Ich morde heute zehn nach zwölf - Steffen Mohr - E-Book

Ich morde heute zehn nach zwölf E-Book

Steffen Mohr

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Beschreibung

Der junge, fortschrittliche Kaplan Berger erfährt im Beichtstuhl von einem geplanten Mord und kann den gerade aus der Haft Entlassenen nicht von seinem Vorsatz abbringen. Was soll er tun? Er kann doch das Beichtgeheimnis nicht brechen. Da er Zeitpunkt und Ort kennt, begibt er sich an den künftigen Tatort. Aber es ist schon zu spät. Bei der Vernehmung durch die Kriminalpolizei schweigt er natürlich. Wie kann er nur den Täter seiner gerechten Strafe zuführen, ohne das Beichtgeheimnis zu verletzen? LESEPROBE: „Voreilige Schlüsse“, sagte Merks, „dachte ich, hätten Sie längst überwunden. Sonst hätte ich Ihre Beförderung nicht bewilligt.“ Merks benutzte nun selbst das „Sie“. Und Zenker ließ sich daraufhin auf dem Sessel nieder, in dem bis vor kurzem Kaplan Berger gesessen hatte. Friedlich wie ein Soldat vor dem Posten, der seine Ausgangskarte kontrolliert. „Fünf Minuten vor zwölf“, las der Hauptmann vor, traf ich in der Gaststätte ‚Goldener Krug‘ ein. An der Theke kaufte ich Zigaretten, obwohl ich Nichtraucher bin. Als Erklärung dafür gebe ich an, dass ich für Besucher manchmal Rauchware dahaben muss. Danach unternahm ich einen kurzen Waldspaziergang, aber entfernte mich nicht weit von der Gaststätte. Nach Gaststättenschluss, den ich durch das Lärmen der hinausgehenden Leute bemerkte, befand ich mich hinter dem Objekt. Es war fast völlig dunkel, weil man in der Schankstube das Licht gelöscht hatte. Der Mond war mit Wolken bedeckt. Ich fühlte, dass ich nicht allein sein konnte, denn ich hörte Geräusche. Diese Geräusche möchte ich als ein unnatürliches Knistern von Zweigen bezeichnen, wie wenn jemand vorsichtig im Unterholz auftritt. Deshalb versteckte ich mich hinter einem Baumstamm. Kurz darauf hörte ich einen erstickten Schrei und irgendetwas auf die Erde plumpsen. Ich lief in das Gehölz, das sich schräg hinter mir befand. Vorher oder in diesem Augenblick beschien der Mond wieder die Umgebung. Neben einem Gebüsch fand ich ...

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Seitenzahl: 52

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Impressum

Steffen Mohr

Ich morde heute zehn nach zwölf

Kriminalerzählung

ISBN 978-3-95655-390-5 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Das Buch erschien erstmals 1980 im Verlag Das Neue Berlin (Heft 206 der Blaulicht-Reihe).

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Ich morde heute zehn nach zwölf

O Herr, lass mich durchhalten, dachte der für einen Kaplan vielleicht zu gut gewachsene und mit einem zu schönen Gesicht begabte junge Mann. Natürlich kam ihm sein Aussehen, die braunen Augen zum Beispiel und das, rotblonde an Tippy Honnigans Wuschelkrause erinnernde Haar, gerade in einer Großstadtgemeinde zugute. Wusste man doch, dass die Jugend von Popstars wie Honnigan und Konsorten schwärmte. O Herr, barmte er innerlich, aber auf seinen Gesichtszügen malte sich nichts weiter als unbeschwerte Freundlichkeit. Im Miniradio lief mit angemessener Lautstarke das Pokalspiel Erfurt gegen Jena, das Kaplan Berger langweilte.

Der große Zeiger der Sakristeiuhr klickte und zog langsam auf fünf. Flüchtig sah der junge Priester auf die Uhr, die über dem kleinen römischen Kreuz hing. Dann schaltete er das Radio aus, versteckte es in der untersten Lade des Paramentenschranks und streifte sich den glänzend schwarzen Talar über Pulli und Jeans.

Nun ähnelte Kaplan Berger doch einer geistlichen Person. Von der Krause abgesehen, glich er fast aufs Haar einer der milden Heiligengestalten auf den großen bunten Bildern des Fräulein Klepzig. Zu ihrem Ärger waren diese bonbonsüßen Darstellungen heiliger Männer und Frauen vor einem Dutzend Jahren aus der Kirche entfernt und durch, wie sie unentwegt mäkelte, „hässliche moderne Fratzen“ ersetzt worden. Seitdem lehnten sie nebeneinander an der dem Fenster gegenüberliegenden Wand des Wäschebodens. Die gute Pfarrhaushälterin vergaß bei keiner großen Wäsche, auf ihrer Ausstellung Staub zu wischen.

Das alles wusste der Kaplan. Es interessierte ihn ebenso stark, wie ihn weibliche Wesen überhaupt interessierten. Lutz Berger hatte sich, eigentlich bereits ab seinem fünfzehnten Lebensjahr, den Idealen seines Berufes verschrieben. Dazu passte nun einmal keine Frau, war sie nun reizvoll und attraktiv oder eine alte Jungfer. O Herr, seufzte er noch einmal und schritt, als der große Zeiger auf eine Minute vor die Zwölf rückte, durch die niedrige Sakristeitür hinaus in die Kirche. Punkt fünf Uhr begann an jedem Sonnabend die Beichte.

Erwartungsgemäß fand Kaplan Berger das Gotteshaus leer. Durch die Scheiben des Seitenschiffs drang gedämpftes Licht. Das reichte im Sommer voll aus, um den Gläubigen, die bis sieben beichten kamen, das Lesen im Gebetbuch zu erleichtern. Den Kindern half es, die Krakelschrift auf ihren Sündenzetteln zu erkennen. Tiefere Dämmerung herrschte dagegen im Beichtstuhl.

In dessen mittleren Teil nahm Berger Platz und zog sogleich den violetten Vorhang hinter sich zu. Er schaltete ein schwaches Lämpchen ein. Das wollte er beim Eintreten eines Beichtkindes in den Seitenteil selbstverständlich wieder ausknipsen.

Der Kaplan mochte die Beichte nicht, weil er der Auffassung war, es sei richtiger, sich mit seinen Mitmenschen an einen Tisch zu setzen, um normal und bequem über alle Probleme zu reden. Freilich bestand diese Möglichkeit. Und wie oft hatte er junge Leute in seinem Zimmer unter dem Dach empfangen, damit er ihnen eine Last abnehmen oder gar einen Weg weisen konnte, Schwierigkeiten in der Lehre, zu Hause oder in der Schule zu klären! Leider gab es diese mittelalterliche, die sogenannte Ohrenbeichte noch, zu der man sich in eine „Holzkiste“ zwängen musste und das Beichtkind in die „Kiste“ nebenan kroch. Da kniete es nieder, während er, der Priester, saß, und wisperte einem das Register seiner Sünden durch ein Gitter in der Trennwand ins Ohr. Unnatürlich. Unnormal.

Was wollte man machen? Die Gläubigen selbst verlangten nach solcher Geheimniskrämerei. Lutz Berger verstand sie nicht.

Er hatte ein in braunes Leder gebundenes Buch vorgenommen, das hier immer lag, und sann über die Worte nach: „Wahrlich, Petrus, ich sage dir: Ehe der Hahn heute Nacht kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Es war reiner Zufall, dass der Kaplan gerade über diesen Text meditierte. Das rote Leseband hatte an der Stelle gelegen. Irgendwo oben, vielleicht im Himmel, verhallte der letzte Schlag der Kirchturmuhr.

Der junge Geistliche hörte trippelnde Schritte, die sich dem Beichtstuhl näherten. An der Art, wie diese Schritte mit Andacht auf dem steinernen Boden auftraten und doch jenen Krach veranstalteten, den mit Eisen benagelte Schuhe in einer leeren Halle hervorrufen, erkannte er die Haushälterin, Fräulein Klepzig.

„Heiliger Nepomuk“, schimpfte Berger leise. „Macht die Neugierde der alten Gans nicht mal vor der Beichte halt?“ Als er, den bloß der dünne, etwas durchsichtige Vorhang von der übrigen Kirche trennte, ihre Geschäftigkeit merkte, wie sie, keine fünf Meter von ihm entfernt, auf den Heiligen Staub zu wischen begann, riss er das violette Fähnchen zur Seite.

Die Klepzig stand auf einer niedrigen Leiter und sah mit einer Mischung von Furcht und Angriffslust sofort zu ihm hinüber. Das Staubtuch hielt sie wie einen Wurfgegenstand in der knochigen Hand. Dazu lächelte sie Berger mit der Verlegenheit eines Menschen an, der sich im Klaren darüber ist, das sein Äußeres einem im Dienst ergrauten Ackerpferd zum Verwechseln ähnlich sieht. Ihre großen weißen Zähne -- sie besaß seit vierzehn Tagen ein neues, schlecht sitzendes Gebiss - blitzten gefährlich.

„Was wollen Sie hier?“, herrschte der Kaplan sie an, und seine Wut hatte, mit der sanften Schönheit seiner Gesichtszüge gepaart, etwas rührend Überirdisches.

„Sehen Sie doch, Hochwürden“, kam es knapp und nicht weniger energisch zurück.

„Haben Sie noch nie etwas vom Beichtgeheimnis gehört? Da, wo Sie herumfummeln, können Sie ja jedes Wort verstehen!“

„Ich fummele nicht, Hochwürden“, sagte das Fräulein sichtlich beleidigt. Und wie ein Maler rückte sie, ohne von der Leiter herabzusteigen, diese mit einer heftigen Bewegung ihres ausladenden Unterbaus etwa einen Meter fort. Dann wischte sie an den Bildern, den „Fratzen“ also, unbekümmert weiter. Mit einem Seufzer setzte sich der Kaplan auf sein Bänkchen zurück. Vorher schob er das Tuch zwischen sich und die Bosheit der Welt. Sein Erstaunen über das unglaubliche Benehmen mancher Leute sollte sich jedoch noch steigern.

Denn als erstes Beichtkind betrat etwa Viertel nach fünf ein siebzehnjähriges Mädchen, Heike Postlein, das dunkle Gehäuse. Er erkannte sie nicht nur an der Stimme; gleich zu Anfang gab sie offen zu verstehen, wer sie war.

Eine Liebesgeschichte, mein Gott. Und das Problem bestand darin, dass sie sich keinen Rat wusste gegenüber einem Jungen, in dem sie jetzt, nach dreijähriger unschuldiger Bekanntschaft als Mitschüler, den Mann entdeckt hatte. Sie fragte Berger, ob die Kirche inzwischen die Pille gestatte oder nicht.