Ich mag dich fast so, wie du bist - John Ortberg - E-Book

Ich mag dich fast so, wie du bist E-Book

John Ortberg

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Beschreibung

Ganz gleich, ob Mann oder Frau, Stimmungskanone oder Mauerblümchen, ob Kopf- oder Gefühlsmensch: Wir wurden dafür geschaffen, Bindungen mit anderen einzugehen. Wir wurden für Beziehungen geschaffen, für Vertrautheit und Nähe. Doch wie gelingen wirklich authentische Beziehungen, in denen man sich gegenseitig annimmt - trotz aller Ecken und Kanten? Bestsellerautor John Ortberg zeigt, wie wir Hindernisse überwinden und diese echten Beziehungen bauen können, nach denen wir uns zutiefst sehnen. Wir dürfen lernen, wie wir unsere Angst vor Nähe und Offenheit überwinden können, wie wir typische Beziehungsfallen vermeiden und wie Gott unser täglicher Begleiter wird. Ein durch und durch ermutigendes Buch für gelingende Beziehungen - mit Gott und mit anderen Menschen.

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Über den Autor

John Ortberg ist einer der Pastoren der Menlo Park Presbyterian-Gemeinde in Kalifornien. Bei ihm vereinen sich tiefgehende Einsichten mit klarer Verständlichkeit und einem ansteckenden Sinn für Humor. Zu seinen zahlreichen Bestsellern gehören Weltbeweger, Hüter meiner Seele, Jeder ist normal, bis du ihn kennenlernst, Das Leben, nach dem du dich sehnst und ICH – einzigartich.

Er ist verheiratet mit Nancy und die beiden haben drei erwachsene Kinder.

Inhalt

EinleitungGanz allein am Tisch?

Kapitel 1Kannst du mir folgen?

Kapitel 2Bestandsaufnahme

Kapitel 3Für Nähe geboren

Kapitel 4Angebote

Kapitel 5Mein Ich und die Lügen

Kapitel 6Die Freuden des Geschworenendienstes

Kapitel 7Wir sollten alle verbindlich sein

Kapitel 8Es gibt etwas, das mag die Mauern nicht …

Kapitel 9Nackt und ohne Furcht

Kapitel 10Tiefe Finsternis

Kapitel 11Jetzt wird’s persönlich

Kapitel 12Houston, wir haben ein Problem

Kapitel 13Wer weint um Sie, wenn Sie sterben?

Kapitel 14Endlich

Quellenangaben

Dieses Buch widme ich in aller Liebe und Dankbarkeit Santiago (Jimmy) Mellado, Nancy Beach, Doug Veenstra, Fred Vojtsek, Dick Anderson und dem unnachahmlichen Dr. Gilbert Bilezikian.

EinleitungGanz allein am Tisch?

Wenn ich an Liebe denke, muss ich an einen Tisch denken.

Meine Vorfahren stammen aus Schweden; ich selbst bin in Rockford, Illinois, aufgewachsen, umgeben von noch mehr Schweden. Wir sind nicht besonders emotional oder kommunikativ. Manchmal komme ich abends nach Hause und meine Frau Nancy erkundigt sich, wie mein Tag war. Dann sage ich: „Tut mir leid, ich hab heute schon alle meine Worte aufgebraucht. Es sind keine mehr übrig.“ Nancy kann das nicht verstehen, denn sie braucht ihre Worte niemals auf. Sie ist eine unerschöpfliche Quelle der Worte. Sie strömen nur so aus ihr heraus.

Aber eines haben wir Schweden: einen Tisch. Zusammen um einen Tisch zu sitzen war die Liebessprache der Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin. Egal, ob jemand verletzt war oder krank, geheiratet hat, ein Auto oder ein Haus gekauft hat, in einer Krise steckte, ein Baby bekam oder verstorben war – wir versammelten uns um den Tisch. In unserem Haus hing immer das duftende Aroma von frischem Kaffee (nicht Orange Mocha Frappuccino oder irgendwas mit anderen künstlichen Aromen, sondern der einfache, frisch gemahlene Kaffee), und wir setzten uns an den Tisch, redeten, lachten und weinten – zusammen.

Wenn man mal genauer darüber nachdenkt, würde man wahrscheinlich feststellen, dass wir viele der Momente, die unser Leben geprägt haben, an einem Tisch erlebt haben. Einige der lebhaftesten Erinnerungen aus meiner Kindheit drehen sich um einen rechteckigen Glastisch in einem kleinen Esszimmer in der Brendenwood Terrace Nr. 227 in Rockford, Illinois.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich alles noch vor mir. Mein Vater sitzt am einen Ende. Rechts neben ihm mein kleiner Bruder Barton. Ich bin der mit der Brille und der Zahnspange, und meine Mutter sitzt mir schräg gegenüber zu meiner Rechten.

Ich erinnere mich an eine Gelegenheit, als wir frühstückten und meine Mutter eine Scheibe Toast mit Erdnussbutter in der Hand hielt. Der Toast war noch warm genug, sodass die Erdnussbutter ein wenig geschmolzen war. Als meine Mutter gerade abbeißen wollte, beugte ich mich rüber und drückte ihr die Toastscheibe mitten ins Gesicht. In Nullkommanichts beschmierten wir uns alle gegenseitig mit Erdnussbutter und lachten dabei Tränen.

Das waren noch gute Zeiten.

Und manchmal nicht so gute Zeiten.

Vor ein paar Jahren verlor ein Freund (der zufällig auch Schwede ist) seine Mutter. Als ich davon erfuhr – nur wenige Stunden nach ihrem Tod –, rief ich ihn sofort auf dem Handy an. Es stellte sich heraus, dass er mit der ganzen Familie gerade in einem nahe gelegenen Restaurant saß und Kaffee trank. Das kam mir so vertraut vor.

Die sind wie wir.

Über die Jahre hat es auch andere Tischrunden gegeben.

Ich erinnere mich noch daran, wie es war, als ich zum ersten Mal mit Nancys Familie am Tisch saß. Sie erwähnte zufällig, dass sie bei einem Autohändler neue Reifen gekauft hatte. Sofort erwiderte einer der am Tisch Sitzenden: „Ich würde niemals bei einem Autohändler Reifen kaufen. Die ziehen dich doch über den Tisch. Ich kaufe meine Reifen immer bei Shell.“

„Shell?“, fragte jemand. „Du kaufst deine Reifen an der Tankstelle? Das würde ich nie machen. Die haben miese Reifen. Die wollte ich nicht mal geschenkt haben. Ich kaufe meine bei Goodyear.“

„Goodyear?“, warf ein weiteres Familienmitglied ein. „Der Service dort ist grottenschlecht! Wenn du die Reifen beim Reifen-Discounter kaufst, bekommst du alle zehntausend Kilometer einen Reifenwechsel umsonst. Ich meine ja nur.“

Und so ging es immer weiter.

Später meinte ich zu Nancy: „Was war denn das für ein Streit?“

„Was für ein Streit?“

„Der Streit wegen der Autoreifen vorhin am Tisch.“

„Das war kein Streit“, sagte sie. „Wir haben uns doch nur gegenseitig geholfen.“

Tatsächlich? Wenn meine Familie am Tisch säße, würde meine Mutter in dem unwahrscheinlichen Fall, dass ich je Reifen kaufen sollte, in etwa sagen: „Du hast Reifen gekauft, mein Sohn! Wir sind ja so stolz auf dich. Man zieht die Kinder groß, versucht ihnen beizubringen, was richtig und was falsch ist, aber man weiß nie, was aus ihnen wird. Aber ein Augenblick wie dieser macht das alles wieder wett. Komm, wir machen ein Selfie.“

Jede Tischrunde ist unterschiedlich und hat ihre eigenen Regeln. Für Nancy gehört zu einem „Tischgespräch“ dazu, dass man schonungslos ehrlich ist und die Probleme des Lebens offen anspricht. Nichts wird beschönigt oder idealisiert. Wenn jemand um den heißen Brei herumredet oder nur Nettigkeiten von sich gibt, macht sie das nervös.

Wir waren einmal in einem Restaurant in Menlo Park, wo wir wohnen. Wir lachten gerade über irgendetwas, als eine Dame an unseren Tisch kam und meinte: „Ich gehe in Ihre Gemeinde. Es ist wunderbar zu sehen, dass Sie beide so viel Freude aneinander haben. Ich habe beobachtet, wie Sie miteinander umgehen und wie Sie sich anschauen, wenn Sie miteinander reden. Sie müssen eine wunderbare Ehe führen.“

„Ja, manchmal“, erwiderte Nancy wie aus der Pistole geschossen. Bei ihr gehört es einfach zu einem Tischgespräch dazu, dass man offen zueinander ist und einander die Wahrheit sagt. Und mittlerweile genieße ich das. Manchmal jedenfalls.

Als wir noch nicht verheiratet waren, aßen wir sonntags immer bei Nancys Großmutter Gladys zu Abend. Dann versammelte sich die ganze Familie um einen alten Mahagonitisch, den sie aus Texas mit nach Kalifornien gebracht hatten. Wenn wir an diesem Tisch saßen, hatte ich immer das Gefühl, zur Familie zu gehören. Nancy liebte diesen Tisch.

Als Nancy und ich uns verlobten, gab ich Gladys einen Dollar, damit wir nach ihrem Tod den Mahagonitisch bekommen würden. Ich fasste sogar eine kleine Eigentumsurkunde ab, in der ich meinen Anspruch auf den Tisch anmeldete, und klebte sie unter die Tischplatte, damit Nancys gierige Cousins ihn sich nach Gladys’ Tod nicht unter den Nagel reißen würden. Als Gladys starb, fand der Tisch auch tatsächlich in unserem Esszimmer ein neues Zuhause.

Wenn nur zwei Erwachsene am Tisch sitzen, sieht alles sehr elegant und stilvoll aus, aber wenn man ein Kleinkind hat, herrscht auf dem Tisch Chaos. Will man dafür sorgen, dass der Tisch sauber bleibt, hat man nur eine Möglichkeit: Es darf niemand dort sitzen. Aber manchmal erschaffen wir an einem chaotischen Tisch Erinnerungen, die an einem ordentlichen Tisch niemals entstehen würden. Als eines unserer Kinder einmal zu oft etwas verschüttet hatte und bestraft werden sollte, holte dieses Kind einen Eindollarschein hervor, legte ihn auf den Tisch und sagte: „Vielleicht kann George Washington euch ja davon abbringen.“ Das konnte er tatsächlich.

Wir bekamen unsere drei Kinder kurz nacheinander, und ich erinnere mich noch daran, was für ein Fest es war, als wir die erste gemeinsame Mahlzeit einnahmen, bei der niemand etwas verschüttete, niemand weinte und niemand sich übergeben musste. Damals war unser Jüngster einundzwanzig, aber es war trotzdem ein Festtag für uns.

Was für eine Tischrunde ebenfalls typisch ist, zumindest in unserer Familie, ist, dass wir immer an den gleichen Plätzen sitzen. Mein Platz befindet sich direkt gegenüber von Nancy und schräg gegenüber von unserer Tochter Laura. Selbst nach ihrem Auszug belegten unsere Kinder jedes Mal, wenn sie nach Hause kamen, ihre alten Plätze. Laura auf der einen Seite und Johnny und Mallory auf der anderen, und jetzt sitzt Lauras Mann Zack neben ihr. Wir haben nie darüber abgestimmt. Es gibt keine Sitzordnung. Niemand hat die Plätze verteilt. Tief in der menschlichen Seele steckt etwas, das sagt: „Ich brauche meinen Platz an diesem Tisch.“ Ich weiß jedenfalls, dass das auf mich zutrifft. Ich will meinen Platz haben, und ich will, dass alle in der Familie ihren Platz haben. Ich mag es irgendwie, wenn alle Stühle am Tisch besetzt sind.

Wenn wir an einem Tisch unseren eigenen Platz haben, dann heißt das, dass wir dazugehören. Wir haben eine Identität. Wir sind jemandes Bruder oder Schwester, jemandes Vater oder Mutter, jemandes Mann oder Frau. Wir gehören dazu.

Mich erinnert ein Tisch daran, dass es im Leben vor allem auf eines ankommt: auf Beziehungen. Wir sind darauf programmiert, emotionale Bindungen mit anderen Menschen einzugehen. Wir wollen, dass es Menschen gibt, die uns wirklich durch und durch kennen. Wir sehnen uns danach, geliebt zu werden. Wir wollen von jemandem angenommen werden, der unsere Stärken und unsere Schwächen kennt und trotzdem mit uns zusammen sein möchte. Kurz gesagt: Wir sehnen uns nach Nähe.

Auf einem kleinen Tisch in meinem Büro steht eine Karte mit einem Zitat aus Victor Hugos weltberühmtem Roman Die Elenden:

Mein Mantel und ich leben sehr angenehm zusammen. Er hat all meine Falten angenommen, schmerzt mich nirgendwo, hat sich meinen Verkrümmungen angepasst und folgt willig all meinen Bewegungen. Ich spüre seine Gegenwart nur, weil er mich warm hält. Alte Mäntel sind alte Freunde.1

Auf die Rückseite der Karte hat meine Frau mit Tinte vier Worte geschrieben: Du bist mein Mantel. Das ist Vertrautheit.

Sie denken jetzt vielleicht: Nancy muss eine wunderbare Ehefrau sein.

Das ist sie auch.

Manchmal.

Unsere Angst vor Nähe

Obwohl wir uns so sehr danach sehnen, hat Nähe für viele Menschen auch etwas Furchteinflößendes. Als ich erzählte, dass ich ein Buch über Vertrautheit und Intimität schreiben würde, konnte ich in manchen Gesichtern die Anspannung sehen. Andere liefen rot an. Nancy lachte laut.

Manchmal frage ich mich, warum die Menschen so heftig darauf reagieren. Warum fürchten wir uns so vor Nähe?

Ich glaube, zum einen haben wir Angst davor, verletzt zu werden. Nähe bedeutet, dass mich jemand kennt – so wie Nancy mich kennt, zum Beispiel. Sie kennt meine Stärken und Schwächen, meine Hoffnungen und Ängste. Sie kann dieses Wissen nutzen, um unsere Beziehung noch inniger zu machen oder um mich bloßzustellen, zu verletzen oder zu verraten.

Außerdem haben wir Angst vor Nähe, weil wir enttäuscht werden könnten. Wenn ich jemandem nicht besonders nahestehe, bin ich nicht am Boden zerstört, wenn der Betreffende mich im Stich lässt, weil ich wahrscheinlich im Stillen sowieso keine hohen Erwartungen an diese Person hatte. Doch wenn ich jemandem nahe sein will, wenn ich mich auf diese Freundschaft verlasse und die Zuneigung oder Liebe dieser Person brauche, würde es mich zutiefst verletzen, wenn sie mich zurückwiese oder im Stich ließe. Ich käme mir wie ein Idiot vor, weil ich dieser Person vertraut habe – so wie Charlie Brown, der in hohem Bogen auf dem Rücken landet, weil er schon wieder darauf vertraut hat, dass Lucy den Football dieses Mal nicht wegziehen wird, wenn er danach tritt.

Nähe kann uns auch das Gefühl geben, bedürftig zu sein – oder schlimmer noch, sie macht unsere Bedürftigkeit sichtbar. Die meisten von uns mögen das nicht. Wir halten uns selbst gern für stark. (Paradoxerweise erfordert gerade die Entscheidung, Nähe zuzulassen – die eigene Schwäche und Bedürftigkeit zu zeigen – große Stärke.)

Viele von uns haben Angst vor Nähe, weil wir tief in unserem Inneren glauben, wir hätten sie nicht verdient. Wir haben Angst, dass unsere Mängel und Schwächen ans Licht kommen und dass es noch mehr schmerzen wird, die Intimität wieder zu verlieren, als sie gar nicht erst zu haben. Jedes Mal, wenn wir jemanden an uns heranlassen, riskieren wir, verletzt oder abgelehnt zu werden. Also versuchen wir, dem ganz aus dem Weg zu gehen.

Ironischerweise sehnen wir uns eigentlich zutiefst nach Nähe. Wir wollen geliebt, gemocht, gefeiert werden und wollen von jemandem so angenommen werden, wie wir sind. Wir sehnen uns nach großartigen Freundschaften. Wir wollen Menschen um uns haben, zu denen wir kommen können, wenn wir in einer Krise stecken. Wir wollen jemanden, dem wir unsere Geheimnisse anvertrauen können. Wir wünschen uns diese Nähe nicht nur, wir wurden dafür erschaffen.

Ganz gleich, ob Sie Mann oder Frau sind, Stimmungskanone oder Mauerblümchen, ob Sie Kopf- oder Gefühlsmensch sind oder ein ganz neuer Typ, den die Soziologie noch nicht kennt, Sie wurden dafür geschaffen, Bindungen mit anderen einzugehen. Sie wurden für Beziehungen geschaffen. Sie wurden für Vertrautheit und Nähe geschaffen.

Das sehen wir jedes Mal, wenn ein Kind auf die Welt kommt, seiner Mutter in die Augen schaut und – wie durch ein Wunder – sich zu ihrer Brust dreht und trinkt. Meine Frau war nie der „Baby-Typ“, aber als sie unser erstes Kind im Arm hielt, sagte sie staunend: „Für dieses Kind würde ich töten.“

„Du meinst wohl, du würdest für sie sterben?“, fragte ich und machte mir etwas Sorgen wegen ihres ausgeprägten Mutterinstinkts.

„Nein, das wäre ja dumm“, erwiderte sie. „Dann wäre ich tot, und jemand anderes bekäme sie. Ich würde für sie töten.“

Vertrautheit und Nähe hat etwas Wildes, das jemand, der auf Distanz bleibt, nie erleben wird. In jedem von uns steckt dieser Hunger danach, angenommen zu werden, der tiefer geht als jeder andere Hunger.

Das sieht man immer dann, wenn zwei Verliebte sich nicht aneinander sattsehen können. Man sieht es bei einem alten Ehepaar, das nirgends hingeht, ohne sich beim Partner einzuhaken. Man sieht es, wenn ein Kind schier platzt, weil es uns unbedingt ein Geheimnis verraten muss. Man sieht es in der Bibel, als Gott Adam ansieht und verkündet: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“, und dann eine Partnerin für ihn erschafft, die „zu ihm passt“.2

Wenn wir diese Nähe erleben, können wir es mit allem aufnehmen, was das Leben uns in den Weg stellt. Ohne vertraute Beziehungen kommen uns sogar unsere größten Errungenschaften bedeutungslos vor. Schließlich macht Erfolg keine Freude, wenn wir niemanden haben, mit dem wir ihn teilen können. Deshalb glaube ich, dass Vertrautheit das Wichtigste ist, wonach wir streben können.

Ich gebe zu, dass es den meisten Menschen schwerer fällt, sich um mehr Nähe zu bemühen, als sich gesünder zu ernähren. Wir können es aber nur ganz bewusst tun. Wir müssen daran arbeiten. Doch es lohnt sich, denn tief in unserem Inneren wissen wir, dass nichts so wichtig ist, wie einem anderen Menschen nahe zu sein. Und Gott nahe zu sein? Da bewegen wir uns noch auf einem ganz anderen Terrain.

Aber wenn wir darüber nachdenken, dass wir eine „enge Beziehung zu Gott“ wollen, kommt es uns manchmal so vor, als wäre das bloß noch eine weitere Verpflichtung in einem ohnehin schon geschäftigen Leben. Schließlich ist es schon schwer genug, die Nähe zu einem Menschen aus Fleisch und Blut zu suchen. Wie soll man da eine enge Beziehung zu jemandem haben, den man nicht einmal sehen kann? Zu einem geistlichen Wesen?

Was wäre, wenn ich Ihnen jetzt sage, dass Gott Sie nicht nur für Vertrautheit geschaffen, sondern sich auch von Anfang an um eine enge Beziehung zu Ihnen bemüht hat?

Nicht lange nachdem Gott beschlossen hatte, „es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“, sehen wir, wie Gott durch den Garten geht und nach Adam und Eva Ausschau hält. Sie waren seine Geschöpfe. Er genoss ihre Gesellschaft und wollte Zeit mit ihnen verbringen. Aber sie hatten sich versteckt. Schließlich rief er: „Wo bist du?“3

Leider hatte die Schlange Eva dazu überredet, vom Baum der Erkenntnis zu essen, und sie hatte Adam von der Frucht abgegeben. Jetzt hatte sich ihre Beziehung zu Gott verändert – die Vertrautheit war zerstört. Zum ersten Mal wurde ihnen bewusst, dass sie nackt waren, und sie schämten sich. Zum ersten Mal fürchteten sie sich davor, von Gott gesehen und erkannt zu werden. Und so versteckten sie sich.

Jetzt kommt der interessante Teil: Gott lässt zu, dass sie sich verstecken – denn Vertrautheit kann nicht erzwungen werden. Gott will keine gefügigen Menschen, er will eine Beziehung. Vertrautheit respektiert Distanz, aber sie gibt sich nicht damit zufrieden. Vertrautheit ruft: „Wo bist du?“, genau wie Gott damals im Garten. Und aus seinem Verlangen nach einer engen Beziehung zu uns stellt Gott eben diese Frage seither immer wieder.

Gott will, dass Sie und ich an seinem Tisch sitzen. Jesus sagt: „Merkst du nicht, dass ich vor der Tür stehe und anklopfe? Wer meine Stimme hört und mir öffnet, zu dem werde ich hineingehen, und wir werden miteinander essen – ich mit ihm und er mit mir.“4

Johannes, der enge Freund von Jesus, schrieb diese Worte nieder, als er schon sehr alt war. Er konnte sich bestimmt an tausend gemeinsame Mahlzeiten mit Jesus erinnern und benutzte dieses Bild der Tischgemeinschaft, um eine Erfahrung zu beschreiben, die auch Sie und ich machen können. Wenn ich an Liebe denke, wenn ich an Nähe denke, dann denke ich an eine Tischrunde – genau wie Jesus.

Es ist ohne Frage ein Mysterium, weshalb Gott uns zu einer engen Beziehung mit sich einlädt. Aber wie ist diese möglich? Könnte es sein, dass Gott schon die ganze Zeit zu uns spricht und wir ihn auch hören, aber nicht wussten, dass es seine Stimme war? Könnte es sein, dass wir Gott näherkommen, ohne uns dessen bewusst zu sein? Ich glaube schon. Ich glaube, dass Gott unsere Beziehungen zu anderen Menschen benutzt, um uns zu zeigen, wie wir ihn lieben können. Je mehr wir in anderen Beziehungen nach Vertrautheit suchen, desto mehr verstehen wir Gottes unglaubliche, verwegene Liebe zu uns.

Aber ich will nicht zu weit vorgreifen. Sprechen wir zunächst einmal darüber, was ich auf meiner Hochzeitsreise über Vertrautheit und Intimität gelernt habe.

Kapitel 2Bestandsaufnahme

Was Vertrautheit nicht ist

Jedes Kind hat einen „emotionalen Tank“, der nur darauf wartet, mit Liebe gefüllt zu werden.

Dr. Ross Campbell

In den Anfangstagen der Modell-T-Serie (auch „Blechliesel“ genannt) beschloss Henry Ford, Kosten zu sparen, indem er auf die Tankanzeige verzichtete. Das führte jedoch dazu, dass immer wieder Autos liegen blieben. Einige Autofahrer malten sich daraufhin eine Skala auf einen Stock, den sie in den Benzintank steckten, um zu sehen, wie viel Benzin noch vorhanden war. Selbst heute noch findet man in Internetforen endlose Diskussionen von Modell-T-Besitzern über Messstäbe für den Benzinstand.1

Es wäre schön, wenn die Menschen eine Art „Intimitätsanzeige“ auf der Stirn hätten, damit man sehen kann, wie voll ihr emotionaler Tank ist. Aber das haben sie nicht. Schlimmer noch, wir irren uns in dieser Hinsicht oft, da auch wir falsche Vorstellungen davon haben, was Vertrautheit überhaupt ist. In diesem Kapitel werden wir einigen Mythen über Intimität und Vertrautheit auf den Grund gehen und ein paar Fragen aufwerfen, die es Ihnen ermöglichen sollen festzustellen, wie hoch Ihr eigener IQ (Intimitätsquotient) ist.

Mythos Nr. 1: Vertrautheit sollte einfach sein