Wo gehts hier bitte zum Karmahöchstgericht - Sabrina Hafenscher - E-Book

Wo gehts hier bitte zum Karmahöchstgericht E-Book

Sabrina Hafenscher

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Beschreibung

Emilias Selbstwertgefühl ist nach der Trennung vom Vater ihres Sohnes im Keller. Da hilft es auch wenig, dass ihre vierfach geschiedene Hippie-Mutter zu Silvester mit ihrem spießigen Scheidungsanwalt im Schlepptau auftaucht, um ihn mit der widerspenstigen Tochter zu verkuppeln. Nach einer turbulenten Silvesternacht zwischen Feuerwerk, Bleigießen und "Edmund-Sackbauer", erfährt Emilia, dass sie ihre beste Freundin auf einer Reise nach Venedig begleiten soll. Jetzt muss nur noch Mias furchteinflößende Chefin von einem Urlaubstag überzeugt werden. Kein leichtes Unterfangen für die notorische Zuspätkommerin. Und als wäre das nicht genügend seelischer Stress, sitzt dann auch noch der verhasste Scheidungsanwalt im selben Reisebus ...

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Buch

Emilias Selbstwertgefühl ist nach der Trennung vom Vater ihres Sohnes im Keller. Da hilft es auch wenig, dass ihre vierfach geschiedene Hippie-Mutter zu Silvester mit ihrem spießigen Scheidungsanwalt im Schlepptau auftaucht, um ihn mit der widerspenstigen Tochter zu verkuppeln.

Nach einer turbulenten Silvesternacht zwischen Feuerwerk, Bleigießen und "Edmund-Sackbauer" sowie einem Mission-Impossible-Neujahrsmittagessen mit der satanischen Oma, erfährt Emilia, dass sie ihre beste Freundin auf einer Reise nach Venedig begleiten soll.

Jetzt muss nur noch Mias furchteinflößende Chefin von einem Urlaubstag überzeugt werden. Kein leichtes Unterfangen für die notorische Zuspätkommerin. Und als wäre das nicht genügend seelischer Stress, sitzt dann auch noch der verhasste Scheidungsanwalt im selben Reisebus …

Autorin

Sabrina Hafenscher wurde am 15. Juni 1985 geboren und ist damit ein waschechter, schizophren veranlagter Zwilling. Nachdem es dem klassischen Wiener Grantler noch nicht gelungen ist, sie aus der Hauptstadt zu vertreiben, lebt sie derzeit in einem Reihenhaus in Wien.

Wenn sie gerade nicht wie aus dem Nichts zu tanzen und zu singen beginnt, dann nutzt sie die Zeit, um Feldforschung für ihre Romane zu betreiben und zu schreiben.

Sabrina Hafenscher

Wo geht’s hier bitte zum Karmahöchstgericht?

Roman

© 2020 Sabrina Hafenscher

Website: www.sabrinahafenscher.com

2. Auflage 2023

Vorgängerausgabe 2020 erschienen unter dem Titel „Erwachsensein ist ein Arschloch“

Verlagslabel: Unicornis

ISBN Softcover: 978-3-384-01121-3

ISBN E-Book: 978-3-384-01122-0

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Die Meinungen und Einstellungen der Protagonisten müssen nicht mit jenen der Autorin identisch sein.

Für meinen Sohn Nicolas, der mich in all meinen Stimmungslagen tapfer erträgt.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Danksagung

Mehr Lesestoff

Wo gehts hier bitte zum Karmahöchstgericht

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1

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Wo gehts hier bitte zum Karmahöchstgericht

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Kapitel 1

Okay, keine Panik. Tief ein- und ausatmen. Eins, zwei. Eins, zwei.

Es klappt nicht. Hiiiiiilfe!!!!

Aber wie soll man sich beruhigen, wenn man Anfang dreißig ist und bisher noch nichts Großartiges geleistet oder erlebt hat? Ich meine ich habe keinem einzigen Robbenbaby das Leben gerettet, war nie im Regenwald oder Fallschirmspringen, habe keinen Meteoriten unter Einsatz meines Lebens daran gehindert, in unsere Atmosphäre einzudringen und das Allerschlimmste: Ich habe noch nicht einmal die bereits in meinen Teenie-Jahren vorbereitete Oscar-Rede gehalten. Gemäß dem ausgeklügelten Plan meines pummeligen Mini-Ich‘s hätte nämlich genau diese Rede dafür sorgen sollen, dass all jene Burschen, die mich in der Kinderdisco verschmäht haben, mit vor Kummer und Neid erblassten Gesichtern auf Knien winselnd um meine Vergebung bitten. Ja, das klingt vielleicht ein bisschen grausam, aber es ist mindestens genauso erbarmungslos, wenn man in freudiger Erwartung eines Liebesbriefes die Verehrer seiner Schulkolleginnen empfängt, nur um dann als Amor zwischen den beiden zu fungieren.

Mit der flachen Hand schlage ich mir auf den Kopf.

Damned!!!! Ich habe meine geplante Rache total vermasselt und lege sofort eine Beschwerde beim Karmahöchstgericht ein. Die paranormalen Geschöpfe des Himmels sollen sich gefälligst um mein Lebensglück bemühen. Schließlich bleiben mir maximal zwanzig gute Jahre, um all die Dinge nachzuholen, die ich aufgrund serieller Monogamie verpasst habe. Und ich kann doch nicht schon wieder alles auf das nächste Leben verschieben. Wer weiß, ob ich meine Lebensmaximalanzahl nicht bereits erreicht habe.

Nein, nicht weinen Emilia. Das hat keinen Sinn. Rotwein ist da die viel bessere Option. Auch wenn der Alkohol meinen Weg ins Grab wohl eher beschleunigen denn verlangsamen wird.

So ein Mist! Potenziert mit dem Stress, der dem abrupten Beziehungsende mit dem Vater meines achtjährigen Sohnes geschuldet ist, verkürzt sich meine Lebenszeit beim Alkoholkonsum wahrscheinlich nocheinmal um zehn Jahre. Das kann ich doch nicht verantworten. Denn wenn das so weitergeht, dann werde ich nicht einmal alt genug, um in den Genuss einer wohlverdienten Pension zu kommen.

Wie auf Befehl spüre ich meine Wangen feucht werden.

Ich hasse das. Wieso bin ausgerechnet ich von meinem Exfreund verlassen worden? Ja, schon klar. Antonio ist mir die meiste Zeit sowieso nur mehr auf die Nerven gegangen. Allerdings hat sich diese Tatsache noch nicht bis zu meinem gekränkten Ego durchgesprochen, für das es eben wohl eine Rolle spielt wer mit wem, wann, wo und wie Schluss gemacht hat. Hätte Gott den Menschen nicht einfach ohne Ego erschaffen können? Das würde meine Existenz auf diesem Erdball um ein Vielfaches vereinfachen und ich müsste nicht herumjammern, sondern könnte stattdessen mit vollem Elan an der Erfüllung meines Lebenstraums arbeiten.

Es ist also alles Gottes schuld, der es so ganz nebenbei auch noch verabsäumt hat, mir in einer bedeutungsschwangeren Eingebung zuzuflüstern, was denn nun eigentlich mein Lebenstraum ist. Bei den ganzen Möglichkeiten ist das ja gar nicht mehr so einfach herauszufinden und selbst wenn der unwahrscheinliche Fall einer endgültigen Entscheidung eintritt, so gehöre ich zu jener Sorte Mensch, die permanent die falsche Wahl trifft.

Meine verflossenen Liebhaber bilden hierfür das beste Beispiel. Andererseits, was kann ich dafür, dass Männer wie Klos sind!? Entweder besetzt oder beschissen. Man sollte diesen einfachen Spruch aus meiner Jugendzeit in Stein meißeln wie einst Gott die zehn Gebote. Dann würden wir Frauen uns nicht ständig irgendwelche Idioten aufreißen, die sich nach neun Jahren Beziehung ohne ein Wort der Erklärung verdünnisieren.

Okay, ich brauche dringend eine Ablenkung, weswegen ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Fernsehbildschirm zuwende.

Teleshopping:

»Heute habe ich etwas ganz Besonderes mitgebracht, Jeff.«

»Wirklich!? Was denn Susan?«

»Nun, siehst du diese Duschmatte hier?«

»Ja, Susan, das ist eine wirklich schöne Duschmatte.«

»Ja, Jeff. Das ist sie in der Tat, aber es ist auch eine ganz besondere Duschmatte, denn wenn sie nass wird, Jeff, dann verbreitet sie einen unglaublichen Wellnessduft im Badezimmer.«

Ob die beiden Vollzeit-Euphoriker Klopapier auf ähnlich begeisterte Weise verkaufen könnten?

»Jeff, sieh dir diese wunderschöne Klopapierrolle an. - Susan, die ist wirklich fantastisch. - Aber das Beste hast du noch gar nicht gesehen, Jeff. Auf der Rolle sind nämlich kleine rote Herzen abgebildet. Für die frisch verliebten Toilettenbenutzer, die jede Gelegenheit nutzen wollen, ihrem Schatz eine Liebesbotschaft zu schicken.«, verleihe ich meinen Gedanken in einer Imitation Ausdruck und kichere im Anschluss an meinen geistigen Erguss lauthals, was zugegeben etwas irre klingt.

Mein rotgetigerter Kater Donatello, der neben mir auf dem Rücken liegt, beäugt mich misstrauisch.

Wahrscheinlich freut er sich schon auf meine Zwangseinlieferung, um dann mit einer Miniaturgitarre auf dem zur Bühne umfunktionierten Couchtisch zu Rammsteins Feuerfrei einen Stage Dive in eine jubelnde, geifernde Katzengroupie-Menge zu wagen.

So als hätte er mich verstanden, gähnt mein Haustier effektheischend, rollt sich dann auf den Bauch, streckt sich einmal ordentlich und verlässt mit einem geschickten Sprung die sicheren Gefilde meiner Couch.

Grinsend nehme ich die Fernbedienung wieder zur Hand und schalte weiter, um bei irgendeinem gruseligen Thriller hängen zu bleiben, in dem soeben die nervenaufreibend atonale Musik das baldige Erscheinen eines Killers ankündigt und mich so heftig zusammenzucken lässt, dass ich beinahe das Glas auf dem Tisch umstoße.

Puhhh … nochmal Glück gehabt, was man von dem wild kreischenden Opfer allerdings nicht behaupten kann. Tja … man lässt eben keine fremden Personen in …

In diesem Augenblick ertönt ein Scheppern im dunklen Vorzimmer und ich zucke ein weiteres Mal zusammen.

Fuuuuuck! Was ist das? Ich habe Angst!!!!!! Bestimmt hat sich da draußen den ganzen Tag ein Killer hinter meinen Jacken und Mänteln versteckt, nur um mich in der Nacht mit einem Messer zu eliminieren.

»Hallo!?«, rufe ich vorsichtig Richtung Vorzimmer. »Bist du das Noah?«

Hey, Kinder können total unheimlich sein. Insbesondere mein Sohn, der zum Schlafwandeln neigt und bereits ein paar Mal unverhofft in meinem Schlafzimmer gestanden hat, um mich vor einem Drachen zu warnen.

Stille und dann plötzlich wieder dieses Scheppern.

So eine Scheiße. Bilde ich mir das nur ein oder hat sich da etwas bewegt!?

Mit klopfendem Herzen suche ich nach einem Gegenstand, mit dem ich mich zur Wehr setzen könnte, und stelle ernüchtert fest, dass die moderne Welt diesbezüglich nicht besonders pragmatisch ist. Ich meine, ich könnte dem mutmaßlichen Killer natürlich mein Handy an den Kopf knallen oder das Weinglas zerschlagen und mich mit einer Scherbe bewaffnen, aber das alles ersetzt einen Mann im Haushalt nicht.

Memo an mich: Dringend Anzeige aufgeben, in der steht: Suche attraktiven, fürsorglichen, zu Suizid neigenden Mann, der Leben für mich opfert, wenn unheimliche Schatten im Vorzimmer zu sehen sind.

Schon wieder das Scheppern.

Was ist das, verfluchte Scheiße?

Scheppern.

Super, sehr super. Das hat mir zum Abschluss dieses beschissenen Jahres echt noch gefehlt. Ein Einbrecher in meiner Wohnung. Wirklich klasse. ICH WILL NICHT STERBEN!!!!

Mit klopfendem Herzen erhebe ich mich von der Couch und bewege mich in Slow-Motion Richtung Vorzimmer. Ein weiteres Mal ertönt das Scheppern.

»Nein, bitte tu mir nichts. Ich bin doch noch so jung und habe noch mein ganzes Leben vor mir.«, kreische ich und schlage wie wild auf den Schatten vor mir ein.

Was? Wieso ist der so weich? Was zum Teufel?

Erleichtert atme ich auf, da sich der Schatten als meine Winterjacke entpuppt.

Manno, ist das peinlich. Ich bin so ein verdammtes Weichei, aber was hat dann bitte dieses Geräusch verursacht?

Oh mein Gott. Womöglich gibt es übernatürliche Wesen doch und die gesamte wissenschaftliche Welt weiß schon lange davon, will aber nicht, dass die Menschheit in Panik ausbricht, weswegen sie deren Existenz leugnet und Personen mit medialer Begabung als verrückt abstempelt. Ich habe es schon immer gewusst: Harry Potter ist in Wirklichkeit eine Doku.

Schon wieder das Scheppern und dann taucht unmittelbar vor mir Donatello aus der Dunkelheit auf.

»Scheiße, hast du mich erschreckt!«, stöhne ich und entwende meinem etwas beleibten Haustier das Playmobilteilchen meines Sohnes, das er gerade zweckentfremdet. Strafend sieht mich Donatello an, so als wolle er mir mit spanischem Akzent mitteilen: »Heute bist du noch einmal mit dem Leben davongekommen, aber beim nächsten Mal bekomme ich dich, elendes Weibsstück.«

»Tu es nicht, Donatello. Ich warne dich. Ich würde dich auch aus der Hölle noch heimsuchen.«, entgegne ich mit hoffentlich einschüchternder Stimme und kneife dabei die Augen zusammen, um meinem Stubentiger zu signalisieren, dass ich ihn beobachten werde. Dieser zieht jedoch semieingeschüchtert von dannen.

Okay, es wird Zeit, dass ich den Männern in meinem Haushalt Manieren beibringe … Und … Keine Ahnung. Kann ich das nicht auf morgen verschieben?

Kapitel 2

Und dann lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.«, beende ich die Geschichte von Dornröschen und muss mich in Zurückhaltung üben, um meinen achtjährigen Sohn nicht eines Besseren zu belehren.

Wer lebt schon glücklich bis ans Ende seiner Tage? Was für ein Schwachsinn. Es kann doch keiner ernsthaft davon ausgehen, dass eine Beziehung langfristig hält, in der eine schlafende Frau nach hunderten Jahren von einem wildfremden Mann wachgeküsst wird. Davon abgesehen wäre ein derartiges Vorgehen nach gegenwärtiger gesetzlicher Lage ein sexueller Übergriff und Dornröschen würde sich in der Hashtag-MeToo-Kampagne wiederfinden.

»Kannst du mir noch etwas vorlesen, Mama?«, fragt mich Noah mit diesem erwartungsvollen Rehblick, den er definitiv von seinem Vater hat.

Meine Augen gleiten auf den Staubsauger und ich antworte stöhnend: »Das geht leider nicht. Ich muss noch fertig aufräumen, damit es nicht wie in einem Saustall ausschaut, wenn die Lilly-Oma dann kommt. Aber du kannst ja schon selbst lesen.«

Mein Sohn verzieht das Gesicht und entgegnet: »Selbst lesen macht aber nicht so viel Spaß.«

»Das ist sehr lieb von dir, Noah. Aber du solltest trotzdem ein bisschen üben.«

Genau, sonst bekomme ich beim nächsten Elternabend wieder einen Anschiss von der Lehrerin.

Mein Sohn ignoriert meinen Einwand gekonnt und wechselt das Thema, sodass er mir schon vorkommt wie einer dieser klassischen Stammtischbesucher.

»Wann kommt denn die Oma endlich?«

Sehe ich aus, wie das Auge Saurons? Obwohl es eine verlockende Vorstellung wäre, meine Mutter mit diesem finsteren Mordorgemurmle auf dem Silvesterpfad heimzusuchen und zu erschrecken. Andererseits befürchte ich, dass ihr Schock eher gering ausfallen und sie Tolkiens dunklem Herrscher ihre Unterstützung in einem Asylverfahren anbieten würde.

»Mamaaaaaa … wann kommt denn jetzt die Oma?«, fragt mich Noah ein weiteres Mal und zupft dabei am Ärmel meiner schwarzen Weste.

Ich werfe einen Blick auf die Uhr und zucke mit den Schultern: »Ich weiß nicht. Eigentlich sollte sie schon da sein. Wahrscheinlich hat sie sich auf dem Silvesterpfad vertratscht.«

»Was ist ein Silvesterpfad, Mama?«

Wie erklärt man einem Kind, dass das eine gute Möglichkeit für Erwachsene ist, sich bereits am Nachmittag zu betrinken, um dann berauscht in die Silvesterpartynacht überzugehen?

»Das ist so ähnlich wie ein Christkindlmarkt. Da kann man sich was zu essen kaufen, Punsch trinken und sich mit Leuten treffen und unterhalten.«

Irgendwie klingt das ohne übermäßigem Alkoholkonsum ziemlich langweilig.

Noah nickt: »Und kann man da auch Spielzeug kaufen, wie auf dem Christkindlmarkt?«

»Ich habe nicht den blassesten Schimmer, aber man bekommt da auf jeden Fall eine Menge Glücksbringer und die sind zum Jahreswechsel besonders wichtig.«

»Warum?«

Verdammt. Warum stellen Kinder eigentlich dauernd Warum-Fragen?

»Na ja Schatz, weil man eben im neuen Jahr besonders viel Glück braucht und dafür sollen eben die Glücksbringer sorgen.«, erkläre ich hochwissenschaftlich und denke dann an den Wutanfall, den ich vor ungefähr einer Woche hatte, als ich festgestellt habe, dass eine dieser Schokolademünzen in meiner einzigen teuren Handtasche geschmolzen ist. Von Glück kann da keine Rede sein. Stellt sich nur die Frage, wem ich dieses beschissene Ding zu verdanken hatte. Bestimmt meinem Ex, der mich mit dem Geschenk in den Wahnsinn treiben wollte.

»Aber du hast mir doch letztes Jahr ein Schweinchen geschenkt. Wie soll denn ein Schweinchen Glück bringen?«, hakt Noah weiter nach.

»Na weißt du. Das Schwein war für manche Völker ein heiliges Tier. Die Germanen zum Beispiel haben so einen Gott gehabt, dessen Wagen von einem Eber, also einem männlichen Schwein, gezogen wurde. Deshalb ist das Schwein halt ein Zeichen für Wohlstand und Reichtum. Wenn ich dir also eine Schweinchenfigur zu Silvester schenke, dann ist das quasi nur symbolisch zu verstehen.«

Mein Sohn kratzt sich ratlos am Kopf: »Das versteh ich nicht. Was ist denn symbolisch?«

»Na schau. Ich schenk dir zu Silvester ja kein richtiges Schwein.«

»Aber warum nicht? Ich hätte gern ein richtiges Schweinchen. Die sind so niedlich.«, erklärt mir mein Sohn mit strahlenden Augen. »Bitte Mama, kann ich ein richtiges Schwein haben?«

»Nein, Noah. Wir können kein Schwein kaufen. Wo sollten wir es denn unterbringen und dann braucht das Schwein ja auch viel Auslauf und so.«, gebe ich meinem Sohn zu bedenken, der sich davon wenig berührt zeigt.

»Na ja. Es könnte ja im Badezimmer schlafen und wir gehen im Park damit spazieren und außerdem könntest du mich in der Früh auch auf dem Schweinchen in die Schule bringen.«

Ich kichere: »Ja klar und dabei lässt du dich dann mit Blütenblättern bewerfen und grüßt deine Untertanen als Erlöser.«

Seine Augen leuchten: »Jaaaaaaaaa!«

Böser Fehler. Kinder verstehen Sarkasmus nicht.

»Nein, Noah. Wir kaufen uns kein Schwein, auch wenn das total unkonventionell und cool wäre.«

»Okay.« Er macht eine kurze Pause, in der er offenkundig über etwas nachdenkt und setzt dann nach: »Mama, darf ich wenigstens fernschauen, bis die Lilly-Oma da ist?«

»Nein, Noah. Ich möcht nicht, dass du so viel fernschaust. Das weißt du doch.«

»Bitte Mama. Nur einen Film. Lego-Batman, der dauert eh nicht lang.«

»Noah, ich hab Nein gesagt und ich hab auch echt keine Lust auf Diskussionen.«

Schade, dass man mit Männern nicht ähnlich kommunizieren kann.

»Aber ich geb' dann auch wirklich eine Ruh und ich schau auch bei der Oma nix mehr.«

Oh mein Gott. Ich habe einen Anwalt für Kinderrechte zu Hause!!!!

»Mama, bitte!«

»Noah, Fernschauen macht nur dumm im Kopf.«

Eigentlich wäre es nicht von Nachteil gewesen, mich bereits in meinen Teenie-Jahren über diese Tatsache in Kenntnis zu setzen.

»Aber ich schau dann den Rest der Woche nix mehr. Versprochen. Und ich dreh auch gleich nach dem Film wieder ab.«

Eines muss man ihm lassen: Er ist talentiert. Aber ich bin noch immer schlauer als er.

»Wenn du dein Zimmer in Ordnung bringst, dann darfst du später vielleicht noch ein bisserl fernschauen, okay!?«

Immer alles offenhalten. Nie sicher zusagen. Wenn ich etwas von Toni gelernt habe, dann das.

Bevor Noah in den Gefilden seines Zimmers verschwindet, umarmt er mich überschwänglich: »Du bist die beste Mama der Welt!«

Erpressung zieht immer. Yeahhh … Zu dumm, dass es niemanden gibt, der mich mit positiven Verstärkern zur Hausarbeit motiviert und als wäre das Ausbleiben einer Motivation nicht schon genug, wickelt sich jetzt noch dieses dämliche Staubsaugerkabel aus purer Absicht um den Couchtisch.

»Wahhhhhhh … So ein beschissenes Drecksklumpert. Ich hasse es!«, fluche ich und misshandle dabei mein Haushaltsgerät mit einem deftigen Tritt.

Aua … Das war mein Zeh! So ein Scheiß, der Staubsauger hat den Kampf gewonnen.

Genervt stöhne ich und entwirre den Kabelsalat, komme allerdings nicht weit, da sich meine Mutter mit einem Klopfen an der Eingangstür bemerkbar macht.

»Die Oma ist da!«, ertönt Noahs Stimme aus dem Kinderzimmer und kurz darauf trippeln seine nackten Kinderfüße über den Parkettboden des Vorzimmers.

Komisch. Wenn ich ihn von der Schule abhole, hält sich sein Begeisterungsgrad in Grenzen.

Humpelnd folge ich meinem Sohn und lehne mich an den Türstock, um ihm dabei zuzusehen, wie er die Tür öffnet.

»Hallo Oma. Wir haben schon uuuuur lange auf dich gewartet. Kann ich heute bei dir einen Film anschauen?«

»Hallo Spatzl.«, entgegnet meine Mama freudestrahlend. »Wahnsinn wie groß du schon geworden bist, Bärli. Nicht mehr lang und du überragst mich.«, ignoriert sie den Einwand meines Sohnes mit dieser übertrieben fröhlichen Stimme, die die Einnahme von irgendwelchen aufputschenden Substanzen vermuten lässt und entledigt sich ihres bunten Hippie-Mantels, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen.

Verdammt, was ist denn bitte los? Erlangt man mit der Geburt seines Kindes etwa den Status unsichtbar oder was!?

»Hallo Mama.«, versuche ich meine Mutter auf mich aufmerksam zu machen, woraufhin sie überrascht aufblickt und mit ausgestreckten Armen auf mich zukommt, um mich überschwänglich an sich zu drücken.

Oh mein Gott. Was ist das bitte für ein Geruch in ihrem grellroten Haar? Hat sie etwa Gras geraucht, bevor sie hierhergekommen ist? Das kann doch nicht ihr Ernst sein?

»Servas Schatzl. Du hast übrigens noch immer keine Türklingel. Wolltest du das nicht letzte Woche erledigen?«

Genervt verdrehe ich die Augen: »Ja, ich hab keine Zeit gehabt.«

»Aber du hast ja Urlaub gehabt, oder!?«

»Ja, und!? Was soll das jetzt heißen? Dass ich in meiner Urlaubszeit dazu verpflichtet bin, irgendwelche Arbeiten in meiner Wohnung zu verrichten?«, gebe ich patzig von mir und sehe dabei aus dem Augenwinkel, wie mein Kind wieder in seinem Zimmer verschwindet.

Wieso hat er es denn so verdammt eilig? Normalerweise hängt er wie eine Klette an meiner Mutter.

»Geh, jetzt sei doch nicht so grantig. Es ist doch so ein schöner Tag heut.«

»Total. Ich wollte schon die Badesachen hervorkramen, habe mich dann aber angesichts der Minusgrade doch anders entschieden.«

Mein Blick fällt auf einen Mann geschätzte Mitte dreißig, der eine schwarze gefütterte Lederjacke trägt und peinlich berührt hinter meiner Mutter im Gang steht.

Wer ist denn der Typ bitteschön? Stalkt der meine Mutter oder was?

Meiner Erzeugerfraktion scheint meine leichte Irritation nicht zu entgehen, weshalb sie den Fremden so feierlich vorstellt, als wäre er der Bundespräsident persönlich: »Das ist übrigens der Raphael, mein Scheidungsanwalt.«

Na und!? Muss ich ihm jetzt den roten Teppich ausrollen, oder was!?

Der Mann mit dem Dreitagesbart und den dunkelblonden Haaren macht einen vorsichtigen Schritt in meine Wohnung und beugt sich dann zu meinem neugierigen Verräter-Kater hinunter, um ihn zu streicheln. Meine ehemals Erziehungsberechtigte – es grenzt an ein Wunder, dass sie diesen Status je erhalten hat - wartet indessen geduldig auf eine Wiedererkennungsreaktion in meinem Gesicht.

»Ich will ja nicht unfair klingen, Mama, aber du hast bereits vier Hochzeiten und vier Scheidungen hinter dir. Also wie zum Teufel soll ich mir da merken, wer dich gerade in dem jeweils betreffenden Verfahren rechtlich vertreten hat?«

Und selbst sollte sich diese bedeutsame Frage beantworten lassen, ist damit noch immer nicht erklärt, was der geleckte Typ, der so aussieht, als wäre er einem Hochglanzmagazin entsprungen, in meiner Wohnung zu suchen hat. Hat sie ihn etwa nicht mehr bezahlen können, weswegen sie mich jetzt an ihn verkauft!?

»Geh jetzt tu nicht so. Ihr seid euch doch schon öfters über den Weg gelaufen.«

»Ähhh … nein. Aber freut mich trotzdem.«, lüge ich und strecke dem Separationsadvokaten zur Begrüßung die Hand hin.

»Hi. Ich hoffe ich störe nicht.«

Soll ich jetzt die Wahrheit sagen?

»Geh Raphi. Du störst doch nicht. Komm nur weiter.«, mischt sich postwendend meine Mutter ein.

»Schön, dass du mich auch fragst.«, raune ich ihr latent aggressiv zu, während sie den Juristen in meine Wohnung schiebt und hinter ihm die Tür verschließt.

Was für eine Frechheit. Wie kann sie einfach so einen wildfremden Mann in meine Wohnung mitnehmen? Ich meine, woher weiß ich, dass das kein Psychotyp ist, der in Bälde seine Waffe zückt, um mich zu entführen?

»Ich will aber wirklich nicht stören.«, setzt der Separationsadvokat noch einmal an.

Dann mach es nicht, Lustiger und schleich dich wieder.

»Kein Problem.«, bemühe ich mich um einen versöhnlichen Ton.

»Wirklich!?«, hakt der Anwalt mit angenehm sonorer Stimme nach.

Nein, nicht wirklich, aber was soll ich denn tun? Ich bin einfach viel zu höflich erzogen worden.

»Ja, ich kann dir aber auch gern eine schriftliche Einwilligung zukommen lassen.«, entgegne ich, woraufhin der Anwalt grinst.

»Der war gut. Deine Mutter hat bereits erwähnt, dass du zum Sarkasmus neigst.«

»Achso? Ich hab gar nicht gewusst, dass meine Mama mich so interessant findet, dass sie sich mit ihrem Scheidungsanwalt über mich unterhält.«, entgegne ich spitz und werfe meiner Mutter dabei einen erbosten Seitenblick zu, den sie geflissentlich ignoriert. Ganz im Gegensatz zu diesem Advokaten, der unwillkürlich lächelt, sodass sich in seinen Wangen kleine Grübchen bilden, was ich irgendwie … na ja … wie soll ich das sagen … süß finde. Puhhh … jetzt ist es raus. Aber das darf doch nicht sein. Ich darf ihn schon rein aus Protest nicht mögen.

»Ach was. Ich rede immer viel von dir und deiner Schwester. Schließlich seid ihr meine Kinder.«, verharmlost meine Mutter ihre Mundpropaganda, während sich der Jurist seiner Jacke entledigt und einen wenig einfallsreichen Kleidungsstil bestehend aus einem dunkelblauen Pullover und Jeans entblößt.

Offenbar legen Männer ab dreißig jede Form der kreativen Kleiderwahl ab, was man von meiner Aufmachung leider keineswegs sagen kann, die an Einfallsreichtum aber auch an Peinlichkeit kaum zu übertreffen ist. Bestimmt sehe ich toperotisch in meinen schwarzen Leggins aus, über denen ich eine kurze, hellrosa Pyjamahose trage. Nicht zu vergessen: die grauen Hausboots, die das sexy Outfit perfekt abrunden.

»Ich hab gar nicht gewusst, dass du zwei Töchter hast, Sophia.«, entgegnet der außerfamiliäre Besuch und betrachtet schmunzelnd mein Snoopy-T-Shirt, um schließlich heftig zu erröten.

Fuck!!!! Ich habe ganz vergessen, dass ich keinen BH unter dem Shirt trage. Der Tag wird immer grauenvoller!

»Aber geh, ich hab dir doch sicher von meiner Ältesten und ihrem Mann erzählt.«, fabuliert meine Mutter weiter, während ich meine Weste hastig um meinen Oberkörper wickle, um meine Brüste damit zu bedecken.

»Na ja … bei der Menge an Gesprächsthemen, die wir bereits durchhaben, kann es schon sein, dass ich das nicht mitbekommen hab.«, erklärt Raphael höflich und zwinkert mir dann zu.

Was ist denn das jetzt bitte? Der soll das Flirten mit mir gefälligst unterlassen.

»Magst du vielleicht einen Kaffee?«, fragt meine Mutter ihr Mitbringsel.

»Das wäre wirklich cool, danke.«

Schön, dass die beiden sich so gut verstehen und es nicht der Mühe wert finden, mich um meine Zustimmung zu bitten.

Während ich mich auf dem Weg in die Küche befinde, um den Wünschen meines uneingeladenen Gastes zu entsprechen, ruft mir meine Mama zu: »Kannst du mir auch einen Kaffee machen, Mia!?«

»Ja, kein Problem. Ich spiel gern deine Sklavin und mach dir zum Dank für den Versuch deiner Zwangsverheiratung auch noch einen Kaffee.«, murmle ich in mich hinein und befülle den Tank meines Kaffeeautomaten mit frischem Wasser, um ihn danach anzuwerfen und wie paralysiert auf die blinkenden Lichter zu starren.

»Du Schatz.«, lässt mich die Stimme meiner Mutter erschrocken zusammenzucken.

»Ja!?«, hake ich mindereuphorisch nach.

»Kannst du mir morgen bitte die leeren Kaffeekapseln mitnehmen?«

»Ähhh … ja schon, aber was willst du damit machen?«

»Na du weißt ja, dass es rein ökologisch gesehen ein Verbrechen ist, auch nur einen solchen Automaten zu besitzen.«

»Rein ökologisch gesehen, ist es auch ein Verbrechen mit dem Auto zu fahren.«, entgegne ich, greife in den Schrank über mir und stelle drei bunte Keramiktassen bereit, um mich dann an das Befüllen derselben zu machen.

»Ja, eh und deshalb ist es ja wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Meine nächste Ausstellung wird der Sexualisierung unserer Umwelt gewidmet sein. Deshalb brauche ich unbedingt diese Kapseln.«, erklärt mir meine Mutter in diesem unerträglich pseudointellektuellen Tonfall.

Insofern ist es gar nicht so schlecht, dass ich die Hälfte von dem, was sie sagt, über das Getöse der Kaffeemaschine hinweg nicht verstehe.

»Schade, und ich hab schon gedacht, dass du unter die Schmuckbastler gehst.«

»Du, das ist noch immer besser, als die Kapseln einfach wegzuwerfen.«

»Eh. Deshalb überleg ich mir schon den passenden Kleiderschnitt für meine Plastiksackerlsammlung, die sicher perfekt zum Kapselschmuck passt.«, stelle ich trocken fest und befülle dabei die nächste Tasse.

In der Zwischenzeit hat sich der Scheidungsanwalt meiner Mutter zu uns gesellt und mischt sich nun in das Gespräch ein.

»Du, wenn du zu viel von diesen Plastiktüten hast, könntest du mir welche aufheben. Als Aktentaschenersatz.«

»Ja ja. Macht euch nur lustig über mich. Ich sag euch eines: unsere Umwelt muss man ernst nehmen. Sie ist wie ein zartes Wesen, das man pflegen muss. Deshalb baue ich ja auch die sexuelle Komponente mit ein. Das steht quasi stellvertretend für die entsprechende Pflege der Umwelt.«, erläutert meine Mutter in diesem total ernsten Tonfall, den sie wahrscheinlich auch bei den zahlreichen Kundgebungen vor den Regierungsgebäuden annimmt, wenn sie wieder einmal gegen irgendein Atomkraftwerk, eine Durchfahrtsstraße oder die Kürzung der Mindestsicherung protestiert.

»Im Übrigen, wäre es klasse, wenn du mir auch die Klopapierrollen aufheben könntest. Aus denen würde ich gerne eine Skulptur formen.« Ihre Augen leuchten plötzlich auf: »Dabei könnte mir Noah helfen. Das macht ihm sicher Spaß.«

»Du, solange du dabei keinerlei illegale Substanzen konsumierst, ist alles okay.«, entgegne ich und überreiche unserem Gast die Kaffeetasse, wobei ich tunlichst darauf achte, ihn nicht anzusehen.

Meinen Zorn nicht erahnend nimmt meine Mutter am Esstisch Platz, wobei es an ein Wunder grenzt, dass sie dabei nicht über ihren bunten langen Rock stolpert, an den sich soeben mein Kater heranpirscht.

»Kann man sich deine Arbeiten eigentlich einmal ansehen oder so? Ich würde das nämlich echt spannend finden.«, hakt der Separationsadvokat nach.

Würg. Kann der schleimen. Kotz, speib und meine Mutter fällt auch noch darauf herein.

»Wirklich!? Ja klar. Meine Familie zeigt ja leider kein besonders großes Interesse.«

»Das liegt vor allem daran, dass sich Töchter nicht unbedingt mit der erotisch-abstrakten Kunst ihrer Mutter auseinandersetzen wollen.«, erkläre ich frostig, während ich eine Packung Milch und Zucker auf dem Tisch platziere und mich entschuldigend an Raphael wende: »Tut mir leid. Das ist nicht besonders hübsch, aber ich hab ja nicht gewusst, dass ich heute noch Besuch bekomme.«

»Passt schon. Kein Problem. Mir tut der plötzliche Überfall leid.«

»Aber geh. Jetzt mach dir keinen Kopf, Raphi. Meine Tochter ist ein sehr gastfreundlicher Mensch. Das hat sie von mir.«

»Ja, Gott sei Dank hab ich nicht auch noch deine Unverschämtheit geerbt.«, grummle ich, werde allerdings von der Empfängerin meiner Botschaft überhört.

»Was deine Frage von vorhin betrifft: Ich werde im Februar meine Arbeiten bei mir im Haus ausstellen. Also wenn du wirklich Interesse hast, kannst du natürlich auch gerne kommen.«

Ha ha … bestimmt ärgert er sich jetzt, weil er sich in diese Zwangslage versetzt hat und keinen Ausweg mehr findet. Geschieht dem dämlichen Spießer recht.

»Hey, das ist ja cool. Da bin ich auf jeden Fall dabei.«, antwortet er. »Am besten du schickst die Einladung in die Kanzlei. Dann kann das meine Sekretärin gleich in meinen Kalender eintragen.«

Scheiß Smalltalk. Scheiß Spießer-Typen. Ich kotz mich gleich an, so übel wird mir von der Schleimerei.

»Vielleicht solltest du deinem Best Buddy zuerst einmal einen Link von deiner Website schicken. Könnt sein, dass er es sich dann nochmal anders überlegt.«, erkläre ich selbstgefällig.

»Was ist denn mit dir heut los, Kind? Bist du mit dem falschen Fuß aufgestanden, oder was?«

»Gar nix ist mit mir los. Was soll denn los sein? Nicht jeder läuft wie du den ganzen Tag im Hopsalauf durchs Leben.«

Dem Gast ist deutlich anzusehen, wie schwer es ihm mittlerweile fällt, sich ein Lachen zu verkneifen. Wunderbar, wenigstens einer der amüsiert ist.

»Jetzt wirst aber echt unfair, Mia. Vielleicht probierst du es auch mal mit morgendlichem Yoga, so wie ich. Das könnte für mehr Ausgeglichenheit in dir sorgen.«

Muss sie mir jetzt mit diesem Öko-Scheiß kommen?

»Im Übrigen würde dir auch keine Perle aus der Krone fallen, wenn du einmal wieder eine Ausstellung deiner Mutter besuchen kommst.«

Es ist noch nicht medizinisch erwiesen, dass es sich bei ihr tatsächlich um meine leibliche Mutter handelt.

»Ja, okay, ich komm vielleicht auch. Bist du dann zufrieden?«, erkläre ich mich apollinisch einverstanden und geselle mich mit den letzten beiden Kaffeetassen zu meinen Gästen an den Tisch.

Fröhlich klatscht meine Mutter in die Hände: »Sehr schön. Das wird ja wieder einmal so richtig familiär.«

»Yeahhh!«, gebe ich wenig motiviert von mir und nippe an meinem Kaffee.

»Bei der Gelegenheit fällt mir ein: Ich hab dich ja noch gar nicht gefragt, wie es bei dir mit der Wohnungssuche ausschaut, Raphael?«, fragt meine Mutter wenig diskret.

Wieso ist der Typ auf Wohnungssuche? Hat der bisher bei seiner Mama gewohnt, oder was!? Was geht denn bitte mit meiner Erzeugerin ab? Da präsentiert sie mir doch in der Tat einen wohnungslosen Scheidungsanwalt. Bin ich ihr denn gar nichts wert?

»Hmmm … eher schlecht. Ich wohn zurzeit bei einem Kumpel, aber keine Ahnung wie lang ich die WG noch aushalte. Davon abgesehen ist das mit meiner Tochter auch nicht unbedingt optimal.«

Waaas!? Der geleckte Typ ist Vater? Unfuckingfassbar!

»Das kann ich mir gut vorstellen. Obwohl ich in meinen Zwanzigern auch lang in einer WG gewohnt hab.«

»Es war eine Hippie-Kommune, Mama. Das ist etwas anderes als eine Wohngemeinschaft.«, berichtige ich ihre Ausführungen.

Richtig. In zweckmäßigen Wohngemeinschaften wissen die Beteiligten zumeist, wer ihr Vater ist.

»Aber geh, du hast keine Ahnung Kind. Ich hätte mir ja auch immer gewünscht, dass du mal die Erfahrung einer WG sammelst, aber dafür warst du immer schon zu häuslich.«

Ich und häuslich!? Das ich nicht lache.

»Na ja … jedenfalls kannst du dich jederzeit an mich wenden, Raphi, wenn du irgendetwas brauchen solltest.«

Wer ist sie jetzt? Die Wohnungsmafia oder was!?

»… Ich weiß ja noch wie anstrengend das bei der Mia war, nach der Trennung von ihrem Ex. Die zwei haben am Stadtrand Haus gebaut.«

»Jep … und dann hat der Arsch beschlossen, dass eine Trennung doch die bessere Option für unseren weiteren Lebensweg ist.«, platzt es aus mir heraus. »Und ich hab auf Wohnungssuche gehen müssen.«

»Das klingt echt hart. Tut mir leid für dich, Emilia.«

Sein beschissenes Mitleid brauch ich nun wirklich nicht. Mir tut’s ehrlich leid für ihn, dass er so ein geleckter Affe ist.

»Und das Haus hast du ihm überlassen?«, hakt Raphael weiter nach.

»Ja.«

»Meine liebe Tochter war der festen Überzeugung, dass sie so ein Haus überfordern würde.«

Mürrisch zucke ich mit den Schultern: »Mir tut’s nicht im geringsten Leid. Ich mein, das Haus war sowieso nur so ein großer, liebloser, moderner Würfel. Wer will schon in so einem Ding wohnen und dann war es auch noch in so einer hässlichen Industriegegend. Soll er es sich doch behalten, wenn er es unbedingt haben will. Ich brauch’s nicht. Ich mag die Wohnung viel lieber. Die ist klein und überschaubar. Allerdings glaub ich nicht, dass unser Gast ein besonderes Interesse an meiner Lebensgeschichte hat.«

»Ach halb so wild.«, erklärt mir dieser Trennungsraphi mild lächelnd. »Und selbst hätte mir meine Exfrau das Haus überlassen, hätte ich nicht mehr darin wohnen wollen. Ich wäre ja überhaupt dafür, einen Paragraphen einzuführen, der den Ex oder die Ex dazu verpflichtet nach einer Trennung das Land zu verlassen und zuvor den gemeinsamen Wohnsitz abzufackeln.«

»Hmmm … dann müsste sich meine Mutter nach einem neuen, für die Menschheit beziehbaren Planeten umsehen.«, entgegne ich grinsend, woraufhin meine Mutter erbost ihre Lippen zusammenpresst.

Der Anwalt mit dem Dreitagesbart, der sich ein Lachen nur schwer verkneifen kann, versucht schließlich die Situation mit einem Kompliment zu entspannen: »Sieht übrigens echt nett aus hier. Hast du alles selbst ausgesucht?«

Nein, es war Graf Bumsti höchstpersönlich, der mir erschienen ist, weil er eine heimliche Karriere als Innenausstatter anstrebt und ich quasi sein Pilotprojekt sein sollte.

»Jep. Ist eine Leidenschaft von mir und wahrscheinlich haben sich alle Möbelhäuser aus ganz Österreich eh schon eine goldene Nase an mir verdient.«

»Weißt du Kind, bei diesen großen Unternehmen einzukaufen ist eigentlich ein Verbrechen. Die meisten zahlen nicht einmal Steuern hier. Ist dir eigentlich bewusst, was uns da jährlich entgeht?«, erklärt meine Mutter in heroischem Tonfall und streift sich zur Unterstreichung ihrer pathetischen Worte die langen, roten Locken über die Schultern nach hinten.

»Nein, und mir wär’s auch lieber, du würdest das mit der Justice League besprechen, weil ich mal prinzipiell davon ausgehe, dass die wohl nicht den Konkurs anmelden müssen, wenn ich nicht mehr bei denen einkaufe. Aber wie du wohl weißt, war ich schon immer total schlecht in Mathe.«

Richtig. Weil Mathe ein Arschloch ist.

»Mia, wo bleibt dein Einsatz für die Welt!?«, fragt mich meine Mutter.

»Mama lass das bitte. Diese ganzen Regeln nerven total. Ich will einmal einfach nicht über die ganze Welt nachdenken müssen. Ich bin ja nicht Mutter Theresa.«

Raphi grinst, so als habe er verstanden, worum es mir geht.

»Man muss aber auch nicht Mutter Theresa sein, um sich Gedanken über unseren Planeten zu machen, Kind.«, ermahnt mich meine Mutter und wendet sich dann mit einem gänzlich anderen Thema an Raphael, um mir jede Möglichkeit der Verteidigung zu nehmen: »Hast du eigentlich schon Pläne für heute Abend?«

»Nichts Besonderes. Ein gutes Bierchen und viel Selbstmitleid. Ein klassisches Silvesterfest also.«

Wieso denn Selbstmitleid? Jetzt bin ich neugierig. Aber ich kann ihn doch schlecht danach fragen. Vielleicht mit ein wenig Kreativität auf subtile Art und Weise nach dem Quid-pro-quo-Motto Hannibal Lecters: »Hmmm … dann haben wir was gemeinsam.«

Meine Mutter wirkt leicht irritiert: »Ich hab gedacht, du fährst zu Freunden auf eine Party?!«

»Ja, aber das heißt ja noch lang nicht, dass man sich da nicht bemitleidet. Ich mein, stellt euch das nur mal vor. Ich werde Stunden vorm Spiegel verbringen, nur um mich dann zu fragen, wozu ich das alles gemacht habe, weil ich bei meinen Freunden auch in einem Sack aufkreuzen könnte und denen der Unterschied nicht auffallen würde.«

»Aber so übel ist ein Sack doch gar nicht. Solltest du wirklich kotzen müssen, hättest du die Tüte wenigstens schon dabei.«

Ha ha … Juristen haben offenbar keinerlei Ahnung wie sie mit einer erwachsenen Frau umgehen sollen. Idiot.

Ich räuspere mich kurz und wende mich dann ab, um nach meinem Kind zu rufen und der peinlichen Stille zu entfliehen: »Noah! Kommst du dann? Deine Oma und du müsst schön langsam aufbrechen.«

Etwas leiser füge ich hinzu: »Damit sich die Mama dann zum Betrinken fertigmachen kann.«

Betreten steht dieser Raphael auf und stellt die Kaffeetasse im Waschbecken ab. Die Botschaft ist also durchgedrungen.

»Aber Schatz, zu Silvester geht’s doch nicht ausschließlich darum, sich zu betrinken.«, erklärt meine Mutter indessen mit der besten Oberlehrerstimme, die sie aufzubringen vermag.

»Was ist denn betrinken? Darf ich mich heute auch betrinken, Oma?«, wirft Noah ein, der wie aus dem Nichts hinter mir auftaucht.

»Betrinken darfst du dich erst, wenn du groß bist.«, erklärt meine Mutter ihrem Enkel.

»Aber ich bin doch schon groß.«

Damit hat er nicht Unrecht. Mittlerweile reicht er mir schon fast bis zur Schulter, wobei dafür auch seine dichten Locken verantwortlich sein könnten, die ihm wild vom schmalen Kopf abstehen und ihn bestimmt um vier Zentimeter größer erscheinen lassen, als er ist.

»Na aber noch nicht so groß wie deine Mama.«

»Aber ich bin größer als die meisten in meiner Klasse.«, verteidigt sich mein Sohn empört.

»Die Oma meint ja nur, dass du dich erst betrinken darfst, wenn du erwachsen bist, so wie wir und dann ist es auch nicht unbedingt ratsam, das zu tun, weißt du!?«

Es ist nicht ratsam, aber unterhaltsam.

Er nickt: »Okay.«

»Und hast du schon alles eingepackt?«, frage ich ihn, woraufhin er mir einen prall gefüllten Rucksack vor die Nase hält: »Ja, ich hab alles dabei. Meinen Nintendo DS, ein paar Hörspiele und meine Lego-Ninjago-Figuren.«

»Oh … du hast Lego Ninjago. Das ist aber echt cool.«, wendet Raphael ehrlich interessiert ein. »Meine Tochter mag die auch die total gern.«

»Wie alt ist denn deine Tochter und wie heißt sie?«, fragt mein Kind nach, während er strahlend den gesamten Inhalt seines Rucksacks auspackt, um unserem Gast seine Legofiguren vorzuführen.

»Sie wird im Sommer acht und heißt Jana.«

Noahs Augen leuchten auf: »Dann ist sie ja genauso alt wie ich.« Nach einer kurzen Nachdenkpause fügt er hinzu: »Und spielst du auch gerne Lego-Ninjago?«

»Ja, ab und zu kann mich die Jana zum Spielen überreden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass es so tolle Spielsachen noch gar nicht gegeben hat, als ich noch ein Kind war.«

Mein Sohn reißt erstaunt seine dunklen Augen auf: »Echt!? Aber was hast du dann gespielt?«

»Na ja. Ich hab halt meine Fantasie benutzt. Und da hab ich auch echt coole Sachen gebaut.«

»Wirklich!? Was hast du denn gebaut?«

»Na ja … alles was mir so in den Sinn gekommen ist. Zum Beispiel hab ich der Jana, als sie noch klein war, ein rosa Wohnmobil gebaut.«

»Wähhhhh …«

Raphael lacht: »Daraus schließe ich, dass du kein Fan der Farbe rosa bist.«

»Nein, niemals. Das ist nur etwas für Mädchen.«

»Aber Jungs können doch auch mit rosa Spielsachen spielen, nicht!?«, wirft meine Mutter ein.

»Nein, rosa ist schirch.«, sagt Noah im Brustton der Überzeugung und folgt, nachdem er wieder alles zurück in seinen Rucksack gestopft hat, seiner Oma und ihrem Gast ins Vorzimmer, wo die Besucher in ihre Schuhe schlüpfen und sich ihre Outdoorkleidung überstreifen. Als sie fertig sind, streckt mir der Trennungsraphi als erster seine Hand entgegen: »Danke für den Kaffee.«

»Bitte. Kein Ding.«, murmle ich.

»Kommst du wieder mal zu Besuch und nimmst deine Tochter mit? Dann könnte ich mit ihr gemeinsam spielen.«, fragt Noah plötzlich an Raphaels Ärmel zupfend.

»Mal sehen.«, antwortet der Jurist.

»Ich glaub nicht, dass unser Gast sehr viel Zeit hat, uns zu besuchen. Aber du hast ja genügend Freunde, die du einladen kannst.«, tröste ich Noah und drücke ihn dann noch einmal fest an mich, bevor er meiner Mutter in den Hausflur folgt.

»Hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Emilia.«, verabschiedet sich Raphael höflich und verlässt dann als Letzter meine Wohnung.

»Auf Wiedersehen.«, entgegne ich und ziehe die Tür mit Donatello auf dem Arm zu.

Hoffentlich sehe ich diesen spießigen Kerl nie wieder.

Kapitel 3

Manno. Wie mich diese Bleigießerei nervt.

Nachdem meine Freunde vor Mitternacht vor der exklusiven Edmund-Sackbauer-Silvester-Folge gesessen haben und um zwölf mit vollen Sektgläsern in den Miniaturgarten von Marlene und Hans-Ulrich gewatschelt sind, um das Feuerwerk zu sehen, habe ich einen der kleinen Löffelchen in die Hand gedrückt bekommen, den ich jetzt schon seit einer gefühlten Ewigkeit über die Flamme halte. Aber diese dämliche Figur will und will einfach nicht schmelzen und zu allem Überdruss bin ich noch nicht einmal betrunken, weswegen das ganze Theater kaum zu ertragen ist.

Gute Idee. Trinken.

Ich greife nach einem vollen, mit meinem Namen beschrifteten Becher und leere mindestens die Hälfte des Inhalts in meinen Rachen. Im Hintergrund läuft irgendein schnulziges Album von Robbie Williams.

»Hey du. Na, wie schaut’s aus? Bist du bald fertig?«, fragt mich meine beste Freundin Kim, die ich bereits seit meiner Volksschulzeit kenne, und lässt sich neben mich auf die Couch plumpsen, sodass sie beinahe den Inhalt ihres Bechers über die Sitzgelegenheit gießt.

Ich stöhne genervt: »Soll das eine Scherzfrage sein, oder was!?«

»Sorry. Jetzt weiß ich wieder, warum ich diesen unnötigen Mist nicht mitmache. Diese dämlichen Figuren verliert man doch sowieso nur.«, entgegnet Kim grinsend und zückt dann ihren Miniaturspiegel aus ihrer Handtasche, um ihren knallroten Lippenstift nachzutragen.

Sie sieht echt aus wie ein klassischer Vamp. Kein normaler Mann auf diesem Planeten kann ihr widerstehen. Zu meinem Glück und dem aller anderen Frauen gibt es jedoch genügend irre Typen.

»Aber das ist doch so ein schöner Brauch.«, verteidigt die blonde Marlene, die zu meiner Linken sitzt und deren Gesicht noch niemals Mascara gesehen hat, das Bleigießen. »Schau mal was ich gegossen hab. Sieht ein bisschen wie eine Münze aus. Wahrscheinlich gewinn ich heuer im Lotto.«

Als hätte sie es notwendig im Lotto zu gewinnen. Ich meine, im Gegensatz zu meiner BFF und mir ist Marlene das Kind verheirateter, finanziell gut situierter Eltern.

»Also ich find ja, dass das mehr wie ein Donut aussieht.«, erklärt meine BFF, die nun die von Lena weitergereichte Figur in der Hand hält und einer eingehenden Musterung unterzieht.

»Mmmhhh … voll.«, stimme ich ihr zu, woraufhin Marlene enttäuscht das Gesicht verzieht und ich zu ihrer Aufmunterung hinzufüge: »Na ja, vielleicht eröffnet ihr heuer einen Donut-Laden und werdet dadurch Millionäre oder so. Ausschließen kann man das ja nie.«

Marlene reckt indessen das Kinn nach vorne, um zu sehen, wie weit die Liquidierung meiner Figur fortgeschritten ist.

»Also ich versteh wirklich nicht, wieso das heuer so lange dauert. Letztes Jahr sind die Figuren wesentlich schneller geschmolzen. Denen werde ich einen saftigen Brief schreiben.«, erklärt die Gastgeberin schließlich kämpferisch, woraufhin die dralle, wasserstoffblonde Brigitta, die meine Freundinnen und ich auf der Maturareise bei einem Wet-T-Shirt-Contest kennengelernt haben, von ihrer Broschüre über Hüttenurlaube aufsieht und trocken entgegnet: »Am besten du tust dich diesbezüglich mit dem Toby zusammen. Der liefert dir dann noch eine perfekte Verschwörungstheorie zwecks stichhaltiger Argumentation.«

»Mit welcher Verschwörungstheorie sollte er denn kommen?«, hakt Marlene nach.

»Na ja … es könnte ja sein, dass die Regierung diese Figuren mit irgendwelchen Chemikalien versetzt, die sie langsamer schmelzen lassen, damit man allmählich auf die althergebrachten Bräuche verzichtet und stattdessen … Keinen Plan. Irgendwie ergibt das keinen Sinn.«, erläutere ich und achte dabei kaum auf den Löffel in meiner Hand.