Ich, meine Freundin und ihre Familie - Ursula Weidenfeld - E-Book

Ich, meine Freundin und ihre Familie E-Book

Ursula Weidenfeld

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Beschreibung

Antworten, die das Verhältnis von Eltern und Kindern betreffen in den unterschiedlichen Lebensphasen: Die Familie ist die Heimat des Satzes "Das tut man nicht". Hier wird er am häufigsten ausgesprochen: wenn es um Manieren geht, um Sexualmoral, um Erziehung. Eltern fragen, wie sie sich gegenüber den eigenen Eltern, den Kindern, den Freunden, Lehrern und den Ex-Partnern angemessen verhalten. Jugendliche schlagen sich mit der Frage herum, ob sie bei der Mutter ausziehen können. Hier antworten u.a. Inge Jens, Paul Nolte, Klaus Mertes; Martin Sass, Lucie Panzer. Und Ursula Weidenfeld und Margaret Heckel ziehen die Quintessenz.

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Seitenzahl: 201

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Margaret Heckel

Ursula Weidenfeld

Ich, meine Freundinund ihre Familie

www.das-tut-man-nicht.de

KREUZ

© KREUZ VERLAG in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-7831-8151-7

ISBN (Buch) ISBN 978-3-7831-8045-9

Einleitung

Vor einigen Monaten stellte ich die Webseite »Das tut man nicht.de« in einem Kreis gut situierter, gebildeter Damen der Berliner Gesellschaft vor. Die Damenrunde war lustig, schon fast ein bisschen heiter, als ich über »Das tut man nicht« und sein Anliegen sprach. »Wir wollen für Menschen in ethischen Dilemma-Situationen Anregungen und Hinweise finden, wie man sich richtig verhält«, sagte ich – und war mir eigentlich ganz sicher, damit auf das Wohlwollen der Runde zu stoßen. Doch die Stimmung kippte sofort. Eine bekannte, ältere Künstlerin war regelrecht empört: »Wie könnt ihr so leichtfertig das zunichtemachen, wofür ich und meine Generation unser ganzes Leben lang gekämpft haben: die Freiheit, sich zu entscheiden?« Fassungslos argumentierte sie, es könne doch nicht sein, dass man sich jahrzehntelang gegen die Verhaltensklischees der Großeltern und Eltern gewehrt habe, um sich nun von den Jüngeren genau damit wieder konfrontieren zu lassen. »Die Mottenkiste bleibt zu!«, rief sie aus und verließ wütend das Haus.

Ich war ziemlich verblüfft und erschrocken. Vielleicht war es ja naiv anzunehmen, dass viele Menschen versuchen, das Richtige zu tun – und nur zu oft nicht wissen, was das Richtige ist. Vielleicht war es auch anmaßend, im 21. Jahrhundert nach den Leitplanken zu suchen, die das Leben in unserem Land, in unseren Vereinen, in unseren Familien in einigermaßen geordneten Bahnen verlaufen lassen. Und vielleicht, schlimmer noch, sitzen die Nachgeborenen der 68er Generation wieder auf einem hohen Ross, konstatieren Moralmangel, und läuten damit reaktionäre Zeiten ein?

Wenn es aber richtig ist, dass Zusammenleben mehr fordert als die Einhaltung von Recht und Gesetz, muss es auch erlaubt sein, wieder einmal über die informellen Verabredungen nachzudenken, die unsere Gesellschaft prägen. Eine Mottenkiste wird nur dann daraus, wenn niemand mehr danach schaut, welche Konventionen eigentlich noch gültig sind, was sich überlebt hat, und was zu Recht heute in einem anderen Licht betrachtet werden muss. Wenn man nicht mehr lüftet und die alten Gewissheiten begraben bleiben, fressen die Motten zu Recht zuerst Löcher in das alte Gewand, bis es dann zerstört und total unbrauchbar ist.

Jede Gesellschaft, jede Gemeinschaft und jede Familie braucht Regeln, an die sie sich hält. Ohne Absprachen darüber, was man tut und das, was man nicht tut, kann eine Gesellschaft auf die Dauer nicht funktionieren. Klar: Das sind Regeln, die die Freiheit des Einzelnen einschränken. Es sind Konventionen, die sich auch zur Last auswachsen können. Doch unkonventionelles Verhalten kann es nur dann geben, wenn ein allgemeiner Ordnungsrahmen existiert, der von der Mehrheit angenommen wird. Ein Kind kann sich nur dann gegen seine Eltern auflehnen und die Regeln des Elternhauses infrage stellen, wenn es weiß, wogegen es eigentlich opponiert. Ein Regelbrecher kann nur dann Aufsehen erregen und die Entwicklung einer Gruppe vorantreiben, wenn es diese Konventionen gibt und wenn sie weithin akzeptiert sind. Selbst eine Künstlerin lebt davon, dass es Regeln für Schönheit, die Wahrnehmung und Wertschätzung von Kreativität gibt. Indem sie diese Regeln verletzt oder bekämpft, gelingt es ihr möglicherweise, ihr eigenes Profil innerhalb der Kunstszene zu schärfen. Doch gelingt das doch nur, weil die anderen eben diese Vereinbarungen zuerst einmal für gut befunden haben.

Regeln kommen nicht zufällig zustande. Sie entspringen dem Bedürfnis des Einzelnen und einer Gruppe nach Ordnung und Sicherheit. Man will eben nichts falsch machen. Verhaltenscodes geben diese Sicherheit: Wer weiß, was »dunkler Anzug« auf einer Einladung bedeutet, blamiert sich nicht mit einem legeren Leinenjackett. Wer seine Kinder zu Höflichkeit und Zurückhaltung ermahnt, muss sich nicht mehr vor jeder »Friends-and-Family«-Party in der Firma fürchten. Wer in seiner eigenen Familie Rücksicht auf die Bedürfnisse der anderen zu nehmen lernt, hat vielleicht bessere Chancen, dass die eigene Ehe später hält.

Früher waren es die Kirchen, Religionsgemeinschaften, Philosophen und Lehrer und manchmal die Nachbarin oder die Großmutter, die das Richtig und das Falsch geprägt, vermittelt und weitergegeben haben. Heute haben sich diese Instanzen teilweise aus der Debatte abgemeldet, teilweise haben sie sich überlebt, und teilweise haben sie sich so diskreditiert, dass sie allenfalls noch für die eigenen Leute die Messlatte anlegen können: Alles ist erlaubt. Und in der düsteren Mottenkiste verrotten Auffassungen wie diese: »Die Ehe ist ein Versprechen in guten und in schlechten Tagen«, »Man sorgt für seine alten Eltern«, »Einem anderen die Freundin wegnehmen – das tut man nicht.«

Nur, dass die Fragen dummerweise nicht gleich mit den Antworten verschwunden sind. »Tut man das?«, fragt sich die gut verdienende Berufstätige, nachdem eine Freundin sie gefragt hat, ob sie bei ihr im Haushalt (schwarz)arbeiten kann. »Kann ich meine demenzkranke Mutter in einem Heim unterbringen, auch wenn ich ihr immer versprochen habe, es nicht zu tun?«, will eine von der Sorge um ihre Mutter zermürbte Frau wissen. »Mein (zweiter) Mann ist ungerecht zu meiner Tochter aus erster Ehe. Wem schulde ich Loyalität?«, quält sich ein Mitglied der viel gerühmten, inzwischen fast schon normalen Patchworkfamilie.

Es gibt sie also, die Fragen zu Moral, Anstand und ordentlichem Verhalten. Es sind nicht immer die ganz großen ethischen Dilemmata, die Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler seit Jahrhunderten umtreiben, die bei uns landen. Manchmal sind es Alltäglichkeiten, hinter denen niemand – außer dem Betroffenen selbst – einen Wertekonflikt vermuten würde. Manchmal geht es um Benimmfragen. Doch in all diesen Dimensionen wird eines deutlich: Die Familie ist nach wie vor eines der lebendigsten Gebilde, in dem Werte immer wieder zur Disposition gestellt, verteidigt und erneuert werden.

Während der Arbeit an unserer Homepage hat es uns immer wieder verblüfft, dass viele der Fragen, die bei uns landen, für Dritte gestellt werden. Etwa nach dem Motto: »Ich habe eine Freundin, die hat eine Schwiegermutter, und die ist gemein zu ihr.« Wir sind nicht sicher, ob es tatsächlich immer die Freundin ist, die das Problem hat. Aber vielen gelingt es einfach besser, sich mit ihrem Dilemma auseinanderzusetzen, wenn sie es ein bisschen von sich wegrücken. Was würde ich tun, wenn meine Freundin das Problem hätte? Wozu würde ich ihr raten? Manche Dinge scheinen einfacher und klarer zu werden, wenn man sie nicht direkt mit der eigenen Person verknüpft. Sie werden ein wenig weg losgelöst von den eigenen Verletzungen und Befangenheiten. Und sie lassen sich leichter unter der, in ethischen Sachen so entscheidenden Frage »Wie wäre es, wenn alle so handelten?« fassen. Deshalb haben wir uns gerne darauf eingelassen, und deshalb heißen unsere Bücher auch, »Ich, meine Freundin und ihre Familie« und »Ich, mein Kollege und sein Job«. Diese Titelwahl weist noch auf etwas anderes hin, das uns wichtig ist: Es gibt sie ja nach wie vor, diese Netzwerke, Freundschaften und Familien, die sich Gedanken machen über das, was man tut. Die meisten von ihnen funktionieren wunderbar. Hier werden ethische Fragen aufgeworfen und diskutiert. Hier werden auch viele von ihnen beantwortet. Nur dass die Antworten auf diese Fragen in der Regel lediglich auf diesen kleinen Kreis angewendet werden. – Von gesellschaftlichen Normen sind sie schon aufgrund ihrer Vielfältigkeit weit entfernt. Wir würden sie aber gerne breiter diskutieren und so vielleicht auch Antworten finden, die allgemein akzeptiert werden können; sich also nicht nur auf einen kleinen Kreis von Menschen beschränken.

Und was ist mit den Antworten? Gibt es überhaupt noch gültige Antworten? Die gute Nachricht ist: Es gibt viele Menschen, die bereits in ähnlichen Situationen waren und Antworten für sich gefunden haben. Die schlechte: Es gibt nur sehr wenige allgemeingültige Prinzipien, denen man einfach nur folgen muss, um alles richtig zu machen. Das ist also dieses Buch: ein Angebot, über Fragen des modernen Familienlebens nachzudenken und eine Haltung dazu zu finden oder die eigene Haltung bestätigt zu finden. Wenn Sie es gelesen haben, werden Sie immer noch nicht letztgültig wissen, was »man« tut, und was »man« nicht tut. Aber wenn es gelungen ist, werden die moralischen »Leitplanken« wieder sichtbar, in denen sich das Familienleben anständig abspielen kann.

Das vorliegende Buch hat 13 Kapitel, die sich im Wesentlichen am Lebenslauf einer Familie orientieren. Es beginnt mit der Liebe, dem Zusammenleben und dem ersten Kind. Dann folgen die Fragen, die sich um Erziehung, Schule, Grenzen und das Familienleben drehen. Die Großeltern bekommen ein eigenes (kurzes) Kapitel. Danach soll über das Alter diskutiert werden, und über die Frage, wie Familien mit ihren Alten umgehen, wie das eigene Alter erlebt wird. Ein trauriger, aber dennoch unverzichtbarer Abschnitt über das Sterben folgt. Das sind die klassischen Bereiche des Familienlebens, zu denen die Das-tut-man-nicht-Mottenkiste immer noch einiges hergibt, das bedenkens- und bewahrenswert ist. Anders sieht das mit den Extrakapiteln aus: Wie gehen Familien mit Geld um? Gibt es ethische Grundsätze für Familien, die auseinandergebrochen sind und sich in anderen Konstellationen neu finden? Was ist mit dem Bedürfnis nach einer Auszeit von all den Pflichten und Regeln, die uns täglich umgeben? Und schließlich: Warum haben wir eigentlich Freunde? Wie gehen wir mit ihnen um?

I. Zusammen leben – Was geht und was nicht geht

Kaum ist man zusammen, zerkrümelt das kraftvolle »Wir schaffen das gemeinsam!« gelegentlich zu einem »Ich mache es so, und Du machst es anders.« Wie aber geht man mit den unterschiedlichen Wertvorstellungen um, die sich bald bemerkbar machen? Darf man beim Bügeln des zehnten zerknitterten Hemdes wenigstens Mordgedanken pflegen, wenn man schon nicht zur Tat schreiten wird? Außerdem wird der Publizist Michel Friedmann die Frage beantworten, ob Eifersucht in einer Beziehung gerechtfertigt ist oder nicht.

II. Liebe und Hochzeit – Die Karten werden neu gemischt

Wenn sich ein Paar zur Hochzeit entschließt, ist das im Allgemeinen ein Grund zur Freude und zur Zuversicht. Hier gibt es eine Menge Traditionen und Regeln, die auch heute noch gern und ausgiebig befolgt werden. Das Hochzeitsfest genauso wie die traditionelle Trauung: Kirche, weißes Kleid, großes Fest. Doch was gilt davon noch? Müssen sich die Brautleute in die Gästeliste hineinpfuschen lassen? Was ist mit den Eltern und Schwiegereltern? Das Gründen einer neuen Familie ist auch der Abschied von der alten – mit allen Tücken, die dieser Abschied so mit sich bringt. Die Regeln und Konventionen der beiden beteiligten Familien wirken in die Ehe hinein. Ein weites Feld für »Das-tut-man-nicht-Fragen« tut sich auf, in dem natürlich das trotzige »Wir machen das aber so!« nicht fehlen darf.

III. Ein Kind – Und dann?

Machen Kinder wirklich glücklich? Viele junge Paare sind sich da nicht so sicher. Sie verzichten darauf, Eltern zu werden und machen lieber Karriere. Geht auch beides? Die Glücksforscher haben dazu ihre eigenen Antworten gefunden. Sie sagen, dass zufriedene Menschen nicht unglücklicher werden, wenn sie sich für Kinder entscheiden. Unzufriedene Menschen dagegen werden durch ein Kind nicht von ihrem Missgefühl geheilt. Doch um das schiere Glück kann es hier nicht gehen. Die Ängste einer Mutter vor einem weiteren behinderten Kind spielen in diesem Kapitel eine entscheidende Rolle. Und das Dilemma einer Freundin dieser Mutter, die nicht weiß, was sie ihr raten darf. Der Philosoph Hans-Martin Sass hat darauf eine sehr bedenkenswerte Antwort gefunden.

IV. Erzieht Eure Kinder ordentlich – Und was, bitte, ist ordentlich?

Erziehungsratgeber gibt es massenweise, und sie werden auch dringend gebraucht. Doch Andreas Angst vor dem Sommer hat eine andere Qualität. Sie fürchtet die Zeit, in der die kleine Lena von nebenan wieder die Kontrolle übernimmt. Ihre kleine Tochter, Lara, kann sich gegen das Mobbing im Sandkasten allein nicht wehren. Andrea plagt sich mit dem Gedanken, ob sie einfach den Umgang mit der gemeinen Freundin verbieten darf. Aber: Darf man seinen Kindern die falschen Freunde entfremden? Und generell: Darf man sich überhaupt in die Kindererziehung der anderen einmischen? Eine erfahrene Großmutter, Ingrid Biedenkopf, beantwortet diese Frage auf ihre eigene Weise.

V. Wozu braucht ein Kind Grenzen – Braucht es überhaupt welche?

Natürlich brauchen Kinder Grenzen – nur, wo die liegen sollen, ist nicht so sicher. Müssen Vater und Mutter dieselben Grundsätze vertreten? Dürfen sich Kinder alles wünschen? Hubert ist der Kragen geplatzt, als er den Weihnachtswunschzettel seiner Kinder zu Gesicht bekam. Er will den Kindern diesmal einfach gar nichts schenken und Weihnachten ausfallen lassen. Darf er das denn? Bärbel Schäfer beantwortet außerdem die Frage der kleinen Katharina: Darf man sich überhaupt noch etwas wünschen?

VI. Das Kind, die Schule und ich – Wie sich Eltern durch die Schullaufbahn ihrer Kinder lernen

Kaum geht das Kind zur Schule, wird es auf einmal von Dritten bewertet, verglichen und einsortiert. Für viele Eltern ist schon das eine Zumutung. Wenn dann aber auch noch die Noten zu wünschen übrig lassen, gehen einige aufs Ganze: Was ist erlaubt, was ist verboten, wenn es darum geht, dass die eigenen Kinder die Schule schaffen? Lukas’ Eltern entscheiden sich für Nachhilfe, damit der Junge das Abitur gut schafft – beim Fachlehrer, um ganz sicherzugehen, dass der Junge zielgenau präpariert wird. Ist das ethisch vertretbar? Nicht nur Lukas hat da so seine Zweifel.

VII. Außer Konkurrenz – Die Großeltern

Bei Oma und Opa gelten viele Dinge nicht, die zu Hause üblich sind. Großeltern haben das Recht, ihre Enkel zu verwöhnen. Und sie tun es auch nach Kräften. Allerdings: Je älter die Enkel werden, desto klarer stellen sie fest, dass Oma und Opa auch altmodisch sind. Sie wollen zum Beispiel keine Computerspiele schenken. Sollten sie aber! Warum das so ist, wird in Kapitel sieben beantwortet.

VIII. Wenn die Eltern alt werden – Wer will schon ins Heim?

Wer die ethischen Fragen, die sich an das Familienleben knüpfen, bis hierher ernst genommen hat, den erwartet in diesem Kapitel tatsächlich schwere Kost. Viele Familien werden nicht gut damit fertig, wenn die Oma oder der Opa nicht mehr als die selbstbewussten und fröhlichen Senioren in Erscheinung treten, als die sie sich uns im Großelternkapitel präsentiert haben. Sie quälen sich mit der Verantwortung, reiben sich in der Pflege auf, und glauben am Ende doch versagt zu haben, wenn sie ihre alten Eltern in ein Pflegeheim geben. Ist das richtig? Oder kann man auch ein gutes Gewissen haben, wenn man die Pflege der Eltern nicht selbst übernehmen kann oder will? Inge Jens haben wir zu diesem Thema befragt: Sie pflegt ihren an Demenz erkrankten Mann und hat eine ganz eigene Meinung über die Verantwortung, die gegenüber dem anderen besteht.

IX. Sterben – Wie können wir darüber reden?

Der eigene Tod und das Begräbnis – vor allem ältere Menschen beschäftigen sich mehr damit, als sie offen zugeben. Noch dramatischer aber ist es, wenn junge Menschen sterben müssen. Peter zum Beispiel. Er ist unheilbar krank, doch seinen Eltern will er das nicht offenbaren. Er hat Angst davor, sie trösten, ihre Verzweiflung ertragen zu müssen. Ist es in Ordnung, die alten Eltern erst einmal zu schonen?

X. Die Familie und das Geld – Wie gut verstehen wir uns wirklich?

Wenn jemand über eine Familie sagt, dass sich alle gut verstehen und miteinander zurechtkommen, dann hat es vermutlich noch keinen Erbfall gegeben. Am Umgang mit dem Geld zeigt sich, ob und wie gut eine Familie tatsächlich miteinander auskommt. Bei Christine und Joachim hat das Thema eine besonders pikante Note: Christines Eltern haben der jungen Familie mit ihren drei Kindern eine Menge Geld geschenkt. Aber nicht Christine und Joachim dürfen darüber verfügen. Das Geld gehört den drei Enkeln. Dürfen sie das Geld von den Kleinkindern borgen, um ein neues Familienauto zu kaufen? – Die evangelische Pfarrerin Lucie Panzer rät davon energisch ab, aber wie sehen das andere?

XI. Patchworkfamilien – Wie es drinnen aussieht, geht keinen was an!

Wenn Familien einmal auseinandergegangen sind und sich neu finden, versagen die Konventionen. Klar, auch Kinder aus Trennungsfamilien brauchen Grenzen – aber welche? Hier geht es nicht mehr um ein Team, das sich einigen will. Hier ist gelegentlich eine ganze Mannschaft involviert, die die neuen Regeln verhandelt – beziehungsweise verhandeln sollte. Und das, obwohl meist noch ein paar Rechnungen mit der ersten Familie offen sind. Wenn der Stiefvater den eigenen Kindern gegenüber großzügig ist, die neue Tochter aber streng erziehen will, gerät die leibliche Mutter schnell in ein kaum lösbares Dilemma: Wem schuldet sie mehr Loyalität, der Tochter oder dem neuen Partner? Auch liegt die Versuchung nach einer Trennung nahe, sich wenigstens am ersten Mann schadlos zu halten und ein paar Jahre zusätzlich Unterhalt herauszuschlagen. Menschlich verständlich, ethisch bedenklich, urteilt die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

XII. Auszeit – Die Freizeit nehm’ ich mir!

Manchmal wird alles zu viel – man will einfach nur noch raus. Ist es selbstsüchtig, wenn man die Familie für eine Auszeit verlässt? Darf man einfach mal nur an sich selbst denken? Und was ist, wenn der Partner sich den gemeinsamen Urlaub nicht leisten kann? Darf man dann trotzdem wegfliegen, ohne ihn? Was hier geht und was nicht, damit beschäftigt sich dieses Kapitel. Und Doris Dörrie schreibt darüber, wie sie ganz persönlich ihre Pausen verbringt und warum diese so wichtig sind.

XIII. Freunde – Wo sind hier die Grenzen?

Das Schönste zum Schluss. Denn was gibt es Schöneres, als Freunde zu haben? Freunde sind längst an die Stelle der Großfamilie getreten. Das Gute daran: Im Gegensatz zu Geschwistern, Onkeln und Tanten kann man sie frei wählen. Eine Freiheit, die gelegentlich an ethische Grenzen stößt. Was soll man tun, wenn sich der andere plötzlich verletzend verhält? Oder der Freund von einem verlangt, die Versicherung zu betrügen, obwohl man das selbst nicht tun möchte? Zum Schluss steht die kontroverse Antwort von Alice Schwarzer auf die Frage: Darf ich meine Freundin bei mir zu Hause schwarzarbeiten lassen?

I. Zusammen leben – Was geht und was nicht geht

Sarah, eine Freundin von uns, hat einmal auf die Klage einer anderen Freundin, Maria, sie müsse zu Hause immer bügeln, ihr Mann dagegen rühre keinen Finger im Haushalt, gesagt: »Wer sich schon über die Bügelwäsche zerstreitet, der sollte gar nicht erst heiraten.« Das stimmt einerseits. Wer die Alltagskonflikte nicht bewältigt, der wird bei den großen Ärgernissen möglicherweise auch die Segel streichen müssen. Andererseits haben die kleinen Dauerbaustellen in Beziehungen natürlich einen Sinn. Hier kann man sich prima abarbeiten, ohne die Grundsatzfragen stellen zu müssen: Passen wir zusammen? Wollen wir weiter zusammen leben? – Und man kann auch Dinge tun, weil man sie für den anderen tut. Sich gegenseitig zu helfen, Dinge zu erledigen, die der andere nicht gut kann: Das kann Beziehungen nicht nur zermürben, es hält sie auch zusammen. Wie Maria davon genervt war, an jedem Wochenende die gesamte Bügelwäsche am Hals zu haben, hat sich ihr Mann darüber aufgeregt, in jedem Jahr wieder die Steuererklärung, den Reifenwechsel und das Rasenmähen für beide erledigen zu müssen.

Nachdem wir uns darüber unterhalten – und natürlich auch Ratschläge erteilt – hatten, sagte Maria auf einmal: »Wenn ich das schon machen muss, was ich ja jetzt einsehe, darf ich wenigstens dabei innerlich fluchen? Ich meine, das schadet ihm doch nicht.« Wir waren unsicher. Sind hässliche Gedanken über andere schlimm? Sarah argumentierte, Mordfantasien seien moralisch fast genauso schlimm wie ein Mord. Der einzige Unterschied liege doch darin, dass man für die Gedanken nicht verurteilt werden könne. Ja, »und dass durch die Gedanken allein überhaupt kein Schaden entsteht«, hielt Maria dagegen. »Er weiß es nicht, ich tue es nicht, es tut ihm nicht weh, und es schadet ihm nicht. Also?«

Wir erinnerten uns an eine Geschichte, die einmal im Zeit-Magazin verhandelt wurde. Es ging darin um einen Vater, der mit seinem Kind – das sich unbestritten unmöglich benahm – an der Käsetheke eines Gourmetkaufhauses wartete. Das Kind war die reinste Plage, auch für den Vater. Doch als sich eine Kundin umdrehte und dem schrecklichen Kind eine Ohrfeige verpasste, knallte der Vater ihr auch eine. Anschließend hatte er Gewissensbisse und fragte im Zeit-Magazin, ob sein Hieb in dieser Situation gerechtfertigt gewesen sei. Er bekam die Absolution für seine Handlung. Um ganz ehrlich zu sein, hatten wir die Frage im Freundeskreis sehr unterschiedlich bewertet. Einige gestanden, dass auch sie samstags öfter mal Mordgedanken hegten, wenn sie beim Wochenendeinkauf auf Eltern mit ihrer unmöglichen Brut treffen. Andere sagten: »Ja, denken kann man das schon. Aber ihr tut es ja nicht. Das ist der Unterschied!«

Sind also hässliche Gedanken im Angesicht ewig knittriger Hemden oder tobender Kleinkinder erlaubt? Der radikale Moralist sagt: Nein. Es ist unmoralisch, sich beim Bügeln schreckliche Dinge auszumalen, die man dem Partner antun will. Auch dann, wenn man nicht im Traum daran denken würde, sie auszuführen. Der US-Ethiker Joshua Halberstam sagt, dass der Charakter, die Grundhaltung, darüber entscheiden, ob man ein moralischer Mensch ist. Steht man also mit der Grundhaltung am Bügelbrett, dass man schon wieder ein Businesshemd für den trägen Versager im Wohnzimmer bügeln muss, lässt sich das nicht damit entschuldigen, dass man ihm ja nie sagen würde, dass es bei seiner beruflichen Entwicklung auch eine bügelfreie Jogginghose tun würde. Auch fiese Gedanken sind unmoralisch, wie man es auch dreht und wendet.

Eine ausweglose Situation also? Nicht unbedingt. Die Glücksforscher weisen uns darauf hin, dass wir unsere Haltung zum Leben und zu unseren Mitmenschen sehr wohl ändern können. Wenn wir es schaffen, den Versager auf dem Sofa als liebenswerten Partner zu begreifen, der unsere Steuererklärung erledigt und zuverlässig Wintergegen Sommerreifen tauscht, ändert sich auch unsere Haltung ihm gegenüber. Wahrscheinlich würde unsere Freundin Maria dann immer noch nicht gern bügeln, aber vielleicht wäre sie in der Lage, das Hemdenbügeln als ihren Teil der Pflichten in einer Beziehung zu begreifen.

Wie man seine Haltung ändern kann, hat der britische Sender BBC im Jahr 2005 in einem groß angelegten Experiment erforscht: Es gibt keine langweiligere und trostlosere Stadt in ganz England als Slough, eine Schlafstadt im Großraum Londons. Alle Meinungsumfragen ergaben, dass die Menschen von Slough dazu noch die unglücklichsten im ganzen Land sind. Sie schleppen sich zur Arbeit, kommen abends müde zurück. Sie haben keine Lust, noch eine Runde zu joggen, sich mit den Nachbarn zu treffen oder sich irgendwie für die Allgemeinheit zu engagieren. Lieber sitzen sie vor dem Fernseher. Slough ist der Inbegriff der Langeweile. Deshalb hat sich die BBC diese Stadt ausgesucht. Unter dem Titel »Making Slough happy« haben der Sender, Glücksforscher, bürgerschaftlich Engagierte und die Stadt versucht, die Menschen dort glücklicher zu machen. Es ist – zumindest vorübergehend – gelungen. Die Truppe hat den Bürgern von Slough geholfen, ihre Haltung zu verändern. Eine von den vielen Übungen für die Teilnehmer des Programms war, sich jeden Abend vor dem Einschlafen fünf Dinge in ihrem Leben vor Augen zu führen, für die sie dankbar sind. Andere Aufgaben waren, jeden Tag jemandem zuzulächeln, den man nicht kennt, ein Mal im Jahr etwas zu pflanzen (und es am Leben zu halten), ein Mal in der Woche eine Stunde lang ungestört mit dem Partner zu reden oder Sport zu treiben. Das Ergebnis: Am Ende des Experiments ging es den Bürgern von Slough besser. Natürlich ging die Sache am Ende nicht gut aus. Nach dem Ende des Experiments schauten die Leute eben doch lieber wieder fern, als Sport zu treiben oder sich mit dem Partner zu unterhalten. Dennoch werteten die Glücksforscher den Versuch als Erfolg: Menschen werden glücklicher, wenn sie die Haltung zu ihrem Leben ändern.

Insofern gibt es auch einen Weg für die Frau, die ihren Mann beim Bügeln hasst, oder das Kind an der Käsetheke abscheulich findet: Sie entkommt zwar dem Problem nicht, dass mordlustige Gedanken ethisch verwerflich sind. Aber sie muss sie nicht mehr denken.

Er will nicht, dass ich meinen alten Freund treffe

Eifersucht ist eine der Eigenschaften, die eine Beziehung belasten und sogar gefährden können. Anfangs findet man die Eifersucht des anderen gar nicht so schlimm. Es ist doch schön, wenn der Partner einen aufmerksam umgibt. Manchmal hebt es ja auch das Selbstwertgefühl, wenn der andere denkt, man werde auch von anderen begehrt und umschwärmt. Man kokettiert vielleicht auch ein bisschen damit, dass man auch andere haben könnte – das steigert in den Augen des Eifersüchtigen sogar den Wert der neuen Liebe. Er hat Glück gehabt, jetzt muss er das Glück bewachen. Die negativen Seiten der Eifersucht treten erst später deutlich hervor: Der Partner möchte Exklusivität, nicht nur in der Liebesbeziehung. Er beschränkt die Freiheit des anderen, um seine eigene auszudehnen. Um Eifersucht dreht es sich auch in der Frage von Astrid, die Michel Friedman für uns beantwortet hat.

?«Mein Mann leidet sehr unter meiner Freundschaft zu einer früheren Liebe. Er findet, ich müsse mich endgültig für ihn entscheiden und den Kontakt abbrechen. Hat er Recht?«

!Michel Friedman: