioten an den nächsten gerate?«

»Na jå ... findst ned, dass das damit a bissl anfåch måchst!? Schließlich suachst du dir jå die Männer a mit aus.«

Wieder einmal verzieht Nicole das Gesicht: »Siehst du und schon wieder schiebst du der Frau alles zu. Du gehst gar nicht davon aus, dass die meisten Männer womöglich wirklich Vollkoffer sind. Männer müssen ja zwangsläufig besser sein als Frauen.«

»Åber geh, Nicky, du und deine Frauenrechte. I man jå nur, dass ma ned immer die ånderen verantwortlich måchen kånn. Wann ma immer wieder Männer måg, di si ned so verhålten, wia ma si des wünscht, dånn muass es hålt a ån der eigenen Wåhl liegen.«

»Ja, vielleicht hast du ja Recht ...«, gebe ich nur äußerst unwillig zu. »... und wenn ich gewusst hätte, wie der Typ drauf ist, dann wär ich sicher nicht mit ihm nach Hause gefahren.«

Fuuuuuuuck!!! Jetzt ist es draußen! Wieso kann ich nicht meinen Mund halten?

»Erwischt!«, gibt mein Bruder freudestrahlend von sich. »Als würd mich das jetzt großartig überraschen. Und, Nicky, findest du jetzt noch immer, dass Gabi ein unschuldiges Opfer von sexueller Belästigung ist?«

Peinlich berührtes Schweigen von Seiten meiner Schwester. Hauptsache sie hat vorhin über die mangelnde Loyalität zwischen Frauen schwadroniert. Heuchlerin!!!

»Du Gabi, vielleicht warats guat, wånn du ned immer glei mit de Männer nach Haus fåhrst. Waßt, ma derf si ned anfåch so verschenken, Kind. Dei Papa ...«

Ahhhhhh ... ich will soetwas nicht hören. La La La La La La La La ...

»... håt sehr lång auf mi wårten miass’n, nachdem ma uns am Feierwehrfestl kenneng’lernt håben. Und des håt si a wirklich g’lohnt. I man, die Grete wår då jå ned so gscheit und håt si sofort an dahergelaufenen Trottel hingeben und wås håts davon?!«

Erwartungsvoll sehen wir alle meine Mutter an.

»Na sie håt ihren Sohn allanich großziehen können, weil der guate Mann a Staubwolken wår, nachdem a bekummen håt, wås a wollt.«

»Schön und gut, Mama, aber glaubst du nicht, dass sich der Papa auch in dich verliebt hätte, wenn ihr sofort miteinander geschlafen hättet!?«

Entschieden schüttelt das Motheranimal den Kopf: »Na, wo denkst du hin. Dei Papa hätt sie bestimmt ned für mi interessiert, wonn i mi sofort verschenkt hätt.«